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Unterschiede nutzen - Gemeinsamkeiten stärken
Editorial D
ass nicht alle Kinder einer Lerngruppe gleich sind, wird in der Schulpädagogik schon sehr lange als ein ärgerlicher Sachverhalt diskutiert. So sah Johann Friedrich Herbar!um 1800 in der" Verschiedenheit der Köpfe" das zentrale Problem des Schulunterrichts - sein Zeitgenosse Ernst Christian Trapp empfahl folgerichtig, die Methode .,auf die Mit- telköpfe" auszurichten. Diese Empfehlung beherrscht bis heute den deutschen Schulalltag;
denn beim gemeinsam-fortschreitenden Lernen (am liebsten im fragend-entwickelnden Unterricht) bestimmt der fiktive Durchschnittsschuler sowohl das Niveau als auch das Tempo - dabei müssen die einen wanen, die anderen werden überfordert. Und das, ob- wohl in unserem Schulsystem fortlaufend versucht wird. durch Auslese die" Verschieden·
heit der Köpfe" einzuschranken: durch Sitzen bleiben und Sonderschul·Überweisungen, durch Schulform·Sortierungen und Abschulungen. Doch zunehmend setz! sich die Er·
kenntnis durch, dass die ersehnte homogene Lerngruppe auch im gegliederten Schulsystem nicht nur pädagogisch wenig sinnvoll ist, sondern zudem eine pure Fiktion bleibt, der man auch durch noch soviel Auslese nicht entscheidend näher kommt.
Denn dass die Lerngruppen in allen Schulformen in den letzten Jahrzehnten immer heterogener geworden sind, hat gesellschaftliche Ursachen: Weil sich traditionelle Lebens·
zusammenhänge und alte Selbstverständlichkeiten zunehmend aufgeldst haben, wachsen die Kinder in immer unterschiedlicheren Milieus auf. Das gilt fur Familienformen und Ge- schlechterrollen, für "Normalbiografien" und Berufsverläufe, für nationale und religiöse Herkünfte. Die Erfahrungen, die Kinder und Jugendliche in ihren Familien und ihrem privaten Umfeld sanuncln, werden vielfältiger, bunter, disparater, z. T. auch problemati- scher: Man lebt als Einzelkind oder mit Geschwistern, mit arbeitslosen oder beruflich völlig uberlasteten Eltern, mit der deutschen, der russischen, der türkischen Familiensprache. in Armut oder überfluss, behutet oder verwahrlost. Entsprechend stark unterscheiden sich die Interessen. Erwartungen, Kompetenzen und Lernhaltungen, die diese Kinder mit in die gemeinsame Klasse bringen.
Mit dieser Heterogenität soll die Schule, sollen die Lehrkräfte pädagogisch produktiv umgehen; das ist spateSlcns seit PISA die Forderung, die öffentlich auf breite Resonanz stößt. Den Wunsch nach der "homogenen Lerngruppe" gilt es deshalb genauso zu verab·
schieden wie den Unterricht für die "Mittelkbpfe". Die bunte Mischung der unterschied·
lichen Individuen ist schon ganz lange Realität fast überall in deutschen Schulen, hier gilt es, mit dem eigenen Unterricht anzuknupfen. Allerdings Hingt mit dieser Einsicht die Arbeit erst an: Was bedeutet das konkret am michsten Tag im Unterricht - was beim Leselehrgang im 1. Schuljahr, was im Physikunterricht der 9. Klasse? Mit welchen Arbeitsformen, welchen Methoden, welche Ansprachen der Schulerinnen und Schüler kann bei deren in·
dividuellen Vorausselzungen angeknüpft werden? Welche Schwierigkeiten sind hierbei zu erwarten. welche Chancen tun sich auf?
Dieses Jahresheft stellt sich nicht nur den soziologischen und pädagogischen Grundsatz·
problemen von .,Heterogenitat", sondern auch den damit verbundenen Fragen des alltag·
lichen Unterrichts. Es will auf diese Weise helfen, in einem zentralen Punkt die Schule und den Unterricht sowohl "neu zu denken" als auch neu zu gestalten.
Gerold Becker Klaus·Dieler LenzeIl LulZ Sial/dei
Klalls·jürgcn Tillmanll Rolf Wemmg
Feh\' Wwter
FRIEDRICH JAHRESHEFT XXII 2004
Heterogen ität
Unterschiede nutzen - Gemeinsamkeiten stärken
HERAUSGEBER
Gerold Becker, Klaus-Dieter Lenzen, Lutz Stäudel, Klaus-Jürgen Tlilmann, Rolf Werning, Fellx Winter
Editorial Inhalt
Eine Klasse - 27 Kinder
KlAUS-JORGEN TILLMANN System jagt Fiktion Die homogene Lerngruppe GEROLD BECKER
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Regisseur, Meisterdirigent, Dompteur 10 Die Sehnsucht nach gleichen Lernvoraussetzungen hat Gründe
1. Lerngruppen sind bunt
UL' PREUSS·LAuSIlZ
Die offene Gesellschaft und ihre Schule
Zur Zukunftsfählgkel! des Lernens unter Bedingungen von Vielfalt
MElTEM AVCI-WERNING Lernziel Zusammenleben
Das ABC der interkulturellen Arbeit
FALKO PESCHEL
Ganz normale Kinder!
Differenzierung von oben oder Individualisierung von unten
ROlF WERNING
"Bernd kann leider immer noch nicht lesen!"
Warum eigentlich Integration - und wie?
KATRIN HOH~ANN
Nicht automatisch schnell und effektiv Wege zu einer begabtenfreundlichen Lernkultuf
B(nlNA lINOMEI(R
Mitten im Wohlstandsland Kinder in Unterversorgungslagen
ElSBETH STERN
Schubtadendenken. Intelligenz und lern typen
Zum Umgang mit unterschiedlichen lernvoraussetzungen
IMBKE B(HNK(N Bilder von Kindheit
Konstruktionen In den Köpfen der Erwachsenen
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2. Heterogenität als Chance
AV\oOORE PRENGEL
Spannungsfelder, nicht Wahrheiten
Heterogenität In pädagogisch-didaktischer Perspektive
KlAUS-DIETER LENZENf'v\IERNER SCHUUE
Haupt· und Nebendarsteller, Kleine und Große Theaterarbeit als Modell produktiver Integration des Verschiedenen
BIRGII LUTJE·KlOSE Uo6po nOl+<aJlOllaTb!
Mehrsprachigkeil als Herausforderung Im Anfangsuntemcht
URSULA CARLE
"Wieviel Bauklötze sind das?"
U nternchtsrelevante Schu leingangsdiagnostik
DORIS DOCKHORN/KATHARINA EIKMANNS-RoTEI STEPHAN GODEJOHANN/KLAUS-OIEIER LENZE' Altersmischung
Lernen in jahrgangsheterogenen Gruppen
ANQR(AS HINZ
Zeitaufwändig, aber wirksam
Begleitung von Menschen mit Behinderung
H(RBERT ALIRICHT(RfELGRIQ MESS~'ER Gefahr: Entmischung und Polarisierung Über den Umgang mit Heterogenität in der Lehrerschaft
BMBH BRÖ\'ER
"Haare", "Herz" und "Motorroller"
Die Arbeit an selbst gewählten Trte-nen unterstützen
CHRISIIA'i 51 ERLElU~~~ .. w~ '.~~
Wir - und die anderen
SozIalpsychologische Be~' ac ~
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ZUI Heterogenität
Der Blick über den Zaun ANNE R;'·ZI(,
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BARS;'RA Koc--?;: :: ... :
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3. Heterogenität und Fächer
G';"R{[L[ Oasr/KARIH VOLKW[IN
Aylin erklärt Markus das Christentum
Produktiver Umgang mit religiöser Heterogenität S"'SA"" [ PREOIGER
nDarf man denn das so rechnen?"
Iielfal! Im Mathematikunterricht
UijSULA KESSELS
Mädchenfächer - Jungenfächer?
Geschlechterlrennung im Unterricht U·" ZORN
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86
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"Rätselmaschine" und "Wortfresser" 95
neterogene Lerngruppen und Neue Medien
U;5 RUF/NIcOLE FRElfTOBIA$ ZIMMERMANN
Wie Schüler aus ihren Fehlern lernen 98 ,on der persönlichen Grammatik zur Klassengrammatik
E."',5· DELLE/ISA N(sSELJALBRECHT STOll
Musik ist nicht nur Geschmackssache 102
VOr) den Tonh~ltern zur Weil musik
_~::.,., G HUBER
Mitten im Dilemma 106
Uber Standards und Heterogenität
.:':;\0l~ KUHZE
Alles hängt mit allem zusammen 110
" om
Nutzen der Differenz4 . Rituale - Unterrichtsverfahren - Material
C"R STIN( TfloMAS
Macht-Shuffle
{_~!.Is-D (TER LENZEN
Die Versammlung
{}_:: • BOSSE
Werkstattlernen
G::='~ KO'<IETZlloiMoNUIA DAr1lMANN
Think - Pair - Share
=~. (WI-,rER
Lernkontrakte
- ::. '.';.- BRAMMERTS
Sprachen lernen im Tandem
u_!> ~E BECKuuEllEN HANS(N
Elternberatung
U.'<Il\E BECIIER/ELLEN HANSEN
Die Obergangsklasse
BERO FIEGE
Kollegiale Beratung
Autorinnen und Autoren/Impressum
Frle<:lflch Jahreshett 2004,
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Förderpläne tür jedes Kind!
Konzipiert und zusammengestellt von Katrin Höhmann. Mit Beiträgen von Katnn HÖhmann. Hans Joachim Pilz und MOOlka Willenbnng
SchalerIOnen und Schüler zIelgerIchtet und substantiell fördern - ein Wichtiges Instrument bei dieser elementaren Aufgabe stellen FÖI"derpläne dar. In Ihnen werden Planungs- entscheidungen für die Förderung eines Schülers doku- mentiert und systematisiert. Dabei wird die Lehrerkoope- ration angeregt und erhält eine verbindlichere Form.
Sie erhalten in diesem Teilbereich des "Jahresheftes"
grundlegende Informationen zur Arbeit mit Förderplänen.
praxiserprobte Förderpläne mit unterschiedlichen Schwer- punkten als Kopiervorlagen sowie jeweilS einen Kommen- tar zum Hintergrund und Einsatz dieser Pläne.