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Rekonstruktion(en) eines historischen Massenmediums: Ansätze zur Erforschung der Laterna magica

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Lydia Jakobs

Rekonstruktion(en) eines historischen Massenmediums:

Ansätze zur Erforschung der Laterna magica

Die Bezeichnung »Laterna magica« hat sich als Sammelbegriff für verschiedene Arten von Projektionsapparaten durchgesetzt, die nach dem gleichen Prinzip funktionieren:

»[E]in kleiner transportabler Kasten, in dem sich eine durch Hohlspiegel und/oder Kondensor ausgerichtete Lichtquelle befindet, mit der austauschbare Bilder projiziert werden können.«1 In der Film- und Medienwissenschaft fand die »Zauberlaterne« bisher überwiegend Eingang in Technikgeschichten – als eine Art defizitärer Vorläufer späterer Filmprojektoren – oder in intermedialer Verbindung mit weiteren Medien des ausgehen- den 19. Jahrhunderts wie dem Panorama oder der britischen »music hall«, in deren in- termedialem Umfeld sich der Film entwickelt.2 Zunächst wird dieser Beitrag einen kur- zen Abriss der Geschichte der Laterna magica bzw. der Projektionskunst in Europa3 mit Schwerpunkt auf den technischen und künstlerischen Innovationen des 19. Jahrhunderts als mutmaßlicher Blütezeit geben. Danach folgt ein knapper Überblick über die Erfor- schung der Laterna magica seit der Mitte des 20. Jahrhunderts. Abschließend listet er einige neuere Ansätze zur Rekonstruktion des historischen Mediums, die als Basis für weitergehende Untersuchungen dienen und die methodischen Grundlagen für ein For- schungsfeld »lantern studies« schaffen.

Die Geschichte der Laterna magica ließe sich als Technikgeschichte erzählen, da sie als optisches Medium immer wieder von technischen Entwicklungen und Verbesserungen auf dem Gebiet der Optik profitierte. Daneben steht die Sozialgeschichte des Mediums, meist rekonstruiert anhand von Aufführungsberichten, das über einen Zeitraum von kaum 250 Jahren von der magischen Zauberlaterne der Geisterbeschwörer zur respek- tablen »optical lantern« der Volksbildungsbewegung wurde.4 Eine weitgefasste Apparatgeschichte der Laterna magica umfasst eine Vielzahl von Projektionsgeräten in den unterschiedlichsten Größen und Formen, mit verschiedensten Lichtquellen und ste- tig verbesserten optischen Systemen, die jedoch alle nach dem gleichen einfachen Grundprinzip funktionieren. Der Medienhistoriker Deac Rossell beschreibt es wie folgt:

1 Jens Ruchatz: Licht und Wahrheit: Eine Mediumgeschichte der fotografischen Projektion. München 2003, S.

107.

2 Vgl. André Gaudreaults Begriff der »séries culturelles« (engl. »cultural series«) in Film and Attraction.

From Kinematography to Cinema. Urbana 2001, S. 63ff.

3 Zur außereuropäischen Geschichte siehe z.B. Elizabeth Hartrick: Consuming Illusions: The Magic Lantern in Australia and Aotearoa/New Zealand 1850-1910. Melbourne 2003, Kentwood Wells: The Magic Lan- tern in Russia. In: The Magic Lantern Gazette 21.1, 2009, S. 3–14 und Kenji Iwamoto: Gentō no seiki: eiga zenʾya no shikaku bunkashi = Centuries of Magic Lanterns in Japan. Tokio 2002.

4 Die neueren Standardwerke zur Geschichte der europäischen Projektionskunst sind Deac Rossell:

Laterna Magica - Magic Lantern. Stuttgart 2008 sowie Laurent Mannoni: Le Grand art de la lumière et de l'ombre. Paris 1994.

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Die Laterna magica ist kein kompliziertes Instrument. Sie besteht im Prinzip aus einer Lichtquel- le, einem transparenten Bildträger und einer Vergrößerungslinse. [M]it Hilfe dieser Kombination war es möglich, das auf dem Glas befindliche Bild stark vergrößert auf eine Wand, ein Tuch oder sogar auf eine Rauchwolke zu projizieren.5

Bereits seit der Antike waren Projektionstechniken mit Hohlspiegeln, später auch mit dem Camera-obsucra-Prinzip bekannt, doch die Verwendung von Linsen zur Projektion etablierte sich erst durch die Verbesserung der Glasqualität infolge neuer Techniken des Linsengusses und -schliffs im 17. Jahrhundert. Ein Zentrum war das niederländische Leiden, wo in der Werkstatt der Familie Musschenbroek hochwertige Linsen gefertigt wurden und Wissenschaftler der Universität weitere optische Geräte wie Teleskope und Mikroskope entwickelten.6 Hier studierten auch der niederländische Gelehrte Christiaan Huygens, der von der heutigen Forschung als erster gesicherter Konstrukteur einer Laterna magica angesehen wird und der Däne Thomas Walgensten, der aufgrund seiner überlieferten Vorführungen mit der »lantern of fear« an europäischen Königs- und Fürs- tenhäusern in den 1660ern als erster Handelsvertreter des neuen optischen Instruments gelten darf.7 Noch im späten 17. Jahrhundert verbreitete sich die Laterna magica in ganz Europa und fand sich sowohl in den Beständen der Verkäufer optischer Geräte wie auch dem Repertoire der Missionare, die das Gerät zunächst in China später auch im Rest der Welt bekannt machten.8

Over the next two centuries the magic lantern would be repeatedly deployed in the service of re- ligious, political, and educational persuasion; by the end of the nineteenth century there was hardly a church in Europe or America, or a mission anywhere, which did not supplement the spoken word with images projected by the magic lantern.9

Zunächst erlaubten allerdings die schwachen Lichtquellen – Kerzen und Lampen, die pflanzliche und tierische Öle verbrannten – nur häusliche Projektionsvorführungen oder solche für kleine Zuschauergruppen bis etwa 40 Personen.10 Bis zur Verwendung der Argand-Lampe Ende des 18. Jahrhunderts projizierten die Laternen laut Deac Rossell ein Lichtbild mit einem Durchmesser von weniger als zweieinhalb Metern aus einer Ent- fernung zwischen drei und vier Metern.11 So ergänzte die Laterna magica neben den pri- vaten Sammlungen der Wohlhabenden zunächst vor allem das Kuriositäten-Repertoire der in ganz Europa wandernden Savoyarden, die auch Guckkästen und Handorgeln mit- führten und gegen kleine Bezahlung in wohlhabenden Haushalten oder auf Dorfplätzen

5 Rossell, S. 18.

6 Vgl. Mannoni, S. 50–51 und Mervyn Heard: Phantasmagoria. The Secret Life of the Magic Lantern. Has- tings 2006, S. 31.

7 Vgl. Rossell, S. 19ff., Mannoni, S. 54–58 und Hauke Lange-Fuchs: For Kings, Princes and Nobles.

Some Early Uses of the Lantern in the World of Government. In: Richard Crangle, Mervyn Heard, Ine van Dooren (Hrsg.): Realms of Light. Uses and Perceptions of the Magic Lantern from the 17th to the 21st Century. London 2005, S. 155–158; S. 155. Die Bezeichnung Schreckenslaterne (frz. »lanterne de peur«) geht laut Mannoni auf den französischen Gelehrten Pierre Petit zurück, der sowohl mit Wal- genstein [sic] wie auch Huygens in Kontakt stand (vgl. S. 55).

8 Vgl. Mannoni, S. 74–77, Rossell, S. 49–51.

9 Rossell, S. 50.

10 Vgl. ebd., S. 91.

11 Ebd., S. 87.

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ihre Geschichten erzählten und Laternenbilder vorführten: »Part story-tellers and part magicians, these mysterious foreigners, many from Italy, surprised and terrified ad hoc audiences in taverns, wayside barns, and private homes, with monstrous figures and exotic scenes of far off places.«12 Für die Zuschauer waren der Vorführer, die Leinwand, der optische Apparat und dessen Funktionsweise also während der Vorführung zu die- sem Zeitpunkt der Geschichte der Laterna magica sichtbar.

Ende des 18. Jahrhunderts wurde es dank stärkerer Lichtquellen möglich, Projekti- onsgerät und Vorführer hinter einer halb-transparenten Leinwand zu platzieren um ein in abgedunkelten Räumen versammeltes Publikum mit ausgefeilten Geistererscheinun- gen, den Phantasmagorien, zu erschrecken. Durch Vor- und Zurückbewegen einer auf Schienen montierten Laterna magica (auch »Fantascope« genannt) verkleinerten bezie- hungsweise vergrößerten sich die projizierten Lichtbilder, was den zeitgleich mit unheim- lichen Soundeffekten beschallten Zuschauern das Gefühl geben sollte, die Erscheinun- gen bewegten sich im Raum.13 Die zwei bekanntesten Geisterbeschwörer, Étienne- Gaspard Robertson und Paul de Phillipsthal etablierten zeitweise regelmäßige Vorfüh- rungen an festen Spielorten, reisten aber ebenfalls nach wie vor mit ihren Shows durch Europa bzw. England, so dass laut Mervyn Heard 1803 die Phantasmagorien alle größe- ren englischen, schottischen und irischen Städte erreicht hatten.14 Robertson inszenierte zwischen 1798 und 1803 regelmäßige Vorführungen in Paris, ab 1799 sogar in der stim- mungsvollen Kulisse eines verlassenen Kapuzinerklosters und Phillipsthal führte seine Erscheinungen ab 1801 in einem eigens errichteten Auditorium im Veranstaltungshaus Lyceum an der geschäftigen Londoner Einkaufs- und Durchfahrtsstraße, dem »Strand«, vor.15

Großbritannien und insbesondere London blieb im 19. Jahrhundert ein Zentrum der Produktion und des Einsatzes von Laternenbildern und Projektionsgeräten zu unter- schiedlichsten Zwecken. Daher wird im Folgenden auch aufgrund der verhältnismäßig guten Quellenlage die Entwicklung der Projektionskunst in England im Fokus stehen.

Dort wurden in den 1820er Jahren mit einer erneuten Verbesserung der Lichtquelle durch Verwendung von Kalklicht (auch »limelight«, »oxy-hydrogen light«) und dem ers- ten Verfahren zur massenhaften Fertigung von Laternenbildern die Grundlagen für den Einsatz der Laterna magica in respektableren Bildungs- und Reformkontexten gelegt.

Beispielsweise in der »Royal Polytechnic Institution« in London, einer Mischung aus Na- turkundemuseum und Volksbildungsanstalt, die nach ihrer Eröffnung 1838 über 40 Jahre lang zahlenden Besuchern neben technischen Neuheiten auch äußerst aufwendige Laterna magica Shows und illustrierte Vorträge zu naturwissenschaftlichen, geografi- schen und zeithistorischen Themen präsentierte.16

12 Heard, S. 8. In England nannte man sie Galantee showmen, in Deutschland Ausrufer, vgl. Rossell, S.

104.

13 Vgl. Heard, S. 96ff.

14 Ebd., S. 192.

15 Vgl. ebd., S. 94 und 119ff.

16 Siehe Brenda Weeden: The Education of the Eye. History of the Royal Polytechnic Institution 1838–1881.

Cambridge 2008. Zu den Projektionsaufführungen siehe Lester Smith: Entertainment and Amuse- ment, Education and Instruction. Lectures at the Royal Polytechnic Institution. In: Crangle et al.:

Realms of Light, S. 138–145.

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Hier wurden Anfang des 19. Jahrhunderts auch neue Bildeffekte präsentiert wie das Überblendungsverfahren der »dissolving views« (deutsch »Nebelbilder«), bei dem mit mehreren Laternen nebeneinander oder einer Laterna magica mit mehreren optischen Achsen (»biunial/triunial lantern«) zwei oder mehr Lichtbilder auf einer Leinwand über- einander gelegt werden konnten.17 Diese Anordnung erlaubte einen graduellen Wechsel (entweder durch veränderte Lichtzufuhr innerhalb des Gerätes oder durch mechanische Verschlüsse vor den Linsen) von einem Lichtbild in ein anderes, so waren Effekte wie beispielsweise der langsame Wechsel einer Szenerie von Tag zu Nacht möglich. Einer von zahlreichen mechanischen Bildeffekten waren die sogenannten »Chromatropen«, bunte Glasbilder mit abstrakten Mustern, welche gegeneinander rotierten und kaleido- skopische Bilder erzeugten, die beispielsweise zum Auftakt oder Ausklang von Projekti- onsaufführungen verwendet wurden.18

Auch das (Aufführungs-)Dispositiv19 änderte sich, die Laterna magica konnte nun- mehr an der Rückwand eines abgedunkelten Raumes platziert und das Projektionsbild nach vorne auf eine Leinwand geworfen werden, der Zuschauerraum lag dazwischen. Im Falle des »Royal Polytechnic« war diese Leinwand laut W.F. Ryan fast sechzig (!) Quad- ratmeter groß und der Theaterraum, in dem die Projektionsaufführungen stattfanden, fasste laut Mervyn Heard zunächst 500, später aufgrund der Popularität der Aufführun- gen sogar 1000 Zuschauer und wurde mit sechs »gigantischen« Laternen und einem Pro- jektionsmikroskop bespielt, sogar Musikkonzerte mit großem Orchester und Chor wur- den von »dissolving views« untermalt (oder umgekehrt).20

Auch für die Herstellung der ursprünglich handgemalten gläsernen Projektionsbilder (»slides«) brachten zwei im 19. Jahrhundert entwickelte Prozesse erhebliche Qualitäts- sprünge mit sich und ermöglichten eine serielle Produktion. Das seit 1823 bekannte Kupferplatten-Verfahren des in Birmingham ansässigen Optikers Philip Carpenter, der auch hochwertige Laternen herstellte: »Dabei wurden die graphischen Konturen der Projektionsbilder durch eine Art Kupferstich auf die Glasplatten gedruckt und zur bes- seren Haltbarkeit eingebrannt, anschließend wurden die Motive von Hand koloriert.«21 So konnten mehrere Versionen desselben Motivs produziert werden, die sich nur in Farbgebung oder Details unterschieden – die Grundlage der »dissolving views«. Ab etwa 1850 war die Produktion fotografischer Glasbilder möglich, zunächst beispielsweise mit dem nassen-Kollodium-Verfahren, welches ein fotografisches Negativ auf mit Kollo- dium beschichteten Glasplatten produzierte, das qualitativ hochwertige Positivkopien

17 Vgl. John Barnes: The History of the Magic Lantern. In: Dennis Crompton, Richard Franklin, Ste- phen Herbert (Hrsg.): Servants of Light. The Book of the Lantern. Ripon 1997, S. 31–32.

18 Vgl. ›Chromatrope‹. Lemma. In: David Robinson, Stephen Herbert, Richard Crangle (Hrsg.): Encyclo- paedia of the Magic Lantern. London 2001, S. 67.

19 Zum hier verwendeten Dispositiv-Begriff siehe Jean-Louis Baudry: Le dispositif. In: Communications 23, 1975, S. 58–59, Fn. 1.

20 W.F. Ryan: Limelight on Eastern Europe – the Great Dissolving Views at the Royal Polytechnic. In:

The New Magic Lantern Journal 4.1-3, 1986, S. 50, Heard, S. 227. Zur Musik siehe Jeremy Brooker: Pa- ganini’s Ghost. Musical Resources of the Royal Polytechnic Institution. In: Crangle et al.: Realms of Light, S. 146–154.

21 Ludwig Vogl-Bienek: Lichtspiele im Schatten der Armut: Inszenierungen sozialer Fragen im Medium der viktori- anischen Projektionskunst. Dissertation. Frankfurt a.M. 2009 [erscheint 2013], S. 127.

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ermöglichte.22 Das schnelle und preiswerte Verfahren setzte sich gegenüber der aufwen- digeren Handbemalung durch, auch wenn weiterhin für einige Themenbereiche hand- gemalte »slides« produziert wurden. Und auch die schwarz-weißen fotografischen Glas- bilder wurden häufig in einer Art Post-Produktion von Hand mit den gleichen Farben nachkoloriert, die für handbemalte Glasbilder benutzt wurden.23

Die Innovation erschloss auch thematisch neue Bereiche: Neben den nicht-fiktionalen projizierten Fotografien wissenschaftlicher Vorträge entstand Ende der 1870er Jahre das fiktionale Genre der »Life Model Slides«, das eine Vielzahl intermedialer Einflüsse verar- beitete und als hybride Form aus Bild und Wort/Text ein originäres Genre der Laterna magica darstellt. Als »Life Model Slides« werden Serien von Glasbildern bezeichnet, die durch die fotografische Fixierung von gestellten Szenen mit kostümierten Darstellern in einer Kulisse – oder seltener vor natürlichem Hintergrund – entstanden und von Hand nachkoloriert wurden. Da es sich um hochgradig gestellte Fotografien handelt, ist die Bezeichnung »life model« oder der Slogan »from life«, der sich häufiger auf den Hüllen der Glasbilder findet, irreführend, sollte aber wohl auf den Wahrheitscharakter der Fo- tografie anspielen.24 Die Serien basierten häufig auf literarischen Vorlagen bekannter Autoren (Shakespeare, Dickens, Sims), biblischen Geschichten oder Liedern, die bei der Vorführung mit der Laterna magica begleitend vorgetragen oder gesungen wurden.25

Nachdem nun die technischen Vorbedingungen und gestalterischen Spielräume um- rissen sind, möchte ich anschließend einige neuere Ansätze zur Erforschung der Laterna magica überblicksartig vorstellen. Fokus bleibt dabei das Großbritannien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, da die bisher ausgewerteten Quellen auf eine massenhafte Ver- wendung der Laterna magica insbesondere in England hindeuten. Daneben werden die inhaltsanalytischen Ansätze von Francisco Frutos Esteban als ein Beispiel für metho- disch-theoretische Beiträge zur Untersuchung von Laterna magica Bildern aus dem nicht-englischen Sprachraum vorgestellt.

Die Erforschung der historischen Projektionskunst26 war im englischsprachigen Raum zunächst getragen von den Bemühungen privater Sammler, die in den 1950er und 1960er Jahren eigene Archive bearbeiteten oder einzelnen Wissenschaftlern zugänglich mach- ten.27 Mit der Gründung der »Magic Lantern Societies« in Großbritannien und Nord-

22 Vgl. Ruchatz, S. 73.

23 Vgl. Olive Cook: Movement in Two Dimensions. London 1963. Nachdruck in: Stephen Herbert (Hrsg.):

A History of Pre-Cinema. Bd 3. London 2000, S. 115.

24 Vgl. Ludwig Vogl-Bienek: »From Life«: The Use of the Magic Lantern in Nineteenth-Century Social Work. In: Andreas Gestrich, Steven King, Lutz Raphael (Hrsg.): Being Poor in Modern Europe: Historical Perspectives 1800–1940. Oxford 2006, S. 467–484; S. 467.

25 Eine weitergehende Untersuchung zu den Ursprüngen des Genres steht bisher noch aus. Allgemein siehe Richard Crangle: Zweidimensionales Leben. Die britischen Life model-Dias. In: Fotogeschichte 19.74, 1999, S. 25–34 und Jens Ruchatz: Moral und Melodram. Life model-Serien im medialen und historischen Kontext. In: Werner Schwarz, Magarethe Szeless, Lisa Wögenstein (Hrsg.): Ganz unten.

Die Entdeckung des Elends. Wien [u.a.] 2007, S. 44–51. Zur musikalischen Begleitung von Projektions- aufführungen siehe Montserrat Armell, Antonio Esteban: Música e imágenes hasta la llegada del cine.

In: Anuario Musical 58, 2003, S. 279–333.

26 Zum Begriff siehe Ludwig Vogl-Bienek: Die historische Projektionskunst: Eine offene geschichtliche Perspektive auf den Film als Aufführungsereignis. In: KINtop 3, 1994, S. 12.

27 Vgl. Vogl-Bienek 2009, S. 12–13.

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amerika Ende der 1970er Jahre begann eine Vernetzung von Sammlern, Archivaren, ak- tiven Vorführern und Wissenschaftlern, die zur regelmäßigen Publikation eigener Unter- suchungsergebnisse in Sammelbänden bzw. Mitgliederzeitschriften führte.28 Heute kann eine sich zunehmend institutionalisierende Erforschung der Laterna magica konstatiert werden, allerdings nur innerhalb einzelner Forschungsprojekte oder als Forschungsleis- tung einzelner Personen verschiedener Disziplinen.29 Hierfür stehen beispielsweise die Untersuchungen von Karen Eifler und Torsten Gärtner, Mitarbeitern des medienwissen- schaftlichen Teilprojekts »Der Einsatz visueller Medien in der Armenfürsorge in Groß- britannien und Deutschland um 1900« der Universität Trier sowie die Datenbank LUCERNA – the Magic Lantern Web Resource. Allerdings merkt Ludwig Vogl-Bienek kritisch an: »Bezogen auf die Geschichte der Projektionskunst von einem ›Stand der Forschung‹ zu sprechen, wäre missverständlich, da gemeinsame Forschungsgrundlagen zu dieser Thematik nur rudimentär verfügbar sind.«30 Bei der Rekonstruktion des histori- schen Mediums der Projektionskunst steht die Forschung insbesondere vor dem Prob- lem der Archivsituation und war lange beschränkt auf Beschreibung, Analyse und Kon- textualisierung erhaltener Artefakte (Glasbilder und Projektionsgeräte), die sich meist in privaten Sammlungen befanden. In den letzten Jahren sind durch umfangreiche Digitali- sierungen eine enorme Anzahl sowohl an Primär- (Scans von Glasbildern) als auch Se- kundärquellen (z.B. Zeitungsartikel, Herstellerkataloge) der Forschung öffentlich zugäng- lich gemacht worden.31

Die Datenbank LUCERNA – the Magic Lantern Web Resource, ein Kooperations- projekt von WissenschaftlerInnen europäischer Universitäten mit der britischen »Magic Lantern Society« und der Universität von Indiana, ist ein Versuch unterschiedlichste In- formationen und Daten über die Laterna magica zu vernetzen. Sie enthält bisher unter anderem mehr als 7000 digitalisierte »slides« und Einträge zu mehr als 9000 Texten (Be- gleittexten, Katalogen, Aufführungsberichten), fast 4000 Personen (Vorführern, Auto- ren, Produzenten) und mehr als 6000 Aufführungen (Vorträge, Shows, Gottesdienste), die ständig ergänzt werden.32 Die Daten sind rekonstruiert aus existierenden Samm- lungsbeständen in privaten oder öffentlichen Archiven und Ergebnis der Auswertung von Katalogen der Glasbild- und Laternenproduzenten sowie der die Serien vertreiben- den Händler. Ergänzt werden sie durch Auswertungen von Eigenpublikationen ver-

28 Für eine Liste der Publikationen siehe http://www.magiclantern.org.uk/publishing.html (05.01.2013) bzw. http://library.sdsu.edu/scua/online-materials/magic-lantern-pubs/gazette (05.01.2013) zum Download des Periodikums der Magic Lantern Society of the US and Canada.

29 Auch die im Dezember 2011 am »German Historical Institute London« veranstaltete Konferenz

»Screen Culture and the Social Question« dokumentiert die zunehmende Bedeutung der Projektion für die historische Medienwissenschaft. Siehe Lydia Jakobs: Conference Report. Screen Culture and the Social Question: Poverty on Screen 1880–1914. In: GHIL Bulletin 34.1, 2012, S. 191–196.

30 Vogl-Bienek 2009, S. 11.

31 So erschienen beispielsweise eine DVD Edition des erhaltenen Bilder- und Textbestandes der briti- schen Produktionsfirma Bamforth (Robert MacDonald, Richard Crangle (Hrsg.): The Illustrated Bamforth Slide Catalogue. London 2009), weitere digitalisierte Glasbilderserien mit Begleittexten finden sich auf DVD Screening the Poor 1888–1914. Edition Filmmuseum 2011. Englische Zeitungen und Zeitschriften des 19. Jahrhunderts wurden in Projekten wie British Newspapers 1800–1900 der British Library oder British Periodicals katalogisiert und digitalisiert.

32 Stand 14.01.2013.

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schiedener Organisationen, die die Laterna magica für ihre Zwecke einsetzten (z.B.

Church Army Gazette) sowie Auswertungen von Werbeanzeigen im Fachblatt The optical magic lantern journal and photographic enlarger (1889-1903).33 LUCERNA funktioniert als eine relationale Datenbank; so würde beispielsweise der Datensatz eines einzelnes Glasbildes mit dem einer Serie verlinkt, die das Bild beinhaltet. Der Datensatz der Serie wird wiede- rum verlinkt mit dem eines Begleittextes und dessen Autor, der Eintrag des Autors ver- weist auf weitere Texte dieses Autors, die wiederum auf Datensätze zu weiteren Bilder- serien verweisen, in welchen die Datensätze der jeweiligen Einzelbilder erfasst sind. Das durchaus ambitionierte Ziel des Projektes ist es, irgendwann sämtliche (!) Informationen über die Laterna magica zu einem Gesamtbild der Geschichte des Mediums zusammen- zufügen.

Ein Teil der Daten in LUCERNA stammt aus Forschungsergebnissen von Karen Eif- ler und Torsten Gärtner. Sie verwenden als Quellen für ihre Untersuchungen die Perio- dika von englischen Wohlfahrtsorganisationen, die Laterna magica Vorführungen bei ihrer Arbeit einsetzten (z.B. Church Army Gazette und Sunday School Chronicle).34 Durch die Auswertung von Veranstaltungsankündigungen und Aufführungsberichten konnten sie anhand von Hochrechnungen die beeindruckende Größenordnung nachweisen, die nicht-kommerzielle Laterna magica Vorführungen im England des 19. und frühen 20.

Jahrhunderts erreichten. Da der Einsatz der Laterna magica nicht in allen Jahrgängen systematisch erfasst ist oder sogar ganze Jahrgänge der Publikationen fehlen, ist es schwer absolute Zahlen zu ihrem Einsatz im Kontext von Bildungs- und Sozialarbeit zu erstellen. Zitiert seien daher ausschnitthaft einige Zahlen zum Einsatz der Laterna magica durch die religiöse Missionsgemeinschaft der »Church Army«. Letztere verfügte laut Torsten Gärtner nach eigenen Angaben 1909 über einen Gesamtbestand von 175.000 Glasbildern zum Verleih und 500.000 zum Verkauf und ein Verleihaufkommen von 1,5 Millionen Glasbildern pro Jahr.35 Ein Massenpublikum erreichte die »Church Army« mit ihren »mission vans«, mobilen Projektionsfahrzeugen, die zwischen Septem- ber und Mai in ganz England im ländlichen Raum tourten und von denen sie zeitweise über 60 mit voller Projektionsausrüstung in Betrieb nahm. Torsten Gärtner hat anhand von vorliegenden Berichten dieser »Missionen« in der Church Army Gazette die minimale Anzahl von Projektionsaufführungen für den Zeitraum zwischen 1892 und 1914 auf 8000 geschätzt.36 Karen Eiflers »sehr vorsichtiger Schätzung« zufolge erreichten die mo- bilen Projektionsteams damit in diesem Zeitraum bei jeweils 200 Zuschauern insgesamt 1,5 Millionen Personen – eine optimistischere Schätzung läge laut Eifler im Bereich von 17,5 Millionen Zuschauern.37

33 Sämtliche Datensätze sind frei unter http://slides.uni-trier.de verfügbar.

34 Siehe Torsten Gärtner: The Church on Wheels. Travelling Magic Lantern Mission in late Victorian England. In: Martin Loiperdinger (Hrsg.): Travelling Cinema in Europe. Sources and Perspectives. Frankfurt a.M. 2008, S. 128–142 sowie Ders.: The Sunday School Chronicle – eine Quelle zur Nutzung der Laterna Magica in englischen Sonntagsschulen. In: KINtop 14/15, 2006, S. 25–36 und Karen Eifler:

Between Attraction and Instruction: Lantern Shows in British Poor Relief. In: Early Popular Visual Culture 8.4, 2010, S. 363–384.

35 Vgl. Gärtner 2008, S. 133.

36 Vgl. ebd., S. 132 und 138.

37 Eifler, S. 368 [eigene Übersetzung].

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Fokus der in der Armenfürsorge engagierten religiösen Organisationen wie »Church Army« oder »Sunday School Union« waren die Londoner Elendsviertel und Umgebung, während Vertreter der Arbeiterbewegung (»Co-operative Movement«, »Fabian Society«) eher in der Region Manchester aktiv waren.38 Auch zahlreiche Organisationen der Anti- Alkohol Bewegung der Temperenzler (»UK Band of Hope Union«, »Church of England Temperance Society«) nutzten Projektionsaufführungen mit der Laterna magica und spä- ter mit kinematographischen Projektoren um ihre vorwiegend jugendlichen Mitglieder gleichzeitig zu instruieren und zu unterhalten. Biblische Geschichten und pseudowissen- schaftliche Darstellungen der Folgen des Alkoholkonsums wurden ergänzt von dramati- schen Inszenierungen des sozialen Abstiegs als Folge von Alkoholismus in der Tradition von George Cruikshanks The Bottle oder tragisch-heroischen Kinderfiguren deren Flucht vor trunksüchtigen Eltern nicht selten mit dem Tod endete.39

Abschließend möchte ich einen Aufsatz von Francisco Frutos Esteban, Professor für audiovisuelle Kommunikation an der Universität Salamanca, vorstellen, der sich mit der taxonomischen Klassifikation von Laterna magica Bildern beschäftigt.40 Esteban beklagt, dass eine eigenständige Untersuchung der Laterna magica bisher nicht Teil der medien- wissenschaftlichen Forschung gewesen sei. Ihre drei Jahrhunderte umfassende Geschich- te einerseits und die Zuordnung zum Forschungsfeld »precinema« (wörtlich: Vor-Kino) andererseits begründeten eine »konzeptionelle Unklarheit«, die wiederum eine akademi- sche Beschäftigung mit der Laterna magica verhindere.41 Denn trotz großer Sammelbe- stände sowohl in öffentlichen wie auch privaten Archiven sei die grundlegende Aufgabe der Untersuchung des eigentlichen Materials zu kurz gekommen, den enormen Bestän- den fehle es somit an systematischer Organisation.42 Esteban stellt ein System zur taxo- nomischen Erfassung aller Laternenbilder (»placas de linterna mágica«) vor, das sämtli- che lichtdurchlässigen, in Rahmen vertriebenen Bilder unabhängig von Größe, Inhalt, Herstellungszeitpunkt und Herstellungsort erfasst.43 Diese Taxonomie erstellt er mithilfe einer Inhaltsanalyse, die das Bildformat als Grundlage des Kategoriensystems an- nimmt.44 Ergebnis ist eine Typologie der Laternenbilder, die zwischen 24 verschiedenen Arten von Laternenbildern unterscheidet, welche sich zu sieben Formgruppen (z.B.

rechteckig, kreisförmig, Standardformat) zusammenfassen lassen.45 Diese Typologie stel-

38 Vgl. ebd., S. 366.

39 Ein Beispiel für eine solche Geschichte ist die Ballade The Road to Heaven von George R. Sims, die in mehreren Versionen als »Life Model Slide« Serie für die Laterna magica adaptiert wurde. Zu Later- nenbildern der Temperenzler siehe Mervyn Heard, Richard Crangle: The Temperance Phantasmagoria. In: Crangle et al.: Realms of Light, S. 46–55.

40 Francisco Frutos Esteban: El análisis de contenido y la organización de repertorios culturales: El caso de las placas de linterna mágica. In: Revista Latina de Comunicación Social 63, 2008, S. 265–276. Es handelt sich um eine verkürzte Darstellung der Ergebnisse seiner Monographie Las placas de linterna mágica y su organización taxonómica. Salamanca 2007.

41 Vgl. Esteban, S. 266 [eigene Übersetzung].

42 Vgl. ebd.

43 Die Beschränkung auf lichtdurchlässige Bildträger und festen Rahmen erfasst laut Esteban 99% aller in der jahrhundertelangen Geschichte der Laterna magica vertriebenen Bilder. Vgl. S. 266–267.

44 Vgl. ebd., S. 269f.

45 Vgl. ebd., S. 271ff. Estebans Typologie erinnert in vielerlei Hinsicht an John Barnes’ Auflistung der verschiedenen Arten von »slides« und ihrer Effekte, Classification of Magic Lantern Slides for

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le der Forschung ein »kontrolliertes und hierarchisch strukturiertes Vokabular« zur Be- schreibung von Laternenbildern bereit, dass sowohl bekannte wie auch neuentdeckte Bilder beschreiben könne.46

Dieser Beitrag hat einen Überblick über einige neuere Ansätze zur Rekonstruktion der Reichweite und Wirkung des historischen Massenmediums der Laterna magica gegeben.

Mit der taxonomischen Erfassung der Laternenbilder mittels Inhaltsanalyse, wie Francis- co Frutos Esteban sie vorschlägt und den Auswertungen von Veranstaltungsberichten in Eigenpublikationen wohltätiger Organisationen von Karen Eifler und Torsten Gärtner wurden exemplarisch zwei Methoden der Datenerhebung vorgestellt. Die Informationen vernetzende LUCERNA Datenbank steht exemplarisch für die Möglichkeiten zum Um- gang mit einer diffusen Quellenlage. Dank fortschreitender Digitalisierungen von Pri- mär- und Sekundärmaterial wird das Forschungsfeld der Projektionskunst vermutlich künftig lückenloser und gleichzeitig unübersichtlicher werden. Die Aufgabe der künfti- gen wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Geschichte der Laterna magica liegt, wie dieser Beitrag zeigen konnte, an der Schnittstelle zwischen technologischer Innovation und der Verwendung des Projektionsapparates Laterna magica innerhalb sich verän- dernder Aufführungskontexte – dem Dispositiv der Projektionskunst.

Cataloguing and Documentation. In: Dennis Crompton, David Henry, Stephen Herbert (Hrsg.):

Magic Images: The Art of Hand-painted and Photographic Lantern Slides. London 1990, S. 75–84. Allerdings ist Estebans Ansatz methodisch fundierter und beschränkt sich nicht auf das 19. Jahrhundert.

46 Esteban, S. 275 [eigene Übersetzung].

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