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Archiv "Medizinische Psychologie — „Sorgenkind“ des Studiums" (05.09.1974)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen FORUM

Neben dem kaum besserungsfähi- gen Problemkind „Medizinische Soziologie" ist das Lehrfach „Me- dizinische Psychologie" für alle diejenigen, die sich um eine Ge- staltung der Lehrveranstaltungen bemühen, ein echtes, vielleicht aber doch noch zu rettendes Sor- genkind. Es erscheint dringend er- forderlich, daß die Diskussion hier- über auf einen breiteren Kreis von Gesprächspartnern ausgedehnt wird. Die aufmerksame Beobach- tung der bisherigen Aktivitäten läßt ernste Bedenken aufkommen, die befürchten lassen, daß in diesem Bereich eine durch Fakten zu bele- gende Indoktrinierung oder Ideolo- gisierung eingeleitet wird, die we- der der Sache noch dem Studen- ten dienlich sein kann.

Alle wesentlichen Bemühungen zur organisatorischen und sachlichen Vorbereitung des Studiums in Me- dizinischer Psychologie, soweit es sich nicht um Einzelinitiativen an den verschiedenen Hochschulen gehandelt hat, sind im Rahmen ei- nes kleinen Kreises von engagier- ten Kollegen erörtert worden, die sich zu einer „Ständigen Konferenz der Hochschullehrer für Psychoso- matik, Psychotherapie, Medizini- sche Psychologie und Medizini- sche Soziologie" im Jahre 1969 zwang- und formlos zusammenge- schlossen haben und seitdem im Jahre zwei- bis dreimal eine Ta- gung abhielten. Die Zusammenset- zung dieses Kreises hat ständig gewechselt. Viele kamen mit ech- ter Interessiertheit, waren dann aber ein zweites Mal nicht mehr zu sehen. Andere blieben nur deshalb

„treu", um den Pulsschlag der Ent- wicklung zu beobachten. Einige wenige Mitglieder dieser Konferenz haben aber echte Funktionärsrol-

len übernommen und möchten jetzt auch aus der zwanglosen Konfe- renz einen „Verein" machen. Diese Vertreter sind auch als Sachver- ständige beim Institut für Medizini- sche Prüfungsfragen in Mainz ge- hört worden und haben im wesent- lichen den Gegenstandskatalog für das Fach Medizinische Psycholo- gie zusammengestellt. Die auf der letzten Tagung der „Ständigen Konferenz ..." am 9. Februar 1974 in Frankfurt sichtbar gewordenen Tendenzen sollen hier zur Diskus- sion gestellt werden.

Bisher hatte die „Deutsche Gesell- schaft für Psychiatrie und Nerven- heilkunde" sowie die „Deutsche Gesellschaft für Psychologie" nicht nur ein sachlich gebotenes Interes- se bekundet, sondern auch ein Mit- spracherecht bei den verschiede- nen Gremien gefunden. Dieser Ein- fluß soll nunmehr offenbar ausge- schaltet werden. Zumindest könne

— so meinen einzelne Vorstands- mitglieder der „Ständigen Konfe- renz ..." — ein Einspruchsrecht von der Seite dieser wissenschaftli- chen Fachvereinigungen nicht tole- riert werden. Allenfalls wäre daran zu denken, daß Mitglieder dieser Vereinigungen, die gleichzeitig An- gehörige der „Ständigen Konfe- renz ..." sind, sich zur Beratung zusammensetzen. Es darf als Symptom eines bemerkenswerten Selbstbewußtseins angesehen wer- den, wenn diese Gruppe der Inter- essenvertreter lang und breit dar- über diskutiert, wie sie ihren allei- nigen Vertretungsanspruch absi- chern könne. Grundsätzlich kommt es wohl nicht darauf an, wer sich für allein vertretungsberechtigt er- klärt, sondern darauf, wer von den in Frage kommenden Gesprächs- partnern als allein oder auch nicht

Es ist zu erwarten, daß die- ser Beitrag Widerspruch aus- lösen wird. Einmal, wegen des Themas ,,Gegenstands- kataloge" zum anderen we- gen des Faches, über das es schon zu manchen Diskus- sionen gekommen ist; und letztlich wegen der These des Autors, in diesem Be- reich werde "eine Indoktri- nierung oder Ideologisierung eingeleitet".

allein vertretungsberechtigt ange- sehen wird. Der Alleinvertretungs- anspruch muß sogar auf allergröß- te Bedenken stoßen. Dies sei zu- nächst an folgendem Vorgang er- läutert:

Bei der vorletzten Sitzung der

„Ständigen Konferenz ..." (am 26.

Mai 1973 auf der Reisensburg bei Ulm) war vereinbart worden, daß alle zur Mitarbeit bereiten Fachkol- legen Vorschläge für einen Prü- fungsfragenkatalog einreichen möchten. Die Vorschläge sollten dann kursieren, von allen mit An- merkungen versehen und schließ- lich nach nochmaliger Sichtung und Siebung dem Institut in Mainz vorgelegt werden. Viele haben sich der Mühe des Einsendens unterzo- gen. Aber dann ist nichts weiter er- folgt. Auf der oben erwähnten Ta- gung in Frankfurt war jetzt zu er- fahren, daß die Gruppe der bisher immer tonangebenden Vertreter nach eigenem Ermessen eine Aus- wahl getroffen und dem Institut in Mainz vorgelegt hat. Auf die sehr verhalten vorgebrachten Bedenken gegen dieses der Vereinbarung entgegenstehende Vorgehen wurde geltend gemacht, daß von seiten des Instituts in Mainz strengste Ge- heimhaltungspflicht auferlegt wor- den sei. In Frankfurt wurde aber von einem Vertreter dieses Instituts klar zum Ausdruck gebracht, daß selbstverständlich bei den Vorar- beiten Absprachen getroffen wer- den könnten und „Hilfstruppen tä- tig werden müßten, wie dies ja

Medizinische Psychologie

„Sorgenkind" des Studiums

Paul H. Bresser

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 36 vom 5. September 1974 2591

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Medizinische Psychologie

wohl in allen Fachgebieten der Me- dizin der Fall ist. Unter dem Vor- wand der Geheimhaltungspflicht wurde also nur eine Geheimniskrä- merei verbrämt, die nicht gebilligt werden kann. Wenn schon jede Mitsprache oder auch nur jeder In- formationsaustausch innerhalb der

„Konferenz" umgangen wird, wie soll da überhaupt ein gemeinsa- mes Gespräch der an den Hoch- schulen tätigen und zum größten Teil nicht der „Ständigen Konfe- renz ..." angehörenden Lehrkräfte zustande kommen.

Die Träger der Lehrveranstaltun- gen haben also gar keine Möglich- keit, sich wenigstens grob über den Rahmen zu orientieren, in dem der Student seine Prüfungsfragen zu erwarten hat. Es war auch nicht andeutungsweise zu erfahren, mit welchen Schwerpunkten die Prü- fungsfragen zusammengestellt worden sind. Auf die Frage, welche Bücher denn dem Studenten in er- ster Linie empfohlen werden soll- ten, sind drei Titel genannt worden, darunter „Knaurs moderne Psycho- logie" von H. Legewie und W. Eh- lers, auf das hier die Aufmerksam- keit etwas näher gelenkt werden muß. Es ist ein Buch, in dem Karl Marx und Friedrich Engels mehr- fach zitiert werden. Auf Seite 18 heißt es unter anderem: „Diese Ar- gumentation — vielleicht unge- wohnt für den marxistisch nicht ge- schulten Leser — soll am Rele- vanzproblem verdeutlicht werden."

Nicht zu Unrecht ist dieses Buch auch in der internationalen Presse, zum Beispiel in der Neuen Züricher Zeitung vom 15. Oktober 1973 deut- lich mit Kritik bedacht worden.

Aber es entspricht offenbar den Vorstellungen der maßgebenden Vertreter der „Ständigen Konfe- renz ...", wenn sie ein solches Buch zur Pflichtlektüre für den Me- dizinstudenten machen wollen.

In Frankfurt wurde nun das Team der Verfasser von „Knaurs moder- ner Psychologie" dazu ausersehen, die Vorschläge für den Prüfungs- fragenkatalog zu sammeln. Ob dort diese Aufgabe in guten Händen ist, läßt sich natürlich nicht voraussa-

gen. Eine gewisse Besorgnis scheint jedoch angebracht.

Anhand der bisherigen Bemühun- gen kann jedenfalls gesagt werden, daß die Medizinische Psychologie, die auf ein gediegenes empirisches Fundament aufgebaut werden könnte, im „Gegenstandskatalog für die Fächer der ärztlichen Vor- prüfung" (Ausgabe September 1973) viel zu breit und eindeutig zu anspruchsvoll aufgefächert wird.

Der Student muß sich von der Fülle dieser Aspekte verunsichert fühlen, zumal ihm dieses Lehrgebiet neben einem ohnehin umfangreichen Stoffkatalog der naturwissenschaft- lichen Fächer angeboten wird. Der Gegenstandskatalog, der in seinem medizinisch-psychologischen Ab- schnitt im wesentlichen auf die Vorarbeiten innerhalb der „Ständi- gen Konferenz ..." zurückgeht, gibt zu einer ganzen Fülle von Ein- wänden Anlaß. Wer auch nur etwas qualifizierte Vorstellungen von dem Lehrfach Psychologie mitbringt, muß hier den Eindruck gewinnen, daß ein billiger Ausverkauf von un- geheuer vielen Informationen aus einem reichen Wissenschaftsgebiet gefördert wird. Das Ergebnis kann nur der psychologische Dilettantis- mus sein. Aber das, was am Kran- kenbett wirklich wichtig ist, steht völlig im Hintergrund. Ein gut Teil Ideologie muß auf jeden Fall einge- baut werden, wenn der Student die

„Psychologie als abhängig von so- zio-ökonomischen Bedingungen in der Gesellschaft erkennen können"

soll (S. 365 des Katalogs).

Ohne in eine breite Analyse des Gegenstandskataloges einzutreten, sei nur darauf hingewiesen, daß schon die darin geforderten Vor- aussetzungen für den medizinisch- psychologischen Unterricht unan- gemessen sind. Die „Anatomie des peripheren und zentralen Nerven- systems" kann gar nicht während des vorklinischen Studiums, son- dern allenfalls nach dem vorklini- schen Studium zur Grundlage einer aufbauenden Lehrveranstaltung ge- macht werden. Die Beschreibung der Lernziele geht gänzlich ins Utopische. Man könnte jeden ein-

zelnen Punkt ad absurdum führen.

Wenn man nur ein wenig kritisch darüber nachdenkt, ist es zum Bei- spiel völlig ausgeschlossen, neben allen anderen Lehraufgaben inner- halb und außerhalb der Medizini- schen Psychologie etwa folgendes bei einem Medizinstudenten im vorklinischen Studium zu realisie- ren: „Er soll die Wahrnehmung sei- ner eigenen affektiven Reaktionen und deren Wirkung auf andere ge- lernt haben. Hierzu ist die Entwick- lung von kritischen Fähigkeiten zur Selbstwahrnehmung in den Unter- richtsgruppen zu fördern." Würde dieses Ziel im übrigen erreicht, gäbe es jedenfalls unter den Medi- zinern keine Revolutionäre mehr.

Es kann nur jedem verantwor- tungsbewußten Hochschullehrer unseres Faches dringend empfoh- len werden, einmal einige Zeit dar- auf zu verwenden, über die Formu- lierung des Gegenstandskataloges für das Fach „Medizinische Psy- chologie" nachzudenken und sich vorzustellen, wie ein derart an- spruchsvolles Programm auch nur in bescheidenstem Umfang reali- siert werden soll.

Mögen diese Hinweise dazu ange- tan sein, in den maßgebenden Gre- mien die Aktivität zu wecken, dem

„Sorgenkind" Medizinische Psy- chologie mehr Aufmerksamkeit zu widmen und dazu beizutragen, rea- listische Maßstäbe für den Unter- richt zu entwickeln. Es sollte ver- mieden werden, daß nach der un- glücklichen Geburt dieses neuen Lehrfaches nun gleich sein Ende auf dem ideologischen Scheiter- haufen herbeigeführt wird. Ganz si- cher werden die Studenten noch für lange Zeit guten Grund haben, berechtigte Kritik im Rahmen die- ses Lehrfaches anzubringen. Die allgemeine Kritik sollte sich in er- ster Linie gegen den Gegenstands- katalog richten. Das hierfür ver- antwortliche Institut wird die Frage prüfen müssen, ob es wirklich gut und sachverständig beraten wor- den ist.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. Dr. Paul H. Bresser 5 Köln 30, Melatengürtel 60

2592 Heft 36 vom 5. September 1974 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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