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Archiv "Es war nicht die Cholera: Der Komponist Vincenzo Bellini starb vermutlich an Amöbenruhr" (18.09.1985)

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Vincenzo Bellini starb schon mit 33 Jahren, aber seine Opern, besonders

„Die Puritaner", „Die Nachtwandlerin" und „Norma", sind unvergessen

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Kulturmagazin

V

incenzo Bellini, einer der bedeutendsten und berühmte- sten italienischen Opernkompo- nisten, starb am 23. September 1835, also vor genau 150 Jahren, mit 33 Jahren in Puteaux bei Pa- ris. Für seine Zeitgenossen war der plötzliche Tod des Lieb- lingskindes der Gesellschaft un- faßbar. Mit der Autopsie, die der französische König auf Vergif- tungsgerüchte hin anordnete, begann das lange Rätselraten um die Krankheit, die der erst zehn Jahre währenden Karriere Bellinis ein jähes Ende setzte.

Der Obduzent, Prof. Dalmas von der Sorbonne, urteilte: „Es ist augenscheinlich, daß Bellini ei- ner akuten Entzündung des Dickdarms erlegen ist, kompli- ziert durch einen Leberabszeß.

Die Darmentzündung hatte zu den heftigen, zu Lebzeiten be- obachteten Symptomen von Dysenterie Anlaß gegeben."

Die Biographen Bellinis spra- chen von „Eingeweideentzün- dung, Verzehrung durch die Kunst, Art von Cholera, chroni- scher Amöbiasis, Leber- und Darmleiden, Tod unter unklaren Umständen" und noch 1983 von

„seltsamen Krankheiten".

Geboren 1801 in Catania/Sizi- lien, wurde Bellini von Vater und Großvater musikalisch unter- richtet, galt bald als enfant pro- digö und erhielt ein Stipendium für ein Musikstudium in Neapel.

Er nahm es mit 18 Jahren auf und schloß es sechs Jahre spä- ter mit der ersten seiner zehn ernsten Opern ab.

Den Briefen Bellinis, die ab dem Beginn seiner Mailänder Jahre 1827 einigermaßen vollständig vorliegen, entnimmt man eine Reihe von Indispositionen, die er meist auf die jeweilige Wit- terung zurückführte. Hinzu kommt, daß die Komposition ei- ner Oper, deren Inszenierung und der gewöhnlich überwälti- gende Erfolg Bellini die Aufbie- tung sämtlicher Körperkräfte ko- steten. Daher folgte der Premie- re eines neuen Werkes stets ei- ne Periode der Erschlaffung, in der der Komponist seine Ge- sundheit wiederherstellte. Im Juni 1830 berichtete Bellini über eine vierzigtägige schwere Er-

Es war nicht

die Cholera

Der Komponist Vincenzo Bellini starb vermutlich an Amöbenruhr

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 38 vom 18. September 1985 (79) 2747

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Die Krankheit Bellinis

krankung: Er habe im vergange- nen Winter in Venedig täglich vierzehn Stunden komponiert und dabei an Verdauungsstö- rungen gelitten. Im April sei er nach Mailand zurückgekehrt und ohne Appetit geblieben, bis ihm am 21. Mai ein schreck- liches entzündliches Magen- Gallen-Fieber ausgebrochen sei, woraufhin er zur Ader gelas- sen und mit einem Emetikum behandelt worden sei. Genau vier Jahre später schrieb er von seinem neuen Wohnsitz Paris aus, seine Gesundheit sei von einer Magenkrankheit angegrif- fen worden.

Zwei Wochen Todeskampf Am 2. September 1835 — Bellini befand sich auf dem Landsitz ei- nes Freundes in Puteaux bei Pa- ris — erwähnte er brieflich eine leichte Diarrhoe und leichten Kopfschmerz, die er seit drei Ta- gen habe. Die Beschwerden ver- schlimmerten sich aber, so daß Bellini ans Bett gefesselt und spätestens vom 11. September an von Dr. Luigi Montallegri be- handelt wurde. Dieser verbot dem Kranken jeglichen Besuch aufgrund seines Verdachtes auf Cholera, die damals in Südfrank- reich und Norditalien grassierte.

Für die Zeit vom 15. bis 23. Sep- tember gab Montallegri insge- samt fünf ärztliche Bulletins her- aus, in denen er Bellinis Zustand meist als alarmierend darstellte und von zahlreichen nächt- lichen Entleerungen mit Blut und Schleim schrieb. Am 23.

September äußerte er, Bellini sei verloren, ein Krampf habe ihn außer Bewußtsein gesetzt.

Der Gärtner als einziger Zeuge berichtete später, Bellini sei am 23. September um fünf Uhr nachmittags ohne Agonie ge- storben.

Bellinis sterbliche Überreste wurden nach der Obduktion ein- balsamiert. Die Trauerfeierlich- keiten und die Beisetzung auf dem Pariser Friedhof Päre La-

chaise waren von königlichen Ausmaßen. Die Überführung Bellinis in seine Heimat Italien im Jahre 1876 glich wiederum einem Triumphzug. Seine letzte Ruhestätte fand er im Dom zu Catan ia.

Abschließend die differentialdia- gnostischen Überlegungen zu Bellinis Todeskrankheit, fußend auf der Klinik und den folgenden pathologischen Befunden:

„Der ganze Dickdarm, vom äu- ßeren analen Ende des Rektums bis zur Valvula ileocaecalis, war bedeckt mit unzähligen Ulzera- tionen, von der durchschnitt- lichen Größe einer Linse, sehr gräulich, gebildet von einer Ei- terschicht oder einem eitrigen Detritus, den man mit Leichtig- keit ausdrückte. Diese Ulzeratio- nen hatten sehr dünne Ränder, ein bißchen abgetrennt und un- ter dem Wasser schwimmend;

nirgendwo war die Tunica mu- cosa weder verdickt noch ver- härtet, sondern im Gegenteil, sie war überall erweicht und hob sich in Form von Mark ab, dort, wo sie nicht ulzeriert war. Dort, wo sie es war, umfaßten die Ul- zerationen ihre ganze Dicke, ei- nen Teil und manchmal die Ge- samtheit der Tunica muscularis;

aber nirgendwo war die Tunica serosa angefressen, so daß es keine Perforation gab.

Das rechte äußere Ende der Le- ber enthielt in seiner Dicke ei- nen Abszeß, dessen Volumen dem einer Faust gleichkam, und der mit dickflüssigem gelbem, homogenem und vollständig verbundenem Eiter angefüllt war. Die Wände des Herdes wa- ren aus der etwas erweichten Substanz der Leber selbst gebil- det, aber ohne Spuren von Zy- ste(n) oder neoplastischem Ge- webe."

In Frage kommen Colitis ulcero- sa, M. Crohn, irritabler Darm, tu- berkulöse Enterokolitis, Chole- ra, Typhus abdominalis, Shigel- lose und Amöbiasis. Klinisch

sind diese Krankheiten durch- aus mit Bellinis Symptomatik vereinbar, wenngleich die Diar-

rhöen bei Cholera normalerwei- se reiswasserartig sind und ein irritabler Darm nicht das zum Tode führende Leiden gewesen sein kann. Pathologisch-anato- misch betrachtet scheiden die ersten sieben genannten Er- krankungen als Todesursache aus; der morphologische Be- fund bei Bellini paßt hingegen genau auf Amöbiasis, die eine ödematöse, gerötete Mukosa, bis in die Muskularis reichende Ulzerationen, unterminierte und irregulär begrenzte Ränder der nekrotischen Bereiche und gelbliches Exsudat aufweist.

Bellinis klinische Symptomatik, die zahlreichen Entleerungen mit Blut und Schleim, ist gut mit dem Krankheitsbild der kompli- kationsreichen fulminanten Dys- enterie als der schwersten Form der Amöbenruhr zu vereinen.

Ziemlich eindeutige Diagnose

Vincenzo Bellinis briefliche An- gaben früherer gastro-intestina- ler Störungen sind zu wenig ausreichend, um daraus sicher auf die Anfänge einer chroni- schen Amöbiasis schließen zu dürfen. Eventuell können ande- re interkurrente Darminfekte vorgelegen haben.

Die typischste Komplikation der Amöbiasis, ein solitärer Leber- abszeß am rechten äußeren En- de der Leber, findet sich in allen Einzelheiten auch in der Be- schreibung von Dalmas, vierzig Jahre vor Entdeckung der Ent- amoeba histolytica durch Lösch.

Damit ist es wahrscheinlich, daß Bellini an einer Amöbiasis mit solitärem Leberabszeß starb und die Beschwerden zuvor eher Ausdruck eines irritablen Darmes waren.

Anschrift der Verfasserin:

Dr. med. Karen Horn Von-der-Tann-Straße 3 5600 Wuppertal 1

2750 (82) Heft 38 vom 18. September 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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