Zur Vorgeschichte des Aufstandes von
Wang Hsiao-po und Li Shun in Szuchuan (993-995)
Von Webner Eichhorn, London
Wenn auch der Aufstand des Wang Hsiao-po (IE /]■' oder oder
und Li Shun (^ HI^) nicht die weitreichenden pohtischen Folgen hatte
wie z. B. der des Fang La, so zeigt er doch Aspekte von großem Interesse
für die wirtschaftliche und soziale Lage in einem Teile des Reiches.
Gleichzeitig wirft er ein bezeichnendes Licht auf die Ausbeutung und
Verarmung der Randprovinzen nach ihrer Einbeziehung in den Sung-
Staat.
Neuerdings ist unsere Aufmerksamkeit auf dieses Ereignis gelenkt
worden durch einen chinesischen Artikel von Chang Yin-lin, der den
englischen Untertitel trägt : The Revolt of Wang Shao'-'po and Li Shun in
Szu-chuan, 993—995: An unsuccessful Communist Movement^. Diese
Arbeit dürfte alles vorhandene, historische Material des Aufstandes, das
aus zahlreichen Texten ausgekämmt wurde, enthalten. Allerdings eine
ausführliche, wohl sogar die ausführlichste, sungzeitliche Darstellung des
Aufstandes, hat Chang Yin-lin allem Anschein nach nicht berück¬
sichtigt. Diese findet sich im T'ung-chien ch'ang-pien chi-shih p6n-mo,
Kap. 13, und stellt eine Kompilation der hauptsächlichsten von Chang
gesammelten Materialien dar*.
In Arbeiten westlicher Sinologen ist der Aufstand und seine Begleit¬
umstände abgesehen von meiner Notiz in ,, Sinica" XIII, Heft 1/2, p. 4,
' Da ich in allen Texten nm die Schreibimg /]% Hsiao finde, kann ich mich
mit der Transkription Shao (^) nicht befreunden. Es mögen aber Grimde
dazu vorliegen.
2 In „The Tsmg Hua Journal", Vol. XII Nr. 2 (1937), p. 315—335. Die
Hauptergebnisse dieser Arbeit erscheinen in einem russischen Artikel über
die Wirtschaftsgeschichte des Sung-Reiches im 10. und 11. Jahrhundert von
W. M. Stein in ,,Sowjetskoe Wostokowedenie", III (1945), der mir durch
eine unveröffentlichte Übersetzung von J. Lust zugänglich gemacht wurde.
' Diese Darstellung ist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mit der in dem
von Chang benutzten, von mir leider noch nicht eingesehenen Hsü Tzu-chih
t'ung-chien ch'ang-pien inhaltsgleich, sondern teilweise ausführlicher. Chang
Yin-lin erwähnt auch nicht die Darstellung des Aufstandes im Sung-ch'ao
shih-shih (5|5 ^ ^ ^) des Li Yu (^ eines Historikers der Süd-Sung
Periode. Vgl. Ts'ung-shu chi-ch'eng, Nr. 833/5, p. 273—5.
Zur Vorgeschichte des Aufstandes von Wang Hsiao-po und Li Shun 193
meines Wissens kaum erwähnt, keinesweges aber ausführlicher be¬
handelt worden.i
Trotz uneingeschränkter Anerkennung der verdienstvollen Arbeit von
Chakg Yik-lin habe ich gewisse Zweifel, ob seine Beschreibung nicht
doch dieses Ereignis aus dem chinesischen Mittelalter im Lichte moderner
Mentalität schildert und in unsere Zeit beherrschende Begriffe zwängt.
Ich bin schon von vornherein nicht sicher, ob das Wort ,, communist"
hier wkklich am Platze ist. Es sohte zumindestens modifiziert werden.
Denn ohne ein Expert in diesen Dingen zu sein, scheint mir das Wesens¬
merkmal des Kommunismus keinesfalls in einer einmaligen, allgemeinen
und gleichen Wiederverteilung enteigneter Güter zu liegen, wie solche
vieheicht durch Wang Hsiao-po vorgenommen wurde, sondern in dem
aUgemeinen und gleichen Aruecht auf die für Unterhalt und Arbeit be¬
nötigten Güter. Was beides doch wohl verschieden ist.
Chakg Yik-ltns Artikel beginnt folgendermaßen: ,,Zu Beginn der
nördlichen Simg Dynastie ereignete sich in Szuchuan der Aufstand des
Wang Hsiao-po und Li Shun. Dieses Ereignis steht in Parallele zu dem
Aufstand des Chung Hsiang (M +B) und Yang Yao (i^ ^) in Ting und
Li (d. h. im heutigen Hunan) zu Beginn der südhchen Sung-Dynastie.
Beide Aufstände können dazu beitragen unsere Kenntnis über die Theorie
des Klassenkampfs zu erweitern."
Chang Yin-lin betrachtet den Aufstand ausschließlich unter dem
GesichtspurUit dessen, was er unter KlasserUiampf versteht, was wohl
bei ihm im Grunde auf einen Kampf der Besitzlosen gegen die Besitzen¬
den hinausläuft.^
Am Ende des zweiten Abschnittes seines Artikels gibt er folgende
Resultate: ,, Fassen wir das oben aufgeführte Material zusammen, so
ergeben sich drei HauptpmJite für den Aufstand des Wang Hsiao-po:
(1) Bestrafung und Vernichtung der habgierigen und korrupten Beamten¬
schaft, (2) die Konfiszierung der von der besitzenden Klasse durch Er¬
pressung angesammelten Reichtümer, ohne dieser Klasse die Mittel zum
1 Vgl. jedoch auch die kurze Erwähmmg in H. Fbankb: Sinologie (1953),
p. 131. Der dort angeführte Artikel von M. Jkeda in ,,Rekishigaku kenkyü",
152 (1951), p. 1—15, folgt im großen Ganzen der Linie des Chang Yin-lin
und stellt die Revolte ebenfalls unter den Gesichtspunkt des Klassenkampfes.
Seiner Ansicht nach resultiert sie in einer Schwächung der Stellung der
Großgrundbesitzer in Szuchuan. (Vgl. Anm. infra.).'
2 Auch die Parallelsetzung des Aufstandes zu dem des Chung Hsiang,
Yang Yao usw. ist imglücklich, denn hierbei handelt es sich wahrscheinlich um freiwihige Mihzverbände, die sich weigerten, im Verlaufe der Pazifizie- Timgspolitik der Süd-Sung aufgelöst zu werden imd deshalb zu Räuberbanden
wurden. Die Auflösung wurde, so scheint es, stark befürwortet von den lo¬
kalen Großgrundbesitzern, die für die Kosten solcher Verbände aufzukommen hatten.
13 ZDMG 105/1
194 Webner Eichhorn
Unterhalt zu nehmen, was man ja wohl mit Gerechtigkeit bezeichen
kann, (3) Unterstützung der Armen mit den durch Beschlagnahme er¬
langten Gütern."
Oberflächlich betrachtet entspricht das etwa dem von Chang Yin-lin
angeführten Material. Ungenauigkeit aber kommt in diese Ausführungen
dadurch, daß er es unterläßt zu beschreiben, wie diese Armut, die zu dem
Aufstand führte, eigentlich zustande kam, und wer diese Armen im
Grunde waren.
Um das zu verstehen, müssen wir zunächst etwas auf die Geschichte
Szuchuans und besonders seiner Seidenbrokatindustrie eingehen.
,, Szuchuan", so lesen wir in einer modernen Geographie dieser Pro¬
vinz, ,,ist ein altes Seidenbaugebiet unseres Landes. Da das Klima die
Kultur des Maulbeerbaumes, dessen Blätter die Grundlage der Raupen¬
zucht bilden, begünstigt, ist dort schon sehr früh Seide erzeugt worden^."
Der Textiliem-eichtum des Landes Shu (^), d. h. des alten Szuchuan,
wird erstmalig von Szu-ma Ts'o, einem der Ratgeber des Ch'in Herrschers
Hui-Wang (337—318 v. Chr.), erwähnt, der vorschlug, dies Gebiet zur
Angriffsbasis gegen den östlich daran anschließenden Staat Ch'u zu
machen^.
Im Jahre 316 v. Chr. wurde Shu von Ch'in erobert. Das bezeichnet den
Eintritt von Szuchuan in den Bereich der chinesischen Geschichte*.
Der Eroberung folgte um 250 v. Chr. die wirtschafthche Erschließung
des Landes durch Li Ping (^ ^)'', den Schöpfer des großartigen Be-
' Lou YüN-LiN: Szu-ch'ttan (1941).
" Hua-yang kuo chih, Kap. 3 (Ausg. Kuo-Jisüeh chi-pen ts'ung-shu), p. 29.
„Shu befindet sich in verworrener Lage, wie sie seinerzeit vmter den Ty¬
rannen Chieh (Hsia-Dyn.) und Chou (Shang-Dyn.) bestand. Das Land ist
außerordentlich reich. Weim wir seine Leinen- und Seidenstoffe, sein Gold
imd Silber erlangen, so reicht das zum Unterhalt unserer Heere. ..." Leider werden die Textilien in der entsprechenden Parallelstelle des Shih chi nicht erwähnt. Ebenso verhält es sich mit der Stelle, die das Hua-yang kuo-chih (Kap. 3, p. 27) aus den Hsia shu, in diesem Falle wohl dem Yü kung, anführt.
Die dort erwähnten Brokatstoffe aus dem Gebiet des Min-shan (jllg \\\) in
Szuchuan kann ich z. B. in Legges Shu-ching nicht finden. Aber dem ganzen Charakter des Yü kung entsprechend dürfte die Stelle kaum älter sein als die oben zitierte.
^ Vergl. dazu das Shu chien (^ ^) des Kuo Yün-tao (|I5:fc^), der
ganz im Geiste der rationalen Mentalität der Sung-Zeit unter Vermeidmig
von Legenden und Wundergeschichten das historische Material über daa
Land Shu nach Art des Chi-shih pen-mo und T'ung-chien kang-mu von der
Eroberung durch Ch'in bis zm Übernahme in den Sung- Staat zusammen¬
stellt. Leider beschränkt er sich ausschließlich auf die politische Geschichte.
In diesem Sinne enthält das Werk z.B. Material über den Staat des Chang Lu
5i #), sowie den Aufstand des T'u T'ao (/fet^jl) etc.
* Hua-yang kuo chih, Kap. 3, p. 30.
Zm- Vorgeschichte des Aufstandes von Wang Hsiao-po und Li Shun 195
Wässerungsystems von Ch'eng-tu. Etwa um 157 oder 141 v. Chr. erfolgte
dann auch der kulturehe Anschluß an das eigentliche China dadurch, daß
der Gouverneur Wen Weng ^) eine Abordnung in die Oststaaten
schickte, die die 7 klassischen Bücher nach Shu brachte. Daraufhin
wurden die klassischen Studien aufgenommen und erreichten bald die
Höhe der Studien in Ch'i (^) und Lu
Zwischen der Regierung des Han Wu-ti und dem Jahre 347 n. Chr.,
mit dem die Aufzeichnungen der Hiia-yang-kuo chih enden, liegt nun das
Aufkommen der Seidenbrokate in China und späterhin in der Periode
der drei Reiche die Entstehung der Brokatmanufaktur in I-chou ^1),
das zur Han-Zeit gegründet^ etwa dem späteren Ch'eng-tu entspricht.
Wir finden diese Brokatmanufaktur erstmalig erwähnt in einer Be¬
schreibung des alten Shu-chün i. e. Ch'eng-tu) im Hua-yang-kuo
chih, Kap. 3, p. 34:
,, Anfangs als Wen Weng die literarischen Studien, Studierstuben
'^^^ Vorlesungssaal ^) gründete, da errichtete er ein
Steinhaus*, das die Bezeichnung Yade-Haus (5 ^) erhielt. Es befand
sich im Südteil der Stadt. Später nach der Periode Yung-ch'u {^^
107—113) wurde der Saal durch Feuer zerstört. Aber der Gouverneur
Ch'en Liu-kao ließ ihn sofort wieder ausbessern. Dazu errichtete er nun
auch zwei (andere) Steinhäuser.
Als die Provinzverwaltung die von der Distriktsverwaltung geleiteten
Studienanstalten übernahm und zu Provinzschulen* machte, da richtete
die Distriktsverwaltung eine andere Studiengelegenheit bei der I-li-
(^ S) Brücke am Ostrande des Süduferweges (|g ^ ein. Diese
wurde in einem Gebäude untergebracht, das mit Schießscharten ver-
1 Ibid., Kap. 3, p. 31. Vergl. auch die Notiz im Chung-kuo jen-ming ta-tz'u tien (Com. Pr.), p. 56. Unter der Regierung des berühmten Han-Kaisers Wu-ti wurden in allen Distrikten von Shu Studienanstalten eingerichtet.
2 Die Begründtmg von I-chou als Bezirkshauptstadt (^) scheint etwa mn
111 V. Chr. stattgefunden zu haben. Die Umwallung und allgemeine Anlage
der Stadt ist aber wohl viel älter imd wurde kmz nach der Eroberung dmch
Ch'in in Angriff genommen. Jedoch erst im Verlaufe der ersten Han-Zeit
erhielt die Stadt ihre Bedeutung. Vergl. die Angaben im Hua-yang-kuo chih,
Kap. 3, p. 31—32, u. a. o.
3 Zu diesen Räumlichkeiten vergl. die Ausführungen im Neng-kai-chai
man-lu (tß 25C Shuo fu, Ausg. in 120 chüan, chüan 17).
* Zur feuersicheren Unterbringung der Bücher.
* Es ist mir nicht möghch, festzustellen, zu welchem Zeitpunkt diese Über¬
nahme stattfand. Da die Aufzeichnungen des Hua-yang-kuo chih mit dem
Jahre 347 n. Chr. enden, müßte das Ereignis also in den vorhergehenden
Jahren stattgefunden haben. Jedenfalls läßt es eine genaue Datierung der
Brokatmanufaktur nicht zu.
13*
196 Webner Eichhorn
sehen war. Das war die alte Brokatmanufaktur^ an der Stadtmauer im
Westen der Hauptstraße.
Der Brokat-Fluß jX)^- Der gewebte Brokat in diesem Flusse ge¬
waschen wurde in den Farben frisch und leuchtend'. In einem anderen
Flusse gewaschen wurde er nicht so gut. Darum nannte man diese Stelle
Chin-h (^g, Brokat-Meile od. Weiler).
Aus dieser Stelle geht hervor, daß sich die Brokatmanufaktur in
Szuchuan in der Periode vor der Übernahme der Studienanstalt durch
die Provinz bereits so vergrößert hatte, daß sie in andere Baulichkeiten
verlegt werden mußte und dadurch das alte Gebäude für die oben er¬
wähnten Zwecke frei wurde. Wir können also annehmen, daß sie zur Zeit
der drei Reiche in der Hauptstadt des Staates Shu, wo eine Hofhaltung
^ ^ meiner Ansicht nach körmen wir darunter eine behördliche Werk¬
statt mit angeschlossenen Arbeiterwohnungen verstehen. Später in der Sung- Zeit findet sich dafür die Bezeichnung |^ „Hof". Im Vorwort des Shu-chin
P'" 4§ Ib' Mei-shu ts'ung-shu) einem Werke der Yüan-Zeit lesen wir,
daß in dem im Jahre 1083 begrimdeten folgende Arbeitskräfte be¬
schäftigt waren: Zubereiter (^^.) 164 Personen; Weber (.^ ^) 54 Per¬
sonen; Färber ^) 11 Personen; Seidenhaspier (^J^ ^) 110 Personen.
Außerdem wmden 154 Maschinen aufgestellt.
Die Textüwerkstätten sind höchstwahrscheinlich hervorgegangen aus den
Schneider- und Nähstuben, die an den Höfen der Kaiser und Machthaber be¬
standen und für die geschickte Näherinnen rmd Schneiderirmen aus dem
ganzen Lande angeworben oder besser gesagt requiriert wurden. Man vergl.
dazu z. B. die Geschichte von der Hsieh Yeh-lai in ZDMG, Bd. 102 (1952),
Heft 1, p. 138—-140. Viele der Palastdamen wmden weniger wegen ihrer
weiblichen Reize als vielmehr um bestimmter Kunstfertigkeiten willen in den Palast geholt. In der San-kuo-Zeit bestand anscheinend, wie die Geschichte
der Yeh-lai zeigt, ein Wettbewerb der Höfe um gute Schneiderirmen. Im
Rahmen des Hof bedarfs entstanden jedenfalls die Anfänge von chinesischen
Textil Verarbeitungsbetrieben. Die Verknüpfung von Palast und Schneider¬
werkstatt mag assoziativ im Hintergrund stehen, werm z. B. ein Autor der
Liu-Sung-Dynastie in seiner Beschreibimg von I-chou das Zeichen *^ dmch
g ersetzt. Vergl. I-chou chi (^'>|-1 gß) von Jän Yü (ü^) im Shua fu
(Ausg. in 120 chüan), chüan 61, p. lv. : ,,Die Stadtmauer von I-chou wurde
von Chang I (Giles: Biogr. Diction Nr. 70) erbaut. Chin-cheng (^ „der
Brokatwall") ist südhch der Chou (i. e. Provinz-)Amtsstelle, es ist ein alter
Palast (^) aus der Zeit des San-kuo-Staates Shu. Die Stelle dort heißt
Chin-h."
^ Die Lesart ist wohl die alte und richtige. Sie ist der Lesart „Arbeiter", die im Shui-ching chu, Kap. 33 erscheint, vorzuziehen, wenngleich diese einen glatteren Eindruck macht.
^ Dasselbe wird berichtet von dem Huan-Gewässer (^^ tJc) bei der Stadt
Hsiang-i (^ g^, im heutigen Honan). Dort soll das Zentrum der Brokat¬
manufaktur während der Han-Zeit gewesen sein. Vergl. Yoshito Harada:
Chinese Dress and Personal Ornaments in the Han and Six Dynasties, („Toyo Bunko Ronsö", Ser. A, Vol. XXIII, 1937). p. 13.
Zur Vorgeschichte des Aufstandes von Wang Hsiao-po imd Li Shun 197
im Stile des Han-Hofes ihren Sitz hatte, ihren Anfang imd ersten Auf¬
schwung genommen hat^.
Für die folgenden Jahrhunderte kormte ich bisher keine Notiz finden,
die das Weiterbestehen der Manufaktur direkt bestätigt hätte^. Wo
immer aber von Steuern, Abgaben etc. aus Shu die Rede ist, finden wir
den Seidenbrokat erwähnt*.
Es scheint nun, daß die Brokatmanufaktur und die Herstellung schwerer,
gemusterter Seidenstoffe in Shu sich nicht nur durch die Jahrhunderte
hindurch erhielt, sondern auch wegen der hohen Qualität ihrer Produkte
eine Art Monopolstellung imie hatte. Während der Wu-tai-Periode
nahm sie einen neuen gewaltigen Aufschwung. Ich entnehme dies einer
1 Während der San-kuo-Zeit bestanden zunächst zwei Seidenbrokat-
manufaktmen. Die eine im Staate Wei war die Nachfolgerin der alten Han-
Manufaktm in Hsiang-i. Die andere war die im Aufkommen begriffene
Manufaktur in Shu. Zwischen beiden bestand höchstwahrscheinlich eine Art
Konkmrenz, wie aus einer Äußenmg des Wei-Kaisers Wen-ti (220—226)
hervorgeht, in der er auf die sehr unterschiedliche Qualität der Shu-Brokate
hinweist. Anscheinend war eine Lieferung von Wei-Brokat von den Hsien-pi
zmückgewiesen worden und als Vertreter der Industrie seines Landes er¬
klärt Wen-ti, daß auch bei dem in Wei verfertigten Brokat dünne Gold¬
fäden (-^ ^ ) verwendet würden und die aus Shu nach Lo-yang gelieferten
Goldfäden oft sehr minderwertiger Arbeit wären. (Vgl. Wei Wen-ti chi,
Abtlg. in Han Wei Liu-ch'ao po-san-chia chi.) Bald aber ergab sich, daß
der Brokat aus Shu allen anderen Stoffen dieser Art überlegen war. Im
T'ai-p'ing yü-lan (Kap. 815, Ausg. Ssu-pu ts'ung-k'an, p. 8 r.) findet sich ein
Zitat aus einem Tan-yang chi (f); ^ fg) von Shan Cu'iEN-CHm (jJj ^ ■^),
der während der Liu-Sung-Dynastie lebte. Es lautet : ,,Naoh der Pazifizierung
von Kuan-yu (d. h. der Gegend westl. des Han-ku jäj Passes) siedelte
man die dortigen Handarbeiter um. In der Gegend im Osten des Yangtse
hat es im Laufe der Geschichte noch nie Brokat(manufaktur) gegeben und
einzig der Brokat aus Ch'eng-tu hatte den Ruf ausgezeichneter Qualität.
Aus diesem Grunde kaufte zm San-kuo-Zeit Wei auf dem Markte in Shu und
auch Wu bezog diese wertvollen Stoffe auf dem Wege von Westen (aus
Shu)".
Ja aus einer Bemerkung in einer Chu-ko Liang-Sammlung (^ ^ ^ ^
zit. T'ad-p'ing yü-lan, Kap. 815, p. 8 v.) geht hervor, daß Seidenbrokat die
Grundlage der Finanzierung der Feldzüge von Shu war: „Heute ist das Volk
arm und das Land ausgeleert, was unsere Hilfsquellen zur Abwehr der
Feinde betrifft, so können wir unsere Hoffnung einzig auf den Seidenbrokat setzen."
2 Die Stelle im Shu-tu fu (^ ^ ®) des Chüi-Autors Tso Ssu (Giles:
Biogr. Diet. Nr. 2026), „Stickerei im Muschelstil von höchster Vollendung, man wäscht die Farben in Stromes Wellen", kann sich sowohl auf eine zeit¬
genössische wie auf die alte im Hua-yang kuo-chih erwähnte Manufaktur
beziehen.
ä Vgl. z. B. Shu chien (in Shov^slian ko ts'ung-shu), Kap. 7, p. 1 v. und p. 21 r, u. a. o.
198 Webneb Eichhobn
Bemerkung im 8hu t'ao-wu', aus der hervorgeht, daß der Reichtum an
Gold, Seide, Brokat und gestickten Seidenstoffen einen starken Anreiz
bildete für die Eroberung des Landes durch den Kaiser Chuang-tsung
^) der späteren T'ang-Dynastie im Jahre 925.
Unter den Herrschern des späteren Shu-Staates (Hou-Shu), Meng
Chih-hsiang und Meng Ch'ang, nahm die Fabrikation schwerer Seiden¬
stoffe derart zu, daß sie die Haupteinnahmequelle der Regierung bildeten.
Die Qualität der schweren Seidenbrokate verschaffte dem Shu-Staate
eine dominierende Stellung auf dem chinesischen Textilmarkte^ der Wu-
tai-Periode und der beginnenden Sung-Zeit*.
Der Seidenbrokat war, so kann man wohl sagen, einer der wesentlich¬
sten der wirtschaftlichen Faktoren, auf denen der Bestand des selbstän¬
digen Shu-Staates beruhte. Diese wertbeständigen Stoffe, mit denen die
Staatsspeicher gefüllt waren, bildeten die finanzielle Reserve der Re¬
gierung. In der Bevölkerung stellten sie den wichtigsten Handelsartikel
und die sicherste Kapitalanlage dar. Jedenfalls wurden sie sogar als
Zahlungsmittel benutzt*.
1 ^ I/L, geschichtliche Aufzeichnungen über die Staaten Ch'ien-Shu
(907—925) und Hou-Shu (934—965) verfaßt von dem Sung-Autor Chang
T'ang- YING (^ ^). Die Stelle findet sich im Abdruck des Werkes in der
Sammlung Li-tai hsiao-shih, Chüan 31, p. 15 v.
" Daß in jenen Zeiten ein lebhafter Textilmarkt bestand, wird bestätigt
durch die Regulationen für Webwaren im Hou-T'ang-Staate vom Jahre 930
und im Hou-Chou-Staate vom Jahre 956. Vergl. Wu-tai hui-yao, Kap. 25
(Ausg. Ts'ung-shu chi-ch'eng, Nr. 829—832), p. 307 rmd 308/9.
' Vgl. z. B. die Einleitung der Darstellimg des Aufstandes im Ch'ang-pien
chi-shih pen-mo (Kap. 13): „Jahr 993. Der Boden von Shu erzeugte Roh¬
seide im Überfluß. Die Bevölkerung verwebte diese in alle Arten schwerer
und kostbarer Seidenstoffe. Man nannte dies: Das Reich bekappen (^ ^
"f^)." Das bedeutet, daß sich die Seidenstoffe aus Shu wie eine oberste Quali- tätssohicht über alle Textilien im Reiche erhoben. Es könnte allerdings auch eine Anspielung sein darauf, daß Seidenbrokat eine Rolle spielte als Rang¬
zeichen an der Amtskleidung der Beamten und als Gnadengeschenk vom
Kaiserhof etc.
Aus einer etwas später in nicht sehr sinnvoller Weise in denselben Text
eingeschobenen Stelle erhalten wir das Bild eines Abtausches der Schwer¬
textilien aus Shu gegen Leichttextilien und wohl auch andere Waren aus den
übrigen Teilen des Reiches : „Die Waren von schwerem Gewicht, Kupfer und
TextUien, wurden (auf Boote) verladen über die drei Stromschnellen (den
Yangtse) hinunter befördert und in Chiang-ling (heute Chiang-hng hsien in
Hupei) gestapelt. Dort wurden Boote zur Weiterbeförderung in die Haupt¬
stadt aufgeboten. Waren von leichtem Gewicht, leichte, bunte Seide, ging
von der Hauptstadt nach Szuchuan. Dazu stellte man Trägerkolonnen von
je 40 Mann zusammen, die die Traglasten in einem ununterbrochenen Pendel¬
verkehr (j^) beförderten. Dies System nannte man Jih-chin (Hj^, etwa
„tägliche Lieferung")."
* Vgl. dazu z. B. die Bemerkungen von W. M. Stein, Op. cit., p. 85.
Zur Vorgeschichte des Aufstandes von Wang Hsiao-po und Li Shun 199
Kurz nach der Eroberung des Shu-Staates durch die Sung- Generäle
im Jahre 965 wurden im Zuge der Überführung des Shu-Hofes die in den
Speichern aufgehäuften Wert-Textilien in die Palastschatzkammern der
Hauptstadt abtransportiert^.
Zugleich fand auch eine Umsiedlung von einigen hundert^ Textil¬
arbeitern und -arbeiterinnen* statt. Mit diesen wurde im Jahre 967 in der
Hauptstadt des Sung-Reiches die (kaiserliche) Seide- und Brokat¬
manufaktur Ling-chin yüan (jf^ ^ |^)* begründet und damit die Mono¬
polstellung von Szuchuan gebrochen.
Im übrigen aber wurde das eroberte Shu nur langsam und angeblich
1 Es gehörte zur Politik des ersten Sung-Kaisers, die gesamten wirtschaft¬
lichen Werte des geeinigten Reiches als Reserve in den Speichern der Haupt¬
stadt zu sammeln. Vergl. z. B. Sheng-shui yen-t'an lu (JH.tJC ^ ^ ^)
des Simg-Autors Wang P'i[-chih] (3^ ^ ?) in Sung-Yüan jen shuo-pu
shu, Kap. 1, p- 2 V.
2 Diese Zahlenangabe zitiert Chang Yin-lin aus dem Ch'ang-pien. Sie
findet sich weder im Ch'ang-pien chi-shih pen-mo noch im Sung hui-yao kao
(s. infra.)
^ Man bezeichnet sie wohl besser als Arbeitssklaven. Wie aus einer Ein¬
gabe von Liang Chou-han (^ JfJ vergl. Sung hui-yao kao, Heft 156,
Shih-huo 64, p. 16 v) zu ersehen ist, wurden die Webstühle von Arbeiterinnen
(-^ J[2) bedient. Je drei bis vier Arbeiterinnen unterstanden einem Weber
g). Alle Arbeitskräfte waren in Gemeinschaften (^) zusammengefaßt, denen ein Ältester (^ gg) vorstand. Mit diesem wmden die Webmaterialien
und Verpflegungszuwendungen verrechnet und durch ihn verteilt. Da diese
Ältesten dabei sehr ihren Vorteil wahrnahmen, waren die Arbeiter gezwimgen,
Materialien zu unterschlagen und gegen Lebensmittel zu tauschen. Im Jahre
971 wurden auf Antrag von Liang Chou-han diese Ältesten abgeschafft imd
mit den Webarbeitern direkt verrechnet. Diese erhielten, wie daraus hervor¬
geht, für ihre Arbeit nm Gemeinschaftsunterkunft und Verpflegimg. Daß
sie ihren Arbeitsplatz nicht willkürlich verlassen konnten, ist aus einer Notiz
über die Stillegung der Weberei in Hu-chou (ebda. p. 17 r.) im Jahre 981 zu
ersehen. Dabei wurden 20 Webarbeiter in die Hauptstadt überführt, 58
Arbeiterinnen aber „freigelassen" in Pen-chi: jfl).
^ Sie befand sich südöstlich vom Kuo-men (^ f^) und wurde dem
Sekretär im Wasserverkehrsamt (yJC ^), Yü Chi-hui, unterstellt. (Vergl.
Hui-yao, loc. cit. p. 16 r.) In den Jahren 976 und 978 wurde sie von den
Sung-Kaisern persönlich besucht. Das Gefolge wird dabei gemahnt, die
Webstuben ^) und Webstühle (j^ i^) zu besichtigen. (Sung shih, pen-
chi.) Merkwürdigerweise findet sich weder im Hui-yao noch im Sung shih
eine Bemerkung über die im Vorwort der Shu-chin p'u erwähnte Manufaktur,
Chin yüan (f§ ^), die nach den dortigen Angaben im Jahre 1083 östlich der
Bezirksverwaltung von K'ai-feng mit 500 Arbeitskräften und 154 Web¬
stühlen von Lü Ta-fang (Biogr. im Sung shih, Kap. 340) begründet wurde.
Die Ling-chin yüan dagegen bestand während der ganzen ersten Sung-
Periode. Wir finden sie noch erwähnt im Tung-ching meng-hua lu (Ausg.
Ts'ung-shu chi-ch'eng, Nr. 3216, p. 30).
200 Webneb Eichhoen
mit großer Rücksichtnahme auf die Lage der Bevölkerung in den ökono¬
mischen und verwaltungsrechtlichen Bereich des Sung-Staates ein¬
bezogen.
Wir lesen in den Pin-chi, daß man im Jahre 966 den geschädigten Ge¬
bieten die Sommerabgaben erläßt und daß im Jahre 967 ein kaiserlicher
Befehl herauskommt, demzufolge die an der Eroberung von Shu be-
teUigten Heeresteile alles Plünderungsgut den Eigentümern wieder zu¬
stehen sollten^. Bereits im Jahre 965 waren die Militärs aus der Ver¬
waltung der eroberten Kreise und Bezirke ausgeschaltet worden.
Eine Reihe alter Steuern wie z. B. die Brautausstattungssteuer
^ ^) werden abgeschafft^. Häretische Sitten, wie die Auflösung der
FamUiengemeinschaft bei Lebzeiten der Eltern und Weigerung, die
Eltern im Krankheitsfälle zu pflegen*, werden unter Strafe gestellt und
die Gebiete von Shu dadurch auch kulturell dem übrigen Reiche gleich¬
geschaltet.
Im Jahre 970 findet eine Reorganisation der Beamtenschaft statt. Die
Zahl der Beamten wird im Angleich an die Bevölkerungszahl der Be¬
zirke und Kreise verringert. Die Gehälter der im Amte verbleibenden
werden entsprechend erhöht.
Es war selbstverständlich, daß im Zuge der Einverleibung auch die
Textilienwirtschaft des ehemahgen Shu-Staates der des Sung-Reiches
angeghedert wurde.
Über diese letztere erfahren wir kurz etwa das Folgende^ : Hinsichtlich
der Textil Wirtschaft übernahmen die Sung die Regulationen der vorher¬
gehenden Dynastien, Hou-T'ang und Hou-Chou^, d. h. sie erhoben wie
diese als Steuerabgabe leichte Seide (j^ Leinen (^) und Wattie¬
rungsstoffe ^g)* für den Heeresbedarf. Von der über diesen Bedarf
hinausgehenden Produktion wurde ein Teil eingezogen und zur Stabili¬
sierung der Marktpreise einbehalten ( Jlf jfil- JfO Tfj )•
^ Die Ausplimderung der Bevölkerung war eine ziemlich robuste. Man
vergl. dazu z. B. die Bemerkung in der Biographie des Shän Lun (j^ j^.
Sung shih, Kap. 264). Die Militärs ,, wetteiferten darin, die Bevölkerung aller
Wertsachen sowie ihrer Söhne imd Töchter zu berauben. Nur Shen Lun
nahm Quartier in einem Buddhistenkloster, lebte enthaltsam und wies alle
Besucher mit wertvollen Geschenken ab."
" Eingeführt wurde das Sung- Steuersystem, was natürlich Härten mit
sich brachte.
^ Dies könnte auf das Vorhandensein von taoistischen und manichäischen Gemeinden hindeuten.
* Sung shih, Kap. 175, Shih-huo. Vergl. auch Edkins: Banking and Prices
in China (1905), p. 163ff. ^ Siehe Anm. supra.
' Die von der Sung-Regierung als Naturalabgaben erhobenen Textilien
tmd Textilmaterialien werden im einzelnen aufgezählt im Sung shih, Kap. 174,
Shih-huo, Abschn. Natmalabgaben und Steuem (^^).
Zur Vorgeschichte des Aufstandes von Wang Hsiao-po und Li Shun 201
Wert- oder Luxustextilien'^ wurden hergestellt in der erwähnten Ling-
chin-Manufaktur, sowie in Lo-yang und an mehreren Plätzen in Szuchuan-
Die Hauptwebereien für die Herstellung gewöhnlicher grober Seiden¬
stoffe waren im Nordosten des Reiches in Shantung^.
Von einschneidenden Maßnahmen auf dem Gebiete der Textilwirt-
schaft hören wir zum erstenmal im Jahre 970. Damals kam ein Befehl
heraus, daß man in allen Bezirken des Reiches die Vorräte an Rohseide
tmd Garnen, gewöhnlichen Seidenstoffen, Grasleinen usw. abschätzen
und den Bedarf (der Regierung) für zwei Jahre erheben solle*. Anderseits
aber sohten keine weiteren Textilien dem Markte entzogen werden, um
die Bevölkerung nicht zu irritieren. Vordem hatte der Bezirksmagistrat
von P'eng-chou (in Szuchuan) vorgeschlagen, die benötigten Textihen
dadurch aufzubringen, daß man dem Volke die gewebten Textüien gegen
die Steuerabgabe an Rohseide verrechnen und nur den Arbeitslohn be¬
zahlen solle. Dies wurde jedoch vom Kaiser nicht genehmigt.
Eine weitere Maßnahme kam im Jahre 982 durch ein kaiserliches
Mandat. Nach einer einleitenden Aufforderung zur Einfachheit imd
Sparsamkeit heißt es dort: ,,Ab heute sollen alle Marktankaufstehen
(ifJ it ^) (Regierungs)-textilstehen (i^^ |^) außer den Ab¬
gaben für Heeresbedarf, wie leichte Seide, Hanf-, Grasleinen usw., keine
Luxustextilien, wie Seidenbrokat usw., mehr ankaufen. Die im Volke
hergestellten Textilien (dieser Art) dürfen auch weiterhin zum Verkauf
gebracht werden." Und dann folgt eine Sonderbestimmung für den
Textilhandel in Szuchuan: ,,In allen Bezirken von Szuchuan ist es den
Privathändlern verboten, solche Textilien, die dem Heeresbedarf dienlich
sind, privatim anzukaufen und zu verkaufen."*
1 Diese smd ^ ^ 7^ ^ E etc. Die nähere Bestimmung
möchte ich besseren Sachkennern überlassen.
2 Später nach dem Verlust dieser Gebiete nahm die niedergehaltene
Prodiiktion der Seidenbrokate von der Regierung gefördert einen neuen, ge¬
waltigen Aufschwung. Die Stoffe wurden hauptsächlich dazu benötigt, um
von den Nordstaaten Pferde und zeitweilige Einstellung der Aggressionen
einzuhandeln. Vergl. die Ausführungen in der Einleitimg des Shu-chin p'u
u. a. o.
* Dieser einmalige große Bedarf entstand vielleicht infolge der Vor¬
bereitungen des Feldzuges gegen den Staat Nan-Han (^ Q|), dessen
Selbständigkeit im Jahre 971 von Sung beendet wurde.
* Sung hui-yao kao, Heft 156, Shih-huo 64, p. 17 r. und v. In dieser, der älteren Version ist die Lesart jl] 1^ = ,, Szuchuan und Shensi". Ein ver¬
kürzter Auszug des Edikts wurde jedoch in die Pen-chi (Sung-shih, Kap. 4)
aufgenommen und zeigt die Lesart Jlj |i^ = „Ströme und Schnellen", d. h.
Szuchuan. Da ich in den Texten keine Erwähnung von Webereien in Shensi
finden kann, nehme ich an, daß im Hui-yao ein Kopierfehler vorliegt. Die
202 Wbbnbe Eichhobn
Allem Anschein nach erzielte dieses Textilhandelsverbot in Szuchuan
nicht die erhoffte Wirkung und wurde deshalb im Jahre 990 verschärft
wiederholt: „In allen Bezirken von Szuchuan erreichen die jährlichen
Ankäufe der Beamten an Rohseide und gewöhnlichen Seidenstoffen nicht
mehr die alte Quote, weil die Privathändler ihren Profit dabei finden,
diese Textilien aufzukaufen, um sie zu erhöhtem Preis wieder auf den
Markt zu bringen. Das ist ab heute streng verboten. Es wird ein Termin
gesetzt, bis zu dem diese Privathändler die vordem aufgekauften Stoffe
den Beamten gegen Vergütung des üblichen Marktpreises abzuliefern
haben. Solche, die Textilien zurückhalten, sohen bestraft werden."i
Diese Maßnahme ist es nun jedenfalls, die in ihren Auswirkungen die
Revolte des Wang Hsiao-po und Li Shun ausgelöst hat.
Im Ch'ang-pien chi-shih pen-mo wird dies folgendermaßen dargestellt:
„Innerhalb einiger Jahre wurden die vom Hause Meng angesammelten
Güter in die Palastspeicher (der Sung-Dynastie) übergeführt. Die mit
diesen Geschäften betrauten (Beamten) wetteiferten, dabei auf ihre
Kosten zu kommen und den Kaiser zu begaunern. In Ch'eng-tu wurde
außer den gewöhnlichen Steuerstellen noch eine allgemeine Aufkauf¬
stelle (jfl^ fl ^)^ eingerichtet. In allen Bezirken wurden die im Volke
angefertigten Textilien als Abgabe erhoben. Den Kauf leuten wurde ver¬
Version in den Pen-chi lautet: ,,In allen Bezirken von Szuchuan (jl| jl^)
wird in den staatlichen Webereien die Herstellung von Luxustextilien
(Seidenbrokat etc.) abgeschafft. Im Volke dagegen ist das nicht verboten."
Das gibt nur den ersten Teil der kaiserlichen Verordnmag wieder, der offen¬
sichtlich darauf abzielte, die offizielle Manufaktur solcher Luxustextilien, die ja ein beliebtes Zahlungsmittel darstellten, auf die kaiserliche Manufaktur
Ling-chin yüan zu beschränken und alle anderen auszuschalten, um die ge¬
fährliche Ansammlung von Reichtümern in einem schwer kontrollierbaren
Winkel des Reiches zu vermeiden.
' Sung hui-yao kao, Heft 156, Shih-huo 64, p. 17 v. Die Eintragung hat
folgenden Zusatz : „Vordem waren die von allen Bezirken gelieferten Textil-
stücke immer einige Spannen länger als das vorgeschriebene Maß. Der
Palastspeicherbeamte Chang Chao-ch'img (Biogr. Sung shih, Kap. 279)
vmd schnitten, als sie die Speicher verwalteten, das ab, was zuviel war,
ließen es färben und gaben es zu anderweitiger Verwendung aus. So erzielten sie einen jährlichen Überschuß. Aber die Offiziere und Soldaten beschwerten
sich, daß sie in ungenügender Weise mit Winterkleidimg versorgt würden.
Chang Chao-ch'ung und Genossen wmden angeklagt, aber freigesprochen."
Es ist nicht ersichtlich, was diese Speicheraffäre mit der vorhergehenden Ver¬
ordnimg zu tun hat, und der Verdacht hegt nahe, daß die Ordnung der Teile
beim Kopieren des Hui-yao aus dem Yung-lo ta-tien gestört wurde.
2 Ich konnte bisher keine näheren Angaben über ihre Funktion finden. Es
war wohl eine Stelle, die die Regierung benutzte, um nach festgesetzten
Preisen ihren Bedarf zu decken. (Der behördliche Zwangseinkauf hieß zur
Sung-Zeit sonst vgl. Denkai S. 731. — D. Red.)
Zur Vorgeschichte des Aufstandes von Wang Hsiao-po und Li Shun 203
boten Privatgeschäfte in Textihen abzuschheßen^. Die als „tägliche
Lieferung"^ eingesandten Güter stiegen auf das Doppelte ihrer ge¬
wohnten Zahl. Von den amtlich errechneten Profiten zog sich jeder einen
kleinen Prozentsatz ab."
Praktisch bedeuteten diese Maßnahmen das Ende des Textilhandels
in Szuchuan. Zwar wurde nach den Bestimmungen die Möglichkeit ge¬
lassen, Luxustextilien, d. h. Seidenbrokat usw., in privaten Betrieben
herzusteUen, da aber die benötigten Materialien der Regierungskontrolle
unterlagen, kann die Produktion nur unerheblich gewesen sein. Da nun,
wie wir oben gesehen haben, der Textilhandel die Grundlage des Wohl¬
standes im Staate Shu gewesen war, müssen diese Maßnahmen eine
äußerst fühlbare Senkung des allgemeinen Lebensstandards nach sich
gezogen haben. Mit anderen Worten, die vordem reichen Leute in Shu
verarmten.
Die Ausführungen im Ch'ang-pien chi-shih pin-tno fahren folgender¬
maßen fort : ,,Nun war aber in Shu der anbaufähige Boden im Verhältnis
zur Bevölkerungsdichte zu gering und die Agrarerträgnisse reichten nicht
zur Ernährung aus. So gerieten die kleinen Leute in bitterste Not. Dazu
kamen die Spekulanten und Aufkäufer, die (die Lebensmittel) biUig ein¬
kauften, teuer verkauften und den Profit an sich rissen. Wang Hsiao-po,
ein einfacher Mann aus Ch'ing-ch'eng, sammelte Anhänger und machte
einen Aufstand."
Ein weiterer Grund der Verarmung in Szuchuan waren die Mani¬
pulationen, die mit dem Münzwesen vorgenommen \vurden.
Wir erfahren darüber in großen Zügen etwa folgendes:* Im Staate
Shu waren Kupfermünzen als Zahlungsmittel im Umlauf. Im Jahre 938
unter der Regierung von Meng Ch'ang wurden dazu erstmalig eiserne
Münzen in Kurs gesetzt. Für 1000 Eisenmünzen erhielt man 400 Kupfer¬
münzen. Das Eisengeld war so gut gearbeitet, daß es fast mit dem
Kupfergeld verwechselt wurde.
Nach der Einverleibung durch Sung wurde das Kupfergeld von Shu
auf Veranlassung von Shen Lun in die Reichshauptstadt abgeführt.*
Chang Yin-lin zitiert die bekannte Stelle aus dem Sheng-shui yen-t'an
lu (s. supra). Danach wurde jeglicher Handel überhaupt verboten und das
Geschäftsleben in Szuchuan völlig still gelegt. Das steht im Widerspruch zu
späteren Nachrichten imd Chang Yin-lin weist darauf hin, daß der Text
verstümmelt ist. Es wird dies bestätigt durch die von ihm nicht eingesehenen
Eintragungen des Hui-yao. ' Vergl. Anm. supra.
ä Die Angaben entnehme ich der kleinen Monographie im Ch'ang-pien
chi-shih pen-mo (Kap. 11), den Biographien der dort genannten Persönlich¬
keiten im Sung shih, lieh-chuan, sowie der Darstellung des Geldwesens im
Sung shih, Kap. 180, Shih-huo.
* Es geschah in der Weise, daß die Steuer in Kupfergeld zu entrichten war.
204 Webnek Eichhorn
Man ersetzte es durch erhöhten Umlauf von Eisengeld. Zugleich wurden
auch die Edelmetalle wie Gold und Silber dem Lande entzogen. Die
Folge war ein ungeheures Ansteigen der Preise.
Die Regierung erließ dazu ein Verbot der Kupferausfuhr nach Szu-
chuan^. Dies bewirkte, daß der Kurs des Eisengeldes auf 10 zu 1 fiel.
Im Jahre 979 wurde dies als amtlicher Umwechselkurs festgelegt. Das
Kupfergeld war damals bereits selten geworden, was der Bevölkerung
Härten verursachte. Das von Privathändlern eingeschmuggelte Kupfer¬
geld hatte einen Kurs von 14 Eisenmünzen für 1 Kupfermünze.
Das Kupfer lür die Münzen in Szuchuan wurde von den Eingeborenen¬
stämmen in den westlichen Randgebirgen gewonnen und im Tausch¬
handel an die Chinesen geliefert. Deshalb machte im Jahre 980 der
Steuerkommissar Chang 0^ den Vorschlag, den bisher an die Einge¬
borenenhändler gezahlten Preis von 200 Eisenmünzen für 1 Pfund (j^)
Kupfer auf 1000 Münzen zu erhöhen. Wenn dann das in Szuchuan um¬
laufende Kupfer sich wieder vermehrt habe, solle man die Steuer auf
Kupfergeld umlegen und so die Münzen in die Sung-Hauptstadt ab¬
führen. Es wurde darauf eine Erhöhung des Kupferpreises auf 500 Eisen¬
münzen bewilligt, was aber die Knappheit dieses MetaUes in keiner Weise
beseitigte.
Dazu gab man zwei anderen Beamten Gehör, die berichteten, daß es
die Bevölkerung vorziehe, die Steuern in Kupfermünzen zu entrichten,
und deshalb einen gestaffelten Satz vorschlugen, demzufolge jedes Jahr
ein Zehntel mehr in Form von Kupfergeld zu entrichten sei. Sie benutzten
aber ihr als Gehalt empfangenes Kupfergeld, um damit sehr vorteilhaft
auf dem Landesmarkt zu spekulieren. Die Steuer erreichte einen Stand,
daß drei Zehntel in Kupfer zu bezahlen waren.
Im Volke erzeugte ah das größte Verärgerung. Man zerschlug Buddha-
bUder und Gebrauchsgegenstände, oder plünderte alte Grabstätten, um
einige Kupferstücke zu erhalten. Die Kriminalität nahm in beunruhigen¬
der Weise zu.
Da reichte der Gouverneur von I-chou, Hsin Chung-fu*, einen Bericht
über die Zustände ein und erreichte, daß die jährlichen Abgaben an
Kupfer und ebenso die Spirituosensteuer abgeschafft wurden*. Außerdem
handhabte man die Verwaltung freizügiger und paßte sie den lokalen
Verhältnissen an. Es wurde ein neuer amtlicher Kurs festgesetzt, für
' Es war ebenfalls die Politik der Simg-Regierung, die wertvolleren Geld¬
sorten in den Zentralgebieten um die Hauptstadt zu konzentrieren.
5§ B^-, Sung shih, Kap. 301.
^ ^ # "ffir. Sung shih, Kap. 266.
* Ich übergehe die dramatischen Umstände, imter denen dies zuwege kam.
Sie werden im Ch'ang-pien chi-shih pen-mo ausführlich geschildert.
Zur Vorgeschichte des Aufstandes von Wang Hsiao-po und Li Shun 205
400 Eisenmünzen erhielt man 100 Kupfermünzen. Die Bevölkerung von
Shu beruhigte sich daraufhin.
Jedoch die von den Beamten geförderte Überbewertung des Kupfer¬
geldes führte bald wieder zu Preissteigerungen. Im Jahre 991 gab Chao
An-i^, der Bruder des Ministers Chao P'u, einen Bericht, daß er auf einer
Inspektionsreise in Szuchuan ein sprunghaftes (g|) Ansteigen der Preise
beobachtet habe. Er schlug vor, wie früher zu Zeit des Liu Pei große
Geldstücke zu gießen, so daß zehn Münzen den Wert von hundert
repräsentierten. Das würde ein Fallen der Preise bewirken. Gegen diesen
Plan wurden Einwände laut, die besagten, daß daim die arme Bevölkerung
für ihre Waren eben nur 10 Geldstücke anstatt 100 und die Beamten an¬
statt 1000 Geldstücke als Gehalt nur 100 erhalten würden. Chao An-i
aber ließ privatim einige Mimzen hersteUen und demonstrierte dem
Kaiser ihre Härte und Qualität. Daraufhin wurde Chao An-i im Jahre
992 nach Szuchuan entsandt, um sämtliche kleinen Münzen in die neu
gegossenen großen umzutauschen. Beide Arten zirkulierten jedoch zu¬
nächst gleichzeitig, da die Herstehung der großen Münzen nicht schneh
genug ging. In der Bevölkerung erhob sich ein allgemeines Murren gegen
den Umtausch.
Schließlich wurde ein Kommissar entsandt, der feststeUte, daß sowohl
die Beamten als auch die Leute sich gegen den Umtausch aussprachen.
Darauf stellte man den Guß der Münzen ein und nahm von der geplanten
Reform Abstand^.
Die Entziehung oder zumindest starke Verknappung der beiden wert¬
beständigen Wirtschaftsfaktoren, der Seidenbrokate und des Kupfer¬
geldes, erzeugte in der Bevölkerung von Szuchuan ein Gefühl der Un¬
sicherheit, das uns nur zu gut als ,, Inflations Stimmung" bekannt ist.
Wir erfahren davon aus einer Eingabe des Gouverneurs Wu Yüan-tsai*:
, ,Die Sitten in Shu sind lax und extravagant. Man hebt das Bummeln
^). Die Bevölkerung macht aus Profiten keine Rücklagen, sondern
legt alles in Wein und gutem Essen an. Man vergnügt sich mit Sing¬
mädchen und Kabarettdarbietungen."
Wu Yüan-tsai versuchte mit großer Schärfe auf dem Verordnungs¬
wege gegen diese Vergnügungssucht einzuschreiten. Es hagelte Strafen
und in der Bevölkerung wuchsen Haß und Verärgerung*.
1 Sung shih, Kap. 256.
2 Daß die Manipulationen mit der einheimischen Münze eine der Ursachen des Aufstandes waren, zeigt sich darin, daß die Rebellen als erstes einem der
mißliebigen Kreisvorstände den Leib aufschnitten und mit Münzen füllten.
3 ^ ÄC' die Stelle findet sich in seiner Biographie im Sung shih, Kap.
257.
* Man vergleiche dazu auch die von Chang Yin-lin in seuiem Artikel auf
S. 316 zitierten Stellen aus dem Ch'ang-pien.
206 Webneb Eichhobn
Auf der anderen Seite kam dazu die zur Schau gestehte Verschwen¬
dungssucht der neuen mit den Pfründen in Szuchuan belehnten Sung-
Aristokratie wie z. B. des Prinzen Yüan-chieh^, der dem Volke die Mittel
zur Anlage eines Parkes mit künstlichen Gebirgslandschaften^ ab¬
preßte* und dadurch natürlich ganz wesentlich zur Erhöhung der Mi߬
stimmung beitrug.
Aus all diesen aufgeführten Tatsachen ergibt sich nun, daß die Vor¬
bedingungen und die Stimmung für den Aufstand des Wang Hsiao-po
und Li Shun dadurch zustande kamen, daß Szuchuan aus einem
selbständigen Staat in eine Randprovinz des Sung-Reiches umgewandelt
wurde. Diese Umstellung brachte neben einem neuen volksfremden Be¬
amtentum und arroganten Sung-Aristokraten eine gewaltige Senkung
des Lebensstandardes und allgemeine wirtschaftliche Unsicherheit mit
sich.
Solches sind die wahren Ursachen des Aufstandes, der, vne sich bald
zeigte, hauptsächlich nichts anderes war als eine nationale Erhebung mit
dem Ziele, die Selbständigkeit des Staates Shu wieder herzustellen.
Es bedeutet deshalb eine Verkennung der Tatsachen, wenn Chang
Yin-lin hier eine Episode des ,, Klassenkampfes" vor sich zu haben
glaubt. Er unterliegt da einer in China weitverbreiteten Zeitmode, alles
und jedes Ereignis in die Formeln marxistischer Geschichtsauffassung zu zwängen.
Trotzdem erhält seine Auffassung eine auf den ersten Blick uner¬
schütterliche Stütze in dem Schlagwort, mit dem Wang Hsiao-po die
Erhebung einleitete: ,,Ich hasse es, daß Arm und Reich nicht gleich
sind. Ich werde sie jetzt für euch gleich machen."
Wir müssen uns aber bei diesem Ausspruch vor Augen halten, daß die
Armen, für die sich Wang Hsiao-po hier einsetzt, die ehemals wohl¬
habenden Familien des Shu-Staates sind, die von dem durch die Sung-
Regierung eingesetzten Beamtentum auf den zu allen Zeiten in allen
Teüen der Menschheit üblichen*, durch Macht legalisierten Wegen der
^ ^ TC Sung shih, Kap. 245.
^ Die Anlage solcher künstlicher Gebirge wird, so scheint es, ganz allgemein
als unheilbringend betrachtet. Als Beispiel möchte ich eine Stelle aus dem
Chin shu, Kap. 28, Wu-hsing chih, anführen: ,,Der Prinz von Kuei-chi
Ssu-ma Tao-tzu (Giles: Biogr. Diet. Nr. 1763), errichtete im Timg-fu
(^ j^, s. Tz'u-yüan) ein (künstliches) Gebirge aus Erde imd nannte es
Ling-hsiu (g ^) Berg. Kurz darauf empörte sich Sun !ßn und setzte seinen
Fuß zweimal auf Kuei-chi, mit dem Tao-tzu belehnt worden war. Ling-
hsiu war der angenommene Kenname (^) des Sun fin."
^ Vergl. die Biogr. des Yao T'an (^fe jB) im Sung shih, Kap. 277. Auch die von Chang Yin-lin aus dem Ch'amg-pien zitierte Stelle.
* Auch sogenannte „sozialistische" Staaten machen dabei keine Ausnahme.
Zur Vorgeschichte des Aufstandes von Wang Hsiao-po und Li Shim 207
Sieger ausgeplündert wurden. Es mag allerdings richtig sein, daß sich
darunter Elemente eines wirklichen Proletariats, nämlich enteignete und
arbeitslose Weber und ehemalige Inhaber kleiner Webereien, befanden.
Diese Wenigen aber genügen keinesfalls, um das Ganze zu einer prole¬
tarischen Bewegung und Episode im Klassenkampf zu stempeln^.
1 Es gibt allerdings in diesem Zusammenhang nun doch ein Ereignis, das
in die Geschichte der ,, proletarischen Bewegmig" Chinas aufgenommen
werden müßte. Jedoch handelt es sich dabei um ein Seitenprodukt der
RebeUion nicht mn ein Ereignis in ihrem engeren Rahmen. Der Aufstand
wurde nämlich von den leibeigenen Landarbeitern (Tien-k'o, -fg und
P*ang-hu, ^]ß) dazu benutzt, einen Versuch zm Verbesserung ihrer Lage
zu tmternehmen. Das geht hervor aus einer Bemerkung in der Biographie
des Liu Shih-tao ^ jM;, Sung shih, Kap. 304), die eines der Kernstücke
des Artikels von Ikeda bildet. Dort wird etwa folgendes berichtet: Damals
hatten die Grundbesitzer in Szuchuan für die Bestellimg ihrer Ländereien eine große Anzahl leibeigener Arbeiter (P'ang-hu) zur Verfügung. Sie pflegten
nämlich die kleinen Leute (/J\ vielleicht Kleinbauern, Pächter etc.) tmd
alle, die in irgend einer Form von ihnen abhängig waren (man denke dabei
vor allem an zinspflichtige Schuldner), zur Arbeit auf ihren Feldern zu
zwingen und wie Sklaven zu behandeln. Ein Grimdbesitzer hatte oft „mehrere
zehn" solcher P'ang-hu oder Tien-k'o. „Was nun die Grundsteuer, die
Naturalabgaben und die Ableistung öffentlicher Dienste betrifft, so wurden
diese sämtlich von den Tien-k'o übemommen Als sich nun die
Nachrichten von der Rebellion des Li Shun verbreiteten, rotteten sich die
Landarbeiter zusammen und richteten (an die Regierung) die Bitte, ihre
Freilassung zu erwirken und drei Älteste zu bestimmen, die sich abwechselnd ihrer Angelegenheiten annehmen sollten. Die Jahreserträge der Felder wollten sie den Beamten einliefern. Liu Shih-tao von der Regierung beauftragt, sich
mit den Leuten über die Sache zu beraten, beschränltte sich darauf, die
Ablösung der-'iltesten zu kontrollieren. Diese aber, um sich bei den Arbeitem beliebt zu machen, wetteiferten in Duldsamkeit, was zu allerlei Störungen
führte. Er versuchte nun die Ältesten durch Einführung nominaler Ränge (?)
in Ordnung zu halten (?). Die Schwierigkeiten wurden dadmch aber nur noch
größer und schließlich gab man die Sache ganz auf.
Aus der Darstellung ergibt sich, daß es sich hier nur um eine Auswirkung
der RebeUion handelt. Höchstwahrscheinlich war dieHaltungder alten Grund¬
herren mehr oder weniger offen „anti-Sung", und die leibeigenen Arbeiter
versuchten daraus Kapital zu schlagen. Die Reaktion der Sung-Regierung
gegenüber dieser ,, Sklavenbefreiung" war, wie leicht zu verstehen, eine recht
schwache und zögernde. Man vermied es, einen für das ganze Reich unange¬
nehmen Präzedenzfall zu schaffen.
Wie dem aber auch immer sei, zweifellos stoßen wir hier auf eine schüch¬
terne Daseinsäußerung allerunterster Gesellschaftsschichten, deren Stärke
allerdings dimkel bleibt und wohl kaum sehr groß war. Es wäre jedoch ver¬
kehrt, mm anzunehmen, daß Wang Hsiao-po ümen entstamme. Li Shun, der
ganz offenbar zu den gehobeneren sozialen Kreisen gehörte, hätte sich sonst
schwerlich mit ihm verschwägert. Wahrscheinlich war Wang Hsiao-po ein
Grundeigentümer kleinen Stiles tmd seine vielzitierte Äußerung zielt vielleicht
auf eine Neuverteiltmg des Ackerbodens usw., keinesweges aber auf Ab¬
schaffung der Leibeigenschaft ab.
208 Weristeb Eichhobn
Die Feinde des Wang Hsiao-po sind die Sung-Beamten und die neuen
Sung-Aristokraten, seine Anhänger sind die ehemahgen Bürger des
unabhängigen Shu-Staates. Diese Tatsachen sind durch kein noch so
modern anmutendes, revolutionäres Schlagwort aus der Welt zu schaffen.
Der Aufstand selbst zerfällt in zwei Teile. Im ersten Teil folgen die
Rebellen der Führung des Wang Hsiao-po^, im zweiten Teile der seines
Schwagers Li Shun.
Wang Hsiao-po bezeichnet sich selber als einen Dörfler aus dem ,,Erd-
Kochtopf", unfähig einen Staat zu errichten^. Es ist deshalb anzu¬
nehmen, daß unter ihm die Erhebung kein anderes Ziel verfolgte als das,
an der verhaßten Sung-Beamtenschaft Rache zu nehmen.
Als nach seinem Tode Li Shun zum Anführer gewählt wurde*, trat der
I nationale Charakter des Aufstandes klar zu Tage. Er nannte sich König
\ von Groß-Shu (-^ ^ 3^)* und zeigte damit deutlich, daß er die alte
Tradition des ehemaligen selbständigen Staates wieder aufnahm. Um
alle nationalen Elemente des ehemaligen Shu-Staates in die Bewegung
hineinzuziehen, wird eine Legende in Umlauf gesetzt, nach der Li Shun
' Es ist fraglich, ob Hsiao-po einfach ein Name ist. ,,Po" bezeichnet im
Dialekt von Szuchuan einen Ältesten. Vergl. Hsüan-mei yu-pi ^ ^ ä^)
des Ming-Autors Hsü Ch'ung {^^), p. 5 v. (Shuo fu hsü, Abtlg. 19). Vgl.
auch Notiz am Ende des Artikels von Chang Yin-lin.
" Vergl. Lao-hsüeh-an pi-chi, zit. bei Chang Yin-lin, Op. cit. p. 318.
T'u-kuo ( H^) ist der genauer bezeichnete Geburtsort des Wang Hsiao-po.
* Nach den Ausführungen von Chang Yin-lin (Op. cit., p. 318/9) besteht
sogar die Wahrscheinlichkeit, daß Li Shun bereits bei Lebzeiten des Wang
Hsiao-po der eigentliche Führer und dieser nur eine Art Strohmann war.
* Schon vor Li Shxm im Jahre 965 bezeichnet sich Chu Kuang-hsü
^ ;^), der Anführer einer Schar ohne Löhnung entlassener imd des¬
halb rebellierender Soldaten, als ,, König des wiedererstandenen Shu"
<Ä^:^3i). Ebenso versucht im Jahre 1000 der General Wang Chün
(3£i^) an der Spitze aufständischer Soldaten einen neuen Shu-Staat zu
gründen.
Bezeichnend für die Neigung zm Unabhängigkeit in Szuchuan ist auch
die Vorbemerkung zu der von Chang Yin-lin aus dem Sheng-shui yen-t'an lu
zitierten Stelle. Der Verfasser dieses Werkes, Wang P'i(-chih ?) bestand im
Jahre 1067 das Chin-shih Examen. In seiner Notiz bemüht er sich, die fried¬
liche Gesirmung der Bevölkerung von Szuchuan, die alle gegenteiligen Be¬
hauptungen Lügen strafe, zu betonen und weist darauf hin, daß Männer wie
Kung-sun Shu (Giles: Biogr. Diet. Nr. 1033), Liu P'i (Biogr. Diet. Com. Pr.,
p. 1493), Wang Chien (Giles: Nr. 2154) und Meng Chih-hsiang (Giles:
Nr. 1517), aUes Vorkämpfer eines selbständigen Staates in Szuchuan, keine
geborenen Szuchuan-Leute gewesen seien.
Die Unabhängigkeitstendenzen in Szuchuan kommen auch in späteren
Zeiten wieder zum Vorschein. Man vergl. dazu unt. and. die Ausführimgen
im P'ing-Hsia lu (^ Shuo fu hsü, Abtlg. 11) und im P'ing-Shu chi
•(^ ^ pfi)- Sie haben sich in modifizierter Weise wohl bis heute erhalten.
Zur Vorgeschichte des Aufstandes von Wang Hsiao-po und Li Shun 209
als Kind in einem kostbaren Kästchen aus dem Palast des Herrschers
von Shu, damals Meng Ch'ang, ausgesetzt wurde. Nach Übernahme der
Führung ändert Li Shun deshalb seinen Namen in Meng^.
All diese Tatsachen zeigen deuthch, daß diese RebeUion von der Liste
der revolutionären Erhebungen in China gestrichen werden muß. Sie
gehört in die Reihe lokaler Erhebungen, durch die die mit dem Geiste
der Selbständigkeit erfüllten Bevölkerungselemente eines Landes gegen
das Aufgehen im chinesischen Gesamtreiche protestieren. Sie ist ein
Markstein nicht in der Geschichte der revolutionären Bewegung^ in
China, sondern in der Geschichte der Selbständigkeit von Szuchuan, und
nur im Rahmen einer solchen erhält sie historische Wichtigkeit und ver¬
dient dargestellt* zu werden.
1 Vgl. Lao-Imieh-an pi-chi, loc. cit.
2 Daß eine solche existiert und immer existiert hat, läßt sich aus anderen Erhebungen, z. B. der des Chang Chio, Sun fin. Fang La usw. beweisen.
3 Eine aus den Quellen, Berichten und Darstellungen kombinierte aus¬
führliche Beschreibung des Aufstandes, wie ich sie bezüglich der Rebellion des Sim fin in den „Mitteilungen des Instituts für Orientforschung" erstrebte,
würde ein gutes Beispiel chinesischer Geachichtsdarstellung abgeben und
sich schon deshalb lohnen.
14 ZDMG 105/1
Bücherbesprechungen
j Hermann Kees: Das Priestertum im ägyptischen Staat vom Neuen Reich bis
zur Spätzeit {Probleme der Ägyptologie, herausgegeben von Hermann Kees, erster Band), E. J. Brill, Leiden-Köln 1953, 8», XI — 324 S. Preis brosch.
DM 38,50.
Seit Herodot ist dem historischen Betrachter des alten Ägypten immer
wieder das ägyptische Priestertum als ein besonders charakteristischer und
entscheidender Faktor im geschichtlichen Leben dieses alten Kulturvolkes
erschienen. Die Priesterschaft hat im Laufe der Jahrhunderte innerhalb des
ägyptischen Staatslebens immer größere Bedeutimg erlangt und hob sich am
Ende der altägyptischen Geschichte von dem übrigen Volke als eine ge¬
schlossene Größe ab, auf die die Ptolemäer und nach ihnen die Römer in
ihrer ägyptischen Innenpolitik weitgehende Rücksicht nehmen mußten.
Walter Otto hat darum dem ägyptischen Priestertum im hellenistischen
Ägypten eine großangelegte Monographie gewidmet (Priester und Tempel im
hellenistischen Ägypten, I [1905]; II [1908]), die, wenn auch in manchem ver¬
altet und ergänzungsbedürftig, nooh heute ein unentbehrliches Standardwerk für jeden ist, der sich wissenschaftlich mit dieser Epoche der ägyptischen Geschichte beschäftigt. Ein entsprechendes Werk für die ältere Zeit Ägjrptens fehlt bislang. Das ist umso schmerzlicher, als es ja — so sehr wir auoh infolge der in hellenistischer Zeit mannigfaltiger und reichlicher fließenden Quellen
immer an manchen Punkten genötigt sein werden, aus hellenistischen Zu¬
ständen auf ältere Verhältnisse zurüokzuschließen, für die uns die Unter¬
lagen fehlen — doch eine wesentliche Voraussetzung für das richtige histori¬
sche Verständnis des ägyptischen Priestertums in griechisch-römischer Zeit
ist. Der Rezensent hofft, daß ein derartiges Werk entgegen den im Vorwort
des anzuzeigenden Buches geäußerten Bedenken doch einmal geschrieben
werden kann. Die von Hermann Kees vorgelegten Untersuchungen über
das Priestertum im ägyptischen Staat erscheinen als ein wesentlicher Schritt
zur Verwirklichung dieser Hoffnung, und wir haben ihm für diese mit —■ das
sei vorweg bemerkt — der Sachkenntnis, Akribie und Umsicht, die die Fach¬
welt von ihm gewohnt ist, geleistete Pionierarbeit zu danken.
Der Verfasser beschränkt, wie der Titel des Buches sagt, seine Unter¬
suchungen auf den Zeitraum vom Neuen Reich bis zm Spätzeit. Die Berech¬
tigung hierfür liegt darin, daß erst vom Neuen Reich an das Priestertum als
ein den anderen Gewalten im Staat gegenübertretender Machtfaktor histo¬
risch greifbar wird. Wir wissen, daß am Ende des Neuen Reiches der ägyp¬
tische Staat nicht zuletzt an der mehr und mehr um sich greifenden wirtschaft¬
lichen Unabhängigkeit und Macht der Tempel und Priester, vor allem der des
Gottes Amun, zerbrochen ist. Die neuerdings von Schaedel auf ihre wirt¬
schaftliche Bedeutung hin untersuchten Listen des großen Papyrus Harris
lassen die Priesterschaft des Amun mit ihrem unermeßlichen Reichtum an
Land und Hörigen in der 20. Dynastie als einen Staat im Staate erscheinen
(Herbert D. Schaedel, Die Listen des großen Papyrus Harris, Glückstadt
4