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S Sind die Physiker schuld an der Finanzkrise?

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© 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 1617-9439/11/0404-3 Physik Journal 10 (2011) Nr. 4 3 Meinung

Meinung von Prof. Dr. Frank Schweitzer, ordentlicher Profes- sor für Systemgestaltung an der ETH Zürich. Er war Initiator und Gründungsvorsitzender des heutigen Fachverbandes „Physik sozio-ökonomischer Systeme“

der DPG.

S

eit den 1990er-Jahren sind Phy- sikerinnen und Physiker ver- mehrt in Banken, Versicherungen, im Fondsmanagement und in Un- ternehmensberatungen tätig – ein Trend, der weiterhin anhält und auch international zu beobachten ist. Sind sie qualifiziert für diese anspruchsvollen Aufgaben und kennen sie die Konsequenzen ihres Handelns? Oder werden ihre analy- tischen Fähigkeiten, ihr Talent zur Datenanalyse und zur Modellie- rung komplizierter Systeme über- schätzt? Sind Physiker gar Schuld an der weltweiten Finanzkrise? Bei der Diskussion dieser Frage werden bevorzugt zwei Klischees verbreitet:

n „Der unmoralische Physiker“

stellt sein Wissen und Können in den Dienst von eigennützigen Fi- nanzinstitutionen, die letztlich die Welt ruinieren. So waren Physiker im Risikomanagement auch an der Entwicklung von CDS (Credit Default Swap) beteiligt, denen eine Hauptverantwortung für die Ausbreitung der Finanzkrise zuge- schrieben wird. Nicht von ungefähr hat der Milliardär Warren Buffet diese als finanzielle Massenver- nichtungswaffen bezeichnet.

n Der „weltfremde Physiker“

hat sich seine wissenschaftlichen Meriten in Bereichen ohne jeden Praxisbezug erworben (gern an- geführt: die Stringtheorie). Ohne relevante Erfahrung beschäftigt er sich nun auf einmal mit globalen Finanzgeschäften, die gravierende Auswirkungen in der realen Welt haben, was er in keiner Weise ab- schätzen kann. Stattdessen vertraut er völlig seinen idealisierten ma- thematischen Modellen und hält sie für die Wirklichkeit, er glaubt, mit einer Formel die ganze (Fi- nanz-)Welt beschreiben zu können.

Es wäre falsch, diesen Thesen mit dem Bild des unschuldigen Physikers entgegenzutreten, der doch immer nur das Beste wollte.

Aber es stellt sich die Frage, wie Physiker – durch ihre Ausbildung oder durch ihre Arbeitgeber – auf die Herausforderungen vorbereitet werden, die sich stellen, wenn sie nicht mit Kosmologie oder Nano- strukturen, sondern mit komplexen adaptiven ökonomischen Systemen zu tun haben.

Physiker sind sicher nicht die besseren Ökonomen – dieses Vor- urteil ist noch genauso verbreitet wie die Skepsis gegenüber Physi- kern, die sich mit Ökonomie befas- sen. Aber sie können vermehrt ihre Stärken in der Modellierung und Analyse von Systemen interagie- render „Teilchen“ ins Spiel bringen, wenn sie dabei auch ökonomische Konzepte integrieren. Das setzt Wissen über ökonomische und soziale Zusammenhänge voraus, das in den Seminaren zur Sozio- oder Ökonophysik heute noch unzureichend vermittelt wird.

Die Investition in eine solche Ausbildung würde sich lohnen, für die Hochschulen wie für die Stu- dierenden: Wer die ökonomische Wachstumstheorie kennt und weiß, wie eine Wertschöpfungskette funktioniert, ist auch besser gefeit davor, an den Reichtum aus dem Nichts zu glauben. Und wer eine Ausbildung in Systemdynamik erhält, lernt auch, systemische Ri- siken zu erkennen, die sich nicht an einzelnen Institutionen festmachen lassen, sondern aus der Wechsel- wirkung aller erst entstehen. Die Beziehung zwischen Mikro- und Makroebene, das Herzstück der statistischen Physik, ist auch für ökonomische und soziale Systeme von Bedeutung – aber nicht im Sinne eines simplen Physikalismus.

Um eine Wissenschaft wirklich zu verstehen, muss man auch ihre Grenzen kennen. Ökonomie ist ganz sicher nicht „the next physical science“, wie Kollegen aus USA es vor Jahren etwas provokativ for-

mulierten. Es ist eine Wissenschaft mit eigenständigen Theoriegebäu- den, die es zunächst einmal zu respektieren gilt – auch wenn dabei unrealistische Vereinfachungen, falsche Annahmen und Glaubens- sätze zutage treten, wie in anderen Disziplinen auch.

Physiker arbeiten seit Jahren daran, die konzeptionelle Krise der Ökonomie, die letztlich auch in der Finanzkrise zum Ausdruck kommt, durch neue Ansätze aufzulösen.

Vor genau zehn Jahren hat die DPG den „Arbeitskreis Physik sozio- ökonomischer Systeme“ (AKSOE) gegründet. Die Skepsis war damals sehr groß und wurde auch in der entscheidenden Vorstandsratssit- zung laut. Der Entschluss hat sich aber als richtig erwiesen: Aus dem AKSOE wurde ein eigenständiger Fachverband SOE mit rund 360 Mitgliedern und international sehr beachteten Konferenzen bei den Frühjahrstagungen. Symposien mit anderen Fachverbänden, etwa Dynamik und Statistische Physik oder Umweltphysik, zeigen, dass es auch fachverbandsübergreifende Themen gibt. Die sozio-ökomische Physik kann zudem Professuren und größere Projekte vorweisen.

Blickt man zurück auf die Schuldzuweisungen der Finanz- krise, dann hat die Geschichte auch etwas Positives: Man traut den Physikern offenbar nach wie vor eine Menge zu, und das selbst in Bereichen, die nicht zu ihrem Kern- geschäft zählen – bisher jedenfalls.

Sind die Physiker schuld an der Finanzkrise?

Zehn Jahre „Physik sozio-ökonomischer Systeme“ in der DPG Frank Schweitzer

Referenzen

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