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Urs Matthias Zachmann: Völkerrechtsdenken und Außenpolitik in Japan, 1919–1960 [Book Review]

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dien zur Geschichte des Völkerrechts. Herausgegeben von Bardo F

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, 29). XI, 421 S. ISBN 978-3-8329-6981-3. € 102,–

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Harald Kleinschmidt, Tokyo

1. Rechtsgeschichte als Rezeptionsgeschichte

Das Bild ist geteilt, das die rechts- und geschichtswissenschaftliche Forschung sowohl von der Stellung Japans im völkerrechtstheoretischen Diskurs als auch von den Wirkungen des Völkerrechts2 auf Japan zeichnet. Auf der einen Seite gelten ihr außerhalb Japans die dortigen Regierungen und Intellektuellen seit Beginn der Meiji-Zeit als Musterschüler in der Rezeption des Völkerrechts europäisch-nordamerikanischer Provenienz. Denn nirgendwo sonst fanden europäisch-nordamerikanische Völkerrechtssätze und die sie tragenden Dok- trinen außerhalb Europas und Nordamerikas so schnell Eingang und etablierte sich die Völkerrechtslehre als wissenschaftliche Disziplin so früh wie in Ja- pan3. Auf der anderen Seite zieht sich dort politischer Widerstand gegen die

1 Das Werk wurde 2010 unter dem Titel “Krieg und Ordnungsdenken im japanischen völker- rechtlichen Diskurs 1919–1960. Studien zur Geistesgeschichte der Zwischen- und frühen Nachkriegszeit” von der Ludwig-Maximilians-Universität München als Habilitationsschrift angenommen. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse für die 1920er Jahre erschien als Auf- satz mit dem Titel “War and International Order in Japan’s International Legal Discourse.

Attitudes among Japanese International Lawyers during the 1920s”, Ajia Taiheiyō kenkyū [成蹊大学]アジア太平洋研究 ([Seikei Universität] Asiatisch-Pazifische Forschungen) 35 (2010): 103–10. Die Titel des Typoskripts und dieser Zusammenfassung bezeichnen den Inhalt des Werks genauer als der Titel der Buchhandelsausgabe. Eine weitere Zusammen- fassung von Teilergebnissen liegt vor in Zachmann: “Asianismus und Völkerrecht. Japans sanfter Übergang von der Großostasiatischen Wohlstandssphäre zu den Vereinten Nationen.

1944–1956”, Comparativ 18 (2008): 53–68.

2 Ich verwende durchgehend, der Konvention halber, die Bezeichnung “Völkerrecht”, ob- schon die Bezeichnung “internationales öffentliches Recht” für das 19. und 20. Jahrhundert sachlich zutreffend wäre.

3 ichimata Masao 一又正雄: Nihon no kokusai hōgaku o kizuita hitobito 日本の国際法学 を築いた人々 (Die Begründer der Völkerrechtslehre in Japan), Nihon Kokusai Mondai Kenkyū Jo 1973. Ders.: “Meiji oyobi Taishō shoki ni okeru Nihon kokusai hō no keisei to hatten” 明治および大正初期における日本国際法の形成と発展 (Entstehung und Ent-

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Anwendung dieser Völkerrechtssätze seit der Bakumatsu-Zeit wie ein roter Faden durch die Theorie des Völkerrechts und die Praxis seiner Handhabung4. Trotz ihrer Gegensätzlichkeit ruhen beide Wahrnehmungen gemeinsam auf der These, dass Völkerrecht sozusagen ein Produkt europäisch-nordamerika- nischer Kultur und seit der Mitte des 19. Jahrhunderts nach Japan und in ande- re Staaten übertragen worden sei. Zwar ist an der Tatsache nicht zu zweifeln, dass seit dieser Zeit Völkerrechtssätze aus Europa und Nordamerika universa- lisiert worden sind. Aber diese Tatsache schließt nicht aus, dass es Völkerrecht in Ostasien vor dessen Einbezug in den Geltungsbereich europäisch-nord- amerikanischer Rechtssätze gab. Ist Japan somit jemals in eine “Völkerrechts- gemeinschaft” “eingetreten”, wie seit Alexander von Siebold immer wieder behauptet worden ist5?

wicklung des Völkerrechts in Japan in der Meiji- und frühen Taishō-Zeit), Kokusai hō gaikō zasshi 国際法外交雑誌 (Zeitschrift für internationales Recht und Diplomatie) 71.5/6 (1973): 59–109. Ōnuma Yasuaki [大沼保昭]: A Transcivilizational Perspective on Inter- national Law. Questioning Prevalent Cognitive Frameworks in the Emerging Multi-Polar and Multi-Civilizational World of the Twenty-First Century, Leiden: Nijhoff 2010 [zuerst Recueil des cours 342 (2009): 81–418]. Die erste Professur für Völkerrecht wurde an der damaligen Kaiserlichen Universität Tokyo 東京帝国大学 (Tōkyō Teikoku Daigaku) im Jahr 1889 eingerichtet.

4 Owada Hisashi [小和田恒]: “Japan, International Law and the International Community”, andŌ Nisuke 安藤仁介 (Hrsg.): Japan and International Law, Den Haag: Kluwer 1999:

347–78. YOkOta Kisaburō 横田喜三郎: “Wa ga kuni ni okeru kokusai hō no kenkyū” わが 国における国際法の研究 (Studien zum internationalen Recht in unserem Lande), Tōkyō Teikoku Daigaku gakujutsu taikan, Hōgaku Bu Keizaigaku Bu 東京帝国大学学術大観― 法学部・経済学部 (Übersicht über die wissenschaftliche Tätigkeit der Kaiserlichen Uni- versität Tokyo. Fakultät für Rechtswissenschaften, Fakultät für Wirtschaftswissenschaften), Tōkyō Teikoku Daigaku 1942: 235–48.

5 Alexander Freiherr VOn siebOld: Der Eintritt Japans in das europäische Völkerrecht, Berlin: Tamai 1900. suGanami Hidemi [菅波英美]: “Japan’s Entry into International So- ciety”, Hedley bull und Adam watsOn (Hrsg.): The Expansion of International Society, Oxford: Oxford University Press 1984: 185–99. Immanuel Chung-Yueh hsu: China’s En- trance into the Family of Nations. The Diplomatic Phase. 1858–1880, Cambridge, MA:

Harvard University Press 1960 (Harvard East Asia Series, 5). Gerrit W. GOnG: The Stan- dard of “Civilization” in International Society, Ph. D. Diss., maschinenschriftlich, Oxford University 1980 [Druckausg., Oxford: Clarendon Press 1984]. Ders.: “China’s Entry into International Society”, bull (wie oben): 171–83. Ders.: “China’s Entry into International Society. Beyond the Standard of ‘Civilization’”, Review of International Studies 17 (1991):

3–16. ZhanG Yong-Jin: China in the International System 1919–20, Basingstoke: Palgrave Macmillan und New York: St Martin’s Press 1991. Dazu kritisch akashi Kinji [明石欽司]:

“Japa nese ‘Acceptance’ of the European Law of Nations. A Brief History of International Law in Japan. c. 1853–1900”, Michael stOlleis und YanaGihara Masaharu [柳原正治] (Hrsg.): East Asian and European Perspectives on International Law, Baden-Baden: No-

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Wer diese Frage stellt, zieht die Grundannahme der Völkerrechtshisto- riografie in Zweifel, dass es solche “Eintritte” gab, nimmt gegen die herr- schende Lehre an, dass spätestens bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhun- derts Gemengelagen einerseits aus natur- und positivrechtlich abgeleiteten, andererseits aus universellen, das heißt als allgemein gültig, und partikularen, mithin als regional gültig wahrgenommenen Völkerrechtssätzen bestanden.

In diesen Gemengelagen konnten zwar Prozesse der Rezeption oder auch des Austauschs von Völkerrechtsätzen stattfinden, aber die Erwartung, dass Völkerrechtssätze nur in und für eine “Völkerrechtsgemeinschaft” gültig gesetzt sein können, darf nicht ohne Beleg für die Welt insgesamt als aner- kannt postuliert werden. Ob bestimmte Rezeptionsverfahren als “Eintritt” in eine “Völkerrechtsgemeinschaft”6 wahrgenommen wurden, ist mit Mitteln der historischen Quellenkritik zu bestimmen. Die Völkerrechtshistoriografie wirft somit die rezeptionstheoretischen Fragen auf, wie welche europäisch- nordamerikanischen Völkerrechtssätze sowie die diesen zugrunde liegenden Theorien auf die Wandlungen der japanischen Staatsstruktur und Innenpoli- tik wirkten und wie umgekehrt die Wandlungen der japanischen Staatsstruk- tur und Innenpolitik auf Völkerrechtssetzungen und die Völkerrechtstheorie außerhalb Japans rückwirkten. Die erste dieser Fragen wurde bisher selten gestellt7, die zweite hingegen fand bisher nur eine Antwort in politischer Pro-

mos Verlagsgesellschaft 2004 (Studien zur Geschichte des Völkerrechts, 7): 1–22 [dort, S. 1 mit einer Liste von Titeln zur Völkerrechtsgeschichte in Japan]. Ders.: “Japan – Eu- rope”, Bardo Fassbender und Anne Peters (Hrsg.): The Oxford Handbook of the History of International Law, Oxford: Oxford University Press 2012: 724–43, hier 731–37. Jeremy thOmas: “History and International Law in Asia. A Time for Review?”, Ronald Saint John macdOnald (Hrsg.): Essays in Honour of Wang Tieya, Dordrecht: Nijhoff 1994: 813–57.

6 Dazu siehe W. Ross JOhnstOn: Sovereignty and Protection. A Study of British Jurisdic- tional Imperialism in the Late Nineteenth Century, Durham, NC: Duke University Press 1973 (Duke University Commonwealth-Studies Center Series, 41). Paul keal: European Conquest and the Rights of Indigenous Peoples. The Moral Backwardness of International Society, Cambridge: Cambridge University Press 2003 (Cambridge Studies in International Relations, 92). Edward keene: Beyond the Anarchical Society. Grotius, Colonialism and Order in World Politics, Cambridge: Cambridge University Press 2002: 126–34.

7 Beispielsweise durch YanaGihara Masaharu [柳原正治]: “Japan’s Engagement with and Use of International Law. 1853–1945”, Thilo marauhn und Heinhard steiGer (Hrsg.): Uni- versality and Continuity in International Law, Den Haag: Eleven International Publishing 2011: 447–69. Für die Neigung, Veränderungen der Staatsstruktur hauptsächlich aus in- nenpolitischen Faktoren abzuleiten, war die sogenannte Modernisierungstheorie der 1960er Jahre charakteristisch. Siehe Robert Edward ward und Dankwart A. rustOw (Hrsg.): Po- litical Modernization in Japan and Turkey, Princeton: Princeton University Press 1964. Zur Kritik der theoretischen Grundlagen dieser Forschungsrichtung siehe Michael E. latham:

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paganda. Carl Schmitt lieferte sie im Jahr 1950 und befand, eine angebliche

“Aufnahme” Japans in eine sogenannte “Völkerrechtsgemeinschaft” habe diese ihres vermeintlich europäischen Charakters beraubt und damit zerstört8. Das neue Buch Urs Matthias Zachmanns, das hier zur Besprechung ansteht, soll nicht nur die erste der beiden rezeptionstheoretischen Fragen beantwor- ten, sondern auch die völkerrechtshistoriografische Grundsatzfrage, ob es so etwas wie “Eintritte” in eine “Völkerrechtsgemeinschaft” überhaupt gab.

Dazu erschließt Zachmann die japanische völkerrechtstheoretische Literatur, die im Zeitraum zwischen 1919 und 1960 im Druck erschien, und versucht, deren Hauptthesen mit einigen Grundsätzen der japanischen Außenpolitik der- selben Zeitspanne zu kontextualisieren. Die Rückwirkungen des Wandels der japanischen Staatsstruktur auf das Völkerrecht tangiert er nur als Problem (S.

16)9. Gleichwohl bedarf Schmitts Behauptung, mit der er noch nach Ende des zweiten Weltkriegs die nationalsozialistische Völkerrechtslehre zu rechtferti- gen versuchte, der Korrektur.

Zachmann verfolgt ausdrücklich keinen rechtswissenschaftlichen, sondern einen “geistesgeschichtlichen” Ansatz, obwohl er sich ein inhaltlich klar ab- gegrenztes rechtswissenschaftliches Textcorpus zur Bearbeitung vornimmt (S. 30–34). Mit der Bezeichnung “Geistesgeschichte” verbindet Zachmann die politische Ideengeschichte oder “intellectual history”10, die er am Kon- textualismus Quentin Skinners festmacht (S. 32–33). Dabei übersieht er, dass Skinner als Historiker seinen Ansatz der Erforschung der Geschichte der po-

Modernization as Ideology. American Social Science and “Nation Building” in the Ken- nedy Era, Chapel Hill und London: University of North Carolina Press 2000: 21–67.

08 Carl schmitt: Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europeum [in wesent- lichen Teilen geschrieben vor Kriegsende 1945], Köln: Greven 1950: 204.

09 Zur Beantwortung dieser Frage stehen umfangreiche Quellensammlungen zur Verfügung, so zum Beispiel zur japanischen Beteiligung an der Neufestlegung der Staatsgrenzen der Republik Österreich und des Deutschen Reichs nach den Pariser Friedensverträgen. Zu einem lokalen Aspekt dieser bisher nur in Ansätzen bekannten Vorgänge siehe Hermann kurahs: Die Entwicklung der Stadt Radkersburg vom Zusammenbruch der österreichisch- ungarischen Monarchie bis zum Tode ihres Bürgermeisters Dr. Franz Kamniker, Diss. Phil., maschinenschriftlich, Graz 1985.

10 Annabel S. brett: “What is Intellectual History Now?”, David cannadine (Hrsg.): What is History Now?, Basingstoke: Palgrave Macmillan und New York: St Martin’s Press 2002:

113–31. John Greville Agard POcOck: “What is Intellectual History?”, Juliet Gardiner (Hrsg.): What is History Today?, Basingstoke: Palgrave Macmillan und New York, St Mar- tin’s Press 1988: 114–16. Ders.: Barbarians, Savages and Empires, Cambridge: Cambridge University Press 2005 (ders.: Barbarism and Religion, 4).

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litischen Ideen gegen Thesen des Politiktheoretikers Michael Oakeshott ent- wickelte. Oakeshott hatte auf der Forderung beharrt, politische Ideen müssten aus ihrem zeitlichen und textlichen Umfeld isolierbar sein und für sich durch die Zeiten als Gegenstände der philosophischen Theoriebildung dienen kön- nen11. Skinner setzte gegen Oakeshott die These, dass politische Ideen erst vor dem Hintergrund der Zeit ihrer Entstehung sowie als Bestandteile eines Über- lieferungszusammenhangs verstehbar seien und bestritt folglich die transtem- porale Kontinuität politischer Ideen12. Skinner gewann seinen Ansatz aus Stu- dien über die longue durée politischen Denkens13.

Skinners Ansatz ist folglich auch und gerade für rechtswissenschaftliche Theorien wegen deren Bindung an Rechtssätze nicht in Konzentration auf wenige Jahrzehnte anwendbar, sondern muss lange Zeiträume in den Blick nehmen. Da Zachmann aber nur Quellentexte aus einer Gesamtzeitspanne von wenig mehr als vier Jahrzehnten untersucht, bietet er, entgegen seiner Ankündigung, keine “intellectual history” japanischer Völkerrechtstheorien, sondern konventionelle “Geistesgeschichte” im Sinn des Historikers Friedrich Meinecke (1862–1954)14. Meinecke gab vor, Ideen auf “Gipfelwanderungen”

über vermeintlich klassisch gewordene Werke von Theoretikern der Politik nachzuspüren, erstellte aber keinen Kontext, sondern reihte Interpretationen

11 Michael Joseph OakeshOtt: Lectures in the History of Political Thought [1968/69], hrsg.

von Terry nardin und Luke O’sulliVan, Exeter: Imprint Academic 2006 (ders.: Selected Writings, Bd. 2): 33.

12 James tullY (Hrsg.): Ideas in Context. Quentin Skinner and His Critics, Princeton: Princ- eton University Press 1988.

13 Quentin skinner: Foundations of Modern Political Thought, 2 Bde., Cambridge: Cam- bridge University Press 1978. Ders.: “Meaning and Understanding in the History of Ideas”, History and Theory 8 (1969): 1–53 [wieder abgedruckt, ders.: Visions of Politics, Bd. 1:

Regarding Method, Cambridge: Cambridge University Press 2002]. Ders.: “Surveying the Foundations. A Retrospect and Reassessment”, Annabel S. brett, James tullY und Holly hamiltOn-bleakleY (Hrsg.): Rethinking the Foundations of Modern Political Thought, Cambridge: Cambridge University Press 2006: 236–60.

14 Zur Kritik an Meinecke siehe Martin van Gelderen: “Der moderne Staat und seine Alter- nativen. Althusius, Arnisaeus und Grotius”, Emilio bOnFatti, Giuseppe dusO und Merio scattOla (Hrsg.): Politische Begriffe und historisches Umfeld in der Politica methodice digesta des Johannes Althusius, Wiesbaden: Reichert 2000 (Wolfenbütteler Forschungen, 100): 113–32, hier S. 115–16. Michael stOlleis: “Friedrich Meineckes ‘Die Idee der Staats- räson’ und die neuere Forschung”, Michael erbe (Hrsg.): Friedrich Meinecke heute, Ber- lin: Colloquium Verlag 1981 (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 31): 50–75 [wieder abgedruckt, ders.: Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit, Frankfurt: Klostermann 1990: 134–64].

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aneinander15. Der außenpolitische Kontext, den Zachmann mit der Ankündi- gung der Untersuchung des Zusammenhangs zwischen “Völkerrechtsdenken und Außenpolitik” aufzuzeigen verspricht, entsteht also nicht.

Die Anlage von Zachmanns Buch folgt dem Vorbild der Völkerrechtshand- bücher des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Diese hatten im Sinn der europäischen Tradition den Frieden dargestellt als geordneten, den Krieg als ungeordneten, aber nicht ungeregelten Zustand des Völkerrechts. Dement- sprechend stellt Zachmann in jedem Kapitel Abschnitte mit Theorien über das Völkerrecht im Frieden und im Krieg einander gegenüber, obwohl in ostasia- tischen Denktraditionen Frieden und Krieg nicht als gegenpolige Zustände, sondern als unterschiedliche, aber auf einander bezogene Handlungsmuster wahrgenommen wurden16. Er ordnet seine Darstellung der Völkerrechtstheo- rien und deren Umsetzung in die außenpolitische Praxis japanischer Regierun- gen in sechs deskriptive Kapitel. Kapitel 1 des Hauptteils ist ein Übersichts- kapitel (S. 37–84). Es behandelt die zwischenstaatlichen Beziehungen Japans zwischen 1603 und 1919 und weist Völkerrechtssätze nach, die in Ostasien ohne Einwirkung aus anderen Teilen der Welt galten. Unter der Überschrift

“Krieg und Ordnung im Washington-Versailles-System I” thematisiert Kapitel 2 (S. 85–119) die Beziehungen Japans zum Völkerbund während der 1920er Jahre. In Kapitel 3 (S. 121–57) kommen unter der Überschrift “Krieg und Ord- nung im Washington-Versailles-System II” die japanischen Reaktionen auf den Kriegsächtungspakt von 1928 zur Sprache. Kapitel 4 (S. 159–203) enthält eine Besprechung der Motive für den Austritt Japans aus dem Völkerbund 1933 nach dem sogenannten “Mandschurischen Zwischenfall” von 1931.

Kapitel 5 (S. 205–78) bietet eine Zusammenstellung von “Ordnungsdenken und Kriegsrecht während des Asiatisch-Pazifischen Kriegs” (1937–45). Den Schluss des Hauptteils bildet Kapitel 6 (S. 279–342) mit einer Übersicht über die Veränderungen der Theorien des Völkerrechts in japanischer Perspektive zwischen 1945 und 1960. Dem Hauptteil vorgeschaltet ist eine Einleitung zur Theoriegeschichte des Völkerrechts (S. 1–36); angehängt ist eine Zusammen- fassung von Ergebnissen (S. 343–50). Dem Buch ist ein Quellen- und Lite- raturverzeichnis beigefügt. Es ist durch ein Personen- und ein Sachregister erschlossen.

15 Friedrich meinecke: Die Idee der Staaträson in der neueren Geschichte, München und Ber- lin: Oldenbourg 1924.

16 Dazu siehe Harald kleinschmidt: Legitimität, Frieden, Völkerrecht, Berlin: Duncker &

Humblot 2010 (Beiträge zur Politischen Wissenschaft, 157): 105–7.

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Zachmann stellt Theoriegeschichte in den Mittelpunkt seiner Darstellung und berücksichtigt hauptsächlich gedruckte Veröffentlichungen von Ta- chi Sakutarō

立作太郎

(1874–1943, Kaiserliche Universität Tokyo), Yokota Kisaburō

横田喜三郎

(1896–1993, Universität Tokyo), Yasui Kaoru

安井郁

(1907–81, bis 1946 Kaiserliche Universität Tokyo), Sogawa Takeo

祖川武夫

(1911–96, zeitweise Universität Tokyo), Taoka Ryōichi

田岡良一

(1898–1985, Universität Kyoto) und Tabata Shigejirō

田畑茂二郎

(1911–2001, Universität Kyoto). Damit erfasst er die Schriften, auf die auch die japanische völker- rechtsgeschichtliche Forschung fokussiert ist (S. 33)17. Außer Tachi gehörten die Autoren derjenigen Generation an, die ihre wissenschaftliche Prägung in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren erfuhr. Zachmann hebt zu Recht hervor, dass diese sechs Rechtswissenschaftler eine homogene Gruppe bilde- ten und die Völkerrechtstheoriebildung während der Shōwa-Zeit dominierten.

Den Hauptteil seiner Darstellung lässt er im Jahr 1919 beginnen, da seiner Ansicht nach mit der Gründung des Völkerbunds die Entwicklung des “Welt- völkerrechts” “in ihre entscheidende Phase getreten” und Japan an dieser Ent- wicklung beteiligt gewesen sei (S. 10). Außerdem sei der erste Weltkrieg “die wohl schicksalhafteste Zäsur des 20. Jahrhunderts” gewesen, wie Zachmann, der Orthodoxie folgend18, glaubt. Er schließt seine Darstellung mit dem Jahr 1960, da erst dann die Neufassung der amerikanisch-japanischen “Sicherheits- allianz” die enge Partnerschaft mit den USA “zementiert” habe und japanische Völkerrechtstheoretiker “passiv” geworden seien (S. 35). Zachmann benutzt also zur Bildung seiner Epochengrenzen außerrechtliche Faktoren, die, wie er selbst zugesteht (S. 1), für die theoretische Gestaltung und praktische Hand- habung des Völkerrechts in Japan bedeutungslos sind. Denn einerseits stellte der erste Weltkrieg in Japan wie in vielen anderen Staaten außerhalb Europas lediglich eine medial “vermittelte Kriegserfahrung” dar19. Andererseits ist der

17 ichimata: Nihon (wie Anm. 3). Ōnuma: Perspective (wie Anm. 3). Owada: Japan (wie Anm.

4). sakai Tetsuya 酒井哲哉: Kindai Nihon no chitsujo ron 近代日本の秩序論 (Der Ord- nungsdiskurs im neuzeitlichen Japan), Iwanami Shoten 2007. Nicht erfasst sind die in eu- ropäischen Sprachen veröffentlichten Studien Tachis. Siehe tachi Sakutarō [立作太郎]: La souveraineté et l’indépendance de l’état et les questions intérieures en droit international, Paris: Les Éditions Internationales 1930. Ders.: The Principles of the Open Door in China and Manchukuo, Foreign Affairs Association of Japan [日本外事協会 Nihon Gaiji Kyōkai]

1937.

18 So beispielsweise David reYnOlds: The Long Shadow. The Great War and the Twentieth Century, London: Simon & Schuster 2013.

19 Jan schmidt: “Der Erste Weltkrieg als vermittelte Kriegserfahrung in Japan. Mediale An-

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amerikanisch-japanische Bündnisvertrag von 1960 zwar ein zwischenstaatli- ches Abkommen, folgt aber aus globalen Strategien des Containment der US- Regierung und nicht aus völkerrechtstheoretischen Gründen.

Im Folgenden sollen bei kritischer Würdigung der Inhalte von Zachmanns Buch zunächst einige allgemeine Aspekte japanischer Völkerrechtstheorien behandelt werden, darunter deren Originalität und das in ihnen enthaltene Po- tential für Kritik an den rechtlichen Grundlagen der Handhabung der inter- nationalen Beziehungen durch die Regierungen in Europa und Nordamerika.

Danach sollen einige ausgewählte spezielle Gegenstände zur Sprache kom- men, insbesondere der Einsatz der Theorien zur Legitimation herrschaftlicher Expansion, zur Abgrenzung von der Monroe-Doktrin sowie zur Verwendung für die Konstruktion eines regionalen Völkerrechts.

2. Universelles Völkerrecht in Japan

2.1 Der Konflikt zwischen Naturrecht und universellem Völkerrecht europäisch-nordamerikanischer Provenienz

Durch sein ganzes Buch hindurch erbringt Zachmann den Nachweis, dass ja- panische Völkerrechtstheorien keineswegs, wie gelegentlich behauptet wor- den ist20, bloßes Rezeptionsgut aus Europa und Nordamerika waren, sondern Resultate eigenständigen Denkens. Japanische Wissenschaftler konzipierten ihre Völkerrechtstheorien auf der Grundlage von Denktraditionen, die in Ost- asien vorhanden waren (S. 45–48), sowie in Auseinandersetzung mit Erfah- rungen, die sie in Europa und Nordamerika gesammelt hatten21, unter Ver-

eignung und Studien durch Militär und Ministerialbürokratie”, Geschichte und Gesellschaft 40 (2014): 239–65.

20 Owada: Japan (wie Anm. 4): 356–58. Ōnuma Yasuaki [大沼保昭]: “‘Japanese International Law’ in the Prewar Period”, Japanese Annual of International Law 29 (1986): 23–47, hier 27. thOmas: History (wie Anm. 5): 856. Dagegen schon takahashi Sakuei [Sakuye] [高橋 作衛, 1867–1920]: “Le droit international dans l’histoire du Japon”, Revue de droit interna- tional et de législation comparée 33 (1901): 199–201.

21 Frühe Beispiele in matsudaira Yorikadzu [Yorikazu] [松平頼和, 1866–1943]: Die völ- kerrechtlichen Verträge des Kaiserthums Japan, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1890.

senGa Tsurutarō [千賀鶴太郎, 1857–1929]: Gestaltung und Kritik der heutigen Konsular- gerichtsbarkeit, Berlin: Praeger 1897.

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wendung von Schrifttum europäischen und nordamerikanischen Ursprungs22 und unter Einbezug von Positionen, die o-yatoi gaikoku jin in Japan selbst vertraten23. Diese Denktraditionen waren denen der europäischen Naturrechts- theorien insoweit ähnlich, als sie von der Annahme des Bestehens ungesetz- ten Rechts zwischen den Staaten ausgingen. Für die Nähe der ostasiatischen Völkerrechtstheorie zu europäischen Naturrechtstheorien liegt eine Schlüssel- quelle vor in der Note der Meiji-Regierung vom 8. Februar 1868 zur Geltung der zwischenstaatlichen Verträge. In dieser Note verpflichtete sich die Meiji- Regierung, diese Verträge einzuhalten. Gleichzeitig kündigte sie an, dass sie nach “universellem öffentlichen Recht”

宇内の公法

(udai no kōhō) die Revisi- on dieser Verträge betreiben werde24. Die Note ist für die Völkerrechtstheorie in der Zeit des Herrschaftsumbruchs von zentraler Bedeutung,25 zeigt sie doch,

22 Insbesondere Lassa Francis Lawrence OPPenheim (1858–1919): International Law, 2 Bde., London und New York: Longman 1905–1906. Francis Taylor PiGGOtt (1852–1925): Ex- territoriality. The Law Relating to Consular Jurisdiction and to Residence in Oriental Countries, London: Clowes 1892. John westlake (1825–1913): International Law, Bd. 2, Cambridge: Cambridge University Press 1907. Henry wheatOn (1785–1848): Elements of International Law, Englische Ausg., 3. Aufl., hrsg. von Alexander Charles bOYd, London:

Stevens 1889. Theodore Dwight wOOlseY: Introduction to the Study of International Law, 3. Aufl., New York: Scribner 1872.

23 Mit Fragen des Völkerrechts befasst waren Gustave Emil Boissonade (1825–1910), Albert Charles Du Bousquet (1837–1882), Alessandro Paternostro (1852–1899), Henry Willard Denison (1846–1914), Montague Kirkwood (1850–1926), Thomas Baty (1869–1954). Ein- schlägig für die Völkerrechtstheorie waren insbesondere die Expertisen von Henry Willard denisOn: The Application of Japan’s New Treaties to Taiwan [26. April 1898]. Gaimu Shō Gaikō Shiryō Kan 外務省外交資料館: 1, 5, 3, 8, fol. 1v. Montague kirkwOOd: The Position of Taiwan and the Constitution. 12. Juli 1898. Ebd., 1, 5, 3, 8. Dazu siehe ichimata: Nihon (wie Anm. 3): 12–18, 58–59, 172–76. Peter Oblas: “In Defense of Japan in China. One Man’s Quest for the Logic of Sovereignty [Thomas Baty]”, New Zealand Journal of Asian Studies 3 (2001): 73–90. Ders.: “Naturalist Law and Japan’s Legitimization of Empire in Manchuria. Thomas Baty and Japan’s Ministry of Foreign Affairs”, Diplomacy and State- craft 15 (2004): 35–55. Ders.: “Britain’s First Traitor of the Pacific War [Thomas Baty].

Employment and Obsession”, New Zealand Journal of Asian Studies 7 (2005): 109–33.

24 Gaimu Shō 外務省 (Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten), [Note der Meiji-Re- gierung vom 8. Februar 1868 über die zwischen Japan und anderen Staaten bestehenden Verträge, verfasst von Ōkubo Toshimichi 大久保利道 (1830–78), und mutsu Munemitsu 陸奥宗光 (1844–97)]: Dai Nihon gaikō monjo 大日本外交文書 (Diplomatische Korres- pondenz von Groß-Japan), Nr. 97, Bd. 1, Nihon Kokusai Kyōkai 1936: 227–28.

25 Zachmann: Völkerrechtsdenken: 55, erwähnt die Note und stellt sie, sachlich richtig, als Be- kenntnis zum Streben nach Vertragsrevision vor. Dabei gibt er ohne erkennbaren Grund die Phrase 宇内の公法 ungenau als Anwendung des “universellen Rechts der Nationen” wie- der. Auf die weitergehende Interpretation verzichtet er. Dazu siehe YanaGihara Masaharu

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dass die Meiji-Regierung, wie europäische Naturrechtstheoretiker, zwischen gesetztem Vertragsrecht und ungesetztem übergesetzlichen Recht unterschied und aus letzterem die Rechtfertigung für ihre Forderung nach Vertragsrevi- sion ableitete. Das tat sie zu einem Zeitpunkt, als lediglich die Anwendung des europäischen öffentlichen Rechts der zwischenstaatlichen Verträge in den geschlossenen Abkommen, aber die Grundsätze dieses Rechts kaum und die früheren europäischen Naturrechtstheorien in Japan nicht bekannt waren.

Die Note belegt somit, dass ein System von Rechtssätzen ähnlich dem, das in Europa Naturrecht genannt wurde, der Meiji-Regierung aus ostasiatischen Traditionen als Recht des Widerstands geläufig war. Universell konzipierte Naturrechtstraditionen waren folglich in verschiedenen Teilen der Welt unter unterschiedlichen Bezeichnungen unabhängig von einander bekannt und bil- deten die Grundlage für Rechtsbeziehungen zwischen Staaten, zwischen de- nen keine “Völkerrechtsgemeinschaft” als existent wahrgenommen wurde26. Somit bedurfte es auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts außerhalb Europas für die Annahme der Gültigkeit von Völkerrecht nicht des Postulats des “Eintritts” in eine “Völkerrechtsgemeinschaft”. Für den Wandel der Völ- kerrechtstheorien in Japan bedeutet die Note der Meiji-Regierung vom Fe- bruar 1868 zudem, dass trotz des mit den Verträgen vollzogenen Oktrois des europäischen öffentlichen Rechts der zwischenstaatlichen Verträge die damals in Ostasien noch verfügbar gewesenen Völkerrechtstraditionen fortgalten.

Zachmann besteht daher zu Recht auf der Feststellung, dass bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein Japan in Bezug auf Theorie und Praxis des Völkerrechts keine “tabula rasa” war (S. 44–48, insbesondere S. 45). Doch

[柳原正治]: “Japan”, Bardo Fassbender und Anne Peters (Hrsg.): The Oxford Handbook of the History of International Law, Oxford: Oxford University Press 2012: 475–99, hier 481.

26 Dies gegen die von Zachmann akzeptierte völkerrechtsgeschichtliche Orthodoxie, die vom Zustandekommen einer “Völkerrechtsgemeinschaft” als notwendige Voraussetzung für das Bestehen einer “Völkerrechtsordnung” ausgeht. Siehe Wolfgang Preiser: Frühe völ- kerrechtliche Ordnungen der außereuropäischen Welt, Wiesbaden: Steiner 1976 (Sitzungs- berichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt / Main, 1976, Nr. 4/5). Die These, dass Völkerrecht nur in einer Gemeinschaft gültig sein könne und dass diese Gemeinschaft aus Staaten bestehen müsse, findet sich je- doch in Europa erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Für einen frühen Beleg siehe Leopold August warnköniG (1794–1866): “Die gegenwärtige Aufgabe der Rechtsphilosophie nach den Bedürfnissen des Lebens und der Wissenschaft”, Zeitschrift für die gesamte Staatswis- senschaft 7 (1851): 219–81, 473–536, 622–65, hier 622–53. Außerhalb Europas ist sie vor dem 20. Jahrhundert belegbar nur als Ergebnis der Rezeption von Aspekten europäisch- nordamerikanischer Völkerrechtstheorien.

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lässt er dadurch, dass er die Note zwar zitiert, aber nicht interpretiert, eine seiner wichtigsten Quellen ungenutzt.

Japanische Völkerrechtstheorien waren folglich, entgegen einer gelegent- lich geäußerten Forschungsmeinung27, nicht befangen in dem von Europa und Nordamerika im 19. Jahrhundert ausgehenden Rechtspositivimus, sondern behielten Versatzstücke der originären Naturrechtstradition bei. Zachmann schildert eindrucksvoll, dass japanische Völkerrechtstheoretiker sich schnell Kenntnisse der Grundlagen der europäisch-nordamerikanischen Völkerrechts- praxis und -theorie aneigneten (S. 69–84). Diese Kenntnisse führten jedoch zu dem Schluss, dass für den japanischen Staat Souveränität im Sinn der auto- nomen, von keiner Instanz abgeleiteten Gesetzgebungskompetenz28 materiell lange gegolten hatte, bevor Vertragsbeziehungen mit Europa und Nordameri- ka zustande kamen, und dass folglich die Souveränität des japanischen Staats nicht Ergebnis irgendeines Anerkennungsvorgangs gewesen sein konnte, sondern originär gegeben war29. Die Anwendung universeller Völkerrechts- sätze europäisch-nordamerikanischer Provenienz auf Ostasien war folglich in der Sicht japanischer Völkerrechtstheoretiker kein “Eintritt” in eine “Völ- kerrechtsgemeinschaft”, sondern führte zu dem durch externen Druck zwar eingeräumten, aber als revisionsbedürftig bestimmten Zugeständnis von Pri- vilegien an die Regierungen anderer Staaten30. Dieser Befund bestätigt die Erfahrungen der Rezeptionstheorie, derzufolge Rezeptionsprozesse in der Re- gel keine unidirektionalen Akte sind, sondern zu Interaktionen führen31. Diese

27 In dieser Forschungsmeinung [Ōnuma: Perspective (wie Anm. 3). Owada: Japan (wie Anm.

4)] bleibt der Tatbestand unberücksichtigt, dass die Rezeption des Rechtspositivismus aus Europa und Nordamerika durch den Oktroi des selbst positivistisch geprägten europäischen öffentlichen Rechts der zwischenstaatlichen Verträge bedingt war, also nicht aus irgendei- ner Neigung der Rechtstheoretiker folgte.

28 Wie auch in der älteren europäischen Tradition schon des 13. Jahrhunderts, siehe marinO

da caramanicO: “Liber constitutionum”, hrsg. von Francesco calassO, I glossatori e la teoria della sovranità. Studio di diritto commune pubblico, 3. Aufl., Mailand: Giuffrè 1957:

179–205, hier 180.

29 takahashi: Droit (wie Anm. 20): 199–201. Zur Kritik der These des “Eintritts” in die “Völ- kerrechtsgemeinschaft” siehe neuerdings Arnulf becker lOrca: “Universal International Law. Nineteenth-Century Histories of Imposition and Appropriation”, Harvard Interna- tional Law Journal 51 (2010): 475–552, hier 500, 532–33.

30 senGa: Gestaltung (wie Anm. 21): 123–34, 143–60. Über ihn siehe akashi: Acceptance (wie Anm. 5): 12–14. becker lOrca: Universal (wie Anm. 29): 501–2.

31 Hans Robert Jauss: Literaturgeschichte als Provokation, Frankfurt: Suhrkamp 1970: 186.

Hannelore link: Rezeptionsforschung, Stuttgart: Kohlhammer 1976: 125.

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Interaktionen können sowohl Veränderungen des Rezeptionsguts durch die Rezipienten nach sich ziehen als auch Rückwirkungen von den Rezipienten auf die Urheber. In Japan entstand als Ergebnis einer solchen Interaktion nicht nur die Kritik an der oktroyierten “Ungleichheit”, sondern zugleich auch eine kritische Distanz zu den Sätzen des europäisch-nordamerikanischen Vertrags- rechts (S. 65). Diese Distanzhaltung nehmen einige japanische Völkerrechts- theoretiker noch heute ein und stellen damit die oft postulierte Universalität mindestens einiger Völkerrechtssätze in Frage32.

Zachmann sind diese Interaktionen gut bekannt (S. 34–36). Dennoch stellt er sozusagen als Startplattform für seine Darstellung folgende Behauptung auf:

“Der Beitritt Japans zur vormals rein westlichen Völkerrechtsgemeinschaft leitete die allmähliche Universalisierung des europäischen Völkerrechts zum Weltvölkerrecht ein.” (S. 1) Der Satz ist schwer verständlich. Nicht nur repro- duziert Zachmann an dieser Stelle zustimmend eine völkerrechtsgeschichtliche Orthodoxie aus der Zeit des zweiten Weltkriegs33, sondern er widerlegt diese Orthodoxie im weiteren Verlauf seiner Darstellung gründlich durch den Nach- weis, dass es keinen “Eintritt” Japans in die “Völkerrechtsgemeinschaft” gab.

Auch ist die Aussage des Satzes in sich selbst inkonsistent. Sie umreißt zuerst eine Art Vergesellschaftungsprozess, durch den ein Staat in eine Institution

“eingetreten” zu sein scheint, schließt aber mit der Behauptung eines Norm-

32 Ōnuma Yasuaki [大沼保昭]: “When was the Law of International Society Born? An Inquiry of the History of International Law from an Intercivilizational Perspective”, Journal of the History of International Law 2 (2000): 1–66. Ders.: Perspective (wie Anm. 3): 80–108.

33 Wilhelm Georg Carl Grewe: Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 2. Aufl., Baden-Baden:

Nomos Verlagsgesellschaft 1988: 542 [Habilitationsschrift, Königsberg 1941; erster, nicht veröffentlichter Druck, Leipzig 1945; erste Buchhandelsausg. Baden-Baden: Nomos Ver- lagsgesellschaft 1984]; eine Kurzfassung erschien u. d. T. “Die Epochen der modernen Völkerrechtsgeschichte”, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 104 (1942): 38–66, 250–94. schmitt: Nomos (wie Anm. 8): 204. Als Verkünder einer sogenannten “völker- rechtlichen Grossraumordnung” (Carl schmitt: Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte. Ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht, Berlin: Deutscher Rechtsverlag 1939 (Schriften des Instituts für Politik und Internationales Recht an der Universität Kiel, N. F. 7). [wieder abgedruckt, ders.: Staat – Großraum – No- mos. Arbeiten aus den Jahren 1916–1969, hrsg. von Günter maschke, Berlin: Duncker &

Humblot 1995: 269–371]) war Schmitt erklärter Befürworter der Restitution eines Völker- rechts, das die Europäer unter sich und für sich geschaffen haben sollten, das aber durch angebliche “Universalisierung” im Namen des Völkerbunds zerstört worden sei. Dazu auch Carl schmitt: Die Kernfrage des Völkerbundes, Berlin: Dümmler 1926 (Völkerrechtsfra- gen, 18). Ders.: Der Völkerbund und das politische Problem der Friedenssicherung, Leip- zig und Berlin: Teubner 1930. Schmitts antiinternationalistische, gegen den Völkerbund gerichtete Propaganda kann daher nicht als Tatsachenreferat hingestellt werden.

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wandlungsprozesses, in dessen Verlauf die Veränderung eines Rechtssystems stattgefunden haben soll. Nicht allein bleibt in Zachmanns Buch unerklärt, wie der behauptete Universalisierungsprozess zu Normwandlungen geführt haben kann, sondern auch unberücksichtigt, dass die sogenannte “Völkerrechtsge- meinschaft” ein Konstrukt der Theorie ist. Dessen Institutionaliät und Be- zug auf die Praxis der Handhabung des Völkerrechts sind nicht unumstritten gewesen34. Es hat bis in die 1960er Jahre die Mehrheit der Weltbevölkerung ausgeschlossen, konnte also in der Zeitspanne, die Zachmann untersucht, nie Universalität beanspruchen. Anders gesagt: Zachmann legt keine Rechen- schaft darüber ab, wie die “Universalisierung des europäischen Völkerrechts”

infolge des “Eintritts” Japans in die sogenannte “Völkerrechtsgemeinschaft”

zustande gekommen sein soll.

Die Vorgänge und Verfahren des Oktrois europäisch-nordamerikanischer Grund- und Rechtssätze des Völkerrechts in Ostasien sind Zachmann zwar ge- läufig (S. 51–69). Aber er übersieht den rechtstheoretischen Kontext, der die- sen Oktroi erst ermöglichte. Die Denkfigur, derzufolge Recht nur in bestehen- den Rechtsgemeinschaften setz- und erzwingbar erschien35, kam im Verlauf des 19. Jahrhunderts nur in der europäischen, speziell deutschen Rechtstheorie auf und darf daher weder für Europa noch für andere Teile der Welt als a priori gültig vorausgesetzt werden. Erst seit den 1880er Jahren fand diese Denkfigur Anwendung auf die Theorie der “Quellen” des Völkerrechts36. Die angebliche

“Völkerrechtsgemeinschaft” war seither, was Zachmann nicht wahrnimmt,

34 Zur Kritik siehe unter anderen Obiji Ofor aGinam: “The Tortoise, the Turtle and the Ter- rapin. The Hegemony of Global Environmentalism and the Marginalization of Third World Approaches to Sustainable Development”, ders. und Chinedu Obiora OkaFOr (Hrsg.): Hu- manizing Our Global Order. Essays in Honour of Ivan Head, Toronto: University of To- ronto Press 2003: 12–29. Karin mickelsOn: “South, North, International Environmental Law and International Lawyers”, Yearbook of International Environmental Law 11 (2000):

52–87.

35 Sie umfasste seit den 1840er Jahren auch die Erwartung, dass sogar Gewohnheitsrecht nur in einer Rechtsgemeinschaft bestehen könne. Siehe Georg Friedrich Puchta (1798–1846):

Gewohnheitsrecht, Bd. 1, Buch 2: 143–47, Bd. 2: 7–8, Erlangen: Palm 1828–37. Ders.:

Pandekten, 2., sehr vermehrte Aufl., Leipzig: Barth 1844: 16–17. Dazu siehe Christoph kletZer: “Custom and Positiity. An Examination of the Philosophic Ground of the Hegel–

Savigny Controversy”, James Bernard murPhY (Hrsg.): The Nature of Customary Law, Cambridge: Cambridge University Press 2007: 125–48. Michael lObban: “Custom, Law and Common Law Reasoning and the Law of Nations in the Nineteenth Century”, ebenda:

256–78.

36 Georg Jellinek (1851–1911): Die rechtliche Natur der Staatsverträge. Ein Beitrag zur juri- stischen Konstruktion des Völkerrechts, Wien: Holder 1880: 48.

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konstruiert als “Verkehrsgemeinschaft” der Staaten zur Legitimation derje- nigen Sätze des europäisch-nordamerikanischen Völkerrechts, die allgemein gelten sollten, aber in die Freiheit des Entscheidens der Regierungen souverä- ner Staaten nicht eingreifen durften37. In dieser “Verkehrsgemeinschaft” soll- ten jedoch die Mitglieder nicht nur darüber befinden können, welche neuen Staaten kooptiert werden sollten, sondern auch darüber, welche Regeln die Mitglieder zu beachten hätten. Der “Eintritt” in diese “Verkehrsgemeinschaft”

kam daher einem Akt der Unterwerfung unter das Hausrecht eines Staaten- klubs gleich. Die Unterwerfung Japans unter dieses Hausrecht geschah mit- hin nicht weniger unfreiwillig als der Oktroi der nicht-reziproken Verträge.

Die Metapher des “Eintritts” in die angebliche “Völkerrechtsgemeinschaft”

ist mit diesen Vorgängen sachlich nicht kompatibel, zumal nach der Völker- rechtstheorie des 19. Jahrhunderts kein Staat Anspruch auf Aufnahme in diese angebliche Gemeinschaft hatte, sondern des Gnadenakts der Kooptation durch die Angehörigen zu bedürfen schien38. Ein solcher “Eintritt” kann lediglich

37 So fälschlich mit Bezug auf das 18. Jahrhundert Randall lesaFFer: Europa. Een zoektocht naar vrede. 1453–1763 en 1945–1995, Diss. phil., Leuven 1999: 375–441. Im Hinblick auf das 19. Jahrhundert Ian clark: Legitimacy in International Society, Oxford: Oxford University Press 2005: 85–108. Ders.: International Legitimacy and World Society, Oxford:

Oxford University Press 2007: 37–59. Andreas L. Paulus: Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht, München: Beck 2011 (Münchener Universitätsschriften, Reihe der Juristi- schen Fakultät, 159): 45–219, 329–423.

38 Georg Jellinek: System der subjektiven öffentlichen Rechte, Freiburg: Mohr 1892: 298, 300.

Dazu siehe Jochen GraFVOn bernstOrFF: The Public International Law Theory of Hans Kelsen. Believing in Universal Law, Cambridge: Cambridge University Press 2000: 26–41 [deutsche Fassung u. d. T. Der Glaube an das universale Recht. Zur Völkerrechtstheorie Hans Kelsens und seiner Schüler, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2001 (Studien zur Geschichte des Völkerrechts, 2): 33–36, 69–74]. Als Beispiel gilt in der völkerrechts- geschichtlichen Literatur oft, aber zu Unrecht, der Vertrag zwischen Frankreich, Russland, Sardinien, der Türkei und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Irland, Paris, 30. März 1856, Clive ParrY (Hrsg.): The Consolidated Treaty Series [= CTS], Bd.

114, Dobbs Ferry: Oceana 1977: 410–20. Denn der Worlaut dieses Vertrags belegt keinen

“Eintritt” der Türkei in eine “Völkerrechtsgemeinschaft”, sondern besagt lediglich, dass die Türkei die Vorteile eines als “Europäisches Konzert” bezeichneten, hierarchisch geordne- ten “Staatenklubs” nutzen können solle. Dazu siehe Ernest nYs: “Le Concert Européen et la notion du droit international”, Revue de droit international et de législation comparée 31 (1899): 273–313. Jennifer Pitts: “Boundaries of Victorian International Law”, Dun- can bell (Hrsg.): Victorian Visions of Global Order. Empire and International Relations in Nineteenth-Century Political Thought, Cambridge: Cambridge University Press 2007 (Ideas in Context, 86): 67–88, hier 68. Matthias schulZ: Normen und Praxis. Das Euro- päische Konzert der Großmächte als Sicherheitsrat 1815–60, München: Oldenbourg 2009 (Studien zur internationalen Geschichte, 21): 552–54. Hugh McKinnon wOOd: “The Treaty of Paris and Turkey’s Status in International Law”, American Journal of International Law

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in der Perspektive der Regierungen einiger europäischer und amerikanischer Staaten und dortiger Völkerrechtstheoretiker stattgefunden haben, nicht aber als empirisch belegter Vorgang39. Wollte Zachmann behaupten, dass auch in der Wahrnehmung japanischer Regierungen und Völkerrechtstheoretiker ein

“Eintritt” Japans in diese “Völkerrechtsgemeinschaft” stattgefunden habe, müsste er positive Belege anführen, die es nicht gibt.

In Zachmanns Darstellung gerät die sogenannte “Völkerrechtsgemein- schaft” somit zu einer auf geheimnisvolle Weise expandierenden Instituti- on, in die Staaten “integriert” werden. In seiner Beschreibung dieser “Völ- kerrechtsgemeinschaft” bedient er sich, wie Rōyama Masamichi

蝋山正道

(1895–1980) schon seit den 1920er Jahren40, des Vokabulars des klassischen Funktionalismus als politik- und rechtswissenschaftliche Theorie, die mit der Vokabel der “Integration” und der Parallelbezeichnung “Eintritt” so etwas wie ein geregeltes Verfahren postulierte. Zachmann indes behauptet, ohne einen Beleg anzuführen, das sogenannte “Vertragshafensystem” im Ostasien der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sei “Faktor der Integration in die Völker-

37 (1943): 262–74. Siehe auch Eliana auGusti: “The Ottoman Empire at the Congress of Paris”, Laura Beck Varela, Pablo Gutiérrez VeGa und Alberto sPinOsa (Hrsg.): Crossing Legal Cultures, München: Meidenbauer 2009 (Jahrbuch Junge Rechtsgeschichte, 3): 503–

17, insbes. 511–12, die jedoch aus der der Türkei durch den Vertrag zugewiesenen “second class role” schließt, “that a state unable to manage itself cannot properly be classified as a state” (512); so als sei die Türkei selbst verantwortlich gewesen für ihre Diskriminierung durch andere Staaten.

39 siebOlds Werk (wie Anm. 5) ist ein Grenzfall. Er übertrug die europäische Perspektive auf Japan und erweckte dadurch den Eindruck, als gelte diese Perspektive auch für die Wahrnehmung der Meiji-Regierung. Die Floskel des “Eintritts in die Familie der Nationen”

scheint auch in der Verteidigungsschrift von Ishii Kikujirō [石井菊次郎, 1866–1945] auf, der 1933 zu dem “Mandschurischen Zwischenfall” Stellung nahm. Siehe ishii Kikujirō:

“The Permanent Bases of Japanese Foreign Policy”, Foreign Affairs 2 (1933): 220–29, hier 223; ebendort (220) benannte Ishii das Streben nach “Gleichheit und Sicherheit” als diese

“dauerhaften Grundlagen”.

40 RŌyama Masamichi: Kokusai seiji to kokusai gyōsei 国際政治と国際行政 (Internationale Politik und internationale Verwaltung), Ganshō Dō Shoten 1928: 16–23 [zuerst Kokusai hō gaikō zasshi 国際法外交雑誌 (Zeitschrift für internationales Recht und Diplomatie) 22.7 (1923): 255–58]. Ders.: Tōa to sekai 東亜と世界 (Ostasien und die Welt), Kaizō Sha 1941:

23–38, 91. Ders.: Foreign Policy of Japan. 1914–1939, Japanese Council, Institute of Pa- cific Relations 1941: 17, 143–48 [Nachdruck, Westport, Ct: Greenwood 1975]. Ders.: “Se- kai keizai shi yori mitaru Dai Tōa Kyōei Ken” 世界経済史より見たる大東亜共栄圏 (Die Großostasiatische Wohlstandssphäre in der Perspektive der Weltwirtschaftsgeschichte), Dai Tōa seisaku no sho mondai 大東亜政策の諸問題 (Einige Probleme der Großostasiatischen Politik), Takushoku Daigaku 1943: 19–28.

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rechtsgemeinschaft” gewesen (S. 48–68)41. Gleichwohl würdigt er die zwi- schenstaatlichen Verträge, die dieses “Vertragshafensystem” erzwangen, kei- ner quellenkritischen Analyse, sondern beschränkt sich für die Beschreibung dieses “Systems” auf ein Referat der Aussagen der einschlägigen Forschungs- literatur. Im Ergebnis dieser Vorgehensweise bemerkt Zachmann daher nicht, dass gerade mit den Verträgen, die die europäischen und nordamerikanischen Regierungen auf der einen, die Regierungen von China und Japan auf der anderen Seite zwischen 1842 und 1869 schlossen, zwar ein Normwandlungs- prozess stattfand, aber weder ein Institutionalisierungs- noch ein Universali- sierungsprozess. Die angebliche “Anpassung an den neuen ‘Standard’” der

“Zivilisation” war mithin keineswegs der “Königsweg” für den “Eintritt” in die “Völkerrechtsgemeinschaft”, wie Zachmann urteilt (S. 58)42. Deren ideo- logischen Charakter erkannte unter Völkerrechtstheoretikern der Meiji-Zeit insbesondere Senga Tsurutarō und kritisierte bereits im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts das mit dem Oktroi von Völkerrechtssätzen einhergehende Gerede von Zivilisiertheit43. Zachmann nimmt ferner die Tatsache nicht zur Kenntnis, dass die Meiji-Regierung in ihren Verträgen mit den Regierungen von China44 und Hawaii45 deklaratorisch die Grundsätze der formalen Gleich- heit der Verträge und materiellen Reziprozität dispositiver Vertragsbestim- mungen hervorhob und folglich für Ostasien einen Kontrapunkt zur europä- isch-nordamerikanischen Vertragsschlusspraxis setzte. Zachmann begibt sich damit wichtiger Quellen zur Bekräftigung seiner zutreffenden These, dass in Japan die Rezeption des universellen Völkerrechts europäisch-noramerikani- scher Provenienz aus dem kritischen Umgang mit den Erfahrungen des Dis- kriminiertwerdens resultierte.

Zachmann geht zudem mit dem Schlagwort von der “Zivilisiertheit” in- konsequent um. Einerseits behandelt er es als scheinbar objektiven Maßstab

41 So ebenfalls becker lOrca: Universal (wie Anm. 29): 511–13, 529–35. Dagegen Matthew C. R. craVen: “What Happened to Unequal Treaties? The Continuities of Informal Empire”, ders. und Malgosia FitZmaurice (Hrsg.): Interrogating the Treaty. Essays in the Contempo- rary Law of Treaties, Nijmegen: Wolf Legal Publishers 2005: 43–80, hier 80.

42 So auch Richard L. sims: French Diplomacy towards the Bakufu and Meiji Japan 1854–95, Richmond, SY: Japan Library 1998 (Meiji Japan Series, 3): 5–47.

43 senGa: Gestaltung (wie Anm. 21): 143–60.

44 Vertrag China – Japan, 1872, CTS, Bd. 144: 140–48.

45 Vertrag Hawaii – Japan, 19. August 1870, Treaties and Conventions Concluded between Empire of Japan and Foreign Nations, Kōbunsha 1874: 550–53; auch, CTS, Bd. 141: 448–

50.

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für vermeintlich erfolgreiches normveränderndes Einwirken europäisch-nor- damerikanischer Regierungen und behauptet beispielsweise, Japan habe sich den “standard of ‘civilization’” schnell angeeignet (S. 16), oder nimmt an, es gebe “das zivilisierende Kriegsrecht” mit scheinbar einhegender Wirkung auf die Kriegführung (S. 6). Zachmann geht sogar so weit zu behaupten, in Japan selbst sei “die Akzeptanz des neuen Zivilisationsstandards” belegt. Als Be- leg gilt ihm die Tatsache, dass Völkerrechtstheoretiker der Meiji-Zeit die bis 1869 geschlossenen zwischenstaatlichen Verträge als “ungleich”

不平等

(fu byōdō) wahrnahmen. Mit dieser Wahrnehmung hätten Völkerrechtstheoretiker nicht nur die europäische Begrifflichkeit, sondern auch den angeblichen “Zi- vilisationsstandard” übernommen, so als sei dieser kein bloßes ideologisches Konstrukt des Kolonialismus, sondern eine objektive Gegebenheit (S. 59)46. Andererseits verwirft Zachmann das Gerede von “Zivilisiertheit” als bloße Propaganda, wenn es in der frühen Shōwa-Zeit zur Rechtfertigung japanischer Aggression in China eingesetzt wurde (S. 73). Dass einige japanische Völker- rechts- und Politiktheoretiker in den 1930er Jahren den Rekurs auf den angeb- lichen Mangel an “Zivilisiertheit” als expansionistische Ideologie einsetzten, ist unstrittig. Gleichwohl misst Zachmann nicht nur mit zweierlei Maß, son- dern verkennt zudem, dass diejenigen Theoretiker, die sich in Japan in das Ge- rede von Zivilisiertheit einklinkten, in derselben Weise verfuhren wie dessen europäischen Schöpfer an der Wende zum 20. Jahrhundert, nämlich mit dem Ziel der Rechtfertigung von Kolonialherrschaft und aggressiver politischer, nicht-herrschaftlicher Einflussnahme. Der Gebrauch dieses Geredes in Japan folgte mithin zwischen der mittleren Meiji- und frühen Shōwa-Zeit der Ideo- logie der europäisch-nordamerikanischen Kolonialherrschaft. Man kann nicht dasselbe Gerede als angemessene Beschreibung scheinbarer Tatsachen aus- geben, wenn es aus Europa und Nordamerika tönt, und als bloße Propaganda zurückweisen, wenn es von Japan ausgeht.

Zachmann schildert den Rekurs der Völkerrechtstheoretiker auf das Zivi- lisiertheitsgerede (S. 69–77). Er begründet diesen Rekurs zutreffend mit der Absicht, Kategorien zur Begründung der Revision der ungleichen Verträge zu finden. Zu Recht verweist er darauf, dass die Anerkennung Japans nicht

46 Als Belege dienen Zachmann, Völkerrechtsdenken, an dieser Stelle (55–60) Verweise auf die Forschungsliteratur. Ähnlich wenig begründet urteilte bereits Dieter lanGewiesche:

“Wie neu sind die Neuen Kriege?”, Ulrich laPPenküPer und Reiner marcOwitZ (Hrsg.):

Macht und Recht. Völkerrecht in den internationalen Beziehungen, Paderborn, München, Wien und Zürich: Schöningh 2010 (Otto-von-Bismarck-Stiftung. Wissenschaftliche Reihe, 13): 317–32, hier 332.

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nur als souveräner Staat mit Völkerrechtssubjektivität, sondern auch als Groß- macht das wesentliche gemeinsame Ziel der Meiji-Regierung und der sie un- terstützenden europa- und amerikakritischen Völkerrechtstheoretiker war (S.

84). Allein der Großmachtstatus schien die Chance zu bieten, Diskriminierun- gen durch die Handhabung von Sätzen des europäisch-nordamerikanischen Völkerrechts künftig entgegen zu wirken (S. 34). Großmachtstatus war je- doch in der Sicht sowohl der Theoretiker als auch der Praktiker der inter- nationalen Beziehungen um 1900 in Europa wie in Nordamerika gebunden an den Nachweis der Herrschaftsexpansion in der Form der Herstellung von Kontrolle über abhängige Gebiete und Bevölkerungsgruppen47. Zachmann legt zwar dar, dass diese Strategie auch außenpolitische Entscheidungen der Meiji-Regierung prägte und zuerst gegen Taiwan, später auch gegen Korea gerichtet war (S. 69–70, 92). In Taiwan sollte, was Zachmann aber übersieht, explizit nach britischem Vorbild eine Art Laboratorium für Kolonialherrschaft eingerichtet werden48. Die japanische Strategie der Herrschaftsexpansion war mithin emulativ und folgte dem Begriff, in der Meiji-Zeit aber nicht der Ter- minologie europäisch-nordamerikanischer Kolonialherrschaft. Denn ein in- terministerielles “Kolonialamt”

拓務局

(Takumu Kyoku) entstand 1922, ein spezielles Ministerium

拓務省

(Takumu Shō), das die der japanischen Regie- rung unterstellten abhängigen Gebiete verwaltete, 1929.49 Zuerst in der frü-

47 Franz von lisZt (1851–1919): Das Völkerrecht systematisch dargestellt, § 10. 9. Aufl., Ber- lin: Häring 1913: 98. Paul Samuel reinsch (1869–1923): Colonial Government, New York:

Macmillan 1902: 102–7. Joseph chamberlain (1836–1914): “[Stellungnahme vor dem bri- tischen Unterhaus zum Ashanti-Krieg, 1895]”, Robert Stephenson Smyth baden-POwellOF

Gilwell (1857–1941): The Downfall of Prempeh. A Diary of Life with the Native Levy in Ashanti. 1895–96, 2. Aufl., London: Methuen 1898: 22–23, 31–35. Carl Friedrich Hubert Peters (1856–1918): Ein Memorandum über die Erwerbungen der Gesellschaft für deut- sche Kolonisation in Ostafrika in Bezug auf geographische Beschaffenheit, politische Ver- hältnisse etc. und einige Gesichtspunkte für die dort zu schaffende Verwaltung [um 1885].

Bundesarchiv Berlin: R 1001/390, fol. 67r–76r.

48 kibata Yōichi [木幡洋一]: “Die Kolonialpolitik Großbritanniens und Japans”, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 47 (1999): 413–29. Mark R. Peattie: “Japanese Attitudes to- ward Colonialism”, ders. und Ramon Hawley mYers (Hrsg.): The Japanese Colonial Em- pire. 1895–1945, Princeton: Princeton University Press 1984: 80–127, hier 88. E. Patricia tsurumi: Japanese Colonial Education in Taiwan. 1895–1945, Cambridge, MA: Harvard University Press 1977 (Harvard East Asian Series, 88): 74–77. Dies.: “Colonial Education in Korea and Taiwan”, Peattie und mYers (Hrsg.): Empire (wie oben): 275–311.

49 Japanische Regierungen benutzten somit offiziell die Terminologie des Kolonialismus.

Es ist also nicht ganz zutreffend zu sagen, dass in Japan überhaupt kein Kolonialismus vorgelegen hätte. So Peter duus: “Shokuminchi naki teikoku shugi” 植民地なき帝国主 義 (Imperialismus ohne Kolonialismus), Shisō 思想 (Denken) 814 (1992): 105–21. Rein-

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hen Shōwa-Zeit griffen die Regierung und einige Völkerrechtstheoretiker das Zivilisiertheitsgerede auf in dem Bestreben, den Anspruch Großmachtstatus insbesondere gegenüber China zu begründen in Kategorien nicht der Politik, sondern des Rechts.

Mit der Durchsetzung des europäischen öffentlichen Rechts der zwischen- staatlichen Verträge ging also der Oktroi des weiter gefassten Begriffs des universellen Völkerrechts nicht nur als Sammlung von Sätzen zur generellen Regelung zwischenstaatlicher Beziehungen einher, sondern auch als Instru- ment der Privilegierung nur weniger Staaten. Der Gebrauch des universellen Völkerrechts als Mittel zur Legitimation von Großmachtstatus in Anbindung an manifeste Kolonialherrschaft durch die Meiji-, Taishō- und frühen Shōwa- Regierungen sowie deren Rechtsberater war somit keine nur in Japan aufzufin- dende Anwendung des universellen Völkerrechts, sondern diesem immanent.

2.2 Völkerrechtstheorie als Kritik an der Pflege internationaler Beziehungen durch Regierungen in Europa und Nordamerika

Die kritische, aus der Meiji-Zeit überkommene Distanz zur Theorie und Pra- xis des universellen Völkerrechts bestand auch nach Ende des ersten Welt- kriegs fort. Sie ergab sich noch immer aus dem Bedürfnis, naturrechtliche Elemente der Völkerrechtstheorie nicht nur im akademischen Diskurs, son- dern auch in der praktischen Außenpolitik zur Geltung zu bringen. Völker- rechtsheoretiker und hochrangige Diplomaten wie Shidehara Kijūrō

幣原喜重

(1872–1951), die sich innerhalb der breiten Denkrichtung des “kulturellen Internationalismus” bewegten50 und den Völkerbund grundsätzlich unterstütz-

hard Zöllner: “Ein ostasiatischer Holocaust? Japans Aggression in China (1931–1945)”, Thoralf klein (Hrsg.): Kolonialkriege. Militärische Gewalt im Zeichen des Imperialismus, Hamburg: Hamburger Ed 2006: 291–328, hier 327. Auch nimmt die Forschung den Theo- riebezug der japanischen Expansionspolitik nicht immer hinreichend ernst, sondern behan- delt diese lediglich pragmatisch als einen Aspekt der kriegszeitlichen Diplomatie. So zum Beispiel hatanO Sumio 波多野澄雄: Taiheiyō sensō to Ajia gaikō 太平洋戦争とアジア外 交 (Der Pazifische Krieg und die diplomatischen Beziehungen mit Asien), Tōkyō Daigaku Shuppan Kai 1996: insbes. 134–58.

50 irie Akira [入江明]: Cultural Internationalism and World Order, Baltimore und London:

Johns Hopkins University Press 1997. Ders.: Global Community. The Role of International Organizations in the Making of the Contemporary World, Berkeley, Los Angeles und Lon- don: University of California Press 2002. Klaus schlichtmann: Japan in the World. Shide- hara Kijūrō, Pacifism and the Abolition of War, Lanham, MD: Lexington Books 2009.

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