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Komplexe Analysis in Sturm und Drang

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Komplexe Analysis in Sturm und Drang

- Karl Georg Christian von Staudt-Preis für Hans Grauert -

Otto Haupt stiftete den von Staudt-Preis. Der Preisträger wird der Otto und Edith Haupt-Stiftung der Universität Erlangen vom wissenschaftlichen Beirat der Gesellschaft für Mathematische Forschung vorge- schlagen. Am 12. November 1991 wurde der Preis zum ersten Mal verliehen und zwar an Prof. Dr. Dr. h. c.

mult. Hans Grauert aus Göttingen. Reinhold Remmert hielt dabei die folgende Laudatio.

1. Als ich 1960 nach Erlangen kam und Otto und Edith Haupt kennenlernte, war die französische Re- volution in der komplexen Analysis schon Geschichte und Grauert 's Kohärenzsatz, den die Gipfelstürmer zu Paris nicht hatten meistern können, schon ein klassisches Theorem. Meinen Antrittsbesuch bei den H aupt's habe ich in lebhafter Erinnerung: Wir dis- kutierten auch die neueren Fortschritte in der Ma- thematik. Otto Haupt war sehr wohl informiert über die Entwicklungen der fünfziger Jahre. Wir sprachen über das Theorem von Riemann-Roch-Hirzebruch- letzteren kannte er gut von dessen Assistentenzeit hier in Erlangen -, über Steinsehe Mannigfaltig- keiten und eben auch über Grauert's Kohärenzsatz und das Eindringen der Agronomie in die Mathe- matik mit ausdrucksstarken Begriffen wie "Garbe, Bündel, Halm, Faser, Keim, Schnitt'. Zum Kult- wort "kohärente Garbe" meinte Haupt, wer mit sol- chen Naturprodukten zu tun habe, müsse zutiefst kohärent sinnieren können.

Mir wurde die ehrenvolle Aufgabe übertragen, bei der heutigen ersten Verleihung des von Edith und Otto Haupt gestifteten Karl Georg Christi an von Staudt-Preises die Laudatio auf den Preisträger, Hans Grauert, zu halten. Sein knapp 40 Jahre währendes Schaffen weist nahezu 90 Publikationen auf. Wer die- ses CEuvre studiert, durchlebt eine Evolution der Ma- thematik und eine Revolution des mathematischen Denkens. Ich habe ein Florilegium zusammengestellt und möchte daran zeigen, wie der Laureat denkt, und wie er im Sturm und Drang der fünfziger Jahre zu dem Mathematiker wurde, der heute hier geehrt wird.

2. Mathematiker tun sich schwer, vor einem Au- ditorium nicht engster Kollegen über ihre Wissen- schaft zu sprechen. (Die Literatur zu diesem Problem ist groß. Ich nenne nur die Antrittsrede "Mathema- tik und Kultu,-J', die K. Knopp am 27. Januar 1927 an der Universität Tübingen gehalten hat, veröffent- licht in: Preussische Jahrbücher 211, 283-300, Ber- lin 1928. Knopp spricht uns allen aus dem Herzen;

ich zitiere hier frei nach Knopp.) Sie sind durchdrun- gen vom Wert und der Schönheit ihrer Erkenntnisse, aber es ist ihnen kaum vergönnt, dem Fernstehenden Einblicke in ihre Forschung zu geben. Unsere Gesell- schaft betrachtete Mathematik mit einem Gefühl von Hochachtung und hat dabei eine Gänsehaut: Man versagt der Mathematik nicht den Respekt, möchte

aber keine nähere Fühlung zu ihr; man preist sie als sicherste Form unserer Erkenntnis, überläßt die Betätigung darin aber neidlos anderen.

Die beinahe schmerzliche Verlegenheit, die Red- ner in Situationen wie heute hier befällt, hat zwei Ur- sachen: Zunächst einmal verstehen es die Mathemati- ker seit Felix Klein- dem großen Erlanger des Jahres 1872- nicht mehr, dem mathematischen Unterricht auf der Schule eine Form zu geben, die eine wahre Wirkung auf die Gesamtheit verbürgt (wir alle erin- nern uns mit Schaudern an den von vielen Pädago- gen gepriesenen Amoklauf der Mengenlehre). Noch weniger haben es die Mathematiker verstanden, ih- rer Wissenschaft im öffentlichen Leben die Stellung zu erhalten, die ihr in unserer Welt kraft ihrer vor- bildlichen Form und der Tragweite ihrer Inhalte zu- kommen sollte.

Aber in noch größerem Maß versagen sich dem Bürger die mathematischen Theorien selbst; es sei denn, daß er sie für sich kühn erobert. Mathematik wirkt bei Popularisierung schnell lächerlich, wie ge- rade Beispiele aus jüngster Zeit lehren: daher müssen die wahren Mathematiker schweigen, wenn bei feierli- chen Anlässen andere Wissenschaftler vor der Öffent- lichkeit sagen, welche Problerne sie gelöst haben und welche noch vor ihnen liegen. Mathematiker sind voll

Abb. 1 v. r.: K.P. Grotemeyer, R. Remmert, W. Ha.upt (Neffe des Stifters), H. Gra.uert, G. Rhode-Ha.upt, G. Jas- per (Rektor), C. Toepffer (Deka.n), G. Nöbeling

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R. Remmert

von herrlichen Dingen, die sie schauen, können sie aber nur den wenigen mitteilen, die zu ihnen kom- men und mit ihnen gehen. Den anderen können wir nur sehr allgemein, manchmal in Gleichnissen sagen, was in der Mathematik geschieht.

3. Unsere Wissenschaft hat viele Perioden der Umgestaltung erfahren. Die Wiege einer großen Perestrojka, die auch die komplexe Analy- sis verspätet erreichte und Grauert mitprägte, stand in Erlangen: Hier wurde am 23. März 1882 Amalie Emmy N oether geboren, hier war sie ein gern gesehe- ner Gast bei den Haupt's. Ihr Name steht heute für begriffliches abstraktes strukturelles Denken; sie be- reitete den Weg zum Junktoriellen Denken. Ihre ma- thematische Entwicklung ist umso erstaunlicher, da sie hier 1908 bei P. Gordan promovierte, einem Mann, der nur formal denken konnte (in seinen Arbeiten schrieb er nur die Formeln selbst, verbindende Texte fügten Freunde ein). Emmy ging 1916 nach Göttin- gen, wo sie schon bald "der Noether" hieß. Heinz Hopf erzählte einmal, daß E.Noether, fürwahr keine Topo- login, ihm und P. Alexandroff 1925 den heute selbst- verständlichen, damals visionären Rat gab:

Begründen Sie die Homologietheorie sim- plizialer Komplexe basisfrei (ohne Inzidenz- matrizen) mittels des Randoperators. Stel- len Sie statt Betti-Zahlen und Torsionsko- effizienten die Homologiegruppen selbst und die Homomorphismen zwischen ihnen in den Mittelpunkt.

Es ist müßig- wenngleich verlockend - zu spekulie- ren, ob bei normalen Verhältnissen in Deutschland in den 30er Jahren ein Bourbaki-Kreis um E. Noether, E. Artin und H. Hasse hätte entstehen können mit Gründungsmitgliedern (membres fondateurs) wie W. Krull und F.K. Schmidt (beide auch einige Jahre in Erlangen) B.L. van der Waerden, G. Köthe und den Noether-Buben F.A.H. Grell, M. Deuring, H. Fitting, E. Witt.

Emmy N oether geht ins Exil nach Bryn Mawr (Pennsylvania); die Contrebande ihrer Ideen aber fliegt über den Rhein ins Elsaß. Der Name Bourbaki steht heute für Frankreichs Mathematik mit Vertre- tern wie H. Cartan, C. Chevalley, J. Dieudonne, A.

Weil und vielen Nachgeborenen. Emmy Noether und Nicolas Bourbaki legten die Fundamente, auf denen im Sturm und Drang der fünfziger Jahre der junge Grauert und andere Wolkenkratzer errichten. Ist es Zufall oder der genius loci, daß Bourbaki wie die deutschen Stürmer und Dränger Schlüsselerlebnisse in Straßburg hatte: Dort trafen sich 1770 Goethe und Herd er; zu Straßburg diskutierten in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts Cartan und Weil; an einem Win- tertag Ende 1934 wurde dort wahrscheinlich Bour- bakigeboren (vgl. A. Weil: Souvenirs d'appr~ntissage,

Birkhäuser 1991, p. 104). Und schließlich begegneten sich in Straßburg im Mai 1957 erstmals H. Grauert und A. Grothendieck und tauschten ihre unabhängig voneinander entwickelten Ideen über Räume mit nil- potenten Elementen aus.

4. Bis 1949/50 war komplexe Analysis oder- wie man damals sagte - die Funktionentheorie mehre- rer komplexer Veränderlichen eine beschauliche ma- thematische Theorie. Man konnte sie lernen, wenn man etwas Deutsch und etwas Französisch konnte. Es gab lediglich zwei in die Jahre gekommene Bücher:

ein sog. Lehrbuch bei Teubner (2. Aufl. 1929) von W .F. Osgood aus Harvard und einen Ergebnisbericht bei Springer (1934) von H. Behnke und P. Thullen aus Münster. Daneben existierten einige Original- arbeiten in Deutsch und Französisch (Behnke, Ca- ratheodory, Cartan, Hartogs, Oka (in japanischem Französisch), Stein). Osgood hielt die Theorie aller- dings schon für so kompliziert, daß man darüber nur in Deutsch schreiben könne. Und Cartan soll Stu- denten, die mehrere komplexe Variable lernen woll- ten, immer gefragt haben: Können Sie Deutsch lesen?

Bei Verneinung sei sein Rat gewesen, sich ein anderes Gebiet zu suchen.

Die damalige Situation wird durch drei Zitate der Meister treffend beleuchtet:

"Malgre le progres recent de la theorie des fonctions analytiques de plusieurs variables complexes, diverses choses important re- stent plus ou moins obscures" (K. Oka, J.

Sei, Hiroshima Univ. 6, 1936).

"Trotz der Bemühungen ausgezeichneter Mathematiker befindet sich die Theorie der analytischen Funktionen mehrerer Varia- blen noch in einem recht unbefriedigenden Zustand" (C. L. Siegel, Math. Ann. 116, 1939).

"The theory of analytic functions of several complex variables, in spite of a nurober of deep results, is still in its infancy" (H. Weyl, Amer. Math. Monthly 58, 1951).

5. Hans Grauert beginnt das Studium im Sommer 1949 in Mainz. Zum Wintersemester 1949/50 kommt er in die verschlafene Provinz-Metropole Münster. Er kommt in eine Biedermeier-Idylle der Funktionen- theorie mit Reinhardtschen Körpern, mittelpunkta- treuen Automorphismen und gekerbten Dizylindern.

Er verläßt Münster 1957 und geht in die neue Welt nach Princeton. Die schöne heile Welt, wo man zu- frieden im engen komplexen Zahlenraum

cn

lebte,

ist nicht mehr. Komplexe Analysis hat jetzt ein an- deres Gesicht und bricht - mit Grauert - zu neuen Ufern auf.

(3)

Im Dezember 1949 trägt H. Cartan erstmals nach dem Krieg wieder in Münster vor. Er beschreibt sei- nen Besuch bewegt in Quelques souvenirs (Glück- wunschadresse zur Vollendung des 80. Lebensjah- res von Heinrich Behnke; Unikat, Springer 1978); er bringt damals - fast könnte man sagen: als Missio- nar- die großen neuen, z.T. noch etwas vagen Ideen der Faserbündel und kohärenten Garben nach West- falen, wo wir Jungen sie zaghaft aufgreifen. 1953 ist diese französische Revolution mit der Devise "il faut faisceautiser" schon vollendet; auf einem Collo- quium in Brüssel stellen H. Cartan und sein Schüler J-P. Serre den verblüfften Experten ihre Theorie der Steinsehen Mannigfaltigkeiten vor, die in zwei Theo- remen über Cohomologiegruppen mit Koeffizienten in kohärenten analytischen Garben gipfelt. Ein deut- scher Teilnehmer, heute hier unter uns, kommen- tierte damals lapidar: "Wir haben Pfeil und Bogen, die Franzosen haben Panzer". Wer das Ringen um die Beherrschung der neuen Ideen zeitnah miterleben will, möge die Briefe von Serre an seinen maitre Car- tan aus dem Jahre 1952 lesen; diese Pionierstudien wurden kürzlich unter dem Titel Les petits cousins im Band Miscellanea mathematica veröffentlicht.

6. Im Jahre 1952 beginnen Kähle~Mannigfaltig­

keiten ihren Siegeszug. Hans Grauert erhält 1953 ein kleines Stipendium, um diese Mannigfaltigkei- ten in Zürich bei B. Eckmann zu studieren. Nach fünf Monaten kehrt er nach Münster zurück und gibt seine Visitenkarte ab: Charakterisierung der Ho- lomorphiegebiete durch die vollständifJe K ählersche Metrik, Math. Ann. 131, 38-75 (1956), angekündigt in C.R. Acad. Paris 238, 2048-2050 (1954). Etliche unter Ihnen kennen diese Arbeit. Es wird u.a. mit Hilfe der Minimalflächeneigenschaft bewiesen:

Satz. Es sei G ein pseudokonvexes Gebiet im cn mit einem glatten reell-analytischen Rand; es gebe in G eine vollständige Kählersche Metrik. Dann ist G

ein H olomorphiegebiet.

Die Dissertation zeigt einen jungen Differenti- algeometer und harten komplexen Analysten. Wer zweifelt lese bitte nur den Beweis von Hilfssatz 8, der für 'satz 18 vonnöten ist. Behnke formulierte in seinem Gutachten milde: "Die Darstellung ist stellen- weise nicht leicht zu lesen".

Im Rigorosum werden komplexe Mannigfaltigkei- ten Riemann's Periodenrelationen, Modifikationen und der Hopfsche o--Prozess geprüft, die Promotion erfolgt am 30. Juli 1954.

War die Dissertation schon ein Fanfarenstoß, so ist die nächste Arbeit Charakterisierung der hola- morph vollständigen komplexen Räume, Math. Ann.

129, 233-256 (1955), ein Paukenschlag. Das Hauptre- sultat ist gänzlich unerwartet:

Theorem. Steinsehe Räume sind · genau die

holomorph-konvexen Gebiete über Zahlenräumen. X ist bereits Steinsch, wenn X holomorph-konvex und holomorph-ausbreitbar ist.

H. Cartan berichtet sogleich im Mai 1955 über das memoire inidit im Seminaire Bourbaki (Exp. 115);

das war der Ritterschlag durch die Mathematiker der Grande Nation. Auch deutsche Altordinarien, den Umtrieben der naseweisen Jugend in ihrem bourba- kistischem Sturm und Drang nach tieferem Verständ- nis durch Abstraktion abhold, sind angetan. Dies ist kein transzendentes Hokuspokus und fürwahr keine Lattenzaun-Mathematik:

Es war einmal ein Lattenzaun

mit Zwischenraum, hindurchzuschaun.

Ein Architekt, der dieses sah, stand eines Abends plötzlich da - und nahm den Zwischenraum heraus und baute draus ein großes Haus.

Allerdings: Funktionentheorie, wie sie Behnke, Carathiodory und Hartogs verstanden, ist das nicht mehr. Wo sind die Funktionen geblieben? Was ist ei- gentlich komplexe Analysis? Eine Antwort gibt der Laureat 1991:

It is more difficult to construct holomorphic and meromorphic functions of several com- plex variables than those of one variable. Complex analysis ( of several complex varia- bles) is rather a special kind of geometry than an analysis of properties of functions (H. Grauert: The Methods of the Theory of Functions of Several Complex Variables, Mise. math., 129-143, SV 1991).

7. Ab 1955/56 studiert Grauert das Oka-Prinzip, das durch frühere Beiträge von Oka und Stein Aufse- hen erregt hatte. Dieses Prinzip läßt sich vage (und nicht korrekt) wie folgt formulieren:

Komplex-analytische Probleme, die stetige Lösun- gen haben, besitzen auch holamorphe Lösungen.

Lösungshindernisse sind topalogischer und nicht ana- lytischer Natur.

Das Problem, diesem Prinzip eine präzise und möglichst weite Form zu geben, ist seit dem Brüsse- ler Colloquium 1953 aktuell; J. Frenkel zeigte 1955 seine Gültigkeit für holomorphe Faserbündel über Steinsehen Räumen mit auflösbarer Struktur- gruppe. Mit einem weiteren Paukenschlag verleiht Grauert dem Oka-Prinzip eine beängstigende All- gemeingültigkeit. Die Habilitationsschrift mit dem harmlosen Titel Rungesehe Approximationssätze und analytische Faserräume erscheint als Trilogie in schneller Folge in den Mathematischen Annalen:

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R. Remmert

Approximationssätze für holamorphe Funktio- nen mit Werten in komplexen Räumen, MA 133, 139-159 (1957),

Halomorphe Funktionen mit Werten in komple- xen Lieschen Gruppen, MA 133, 450-472 (1957), Analytische Faserungen über holamorph- vollständigen Räumen, MA 135, 263-273 (1958).

Was wird nun bewiesen? Man kann es einfach sa- gen: Auf Steinsehen Räumen sind topalogische Fa- serbündel stets holomorphe FaserbündeL Um das zu präzisieren, betrachtet man zunächst über einem (reduzierten) komplexen Raum X ein holamorphes Faserbündel E, dessen Faser eine komplexe Liesche Gruppe G ist. Man bildet die Garbe fa bzw. fc der Keime von holamorphen bzw. stetigen Schnitten in E und die zugehörigen Cohomologie-Mengen H1(X, fa)

bzw. H1(X, fc). Die natürliche Inklusion fa '--+ fc induziert eine Abbildung H1(X, fa)-+ H1(X, fc).

Oka-Grauert-Prinzip: Ist X ein Steinscher Raum, so ist H1(X, fa) ~ H1(X, fc) eine Bijektion.

Die Cohomologieklassen aus fa bzw. fc wer- den durch analytische bzw. stetige E-Prinzipalbündel repräsentiert. Ein wichtiger Schritt zum Beweis des Fundamentalsatzes ist folgendes

Lemma. In einem holamorphen E-Prinzipalbün- del über einem Steinsehen Raum ist jeder stetige Schnitt homotop zu einem holamorphen Schnitt.

Hier sind einige Anwendungen des Prinzips.

Korollare. 1) Hat E stetige Schnitte, so hat E auch holamorphe Schnitte.

2) Jede topalogisch parallelisierbare Steinsehe Man- nigfaltigkeit ist komplex-analytisch parallelisierbar.

3) Alle holamorphen Vektorbündel über

cn

sind ana-

lytisch trivial.

Grauert's Beweis beruht auf Approximations- Techniken (erste Annalen-Arbeit). Allein das Verste- hen seiner Resultate und die formal-technische (noch nicht kreative) Beherrschung des Kalküls stellen - auch an Berufs-Mathematiker- höchste Anforderun- gen.

Doch es gibt die Macht der Gewohnheit. Man fühlt sich an Jacobi- den großen Mann aus Königs- berg und Berlin und Republikaner der 1848er Wirren -erinnert, der einstens treffend bemerkte:

"Da es nämlich in der Mathematik darauf ankommt, Schlüsse auf Schlüsse zu häufen, so wird es gut sein, so viele Schlüsse als möglich in ein Zeichen zusammenzuhäufen.

Denn hat man dann ein für alle Mal den Sinn der Operation ergründet, so wird der sinnliche Anblick des Zeichens das ganze Räsonnement ersetzen, das man früher bei

jeder Gelegenheit wieder von vorn anfangen mußte."

Im Oka-Grauert-Prinzip ist dieses Zeichen wohl der Pfeil ~ . . Das Prinzip wurde übrigens vor kurzem von Gromov auf elliptische Bündel verallgemeinert.

Herr Grauert erlaubt sich am 16. Oktober 1956, der Fakultät seine Habilitationsschrift vorzulegen und den Antrag auf Habilitation zu stellen. Ein Fa- kultätsmitglied hatte anläßlich der Vorlage in der Fakultät bereits am 19. Juli 1956 befürwortend ge- schrieben: "Dr. Grauert hat ein wissenschaftliches Ni- veau erreicht, auf dem die Habilitation das natur- gemäß anzustrebende Ziel darstellt." Die venia le- gendi wird am 8. Februar 1957, einem für den Ha- bilitanden auch sonst wichtigen Datum, erteilt; nach einem Kolloquium über "Vektorfelder auf Sphären".

Er hält seine Antrittsvorlesung am 23. Februar 1957 über das Thema: "Der Homotopiebegriff". Ich möchte Ihnen aus Gutachten zweier Referenten vor- lesen. Der erste schreibt (18.12.1956):

"Es ist Herrn Dr. Grauert gelungen, ganz allgemein eine Isomorphie zwischen den to- pologischen und analytischen Faserräumen mit einem holamorph-vollständigen kom- plexen Raum als Basis . . . nachzuweisen und damit das Programm auszuführen, das sich die Pariser Kollegen gestellt hatten.

... Alle Beweise sind mit großem Scharf- sinn durchgeführt und zeigen, daß Dr. Grau- ert die modernen Methoden der Topolo- gie und der Funktionentheorie souverän be- herrscht. Wie hoch die Arbeit von dem be- sten Sachkenner auf diesem Gebiet, unse- rem Ehrendoktor Henri Cartan (Paris) an- gesehen wird, mag man an Folgendem er- kennen. Als Cartan im Juli 1956 das vorlie- gende Manuskript studieren konnte, wech- selte er das Thema für seine Vortragsreihe, das er für das internationale Symposion in Mexiko, August 1956, angekündigt hatte.

Er trug nunmehr über die Grauertsche Ha- bilitationsschrift vor."

Henri Cartan bedauert es, heute nicht hier sein zu können. Er hat mich gebeten, dem Preisträger in die- ser Stunde einen Brief zu überreichen, aus dem ich später noch zitieren werden.

Der andere Gutachter schreibt etwas mehr zum Inhalt (29.12.56):

"Die Beweise dieser weittragenden Sätze be- ruhen auf Aussagen über die Approxima- tion von Funktionen, die in einem hola- morph vollständigen Raum X holomorph sind, durch Funktionen, die in einem ge- genüber X passend erweiterten Raum

X

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holomorph sind. Die Aussagen werden auf Homotopierelationen, die also die stetige bzw. analytische Verzerrung von Abbildun- gei]. betreffen, zurückgeführt. In jedem Falle handelt es sich darum, nachzuweisen, daß ein bestimmter Effekt, der durch stetige Funktionen hervorgerufen wird, auch durch analytische Funktionen hervorgerufen wer- den kann ... An diesen Stellen liegen die in- haltlichen Fundamente der Beweisführung, denn hier sind Existenzbeweise durch ana- lytische Konstruktionen zu führen. Dem- gemäß verdichten sich die Darlegungen hier zu einer sehr geduldig durchgeführten und ebenso erfreulich konkreten wie komplizier- ten Epsilontik .... "

8. Meine Anthologie enthält keine Arbeiten, die Grauert mit anderen gemeinsam geschrieben hat. So nenne ich als nächstes seine Lösung des Levir Problems: 1911 zeigte E.E. Levi, daß Ränder von Ho- lomorphiegebieten Eigenschaften haben, die an Kon- vexität erinnern. Man spricht von pseudokonvexen Gebieten. Es war lange ein offenes Problem, ob Levi's lokale Pseudokonvexität des Randes die Holomor- phiegebiete charakterisiert. Dieses sog. Levische Pro- blem wurde 1942 für Gebiete im C2 von K. Oka und 1954 von H. Bremermann und F. Norguet für Ge- biete in allen Räumen

cn,

n

:S

2

<

oo, gelöst. Grau- ert verläßt nun 1958 die Zahlenräume ganz. In einer kurzen Arbeit

On Levi 's problem and the imbedding of real-analytic manifolds, Ann. Math. 68, 460- 472 (1958)

beweist er folgendes

Theorem. Ist M irgendeine komplexe M annig- faltigkeit, so ist jedes relativ-kompakt in M liegende streng pseudokonvexe Gebiet G holomorph-konvex.

Er approximiert reell-analytisch und benutzt wie selbstverständlich den Garbenkalkül; wesentlich ist z.B., daß alle Cohomologiegruppen Hq(G, 0), q

>

1, endlich-dimensionale C-Vektorräume sind.

Da sich um jede reell-analytische Mannigfaltig- keit mit abzählbarer Topologie streng pseudokonvexe komplexe Schläuche legen lassen, hat die Lösung des LevirProblems en passant zur Folge:

Jede reell-analytische Mannigfaltigkeit mit abzähl- barer Topologie ist reell- analytisch in einen Raum RN einbettbar.

Damit war ein Problem gelöst, das H. Whitney bereits 1936 in seiner Annals-Arbeit Differential Ma- nifolds als "Fundamental problem" formuliert hatte: Can any analytic manifold be mapped in an analytic manner into Euclidean space?

Grauert's Lösung des Levischen Problems ist ein Paradigma für Felix Klein's Überzeugung, daß die Mathematik wächst, "indem man alte Probleme mit neuen Methoden durchdenkt".

9. In Princeton lernt Grauert 1957 im "nothing- seminar" von K odaira und Spencer die Deformati- onstheorie komplexer Mannigfaltigkeiten kennen. Die beiden hatten, z.T. in Zusammenarbeit mit Niren- berg, eine "Teichmüller-Theorie" für höhere Dimen- sionen entwickelt und mit Hilfe der Theorie harmoni- scher Integrale tief liegende Resultate gewonnen, z.B.

Halbstetigkeitssätze für Dimensionen von Cohomolo- giegruppen. Grauert sieht schnell, daß sich viele Sätze dieser Theorie durch einfache algebraische Schlüsse ergeben, wenn die Kohärenz von Bildgarben gesi- chert ist. Dann folgen sogar weitere interessante Ei- genschaften platter analytischer Scharen komplexer Strukturen über beliebigen komplexen Räumen. So beginnt er, den Kohärenzsatz zu beweisen. Nach eini- gen Monaten beharrlicher Meditation ist's gelungen;

in der Arbeit

Ein Theorem der analytischen Garbentheorie und die Modulräume komplexer Strukturen, Publ. Math.

IHES, Nr. 5, 233-292 (1960), wird mit einer neuen Potenzreihentechnik und Meßüberdeckungen gezeigt:

Hauptsatz I (S. 287). Es seien 1!' : X -+ Y eine eigentliche holamorphe Abbildung eines komple- xen Raumes X in einen komplexen Raum Y und S eine kohärente analytische Garbe über Y {sie!}. Dann sind die Bildgarben 1rt(S), l

=

0, 1, 2, ... kohärente analytische Garben über Y.

Dieses Theorem und die zu seiner Beherrschung entwickelten Methoden erregen weltweit Aufsehen. Die Endlichkeitssätze von Cartan-Serre sind triviale Korollare. Auch Göttingen, wo C.L. Siegel gegen al- les Moderne der letzten 100 Jahre grollt, zollt Re- spekt: Grauert geht 1959 als Siegel-Nachfolger an die Georgia-Augusta.

10. In der IHES-Arbeit treten erstmals komplexe Räume auf, deren holomorphe Funktionen dem geo- metrischen Auge unsichtbar bleiben: Sie können nil- potent sein. Die Idee, solche Räume einzuführen, hat- ten Grauert und Grothendieck unabhängig vonein- ander 1957: Man muß nilpotente Elemente zulassen, will man die ganze Kraft der auf E. Noether zurück- gehenden Methoden der algebraischen und analy- tischen Geometrie dienstbar machen (infinitesimale Umgehungen). Bei der Begegnung im Mai 1957 in Straßburg tauschen Grauert und Grothendieck ihre Ideen aus, die bald darauf die analytische und alge- braische Geometrie revolutionieren werden. Die Luft wird noch einmal dünner, aber zugleich klarer. Be- ste Mathematiker haben Mühe, das neue Denken zu lernen. So trägt Grothendieck bei seinen Vorträgen 1958 in Harvard stets eine von J. Tate beschriftete

(6)

R. Remmert

kleine Karte in der Brusttasche, die er in Diskussio- nen hervorzieht: "There may be nilpotent elements in it". (Quelle: The unreallife of Oscar Zariski by Carol Parikh, Acad. Press 1990, S. 155). In den frühen 60er Jahren ist dann alles schon Geschichte: Die neuen Räume heißen wieder schlicht algebraische bzw. kom- plexe Räume.

Bei Verallgemeinerungen von Grundbegriffen ist äußerste Vorsicht geboten: Es ist nur menschlich, daß auch vielfach ein billiges und bequemes Verallge- meinern um des bloßen Verallgemeinerns willen vor- kommt: ein Verallgemeinern durch Verdünnen, das nur Luftsprünge ausführt und die Substanz nicht ver- mehrt, sondern guten Wein nur durch zugeschüttetes Wasser streckt. Fruchtbare Verallgemeinerungen tref- fen den Kern und vertiefen das Verständnis. Genau das geschieht bei Grothendieck und Grauert: Das Nil- potente lauerte seit den Griechen im Verborgenen:

z.B. bei der Parabel y

=

x2 im Nullpunkt des Arti11r Ringes R[x]/(x2);jetzt- nach mehr als 2000 Jahren- wird es an die Oberfläche der Verstandeswelt gezogen und von heute auf morgen zu einem Begriff, ohne den algebraische und analytische Geometrie nicht mehr denkbar ist.

In H. Weyl's Besprechung des 2.ten Grundleh- renbandes von Courant und Hilbert steht der schöne Satz:

"When one has lost oneself in the ftower gar- dens of abstract algebra and topology, as so many of us do nowadays, one becomes aware here once more, perhaps with some surprise, of how mighty and fruitbearing an orchard is classical analysis" (Bull. AMS 44, 1938).

Mich deucht, daß diese Zeilen auch in einer Bespre- chung der IHES-Arbeit von Grauert hätten stehen können. Wie schweißtriefend Grauertin seinem Obst- garten arbeiten mußte, läßt die Textseite aus Abb. 2.

ahnen.

Vielleicht ist hier eine Variation einer Maxime von Plutarch tröstlich:

"Wenn Euch ein Werk durch Tiefe und An- mut entzückt, folgt nicht notwendig, daß Ihr es ganz versteht"

11. Richtungsweisend für die transzendente alge- braische Geometrie wurde die Arbeit Über M odifika- tionen und exzeptionelle analytische Mengen, Math.

Ann. 146,331-368 (1962). Sie ist reich an neuen Ideen und tiefen Sätzen, ich greife vier Höhepunkte heraus: a) Lemma über das Zusammenblasen analyti- scher Mengen. Eine nirgends diskrete kompakte ana- lytische Menge A in einem komplexen Raum X läßt sich genau dann "komplex analytisch zu einem Punkt

zusammenblasen", wenn es eine streng pseudokon- vexe Umgebung U(A) C X gibt, so daß A eine maxi- male kompakte analytische Menge in U(A) ist.

/

--- "'

Abb. 3 Zusammenblasen

Damit wurde ein Problem gelöst, das seit H.

Hopfs Studien über den cr-Prozess (1948) großes In- teresse gefunden und die Theorie der Modifikationen mitbegründet hatte.

b) Projektivitäts-Kriterium. Ein reduzier- ter kompakter komplexer Raum X ist genau dann projektiv-algebraisch, wenn es ein schwach negatives

Vektorraumbündel V über X gibt.

Dabei heißt ein holamorphes Vektorraumbündel V schwach negativ, wenn der Nullschnitt in V relativ kompakte offene streng pseudokonvexe Umgehungen besitzt. Dieses Kriterium und seine vielen Varianten gehören heute zum Handwerkszeug jedes komplex- algebraischen Geometers.

c) Fundamental-Theorem. Jeder normale H odge-Raum ist projektiv algebraisch.

Unter einem Hodge-Raum wird hier ein kom- pakter komplexer Raum X mit einer K ählermetrik ds2 verstanden, deren Periodenklasse im Bild von H2(X, Z) liegt.

Das Fundamentaltheorem steht in einer großen Tradition: Es krönt Untersuchungen, die Riemaim 1857 begann und die Poincare und Wirtinger- nach vergeblichem Bemühen von Weierstrass- zum Ab- schluß brachten:

Ein n-dimensionaler kompakter komplexer Torus

cn

;r

2n ist genau dann eine abelsche ( = projektiv al- gebraische) Mannigfaltigkeit, wenn das Gitter

r

2n die

Riemannschen Periodenrelationen erfüllt.

Lefschetz hat 1921 dieses mysteriöse Theorem neu durchdacht. Doch in ihrem Kern wurden die Pe- riodenrelationen erst 1954 verstanden: Damals be- wies K odaira unter Verwendung von Ideen von H odge seinen großen Satz, daß H odge-Mannigfaltigkeiten stets projektiv-algebraisch sind; das Torustheorem war Katalyt und wurde Anhängsel. Grauert's Verall- gemeinerung des K odairaschen Satzes erforderte wie- der neue Methoden, sie sind so kräftig, daß Kodairas Resultat mitbewiesen wird.

(7)

HANS

GRAUERT

em Doppelkomplex, da alle Durchschnitte

u i, ... ik'

v

••...

• A holamorph-vollständige Räume

sind,

folgt aus dem Theorem B von H. CARTAN, daß o und

;). sogar exakt sind.

Wir definieren für

· C~·x

eine Pseudonorm. Jede Kokette

C:={;;, ... ik·'•· ... JEC~·A

ist,

wenn i0, ••• , ik

festgesetzt

werden, eine

Kokette t:;, ...

;kECx(*UnV"(p), Sd),

*U=UI:l

... ;k(p).

Wir setzen

IIC:II~:=maxiiC:;, ... ikll~v•up·

Aus Satz

6

folgt

sofort:

t, .. 0 'k

(I) Es sei A =I=

0.

Dann gibt es zu jeder endlichen Kokette t: E

c:·

A mit

vC:

= 0 eine

Kokette 'Y)

E

c:~11' für die O'Y)

= t:

gilt. Die Zuordnung t: -+'Y) ist in be;;:,ug auf die Normen II C: II~~'

I h

ll~d+

1,

P unabhängig von ( p1 , d) linear beschränkt.

Satz 7 ergibt

:

(2)

Die Zuordnung

C:-+C:'ECk(U(p), Sd)

mit C:EC:·

0

und oC:=o ist in be;;:,ug auf die Normen

II C:

II~P'

II

C:'

II

Up unabhängig von ( p1 , d) linear beschränkt.

Wir definieren :

z~.x ={; E C~·A

: ot: = oC:

= 0 },

k>o,

A~O,

ßk,X = o..,ck-1, X-1

V V V )

k>o t..>o

) )

Be·x = og

ECe·x-1

:

ot: = 0 },

t..>o,

B~·0 =o{;EC~-1·0 : JC:=o},

k>o, Be·o ={;Ece·

0,

ot:=;).t:=o}

und setzen (1)

Hk·

x

= zk, AJBk·

A

V V V

Es sei C:

=

{;,, ...

,JE Z1

(V (p), Sd) ein Kozyklus mit II C:

JJ~P <

M. Wir definieren e1mge Folgen von Koketten :

C:v

. { C:;, ..

.

iv,

'• ... ,,_J E

Z~·;-v,

V=

0, . . . , /.

Zv=((

... iv, ••...• ,_)

EZ~~ 1 -"(V2v(p), v2v(P)), V=

I, . . . , l.

{ } Cv-11-v

/

'YJv= 'Yli, ...

iv-••'•···'t-v E 2v-'1

'V=I, ...

,

lJv={~ •... i"_,,

'•

···'t-J ECv-

1,1- v(V2v

-

1(p), V2v

-

1(p)), v

= I, . . . , l.

Y

V

={"'

llo

· .

\,1 _ 1, Lo •. Lt-V-J

}EC"-

1•1-"-1

(V (p) V

2V ) 2V

(p))

) v -- I ) •) l - I

Y1

={r ••..

.

;J EC1(V21( p)).

Wir setzen zunächst C:;,,,, ...

,, =

C:,, ... ,, und erhalten C:O· Es

werde

dann

'Ylv so

bestimmt, daß

;).'Ylv = C:v_

1 ist. C:v sei O'YJv· Die Definition von

llv

ist besonders einfach :

v(v- •1

llv =

( - I)

- , -{C:;, ...

"'- ·· ,, ... ,,_"} mit t:;, ... '"-•' ,, ... ''-"

=

~ ••..

.

"'"'-· "''• ... ""'-•. Setzen

w1r

Zv = ol)", so gilt offenbar : ;).llv = ~-1> ;).lll = t:o (Man beachte, daß alle Koketten anti-

kommutativ in ihren Indizees sind). Yv wird so gewählt, daß

;).yl = lll-'Yll> Jyv = llv-'Ylv- 0Yv

-

1

( 1) Die Beweisidee ist, daß wir zeigen :

Hk(V( ) S )

p,d~o~1 ~ Hk,O ~

Hk-1,1

~ .. ~ ~k~ HO,k ~

Hk(U( ) S ) P,d.

274

Abb. 2 aus IHES Publications Mathematiques, no. 5 (1960)

(8)

R. Remmert

d) Kompakte algebraische Flächen. Es gibt zusammenhängende, kompakte, 2-dimensionale, nor- male komplexe Räume X mit einer einzigen Singula- rität, so daß auf X zwei analytisch unabhängige me- romorphe Funktionen existieren und X dennoch nicht projektiv-algebraisch ist.

Solche Beispiele waren für viele unerwartet: Nach einem Satz von Chow und Kodaira gibt es sie für glatte Flächen nicht. Hironaka hat später besonders einfache Beispiele gefunden; er bläst 10 Punkte auf einer elliptischen Kurve im P2 auf und dann eine el- liptische Kurve nieder.

12. Die Kategorie der Grauert-Grothendieck Räume hat sich in der Deformationstheorie komple- xer Räume als zu eng erwiesen. 1974 gibt Grauert einem Satz von Kuranishi die finale Form, in seiner Arbeit Der Satz von Kuranishi für kompakte kom- plexe Räume, lnv. Math. 25, 107-142 (1974) zeigt er:

Satz. Jeder kompakte komplexe Raum X besitzt eine holamorphe Deformation

(X,

1r, B), die in 0 E B versell und in allen Punkten t E B vollständig ist.

Für Mannigfaltigkeiten hatte dies Kuranishi schon 1961 bewiesen (Ann. Math. 75, 536-577), seine Methoden verwenden fast-komplexe Struk- turen und harmonische Analysis. Wenn Singula- ritäten vorkommen, versagen diese Techniken: Grau- ert arbeitet in der Kategorie der banachanalytischen Räume mit nilpotenten Elementen; er betrachtet dabei "Astralräume", die "komplexe Räume ohne Punkte" enthalten (loc. cit. S. 119). Fürwahr ein schönes Beispiel zur Dedekindschen These, daß ma- thematische Schöpfungen freie Kinder Gottes sind, Schöpfungen des gestaltenden Geistes, so gut wie ohne jede Bindung an äußere Objekte. Fast zur glei-

chen Zeit gaben Douady, Hubbard und Pourcin einen

Beweis. Die Übertragung des Kuranishischen Sat- zes von Mannigfaltigkeiten auf Räume galt als sehr schwierig. Ein prominenter Kollege urteilte in den späten 60er Jahren in The N ew Encyclopaedia Bri- tannica:

Despite the efforts of many people, the cor- responding problern for an arbitrary com- pact complex space remains unsolved. This is certainly among the most important que- stions in complex analysis.

Grauert löste die zentralen Probleme der Deformati- onstheorie mit so schlagender Gewalt, daß der ganzen Theorie darüber fast der Atem ausging.

13. Grauert's Schaffen ist nicht auf die komplexe Analysis beschränkt. Ich nenne hier nur zwei Gebiete:

Da ist einmal die rigide analytische Geometrie, deren Entwicklung er nach Erscheinen (1962) der private notes Rigid Analytic Spaces von J. Tate entscheidend

beeinflußte. Da ist weiter seine Arbeit Mordells Ver- mutung über rationale Punkte auf algebraischen Kur- ven und Funktionenkörpern, Publ. IHES, Nr. 25, 364- 380 (1965). Haben in den Beiträgen zur rigiden analy- tischen Geometrie die Methoden noch ihren komplex- analytischen Ursprung im Weierstrassschen Vorbe- reitungssatz, so ist Grauert in seiner zweiten !RES- Arbeit ganz Algebraiker. Er beweist hier für Funk- tionenkörper den Satz, der 1984 von G. Faltings für Zahlkörper bewiesen wurde. In einer Vorlesung 1966 am Tata-lnstitute in Bombay schreibt P. Samuel mit offensichtlicher Verwunderung:

"The algebraist Manin has given an analy- tic proof, in which k

=

C .... The analyst

Grauert gives a purely algebro-geometric proof, a large part of which is valid in cha- racteristic p

#

0."

14. In den letzten Jahren hat Grauertsich intensiv mit analytischen Äquivalenzrelationen beschäftigt. In dieser Theorie geht man von einem reduzierten kom- plexen Raum (X, Ox) und einer Äquivalenzrelation

"" auf X aus. Zu "" gehört in kanonischer Weise ein topologischer Raum Y := X/ "" mit einer Struk- turgarbe Oy und einem Morphismus 1r : X -+ X/ ""

geringter Räume.

Man fragt: Wann ist (Y, Oy) wieder ein komple- xer Raum? Notwendig dafür sind gewiß folgende Ei- genschaften:

"" ist eine analytische Äquivalenzrelation: Der Graph von "" in X x X ist eine analytische Menge.

X/ ""

ist lokal holamorph ausbreitbar: Jeder

Punkte y E Y hat eine offene Umgebung V, so daß die Äquivalenzrelation der Separation "y ~

y

<=> f(y) =

f(y)

für alle

f

E Oy(V)" diskret auf V ist.

Bereits 1960 zeigte Cartan, daß bei eigentlichen Äquivalenzrelationen diese Eigenschaften auch hin- reichend dafür sind, daß (Y, Oy) ein komplexer Raum ist. Grauert zeigt nun in seiner Arbeit Set Theore- tic Camplex Equivalence Relations, Math. Ann. 265, 137-148 (1983):

Satz. Sei (X, Ox) semi-normal und mit abzähl- barer Topologie; sei "" eine semi-eigentliche analy- tische Äquivalenzrelation, so daß X/ "" lokal hola- morph ausbreitbar ist. Dann ist (Y, Oy) ein schwach normaler komplexer Raum.

Doch ist dies nur ein Präludium zur tieferen Theo- rie der meromorphen Äquivalenzrelationen. Auch hier gelang es Grauert, abschließende Resultate zu erhalten, die alte Ideen von Stein zu Ende führen.

15. Ein Encomium soll auch etwas über den Men-

schen sagen. Das hehre Wort "L'homme n'est rien, l'reuvre tout" von G. Flaubert (Brief an G. Sand, 31. Dez. 1875) möge heute nicht gelten. Grauert ist ein Aristokrat unter den Mathematikern, einfach und

(9)

sparsam m semen Gewohnheiten. Als er 1969 fe- derführender Herausgeber der Mathematischen An- nalen wird, nimmt er die Herausforderung an. Die Situation der Annalen damals läßt sich mit zwei Sätzen beschreiben: Auf der Bonner Arbeitstagung 1970 fragte mich ein eminenter amerikanischer Kol- lege: "Do you believe that MA will improve now?"

Auf der Arbeitstagung 1972 gab er die Antwort:

"Congratulations, one has to read MA again."

Schon der junge Doktor hatte - geprägt durch her- vorragende Lehrer-, was man vornehm mit "mathe- matische Kultur" umschreibt. Je nach Bedarf denkt er analytisch oder geometrisch oder algebraisch. Seine Mathematik ist nicht, wie Jacobi einmal formulierte, eine Wissenschaft, bei der sich alles von selbst ver- steht. Er hat uns gezwungen, die Probleme als wich- tig anzusehen, die er als wichtig betrachtete. Aus der Fülle seiner Ideen konnten Schüler und Kollegen stets aufs Neue schöpfen. Mancher Satz, der heute einen anderen Namen trägt, geht auf ihn zurück.

Im vorhin überreichten Brief schreibt Cartan:

"Vous avez reussi

a

resoudre des problemes de la theorie des fonctions analytiques de

plusieurs variables complexes qui etaient consideres comme presentant des difficultes insurmontables."

Sie möchten auch kritische Töne hören? Nun, ich enthalte mich eines jedweden Krokylegmus und begnüge mich mit dem schönen Satz, den Lessing in seinem Laokoon über den von ihm hochgeachteten Herrn Winkelmann schrieb:

Es ist kein geringes Lob, nur solche Fehler begangen zu haben, die ein jeder hätte ver- meiden können.

Überall gibt es Könige und Kärrner. Hans Grau- ert ist - um mit Kronecker zu sprechen - König und Kärrner zugleich. Er geht - unbehelligt vom Zeitgeist - seinen Weg, immer den weisen Chine- sen beherzigend: Wer zur Quelle will, muß gegen den Strom schwimmen.

Anschrift des Autors:

R. Remmert

Mathematisches Institut Einsteinstr. 62

4400 Münster

K. P. Grotemeyer als Rektor verabschiedet

Am 8. Oktober 1992 ging in Bielefeld die 23-jährige Amtszeit des Rektors Grotemeyer mit einem Festakt zu Ende. Die nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin würdigte seine Verdienste um die Universität Bielefeld, der er ein "unverwechselbares Profil und eine erstaunliche Innovationsfähigkeit" verliehen habe. K.P.

Grotemeyer ist seit 32 Jahren Schatzmeister der DMV und seit 24 Jahren Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates in Oberwolfach. Eine Ausdauer, die ihm den Beinamen "Permanenz" eingetragen hat. Der Westfalen- Verlag hat eine Festschrift verlegt, aus der hier mit Zustimmung von Verlag und Autor der Beitrag von Walter A. Deuber übernommen wird.

Am 8. September 1927 wurde Karl Peter Gro- temeyer in Osnabrück geboren. Seine Jugend- und Schulzeit verbrachte er in Hahlen. Er besuchte das Besselgymnasium in Minden. 1943 wurde er Luft- waffenhelfer, 1944 Soldat. Nach seiner Entlassung aus englischer Kriegsgefangenschaft bewirtschaftete er zunächst einen großen Hof. 194 7 begann er, in Göttingen Mathematik mit den Nebenfächern Phy- sik und Astronomie zu studieren. Trotz der erschwer- ten Bedingungen, die damals das Studieren prägten, promovierte Grotemeyer bereits 1951 bei G. Lyra und Th. Kaluza mit einer Arbeit über Flächentheorie im Großen. Ein Forschungsstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft ermöglichte es ihm, in der Differentialgeometrie weiterzuarbeiten. Seine Spezia- lität waren die Erarbeitung von Integralformeln auf der Grundlage der klassischen Integralsätze und de- ren Einsatz in der Flächentheorie. Mit die,sen Mitteln

ging er vorwiegend Fragen der globalen Differential- geometrie an, so z.B.:

- die Frage der Kongruenz isometrischer Flächen im R3 , wobei er insbesondere den Fall berandeter Flächen behandelte. Der zentrale Aspekt ist dabei die eindeutige Bestimmtheit durch die Metrik. - In anderen Untersuchungen beschäftigte er sich mit der infinitesimalen Unverbiegbarkeit - das heißt Starrheit - von Flächen, z.B. von sogenannten Mützen.

- Eine größere Zahl von Arbeiten beschäftigte sich mit der Kennzeichnung von Sphären und Af- finsphären durch Krümmungseigenschaften in der Klasse der Eißächen.

- Schließlich untersuchte er Eindeutigkeitsfragen bei Abbildungen durch parallele Normalen, das heißt, er fragte bei vorgegebener Krümmungsfunktion auf dem Normalenbündel nach der Eindeutigkeit der Flächen.

Abbildung

Abb.  1  v.  r.:  K.P. Grotemeyer,  R.  Remmert,  W.  Ha.upt  (Neffe des Stifters), H
Abb.  3  Zusammenblasen
Abb. 2  aus  IHES  Publications  Mathematiques,  no.  5 (1960)

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