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Die Reaktion der Bundesregierung auf die Nuklearisierung der westli- chen Verteidigung (1952—1958)

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Peter Fischer

Die Reaktion der Bundesregierung auf die Nuklearisierung der westli- chen Verteidigung (1952—1958)

I. Einleitung

Die vorliegende Untersuchung stellt sich die Aufgabe, die Reaktion der Bundesregierung auf die sogenannte Nuklearisierungsproblematik auf der Basis historischen Quellenmate- rials nachzuzeichnen. Während in der älteren Forschungsliteratur, aber auch in der seiner- zeitigen öffentlichen Meinung, mehr oder weniger einhellig davon ausgegangen wurde, daß von Seiten der politischen als auch militärischen Führungsschicht der Bundesrepu- blik die mit der Einführung von Atomwaffen sich bereits im Herbst 1953 abzeichnende radikale Umgestaltung der westlichen Verteidigungsstrategie weitgehend unterschätzt und in den Überlegungen zur Gestaltung des mit der Aufhebung des Besatzungsstatuts Mitte 1955 wieder möglich gewordenen deutschen Verteidigungsbeitrags fast gar keine Berück- sichtigung fand1, erscheint diese These vor dem Hintergrund des in den letzten Jahren verfügbar gewordenen Archivmaterials heute kaum noch haltbar2.

Immer deutlicher kristallisieren sich in der neueren Forschung statt dessen sowohl die Vielschichtigkeit und Komplexität der das gesamte westliche Verteidigungsbündnis betref- fenden Nuklearisierungsproblematik als auch die schon früh einsetzenden Bestrebungen der Bundesregierung heraus, auf diese revolutionäre Herausforderung eine den besonde- ren rechtlichen, politischen und nicht zuletzt auch moralischen Beschränkungen des deut- schen Verteidigungsbeitrags Rechnung tragende Antwort zu formulieren3. Daß diese Antwort nicht immer angemessen, ja oftmals sogar auch widersprüchlich ausfiel, lag dabei

1 Vgl. Wilhelm G. Grewe, Über den Einfluß der Kernwaffen auf die Politik, in: Europa-Archiv (EA) 22/1967, S. 77—94; Henry Kissinger, Kernwaffen und Auswärtige Politik, München/Wien 1974;

Hans Gert Pöttering, Adenauers Sicherheitspolitik 1955—1963. Ein Beitrag zum deutsch-ameri- kanischen Verhältnis, Düsseldorf 1975.

2 Die vorliegende Studie bezieht sich an erster Stelle auf amerikanische und deutsche Aktenbestän- de, die im Rahmen der Arbeit des »Nuclear History Program's« (NHP) deklassifiziert wurden.

Dabei handelt es sich um: R. A. Wampler/D. A. Rosenberg (eds.), The Eisenhower Administration and NATO Nuclear Strategy (1951—1957), National Security Archive (NSA), Washington, D.C.;

Phil Karber/Ian M. Snyder/Michael D. Yaffe (eds.), Tactical Innovation in the Era of Massive Retaliation, 1952—1957, A Partial Collection of Documents on Nuclear Weapons in Europe, Center for International Security Studies, Maryland (CISS); Reiner Pommerin (Hrsg.), Das deklassifizierte Aktenmaterial für das NHP-Projekt, Akten des Bundesministeriums für Verteidigung (BMVg), NHP-Archiv, Bonn; benutzt wurde ferner: Nachlaß Herbert Blankenborn, Bundesarchiv Kob- lenz (BA); Tagebücher de Maiziere, Ν 673, Heft 1—6; Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg i.Br.

(BA-MA); Nachlaß Adolf Heusinger, Militärgeschichtliches Forschungsamt Freiburg (MGFA); Nach- laß Hans Speidel, Privatarchiv-Speidel, Wackernheim (PA); Protokolle der CDU/CSU Fraktions- sitzungen, in: Archiv für Christlich Demokratische Politik, Sankt Augustin (ACDP).

3 Vgl. Peter Fischer, Die Anfänge der Atompolitik in der Bundesrepublik Deutschland im Span- nungsfeld von Kontrolle, Kooperation und Konkurrenz (1949—1955), Dissertation, Europäisches Hochschulinstitut Florenz, 1989; Hans-Peter Schwarz, Adenauer und die Kernwaffen, in: Viertel- jahrshefte für Zeitgeschichte 37 (1989), H. 4, S. 567—593; Ders., Adenauer. Der Staatsmann: 1952—

1967, Stuttgart 1991.

Militärgeschichtliche Mitteilungen 52 (1993), S. 105—132 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Freiburg i. Br.

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1 0 6 MGM 52 (1993) Peter Fischer in allererster Linie an der Widerspriichlichkeit der stürmischen internationalen nuklear- politischen Entwicklung selbst4.

So mangelte es der Bundesregierung, obgleich von der Nuklearisierung durch die ab Herbst 1953 auf dem Territorium der Bundesrepublik einsetzende Stationierung ameri- kanischer Atomwaffen unmittelbar betroffen, über den gesamten Untersuchungszeitraum an zureichenden Informationen über die Wirkung und den Einsatz dieser neuen Waffen.

Darüber hinaus war auch innerhalb des Bündnisses lange Zeit umstritten, wie die konven- tionelle und die nukleare Verteidigungskomponente in einem revidierten Strategiekonzept aufeinander zu beziehen waren. Schließlich war, im Unterschied zu den westlichen Ver- bündeten, die Nuklearisierungsproblematik in der Bundesrepublik, aufgrund der beson- deren historischen Umstände, öffentlich kaum thematisierbar, da jeder Versuch einer dezi- dierten nuklearpolitischen Stellungnahme von Seiten der Bundesregierung von vornher- ein dem Verdacht verborgener machtpolitischer Gelüste ausgesetzt war.

Vor diesem Hintergrund wird erkennbar, daß die Bundesregierung, bezüglich der Nuklea- risierungsproblematik, mit einem echten Dilemma konfrontiert war5. Mit der Entschei- dung des NATO-Rats vom Dezember 1954 war die Nuklearisierung der westlichen Mili- tärstrategie bereits eine vollendete Tatsache, noch bevor die Bundesrepublik souverän wurde und dem atlantische Verteidigungsbündnis beitreten konnte. Gleichzeitig war die Anfang der fünfziger Jahre entworfenen Planung des westdeutschen Verteidigungsbeitrags voll auf das Konzept einer konventionell-nuklearen Doppelstrategie abgestellt worden, obgleich die Sicherheit der Bündnismitglieder in Zukunft nahezu ausschließlich von der Drohung eines frühzeitigen und massiven Einsatzes von Nuklearwaffen abhängig gemacht werden sollte. Von der Entscheidung über den Gebrauch dieser Waffen aber sollte die Bundesre- publik, nach einhelliger Auffassung der deutschen Bevölkerung wie der internationalen Öffentlichkeit, auch weiterhin ferngehalten werden, obwohl deren tatsächlicher Einsatz, aufgrund der geostrategischen Lage, ihr sicheres Ende bedeutet hätte. Daß sich die Bun- desregierung trotz dieser verwickelten Situation bereits in den Pariser Verträgen und durch den auf die Produktion von Atomwaffen auf eigenem Territorium beschränkten Verzicht eine klare Option im Sinne einer späteren nuklearen Mitwirkung zu sichern verstand, verdient deshalb in dieser Studie genauso detailliert hervorgehoben zu werden wie ihre nachfolgenden Bemühungen, diesen Handlungsspielraum im Rahmen des atlantischen Bündnisses sowie in separaten Geheimverhandlungen mit den europäischen Verbündeten mehr und mehr auch aktiv auszugestalten.

Im folgenden soll deshalb zunächst versucht werden, die für die Bundesrepublik Mitte der fünfziger Jahre bestehende Ausgangssituation auf dem Nukleargebiet in rechtlicher wie in politischer Hinsicht näher zu beschreiben, um dann in einem zweiten Schritt die Frage zu verfolgen, wie die Bundesregierung auf die nukleare Herausforderung nach der Wiederherstellung der staatlichen Souveränität reagiert hat. Im abschließenden Epilog sollen schließlich einige Schlußbetrachtungen zu den nuklearen Optionen der Bundesrepublik angestellt werden.

4 Vgl. David A . Rosenberg, Nuclear Weapons and American Strategy 1945—1960, in: International Security 7 (1983), Nr. 4, S. 3 - 7 1 ; Robert Α. Wampler, NATO Strategie Planning and Nuclear Wea- pons 1950—1957, NHP Occasional Paper (No. 6), Maryland 1990; Marc Trachtenberg, History and Strategy, Princeton, New Jersey 1991.

5 Vgl.UweNerlich,DienuklearenDilemmasderBundesrepublikDeutschland,in:EA 17(1965),S. 637—

652; Jürgen Schwarz, Bedingungen und Entwicklungslinien westdeutscher Nuklearpolitik, in: Hand- buch der deutschen Außenpolitik, hrsg. von Hans-Peter Schwarz, München/Zürich 1975, S. 513—523.

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II. Vorgeschichte

1. Erste Berührungen mit der Nuklearproblematik

Die bereits seit Ende 1948 in kleinstem Kreis um Konrad Adenauer angestellten Überle- gungen und Planungen zur militärischen Integration Westdeutschlands fanden ihren ersten verbindlichen Niederschlag in der »Himmeroder Denkschrift«6. Nachdem sich die Au- ßenminister der drei westlichen Besatzungsmächte im September 1950 in New York grund- sätzlich über die Unverzichtbarkeit einer westdeutschen Wiederaufrüstung verständigt hat- ten, war Anfang Oktober 1950 eine Gruppe deutscher Militärexperten zusammengetre- ten, die im Auftrag von Konrad Adenauer ein Konzept für einen deutschen Militärbeitrag erarbeiten sollten. Auf dieser Zusammenkunft, die aus Geheimhaltungsgründen im Klo- ster Himmerod in der Eifel stattfand, kam es auch zu einer ersten Verständigung über die Nuklearproblematik. Dabei wurde kurz und knapp festgestellt, daß der gesamte Komplex militärische Nutzung der Atomenergie beim Aufbau der deutschen Streitkräfte nicht wei- ter berücksichtigt zu werden brauchte.

Die entschiedene Ausklammerung der Nuklearproblematik durch die deutschen Mili- tärexperten reflektierte den Stand der internationalen Nuklearentwicklung7. Anfang 1950 war das absolute Atomwaffenmonopol der USA zwar gerade durch die Sowjetunion durch- brochen worden, die Amerikaner blieben jedoch zunächst auch weiterhin eifersüchtig dar- um bemüht, das Atomgeheimnis wenigstens im westlichen Lager so lange wie möglich weiter zu hüten. Auch strategisch hatte bei der klaren Aufgabenteilung zwischen den USA (Nuklearschutz) und ihren westlichen Verbündeten (konventionelle Verteidigung) eine Be- rücksichtigung der Nuklearproblematik für die deutsche Wiederaufrüstung keinerlei Sinn.

Zum anderen waren die innen- und außenpolitischen Widerstände gegen eine westdeutsche Wiederaufrüstung Anfang der 50er Jahre für sich schon hoch genug8, so daß jeder Schritt in Richtung dieser Machttechnologie, die sich sowohl auf Seiten der Besatzungsmächte als auch auf Seiten der eigenen Bevölkerung gerade erst herausbildende Akzeptanz sofort über- strapaziert hätte. Der Bundeskanzler zeigte sich denn auch grundlegend davon überzeugt, daß Atomwaffen auch in Zukunft eine Exklusivangelegenheit der beiden Großmächte blei- ben würde. In Gesprächen mit den Hohen Kommissaren sah Adenauer schon Anfang der fünfziger Jahre die Gefahr einer nuklearen Pattsituation zwischen Washington und Moskau und leitete gerade daraus die Notwendigkeit einer starken konventionellen Verteidigung ab9.

6 Vgl. Hans-Jürgen Rautenberg und Norbert Wiggershaus, Die »Himmeroder Denkschrift« vom Okto- ber 1950. Politische und militärische Überlegungen für einen Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur westeuropäischen Verteidigung, in: MGM, 21 (1977), S. 135—206, sowie nun auch: Anfänge west- deutscher Sicherheitspolitik, hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Bd 3: Die NATO- Option, von Hans Ehlert u. a. (erscheint demnächst); Hans-Peter Schwarz, Die Ära Adenauer. Grün- derjahre der Republik 1949—1957, Stuttgart/Wiesbaden 1981 ( = Geschichte der Bundesrepublik, hrsg. v. Karl Dietrich Bracher u.a., Bd 2), S. 136ff.; Norbert Wiggershaus, Die Entscheidung für einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag 1950, in: Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945—1956, Bd 1: Von der Kapitulation bis zum Pleven-Plan, von Roland G. Foerster u. a., Mün- chen/Wien 1982, S. 325—402.

7 Vgl. Lawrence Freedman, The Evolution of Nuclear Strategy, Houndsmill/London 21989; David A. Rosenberg, The Origins of Overkill. Nuclear Weapons and American Strategy, 1945—1960, in: International Security 7 (1983), Nr. 4, S. 3—71.

8 Vgl. Roland G. Foerster, Innenpolitische Aspekte der Sicherheit Westdeutschlands 1947—1950, in:

Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik, Bd 1 (wie Anm. 6), S. 403—575.

9 Vgl. Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. im Auftrag des Aus-

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108 MGM 52 (1993) Peter Fischer

2. Die Regelung der Atomfrage im EVG-Vertrag

An diesem Bedingungsrahmen hatte sich auch anderthalb Jahre später, als im September 1951 die Verhandlungen über die Aufhebung des Besatzungsstatuts und die Schaffung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) in ihr entscheidendes Stadium traten, im wesentlichen nichts geändert10. Ohne diesen Punkt während der Verhandlungen eigens zur Diskussion zu stellen, hatten sich die Besatzungsmächte bereits im Vorfeld unterein- ander darüber verständigt, daß jegliche militärische Nutzung der Atomenergie für die Bun- desrepublik für die Zukunft vollkommen ausgeschlossen werden sollte11. Kodifiziert wur- de dieses totale Betätigungsverbot in Art. 107 des EVG-Vertrages sowie in drei Zusatzbrie- fen des Bundeskanzlers, die dem Vertragswerk beigefügt wurden.

Von einem Kreis engagierter Physiker, allen voran von Werner Heisenberg schon seit 1949 auf die Zukunftschancen der zivilen Atomenergieentwicklung aufmerksam gemacht, setzte sich die Bundesregierung demgegenüber in zähen und letztlich erfolgreichen Ver- handlungen für die Freigabe der zivilen Atomforschung ein. Der hier gewährte Handlungs- spielraum wurde von den Alliierten, die jede Proliferationsgefahr ausschließen wollten, auf ein Minimalmaß begrenzt. Im Zusammenhang der hier entstandenen Abgrenzungs- problematik zwischen militärischer und ziviler Atomenergieentwicklung war es u. a. erfor- derlich geworden, daß zum ersten Mal seit der Entdeckung der Kernspaltung der Versuch einer Definition des Begriffs »Atomwaffe« unternommen wurde.

Die Regelung des eigentlichen Verteidigungsbeitrags der Bundesrepublik wurde in ei- nem »Militärischen Sonderabkommen« zum EVG-Vertrag vorgenommen12. Hierin ver- pflichtete sich die Bundesrepublik u. a. zur Aufstellung von zwölf Heeresdivisionen sowie zur Bereitstellung von 1326 taktischen Flugzeugen und 202 kleineren Schiffen. Dies ent- sprach einer Gesamtstärke der deutschen EVG-Streitkräfte von ca. 498 000 Mann, so daß sich die Bundesrepublik im Rahmen der bereits auf der NATO-Ministerratskonferenz in Lissabon im Februar 1952 beschlossenen und im Dezember des gleichen Jahres in der

»NATO Strategie Guidance« (MC 14/1) kodifizierten Doppelstrategie von nuklearer Ab- schreckung (Schild) und konventioneller Verteidigung (Schwert) mit guten Gründen Hoff- nung darauf machen konnte, bald, wie Christian Greiner dies treffend formuliert hat, zu einem »konventionellen Machtfaktor« innerhalb des westlichen Verteidigungsbündnisses zu werden13.

wartigen Amts von Hans-Peter Schwarz, Bd 1: Adenauer und die Hohen Kommissare 1949—1951, hrsg. von Hans-Peter Schwarz in Verbindung mit Reiner Pommerin, bearb. von Frank-Lothar Kroll und Manfred Nebelin, München 1989, S. 224.

10 Vgl. Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945—1956, hrsg. vom Militärgeschichtlichen For- schungsamt, Bd2: Die EVG-Phase, bearb. von Lutz Köllner u.a., München 1990; Die Europäi- sche Verteidigungsgemeinschaft. Stand und Probleme der Forschung, im Auftrag des MGFA hrsg.

von Hans-Erich Volkmann und Walter Schwengler, Boppard a.Rh. 1985.

11 Für eine detaillierte Rekonstruktion der Behandlung der Atomklauseln in den EVG-Verhand- lungen vgl. Fischer, Die Anfänge der Atompolitik (wie Anm. 3), S. 16—55.

12 Vgl. Wilhelm Meier Dörnberg, Die Planung des Verteidigungsbeitrags der Bundesrepublik Deutsch- land im Rahmen der EVG, in: Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik, Bd 2 (wie Anm. 10), S. 6 9 9 - 7 1 4 .

13 Christian Greiner, Zwischen Integration und Nation. Die militärische Eingliederung der Bun- desrepublik Deutschlands in die NATO, 1954 bis 1957, in: Westdeutschland 1945—1955. Unter- werfung, Kontrolle, Integration, hrsg. von Ludolf Herbst, München 1986, S. 267—278, hier S. 268 f.

(NATO = North Atlantic Treaty Organization).

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3. New Look und die Stationierung amerikanischer Atomwaffen in der Bundesrepublik Erste Risse in diesem harmonischen Bild zeigten sich jedoch schon wenige Monate nach der Vertragsunterzeichnung. Zum einen stieß die Ratifikation des EVG-Vertrages in der französischen Nationalversammlung auf unerwartet heftigen Widerstand, und ein Schei- tern des gesamten Vertragswerks war spätestens nach dem Regierungswechsel in Paris Anfang 1953 und der hier sogleich erhobenen Forderung nach Revision des EVG-Vertrags nicht mehr auszuschließen. Zum anderen, und für die weitere Entwicklung entscheidend, zeich- nete sich schon Ende 1952, vollends aber im Verlaufe des Jahres 1953, eine radikale Neu- bewertung des Verhältnisses von konventioneller und nuklearer Verteidigung ab14.

Während auf der einen Seite immer offensichtlicher wurde, daß keiner der NATO-Staa- ten wirklich willens war, die in Lissabon beschlossenen konventionellen Aufrüstungsziele durph Bereitstellung entsprechender Verteidigungsbeiträge zu erreichen — bis 1954 soll- ten insgesamt 96 Divisionen, davon 54 präsente Divisionen in Mitteleuropa aufgestellt wer- den —, machten sich die britischen Stabschefs bereits im Sommer 1952 in einem »Global Strategy Paper« dafür stark, das enorm kostenintensive Konzept eines konventionellen Gleichgewichts mit den Streitkräften des Ostblocks aufzugeben und durch ein auch öko- nomisch realistischeres Konzept der massiven nuklearen Abschreckung zu ersetzen15. Obwohl Grobritannien durch die Zündung seiner ersten Atombombe auf dem Montebel- lo (Australien) nur wenige Monate später aus eigener Kraft in den Kreis der Atommächte aufgestiegen war, zielte dieser Vorschlag natürlich in erster Linie auf die USA, die durch ihr sich ständig vergrößerndes Nuklearwaffenarsenal alleine über die Voraussetzungen ver- fügte, eine solche Strategie auch durchzuführen16.

Während erste Reaktionen Washingtons auf den britischen Vorstoß eher kühl waren17, fiel der Vorschlag bei der Anfang 1953 ins Amt gekommenen neuen Eisenhower-Admini- stration, die sich die Erarbeitung eines neuen, den amerikanischen Staatshaushalt weniger strapazierenden Verteidigungskonzepts zu einer ihrer vordringlichsten Aufgabe gemacht hatte, auf fruchtbaren Grund. Nach monatelanger intensivster interner Beratung wurde der »New Look« der amerikanischen Sicherheitspolitik im Oktober 1953 im Richtlinien- papier NSC 162/2 durch den National Security Council (NSC) kodifiziert18 und der Öffentlichkeit Anfang 1954 in einer Aufsehen erregenden Rede durch den amerikanischen Außenminister John Foster Dulles vorgestellt19. Der Kern dieses neuen Verteidigungskon- zeptes war die Strategie der massiven Vergeltung (»massive retaliation«). Nuklearwaffen sollten, im Gegensatz zur bisher gültigen nuklear-konventionellen Doppelstrategie, nicht mehr nur Schild-, sondern selbst.Schwertfunktion ausfüllen, d.h. auch im Falle eines ledig-

14 Vgl. Wampler, NATO Strategie Planning (wie Anm. 4); Rosenberg, Nuclear Weapons (wie Anm. 4).

15 Vgl. Ian Clark/ Nicholas J. Wheeler, The British Origins of Nuclear Strategy 1945—1955, Oxford 1989, S. 160—183; Margaret Gowing, Independence and Deterrence — Britain and Atomic Energy 1 9 4 5 - 1 9 5 2 , Vol. I: Policy Making, London 1974, S. 440f.; Peter Malone, The British Nuclear Deterrent, London/Sydney/New York 1984, S. 85—91.

16 Freedman, The Evolution of Nuclear Strategy (wie Anm. 7), S. 80.

17 Vgl. Wampler, NATO Strategic Planning (wie Anm. 4), S. If.

18 Vgl. Foreign Relations of the United States, US Government Printing Office, Washington D. C.

(FRUS) 1 9 5 2 - 1 9 5 4 , II/1, S. 5 7 8 - 5 9 7 ; Siehe dazu Freedman, The Evolution of Nuclear Strategy (wie Anm. 7), S. 81—86 und Rosenberg, The Origins of Overkill (wie Anm. 7), S. 28—32.

19 Die Rede von Dulles vor dem Council on Foreign Relations am 12.1.1954 ist abgedruckt in:

Department of State Bulletin, Washington D.C., 25.1.1954, S. 107—110; zur Bewertung der Rede vgl. Robert E.Osgood, NATO. The Entangling Alliance, Chicago/London 1966, S. 102ff.

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110 M G M 52 (1993) Peter Fischer lieh konventionellen Angriffs sollte das gesamte Nukleararsenal der Vereinigten Staaten unverzüglich zum Einsatz gebracht werden20.

Diese Neubewertung der Rolle von Nuklearwaffen war zum nicht geringsten Teil durch dramatische Fortschritte in der waffentechnischen Entwicklung ermöglicht worden. In Folge des von der Truman-Administration 1949/50 beschlossenen nuklearen Hochrüstungspro- gramms (NSC 68)21 verfügten die USA seit 1953 über ein weites Spektrum von Nuklear- waffen, das von »kleinen« Atomwaffen für den taktischen und Gefechtsfeldeinsatz, über Atomwaffen vom Wirkungsgrad der Hiroshima-Bombe bis zu Wasserstoffbomben reichte22. Obwohl von den Verbündeten zunächst große Vorbehalte bezüglich des massiven Einsat- zes von Atomwaffen artikuliert wurden23 — der amerikanische Außenminister Dulles ver- suchte dieser Schwellenangst mit einer offensiven Kampagne zur Konventionalisierung der taktischen Atomwaffen zu begegnen24 —, folgte die NATO schon bald dieser neuen Entwick- lung und beschloß mit der Verabschiedung von M C 48 (»The Most Effective Pattern of NATO Military Strength for the Next Few Years«) im Dezember 1954, die »modernen«, d. h.

nuklearen Waffen nunmehr in ihren Planungen an erster Stelle zu berücksichtigen25. Die militärstrategischen Rahmenbedingungen für den erst Mitte 1952 beschlossenen deut- schen Verteidigungsbeitrag hatten sich damit in kürzester Zeit dramatisch verändert26. Die enorme Aufwertung der Nuklearwaffen bedeutete nicht nur eine bedrohliche Abwertung der konventionellen Streitkräfte. Mehr noch war die Bundesrepublik — durch die seit Herbst 1953 begonnene Stationierung amerikanischer Atomwaffen auf ihrem Territorium — in die neue Nuklearisierungsstrategie bereits unmittelbar involviert worden. Zwar war die Bundesregie- rung schon Mitte 1953 von den USA in dieser Angelegenheit konsultiert worden und der Bundeskanzler, der die Stationierung als eine Maßnahme zur Verstärkung der Kampfkraft der amerikanischen Verbände in der Bundesrepublik sofort vorbehaltlos begrüßte, hatte sich in Washington erfolgreich mit der Bitte durchsetzen können, die bereits für Juli geplante Ver- legung der ersten mit 280 mm Atomgeschützen ausgestatteten US-Bataillone nach Kaiserslau- tern, unter Hinweis auf den Bundestagswahlkampf, auf die Zeit nach dem 6. September zu verschieben27. Diese Verständigung vermochte jedoch kaum darüber hinweg zu täuschen, daß die Entscheidung zur Nuklearisierung der US-Verbände in der Bundesrepublik unter dem Besatzungsrecht, d. h. unter amerikanischer Hoheit vorgenommen wurde. Die Bundes- regierung, deren außen- und sicherheitspolitische Aktionsmöglichkeiten durch die laufenden Ratifikationsverhandlungen weitgehend eingeschränkt waren, vermied es zunächst, zu dieser Tatsache gegenüber den Verbündeten oder in der Öffentlichkeit Stellung zu nehmen28.

20 Vgl. Helga Haftendorn, Sicherheit und Entspannung. Zur Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland 1 9 5 5 - 1 9 8 2 , Baden-Baden 1983, S. 156 f.

21 Vgl. FRUS 1950, I, S. 2 3 4 - 2 9 2 .

22 Detaillierte Angaben hierzu bei Rosenberg, The Origins of Overkill (wie Anm. 7).

23 Vgl. FRUS 1 9 5 2 - 1 9 5 4 , II/2, S. 1188f.

24 Vgl. hierzu vor allem die Rede von Dulles auf der Frühjahrstagung des NATO-Ministerrats am 23.4.1954, in: FRUS 1 9 5 2 - 1 9 5 4 , V/1, S . 5 1 l f .

25 Zum Inhalt von M C 48, vgl. JP(54)99(FINAL), Report of the British Joint Planning Staff on Briefs for the Military Committee Meetings, December 2,1954, NHP/NSA, Documentary Col- lection — Wampler/Rosenberg (wie Anm. 2), Nr. 41.

26 Vgl. Peter Fischer, West German Rearmament and the Nuclear Challenge, in: NATO: The Found- ing of the Alliance and the Integration of Europe, ed. by Francis H. Heller/John R. Gillingham, New York 1992, S. 3 8 1 - 4 0 1 .

27 Vgl. FRUS 1 9 5 2 - 1 9 5 4 , V/I, S. 4 3 7 - 4 3 9 .

28 Intern freilich gab der Bundeskanzler seinen zwiespältigen Gefühlen hinsichtlich der Stationie- rung der amerikanischen Atomwaffen durchaus Ausdruck. So notiert das Protokoll der CDU/CSU

(7)

III. Die Reaktionen der Bundesregierung

1. Adenauers Verzichtserklärung und die Pariser Verträge

Mit dem endgültigen Scheitern des EVG-Vertrages Ende August 1954 war dagegen unver- hofft die Gelegenheit gegeben, die nunmehr erneut zur Verhandlung stehenden Verträge über die Aufhebung des Besatzungsstatuts und die Regelung des deutschen Verteidigungs- beitrags den veränderten Bedingungen des Jahres 1954 anzupassen. So erklärte die Bundes- regierung noch vor Beginn der eigentlichen Verhandlungen, daß jede der Bundesrepublik abverlangte Rüstungsbeschränkung im Unterschied zum EVG-Vertrag nur noch auf der Basis einer »freiwilligen Verzichtserklärung« erfolgen und diese Beschränkung sich auch nur auf quantitative, nicht aber auf qualitative Begrenzungen beziehen könne29. Doch konn- te sich die Bundesregierung mit dieser Maximalposition letztendlich nicht durchsetzen.

Die von Adenauer auf der Londoner Neun-Mächte-Konferenz ausgesprochene Verzichts- erklärung auf die Produktion von ABC-Waffen auf eigenem Territorium bedeutete jedoch nicht nur den Durchbruch auf den schon zu scheitern drohenden Verhandlungen30, son- dern markierte zugleich auch einen Kompromiß, der den Interessen beider Seiten im Hin- blick auf die veränderten Rahmenbedingungen weitestgehend Rechnung trug. Mit der Kodi- fizierung der Verzichtserklärung des Bundeskanzlers in den Pariser Verträgen wurde der Bundesrepublik, im Unterschied zum EVG-Vertrag, nunmehr ausdrücklich eine begrenz- te militärische Nuklearoption eingeräumt. Zwar sollte der unmittelbare Zugang zu Atom- waffen und damit die Möglichkeit einer selbstbestimmten militärischen Nuklearpolitik der Bundesrepublik auch weiterhin versperrt sein. Nicht berührt von der Verzichtserklä- rung des Bundeskanzlers war jedoch ausdrücklich der gesamte Bereich der nuklearen Ko- operation sowie die Möglichkeiten einer nationalen Atomforschung für militärische Zwecke.

Die vollständige militärische Integration der Bundesrepublik in die NATO bot dabei zugleich die Gewähr dafür, daß sich diese Kooperation in jedem Falle innerhalb des Bünd- nisses, d.h. kontrolliert, vollziehen würde31.

Daß es sich bei der hier vereinbarten Regelung tatsächlich um einen, den Interessen bei- der Seiten Rechnung tragenden Kompromiß handelte, wird deutlich, wenn man sich an- schaut, welche Rolle der Bundesrepublik bei der Implementierung der neuen Nuklear- strategie notwendig zukam. Nicht nur ihre strategisch exponierte Lage an der Nahtstelle der beiden Machtblöcke machte sie zum bevorzugten Atomwaffenstationierungsland des westlichen Militärbündnisses, sondern auch die rechtliche Situation, die Tatsache, daß sich die ehemaligen Besatzungsmächte im sogenannten »Stationierungsvertrag« ihre Privilegien in bezug auf eine autonome nuklearstrategische Verfügung über westdeutsches Territori- um auch weiterhin weitgehend vorbehalten hatten32, wies der Bundesrepublik eine Schlüs- Fraktionssitzung vom 15.9.1953 in Bonn stichwortartig: »Adenauer: 2 Seelen in der Brust. Mei- ne Art sehr offen zu sprechen. Bataillon Atomkanonen ist von Amerika gelandet. Es ist gut wenn sie einmal im Lande sind. Moment der Sicherheit und nicht des Erschreckens«, ACDP, Protokol- le dir Fraktionssitzungen, Az.: VIII-001—1006/4.

29 BA, NL Blankenborn, Nr. 33 b, S. 131.

30 Konrad Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, Stuttgart 1966, S. 328 ff.

31 Für eine ausführliche Rekonstruktion der Behandlung der Atomproblematik bei der Londoner Neun-Mächte-Konferenz und der Festschreibung der Verhandlungsresultate in den Pariser Ver- trägen, vgl. Fischer, Die Anfänge der Atompolitik (wie Anm. 3), S. 186—220.

32 Vgl. Wolfgang Däubler, Stationierung und Grundgesetz. Was sagen Völkerrecht und Verfassungsrecht zu neuen Massenvernichtungswaffen (ABC-Waffen) in der Bundesrepublik?, Reinbek 1983, S. 80ff.

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112 MGM 52 (1993) Peter Fischer selfunktion bei der Implementierung der neuen Verteidigungsstrategie zu. Wenigstens solan- ge sich das Konzept der nuklearen Abschreckung noch nicht auf die land- und seegestütz- ten amerikanischen Interkontinentalraketen stützen konnte, waren vorgeschobene Opera- tionsbasen in der Nähe des gegnerischen Machtbereichs unverzichtbar33. Der Oberbefehls- haber der NATO-Streitkräfte in Europa, General Alfred Gruenther, war in einem kurz vor dem Scheitern des EVG-Vertrages erstellten internen Gutachten über die modernen Spezialwaffen, dessen Inhalt der Bundesregierung bekannt war, sogar zu der Schlußfolge- rung gekommen, daß diese Waffen für die USA nur dann von wirklichem Wert seien, wenn die Bundesrepublik in das westliche Verteidigungssystem eingebaut sei34. Trotz der rechtlichen Privilegien, die der Stationierungsvertrag den Alliierten einräumte, kam des- halb der nuklearen Kooperationsbereitschaft der Bundesrepublik, gerade unter bündnis- politischen Gesichtspunkten, eine ganz ausgezeichnete Bedeutung zu. Die Bereitschaft der Alliierten, der Bundesrepublik — im Unterschied zur Regelung von 1952 — nunmehr auf rechtlicher Basis die Möglichkeit einer nuklearen Mitwirkung einzuräumen, muß des- halb wesentlich als eine politische Konzession für die der Bundesrepublik im Rahmen der Nuklearstrategie zugedachte Geiselrolle verstanden werden.

2. Nuklearpolitisches Moratorium

Auf Seiten der Bundesregierung blieb man jedoch auch nach der Ratifikation der Pariser Verträge und der offziellen Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO von einer aktiveren Stellungnahme zur Nuklearproblematik so weit entfernt wie zuvor. Dies lag zum nicht ge- ringsten Teil an den enormen Schwierigkeiten, die bei der Aufstellung deutscher Streitkräf- te sowohl in organisatorischer, wie auch in legislativer und finanzieller Hinsicht zu überwin- den waren35. Dazu kamen die nach wie vor bestehenden starken innenpolitischen Wider- stände gegen die Wiederaufrüstung, der die Regierung nicht mit Fragezeichen, sondern nur mit einem klaren sicherheitspolitischen Konzept entgegentreten konnte. Dieses Konzept konnte deshalb auch nur in einem kompromißlosen Bekenntnis zu dem der NATO in den Pariser Verträgen zugesagten rein konventionellen Verteidigungsbeitrag von nach wie vor zwölf Divisionen — entsprechend einer Gesamtstärke von 500000 — Mann liegen, der, wie der Bundeskanzler sich vom Supreme Allied Commander, Europe (SACEUR) öffentlich bestätigen ließ36, eine wirkliche Vorneverteidigung erst möglich mache und der Bundesre- publik damit das Schicksal eines Schlachtfeldes in einem künftigen Krieg ersparen werde37.

Zwar bemühte man sich intern nunmehr verstärkt um Informationen über die Nukle- arwaffenentwicklung und ihre Bedeutung für Organisation, Ausrüstung und strategisches Konzept der NATO-Streitkräfte. Alle einschlägigen Nachrichten, die hierüber vor allem vom Pariser NATO-Hauptquartier, aber auch aus den USA, in Bonn eintrafen38, waren

33 Vgl. FRUS 1 9 5 2 - 1 9 5 4 , II/l, S. 7 7 2 - 7 7 6 .

34 BA, NL Blankenhorn, Nr. 32 a, S. 156.

35 Vgl. Christian Greiner, Die militärische Integration der Bundesrepublik Deutschland in die W E U und die NATO 1954—1957, unveröffentl. Manuskript o.D.

36 Eine entsprechende Bitte Adenauers wurde Gruenther Anfang Februar von General a. D. Speidel übermittelt. Vgl. dazu die Aufzeichnung über ein Gespräch zwischen Gruenther und Speidel am 3.2.1955, in: PA, NL Speidel, Nr. 60.

37 BA-MA, Tagebücher de Maiziere, Ν 673, Η. 1, Eintragung vom 23.2.1955.

38 Die Informationen liefen dabei vor allem über General a.D. Speidel, der sich seit Ende 1954 in Paris aufhielt und dort über einen ständigen Kontakt zum SHAPE-Hauptquartier unterhielt. Dar-

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allerdings so widersprüchlich, daß sich eine abrupte sicherheitspolitische Kurskorrektur von selbst verbat39. Sicherlich war man sich, wie entsprechende Aufzeichnungen Gene- ral a.D. Speidels zeigen, auf Seiten der deutschen Militärexperten sehr wohl über den Mangel im klaren, daß der Bundesregierung, ebenso wie anderen Bündnispartnern, alle konkre- ten Informationen über die nukleare Einsatzplanung der USA vorenthalten wurden40. Ebenso klar war aber auch, daß die NATO, trotz ihres im Dezember 1954 gefaßten Nukle- arisierungsbeschlusses, auch 1955 noch über keinerlei Konzept zu seiner Durchführung verfügte41. Gültige strategische Richtlinie war vielmehr nach wie vor die Direktive MC 14/1 vom Dezember 1952, die immer noch eine Gleichberücksichtigung der konventio- nellen und der nuklearen Komponente im westlichen Militärbündnis vorsah.

3. Das alliierte Atommanöver »Carte Blanche«

Daß in der Nuklarisierungsproblematik jedoch ein nicht zu unterschätzender politischer Sprengstoff verborgen war, das mußte die Bundesregierung im Sommer 1955 erfahren, als die NATO, hauptsächlich auf dem Boden der Bundesrepublik, unter dem Namen »Carte Blanche« ein spektakuläres nukleares Luftmanöver durchführte42. Ganz im Gegensatz zu der bei diesen Veranstaltungen sonst üblichen Geheimhaltung, hatte die NATO mit Blick auf die UdSSR diesmal auch Pressevertreter zugelassen, die über die gewaltige nukleare Abschreckungskapazität des westlichen Verteidigungsbündnisses berichten sollten43. Auf die Meldungen über die fiktiven Millionenzahlen von Toten und Verletzten, die eine nuklea- re Verteidigung der Bundesrepublik unter realen Bedingungen gekostet hätte, reagierte die deutsche Öffentlichkeit mit Schrecken und Entsetzen. Unvorbereitet war man damit kon- frontiert worden, daß der Bundesrepublik, trotz Mitgliedschaft in der NATO, im Ernstfall nicht mehr als die Rolle eines nuklearen Schlachtfelds zugedacht war44. Die forsche Behauptung des Bundeskanzlers, der den NATO-Beitritt als eine Versicherung gegen die-

über hinaus unternahm Speidel mehrere Reisen in die USA, so daß über ihn auch schon frühzei- tig Kontakte zur NATO-Standing Group geknüpft wurde. Ausführliche Berichte über diese Bespre- chungen finden sich in: PA, NL Speidel, Nr. 56 und Nr. 60.

39 So bemerkte etwa der SACEUR in einem Gespräch mit Speidel am 14.12.54, daß auf dem Atomgebiet alles in Fluß sei und daß man bei SHAPE nunmehr den freien Einsatz von Atom- waffen in Mitteleuropa in die Planung miteinbeziehe, gab jedoch gleichzeitig freimütig zu, daß man bei der NATO, aber auch in den USA und Großbritannien in den Bemühungen um die Entwicklung einer entsprechenden Doktrin und Organisation bisher nur sehr langsam vorange- kommen sei. »Ich glaube also nicht«, so der SACEUR abschließend, »zur Frage neuer Waffen irgendetwas sagen zu können, was für Sie schon jetzt praktische Bedeutung haben könnte«, ebd., Nr. 56.

40 Vgl. hier ζ. B. die Aufzeichnung Speidels über ein »Operations-Briefing« bei SHAPE am 28.6.1955, ebd.

41 Vgl. Memorandum, General J. Lawton Collins (U.S. Representative, NATO Military Commit- tee and Standing Group) to the JCS Re NATO Ministerial Meeting, November 21, 1955, NHP/NSA, Documetary Collection, Wampler/Rosenberg (wie Anm. 2), Nr. 50.

42 Vgl. Catherin McArdle Kelleher, Germany and the Politics of Nuclear Weapons, New York/London 1975, S. 3 5 - 4 3 .

43 So wurden von SHAPE zu diesem Manöver extra »Allgemeine Grundsätze für die Unterrich- tung der Öffentlichkeit über vorgetäuschte Atom-Operationen bei Manövern und Übungen« ver- faßt und u. a. auch dem BMVg zugänglich gemacht, BA-MA, BW 9/2479.

44 Vgl. die Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ): Jenseits des Nebels (23.6.1955) von Paul Sethe; und Carte blanche — ein Alarmzeichen (27.6.1955) von Adelbert Weinstein.

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1 1 4 MGM 52(1993) Peter Fischer ses trostlose Schicksal bezeichnet hatte, war damit durch die NATO selbst öffentlich desa- vouiert worden45.

Während die Bundesregierung sich nach außen mit dem Argument zu rechtfertigen ver- suchte, das Manöver habe schließlich der Demonstration der Abschreckung, nicht aber der Demonstration der Verteidigung gedient und der deutsche Verteidigungsbeitrag einer konventionell gerüsteten 500000 Mann-Armee sei im Rahmen der Arbeitsteilung im Bünd- nis nach wie vor sinnvoll und unverzichtbar46, waren intern durchaus erste selbstkritische und mahnende Stimmen zu vernehmen. So hatte der deutsche NATO-Botschafter Her- bert Blankenhorn bereits in seinem ersten Arbeitsbericht aus Paris, unter Verweis auf die neue Verteidigungsdoktrin des Bündnisses, eine »Anpassung der überkommenen militäri- schen Planung für die Einschaltung der Bundesrepublik in die westliche Verteidigung«

gefordert47.

Deutlicher noch ließ Sonderminister Franz-Josef Strauß, der sich in der Bundestagsde- batte über »Carte Blanche« mit vehementem Einsatz und geschickten Argumenten als eigent- licher Atomexperte der Regierung profiliert hatte, im engeren Kreis keinen Zweifel daran, daß die sicherheitspolitische Planung der Bundesregierung, das eiserne Festhalten an der Aufstellung einer schwerfälligen 500 000 Mann-Armee, durch die neue waffentechnische Entwicklung längst überholt sei und diese nukleare Herausforderung nur durch Schaf- fung einer entschieden kleineren, dafür aber mit den modernsten Waffen ausgerüsteten Qualitätsarmee begegnet werden könne48. Nicht ohne Grund aber hatte sich Adenauer bei der Ernennung des Verteidigungsministers nicht für den progressiven Bayern, sondern für den sehr viel schwerfälligeren Theodor Blank entschieden und damit zu verstehen gege- ben, daß er bei der Aufstellung der deutschen Streikräfte Experimente tunlichst vermei- den wollte. Seiner Uberzeugung, daß die faktische Integration der Bundesrepublik in die NATO durch die unverzügliche Aufstellung der zwölf Divisionen unbedingter Vorrang vor jeder Diskussion über Anpassungsmaßnahmen eingeräumt werden müsse, diese sich vielmehr dann schon von selbst ergeben würden, hatte der Bundeskanzler schon bei der Londoner Neun-Mächte-Konferenz intern zum Ausdruck gebracht49.

Stützen konnte sich Adenauer in dieser konservativen Grundentscheidung auf seine eng- sten militärischen Berater. So hatte General Adolf Heusinger50, seit Ende 1955 Vorsitzen- der des Militärischen Führungsrates im Bundesministerium der Verteidigung, bereits im Juni 1954 eindringlich vor einer »einseitigen Uberbewertung der Atomwaffen« und den aktuellen Tendenzen, die gesamte militärische Verteidigung des Westens nur auf sie abzu- stützen, mit dem berechtigten Argument gewarnt, daß auf kurz oder lang zwischen Ost

45 »Solange wir nicht zur NATO gehören«, hatte Adenauer Ende Februar 1955 in der Debatte über die Ratifikation der Pariser Verträge erklärt, »sind wir im Falle eines heißen Krieges zwischen Sowjetrußland und den Vereinigten Staaten das europäische Schlachtfeld, und wenn wir in der Atlantikpaktorganisation sind, dann sind wir diese Schlachtfeld nicht mehr«, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode (WP), 70. Sitzung, 25.2.1955, Stenographische Berichte, Bonn 1955, S. 3736.

46 Vgl. hier vor allem den Redebeitrag von Franz Josef Strauß, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wp, 100. Sitzung, 16.7.1955, Stenographische Berichte, Bonn 1955, S. 5603—5610.

47 BA, NL-Blankenhorn, Nr. 47, S. 160.

48 Kelleher, Germany (wie Anm. 42), S. 56 ff.

49 Vgl. Schwarz, Adenauer und die Kernwaffen (wie Anm. 3), S. 578.

50 Vgl. Christian Greiner, General Adolf Heusinger (1897—1982). Operatives Denken und Planen 1948 bis 1956, in: Operatives Denken und Handeln in deutschen Streitkräften im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Herford/Bonn 1988, S. 225—261.

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und West ein atomares Patt entstehen und dadurch der konventionellen Verteidigungsfä- higkeit notgedrungen wieder eine Schlüsselrolle zufallen würde51. Der Leiter der Abtei- lung Gesamtstreitkräfte, General Hans Speidel, sah seinerseits auch im September 1956 noch keinen Grund gegeben, von der Planung einer 500000 Mann-Armee nach Umfang und Zeit abzugehen und hatte seiner Uberzeugung Ausdruck gegeben, »daß die moder- nen Waffen keine Revolution in Führung und Organisation mit sich bringen« würde52.

Daß bei dieser bedächtigen und zurückhaltenden Einstellung der beiden obersten Mili- tärexperten in Bonn durchaus auch pragmatische Überlegungen eine bestimmende Rolle spielten, wurde in einem internen Gutachten des Verteidigungsministeriums deutlich. Dort hieß es programmatisch und die Einstellung auch des Bundeskanzlers genau widerspie- gelnd: »Trotz des schnellen technischen Fortschritts auf dem Gebiet der neuen Waffen darf die Verwirklichung einer militärischen Planung nicht von allenfalls möglichen, aber kei- neswegs sicheren Entwicklungen abhängig gemacht werden. Sonst wird die Gefahr her- aufbeschworen, endgültige Entscheidungen für Organisation und Ausrüstung von Streit- kräften immer wieder hinauszuschieben und dadurch im kritischen Augenblick einer Aggression nicht abwehrbereit zu sein53

4. Global Strategy Paper und Radford-Krise

Durchhalten ließ sich der von Adenauer eingeschlagene sicherheitspolitische Kurs jedoch nur unter der Voraussetzung, daß es der Bundesregierung erstens auch wirklich gelang, ihre der NATO gegenüber eingegangenen Verpflichtungen nach Umfang und Zeit auch tatsächlich einzuhalten und daß zweitens die Ambivalenz zwischen Nuklearisierungsent- scheidung (MC 48) einerseits und Festhalten an einer wesentlich auf eine starke konven- tionelle Verteidigung abzielende Planung (MC 14/1) andererseits noch für einen gewisse Zeit, d. h. mindestens für die drei Jahre, in denen die Aufstellung der zwölf deutschen Divi- sionen abgeschlossen werden sollte, bestehen blieb. Wie sich jedoch schon in den ersten Monaten des Jahres 1956 immer deutlicher abzuzeichnen begann, war das genaue Gegen- teil der Fall.

So mußte sich die Bundesregierung im März 1956 eine erste scharfe Kritik der Ameri- kaner an den völlig unzureichenden finanziellen Anstrengungen bezüglich des Aufbaus der deutschen Streitkräfte gefallen lassen. Das US-Memorandum ging sogar so weit, die gesamte bisherige Aufstellungsplanung Bonns als »nicht durchführbar« zu bezeichnen54. Offensichtlich hatte die Bundesregierung, wie vor allem bei der Vorbereitung der ersten deutschen Antwort auf die von der NATO jedes Jahr durchgeführten statistischen Trup- penerhebung (Annual Review) erkennbar wurde, die organisatorischen, legislativen und finanziellen Anstrengungen, die zur Aufstellung einer 500000 Mann-Armee in nur drei Jahren erforderlich waren, bei weitem unterschätzt55. Der immer offensichtlicher werden-

51 Beurteilung der strategischen Weltlage, Memorandum Heusingers v. 23.6.1954, MGFA, NL Heu- singer, Nr. 5.

52 Die deutsche Bundeswehr, Vortrag Speidels vor der Militärakademie in Lissabon vom 15.10.1956, PA, NL-Speidel, Nr. 67.

53 BMVg-Entwurf einer Begründung zum Gesetzentwurf über die Wehrpflicht (Anlage eines Schrei- bens von Speidel an Blank vom 27.9.1956), ebd., Nr. 66.

54 BA, NL Blankenhorn, Nr. 61b, S. 6 - 1 2 .

55 BA-MA, Tagebücher de Maiziere, Ν 673, Η. 3, Eintragung vom 7.5.1956.

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116 M G M 52(1993) Peter Fischer

de Widerspruch zwischen Wunsch und Wirklichkeit in der deutschen Militärplanung führte denn auch im Sommer des gleichen Jahres zu einer ersten offiziellen Intervention des Mili- tärischen Führungsrates beim Bundeskanzler. Wenn nicht unmittelbar entschiedene orga- nisatorische und finanzielle Sondermaßnahmen ergriffen würden, so die Generale, sei das für Ende 1956 vorgenommene Aufstellungszwischenziel von 96000 Mann in gar keinem Fall zu erreichen56.

Ebenfalls im März 1956 drangen in Bonn erste Meldungen über einen angeblich bevor- stehenden Rückzug britischer Truppen vom Kontinent durch57. Während sich diese Ge- rüchte zunächst nicht weiter verdichteten, kam es vier Monate später jedoch zu einem echten Eklat, als durch Indiskretion bekannt wurde, daß sich auch die Amerikaner bereits mit ähnlichen Absichten trugen und das Pentagon eine Reduzierung der in Europa statio- nierten US-Truppen in einer Größenordnung von nicht weniger als 800000 Mann kon- kret in Erwägung gezogen hatte58. Der Bundeskanzler, der zu allem Unglück, erst weni- ge Tage vor Bekanntwerden dieses sogenannten »Radford-Plans«, in der Bundestagsdebat- te über die Wehrpflichtgesetzgebung die Behauptung aufgestellt hatte, daß die USA, wie ihm von Washington noch kürzlich wieder bestätigt worden sei, auch in Zukunft an ihren Verpflichtungen in Europa festhalten würden59, und der sich nun in aller Öffentlichkeit peinlichst blamiert sah, reagierte entsprechend heftig60. Zwar konnte er sein arg rampo- niertes Ansehen durch ein den Amerikanern abverlangtes offizielles Dementi des »Rad- ford-Plans« schon kurze Zeit darauf wieder einigermaßen herstellen. Die aufgerissene Wunde im Vertrauensverhältnis zu Washington war jedoch so tief, daß sie in wenigen Monaten zu einer radikalen und abrupten Kurskorrektur in der Sicherheitspolitik der Bundesregie- rung führte.

5. Sicherheitspolitische Kurskorrektur

Der erste Schritt bestand in einer einseitigen Herabsetzung der Wehrdienstzeit von 18 auf zwölf Monate. Gegen den dezidierten Rat seiner Militärexperten setzte Adenauer diese Maßnahme im September 1956 zunächst im Bundesvorstand der CDU61 und dann im Bundeskabinett62 durch, ohne auch nur einen Zweifel daran aufkommen zu lassen, daß ihm im Hinblick auf die 1957 bevorstehenden Bundestagswahlen das innenpolitische Hemd näher sitze als der bündnispolitische Rock63.

Der nächste Schritt bestand in einer Umbildung der Bundesregierung. Am 16. Oktober wurde Franz Josef Strauß, der bis dahin das Amt des Atomministers und des stellvertre-

56 Vgl. Schreiben des Militärischen Führungsrates an Blank vom 6.7.1956, das dem Bundeskanzler am 18.7.1956 von Heusinger persönlich übergeben wurde, MGFA, NL Heusinger, Nr. 5.

57 BA-MA, Tagebücher de Maiziere, Ν 673, Η. 3, Eintragung vom 3.3.1956.

58 New York Times, Radford Seeking 800000 Man Cut; vgl. Pöttering, Adenauers Sicherheitspoli- tik (wie Anm. 1), S. 62 ff.

55 Vgl. Kelleher, Germany (wie Anm. 42), S. 46.

60 Vgl. Konrad Adenauer, Erinnerungen 1 9 5 5 - 1 9 5 9 , Stuttgart 1967, S. 197—214.

61 Vgl. Protokoll der Sitzung (Nr. 20) vom 20. September 1956, in: Adenauer: »Wir haben wirklich etwas geschaffen«. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1953—1957, bearbeitet von Gün- ter Buchstab, Düsseldorf 1990, S. 1 0 1 4 - 1 1 0 2 ; hier S. 1029ff.

62 BA-MA, Tagebücher de Maiziere, Ν 673, Η. 4, Eintragung vom 27.9.1956.

63 Vgl. hierzu auch die Aufzeichnung de Maizieres über eine Besprechung beim Bundeskanzler am 14.9.1956, ebd., Eintragung vom 14.9.56.

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tenden Vorsitzenden des Bundesverteidigungsrates inne hatte, als Nachfolger des glücklo- sen Theodor Blanks zum neuen Verteidigungsminister ernannt. Die Entscheidung für den dynamischen Bayern war freilich zugleich auch eine Entscheidung für ein alternatives sicher- heitspolitisches Konzept. Doch stritt Adenauer in öffentlichen Stellungnahmen die unmit- telbar nach der Ernennung von Strauß in der Presse sofort aufgekommenen Spekulatio- nen über eine angeblich bevorstehende nukleare Umrüstung der Bundeswehr zunächst noch entschieden ab64.

In seinen internen Äußerungen wurde die Radikalisierung der Einstellung des Bundes- kanzlers zur Umrüstungs- und Nuklearisierungsproblematik jedoch mehr als offenkundig.

So bezeichnete es Adenauer auf einer Sitzung des CDU Bundesvorstands Mitte September mit einem Mal als »unerträglich, wenn zwei große Staaten in der Welt allein im Besitz von nuklearen Waffen sind und damit das Schicksal aller Völker dieser Erde in der Hand ha- ben«65. Wenige Tage später, auf einer großen Konferenz in Brüssel, sprach sich der Bundes- kanzler entschieden für eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik aus, um, wie er ausdrücklich betonte, gegen unvorhergesehene amerikanische Disengagement-Entscheidun- gen gewappnet zu sein66. Anfang Dezember 1956, in einem Gespräch mit dem italienischen Staatspräsidenten Giovanni Gronchi über Entwicklungsmöglichkeiten der Westeuropäischen Union, bezeichnete Adenauer es als notwendig, »jetzt [...] einige Vertragsartikel zu än- dern«67. Daß damit auch der im WEU-Vertrag festgelegte Verzicht auf die Produktion von Atomwaffen auf eigenem Territorium gemeint war, machte der Bundeskanzler schließlich auf einer Kabinettssitzung am 19. Dezember 1956 unmißverständlich deutlich, auf der er den Mangel an Einfluß in der NATO heftigst beklagte und daraus u. a. auch ganz offen die Forderung nach Herstellung von Atomwaffen in der Bundesrepublik ableitete68.

Dieser dramatische Einstellungswandel, der zunächst weniger ein klares, sicherheitspoliti- sches Konzept als vielmehr den entschiedenen Willen zu radikalen Veränderungen zum Aus- druck brachte, korrespondierte mit der Tatsache, daß einer der zentralen Stützpfeiler der Ade- nauerschen Rekonstruktionspolitik, das feste Vertrauen in die amerikanische Sicherheitsga- rantie für Europa und die Bundesrepublik, durch die Radford-Krise erheblich ins Wanken ge- kommen war69. Nicht nur die Zukunft seiner eigenen Regierung, sondern auch die der NATO sah er nunmehr von schwärzesten Wolken verhüllt. Diese Vertrauenskrise verschärfte sich noch, als Anfang November die Suez-Krise demonstrierte, daß im Konfliktfall von einer politischen Konsultation der USA mit ihren Verbündeten nicht auszugehen war. Verantwort- lich für diese negative und für den weiteren Zusammenhalt des Bündnisses äußerst bedrohli- chen Entwicklungen waren nach Adenauers fester Uberzeugung der amerikanische Präsident und sein Außenminister, denen er in einem spektakulären Interview mit US-Senator Theo- dore Green kurz nach Beendigung des Suez-Debakels offen Führungsschwäche vorwarP0.

64 BA, NL Blankenborn, Nr. 68, S. 1 5 4 - 1 5 9 .

65 Protokoll der Sitzung (Nr. 20) vom 20. September 1956, in: Adenauer: »Wir haben wirklich etwas geschaffen« (wie Anm. 61), S. 1029.

66 Vgl. Hanns Jürgen Küsters, Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Baden- Baden 1982, S. 663.

67 BA, NL Blankenborn, Nr. 70, S. 1 5 4 - 1 6 2 .

68 Christian Greiner, The Federal Republic of Germany as a »Power-Factor« in NATO, 1954 to 1957, Manuskript o.D., S. 12 f.

69 Vgl. die Gespräche Adenauers mit Alan Dulles am 25.8.1956, in: Adenauer, Erinnerungen 1955—1959 (wie Anm. 60), S. 211—214 und dem amerikanischen Minister für die Luftstreitkräf- te, Donald A. Quarles, am 10.9.1956, BA, NL Blankenhorn, Nr. 67, S. 1 9 2 - 2 0 1 .

70 Ebd., Nr. 69, S. 1 1 6 - 1 2 3 .

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1 1 8 MGM 52 (1993) Peter Fischer Eine erste Gelegenheit, die veränderte Position der Bundesregierung auch innerhalb des Bündnisses zum Ausdruck zu bringen, kam mit der NATO-Ministerratssitzung im Dezem- ber 1956. Dabei verstand es der neue Verteidigungsminister Strauß geschickt, die offen- sichtlichen Defizite in der deutschen Aufstellungsplanung nicht nur mit innenpolitischen Schwierigkeiten zu entschuldigen, sondern zugleich auch als ein Reflex auf die sich in vol- lem Gang befindende strategischen Umorientierung des Bündnisses entstandene Unsicher- heit zu rechtfertigen71.

6. Die Politische Direktive der NATO

Vor allem auf Betreiben Großbritanniens waren hier die Dinge seit Frühjahr 1956 erheb- lich in Bewegung gekommen, als die britische Regierung, zunächst auf ausschließlich bila- teraler Ebene mit den USA72, dann innerhalb der NATO, massiv auf eine eindeutige und verbindliche Klärung der strategischen Grundkonzeption des Bündnisses, d. h auf eine Revi- sion von M C 14/1, zu drängen begann73. Konkret zielte die britische Initiative, die vor allem auf dem Hintergrund wachsender finanzieller Probleme zu verstehen war, darauf ab, der militärischen Führungsspitze der NATO durch eine politische Direktive des Mini- sterrates den Auftrag zu einer grundlegenden Uberprüfung der strategischen Grundlagen der Allianz und der daraus abzuleitenden Forderungen für die Aufstellungsplanung der Allianz zu erteilen74. Ausdrücklich betont werden sollten in diesem Auftrag die nunmehr in ausreichender Anzahl und Stärke verfügbar gewordenen Nuklearwaffen, die es nach britischer Vorstellung erlauben sollten, das Konzept einer Kosten und Ressourcen strapa- zierenden Doppelstrategie konventioneller und nuklearer Verteidigung endgültig zu ver- abschieden und statt dessen zum Konzept einer alternativlosen nuklearen Abschreckungs- strategie überzugehen. Unmittelbar betroffen von dieser Revisionsforderung war natür- lich die von Großbritannien im Vertrag der Westeuropäischen Union (WEU) akzeptierte Verpflichtung zur dauernden Stationierung von vier Divisionen in der Bundesrepublik.

Während sich die Vereinigten Staaten gegenüber der britischen Forderung nach einem

»New Look« in der Sicherheitspolitik der Allianz, wie schon vier Jahre zuvor, zumindest in den bilateralen Gesprächen zunächst äußerst reserviert zeigten — nach wie vor wurde als eines der Hauptargumente die angespannte innenpolitische Situation in der Bundesre- publik angeführt75 —, wurde in den internen Debatten der Washingtoner Administration sehr schnell deutlich, daß der britische Vorschlag im Kern durchaus mit gleichlaufenden amerikanischen Überlegungen übereinstimmte und deshalb von einzelnen Departments, allen voran vom Pentagon, aber auch vom Präsidenten selbst, mit deutlicher Sympathie aufgenommen worden war76. So hatte die Eisenhower-Administration den »New Look«

71 Vgl. FRUS 1 9 5 5 - 1 9 5 7 , IV, S. 157.

72 Vgl. ζ. B. die Besprechung des britischen Botschafters Roger Makins mit US-Außenminister Dul- les am 18.6.1956, ebd., S. 85, sowie das Schreiben des britischen Premierministers Anthony Eden an Eisenhower vom 18.7.1956, ebd., S. 90—92.

73 BA, NL Blankenborn, Nr. 67, S. 142—145.

74 Vgl. JP (56) 120 (FINAL), British Joint Planning Staff Report Re NATO Strategy and Level of Forces, June 27, 1956, NHP/NSA Documentary Collection— Wampler/Rosenberg (wie Anm. 2), Nr. 57.

75 Vgl. FRUS 1 9 5 5 - 1 9 5 7 , IV, S. 84 ff.

76 Der sog. »Radford-Plan«, wie aus den, von Wampler und Rosenberg zusammengestellten Quel- len ersichtlich wird, scheint denn auch hauptsächliche eine interne vom State Department ange-

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— d. h., Reduzierung der konventionell gerüsteten Erdtruppen bei gleichzeitiger Erhöhung der Feuerstärke durch massive Verwendung von Nuklearwaffen — zwar schon Ende 1953 als Leitlinie ihrer Sicherheitspolitik propagiert, von deren konsequenter Durchführung (»let us all keep quiet on redeployment«77) jedoch zunächst mit Rücksicht auf die EVG- Ratifikationsverhandlungen, dann auf die Neuaushandlung und Ratifikation der Pariser Verträge und schließlich auf die Aufstellung des deutschen Verteidigungsbeitrags abgese- hen. Man verständigte sich deshalb intern auf einen Kompromiß. So sollte nach außen jede Spekulation über eine bevorstehende Reduzierung amerikanischer Truppen in Euro- pa zwar offiziell dementiert, zugleich aber, unter Ausnutzung der britischen Initiative, eine Verminderung der US-Truppenpräsenz, unter dem unverfänglicheren Etikett eines sogenannten »streamlining«, durchaus aktiv angestrebt werden78.

Ein alter bündnispolitischer Stolperstein, der mit für die nur halbherzige Verwirklichung des »New Looks« auf Seiten der Amerikaner verantwortlich war, lag jedoch auch jetzt noch bedrohlich auf dem Wege. Die Aufwertung der nuklearen Komponente in der westlichen Verteidigung zog mit Notwendigkeit die Frage nach dem verbleibenden Sinn der konven- tionellen Streikräfte des Bündnisses nach sich. Während der britische Vorschlag diesen gan- zen Problemkomplex ganz einfach ausklammerte, war man sich auf Seiten der amerikani- schen Regierung dieser Gefahr nur allzu bewußt79, und es war Außenminister Dulles, der bereits Anfang Oktober in einem internen Memorandum für Dwight D. Eisenhower die Notwendigkeit einer Differenzierung der totalen nuklearen Abschreckungsstrategie be- tonte80. Danach sollte den konventionellen Schildstreitkräften die Aufgabe zufallen, dem Bündnis im Falle einer lediglich lokalen Aggression eine gewisse Flexibilität zu sichern.

Wie freilich dieser begrenzte Konflikt von einem großen Konflikt, zumal in seinem Ini- tialstadium, zu unterscheiden und die Glaubwürdigkeit der nuklearen Abschreckung gleich- zeitig unbeeinträchtigt weiter aufrechtzuerhalten war, darauf wußte Dulles genauso wenig eine verbindliche Antwort zu geben wie die nachfolgende bündnisinterne Diskussion, in der dieser Punkt eine immer wichtigere Rolle spielen sollte.

Die auf der NATO-Ministerratssitzung im Dezember schließlich verabschiedete und der Standing Group zur Bearbeitung übergebene Politische Direktive trug denn auch alle Zei- chen eines politischen Kompromisses81. So hatten sich die Briten mit ihrer Forderung nach Betonung der nuklearen Abschreckung zwar weitgehend durchsetzen können, aber auch das Konzept einer konventionellen Reaktionsfähigkeit hatte in der Direktive Berück- sichtigung gefunden. Wichtigstes Ergebnis der Beratungen über die Politische Direktive

forderte Stellungnahme des Pentagons zur britischen Initiative gewesen zu sein; vgl. Memoran- dum of Conversation, Makins, Mac Arthur II and Timmons Re British Proposal for Review of NATO Strategy, 7—2—56, NHP/NSA, Documentary Collection — Wampler/Rosenberg (wie Anm. 2), Doc. Ν und Memorandum of Conversation, Radford and MacArthur II Re British Pro- posal for Discussion of Reduction of Forces, 7—2—56, ebd., Doc. M.

77 FRUS 1 9 5 2 - 1 9 5 4 , V/1, S. 450.

78 Ebd., IV, S. 9 3 - 9 5 .

79 Vgl. Cable, General Gruenther to Dulles, Wilson, and Radford Re Discussions with British Chiefs of Staff on U.K. Proposals to Reassess NATO Strategy, August 8, 1956, NHP/NSA, Documenta- ry Collection — Wampler/Rosenberg (wie Anm. 2), Nr. 60.

so Vgl. FRUS 1955—1957, IV, S. 9 6 - 9 9 .

81 Textauszüge der Politischen Direktive in Sprechzettel für die Sitzung des Bundesverteidigungs- rats am 25.3.1958, BMVg, NHP-Archiv, Aktenmaterial Pommerin; Zur Diskussion und Annah- me der politischen Direktive durch den NATO-Rat vgl. BA, NL Blankenborn, Nr. 72 a, S. 54—57 und S. 1 1 6 - 1 2 3 sowie Nr. 71, S. 1 1 - 2 1 .

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1 2 0 M G M 52 (1993) Peter Fischer war jedoch eine verbindliche Verständigung der Minister darüber, daß auch die Schild- streikräfte über eine eigene nukleare Kapazität verfügen können sollten82. Als einer der Hauptpropagandisten dieser Forderung hatte sich der eben erst ins Amt gekommene neue deutsche Verteidigungsminister Strauß hervorgetan83. Im Hinblick auf den bereits zwei Jahre zuvor vom NATO-Rat gefaßten Nuklearisierungsbeschluß war diese Forderung als solche nur konsequent, bedeutete jedoch zugleich das definitive Ende des bisher von den kontinentaleuropäischen Verbündeten eingehaltenen nuklearpolitischen Moratoriums.

Damit war aber zugleich auch für die Bundesregierung ein neuer sicherheitspolitischer Kurs vorgezeichnet.

7. Sicherheitspolitischer Grundsatzstreit zwischen Verteidigungsministerium und Auswär- tigem Amt

Die Dynamik, die der neue Verteidigungsminister in Bonn in kürzester Zeit zu entfalten wußte, fand ihren nächsten Niederschlag in einem Abkommen, das Strauß wenige Wochen nach der Nato-Ratssitzung mit seinem französischen Amtskollegen Bourges Maunoury vereinbarte, und das umfassende technische und militärische Zusammenarbeit auf dem Rüstungsgebiet, die ausdrücklich auch die militärische Atomforschung mit einschließen sollte, zum Gegenstand hatte84. Ein entsprechendes Protokoll, das am 18. Januar 1957 in dem algerischen Wüstenort Colomb-Bechar von den beiden Verteidigungsministern unter- zeichnet wurde, sah u. a. auch die Bildung eines gemeinsamen Rüstungskomitees vor85.

Auf Seiten der Bundesregierung wurden indessen freilich auch schon bald erste erhebli- che interne Divergenzen über den neuen sicherheitspolitischen Kurs deutlich. So bezog man sich im Auswärtigen Amt mit Entschiedenheit auf den Teil der politischen Direkti- ve, der für die Schildstreitkräfte, im Sinne der angestrebten Flexibilität, die Aufrechterhal- tung einer konventionellen Reaktionsfähigkeit gefordert hatte, wohingegen das Verteidi- gungsministerium seinerseits die Passagen betonte, die die Notwendigkeit einer Beteiligung der europäischen NATO-Partner an der nuklearen Abschreckungskapazität des Bündnis- ses formulierten86. Daß dem Auswärtigen Amt der Straußsche Kurs nicht ganz geheuer war, kam u. a. auch darin zum Ausdruck, daß man dem Verteidigungsministerium Mitte Februar einen »Fragebogen zur Atom-Strategie« vorlegte87, offensichtlich mit der Hoff- nung vernüpft, auf diesem Weg näheren Aufschluß über die weiterreichenden Absichten des neuen Verteidigungsministers zu erlangen.

Dieser interne Dissens drohte jedoch offen zu eskalieren, als das Auswärtige Amt (AA) nur einen Monat später das Verteidigungsministerium durch eine eigene großangelegte sicherheitspolitische Initiative offen brüskierte. Ziel dieses Vorstoßes war es, die NATO zu einer Überprüfung der strategischen und wirtschaftlichen Grundlagen der Allianz auf-

82 Vgl. ebd., Nr. 69, S. 64 f.

83 Vgl. FRUS 1 9 5 5 - 1 9 5 7 , IV, S. 150.

84 Vgl. BA, NL Blankenhorn, Nr. 73, S. 2 3 8 - 2 4 1 .

85 Vgl. Colette Barbier, Les negociations franco-germano-italiennes en vue de l'etablissement d'une Cooperation militaire nucleaire au cours des annees 1956—1958, in: Revue d'Histoire Diplomati- que (1990), H. 1 - 2 , S. 8 1 - 1 1 3 , hier S. 81 ff.; Franz Josef Strauß, Die Erinnerungen, Berlin 1989, S. 311 f.

86 Vgl. BA-MA, Tagebücher de Maiziere, Ν 673, Η. 4, Eintragung vom 8.2.1957.

87 Vgl. Fragebogen A A zur Atom-Strategie vom 12.2.1957 (IV-A/C-2 - Az.: 9 5 1 - 2 0 - 2 4 11/57 str. geh.), BMVg, NHP-Archiv, Aktenmaterial Pommerin.

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zufordern. In erklärtem Gegensatz zur eben erst verabschiedeten Politischen Direktive, die nach Auffassung des Auswärtigen Amtes mit ihrer zu einseitigen Betonung der nukle- aren Abschreckungsstrategie durch die schon absehbare Entwicklung in Richtung auf ein atomares Patt zwischen den Großmächten bereits überholt war, sollten im Mittelpunkt dieser Uberprüfung eine Klärung des »Verhältnisses zwischen herkömmlichen und moder- nen Streitkiäften und Waffen« sowie der Möglichkeiten einer »gemeinsamen Erzeugung mo- derner Waffen« stehen88. An die NATO lanciert wurde diese Initiative, die am 16. März 1957 in Cadenabbia in kleinstem Kreis beim Bundeskanzler, aber ohne jegliche Beteili- gung von Strauß ausgearbeitet worden war, über den WEU-Ministerrat, der auf seiner Sit- zung am 18. März auf Antrag von Staatssekretär Walter Hallstein ein entsprechend vorbe- reitetes Kommunique verabschiedete, das Anfang April an die NATO weitergeleitet wurde89. Die massive Kritik des Verteidigungsministeriums an diesem Vorstoß — grund- legend beanstandet wurde sowohl die Art des Vorgehens, als auch die hier implizierte Infra- gestellung der NATO-Strategie — ließ denn auch nicht lange auf sich warten und führte zu einer offenen Erörterung dieser Kontroverse durch den Bundesverteidigungsrat90. Nach heftiger Diskussion gelang es Strauß schließlich, sich hier mit seiner Auffassung zur poli- tischen Direktive durchzusetzen91.

Ein neuer Konfliktgegenstand in dieser Debatte tauchte bereits Ende April auf, als das Militärkomitee der NATO den Regierungen der Mitgliedsstaaten den mittlerweile ausge- arbeiteten Entwurf einer neuen strategischen Richtlinie M C 14/2 (»Overall Strategie Con- cept for the Defence of the North Atlantic Treaty Area«) sowie eine Durchführungsvor- schrift M C 48/2 (»Measures to Implement the Strategic Concept«) zur Stellungnahme vorlegte92. Die Direktive M C 14/2, die an die Stelle des bis dato noch gültigen Dokuments M C 14/1 vom Dezember 1952 treten sollte, war eine Kodifizierung der massiven nuklea- ren Abschreckungsstrategie in Reinform, die für die konventionellen Streitkräfte nicht mehr als eine Stolperdrahtfunktion (»trip-wire«) vorsah93. Zwar wurde in dem Dokument durch- aus betont, daß die Schildstreitkräfte trotz anzustrebender Nuklearisierung im Falle einer lediglich lokalen Infiltration bzw. Aggression auch weiterhin über eine rein konventionel- le Reaktionsfähigkeit verfügen können sollten. Diese Flexibilisierung wurde jedoch zugleich durch die prinzipielle Feststellung wieder relativiert, daß die NATO über keinerlei Kon- zept eines begrenzten Krieges mit der Sowjetunion verfüge. In der internen Diskussion über M C 14/2 war es wiederum das Verteidigungsministerium, das sich mit seiner Posi- tion gegen das Auswärtige Amt erneut durchzusetzen wußte. So wurden beide Dokumente auf der Sitzung des Bundesverteidigungsrates am 6. Mai mit der Feststellung angenommen, daß eventuelle Änderungen bei der endgültigen Beschlußfassung durch den NATO-Mini- sterrat sehr wohl entschiedenere Formulierungen zur Verstärkung des Schildes, ausdrück- lich nicht aber zur Erweiterung der Definition des »lokalen Konfliktes« zum Gegenstand haben sollten94.

89 BA, NL Blankenhorn, Nr. 74 a, S. 125 f.

89 Vgl. ebd., S. 1 5 8 - 1 6 0 und Nr. 75 b, S. 1 8 4 - 1 8 7 .

90 Vgl. BA-MA, Tagebücher de Maiziere, Ν 673, Η. 5, Eintragung vom 8.4.1957.

91 Vgl. ebd., Eintragung vom 9.4.1957.

92 Vgl. Wampler, NATO Strategie Planning (wie Anm. 4), S. 44f.

93 Exzerpte zu M C 14/2 in Vermerk der Abt.FüB III des BMVg vom Novemberl960, BMVg, NHP- Archiv, Aktenmaterial Pommerin, und NHP/NSA Documentary Collection — Wampler/Rosen- berg (wie Anm. 2), Nr. 72.

94 BA-MA, Tagebücher de Maiziere, Ν 673, Η. 5, Eintragungen vom 27.4. und 6.5.1957.

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