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Überlegungen zum Verhältnis von Theorie und Praxis der Denkmalpflege im 20. Jahrhundert – Das Beispiel Split

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Achim Hubel

Überlegungen zum Verhältnis von Theorie und Praxis der Denkmalpflege im 20. Jahrhundert – Das Beispiel Split

I. Die Entdeckung des Ensembles: Der Streit um die Stadterhaltung von Split im 1. Viertel des 20. Jahr- hunderts

Die besondere Situation der Stadt Split, deren histo- rischer Kern sich zum Teil innerhalb des Palastes des Kaisers Diokletian (um 240 – um 313/16) entwickelte (Abb. 1), lässt geradezu paradigmatisch aufzeigen, welche Konflikte die Fragen nach dem sachgerechten denkmalpflegerischen Umgang in sich bergen, ab- hängig von den jeweiligen Zielsetzungen und von der Bewertung des Baubestandes.1 Außerdem macht ein historischer Rückblick deutlich, wie sich in der Ge- schichte der Denkmalpflege die Zielrichtungen wan- delten, zumal der leidenschaftliche Streit, der um 1900 zur Entstehung unseres heutigen Denkmalbegriffs führte, auch in Split voller Intensität geführt wurde, so dass es sich lohnt, die damaligen Argumente und Entscheidungen kritisch zusammenzufassen.

Die Vorgeschichte

Im 19. Jahrhundert stand der Diokletianspalast im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses; man war vor allem von den monumentalen, künstlerisch herausragenden Baudenkmälern fasziniert. Am meisten beschäftigte die Frage, wie das Objekt zum Zeitpunkt seiner Entstehung ausgesehen haben mag und wie es ausgestattet war (Abb. 2 und 3). Spätere Umbauten und Veränderungen empfand man als störend, weil sie den

«originalen» Charakter beeinträchtigten, zumal wenn sie aus späteren Kunstepochen stammten und damit die

«Stilreinheit» des Bauwerks nicht mehr gegeben war.

Aus dieser Vorstellung heraus sah es die Denkmal- pflege als ihre legitime Aufgabe an, die Bauten zu «puri- fizieren», d. h. spätere Ausstattungen zu entfernen, Veränderungen zurückzunehmen und das vermutete ur- sprüngliche Aussehen so perfekt wie möglich zu rekon- struieren. Konsequenterweise konzentrierten sich in Split die Bemühungen darauf, den Diokletianspalast nach Möglichkeit freizulegen und dabei spätere Ge- bäude und Anbauten zu entfernen. Schon zu napoleo- nischer Zeit ließ der französische Gouverneur Marmont

alle sichtbaren Reste des Palastes aufnehmen, um die von ihm geplante Freilegung vorzubereiten, die aber nach dem Sturz Napoleons 1815 und unter öster- reichischer Herrschaft nicht mehr weiterbetrieben wurde. Erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts griff man die Pläne wieder auf, als im Auftrag der Wiener Regierung der für Split zuständige Konservator der Al- tertümer, Vicko Andrič, zusammen mit dem Zeichner Dujo Marocchia in den Jahren 1850-52 ein großes Ta- felwerk herausbrachte, in dem auf 20 Tafeln alle erhal- tenen Teile des Palastes dokumentiert wurden.2 Andrič verband die Aufnahme mit radikalen Rekonstruktions- vorschlägen, da er dem Palast soweit wie möglich sein ursprüngliches Aussehen zurückgeben wollte. So hätte er das Innere der Kathedrale (des ehemaligen Dio- kletian-Mausoleums) komplett purifiziert und sogar den monumentalen, aus dem 13. Jahrhundert stammenden Glockenturm abgerissen (Abb. 4). Dafür lieferte er Ent- würfe für verlorene Bauteile, beispielsweise mit vielen Öffnungen dekorierte Obergeschosse für die Südfas- sade des Palastes zum Meer hin, die über den vorhan- denen, schlichten Untergeschossen eine prachtvolle, hoch aufragende Front gebildet hätten. Etwa gleich- zeitig und in deutlicher Konkurrenz zu Andrič, dessen Rekonstruktionsvorschläge er ablehnte, legte der damalige Direktor des Archäologischen Museums von Split, Franc Carrara, Alternativprojekte vor. Unter Hin- weis auf die beschränkten finanziellen Mittel schlug er lediglich den Abbruch einiger Häuser zu beiden Seiten der Kathedrale vor und regte wenig später an, die baufälligen Häuschen, die sich von außen an die Süd- fassade des Palastes anlehnten, nach einem einheit- lichen Plan in gleicher Gestaltung umzubauen.3

Von all diesen Projekten kam nichts zur Ausführung.

Erst die immer dringender werdenden Klagen über die Verwahrlosung der Denkmäler und ihre Gefährdung ließen 1873 das Wiener Unterrichtsministerium tätig werden. Es setzte einen Ortsausschuss ein und wies die Archäologische Kommission an, auf der Rückkehr von einer Griechenlandreise die Situation in Split zu unter- suchen. Mitglieder dieser Kommission waren der Wie-

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ner Archäologe Alexander Conze sowie die Architekten Alois Hauser und Georg Niemann. In einer gemein- samen Sitzung von Ortsausschuss und Kommission lehnte man radikale Forderungen, etwa bezüglich der Purifizierung der Kathedrale, ab. Dagegen plädierte man für die Freilegung der Kathedrale von den um- gebenden Bauten und schlug vor, die Gebäude nörd- lich, östlich und südlich davon zum Zweck des Abbruchs zu erwerben, wobei man sogar das im Nord- osten stehende, dreiflügelige Bischofspalais nicht ver- schonen wollte.4 Dieser Vorschlag entsprang den städ- tebaulichen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts, die ein bedeutendes Monument aus den Bauten der Um- gebung herauszuschälen trachtete, damit es in der Iso- lation umso eindrucksvoller seine Wirkung entfalten konnte. So riss man in Köln wie in Regensburg Gebäu- de in der Umgebung des Doms ab, obwohl es sich zum Teil um gleichzeitige, mittelalterliche Bauwerke handel- te, um dem Dom eine aus der sonstigen Stadtstruktur herausfallende, inselhaft dominierende Position zu ver-

schaffen. Der Vorschlag für die Freilegung der Kathe- drale von Split war aus dieser Sicht umso leichter nach- zuvollziehen als es sich bei den Abbruchkandidaten um Bauten handelte, die deutlich später entstanden waren als der aus antiker Zeit stammende Sakralbau.

Tatsächlich begann man schon ein Jahr später, 1874, mit der Ausführung des Programms: Die Kapelle St.

Matthäus südwestlich zwischen Kathedrale und Peristyl wurde abgebrochen, ebenso das Café al Tempio nörd- lich der Vorhalle der Kathedrale und teilweise auch die nördlich anschließende Kapelle St. Barbara. 1885 griff sogar der Spliter Bischof Kaloderà in die Diskussion ein:

Er bot das Bischofspalais zum Abbruch an, gegen den gerichtlichen Schätzpreis von 30.000 Forint und unter der Bedingung, dass der Staat die erforderlichen Mittel für den Neubau eines Palais auf einem anderen Stand- ort vorstrecke. 1897 wiederholte Bischof Nakic dieses Angebot.5 In der Zwischenzeit waren aber dringlichere Probleme der Erhaltung des Bestandes akut geworden, so dass die Freilegungspläne zurückstehen mussten.

Abb.1: Split. Luftbild der Altstadt im Bereich des Diokletianspalastes.

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Das Interesse galt der Kathedrale, deren Zustand eine gründliche Restaurierung in den Jahren 1880-85 er- forderte. Anschließend mussten alle Kräfte auf den aus dem 13. Jahrhundert stammenden Glockenturm (Abb.

4) konzentriert werden, dessen nahezu ruinöser Zu- stand ab 1890 durch eine so weitreichende Erneuerung behoben wurde, dass man von einer gänzlichen Rekon- struktion sprechen kann; sie war erst 1908 beendet. Die mit einer weitgehenden Auswechslung der Oberflächen verbundene Maßnahme brachte den Verlust fast aller originalen Steinquader und des bauplastischen Schmucks. Die Form der Rekonstruktion wurde gegen Ende des Vorhabens als typische Lösung der Denkmal- pflege des Historismus immer heftiger kritisiert.6 Gründung der «Palastkommission» für Split

Vor dem Hintergrund dieser Kritik und angesichts des damals weithin diskutierten Streits um das Heidelberger Schloss wurde 1902 auf Anordnung des zuständigen Wiener Unterrichtsministeriums eine Kommission ein- gesetzt, die für die denkmalpflegerischen Maßnahmen am Diokletianspalast in Split zuständig war. Für die erste Sitzung im April 1903 hatte ein Mitglied der Kommission, der Direktor des archäologischen Muse- ums in Split, Franz Bulič (1846-1934), einen Bericht vorbereitet, der die Reste des Diokletianspalastes

innerhalb der Altstadt beschrieb.7 Sein Aufsatz war ver- bunden mit sehr konkreten Vorschlägen für eine weit- reichende Freilegung der wichtigsten antiken Monu- mente. Bulič war ein hochverdienter Archäologe, interessierte sich aber ausschließlich für den antiken Bestand, den er von den späteren Anbauten radikal befreit haben wollte. Das Alter und mögliche architek- tonische Qualitäten der zum Abbruch empfohlenen Gebäude kümmerten ihn nicht; er charakterisierte sie in seinem Bericht auch mit keinem Wort, sondern gab nur die amtlichen Schätzungen des Wertes der Privat- häuser an, den man aufwenden müsse, um sie für den Abbruch zu erwerben. Nach dem Wunsch Buličs hätten demnach alle Gebäude abgerissen werden sollen, die sich an der Süd-, Ost- und Nordseite an die ehemaligen Fassaden des Diokletianspalast lehnten (Abb. 5). Die Geschäftshäuser der Südseite sollten nach Möglichkeit verschwinden; sollte dies nicht durchsetzbar sein, könne man auf den – oben erwähnten – Vorschlag von Franc Carrara zurückgreifen und sie durch neue, ein- stöckige Häuser in gleichförmiger Gestaltung ersetzen.

An der Ostfassade sollten die dort stehenden drei Pri- vathäuser, das k. k. Militärverpflegungsmagazin und sogar das archäologische Museum, dessen Direktor Bulič war, abgebrochen werden; als Ersatz könnten an anderer Stelle Neubauten entstehen. Für die Nordfas-

Abb.2: Split. Rekonstruktion des Diokletianspalastes. Nach E. Hébrard (1912).

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sade schlug Bulič den Abbruch und die Verlegung des dort angebauten k. k. Militärtruppenspitals vor. Außer- dem empfahl Bulič die komplette Freilegung des ehe- maligen West- und Osttores von den hier stehenden Gebäuden, wobei am Osttor auch die «unansehnliche»

Kirche Anime del Purgatorio zu opfern sei. Im Innern des Diokletianspalastes konzentrierte sich Bulič auf die herausragenden antiken Monumente. Er wiederholte die schon 1873 erhobene Forderung nach der Freile- gung der Kathedrale (des ehemaligen Diokletian-Mau- soleums) (Abb. 4) von allen Gebäuden an der Süd-, Ost- und Nordseite, einschließlich des im Nordosten ste- henden Bischofspalais. Auch das Peristyl (Vgl. Abb. 8) sollte von allen hier stehenden Bauten befreit werden, sowohl von den Kapellen an der Ostseite wie den westlich stehenden Häusern, obwohl es sich hier um aufwendige und bedeutende venezianische Bauwerke handelte, was aber nicht erwähnt wird. Genauso wünschte sich Bulič eine Freilegung des südlich an das Peristyl anschließenden Vestibüls von allen innen wie außen angebauten Kapellen und Häusern. Schließlich sollten auch beim Baptisterium (dem ehemaligen Tem- pel) die südlich und westlich angebauten Häuser abge- brochen werden.

Bei mehreren Rundgängen und der Besichtigung der fraglichen Gebäude zeigte sich jedoch schnell, dass ein Teil der Kommission mit den von Bulič in großem Um- fang gewünschten Freilegungen nicht einverstanden war. Zwar wurde Bulič vom Bürgermeister der Stadt Split, vom Bezirkshauptmann und wohl auch von ande- ren Kommissionsmitgliedern aus Dalmatien unterstützt.

Die aus Wien kommenden Mitglieder brachten jedoch erhebliche Bedenken ein, die eindeutig auf ein gewan- deltes Denkmalverständnis zurückzuführen waren, das bei allem Respekt vor der Antike den Wert der späteren Gebäude und der homogenen Altstadtstruktur erkann- te. Das Protokoll der Kommissionssitzungen lässt die damaligen Diskussionen bestens nachvollziehen. Bei- spielsweise fand der Vorschlag, die Rochuskapelle (Nr.

1732, vgl. Abb. 6) nordöstlich des Peristyls abzubre- chen, Widerspruch von einigen Kommissionsmitglie- dern, die «ihr Erstaunen darüber ausdrücken, daß ein so wertvoller Baurest des beginnenden XVI. Jh. von der Behörde zur Demolierung bestimmt worden sei. Sie sprechen ihre Überzeugung aus, daß die Demolierung dieser Kapelle späterhin Anlaß zu schweren Vorwürfen geben würde [...]».8 Auch der Wunsch, die beiden im Nordteil des Vestibüls (im Prothyron) befindlichen Ka-

pellen (Nrn. 1757 und 1764, vgl. Abb. 6) einzureißen, wurde nicht gebilligt.

In der Zusammenfassung, die der Direktor des öster- reichischen archäologischen Instituts, Otto Benndorf, vornahm, klingt ein bemerkenswertes Verständnis für die Situation in Split an: «Bei allen zukünftigen Arbeiten am Palaste ist auf die Denkmale späterer Jahrhunderte stetige Rücksicht zu nehmen. Anzustreben ist daher keinerlei archäologische Purifikation des baulichen Ge- samtbestandes der alten Stadt oder gar ein Wiederauf- bau des Palastes auch nur in einzelnen Teilen. Vielmehr ist als leitender Grundsatz festzuhalten, daß es gerade das Ineinandergreifen und Zusammenwirken von Bau- anlagen aus verschiedenen Epochen ist, welches dem Orte zu besonderer Zierde gereicht und ein dankbares Objekt künstlerischer und historischer Studien darstellt.

Freizulegen sind daher nur einzelne, besonders wichti- ge Teile und selbst dies nur, insoweit es sich auch durch kommunale Interessen empfiehlt und mit gewährbaren Mitteln allmählich ausführbar ist».9 Unter diesen Vo- raussetzungen verwundert es nicht, dass die Kommis- sion nur sehr wenige der von Bulič gewünschten Freile- gungen befürwortete, nämlich den Abbruch der vier in das Westtor eingebauten Häuschen, der zwei Häuser beim Baptisterium sowie eines Teils der Gebäude an der Kathedrale: Hier erklärte man sich mit der Abtra- gung des Bischofspalais und «der vom Staat bereits an-

Abb.3: Split. Diokletianspalast. Grundriss des ursprünglichen Zustands.

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gekauften beiden baufälligen, nicht fruktifizierbaren Häuser» einverstanden.10

Das Gutachten Alois Riegls

Waren also die Zugeständnisse der Kommission gegenüber der Fülle der erwünschten Freilegungs- maßnahmen schon gewaltig reduziert, erstaunt die Tat- sache, dass das Wiener Präsidium der Zentral- kommission auch dieses Ergebnis nicht ohne weiteres hinnehmen wollte. Es beauftragte deshalb keinen Ge- ringeren als Alois Riegl, welcher der «Palastkommis- sion» nicht angehört hatte, ebenfalls nach Split zu rei- sen und ein Gutachten zu erstellen, ob die von der Kommission erlaubten Freilegungen der antiken Bau- teile «mit der schuldigen Rücksicht auf die Existenz- berechtigung der mittelalterlichen und neuzeitlichen Denkmale vereinbar sind».11 Riegl kam dabei zu dem Schluss, dass er gegen die geforderten Abbrüche beim Baptisterium und beim Westtor keine Einwände hätte, ihm aber die Freilegung der Kathedrale große Probleme bereite. Da er geahnt haben dürfte, dass hier größter politischer Druck entstehen würde, formulierte er sein Gutachten sehr ausführlich und ging auch auf die ge- samte Bebauung nördlich, östlich und südlich der Kathedrale ein (Abb. 6). Er versuchte deutlich zu ma- chen, dass die Bedeutung von Bauwerken nicht nur in ihrer individuellen Bewertung der historischen und künstlerischen Qualitäten liegt, sondern ebenso in ihrer Gesamtwirkung auf die Stadtstruktur: «Übrigens bilden gerade die Häuser 1720-1727 mit ihren vor- und zurückspringenden Wänden, ihren Freitreppen, schmalen Fassaden und scharfen Ecken ein so malerisches Straßenbild, daß man es wohl nur ungern missen möchte».12 Er betonte auch, dass er grundsätz- lich den Wunsch der Archäologen nach Freilegung des antiken Baus verstehe und bot als Entgegenkommen an, dass er gegen den Abbruch der südlich der Kathe- drale stehenden Häuser 1709-1714 keine Einwände habe, da sie geschichtlich belanglos seien. Größte Be- denken formulierte er jedoch gegen die von der Palast- kommission befürworteten Abbrüche des Bischofspa- lais (Nr. 1728) und des Hauses Nr. 1719. Dem spätgotischen Haus Nr. 1719 (sog. Hospiz der Franzis- kaner) sprach er einen geschichtlichen Wert und einen ganz uneingeschränkten Alterswert zu. Da dieses Haus zudem im Winkel zwischen dem barocken Chorbau der Kathedrale und der Sakristei stand, habe es – solange diese Bauteile stehen – keinen Nutzen für die Freilegung

des antiken Oktogons und könne deshalb erst einmal aus dem Abbruchprogramm herausgenommen werden.

Beim Bischofspalais (Episkopium), einem barocken, dreiflügeligen Bau (Nr. 1728) im Nordosten der Kathe- drale konnte sich Riegl lediglich einen Abbruch des südwestlich an die Kathedrale angebauten Flügel- stumpfs vorstellen. Der Hauptbau aber mit seinem Nord- und Ostflügel aus der Barockzeit fand sein be- sonderes Interesse. Der niedrige Baukörper bestand aus regelmäßig geschichteten und sorgfältig verfugten Steinquadern, die keine weiteren Schmuckformen auf- wiesen, bis auf das von bossierten Quadern umrahmte Portal, über dem sich ein mit einer Inschrift versehenes Gesims befand. Somit besaß das Palais zwar «zweifel- los einen bestimmten kunstgeschichtlichen Wert», noch wichtiger war Riegl aber der Alterswert: «Ohne Ein- schränkung entfaltet sich der ansehnliche Alterswert des Gebäudes, der hauptsächlich in der sympathischen Färbung der alten bräunlichgelben Steinquadern beruht, aber auch in den anspruchslosen Verhältnissen, die fast noch an die mittelalterliche Weise erinnern, eine Stütze findet. Auch als eine wesentliche Komponente des für Alt-Spalato so charakteristischen engen Straßenbildes genießt das Episkopium einen Alters-

Abb.4: Split. Kathedrale (ehemaliges Mausoleum) mit Glockenturm des 13. Jahrhunderts (rekonstruiert bis 1908).

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wert».13 Darüber hinaus machte Riegl auf die Bedeu- tung des Baus für die gesamte Platzwirkung aufmerk- sam, die wir heute als die Stellung innerhalb des Ensembles bezeichnen würden. Er wies darauf hin, dass durch den Abbruch ein großer Freiraum entstehen würde, von dem aus man einen freien Blick auf den rui- nösen Peripteros des Oktogons gewönne, was in der freien Sicht einen eher enttäuschenden Eindruck hervorrufen dürfte. Dagegen sei die partielle Sicht mit dem gegenwärtigen Baubestand «vorteilhafter im ma- lerischen Sinne»: «Jedenfalls ist der Anblick des Peripteros, wie er jetzt vom baumbesetzten Hof des Episkopiums aus genossen werden kann, ein so rei- zender, daß man alle künstlerischen Folgen wohl erwä- gen sollte, bevor man sich hier zu radikalen Änderungen entschließt».14

Die vorgetragenen Argumente machen deutlich, wie sehr sich Riegl vom Denkmalbegriff des 19. Jahrhun- derts entfernt hatte. Während die Befürworter einer Freilegung der Kathedrale ausschließlich den antiken Bau im Blick hatten und alle späteren Bauwerke nur als störend empfanden, machte Riegl das Ensemble aller Gebäude zum Ausgangspunkt seines Gutachtens. Die in Jahrhunderten entstandene Platzanlage rings um die Kathedrale mit ihrer verschachtelten Bebauung war ihm als Dokument langer historischer Prozesse ebenso wichtig wie ihr Alterswert mit seiner Stimmungswirkung.

Riegl schließt seinen Bericht mit einem Appell: «Der Ge- fertigte glaubt diesen Bericht nicht schließen zu sollen, ohne nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass gerade das allgemeine Interesse an der Erhaltung des mit den antiken Resten historisch so reich verbundenen mittel- alterlichen und neuzeitlichen Alt-Spalato mit seinem un- vergleichlichen und unersetzlichen Stimmungsreiz die Schaffung eines seine Integrität gewährleistenden Schutzgesetzes mindestens ebenso dringend und überzeugend fordert, als das vorwiegend wissenschaft- liche Interesse an der Erhaltung der antiken Palastreste allein».15 Damit spielt Riegl auf den «Entwurf eines Ge- setzes zur Sicherung des Diocletianischen Palastes in Spalato» an, den der Präsident der Zentral-Kommis- sion, Joseph Alexander von Helfert, 1902 vorgelegt hat- te.16 In diesem Entwurf ist ausschließlich vom Diokle- tianspalast und der Bedeutung der antiken Bauteile die Rede, die Altstadt von Split wird nicht einmal erwähnt.

Der Staat solle im Gegenteil alle privaten An- und Zu- bauten an den antiken Resten zurückkaufen, um sie dann abbrechen zu lassen. Statt diesem, völlig aus den

Vorstellungen des 19. Jahrhunderts heraus entwickel- ten Gesetzentwurf fordert Riegl deshalb die Ausarbei- tung und Verabschiedung eines neuen Gesetzes, das die mittelalterlichen und neuzeitlichen Bauten ebenso unter Schutz stellt.

Der Einsatz von Alois Riegl und Max Dvořák für die Stadterhaltung von Split

Unter dem Eindruck der Stellungnahme Riegls ver- weigerte man in Wien die Abbruchgenehmigung für das Bischofspalais und das Haus Nr. 1719; dafür beschloss man, die Palastkommission zu einer ständigen Einrich- tung zu machen, die alljährlich in Split zusammenkom- men und aktuelle Fragen besprechen sollte; außerdem wurde Riegl zusätzlich als Mitglied in die Kommission berufen. Als bei der nächsten Sitzung am 11. November 1904 in Split natürlich das Thema der gewünschten Abbrüche angesprochen wurde, stellte Otto Benndorf den Antrag: «Die Palastkommission erklärt, daß sie Frei- legungen im modernen Sinne des Wortes, welche schä- digende Eingriffe bedeuten, unbedingt ablehnt, und lediglich am Dom und Baptisterium die Vornahme von Arbeiten ins Auge faßt, welche die wissenschaftliche Erforschung dieser Gebäude fördern und ihre ursprüngliche Erscheinung ohne Beeinträchtigung

Abb.5: Split. Grundriss mit Markierung aller Gebäude, die nach Bulič abgebrochen werden sollten.

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anderer wichtiger Interessen wiederherstellen».17 Ob- wohl dieser Antrag einstimmig angenommen wurde, entwickelte sich um Baptisterium und Dom eine leb- hafte Diskussion. Für die Freilegung des Baptisteriums gab Riegl, der trotz seiner schweren Krankheit die Reise nach Split auf sich genommen hatte, nach einigem Zögern seine Zustimmung, weil die Außenerscheinung des antiken Tempels «in solchem Maße gesteigert würde, daß dadurch selbst die Nachteile, die aus der Schaffung einer Lücke im charakteristischen Grund- plane der Stadt und aus der unvermeidlichen Freile- gung einer rohen Anschlußmauer erwüchsen, aufge- hoben würden». Dagegen entzweite sich die Kommission, als es um den Abbruch des Bischofspa- lais ging. Die Kommune, vertreten durch Bürgermeister Vincenz Milic, hatte den Antrag gestellt und hierfür sani- täre Gründe sowie die Möglichkeit einer besseren Verkehrsführung angegeben. Auch der dalmatinische Landesausschuß sowie das bischöfliche Ordinariat würden den Abbruch begrüßen, die Finanzierung sei gesichert. Auch Franz Bulič schloss sich uneinge- schränkt der Forderung an. Riegl erklärte nun, «daß die Demolierung eines mindestens in das XVII. Jh., wahr- scheinlich aber noch weiter zurückreichenden bischöf- lichen Palastes eine vom Standpunkte der öffentlichen Denkmalpflege so schwerwiegende und weittragende Angelegenheit bedeutet, daß dieselbe keineswegs lediglich nach Rücksichten der lokalen Bequemlichkeit gelöst werden dürfe, sondern daß dabei vor allem auch die Rücksichten auf den historischen und den Alters- wert des Gebäudes und auf seine Stellung im Palast- bezirke als Ganzem auf das sorgfältigste erwogen und berücksichtigt werden müssen».18 Die unversöhnlich scheinenden Gegensätze suchte der Architekt Georg Niemann zu entschärfen, indem er sich anbot, Plan- skizzen anzufertigen, auf denen er die Wirkung der Gebäudegruppe mit und ohne Bischofspalais darstellen wolle. Diese würde er bei der nächsten Sitzung der Palastkommission vorlegen, bis dahin sei die Be- schlussfassung zu verschieben. Dem schloss sich die Kommssion an, wobei Riegl nachdrücklich betonte,

«daß er die von Professor Niemann in Aussicht ge- stellten Skizzen zwar an sich für interessant und schätzenswert, aber für die definitive Schlußfassung nicht verbindlich betrachte».

Auch in den nächsten Sitzungen der Palastkommis- sion konnte keine Einigung erzielt werden, so dass die

Entscheidung über das Bischofspalais immer wieder verschoben werden musste. Dagegen gelang es der an der Freilegung der Kathedrale ungemein interessierten Kommune, in den Jahren zwischen 1905 und 1909 eini- ge kleinere Gebäude rings um das Mausoleum abbre- chen zu lassen, beispielsweise im Jahre 1905 das so genannte Hospiz der Franziskaner (Nr. 1719), für das sich Riegl vergeblich eingesetzt hatte, sowie die Häuser Nr. 1711/12 südwestlich der Kathedrale (vgl. Abb. 6).

1906 fiel der südwestliche Flügelstumpf, der das Bi- schofspalais mit der Kathedrale verband, und 1909 de- molierte man die Häuser Nr. 1709/10 östlich des Vesti- büls.19 Das Bischofspalais selbst konnte jedoch immer wieder aus den Abbruchanträgen herausgenommen werden. Nach dem Tod Riegls 1905 war sein Nachfol- ger im Amt des Professors für Kunstgeschichte wie des Generalkonservators in Wien, Max Dvořák, auch als Mitglied der Palastkommission nachgerückt. In einem Aufsatz über «Restaurierungsfragen» aus dem Jahre 1908 beschrieb Dvořák die gegensätzlichen Meinungen und betonte seinen Einsatz für das Bischofspalais:

Abb.6: Grundriss der Umgebung der Kathedrale mit Markierung der zum Abbruch vorgesehenen Gebäude.

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«Noch auf seinem Sterbebette bat mich mein Lehrer und Vorgänger im Amte Hofrat Riegl, in der Episko- piumsfrage keine Konzessionen zu machen, eine Weisung, der ich nicht nur aus Verehrung für den unver- geßlichen Mann, sondern auch aus innerer Überzeu- gung treu nachgekommen bin».20 Genau wie Riegl war es Dvořák klar geworden, dass es längst nicht mehr um das Bischofspalais allein ging, «sondern um die ganze Altstadt von Spalato. Zwei diametral verschiedene Auf- fassungen der Pflichten dem merkwürdigen Stadtge- bilde gegenüber, das die Mauern des alten Imperato- renpalastes umschließen, stehen sich da unversöhnlich gegenüber, und dieser Verschiedenheit der Auffassung liegt der wichtigste Kampf zu Grunde, den unsere Zeit um alte und neue Kunst auszufechten hat».21

Dvořák zeigt in seinem Beitrag auf, welch dramati- sche Konsequenzen es mit sich brächte, würde man das Bischofspalais aus Gründen der besseren und be- quemeren Verkehrsführung abbrechen. Denn die Verfol- gung dieses Ziels, das wir heute mit dem Begriff der

«verkehrsgerechten Altstadt» umschreiben würden, hätte unentwegt weitere Abbrüche und damit die weit- gehende Zerstörung der historischen Stadtstruktur zur Folge. Und diese sei gerade in Split einzigartig, wo der Diokletianspalast zwar zunächst Ruine wurde, «aber in diesen Ruinen erblühte ein neues Leben – im vollen Sin- ne des Wortes – und verband sich mit den alten verlas- senen Mauern zu einem neuen einheitlichen Organis- mus, der sich bis auf den heutigen Tag zu einem Bilde weiterentwickelte, das einem großen Dichter eher, als dem geschichtlichen Werden seine Entstehung zu ver- danken scheint. Sonst haben sich römische Ruinen nur unter und neben neuen Kulturschichten erhalten, in Spalato sind sie mit ihnen verwachsen, durchdringen sie und rahmen sie ein, als ob die Geschichte darauf bedacht gewesen wäre, an einem Orte ein monumenta- les Sinnbild der alten und neuen Welt in ihrer Aufeinan- derfolge und genetischen Verknüpfung zu schaffen [...]».22 Wenn dieses «Epos aus Steinquadern, das aus der Verbindung klassischer Ruinen mit einer mittelalter- lichen Stadtanlage entstand», nun aus Gründen der Verkehrsführung und der Hygiene «reguliert» werden solle, dann seien diese Argumente nur ein Vorwand für Ziele, die man aus ganz anderen Absichten heraus verfolge, im Wunsch nach der möglichst kompletten Freilegung der antiken Reste. Hier sei noch «der Purifikationswahnsinn, die Restaurierungsseuche, der frevelhafte Kampf gegen alte Stadt- und Ortsbilder»

lebendig, der die Denkmalpflege des 19. Jahrhunderts gekennzeichnet habe. Wer so denke, habe noch nicht begriffen, was mittlerweile das allerwichtigste bei Kunstwerken der Vergangenheit wie der Gegenwart sei:

«der unendlich differenzierte, konkrete, durch zeitliche und lokale Entstehungsvoraussetzungen, Künstlerin- dividualität und Schicksale des Denkmales bedingte künstlerische Inhalt».23 Der Wunsch nach Freilegungen einzelner Denkmale sei eine überholte Idee des 19.

Jahrhunderts, die in Spalato noch lebendig sei, «wo ei- ne der merkwürdigsten Städte der Welt, einzig in ihrer Art, gegen falsche Ratschläge und gegen den durch sie irregeführten Willen der Besitzer und nächstberufener Beschützer vor der Gefahr gerettet werden muß, in eine regelrechte Dikasterialstadt mit einzelnen sehenswerten Ruinen verwandelt zu werden [...]».24

Es gelang Dvořák bei der Sitzung der Palastkom- mission am 25. September 1907, drei Mitglieder, die bisher für die Freilegungen gestimmt hatten, im Sinne der neuen denkmalpflegerischen Grundsätze umzu- stimmen, wie er in einem Bericht an das Wiener Minis- terium stolz vermerkte.25 Immerhin handelte es sich da- bei um den berühmten Architekten Georg Niemann, den besten Kenner und Erforscher des Diokletianspalastes, der 1873 das Projekt der Freilegung der Kathedrale mit ausgearbeitet hatte, um den Konservator Franz Bulič, der noch 1903 ganz radikale Vorschläge für Abbrüche in der Altstadt publiziert hatte, sowie den Leiter der Be- zirkshauptmannschaft Spalato, Dr. Franz Madirizza. Ihr Umdenken war die Voraussetzung dafür, dass bei der nächsten Sitzung in Split 1908 die Mehrheit der Palast- kommission einen Abbruch des Bischofspalais endgül- tig ablehnte.26 Der Beschluss führte zu erheblicher Verärgerung in der Bevölkerung von Split, da die Kom- munalpolitiker und viele einflussreiche Bürger nach wie vor vehement die Freilegung forderten. Offensichtlich empfand man die Entscheidung als ein vor allem von den Wiener Kommissionsmitgliedern durchgesetztes Diktat, dem man sich widerwillig beugen musste. Ein Jahr später erschien deshalb bei der Sitzung der Pa- lastkommission 1909 eine Delegation des Ingenieur- und Architektenvereins von Dalmatien und überreichte ein Memorandum, in dem nochmals die Demolierung des Bischofspalais verlangt wurde. Aber auch diesem Antrag widersetzte sich die Kommission mehrheitlich.

Immerhin war man kompromissbereit und beauftragte Georg Niemann, ein konkretes Projekt auszuarbeiten, wie man durch behutsame Eingriffe – etwa an der Rück-

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seite des Bischofspalais – Verbesserungen erreichen könne, die das Platzgefüge einheitlicher machen und die Verkehrsführung erleichtern sollten.27 In der nächs- ten Sitzung der Palastkommission am 1. April 1910 leg- te Niemann diese Pläne vor. Sie sahen den Bau einer neuen, wenn auch schmalen Straße zwischen der Ka- thedrale und dem Bischofspalais vor, für die der Ostflü- gel des Palais durchbrochen werden sollte; außerdem war eine architektonische Neugestaltung der bisher schmucklosen Südfassade des Bischofspalais ge- plant.28 Die Arbeiten wurden jedoch nicht begonnen, zumal der Bürgermeister von Split regelmäßig seine Forderung wiederholte, das Bischofspalais gänzlich ab- zubrechen. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs verhin- derte dann alle vorgesehenen Maßnahmen und brachte eine lange Zäsur ohne jede Veränderung der Stadtge- stalt von Split.29

Die Diskussionen zur Stadterhaltung in Deutsch- land und Österreich um 1900/1910

Zusammenfassend kann man feststellen, dass die auf Erhaltung der Altstadt abzielenden Erfolge der Palast- kommission nur möglich waren, vor allem gegen den Willen der Mehrheiten in Split, weil sich der neue Denk- malbegriff weithin durchgesetzt hatte. Außerdem hatte man, was bisher noch kaum beachtet worden ist, be- reits damals die Bedeutung historischer Ensembles erkannt und Konsequenzen für deren Erhaltung gefordert. Die Diskussion um die Ziele einer städtebau- lichen Denkmalpflege fokussierte sich auf die Altstadt von Split, die zu einem Modellfall grundsätzlicher Auseinandersetzungen wurde, wie sie für Einzeldenk- mäler beim Streit um das Heidelberger Schloss ausge- fochten worden waren. Dvořák konnte sich der Zustim- mung kompetenter Fachkollegen aus Österreich und Deutschland sicher sein, wie eine Reihe wissenschaft- licher Beiträge mit ähnlichen Zielrichtungen belegt.

Beispielsweise hatte schon auf dem Tag für Denkmal- pflege 1903 in Erfurt der Kölner Geheime Baurat Josef Stübben mehr Behutsamkeit im Umgang mit alten Stadtbildern gefordert; ihm ging es um «die möglichste Erhaltung der Eigenart alter Straßenzüge» und «die möglichste Erhaltung der Geschlossenheit der Straßen- und Platzwandung».30 Noch deutlicher strich der Braunschweiger Museumsdirektor und Professor Paul Jonas Meier beim Tag für Denkmalpflege 1905 in Bam- berg die Bedeutung alter Stadtstrukturen heraus:

«Wenn ich um meine Meinung befragt würde, welchem

‹Denkmal› einer beliebigen Stadt, die zu inventarisieren wäre, seiner ganzen geschichtlichen Bedeutung nach der Platz an erster Stelle gebührt, so würde ich ohne weiteres Besinnen sagen: dem Grundriß der Stadt mit dem Laufe ihrer Straßen, der Lage und Gestalt ihrer Plätze, dem Zuge der Stadtmauern. Denn die innere und äußere Geschichte einer alten Stadt findet eigentlich auch in dem prächtigsten Dom oder dem schönsten Rathause lange nicht in dem Maße ihren klaren und unzweideutigen Ausdruck, wie in dem Stadt- plan, der eine Fülle von geschichtlichen Aufklärungen enthält. Man kann vielleicht sagen, der Grundriß einer Stadt ist die monumentalste Urkunde ihrer Geschichte, [...] und vielleicht darf man auf einem späteren Denk- malpflegetage auch einmal die Frage erörtern, ob denn nicht auch für die Erhaltung der alten Grundrisse in un- seren Städten etwas getan werden kann, die bisher mehr oder weniger vogelfrei waren, und es wäre auch sehr zu wünschen, meine Herren, wenn in unseren In- ventarisationen auf die Gestaltung und die Geschichte des Stadtplanes etwas mehr Gewicht gelegt würde».31 Die Position Hans Tietzes

Der damals noch sehr junge Wiener Kunsthistoriker Hans Tietze (1880-1954), der später Professor in Wien und – nach seiner Emigration – in New York werden sollte, griff in einem 1907 erschienenen Aufsatz über die

«moderne» Denkmalpflege die Wertkategorien Riegls auf und betonte nachdrücklich deren Auswirkungen auf den gewandelten Denkmalbegriff.32 Denn die auf rein historische Interessen, auf Purifizierung und Rekon- struktion monumentaler Denkmäler hin ausgerichteten Maßnahmen des 19. Jahrhunderts seien in ihrer Pro- blematik endgültig erkannt worden: Man habe dabei übersehen, «daß jede solche Restaurierung nur einem bestimmten Stand der Wissenschaft entsprechen kann, daß also ein Teil davon immer auf einer Hypothese beruhen wird. Die Erfahrung lehrt uns, daß noch nie eine solche Restaurierung durchgeführt worden ist, die nicht schon die nächste Generation mit ihren stark gewach- senen historischen Kenntnissen als lächerliche Spielerei empfunden und verhöhnt hätte».33 Gerade wenn man z. B. bei einer gotischen Kirche jüngere Umgestaltun- gen entfernt und durch eine rekonstruierende Verein- heitlichung ersetzt habe, sei das Dilemma offenkundig:

«Aber es ist völlig verfehlt zu glauben, daß dadurch den alten Kunstwerken wirklich ein Dienst geleistet worden wäre: man hat Zubauten späterer Jahrhunderte einer

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eingebildeten Stilreinheit geopfert und das Resultat war, daß man die gotischen oder romanischen Teile nun mit Zutaten verquickt besaß, die ein nicht minder zweifel- loser und echter Ausdruck des neunzehnten Jahrhun- derts sind, wie jene entfernten Renaissance- oder Barockzubauten der Ausdruck des siebzehnten oder achtzehnten Jahrhunderts gewesen waren».34 Wegen dieser denkmalpflegerischen Fehlentwicklungen hebt Tietze umso nachdrücklicher die Bedeutung des Alters- wertes hervor: «Dieser Wert, der in dem Eindruck des Alters liegt und auf den als eines der Grundprinzipien des modernen Denkmalkultus zuerst hingewiesen zu haben Alois Riegls Verdienst ist, wirkt am unmittel- barsten, da er einerseits keinerlei historische Kennt- nisse, anderseits keinen wie auch immer gearteten Zusammenhang mit den Menschen voraussetzt, die das Werk geschaffen haben». Man benötige deshalb auch keinen Sachverstand, um den Alterswert zu erken- nen: «Aber daß das ein altes Gebäude, ein alt- ehrwürdiges Bild ist, kann jeder ohne besondere Kennt- nis auf den ersten Blick erkennen, denn die Spuren, die die Zeit darauf hinterlassen hat, sind wahrnehmbar und der Gedanke, daß der Bau, das Bild innig mit Leid und Freud vieler menschlicher Generationen verknüpft ist, wird ein Gefühl der Andacht auch bei denen erwecken, denen nichts Näheres über jene menschlichen Schick- sale bekannt ist. Dadurch werden die anderen Arten von Interesse an dem Denkmale ja nicht geschmälert und seine etwaige Bedeutung vom wissenschaftlichen, vom nationalen, vom lokalgeschichtlichen Standpunkt wird dadurch nicht geringer».35 Es war Tietze also auch klar, dass der Alterswert die übrigen Wertkategorien nicht ersetzen dürfe; durch ihn erfolge vielmehr eine emotio- nale Ergänzung, die – von Tietze auch als «Denk- malstimmung» bezeichnet36 – den Menschen zu Pietät und Behutsamkeit anleiten solle.

Darüber hinaus betonte Tietze, dass durch den Al- terswert ein Baudenkmal nicht als isoliertes Objekt, sondern als Bestandteil eines Ensembles erlebt werde:

Jedes Bauwerk sei «für eine bestimmte Umgebung geschaffen, die die Vorbedingung seiner künstlerischen Wirkung ist. Der alte Baumeister hat sein Werk der Um- gebung eingefügt oder die umliegenden Gebäude haben sich dem Kunstwerk angepaßt, so daß alles zusammen ein einziger Organismus geworden ist. Erin- nern wir uns der Art, wie die alten Domkirchen sich aus dem umliegenden Häusergewirr erheben, so daß es den Anschein hat, als hätten sich die kleinen Häuschen

unter den Schutz der guten Mutter begeben und schmiegten sich recht nahe an sie an; der im neunzehn- ten Jahrhundert wiederholt gemachte Versuch, solche Dome freizulegen, hat jedesmal zu unglücklichen Resul- taten geführt».37 Logisch ergeben sich daraus für Tietze die «Hauptzüge der modernen Denkmalpflege: überall und in jedem Zusammenhange Schonung und mög- lichste Erhaltung des Bestehenden, weil es alt und als solches in die Schicksale der Menschheit mitverwoben ist und Anspruch auf Pietät hat; Konservierung nicht nur der Denkmale selbst, sondern auch ihrer Umgebung, Schützung der menschlichen Werke und der Natur, der Kunst- und der Naturdenkmale».38

Ein Dresdner meldet sich zu Wort: Cornelius Gurlitt In die Diskussion um Split schaltete sich im Jahre 1909 Cornelius Gurlitt (1850-1938) ein, der als Professor für Baugeschichte an der Technischen Hochschule Dres- den und unermüdlicher Promotor für die Anliegen der Denkmalpflege international bekannt geworden war. Mit einem «Warnruf», der in der «Frankfurter Zeitung» und innerhalb Kroatiens in Zagreb, im «Agramer Tagblatt», veröffentlicht wurde, wandte er sich gegen alle ge- planten Eingriffe in die Spliter Altstadt.39 Geschickt be- ginnt er dabei mit einem Loblied auf die städtebauliche Schönheit: «Spalato ist eine Perle. Ich zweifle nicht, daß es dereinst zu den größten Sehenswürdigkeiten der Welt gerechnet werden wird [...] Denn Spalato ist ohne Gleichen in der Welt, einzig! Ich spreche nicht von der landschaftlichen Schönheit, sondern von den kulturge- schichtlichen Anregungen, die die Stadt bietet». Dann beschreibt Gurlitt die geschichtlich bedingte Stadtge- stalt: «Das, was aber die Ruinen des Kaiserpalastes vor allen anderen auszeichnet, das ist ihre innige Verbin- dung mit dem Leben von heute. Innerhalb der Mauern stehen 271 Häuser mit 400 Katasternummern, wohnten nach der Volkszählung von 1900 2786 Seelen. Winklige Gassen, eng, südländisch malerisch; dann wieder ein kleiner Platz, ein paar wuchtige Trümmer aus grauer Vorzeit. Man steigt Treppen hinauf, um in einen Riesen- saal zu gelangen; Nischen ringsum, das Gewölbe eingebrochen. Man steigt Treppen hinab in die alten Kellergeschosse, deren Boden jetzt die Straße bildet.

Säulen- und Arkadenreihen auf dem Hauptplatze, Werke von jener Größe, die dem kaiserlichen Rom ein unverlierbares Gut waren. Mächtige Ehrentore. Ein riesiger Achteckbau, einst des Kaisers Grab, jetzt der Dom der Diözese. Daneben ein mächtiger Turm aus ro-

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manischer Zeit, in jüngster Zeit restauriert. Ein köst- licher kleiner Tempel mit reichverziertem Portikus – klein im Sinne der Größe der Gesamtanlage, groß im Sinne dessen, was die Bürger von Spalato später daran- fügten. Mächtige Torbauten, verborgene Treppen. Ein- genistet zwischen die Wohnhäuser christliche Kirchen.

Das ist gerade das Wunderbare, dass sich Altes und Neues so eng mischt, gerade aus dieser Vereinigung wächst das unvergeßliche Bild heraus, die einzigartige Schönheit dieser dalmatinischen Wunderstadt».

Würde man aber nun anstreben, den Diokletians- palast freizulegen, hätte dies verheerende Folgen: «Ich glaube, das wäre so ziemlich das Verkehrteste, was man ihm antun könnte. Erstens nähme man der Stadt Spalato den Mittelpunkt. Mit ihren 20.000 Einwohnern hat sie sich längst über die Grenzen des Palastes hi- naus erstreckt. Das Rathaus und der Markt, die größe- ren Gasthöfe und öffentlichen Gebäude liegen in der Neustadt und den sich anschließenden Vorstädten. Das Hafenleben sucht die Molen auf, die ein weit hinausge- schobener Wellenbrecher schützt. Nur die Kirche hat ih- ren Platz im alten Zentrum behauptet. Aber doch schüfe man durch Abbruch der Häuser im Herzen der Stadt ei- ne Leere, man nähme ihr die Frische gesunden Lebens, das Herz. Und was man dafür ernten würde, das wäre ein ödes, zerstörtes, zusammenhangloses Werk. Alles würde darauf drängen, nun den Palast wieder neu her- zustellen, eine Kopie mit gelehrtem Sinne zu schaffen, die des Lebens beraubten Steintrümmer wieder durch Nachahmung einstigen Lebens scheinbar zu beseelen.

Ruinen gibt es ja viele, Grabungsfelder, in denen der Kunsthistoriker wohl einen Zusammenhang findet, nicht aber der Ungelehrte, der auf einfaches Genießen Ge- stimmte. Ich kann mir kaum denken, daß ein etwas fei- ner Empfindender nicht den Gedanken der Freilegung des ganzen Palastes oder selbst welcher Teile als eine unerhörte Barbarei ansehen würde, vor der rechtzeitig zu warnen eine Aufgabe der europäischen Fachwelt sein müßte!» Schließlich kommt Gurlitt aber auf den konkreten Anlass seines Beitrags zu sprechen und er- wähnt, dass auf dem Domplatz nach längerer Diskussi- on einige Häuser entfernt worden seien: «So weit ich es beurteilen kann, hat dabei eine glückliche Hand ge- herrscht. Nun aber hört man, daß in der Bürgerschaft der Wunsch laut geworden ist, rücksichtsloser vorzuge- hen. Man will den aus dem 17. Jahrhundert stammen- den, vorzüglich in das Gesamtbild passenden, gerade in seiner Ruhe inmitten der bewegten Linien der Ruinen

künstlerisch unentbehrlichen Bischofssitz niederreißen, um für ein Stück eine breitere Straße zu erlangen. Es bereitet sich also die Entscheidung vor, die über das Gesamtinnere des Palastes bestimmt: soll hier der Sinn des 19. Jahrhunderts mit seinen nüchternen und in letz- ter Zeit als unpraktisch erkannten städtebaulichen An- sichten herrschen, oder ein wahrhaft moderner Geist, der die Werte der Kunst, der Geschichte, der Vergan- genheit in die Rechnung mit einsetzt und mit Vorsicht abschätzt, ob der hier vielleicht zu gewinnende Vorteil nicht mit unersetzlichen ästhetischen Verlusten bezahlt wird! Man kann ruhig sagen: es ist ein Ding der Unmög- lichkeit, aus dem Häusergewirr im Palaste eine Stadt nach modernen Grundsätzen zu schaffen, ohne Spalato das zu nehmen, was sein höchster Besitz ist. Es gibt in jeder Stadt Stimmungsaugenblicke, in denen ein rasch zu erlangender scheinbarer Vorteil die Sinne hypnoti- siert, daß sie den Überblick über das Ganze verlieren.

Ein solcher scheint in Spalato eingetreten zu sein. Aber der Kaiserpalast ist nicht Alleinbesitz der Bürger der Stadt. Er ist ein Kulturbesitz der ganzen Menschheit.

Und man sollte doch hoffen, daß man auch dort auf das warnende Wort unbeteiligter Bewunderer der herrlichen Hafenstadt hört, die zur höchsten Vorsicht auch in scheinbar nebensächlichen Fragen mahnen».

Kennengelernt hatte Gurlitt die konkreten Abbruch- pläne für Split wahrscheinlich im Jahre 1908; damals weilte er in Zagreb, in der Funktion als Preisrichter beim städtebaulichen Wettbewerb für die Neugestaltung des

«Kapitols». Dort machte er auch in einem – 1909 publi- zierten – Vortrag über die «Erhaltung des Kerns alter Städte» seine Positionen deutlich,40 wobei er sich aus- drücklich auf die Ideen des Wiener Architekten Camillo Sitte bezog. Sitte hatte in seinem erstmals 1889 erschienenen Buch «Der Städtebau nach seinen künst- lerischen Grundsätzen» die Schonung der historischen Teile einer Stadt gefordert; er leitete die künstlerische Gestaltung von Straßen und Plätzen von ihren prakti- schen Funktionen ab, unter sinnvoller Auswertung des Erfahrungsschatzes antiker und mittelalterlicher Stadt- baukunst. Entscheidend für die Rückbesinnung auf die früheren Epochen war die radikale Abkehr von den Stadtbauprinzipien des 19. Jahrhunderts. Im Anschluss an Camillo Sitte betonte Gurlitt die Zweckmäßigkeit und Angemessenheit der Straßenführung sowie die Funk- tion und das «Wesen» der Plätze in historischen Alt- städten. Außerdem mahnte er den Erhalt der Baudenk- mäler an und betonte die Schönheit der Straßenbilder

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wie in der alten Vorstadt von Agram (Zagreb): « [...] wie könnte man leicht eine harmonischere Stadtanlage fin- den?» Er machte deutlich, «daß es eine der ersten Auf- gaben einer guten Verwaltung des öffentlichen Besitzes ist, alte Denkmäler vor Zerstörung und Veränderungs- sucht zu schützen».41 Die so von prominenten Fachleu- ten einhellig vertretenen Grundsätze einer neu definier- ten städtebaulichen Denkmalpflege bewahrten Split vor den anfangs projektierten Abbrüchen.

Das Wiederaufleben des Streits 1918-1925

Nach dem Ende der österreichischen Monarchie 1918 flammte der Streit um die Altstadt von Split sofort wieder auf. Politiker und Bürger, welche die Anordnun- gen aus Wien als Einmischung und Bevormundung empfunden hatten, sahen ihre Chance gekommen, be- stimmte Entscheidungen wieder rückgängig zu ma- chen. Die Ereignisse des Ersten Weltkriegs und die Gründung des bald von größten ethnischen und religiösen Spannungen beherrschten «Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen» sollten sich unmittel- bar in der Auseinandersetzung um Split nieder- schlagen: Im Jahre 1920 wurde die Palast-Kommission neu begründet, mit Mitgliedern ausschließlich aus Kroatien. In der ersten Sitzung beschloss man, das Bischofspalais zum Abbruch freizugeben. Es gab aller- dings zwei, wegen ihrer fachlichen Kompetenz gewich- tige Gegenstimmen. Zum einen protestierte der an- gesehene Franz Bulič (1846-1934), Direktor des Archäologischen Museums und seit 1918 auch Provin- zialkonservator für Dalmatien, der sich bereits 1907 von Max Dvořák hatte überzeugen lassen, zum anderen der noch junge Ljubo Karaman (1886-1971), der in Wien Kunstgeschichte studiert hatte und dort eben promo- viert worden war; damals noch Assistent des Provin- zialkonservators, sollte er 1926 Buličs Nachfolger werden. Karaman versuchte den Abbruch des Bischofspalais mit allen Mitteln zu verhindern und pu- blizierte unverzüglich eine Broschüre, in der er die bis- herige Diskussion um dieses Baudenkmal zusammen- fasste und die Grundsätze städtebaulicher Denkmal- pflege nach den Maximen von Riegl und Dvořák verteidigte.42 Noch einmal stellte er fest, «daß das be- sondere Merkmal von Split nicht nur einige in ihrer Ge- samtheit erhaltene Denkmäler aus römischer und spä- terer Zeit sind, sondern auch der Umstand, daß eine ganze Stadt sich in einem Palast eingenistet hat und daß jeder spätere Zuwachs im Laufe der Jahrhunderte,

auch wenn er unbedeutende Spuren künstlerischer Tätigkeit hinterlassen haben sollte, doch beitrug zum Aufbau des heutigen, fast einzigartigen kunsthis- torischen Milieus der Spliter Altstadt». Er beschwört mit Worten, die direkt an Dvořák erinnern, «das malerische Bild der engen, geschlängelten Spliter Gassen, die oft durchschnitten sind von Treppchen und Gewölben und geschmückt mit gotisch-venezianischen Fensterchen, Portalen, Renaissance-Höfen und Adelswappen».43 Es sei klar, dass es sich bei dem Bischofspalais nicht um ein wertvolles Einzeldenkmal handle: «Wir wollen nur die besondere Bedeutung des heruntergekommenen Baus unterstreichen mit Rücksicht auf seinen Stellen- wert innerhalb des Diokletianspalastes (wegen der in den Wänden steckenden Reste des römischen Haupt- portikus), mit Rücksicht auf seine Lage gegenüber dem Mausoleum (Umrahmung des Mausoleums) und mit Rücksicht auf das weitere umgebende Ambiente (Teil des malerischen, historischen Spliter Stadttypus)».44 Karaman erinnerte an den Entwurf von Georg Niemann aus dem Jahre 1910 und schlug vor, ihn als Basis zu be- nutzen, von der aus mit geringfügigen Änderungen eine optimale Lösung erarbeitet werden könnte.

Im gleichen Jahr 1920 veröffentlichten auch Max Dvořák und Cornelius Gurlitt noch einmal Beiträge, in denen sie ihre schon früher publizierten Argumente auf- griffen und erneut den Erhalt des Bischofspalais forder- ten. Ihre Appelle dürften mit Karaman abgesprochen worden sein; zumindest nahm sie dieser als Anhang in die – oben erwähnte – Broschüre auf, zusammen mit ei- nem – in gleicher Intention verfassten – Aufsatz des französischen Archäologen Jacques Zeiller, der zusam- men mit Ernest M. Hébrard eine große Monographie über den Diokletianspalast45 publiziert hatte.46 Der Ein- satz der prominenten Fachkollegen verdeutlicht den Stellenwert, den der Streit um die Spliter Altstadt damals einnahm und der offensichtlich als Präzedenz- fall für den angemessenen denkmalpflegerischen Um- gang mit Denkmalensembles international diskutiert wurde. Es gelang Bulič und Karaman auch, mit ihrer fachlichen Autorität und mit ihrem unermüdlichen Ein- satz den Abbruch des Bischofspalais immer wieder hi- nauszuschieben.

Vielleicht hätten sie auch den dauerhaften Erhalt durchgesetzt, wenn nicht das Bischofspalais in der Nacht vom 14. auf den 15. Januar 1924 in Flammen aufgegangen wäre.47 Wahrscheinlich war Brandstiftung die Ursache; zumindest war eine derartige Gewalttat

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schon in der ersten Phase der stürmischen Diskus- sionen 1908/09 angedroht worden.48 Jedenfalls wur- den die Brandruine und der Platz nördlich der Kathedra- le sofort freigeräumt, zum Teil einschließlich der in dem Bischofspalais verbauten antiken Reste; heute befindet sich hier ein freier Platz (vgl. Abb. 7). In seinem von Re- signation geprägten Bericht über den Brand schilderte Karaman, wie sich der Ingenieur- und Architektenverein letztlich gegen Bulič durchsetzte: «Malgrado la protesta del Conservatore che proponeva la demolizione soltan- to delle parti che minacciavano realmente la vita dei passanti, l’Opéinska Uprava (Giunta Municipale) di Spalato fece, con processo sommario e fattasi forte di un affrettato voto degli architetti e ingegneri di Spalato, demolire sin dalle fondamenta tutto l’edifizio del Ve- cchio Vescovado, compresa gran parte del colonnato diocleziano immurato in questo edifizio».49 Das Ergeb- nis sah nach Karaman so aus: «Ai nostri occhi si aprì dopo la demolizione un vacuo del tutto estraneo all’am- biente caratteristico della vecchia Spalato dalle callette strette e tortuose; vacuo irregolare e formato a caso che neppure per eufemismo possiamo chiamare ‹piazza›, e che espone il maestoso Mausoleo alla immediata e punto adeguata vicinanza di vecchie catapecchie, di brutti casamenti moderni e offre nudo all’occhio il brutto muro del coro della cattedrale».50 Seither lässt sich die Entwicklung gerade dieses Stadtviertels dergestalt cha- rakterisieren, dass zugunsten der antiken Reste immer mehr und mehr Gebäude abgerissen worden sind.

Heute ist die Situation kahler und trostloser als sich dies Bulič und Karaman in ihren schlimmsten Träumen hät- ten vorstellen können (siehe Kapitel III).

II. Die weitere Theoriediskussion

Lina Andela Horvat

Interessant ist es zu verfolgen, wie die kroatischen Denkmalpfleger in späterer Zeit die turbulenten Ereig- nisse im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts beurteilten, und zu fragen, wie sie selbst damals entschieden hät- ten. Dabei offenbart sich ein auffallender Wandel in der Bewertung, dessen Konsequenzen auf die denkmal- pflegerische Praxis in der Altstadt von Split sichtbar Zeugnis geben. Im Jahre 1944 publizierte Lina Andela Horvat, die bis 1941 – dem Jahr der Besetzung des Königreiches Jugoslawiens durch Deutschland und Ita- lien und der Installierung des faschistischen Vasallen- staates unter der Herrschaft der Ustaša («Unabhängiger

Staat Kroatien», mit Bosnien und der Herzegowina) – Leiterin des Denkmalamtes von Kroatien gewesen war, eine zusammenfassende Darstellung der Denkmal- pflege in Kroatien.51 Sie schilderte zunächst die Maßnahmen der Denkmalpflege des Historismus, die sich vor allem auf Purifizierungen und stilreine Umge- staltungen gotischer Bauwerke konzentriert hätten;

diese Vorgehensweise bezeichnete sie als die «roman- tische Phase» der Denkmalpflege.52 Um 1900 hätten sich auch in ihrem Land die Prinzipien gewandelt, wobei dem Konservator Franz Bulič größte Verdienste zukä- men: «Angesichts des Problems des Diokletianspa- lastes wurde Bulič klar, daß es nicht nur darum geht, die herausragenden Denkmäler als Zeugen nationaler Ver- gangenheit zu bewahren. Im Diokletianspalast sah er nicht nur seine Bedeutung für die Wissenschaft der Welt, sondern auch die besondere Harmonie, die ver- schiedene Zeitalter schufen, welche die engen Mauern des Palastes durchdrangen. Diese wertvolle Stimmung galt es zu erhalten! Und Bulič ist es gelungen den Palast zu retten.»53 Dieser Wandel der denkmalpflegerischen Prinzipien sei aber nicht autonom entstanden, sondern weil man sich «die europäische kulturelle Welt zum Vor-

Abb.7: Split. Blick von der Kathedrale hinunter nach Nordosten; hier stand das Bischofspalais.

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bild genommen» habe; hier müssten die Namen Riegl, Dvořák, Dehio genannt werden: «Der entscheidende Schritt ist getan worden, als man begann, den doku- mentarischen Wert vom künstlerischen Wert der Denk- mäler zu unterscheiden. In beiden Fällen schätzte man einen Gegenstand mit der Patina des Alters, aber er hatte zweierlei Wert. Demgemäß muß man den Alters- wert bewahren, aber – und das ist schwieriger – er- folgreich den künstlerischen Wert erhalten, sofern das Denkmal einen solchen besitzt. Der neue Standpunkt verwirft also die Rückführung des Aussehens des Denkmals in den ‹ursprünglichen Zustand›. Stattdessen ist entscheidend, daß man die Denkmäler in der Form erhält, in der wir sie antrafen, sofern sie nicht ge- schmacklose Flickereien enthalten. Wesentlich ist der Wahlspruch dieser Einstellung: nicht restaurieren, sondern die Denkmäler konservieren!»54 Horvat bezeichnete den neuen Denkmalbegriff als die «biolo- gische Phase» der Denkmalpflege; mit dieser Defini- tion bezog sie sich auf den Alterswert, dessen Anerken- nung nur mit größter Mühe durchzusetzen war: «Die kämpferischen Konservatoren kämpften für die Denk- mäler wie für Existenzen, bei denen man damit rechnen mußte, daß sie entstanden, um ihr Leben zu leben, daß sie entstehen und verschwinden (biologische Phase).

Deswegen kann ein Konservator ein Kunstwerk nicht erneuern und regenerieren, sondern nur den Prozeß seines Verfalls verlangsamen». Damit habe sich die Denkmalpflege größte Verdienste erworben: «Diese be- hutsame Einstellung gegenüber den Denkmälern – Ver- hinderung des Verfalls oder Konservierung – hat der menschlichen Gemeinschaft große Verdienste erwie- sen, denn sie hat die Denkmäler in der Form bewahrt, wie sie auf uns gekommen sind. Diese Haltung hat dem gesamten konservatorischen Wirken den Namen gege- ben, denn erst zu dieser Zeit hat sich das Konserva- torenamt im modernen Sinn ausgebildet. Das war die Übergangsphase von der verlogenen Restaurierung und Historisierung zu neuen Lebensmöglichkeiten».55

Dennoch glaubte Horvat, dass zu ihrer Zeit diese

«biologische Phase» bereits Geschichte geworden sei, ohne jedoch die Gründe zu nennen, warum diese Prin- zipien nicht mehr gelten sollten. Sie konstatierte ledig- lich einen erneuten Prinzipienwandel ab etwa der Mitte der 1920er Jahre und bemerkte lakonisch, dass das Leben selbst sich nach und nach eine neue Maxime geschaffen habe. Sie zitierte dafür aus einem 1929 erschienenen Aufsatz von Hans Karlinger: «Das Zeital-

ter der Restauratoren (= der Historismus) hat zu viel geleistet, aber das Zeitalter dieser – wie wir sagen bio- logischen – Haltung hat gegenüber den Denkmälern zu wenig geleistet».56 Damit warf Horvat der biologischen Phase eine zu große Passivität gegenüber den Denk- mälern vor, die man mittlerweile überwunden habe: «Die schwere wirtschaftliche Nachkriegskrise hat die Fach- leute dazu veranlaßt, daß sie begannen, besonders auf die Baudenkmäler zu schauen als Gegenstände, die heute ihren Zweck haben können neben dem, was sie als historische oder Kunstdenkmäler sind». Die Forde- rung nach der Nutzung verband aber Horvat sogleich mit der Forderung nach kreativen Eingriffen und charak- terisierte damit diese neue, von ihr «schöpferische Phase» genannte Form denkmalpflegerischen Verhal- tens: «Woran kann denn die zeitgenössische Denkmal- pflege ihre Tätigkeit anbinden? Wir blicken zurück, was man vor Jahrtausenden gemacht hat! Jede Zeit hatte ihre Ausdrucksweise, und von früher bestehenden Denkmälern wußte man, daß sich intuitive Leute erfolg- reich ihrem Verständnis angenommen haben. Auch wie die barocken Meister sich einer gotischen Umgebung einordneten […], so können auch wir heute bestrebt sein, das heutige Schaffen erfolgreich einzufügen in die Reste der Vergangenheit […] Und warum muß heute die Tätigkeit des Künstlers, wenn er ein überhöhtes roman- tische Verständnis sucht, in Übereinstimmung mit kon- servatorischen Grundsätzen sein? Keineswegs! Einem wahren Talent gegenüber darf kein Mißtrauen herr- schen. Daß ein Forum darüber entscheidet, ob man ge- wisse Veränderungen an den Denkmälern oder in deren Umgebung durchführen soll oder nicht und wie man sie durchführen soll, erweist sich in ganz Europa und auch bei uns als notwendig».57

Auch wenn sie die Sachverhalte nicht erwähnt, dürf- te Horvat stark beeinflusst worden sein von einem denkmalpflegerischen Gutachten, das der berühmte italienische Architekt Gustavo Giovannoni 1941 verfasst hatte. Er war der Leiter einer Mission gewesen, die im Auftrag der faschistischen Regierung Italiens von der Königlichen Akademie nach Split gesandt worden war und die vom 29. September – 3. Oktober 1941 die Si- tuation vor Ort analysiert hatte, um Richtlinien für die zukünftigen Restaurierungen zu erarbeiten.58 Das er- klärte Ziel der Mission war, «durch städtebauliche Maß- nahmen (Regulierungsplan) nach römischem Vorbild die Integrität des diokletianischen Monuments zurückzuge- winnen».59 Das von Giovannoni nach der Rückkehr er-

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stellte Gutachten verrät eine deutliche Abkehr von den Prinzipien der Denkmalpflege des frühen 20. Jahrhun- derts und ein Bekenntnis zu den Rekonstruktionsplänen des 19. Jahrhunderts. So schlug er eine vollständige Freilegung der Süd-, Ost- und Nordmauern des Diokle- tianspalastes vor, ähnlich wie das die anfangs erwähn- ten Archäologen des 19. Jahrhunderts gefordert hatten.

Ebenso empfahl er weitgehende Abbrüche im Bereich rund um das Peristyl und die Kathedrale. So sollte der barocke Chor des Doms (!) abgerissen werden, weil er die Harmonie des Mausoleums störe. Beim Peristyl (Abb. 8) wollte Giovannoni die westliche Kolonnaden- reihe freilegen, indem die Fassaden der zwischen den Säulen eingebauten venezianischen Paläste abgetra- gen und ein Stück weiter nach hinten versetzt wieder aufgebaut werden sollten. Die über den Architrav he- rausragenden Obergeschosse sollten abgerissen wer- den; Giovannoni illustrierte diese von ihm vorgeschla- genen Maßnahmen in einer seinem Gutachten beigelegten Fotomontage (Abb. 9). Zudem sollte die ganze Altstadt systematisch überarbeitet werden, wo- bei durch Entkernungen, Abbrüche und Abbau der obe- ren Stockwerke die dichte Bebauung aufgelockert und mehr Licht, Luft und Gärten gewonnen werden könn- ten.60 Ausdrücklich erwähnte Giovannoni in seinem Gutachten die deutschen Städte Kassel, Braunschweig und Frankfurt/Main, wo solche Maßnahmen, die im Drit- ten Reich als «Altstadtgesundung» bezeichnet wurden, bereits erfolgreich durchgeführt worden seien.61 Die in Giovannonis Gutachten aufgezählten Abbrüche und Zerstörungen sind an Radikalität kaum zu überbieten;

sie ignorierten alle in der Denkmalpflege seit 1900 erar- beiteten Prinzipien und gingen – wie die Archäologen des 19. Jahrhunderts – von einer maximalen Freilegung der antiken Monumente aus, – auf Kosten der mittelal- terlichen und nachmittelalterlichen Bausubstanz. Dies

erstaunt umso mehr, als Giovannoni (1873-1947) in sei- nen früheren Jahren ganz anders dachte und plante: Mit seinem 1913 geprägten Begriff des «ambientismo» hat- te er – ähnlich wie Alois Riegl – die Bedeutung des Ensembles entdeckt und für einen behutsamen Um- gang mit dem städtischen Erbe plädiert.62 Die seit den späten 1920er Jahren erkennbare und in der Charta von Athen 1933 ausgesprochene Trendwende im Umgang mit Stadtstrukturen63 hatte offensichtlich auch Giovan- noni mitvollzogen.

Horvat hatte in ihrem Aufsatz weder Giovannoni noch die deutschen Beispiele zitiert, wählte aber für die von ihr analysierten neuen Prinzipien der Denkmal- pflege den Begriff der «schöpferischen Denkmalpfle- ge», ohne Zitate und ohne den Hinweis, dass dieser Begriff in den 1930er Jahren in Deutschland geprägt worden war; er sollte dort bis in die 1960er Jahre hinein als beliebtes Schlagwort zur Charakterisierung des Um- gangs mit Baudenkmälern Bestand haben.64 Inhaltlich stimmten ihre Vorstellungen mit der deutschen Denkmalpflege im Dritten Reich und der faschistischen Denkmalpflege in Italien weitgehend überein, zumal wenn Horvat schrieb: «Die zeitgenössische Denkmal- pflege überläßt dem kreativen Künstler einen sichtbaren Freiraum in der Annahme, daß er konstruktiv genug ist, erfolgreich zu erkennen, wie die Freiheit seiner Erfin- dungen mit den Anforderungen in Einklang zu bringen sind, die das Baudenkmal stellt. Das wäre also eine schöpferische Einstellung der Denkmalpflege. Warum sagen wir ‹schöpferische Einstellung›? Wir sagen das deshalb, weil die zeitgenössische Denkmalpflege die Funktionalität der Denkmäler unterstützt durch die Mit- arbeit der Künstler in konstruktiv aktivem Sinn. Wir keh-

Abb.8: Split. Peristyl. Heutiger Zustand.

Abb.9: Split. Peristyl. Umgestaltungsvorschlag von Giovannoni.

Fotomontage 1941.

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ren zurück zur Auffassung der Meister des Barock, der Renaissance, der Gotik, Romanik, Antike, zur Auffas- sung aller Epochen, die so reif waren, nicht mit den ein- zelnen Denkmälern abzurechnen und sie zu zerstören, sondern ihre Funktionalität zu verlängern, indem sie die notwendige Veränderung in der Harmonie berechneten, was man durch die Suche nach der ‹Stilreinheit› nicht erreichen kann».65 Allerdings musste Horvat zugeben, dass diese kühnen Forderungen weitgehend den Prinzi- pien der «biologischen Phase» widersprachen, und sah sich daher zu gravierenden Einschränkungen gezwun- gen. Während man schöpferische Eingriffe in Baudenk- mäler zulasse, ja sogar wünsche, müssten bei Werken der Plastik und der Malerei nach wie vor die Grundsätze des reinen Konservierens, also der biologischen Phase, gelten. Dies bedurfte allerdings der Erklärung: «Warum nimmt sich die Architektur gelegentlich der Erneuerung größere Freiheiten? Der Grund dafür ist der, daß sie har- monisch wirken kann auch dann, wenn man sie verän- dert, aber ein Bild oder eine Skulptur verlieren durch größere Veränderungen zu viel von der Persönlichkeit des Meisters, der sie hergestellt hat».66 Wie ein solcher unterschiedlicher Umgang mit den Gattungen in der Praxis jedoch zu verwirklichen wäre, hat Horvat nicht exemplifiziert.

Ljubo Karaman

Auch Ljubo Karaman hat versucht, die theoretischen Grundlagen seines denkmalpflegerischen Verhaltens zu analysieren. Im Jahre 1926 war er als Nachfolger von Bulič zum Konservator für Dalmatien in Split ernannt worden. Dieses Amt übte er bis 1941 aus und wurde dann als Nachfolger von Horvat zum Leiter des Denk- malamtes von ganz Kroatien in Zagreb; diese Position behielt er bis zu seiner Pensionierung 1950. Im Jahre 1965 veröffentlichte der damals bereits 79jährige Kara- man seine Bilanz – auf der Basis des Dehio-Zitats «Kon- servieren – nicht restaurieren».67 Er zog dabei interna- tionale Vergleiche und erwähnte nicht nur die englischen Kulturkritiker Ruskin und Morris, sondern wies auf die frühen, zeitlich vor Riegl und Dehio lie- genden Mahnungen des italienischen Architekten Camillo Boito hin, der bereits 1883 geschrieben hatte:

«Meglio consolidare che riparare, meglio riparare che restaurare» (= Lieber sichern als ausbessern, lieber aus- bessern als restaurieren).68 Er erinnerte an seinen eigenen Einsatz für die Erhaltung der Altstadt von Split, der von seiner Herkunft aus der Wiener Schule geprägt

war und mit den Entscheidungen der seit 1903 tätigen Palast-Kommission übereinstimmte. Wie Horvat stellte er jedoch einen allmählichen Wandel bei der Umset- zung der Maximen fest: «Bei jeder Revolution und je- dem Umbruch im Denken wendet man in der ersten Zeit die neue Doktrin konsequent und oft starr an. Mit der Zeit jedoch wendet man die neuen Grundsätze elasti- scher an und das Verfahren wird komplizierter und von Fall zu Fall individualistischer. So ist es auch mit dem geflügelten Wort ‹Konservieren und nicht restaurieren›

gegangen».69 Streng genommen dürfe man beispiels- weise verlorengegangene Ornamente und Schmuckfor- men eines Baudenkmals nicht rekonstruieren, sondern müsse sie so neutral wie möglich ergänzen, damit sich die originalen Teile von den erneuerten deutlich unter- scheiden ließen. Dieses Prinzip habe er aber im Lauf seiner Tätigkeit als Konservator in Split aufgegeben und um des einheitlichen Gesamteindrucks willen derartige Rekonstruktionen in kleinerem Umfang zugelassen, beispielsweise bei Friesen, Umrahmungen von Fens- tern und Türen usw., wobei Takt, Maß und Gefühl die Richtlinien für diese Gratwanderung gegeben hätten.

Die heutige konservatorische Praxis erlaube deshalb den restauratorischen Eingriff, aber nur unter drei Be- dingungen:

- dass uns der überkommene Zustand des Denk- mals aus ästhetischen Rücksichten oder funktionalen Lebensnotwendigkeiten zum Eingriff geradezu zwin- gend nötigt;

- dass uns das ursprüngliche Aussehen des Denk- mals mit Sicherheit bekannt ist, in seiner Gesamtheit und im Detail;

- dass der Eingriff keine schädlichen Folgen mit sich bringt, welcher Natur auch immer.

Unter den Beispielen, die Karaman aus seiner eige- nen Tätigkeit in Split erwähnt, fehlt allerdings eine sehr weitgehende Entscheidung, mit der er einverstanden war: die Neugestaltung der Südfassade des Diokle- tianspalastes. Die von außen, an der Meerseite, an die Palastmauer angebauten Häuser stammten aus unter- schiedlichen Zeiten und zeigten alle denkbaren Erhal- tungszustände, so dass schon im 19. Jahrhundert im- mer wieder ihr Abbruch gefordert worden war. Nach einem internationalen Wettbewerb 1924, den der öster- reichische Architekt Alfred Keller gewonnen hatte, wurde ein Großteil der Häuser und Häuschen vor der Südfassade abgerissen und durch Neubauten ersetzt, die in gefälliger Unverbindlichkeit – teils historisierend,

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teils mit Art Déco-Formen – eine einheitliche Bebauung brachten. Hier hatte sich Karaman offensichtlich von vergleichbaren Beispielen in Italien beeindrucken las- sen und einer Lösung aus dem Bereich der «schöpfe- rischen» Denkmalpflege zugestimmt, von der er später wohl nichts mehr wissen wollte. Auf die Forderung Gio- vannonis von 1941, alle Gebäude an den Außenmauern des Palastes abreißen zu lassen, ging Karaman in sei- nem Aufsatz nicht ein – er erwähnte Giovannoni gar nicht.

Dafür griff Karaman eine Maßnahme aufs schärfste an, die erst in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre durchgeführt worden war: die Umgestaltung des Pro- thyron zwischen Peristyl und Vestibül des Diokleti- anspalastes. Dort hatte das Urbanistische Institut von Split, vor allem unter der Federführung der Brüder Jerko und Tomislav Marasovič, die Treppenanlage in das Un- tergeschoss völlig umgebaut und einen neuen Treppen- zugang zum Vestibül geschaffen (vgl. Abb. 8 und 9), ob- wohl «überhaupt kein gerechtfertigter Anlaß zu weitreichenden Eingriffen im Peristyl bestanden» habe.

Die angebliche Notwendigkeit einer Verbesserung des Fußgängerverkehrs habe es gar nicht gegeben, da die- ser auch vor den Umbauten schon gewährleistet gewe- sen sei. «Fehlerhaft ist es jedoch gewesen, daß man sich an die Ausführung weitreichender Arbeiten am Pe- ristyl aufgrund einseitiger Interpretationen der dort voll- zogenen Ausgrabungen machte, bevor man die Zustim- mung zur Ausführung der Arbeiten vom zuständigen Konservatorenamt bekommen hatte, und auch bevor es eine Interpretation der Resultate der Ausgrabungen im Peristyl gegeben hatte, die tagelang in der Diskussion eines größeren Kreises von Fachleuten war. Das wäre auf jeden Fall nötig gewesen, zumal es verschiedene In- terpretationen der Ausgrabungen gab».70 Aus der Be- schreibung Karamans wird deutlich, dass die Umbau- ten das Ergebnis eines architektonischen Entwurfs waren, dem es um die vermeintliche ästhetische Ver- besserung der Situation ging, auf der Basis offenbar umstrittener, sehr frei interpretierter archäologischer Grabungen. Das Ergebnis war für Karaman ein typi- sches Beispiel für die in Split immer mehr sich ausbrei- tende «schöpferische» Denkmalpflege. Übersieht man die Tendenzen in anderen europäischen Ländern dieser Zeit, wird deutlich, dass auch andernorts die Auseinan- dersetzung zwischen Architekten und Kunsthistorikern in der Denkmalpflege allzu oft zugunsten Ersterer ent- schieden wurde – zugunsten des schöpferischen Ein-

griffes in das Baudenkmal.

Dem Begriff der «schöpferischen» Phase widmete Karaman in seinem Aufsatz ein eigenes Kapitel, in dem er sich mit den Thesen Horvats auseinandersetzte, nach denen zeitgenössischen Künstlern die Freiheit ein- geräumt werden solle, mit eigenen Entwürfen gestal- tend die Denkmäler zu verändern. Dabei äußerte Kara- man entschieden Vorbehalte: «Damit kehren wir bis zu einem gewissen Grade zu den Traditionen früherer Jahrhunderte zurück, die immer in eigenen Formen ge- baut haben, auch dann, wenn es sich um alte Denkmä- ler handelte […] Es gibt jedoch einen deutlichen Unter- schied zwischen dem Verfahren der Barockzeit und der fortschrittlichen Haltung des heutigen Konservators.

Wir haben doch vom vorigen Jahrhundert eine große Achtung vor dem künstlerischen Erbe geerbt und uns erhalten; wir wollen es um keinen Preis zerstören. Die Barockzeit hat wirklich verstanden, ihre Gestaltung mit dem Zentrum eines früheren Stils in Einklang zu brin- gen, aber man hat sich dabei nicht gescheut, die frühe- re Einrichtung zu beseitigen oder zu zerstören». Die Geschichte der Denkmalpflege habe dagegen gezeigt, wie man sich in einer langen Entwicklung bis zum frühen 20. Jahrhundert eine völlig andere Art des Um-

Abb.10: Split. Blick auf die Südostecke der Altstadt. Foto 1994, publiziert in Marasovič 1995.

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