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Archiv "Die endokrine Funktion des Herzens" (16.02.1989)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Die endokrine

Funktion des Herzens

Schutzmechanismus gegen Volumen- und

Drucküberlastung Werner Kaufmann

Das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT hatte über das atriale natriuretische Peptid aus der Feder von Privatdozent Dr, med.

Gerhard Wambach bereits am 14. Januar 1987 in Heft 3 berichtet. Wegen des ra- schen Fortschritts auf diesem Gebiet und der im Oktober 1988 in Köln dazu abge- haltenen internationalen Konferenz ha- ben wir Professor Kaufmann aus der gleichen Klinik gebeten, die Leser des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTES über den derzeitigen Stand, der weit über die Kenntnisse von 1987 hinausgeht, zu infor- mieren. Rudolf Gross

D

ie wesentlichste Funktion des Herzens besteht zweifellos darin, die Gewebe des Körpers mit sau- erstoffreichem Blut zu versorgen.

Voraussetzung hierfür ist ein ad- äquates kardiales Auswurfvolumen, das eine Resultante aus myokardialer Kontraktilität, Vordehnung der Herzmuskelfasern beziehungs- weise Kammerfüllung (Vorlast beziehungsweise preload) und der Wandspannung des linken Ven- trikels in der Systole in Relation zum peripheren Gefäßwiderstand (Nachlast beziehungsweise af- terload) darstellt. Basierend auf den fundamen- talen Arbeiten der Physiologen Frank und Star- ling wurde die darin zum Ausdruck kommende Pumpfunktion des Herzens eingehend analysiert.

Die Erforschung der Funktion von Herz und Kreislauf hat Mitte der 50er Jahre eine bemer- kenswerte Akzentverschiebung erfahren. Der damals in den USA arbeitende, später am W. G.

Kerckhoff-Institut, Bad Nauheim, und an der Universität Berlin tätige deutsche Physiologe Otto H. Gauer konnte gemeinsam mit James P.

Henry (1956) zeigen, daß Volumenzunahme oder Dehnung des linken Vorhofes eine gestei- gerte Diurese hervorruft (12, 15). Gauer und Henry haben daraus die Schlußfolgerung gezo- gen, daß das Herz-Kreislauf-System nicht nur durch eine Druck-, sondern auch durch eine Vo- lumenregulation charakterisiert ist. Nachdem Paintal eine erhöhte elektrische Aktivität an af- ferenten Vagusfasern der gedehnten Vorhof- muskulatur fand, wurde der diuretische Effekt auf eine Hemmung der ADH-Sekretion bezo- gen, die über eine Beeinflussung des Hypophy- senhinterlappens zurückzuführen sein sollte (12).

Niemals hat nach meiner Kenntnis ein mit dieser Thematik befaßter Wissenschaftler da- mals die Idee geäußert, daß ein im Myokard ge- bildetes Hormon in den kardio-renalen Reflex- mechanismus eingeschaltet sein könnte. Ande- rerseits hatte Kisch (1956) tierexperimentell in direkter Nachbarschaft von Vorhofmuskelfasern spezifische Granula beschrieben (21). Es muß angenommen werden, daß diese morphologi- schen Befunde den mit Fragen der Volumenre- gulation beschäftigten Physiologen damals nicht bekannt waren oder von ihnen nicht entspre- chend gewertet wurden.

Die weitere wissenschaftliche Entwicklung war einmal durch den von Jamieson und Palade (1964) geführten Nachweis der sektretorischen Natur der Granula (19) und andererseits durch tierexperimentelle Resultate von Huet und Can- tin (1974) gekennzeichnet, die aus den beschrie- benen Vorhofgranula ein Peptid isolieren konn- ten (18); sie wurde zum anderen durch Beobach- tungen von Marie et al. (1976) bestimmt, wo- nach die Zahl der Granula bei Wasser- und Na- triumentzug zunimmt, während Wasser- und Natriumüberschuß mit einer zahlenmäßigen Ab-

Herrn Professor Dr. med. Dr. med. h. c. Hans Erhard Bock zum 85. Geburtstag gewidmet.

A-376 (32) Dt. Ärztebl. 86, Heft 7, 16. Februar 1989

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nahme dieser Granula einhergeht (25). Eine

mögliche Beziehung zwischen morphologischen Befunden und funktionellen Änderungen war somit anzunehmen.

Der konzeptionelle Durchbruch erfolgte ei- nige Jahre später (1980), als De Bold und Son- nenberg Vorhofextrakte im Tierexperiment inji- zierten und danach eine ausgeprägte Diurese und Natriurese fanden (6, 7, 30). Die folgerichti- ge Annahme, daß es sich bei den von Kisch be- schriebenen spezifischen Granula um Vorstufen eines natriuretischen Hormons handelt, ließ sich in der Folgezeit bestätigen (8, 13, 18, 19, 24). Es war somit evident, daß das Herz nicht nur als ei- ne mechanische Pumpe fungiert, sondern auch als endokrines Organ betrachtet werden muß.

Ausgehend von den Untersuchungsergeb- nissen von De Bold und Sonnenberg setzte welt- weit eine rege Forschungsaktivität ein, die rasch zur Isolierung des ANP und zur Aufklärung seiner Aminosäuresequenz sowie seines Wirkungsme- chanismus führte (1, 5, 9, 10, 11, 16, 20, 22, 23).

ANP:

Physiologische Bedeutung

Adäquater Reiz für die Freisetzung des atri- alen natriuretischen Peptids (ANP)*) ist die durch Volumenexpansion bedingte Dehnung der Vorhöfe (2, 5, 23). Eine stimulative Wir- kung auf die ANP-Produktion kann auch über eine Aktivierung des sympathiko-adrenalen Sy- stems eintreten (Lit. bei 20, 17). Das biologisch wirksame Hormon besteht aus einer Sequenz von 28 Aminosäuren, die aus einem längerketti- gen Prohormon (151 Aminosäuren) abgespalten werden. ANP wird nicht nur im Vorhofmyo- kard, sondern in geringer Menge auch im Kammermyokard, im zentralen und peripheren Nervensystem, in der Hypophyse, im Nebennie- renmark und in der glatten Muskulatur gebildet, ohne daß bisher definitive Aussagen über die Bedeutung möglich sind. Möglicherweise kommt den extra-aurikulären Peptiden eine lo- kale parakrine Funktion zu (9, 11).

Es ließ sich zeigen, daß ANP charakteristi- sche Effekte an den Nieren, den Nebennieren und am arteriellen Gefäßsystem hervorruft, die zumindest teilweise über das als „second mes- senger" fungierende intrazellulär gebildete zyk- lische GMP (Guanosinmonophosphat) vermit- telt werden (Literatur bei 20).

An der Niere entfaltet ANP einen ausge- prägten natriuretischen und diuretischen Effekt

*) ANP ist mit ANF (atrialer natriuretischer Faktor), CDD = Cardiodilatin, Cardionatrin, Atriopeptin und Auriculin iden- tisch.

(30). Durch gleichzeitige Dilatation des Vas af- ferens und Konstriktion des Vas efferens nimmt

die glomeruläre Filtration (GFR) unter dem Einfluß von ANP zu. Die Hemmung der Natri- umrückresorption scheint vorwiegend im Be- reich der medulären Sammelrohre zustande zu kommen. ANP führt zu einer Hemmung der Re- ninsekretion im juxtaglomerulären Apparat (JGA), einmal direkt und zum anderen indirekt über die vermehrte Natriumausscheidung. Hier- aus resultiert eine verminderte Bildung von An- giotensin II und damit ein suppressiver Effekt auf die adrenale Aldosteronproduktion. Dar- über hinaus werden sowohl die Synthese als auch die Freisetzung von Aldosteron durch ANP direkt adrenokortikal inhibiert, so daß auch über diesen Mechanismus ein natriureti- scher Effekt zustande kommt (1, 5, 13, 24).

Die vaskuläre Wirkung von ANP ist vorwie- gend durch eine Dilatation arterieller Gefäße gekennzeichnet (7, 13, 22), wobei regionale Un- terschiede erkennbar sind. Ein intensiver vaso- dilatatorischer Effekt ist am Vas afferens zu be- obachten. Zerebrale und mesenteriale Gefäße scheinen nur eine geringe Vasodilatation zu zei- gen. Es wurde bereits betont, daß das Vas affe- rens der Niere sogar eine Konstriktion entwik- keln kann. ANP weist schließlich einige zusätz- liche Wirkungen auf, über deren physiologische Bedeutung bisher kein abschließendes Urteil möglich ist. Das atriale natriuretische Peptid hemmt die hypophysäre Vasopressinausschei- dung und die sympathiko-adrenale Noradrena- linfreisetzung; es führt zur Flüssigkeitsverschie- bung vom intrazellulären in den extrazellulären Raum und inhibiert den Antrieb, Kochsalz und Wasser aufzunehmen (Literatur bei 36). Unter physiologischen Aspekten besteht die syste- mische Funktion des ANP im wesentlichen dar- in, durch gesteigerte Natrium- und Wasseraus- scheidung einer Volumen- und durch Vasodila- tation einer Drucküberlastung des Herzens ent- gegenzuwirken.

Angesichts der beschriebenen mehrdimen- sionalen Wirkungen des ANP haben verschiede- ne kardiale, vaskuläre, renale und hepatische Krankheiten ein zunehmendes pathophysiolo- gisch-klinisches Interesse gefunden (13, 24, 34, 35, 36, 39).

Es kann heute als gesichert gelten, daß ANP mit zunehmender Herzinsuffizienz proportional ansteigt (26, 27). Es handelt sich dabei offen- sichtlich um ein reaktives Phänomen, ohne daß die zur Natrium- und Wasserretention (Aktivie- rung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Sy- stems) und afterload-Erhöhung (Aktivitätsstei- gerung des sympathiko-adrenalen Systems) füh- renden Mechanismen durch die ANP-Wirkung (vermehrte Natriumexkretion und Vasodilata- A-378 (34) Dt. Ärztebl. 86, Heft 7, 16. Februar 1989

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tion) kompensiert werden können. Es ließ sich zeigen, daß der natriuretische Effekt des ANP bei Herzinsuffizienz überraschenderweise abge- schwächt ist (partielle ANP-Resistenz) (37).

Dies ist der Grund dafür, daß die Behandlung der Herzinsuffizienz mit synthetischem ANP im Vergleich zu Herzgesunden einen relativ gerin- gen natriuretischen Effekt aufweist.

Die Ursache für die Wirkungsabschwächung liegt möglicherweise darin, daß die chronisch ge- steigerte ANP-Konzentration eine Abnahme der renalen Rezeptorendichte (sogenannte down-regulation), hervorruft. Kardiale Rekom- pensation führt zur Abnahme der erhöhten ANP-Werte, ohne daß allerdings der Normalbe- reich erreicht wird. Bemerkenswerterweise kann auch bei der Mehrzahl der Patienten mit paroxysmaler supraventrikulärer Tachykardie ein Anstieg der ANP-Konzentration beobachtet werden, der für die posttachykarde Polyurie ver- antwortlich zu machen ist (31, 33).

Pathophysiologische und klinische Aspekte

Die Bedeutung des ANP für die Pathogene- se der primären arteriellen Hypertonie ist bisher nicht ausreichend geklärt Es wurden sowohl er- höhte als auch normale ANP-Werte gemessen (13, 16, 24, 36). Übereinstimmend ließ sich un- ter ANP-Infusion ein antihypertensiver Effekt nachweisen. Genest hat die Arbeitshypothese aufgestellt, daß für die Entwicklung der arteriel- len Hypertonie eine Abschwächung oder Aufhe- bung der vasodilatorischen ANP-Wirkung an den Widerstandsgefäßen ursächlich infrage komme (13, 20). Von gleichzeitigen Untersu- chungen des sympathiko-adrenalen Systems, der RA-Aldosteron-Aktivität, des Kallikrein-Kinin- und Prostacyclin-Systems und des ANP sind hier weitere pathogenetische Gesichtspunkte zu er- warten.

Aufgrund tierexperimenteller Untersuchun- gen besitzt ANP beim akuten Nierenversagen einen protektiven Effekt auf das Nierenparen- chym (28). Eindeutige Ergebnisse zu dieser Fra- ge liegen beim Menschen bislang nicht vor.

Chronische Niereninsuffizienz geht mit erhöhter ANP-Konzentration einher. Unter der Dialy- setherapie dieser Patienten kann ANP als Para- meter für den Zustand des Wasserhaushaltes herangezogen werden, indem die Normalisie- rungstendenz der ANP-Werte im Sinne einer Rückbildung der Hypervolämie zu deuten ist (32). Bei Kranken mit dekompensierter Leber- zirrhose wurden sowohl normale als auch erhöh- te ANP-Werte gefunden (4, 14). Eine Deutung dieser uneinheitlichen Befunde ist ohne Kennt-

nis des gleichzeitig bestimmten zirkulierenden Blutvolumens beziehungsweise des Extrazellu- lärraumes nicht möglich. Bemerkenswert ist, daß die Niere bei dekompensierter Leberzirrho- se — wie bei hydropischer Herzinsuffizienz — eine Abschwächung der natriuretischen und diureti- schen ANP-Wirkung aufweist.

Untersuchungen über die Bedeutung des ANP für die Kreislauf- und Volumenregulation sind auch weiterhin Gegenstand intensiver For- schung. Aufgrund eines kürzlich in Köln (Okto- ber 1988) durchgeführten internationalen Sym- posiums über „Endocrinology of the Heart"

konzentrieren sich die wissenschaftlichen Unter- suchungen gegenwärtig auf den molekularen Wirkungsmechanismus von ANP, die Bildungs- orte außerhalb der Herzvorhöfe, das Verhalten bei den verschiedenen Störungen des Wasser- und Elektrolythaushaltes, die Beeinflussung durch kreislaufwirksame Pharmaka und insbe- sondere auf die Beziehungen zu antagonistisch und synergistisch wirkenden Hormonsystemen (zum Beispiel Renin-Angiotensin-Aldosteron- System, Kallikrein-Kinin-System) sowie die Ab- grenzung gegenüber anderen natriuretischen Faktoren (Literatur bei 20).

Schultz-Knappe, Forssmann et al. (29) ha- ben ein natriuretischen Peptid beschrieben (Uro- dilatin), das vermutlich in den distalen Tubuli der Niere gebildet wird, sich vom ANP struktu- rell nur durch vier zusätzliche Aminosäuren am N-terminalen Ende unterscheidet und einen pa- rakrinen Effekt im Bereich der Sammelrohre entfaltet. ANP läßt sich dagegen eindeutig von dem natriuretischen Hormon abgrenzen, das De Wardener (38) beschrieben hat. Dieser soge- nannte Natriumtransport-Inhibitor wird im Hy- pothalamus gebildet, weist eine protrahierte Wirkung auf die Natrium- und Wasserausschei- dung auf und wirkt im Gegensatz zu ANP kon- striktorisch auf die Widerstandsgefäße.

Die Entdeckung des ANP hat unsere Kennt- nisse über die Physiologie und Pathophysiologie der hormonellen Regulation des Herz-Kreislauf- Systems wesentlich erweitert. Therapeutische Konsequenzen sind auf dieser Grundlage denk- bar Klinisch relevante Ansätze befinden sich je- doch noch im Stadium der Erprobung.

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über den Ver- fasser.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. Werner Kaufmann Medizinische Klinik II

und Poliklinik

der Universität zu Köln

Ostmerheimer Straße 200 • 5000 Köln 91 Dt. Ärztebl. 86, Heft 7, 16. Februar 1989 (37) A-379

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