16. Wahlperiode 25. 01. 2021
A n t r a g
Der Landtag wolle beschließen, die Landesregierung zu ersuchen zu berichten,
1. inwieweit nach Kenntnis der Landesregierung Mitglieder der tschetschenisch dominierten Organisierten Kriminalität (nachfolgend: „TOK“) in Baden-Würt- temberg derzeit aktiv sind und wie hoch deren Anzahl in den Jahren 2010, 2015, 2020 war;
2. wie viele Ermittlungsverfahren in Baden-Württemberg seit 2015 gegen Mit- glieder der TOK geführt worden sind;
3. zu welchen Straftaten diese jeweils verurteilt wurden;
4. wie viele Mitglieder der TOK seit 2015 in Justizvollzugsanstalten in Baden- Württemberg inhaftiert sind;
5. wie viele straffällig gewordene Mitglieder der TOK seit 2015 ausgewiesen be- ziehungsweise abgeschoben wurden;
Antrag
der Abg. Nico Weinmann u. a. FDP/DVP und
Stellungnahme
des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration
Entwicklung der Tschetschenischen Organisierten Krimina-
lität in Baden-Württemberg
9. inwiefern sich das Landesamt für Verfassungsschutz mit Bestrebungen von Personen tschetschenischer Herkunft befasst, die sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten;
10. welche Erkenntnisse die Landesregierung über die Vernetzung dieser Täter zur islamistischen Szene in Baden-Württemberg hat;
11. wie viele Asylbewerber tschetschenischer Herkunft in Baden-Württemberg in den Jahren 2015 bis 2020 registriert worden sind, auch unter Nennung der An- erkennungsquote;
12. wie viele Straftaten in Baden-Württemberg, bei denen Hieb-, Stich- oder Schusswaffen eingesetzt wurden, den Mitgliedern der TOK zugeordnet wer- den können.
25. 01. 2021
Weinmann, Brauer, Haußmann, Dr. Timm Kern, Dr. Schweickert, Reich-Gutjahr, Keck FDP/DVP
B e g r ü n d u n g
Tschetschenische Banden werden in Deutschland immer mehr aktiv und fallen – zumindest in anderen Bundesländern – wiederholt durch Waffenhandel, Drogen, Gewalt, Geldwäsche und Schutzgelderpressung auf. Sie agieren sehr abgeschottet und weisen Überschneidungen zum Islamismus auf. Festgestellt wurde in Berlin von den Sicherheitsbehörden ein „ungewöhnlicher Zusammenhalt“, ein „rigoro- ses Sanktionierungssystem“ und „eine bemerkenswert formelle wie informelle transregionale Vernetzung“ sowie ein ausgeprägter Ehrbegriff und eine geringe Akzeptanz staatlicher Autorität.
Die meisten Tatverdächtigen „verfügen über einschlägige Erfahrungen aus be- waffneten Konflikten“ und haben eine hohe Gewalt- und Waffenaffinität. Es han- delt sich um Organisierte Kriminalität.
Innerhalb der Organisierten Kriminalität gelten tschetschenische Banden als eine der am schnellsten wachsenden Gruppierungen. Ihr Vorgehen sei auf extreme Ge- waltanwendung sowie dem starken Streben, ihren Einfluss in alle Richtungen aus- zubauen, gerichtet.
Da Organisierte Kriminalität meist im Verborgenen stattfindet und sich über in- ternationale Grenzen hinweg erstreckt, ist eine Kontrolle dieser Clans in Baden- Württemberg nötig, um solche Ausschreitungen wie in Berlin zu verhindern. Dort gab es mehrere blutige Auseinandersetzungen zwischen Tschetschenen und ande- ren Gruppierungen, wodurch sich die Gewaltbereitschaft der Mitglieder erneut bestätigte.
S t e l l u n g n a h m e
Mit Schreiben vom 17. Februar 2021 Nr. 3-0141.5-130/3/5 nimmt das Ministe - rium für Inneres, Digitalisierung und Migration im Einvernehmen mit dem Minis - terium der Justiz und für Europa zu dem Antrag wie folgt Stellung:
Der Landtag wolle beschließen, die Landesregierung zu ersuchen zu berichten,
1. inwieweit nach Kenntnis der Landesregierung Mitglieder der tschetschenisch dominierten Organisierten Kriminalität (nachfolgend: „TOK“) in Baden- Württemberg derzeit aktiv sind und wie hoch deren Anzahl in den Jahren 2010, 2015, 2020 war;
Zu 1.:
Die Russisch Eurasische Organisierte Kriminalität (REOK) ist einer der Schwer- punkte des Landeskriminalamts Baden-Württemberg (LKA BW) bei der Bekämp - fung der Organisierten Kriminalität (OK). Die tschetschenische OK ist ein Teilbe- reich der REOK und wird auch aufgrund von Vorkommnissen in anderen Län- dern oder Staaten kontinuierlich und aufmerksam analysiert. Vorrangiges Ziel ist es dabei, die Entstehung etwaiger Strukturen frühzeitig zu erkennen und diesen gegebenenfalls durch zielgerichtete Maßnahmen entgegenzuwirken.
Es liegen keine Erkenntnisse vor, dass derzeit oder rückwirkend bis ins Jahr 2011 Mitglieder der OK mit tschetschenischer Herkunft in Baden-Württemberg aktiv sind bzw. waren. Für das Jahr 2010 liegen keine Daten mehr vor.
2. wie viele Ermittlungsverfahren in Baden-Württemberg seit 2015 gegen Mitglie- der der TOK geführt worden sind;
3. zu welchen Straftaten diese jeweils verurteilt wurden;
6. wie viele Verfahren mit Bezug zu Mitgliedern der TOK in Gerichten von Baden-Württemberg geführt wurden;
Zu 2., 3. und 6.:
Bei den baden-württembergischen Staatsanwaltschaften und Gerichten sowie der Polizei Baden-Württemberg wurden seit 2015 keine OK-Verfahren gegen Perso- nen tschetschenischer Herkunft geführt.
4. wie viele Mitglieder der TOK seit 2015 in Justizvollzugsanstalten in Baden- Württemberg inhaftiert sind;
Zu 4.:
5. wie viele straffällig gewordene Mitglieder der TOK seit 2015 ausgewiesen be- ziehungsweise abgeschoben wurden;
Zu 5.:
Es wird statistisch nicht erfasst, ob Ausländer, die abgeschoben oder ausgewiesen werden, der OK angehören und in diesem Zusammenhang strafrechtlich in Er- scheinung getreten sind. Ebenso wenig findet die tschetschenische Herkunft Ein- gang in die Statistik. Statistische Zahlen liegen hinsichtlich der aus Baden-Würt- temberg abgeschobenen und ausgewiesenen Staatsangehörigen der russischen Föderation vor, die strafrechtlich in Erscheinung getreten sind. Für den Zeitraum von 2015 bis 2020 stellen sich die Zahlen wie folgt dar:
7. inwieweit sich Mitglieder der TOK nach ihrer Kenntnis mit anderen Gruppen der Organisierten Kriminalität zusammenschließen und arbeitsteilig handeln;
Zu 7.:
International werden Angehörige der tschetschenischen OK oder entsprechender Gruppierungen bislang in erster Linie als Dienstleister für andere kriminelle Ein- zelpersonen oder Gruppierungen wahrgenommen. Regelmäßig handelt es sich um den Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung krimineller Interessen der Auftragge- ber. In den letzten Jahren entstand international der Eindruck, dass tschetscheni- sche Gruppierungen dazu übergehen, eigene kriminelle Aktivitäten zu entfalten, indem sie ihre vorherigen Auftraggeber verdrängen. In Bezug auf Baden-Würt- temberg liegen keine Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor.
8. inwiefern sie Hinweise darauf hat, dass Mitglieder der TOK versucht haben, in Baden-Württemberg Personen der Politik, Medien, öffentlichen Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zu beeinflussen beziehungsweise einzuschüchtern;
Zu 8.:
Weder dem Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration noch dem Ministerium der Justiz und für Europa liegen Erkenntnisse im Sinne der Frage - stellung vor.
9. inwiefern sich das Landesamt für Verfassungsschutz mit Bestrebungen von Personen tschetschenischer Herkunft befasst, die sich gegen die freiheitlich de- mokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten;
Jahr Abschiebungen Ausweisungen
2015 1 3
2016 2 4
2017 9 13
2018 3 8
2019 6 4
2020 0 9
Summe 21 41
Extremistische Bestrebungen von Personen tschetschenischer Herkunft mani - festieren sich überwiegend in zwei Grundströmungen. Stand anfänglich die ideelle und materielle Unterstützung separatistischer Bestrebungen und Aktivitäten im Nord-Kaukasus im Vordergrund, ist inzwischen eine spürbare Hinwendung (vor- nehmlich jüngerer Aktivisten) zum Salafismus sowie zu global-jihadistischen Strömungen zu beobachten.
Baden-Württemberg bildet keinen Schwerpunkt der Aktivitäten separatistischer tschetschenischer Akteure. Bei den im Beobachtungsbereich Salafismus/Jihadis- mus identifizierten Akteuren mit entsprechendem ethnischem Hintergrund han- delt es sich um eine geringe Personenzahl im oberen einstelligen Bereich, die sich über ganz Baden-Württemberg verteilen. Für das Land lässt sich derzeit keine Bildung tschetschenischer salafistisch-jihadistischer Netzwerke feststellen.
10. welche Erkenntnisse die Landesregierung über die Vernetzung dieser Täter zur islamistischen Szene in Baden-Württemberg hat;
Zu 10.:
Es liegen den Sicherheitsbehörden derzeit keine Erkenntnisse hinsichtlich mögli- cher Netzwerkstrukturen der tschetschenischen OK und der islamistischen Szene in Baden-Württemberg vor.
11. wie viele Asylbewerber tschetschenischer Herkunft in Baden-Württemberg in den Jahren 2015 bis 2020 registriert worden sind, auch unter Nennung der Anerkennungsquote;
Zu 11.:
Der nachfolgenden Übersicht ist der Zugang von Asylbewerbern tschetscheni- scher Herkunft mit Verbleib in Baden-Württemberg zu entnehmen:
Jahr
Zugang von Asylbewerbern tschetschenischer Herkunft mit Verbleib
in Baden-Württemberg
2015 206
2016 229
2017 129
2018 86
2019 77
2020 29
Summe 756
12. wie viele Straftaten in Baden-Württemberg, bei denen Hieb-, Stich- oder Schusswaffen eingesetzt wurden, den Mitgliedern der TOK zugeordnet werden können.
Zu 12.:
Es wird auf die Beantwortung der Frage 1 verwiesen.
Strobl
Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration
Jahr Anerkennungsquote
2015 2,0 %
2016 6,5 %
2017 6,6 %
2018 12,1 %
2019 6,6 %
2020 9,8 %