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Archiv "Ansichten eines Kassenarztes: „Wie der bekannte Hamster im Laufrad ...“" (31.01.1991)

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Ansichten eines Kassenarztes:

„Wie der bekannte

Hamster im Laufrad ..."

„So ist der Krankenhausalltag wirklich . . .", war ein Artikel im Deut- schen Ärzteblatt (Heft 17, 1990) betitelt, in dem Dr. med. Rolf Schmitt die frustrierenden Erfahrungen eines Assistenzarztes aus ganz per- sönlicher Sicht beschrieben hatte. Der Beitrag zog nicht nur eine Vielzahl von Leserbriefen nach sich, er animierte auch einen nieder- gelassenen Kollegen, sozusagen das „Gegenstück" zu verfassen:

die Erfahrungen eines Kassenarztes in freier Praxis. Der folgende Bericht von Dr. med. Henning Fischer, Allgemeinarzt in Herford, gibt gleichfalls persönliche Eindrücke und Wertungen wieder.

Andernorts sind Traditionen er- halten, in denen die Heilkunde ein- gebettet ist in eine durch Jahrtausen- de bewährte Kosmologie. Da sieht sich der Mensch als Teil einer Natur, die ihm als Quelle von Geborgen- heit, Nahrung und Erkenntnis zur Pflege anvertraut und nicht, wie bei uns, zum Plündern ausgeliefert ist.

Dort ist man durchaus offen für un- sere wissenschaftlichen und techni- schen Errungenschaften und fähig, sich ihrer zu bedienen, wo sie nütz- lich scheinen, ohne ihr Sklave zu werden. Die Zeit scheint reif, daß wir unsererseits von diesen Kulturen lernen, was hierzulande fehlt. So hat inzwischen die chinesische Aku- punktur Einzug in unseren Hoch- schulen gefunden und die Naturheil- medizin macht kräftig Anleihen bei östlichen Traditionen. Dabei ist nicht alles neu für uns, was uns aus diesen Kulturen entgegenkommt, sondern nur in Vergessenheit gera- ten, und auch hier gibt es Ausnah- men. Gelegentlich gelingt uns schon ein Brückenschlag zwischen alter Er- fahrung und neuer Forschung: So wurde unlängst im traditionsreichen

„New England Journal of Medicine", eine Studie veröffentlicht, in der bei Chirurgen, die während der Operati- on für ihre Patienten beten, postope- rative Komplikationen statistisch si- gnifikant seltener auftraten.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Wolf E. Büntig Zist 3, W-8122 Penzberg

Literatur:

Büntig, W. E.: Die Arbeit mit Krebskranken aus der Sicht der Humanistischen Psycholo- gie. Österr. Ges. Psychoonkologie, Wien: Fa- cultas Verlag, 1988

Dürckheim, K. Graf: Durchbruch zum We- sen. Bern und Stuttgart: Hans Huber Verlag, 1975

Grossarth Maticek, R., Eysenck, H. J., Vet- ter, H., und Schmidt, P.: Psychosocial types and chronic disease: Results of the Heidel- berg Prospective Psychosomatic Intervention Study. Topics in Health Psychology. London:

John Wiley and Sons, 1988

Maslow, A.: Psychologie des Seins. Fischer TB

Als Kassenarzt muß man ein sehr umfangreiches Fach neu erler- nen: das Verwaltungs- und Gebüh- renordnungswesen. Ein niedergelas- sener Arzt muß heute schon fast die Hälfte seiner Arbeitskraft mit „Bü- rokram", Betriebswirtschaft, Gebüh- rennummernspielereien und ähnli- chem vergeuden. Das Formular„un"- wesen der Kassenpraxis dürfte das der Krankenhäuser noch um Längen schlagen.

Andererseits ist der finanzielle Rahmen äußerst eng geworden: Ein Allgemeinarzt macht durchschnitt- lich 300 000 DM Umsatz im Jahr.

Abzüglich Praxiskosten, Steuern und Ärzteversorgungsbeitrag bleiben mo- natlich vielleicht noch 6-7000 DM

„netto" über. Davon müssen dann noch die Kredite getilgt werden (Ko- sten für eine Praxisgründung/-über- nahme heute 100 000-300 000 DM).

Manch einer wird sich wundern, daß es ihm als Assistenzarzt im Krankenhaus finanziell deutlich bes- ser ging. Die Praxiskosten verbrau- chen heute zirka 55 Prozent vom Umsatz. Bei üblichen 60-70 Wo- chenarbeitsstunden muß ein Allge- meinarzt folglich etwa 35 Stunden pro Woche allein für den Erhalt sei- ner Praxis arbeiten, ohne eine Mark für sich verdient zu haben. Man stel- le sich ähnliches im Krankenhaus vor: 35 Stunden allein, um arbeiten

zu dürfen — ÖTV und Marburger Bund würden Sturm laufen!

Existentieller Dauermarathon

= So kommen sich wohl die mei- sten Kassenärzte wie der bekannte Hamster im Laufrad vor, der ständig versuchen muß, vor den steigenden Praxiskosten davonzulaufen, ande- rerseits bei stagnierenden oder sin- kenden Einkommen aufgrund der gedeckelten Honorare keine Chance hat, von der Stelle zu kommen. Heu- te empfehlen Praxisberater zur Ver- besserung der Wirtschaftlichkeit ei- ner Praxis, die Wechselzeit zwischen zwei Arzt-Patient-Begegnungen in der Sprechstunde von 1 1/2 auf 1 Mi- nute zu reduzieren, denn nur bei op- timaler betrieblicher Organisation könne eine Praxis noch halbwegs rentabel arbeiten!

Natürlich stellt dieser existenti- elle Dauermarathonlauf in Verbin- dung mit den hohen Wochenarbeits- zeiten eine erhebliche psychophysi- sche Belastung dar, die auch Auswir- kungen auf den privaten Bereich hat, zumal die Familienangehörigen meist mehr oder weniger in das Pra- xisleben eingebunden sind. Arzte- hefrauen können ein Lied davon sin- gen, da sie ja in der Regel unbezahl- A-290 (36) Dt. Ärztebl. 88, Heft 5, 31. Januar 1991

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ten Telefondienst und vieles andere leisten müssen und jede nächtliche Störung hautnah miterleben.

Die enorme Arbeitsbelastung führt aber außer zu Freizeitmangel auch dazu, daß zum Beispiel kollegi- ale Gespräche bei Stammtischen oder auch interessante Halb- oder Ganz- tagsfortbildungen zu kurz kommen.

Während der Krankenhausarzt An- spruch auf bezahlten Bildungsurlaub hat, verliert der niedergelassene All- gemeinarzt pro Tag über 1000 DM Umsatz bei weiterlaufenden Kosten.

Die wirtschaftliche Situation läßt dem Kassenarzt auch kaum Spielraum in der Bezahlung seiner Helferinnen, die durch ungünstige Arbeitszeiten und hohe Streßbela- stung häufig keine rechte Freude mehr am Beruf haben. Der Mangel an qualifizierten Kräften kann daher niemanden verwundern. Wie sollen wir unseren Mitarbeiterinnen auch klar machen, daß Tariferhöhungen im Krankenhaus zwangsläufig eine Erhöhung der Tagessätze nach sich ziehen, während in der „freien" Pra- xis dafür keine zusätzlichen Mittel bereitgestellt werden?

Dennoch hält sich tapfer das von der Regenbogenpresse geprägte Image des nachmittags golfenden Kassenarztes mit Villa und Merce- des. Immerhin überschätzen die Pa- tienten laut Umfragen das kassen- ärztliche Honorar um das Fünf- bis Zehnfache. Aber nicht nur dafür ist diese Presse verantwortlich: Früher ging der Patient mit großem Ver- trauensvorschuß zum Arzt. Dieser konnte unter Ausnutzung der posi- tiven Arzt-Patientenbeziehung so manche Arznei einsparen. Heute hingegen kommt der Patient mit ei- ner ordentlichen Portion illustrierten- induzierten Mißtrauens, und man muß als Arzt eine Menge Energie aufwenden, um ihn überhaupt von der Notwendigkeit einer medika- mentösen Therapie zu überzeugen.

Häufig war trotzdem alle Mühe vergebens, wenn der Patient zuhause den Beipackzettel mit haarsträuben- den Nebenwirkungsmöglichkeiten und Risiken studiert hat. Nach eige- nen Erfahrungen müssen bezeich- nenderweise viele Medikamente, die im Krankenhaus ohne Probleme ver- tragen wurden, später bei ambulan-

ter Behandlung wegen „unerträg- licher Nebenwirkungen" abgesetzt werden – nach Studium des Beipack- zettels. Diese Beipack-Schikane ist aber lange nicht die einzige juristisch verursachte Belastung des Arzt-Pa- tient-Verhältnisses: Hanebüchene Verurteilungen in Schadenersatz- prozessen verunsichern so manchen Kassenarzt zutiefst. Er steht ja unter dem Zwang, in möglichst kurzer Zeit mit möglichst minimalen Kosten für die Kassen eine möglichst optimale Behandlung zu verwirklichen. Und da ist es nun einmal absolut unmög- lich, wegen jeder i.m.-Injektion einen großen Vortrag zu halten.

Prellbock zwischen Interessengruppen

Das Problem der Ambivalenz des Kassenarztes geht aber noch tiefer:

Die „Gesundheitskassenwerbung"

der AOK und die Selbstdarstellungen der übrigen Kassen erwecken beim Patienten den Eindruck, er sei genau- sogut versichert wie ein Privatpatient.

Da werden einerseits Nackenstützkis- sen und Impfungen für Fernreisen übernommen, andererseits soll der Kassenarzt mit strengen Wirtschaft- lichkeitsprüfungen und Regreßan- drohungen zu sparsamster Therapie gezwungen werden. Während in Schule und Studium immer besonde- re, überdurchschnittliche Leistung gefragt war, ist in der Kassenpraxis der Durchschnitt allein das höchste Klas- senziel. Denn wer diesen um 30 oder 40 Prozent überschreitet (in der freien Wirtschaft das Zeichen des Erfolgs), gerät in die Mühlen der Wirtschaft- lichkeitsprüfung.

So ist der Kassenarzt heute von al- len Seiten bedrängt und reglemen- tiert, er muß den Sparzwang der Kas- sen und Politiker gegenüber seinen Patienten durchsetzen, sich gleichzei- tig aber in besonderem Maße um de- ren Vertrauen bemühen. Er ist somit zum Prellbock verschiedener Interes- sengruppen geworden. Der „freie"

Arztberuf existiert schon lange nicht mehr, erst recht nicht in der „freien"

Kassenpraxis. Im Laufe der Zeit ha- ben sich nicht nur die Einkommens- unterschiede zwischen Krankenhaus- und Kassenarzt nivelliert. Beim

Wechsel in die Praxis tauscht man im Grunde nur die Bevormundung durch übergeordnete Ärzte und Verwaltung gegen die durch Kassen, KVen und Politiker ein. Während aber der Kran- kenhausarzt bei Verlust seines Ar- beitsplatzes Anspruch auf Arbeitslo- sengeld hat, bleibt dem Niedergelas- senen bei Verlust seiner Praxis nur der Gang zum Sozialamt oder die Unter- stützung durch die Ehefrau. Denn mit einer erneuten Anstellung im Kran- kenhaus können insbesondere Allge- meinärzte und praktische Ärzte kaum rechnen. Es sollte doch sehr zu den- ken geben, daß heute mehr als die Hälfte der niedergelassenen Ärzte ih- ren Kindern von diesem Beruf abrät!

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Henning Fischer Scharnhorststraße 25 W-4900 Herford

— ZITAT

Deregulierung

„Im gesamten Bundesge- biet steht die weitere Verbesse- rung der Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Unter- nehmen sowie der Freien Beru- fe im Vordergrund. Hierbei geht es sowohl um die Fortset- zung der Existenzgründungs- förderung (Eigenkapitalhilfe- Programm; Ansparförderung unter Einbezug der Freien Be- rufe) als auch um die Weiterent- wicklung der bewährten übrigen mittelstandspolitischen Förder- maßnahmen."

„Die Fortsetzung der kon- sequenten Deregulierung und Entbürokratisierung muß neue Freiräume auch für die mittel- ständische Wirtschaft und die Freien Berufe schaffen. Hier- bei geht es zum Beispiel um die Liberalisierung des freiberufli- chen Standesrechts insbeson- dere im Hinblick auf den euro- päischen Binnenmarkt; für ei- ne zeitgemäße Zusammenar- beit zwischen den Freien Beru- fen bedarf es der Vorbereitung eines sogenannten Partner- schaftsgesetzes."

(Aus der Koalitionsvereinbarung)

Dt. Ärztebl. 88, Heft 5, 31. Januar 1991 (37) A-291

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