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Archiv "Psychische Belastungen: Die Bilder bleiben im Kopf" (17.04.2009)

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A754 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 16⏐⏐17. April 2009

T H E M E N D E R Z E I T

E

s war früher Abend, als Grana- ten in den Bundeswehrstütz- punkt in Kabul einschlugen. Eini- ge Neuankömmlinge waren besorgt und hatten Angst, nicht aber die al- ten Hasen: Das sind eben keine ,Weicheier‘. Wir haben uns erst ein- mal ein Bier geholt und es uns dann gemütlich gemacht“, berichtet Ober- feldwebel Thorsten Graf* mit aus- drucksloser Miene. „Je mehr pas- siert, umso gleichgültiger wird es ei- nem auch. Die Arbeit muss gemacht werden, da muss man funktionie- ren.“ Vier Monate lang war er in Ka- bul stationiert. Im Herbst muss der 28-Jährige wieder hin, aber das sei nicht so schlimm. Man müsse eben die Gefahren kennen, und mit der Zeit stumpfe man ab.

In der Diskussionsrunde über das Thema „Stress“ mit weiteren Solda- ten in der Klinik Möhnesee, einer Fachklinik für Rehabilitation im nördlichen Sauerland, öffnet er sich dann doch etwas mehr: Seine Bezie-

hung sei gescheitert, seine Mutter mache sich schon Sorgen um ihn, sagt er leise in die Runde. Die Nach- richten seien ja voll mit Berichten über die Gefahren, denen die deut- schen Soldaten im Ausland ausge- setzt sind.

Graf ist einer von etwa 15 Solda- ten, die derzeit an einer dreiwöchi- gen Rehabilitationsmaßnahme der Klinik teilnehmen. Hier will man den Soldaten mit einem speziell auf deren Probleme zugeschnittenen Programm helfen. Die meisten von ihnen waren in Afghanistan statio- niert. „Diese Erfahrungen, die die Soldaten dort machen, können zu mehr oder weniger ausgeprägten psychischen Störungen führen“, er- klärt Dr. med. Thomas Müller-Holt- husen, Chefarzt der Psychosomati- schen Abteilung der Klinik. Diese äußern sich zum Beispiel in Schlaf- störungen, Alkohol- oder Medika- mentenmissbrauch, depressiven An- passungsstörungen sowie in post- traumatischen Belastungsstörungen.

Dann sei unbedingt fremde Hilfe

erforderlich, um das Erlebte zu be- wältigen.

Der Erfahrungsaustausch der Sol- daten macht aber schnell deutlich:

Auch die Zeit vor und nach dem Auslandseinsatz – die Zeit mit der Familie, der Freundin, den Eltern – bedeutet Stress. „Wie erkläre ich meiner Ehefrau, dass es in einer Wo- che wieder nach Kabul geht?“, fragt ein Stabsfeldwebel in die Runde – und erzählt weiter: „Wir haben drei kleine Kinder, und sie ist dann für die nächsten vier Monate wieder mit ihnen alleine. Ich bin weit weg und kann am Familienleben nicht teil- nehmen.“ Nach der Zeit im Kriegs- gebiet – so sehr man sich auf Zuhau- se freue – falle darüber hinaus die Wiedereingliederung extrem schwer.

Zumal man die anderen Menschen auch nicht mit allem belasten wolle, was man so erlebt habe.

In der Klinik haben sie Gelegen- heit, über ihre Ängste und Sorgen zu sprechen. Das ist sehr wichtig, denn Familienmitglieder und Freunde können häufig nicht so recht Ver- PSYCHISCHE BELASTUNGEN

Die Bilder bleiben im Kopf

Soldaten, die von einem Auslandseinsatz zurückkommen, können in der Klinik Möhnesee in Nordrhein-Westfalen ihre Erlebnisse bewältigen.

Auslandseinsätze können für Soldaten zu einer großen psychischen Belas- tung werden.

*Name von der Redaktion geändert

Foto:laif

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A756 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 16⏐⏐17. April 2009

T H E M E N D E R Z E I T

ständnis für die Probleme aufbrin- gen. „Für die Familien geht das Leben hier weiter. Sie beschäfti- gen sich mit ganz anderen Dingen“, erläutert die Psychotherapeutin As- trid Grewe. „Viele Sorgen der Sol- daten liegen im Alltagsbereich.“

Die Soldaten seien ihren Familien nach der Rückkehr oft entfrem- det. Man müsse sich erst wieder an- einander gewöhnen.

Und dennoch: Selbstmordatten- täter, Granatenanschläge, Minenge- fahr – diese Bedrohungen sind allen Soldaten bekannt, die einmal in Af- ghanistan stationiert waren. Jeder kennt einen Kameraden, den es „er- wischt hat“, musste Tote bergen oder hat es erlebt, dass einer „durch- geknallt“ ist. Hinzu kommen die Strapazen der Hitze und eine Un- terbringung, bei der man komplett auf Privatsphäre verzichten muss.

Richtig hineinversetzen könne sich eh niemand in diese Situation – vor allem die unkalkulierbaren Gefah- ren machten ihm zu schaffen, sagt Oberfeldwebel Graf. Manche Bil- der vergesse man nicht mehr. Er mache das aber lieber mit sich selbst aus. Warum er in Möhnesee ist? Weil ihm die Behandlung ja schließlich zustehe. „Das sagen viele. Es ist zwar schon eine Ent- wicklung zu verzeichnen, dass die Stigmatisierung psychischer Belas- tungen innerhalb der Bundeswehr nicht mehr so groß wie früher ist.

Dennoch wollen die Soldaten eben nicht als Schwächlinge gel-

ten“, weiß Dr. med. Rainer Schub- mann, Chefarzt der Kardiologi- schen Abteilung, der das Projekt mit viel Engagement entwickelt hat. Schubmann ist selbst auch Oberstarzt der Reserve. So sei auch diese Projektidee entstanden. Der aufgeschlossene Arzt interessiert sich zudem sehr für Psychothera- pie, unter anderem funktioniere da- her die Zusammenarbeit mit der

psychosomatischen Abteilung der Klinik so gut. Man müsse aber auf jeden Fall ein Gespür für die Belan- ge der Soldaten haben. Das weiß auch Psychotherapeutin Grewe. „Es kommt nicht immer darauf an, sehr einfühlsam mit den Soldaten zu sprechen. Manchmal ist auch ein

rauerer Ton angebracht: ‚Manche Situationen muss man einfach ak- zeptieren, basta.‘“

Die Klinik liegt am idyllischen Möhnesee. Eine ideale Umgebung, um sich zu kurieren. „Aber kein Pa- radies“, betont Schubmann. „Hier müssen sie etwas leisten. Nichts fliegt ihnen zu.“ Die Soldaten kommen mit einem Antrag für eine Rehabilitationmaßnahme dorthin und heben sich sehr von den restli- chen Patienten ab. „Und es werden immer mehr“, weiß Schubmann.

2000 waren es noch 26, im Jahr

2008 haben 200 Soldaten das Ange- bot genutzt.

„Wir haben allerdings kaum noch traumatisierte oder depressive Sol- daten, aber es kommt immer mal wieder vor, dass wir auch solche Fälle behandeln“, sagt Müller-Holt- husen. In einem ersten Gespräch wird geprüft, ob der Soldat psy- chisch einigermaßen stabil ist. Je nach seiner persönlichen Situation wird ihm daraufhin ein individuel- les Programm zusammengestellt.

Zum Schluss werden weiterführen- de Empfehlungen ausgesprochen.

„Wir wollen den Soldaten kein Kon- zept überstülpen und sehen uns da- her jeden einzelnen ganz genau an.“

Gruppengespräche, Einzeltherapie- stunden, aber auch Kardio- und Aquatraining gehören zum Pro- gramm. „Ausdauertraining führt zu einer emotionalen Stabilität“, betont Schubmann. Beim Wassershiatsu werden die Soldaten dagegen sanft im Wasser getragen. „So fühlen sie vielleicht das erste Mal wieder Ge- borgenheit“, erklärt der Kardiologe.

„Und dieses Gefühl ist sehr wichtig, um emotional stabil zu bleiben.“

Nicht alle Soldaten kämen traumati- siert zurück, einige würden die grausamen Erfahrungen ganz gut verkraften. „Es gibt allerdings eine Dunkelziffer der Zeitsoldaten, die traumatisiert aus dem Dienst entlas- sen werden und dann in der ver- tragsärztlichen Versorgung landen, ohne dass man ihr Trauma be-

merkt.“ Ärzte sollten daher nachha- ken, wenn sie erfahren, dass der Mann oder die Frau als Soldat im Ausland stationiert war.

Graf macht sich zum nächsten Programmpunkt auf. Nach der Grup- pendiskussion steht nun Spinning an.

Beiläufig erzählt der junge, athleti- sche Mann, dass er als Fallschirmjä- ger fit bleiben müsse. Seine Kamera- den müssten sich blind auf ihn ver- lassen können. Er freut sich auf den nächsten Einsatz, hier fühle er sich

oft nutzlos. I

Sunna Gieseke Die Klinik Möhnesee bietet seit neun Jahren Maßnahmen für Soldaten an, die im

Ausland stationiert waren.

Jeder kennt einen, den es „erwischt“ hat, musste Tote bergen oder hat es erlebt, dass einer „durchgeknallt“ ist.

Foto:DBKG

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