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Archiv "Depressive Reaktionen und die Rolle des Reaktiven bei endogenen Depressionen" (16.10.1975)

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Academic year: 2022

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Thorakoskopie

Diagnose führen, während die zyto- logische Untersuchung des Pleura- exsudates bei vorsichtiger Inter- pretation der Präparate nur in 50 Prozent der Fälle eindeutig ist.

Gerade beim hämorrhagischen Pleuraerguß nach Lungeninfarkt sind zytologische Fehldeutungen möglich. Der hämorrhagische Lun- geninfarkt kann thorakoskopisch recht gut erkannt werden (Abbil- dung 5). Beim frischen Infarkt fin- det sich häufig über dem infarzier- ten Lungengebiet ein fibrinöser Be- lag. Die thorakoskopische Diagno- stik solcher Infarkte, die als tumor- verdächtige Rundherde imponieren können, erspart dem Patienten die Thorakotomie und mithin dabei die Gefahr einer erneuten Lungenem- bolie.

Die Differentialdiagnostik der Pleu- ritis exsudativa tuberculosa hat durch die thorakoskopische Biop- sie große Fortschritte gemacht. In 80 Prozent der auf Tuberkulose verdächtigen Pleuritiden konnte die thorakoskopische Biopsie die diffuse Aussaat der Tuberkulose mit epitheloidzelligen Knötchen und Verkäsungen sichern (Abbil- dung 6). Die spezifische Diagnose kann mithin in wenigen Tagen ge- stellt werden. Das mehrwöchige Warten auf das Ergebnis von Tu- berkulosekulturen entfällt. Die Tho- rakoskopie ist hier einer nur etwa 50prozentigen Klärung durch kultu- relle Untersuchungen weit überle- gen. Gelegentlich gelang der kultu- relle TB-Nachweis nur aus dem Bioptat, das direkt auf Löwenstein- Jensen-Nährböden geimpft wur- de. TB-Kulturen waren im übri- gen nur dann positiv, wenn auch die Histologie spezifisches Gewebe ergeben hatte.

Unspezifische entzündliche Pleura- ergüsse im Rahmen von Virus- krankheiten sind häufiger gewor- den. Das makroskopische und das histologische Bild sind uncharakte- ristisch. Die Aussage aber, daß eine spezifische oder tumoröse Pleuraerkrankung nicht vorliegt, ist von ebenso erheblichem Wert. Ge- legentlich findet man einen Häma-

tothorax bei Leberzirrhose, Hydro- thoraces beim nephrotischen oder beim Mighs-Syndrom, Bei diesen Zuständen, wie auch beim Chylo- thorax, ist die Lunge thorakosko- pisch unauffällig und zeigt höch- stens Zeichen einer Kompressions- atele ktase.

Thorakoskopie nach Anlage eines Pneumothorax

Bei 690 Patienten mit Krankheiten des Lungenparenchyms und bei Veränderungen im Mediastinum oder der Brustwand bei fehlendem Pleuraerguß war die Anlage eines Pneumothorax problemlos.

In 47 Prozent unserer gesamten Fälle lagen disseminierte Lungen- krankheiten vor. Überwiegend han- delt es sich um Sarkoidosen des Stadiums II und 111. Die reizlosen weißlichen subpleural gelegenen Knötchen sind recht charakteri- stisch (Abbildung 7). Aber auch sklerosierende Granulome (Abbil- dung 8) sahen wir. Sicherheitshal- ber sollte man die Bioptate auch auf Tuberkulosenährböden geben.

Für die Differenzierung von Lun- genfibrosen hat die thorakoskopi- sche Biopsie einen Wirkungsgrad von etwa 90 Prozent. Man kann die interlobulären Septen bei der inter- stitiellen Fibrose thorakoskopisch

recht gut erkennen (Abbildung 9).

Thorakoskopische Optiken mit zehnfacher Vergrößerung lassen Details sehr gut erkennen. Ferner fanden wir bei den disseminierten Lungenkrankheiten Fälle von Sili- kose (Abbildung 10), Alveolarpro- tionosen (Abbildung 11), Bronchiol- alveolarzellkarzinome (Abbildung 12), Lungenmetastasen (Abbildung 13) sowie die Histiocytosis X.

Rundherde der Lunge sind für die thorakoskopische Diagnostik weni- ger geeignet. Wir punktieren sol- che Herde, falls sie nicht ohne Ri- siko operabel sind, mit der Feinna- del. Falls bei dieser Untersuchung

ein artefizieller Pneumothorax ent- stand (80 Fälle), haben wir auch Thorakoskopien durchgeführt und die Herde, wenn sie subpleural la- gen, unter thorakoskopischer Kon- trolle punktiert.

Die Genese von mediastinalen oder in der Brustwand gelegenen

„Tumoren" kann röntgenologisch oft nicht gestellt werden. Bei den vom Lymphsystem ausgehenden Mediastinaltumoren dürfte die Me- diastinoskopie die Methode der Wahl sein. Bei den sogenannten chirurgischen Med iasti naltumoren lohnt die thorakoskopische Vorun- tersuchung. Wir fanden bronchoge- ne Zysten (Abbildung14), Thymome

(Abbildung 15), Neurinome, Fi- brome, Teratome, Dermoid- zysten, Lipome (Abbildung 16) und Zölomzysten (Abbildung 17).

In einer Reihe von Fällen erübrigte sich eine Thorakotomie oder er- wies sich die Operabilität. An Her- den in der Brustwand überwogen die Pleurahyalinosen, die wir auch ohne nachweisbare Asbestexposi- tion häufig finden, ferner das gut- artige lokalisierte Pleuramesothe- liom, Rippentumoren als metasta- sierte Karzinome (Abbildung 18), Tuberkulose, Exostosen oder Zu- stände nach Rippenfraktur, die dif- ferentialdiagnostisch klärbar wa- ren.

Während nach Lungenbiopsien die Dauersaugdrainage einige Tage bis zum Fistelschluß liegen muß, ist dies bei der Diagnostik von Ver- änderungen des Mediastinums oder der Brustwand nicht nötig.

Eine diagnostische Thorakoskopie sollte nicht erzwungen werden, wenn ausgedehnte pleurale Ver- wachsungen bestehen. In etwa 5 Prozent unserer Fälle war später eine diagnostische Kleinthorakoto- mie und Biopsie nötig. Wir halten die Thorakoskopie für ein risikoar- mes und sehr erfolgreiches Verfah- ren. Unter unseren 2000 Fällen war niemals ein chirurgisches Eingrei- fen, zum Beispiel wegen Blutun- gen, notwendig.

Anschrift des Verfassers:

Privatdozent

Dr. med. Hans-Jürgen Brandt Lungenklinik

des Städtischen Krankenhauses Heckeshorn

1 Berlin 39 (Wannsee) Am Großen Wannsee 80

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Was heißt Depressivsein, und wie wird es erlebt?

Depressivsein heißt gedrückter, trauriger, freudloser oder auch für Freude und Leid gleichermaßen quälend mitschwingungsloser Stimmung zu sein. Entschlußkraft und Einfallsreichtum sind verarmt, auch bescheidenes Planen ist na- hezu unmöglich. Es gibt keine Zu- kunft, höchstens die Gewißheit des Zugrundegehens. Die Psychomoto- rik ist überwiegend gehemmt, in

fortgeschrittenen Lebensjahren und beim Vorherrschen von Angst mitunter auch gehetzt. Hand in Hand damit kann eine schwere Be- einträchtigung der leiblichen Allge- meingefühle gehen, die manchmal das Erscheinungsbild beherrscht.

Man spricht von vitaler Traurigkeit und vitaler Angst, die qualvoll im Leib gespürt und kaum beschrie- ben werden können.

Bei depressiven Reaktionen krei- sen die Gedanken um das auslö-

sende Ereignis. Das Mitschwingen der Vitalgefühle ist zwar viel selte- ner als bei endogenen Depressio- nen, doch bildet dies kein sicheres Unterscheidungsmerkmal.

Die Störungen der Vitalgefühle und eine Fülle von vegetativen Begleit- erscheinungen bei endogenen De- pressionen können, psychologisch unableitbar vom Krankheitsprozeß selbst gesetzt, bei manchen Kran- ken vor allem im Beginn einer Krankheitsphase, eine Diagnosen- stellung erschweren. Bei larvierten Depressionen (depressio sine de- pressione) stehen sie gegenüber der seelischen Beeinträchtigung so im Vordergrund, daß oft lange Zeit fälschlich eine körperliche Krank- heit angenommen wird, bis man auch im Kommen und Gehen die- ser Symptomatik (Äquivalente) Phasenhaftes auffindet oder die charakteristischen Symptome schließlich zum Vorschein kom- men. Manchmal erfolgt auch eine Klärung ex juvantibus.

Bei endogenen Depressionen be- gegnet man immer wieder drei Urängsten des Menschen. Psycho- pathologisch gesprochen handelt es sich um Schuldängste, hypo- chondrische Ängste und Verar- mungsängste bis zum nihilistischen Wahn.

Die meisten Kranken der en- dogenen Gruppe erleben zwingend die reaktive Unableitbarkeit der de- pressiven Phaseneinbrüche. Sie können hinterher, im Gegensatz zu

Depressive Reaktionen und die Rolle des Reaktiven

bei endogenen Depressionen

Hans Jörg Weitbrecht t

Aus der Nervenklinik und Poliklinik der Universität Bonn (Kommissarischer Direktor: Professor Dr. med. Heinz Penin)

In diesem Aufsatz wird versucht, mit prägnanten, knappen Worten einen Überblick über die Vielfalt depressiver Verstimmungszustän- de zu vermitteln. Für die heutige Praxis wichtig erscheint vor allem die maskierte Depression, die mitunter nur als Fülle leiblicher Be- einträchtigung imponiert und oft lange Zeit als körperliche Krank- heit angesehen und behandelt wird, bevor Phasenhaftes auftritt oder Urängste freigelegt werden, die auf die Endogenität hindeuten.

Neben den depressiven Psychopathen wird auf die Untergrundde- pressionen und deren Einfluß auf das Depressivsein des Menschen hingewiesen, daß jenseits aller Ideologien anthropologisch vorge- geben ist. Hervorgehoben sei, daß die abnormen seelischen Reak- tionen nicht nur geprägt sind von offen zu Tage liegendem Inhalt reaktiver Traurigkeit, sondern es können auch unbewältigte, krän- kende Situationen die Szene beherrschen. Von einfachen depressi- ven Reaktionen abzugrenzen ist die vitalisierte depressive Reaktion und deren möglicher Übergang (psychoreaktiv also) in eine endo- gene Depression. Eine besondere Rubrik depressiver Störungen stellen die endoreaktiven Dysthymien (Weitbrecht) dar, die anamne- stisch, ihrem Zustandsbilde nach wie auch vom Verlauf her isoliert dastehen, wobei somatische und psychisch-situative Noxe mit endo- thymen Untergrund affiziert erscheinen.

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Endogene Depression

reaktiv Depressiven, keinen Weg des Verstehens mehr finden, warum sie so unbegreiflich verändert waren.

Wodurch kann Depressivsein hervorgerufen werden?

Daß der Mensch überhaupt depres- siv sein kann, ist das zunächst ein- mal anthropologisch Vorgegebene.

Seelisch unmotivierte, freisteigen- de depressive Verstimmungen, un- ter denen viele Menschen zu leiden haben, tauchen nach bis heute un- bekannten Gesetzen von selbst aus dem tragenden, biologisch uner- lebbaren Untergrund auf. Man nennt sie Untergrunddepressionen.

Davon heben sich die Verstimmba- ren ab. Bei ihnen spielt das reakti- ve Moment eine sehr viel größere Rolle. Von beiden unterscheiden kann man Persönlichkeiten mit ha- bituell ungewöhnlich stark ausge- prägter (abnormer) depressiver Dauergestimmtheit, die man als Stimmungs- und Antriebspsycho- pathen bezeichnen kann. Interes- santerweise kann man nicht selten beobachten, daß schmerzliche Er- eignisse und Belastungen, die ei- nen anderen in eine depressive Re- aktion hineintreiben würden, von ihnen, den stets „Mühseligen und Beladenen", erstaunlich bewältigt werden; sie sind gleichsam Kum- mer gewöhnt.

Untergrunddepressionen, unter welchen manche depressive Psy- chopathen besonders zu leiden ha- ben, pflegen nicht selten den Stel- lenwert depressiven Reagierens ansteigen zu lassen. Sind sie wie- der abgeklungen, spontan oder mit Hilfe von Psychopharmaka, Alkohol oder auch durch psycho-reaktive Entlastung oder „doping", dann se- hen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft „wieder ganz anders" aus.

Die Möglichkeit eines psycho-reak- tiven Herausgeratens bei dieser Depressionsform hebt sie deutlich von der endogenen ab.

Daß der Mensch schließlich ohne alle Psychopathologie auch der un-

ter sich selbst und am Leben Lei- dende sein kann, paßt weder den modernen antipsychiatrischen Psy- chologisten noch Soziologisten (Umfunktionieren der Psychosen in

„Soziosen") ins Konzept. Dabei will ich durchaus nicht unterstellen, daß diese Tatsache nur der jeweils dem betreffenden Menschenbild zugrunde liegenden Ideologie wi- derwärtig sei, sondern sie bedeutet auch eine ehrliche Enttäuschung für die naive optimistische Hoff- nung, der Mensch könne doch gar nicht anders als unbeschwert und glücklich sein, wenn er von seinen Triebverdrängungen befreit sei oder die gesellschaftlichen,

„krankmachenden" Depressionen abgeschüttelt habe.

So hat die analytische Tiefenpsy- chologie nie recht wahr haben wol- len, daß ein Mensch sehr oft eige- ne Charakterfehler qualvoll leidend zu erfahren vermag, sondern hat in ihren Melancholietheorien gerne auf das „Verwechselt-das-Bäum- chen"-Modell zurückgegriffen: es handle sich bei den so häufig zu Suizid führenden Autoaggressio- nen selbstverständlich „nur" um verdrängte Aggressionen anderen gegenüber. Das einzusehen und

„aufzuarbeiten" aber heile die De- pression. Ob beim reaktiv oder en- dogen Depressiven oder beim

„Normalmenschen": existentielles Erfahren eigenen Schuldigseins wird beschwichtigend und — das ist wichtig — grundsätzlich zum analytisch behandlungsfähigen Schuldgefühl verharmlost.

Seelisch abnorme Reaktionen Von einer seelisch abnormen Re- aktion können wir nur bei besonde- rer Dauer, Intensität oder einer Un- fähigkeit zur schließlichen Verar- beitung mit der Folge einer Stö- rung des gesamten seelischen Gleichgewichts sprechen. Im Zen- trum der traurigen, hoffnungslosen, enttäuschten oder ressentimenter- füllten Grübeleien und Quälereien steht für gewöhnlich der Erlebnis- komplex, der die abnorme Erleb- nisreaktion hervorgerufen hat.

Traurigsein kann überaus verschie- denartigen Charakter tragen, je nachdem ob in der depressiven Reaktion eigene Schuld, eigenes Versagen oder, wie es häufiger der Fall ist, die Schuld der Anderen, das harte ungerechte Schicksal und das Leben überhaupt im Vor- dergrund steht.

Man muß freilich wissen, daß der scheinbar klar zu Tage liegende In- halt der reaktiv-depressiven Trau- rigkeit keineswegs der eigentliche, wesentliche zu sein braucht. Eine unbewältigte kränkende Situation und die sich daran knüpfende Ent- täuschung kann dramatisch als das dominierende Thema die Szene be- herrschen. Bald zeigt sich indes- sen, daß eigentlich gar nicht die- ses Erlebnis gemeint ist, sondern daß es als letzter Tropfen den Ei- mer zum Überlaufen gebracht hat.

Es kann auch sein, daß durch eine Art Resonanzwirkung schon lange schwelende Krisen angefacht wur- den, die eigentlich hinter dem Gan- zen stehen und wirken.

Vielfach hätte das pathogene Er- lebnis an sich niemals zu einer so intensiven Reaktion geführt. Diese eigentlichen Hintergründe können durch Fassaden und Lebenslügen neurotischer Art der Selbsterhel- lung entzogen sein. Von einer neu- rotischen Depression kann man der vorhandenen Verdrängung we- gen sprechen.

Hinter vielen gerne als psychoso- matisch bezeichneten Krankheiten stecken depressive Überforde- rungs- und Konfliktreaktionen. Hin- ter anderen psychosomatischen Störungen verbergen sich jedoch schwere neurotische Entwicklungs- störungen, die sich mitunter bis in die früheste Lebenszeit zurück ver- folgen lassen. Von besonderen psychosomatischen Krankheiten zu sprechen und „die" Psychosomatik als ein besonderes medizinisches Fach neben anderen anzusiedeln, womöglich in separierten Kliniken, halte ich für bedenklich. Es sollten vielmehr alle Ärzte, welcher Diszi- plin auch immer, psychosomatisch denken und handeln lernen.

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Die Vitalisierung depressiver Reaktionen

Von einer „vitalisierten" depressi- ven Reaktion sprechen wir dann, wenn über kurz oder lang die ur- sprünglich rein seelisch gewesene depressive Erlebnisreaktion be- ginnt, körperliche Begleiterschei- nungen zu entwickeln, wie wir sie für gewöhnlich schon von Anfang an bei den endogenen Depressio- nen antreffen. Die Traurigkeit kann ausgesprochenen „Vitalcharakter"

hinzugewinnen, der die Szene schließlich ganz beherrscht; es kann dann das ganze typische Re- pertoir, wie Tagesschwankungen, vermehrte Schlafstörungen, Ge- wichtsabnahme, Appetitlosigkeit, vegetative und hormonale Störun- gen hinzukommen.

Mitunter leiden die Patienten unter ihrem leiblichen Mißbefinden noch mehr als unter den sich allmählich wieder spontan oder unter einer entsprechenden Therapie abmil- dernden seelischen Quälereien. Mit deren endgültiger Bewältigung eine

„Heilung" von tiefen Schicksals- wunden ad integrum zu verlangen, wäre in sehr vielen Fällen eine weltfremde Utopie, auch wenn sich die in Mitleidenschaft gezogene Vi- talschicht wieder beruhigt. Die The- matik der Trauer pflegt sich wäh- rend der Zeit der Vitalisierung nicht zu ändern (eine wichtige Aus- nahme sind die eventuell heraus zu analysierenden mehrbödigen For- men mit „Verdrängungen", der neurotischen Depressionen also), jedoch können während der Vitali- sierung zusätzliche hypochondri- sche reaktive Ängste auftreten.

Psycho-reaktive Auslösung endogener Depressionen

Von hier führt nun eine interessan- te Verbindung zur psychoreaktiven („situagenen") Auslösung endoge- ner Depressionen. Moderne Stati- stiken rechnen durchschnittlich mit mindestens 15 Prozent derartiger Auslösungen, die der Kritik an den verbreiteten Psycholog isierungs- tendenzen wirklich standhalten. Ty-

pisch ist, daß aus einer depressi- ven Reaktion eine klassische endo- gene Phase herauswächst. Neben dem formalen Symptomwandel kommt es oft zu einem inhaltlichen Themenwandel. Die anfänglich in- haltbildende Thematik kann voll- kommen verschwinden und durch Sorgen und Ängste abgelöst wer- den, die nichts mehr mit den auslö- senden Erlebnissen und auch nichts mit erst sekundär ans Licht gelangenden, vorher verdrängt ge- wesenen, Komplexen zu tun haben.

Es gibt mitunter auch recht akut einsetzende Auslösungen. So et- was sehen wir mitunter bei Ent- wurzelungen, vor allem in fortge- schrittenen Jahren (Umzugsdepres- sion, Pensionierungsbankrott) oder perakut nach einem schweren Verlust, vor allem eines eng ver- bundenen Menschen. Auch an die Möglichkeit einer „Dekompensie- rung", einer mühsam das stim- mungs- und antriebsmäßige Gleichgewicht wieder wahrenden, remittierenden Phase, ist zu den- ken.

Im Gegensatz zu einer nur vitali- sierten depressiven Reaktion kann die reaktiv ausgelöste endogene Depression auch manische Nach- schwankungen oder einen weithin autochthonen zyklothymen Verlauf mit wohl abgesetzten depressiven oder manischen Phasen zeigen, wenn erst der Krankheitsprozeß einmal angestoßen ist.

Psychagogische Führung

Um eine erneute Dekompensierung zu verhüten, muß die psychagogi- sche Führung, die Milieutherapie und in geeigneten Fällen die Fami- lientherapie das ihrige dazu beitra- gen. Während auf der Höhe einer endogen-depressiven Phase die persönlichkeitsgebundene Patho- plastik der Symptome eingeebnet wird, ist im Stadium des Abklin- gens auch eine individuelle, geziel- te Psychotherapie von Nutzen. Das gilt vor allem dann, wenn in und durch die Psychose der Kranke mit Nöten und Spannungen konfron-

tiert ist, die er in gesunden Zeiten überspielen, überwinden oder auch einmal verdrängen konnte, oder wenn ihm existentielle Mängel sei- ner Selbstwerdung erst jetzt quä- lend aufgegangen sind. Es sollte aber nicht aus Freude am Psycho- logisieren übersehen werden, daß in der Regel nach dem Abklingen einer schweren endogenen De- pression mit massivsten Selbstent- wertungserlebnissen (Suizide und Suizidversuche sind bei Kranken mit Schuldängsten besonders zu befürchten) die Grundpersönlich- keit die alte geblieben ist.

Nirgendwo wie in der Melancholie der endogenen Depression wird das Sich-schuldig-fühlen mit einer so erbarmungslosen Unerbittlich- keit erlebt. Es ist charakteristisch für das ominöse Endogene, daß in der überwiegenden Mehrzahl die Wiedergenesenen überhaupt nicht mehr nachvollziehen können, in welcher Hölle sie sich während der Psychose befanden. Nichts pflegt zurückzubleiben von diesem Blick in die Abgründe der Verlorenheit.

Der klassische Zyklothyme pflegt nachher der gleiche syntone, warm- herzige, zupackende, schwin- gungsfähige, je nachdem wieder etwas nach der schwerblütigen oder mindestens ebenso oft nach der zuinnerst heiteren Stimmungs- lage oder einem schwingenden

„Wechselmut" hin determinierte Mensch zu sein wie zuvor. Der oft zitierte „Typus melancholicus" un- ter den prämorbiden Persönlichkei- ten, bei dem bestimmt strukturierte Forderungssituationen die Endoki- nese bewirken, ist nichts als ein un- beschreibbarer Typus unter zahl- reichen anderen.

Was die Auslösung gründsätzlich angeht, so wissen wir noch viel zu wenig darüber, welche Situationen für welche Persönlichkeitstypen ei- nen pathogenisierenden Stellen- wert besitzen. Mitunter ist die Angst- und Schuldthematik (das Sosein der Psychose also im Ge- gensatz zu ihrem Dasein, ihrem Auftreten überhaupt) psycholo- gisch analysier- und verstehbar

(5)

Endogene Depression

und die Bedeutung des Reaktiven auf der Hand liegend. Uneingestan- dene, aber auch längst verarbeite- te, überwundene, bereute und ge- büßte Schuld kann in alter Uner- bittlichkeit wiedererlebt werden.

Häufig aber gewinnen Handlungen, Unterlassungen und nicht zuletzt selbst Wünsche oder Gesinnungen Schuldcharakter, die dem Wieder- genesenen — ohne daß Verdrän- gungen oder Verschiebungen ana- lysierbar wären — hinterher voll- kommen unverständlich sind und durchaus als wahnhaft und unbe- greiflich eingestuft werden.

Tritt vollends nach einer solchen Depression eine manische Phase mit ihrer festlich erhöhten Daseins- freude, ihrer bedenklichen Selbst- überschätzung und Kritiklosigkeit, ihrem Überborden des „sacro ego- ismo" auf, dann pflegen wieder Ge- sundete zumeist eventuellen reakti- ven Momenten für das Zustande- kommen, das Dasein solcher ge- gensätzlicher Phasen gar keinen Raum mehr zuzugestehen. Das Er- lebte, das Endogene, ist von so überwältigender Übermacht gegen- über allem Situativen, auch in der Selbstinterpretation der Betroffe- nen, daß es hinterher zu schwer- sten Existenzkrisen kommen kann, die dem helfenwollenden Arzt oft nur noch die Rolle eines beschei- denen Trösters übrig lassen.

Endo-reaktive Dysthymien und erlebnisaktiver depressiver Persönlichkeitswandel

Die von mir unter dem Namen endo-reaktive Dysthymien be- schriebenen Depressionszustände schlugen einst eine Bresche in ei- nen allzu starr verstandenen Endo- genitätsbegriff. Die in weitaus den meisten Fällen ohne Zwang durch- führbare saubere Differenzierung

Professor Hans Jörg Weitbrecht, zuletzt Direktor der Nervenklinik und Poliklinik der UniVersität Bonn, ist am 2. Januar dieses Jahres verstorben. Der im Vorjahr zur Veröffentlichung eingereichte Aufsatz ist eine der letzten wissenschaftlichen Publikationen des hochverdienten Gelehrten.

zwischen endogenen Depressionen und depressiven Reaktionen sollte damit keineswegs verwischt wer- den. Übrig blieben jedoch die Fak- ten solcher häufigen Depressionen, die nach Vorgeschichte, Aussehen und Verlauf gleichsam im Nie- mandsland angesiedelt sind. Ihr Vorhandensein erwies sich als gleich wichtig für das ärztliche Handeln wie für die psychiatrische Grundlagenforschung. Andere Auto- ren haben für annähernd densel- ben Typus depressiver Störungen andere Bezeichnungen gewählt, wie vegetative Depression oder Er- schöpfungsdepression.

Diese depressiven Verstimmungen sind zumeist hypochondrisch-asthe- nischer, mißmutiger Art ohne Schuldgefühle, dafür aber mit hochgradigem Leidensbewußtsein, häufig mit erheblicher Dystonie und zahlreichen funktionellen Or- ganbeschwerden. Ihre Traurigkeit trägt sehr oft bei überwiegend re- aktiv bestimmter Thematik schon von Anfang an ausgesprochenen Vitalcharakter. Sie können nach aufbrauchenden körperlichen Krankheiten, rasch aufeinanderfol- genden Geburten oder Aborten, nach Erschöpfungen verschiedener Herkunft, jedoch — und das inter- essiert uns hier besonders — auch in lastenden psychischen Notsitua- tionen vom Charakter drohender oder faktischer Ausweglosigkeit auftreten. Am häufigsten sehen wir an der Wurzel ein untrennbares In- einander somatischer und psy- chisch-situativer Noxen mit einem Affiziertwerden des endothymen Untergrundes. Umschlagen in eine Manie kommt nie vor. Wichtig ist, daß die inhaltgebende Thema- tik sich während der Krankheit nicht zu wandeln pflegt. Die fami- liäre Belastung mit manisch-de- pressiven Psychosen ist viel gerin- ger als bei den endogenen Depres- sionen; die prämorbide Persönlich- keit zeigt selten zyklothymes Tem- perament und pyknischen Habitus.

Besonders zu erwähnen sind früher kaum bekannte, für das Problem

„Reaktives in Depressionszustän- den" jedoch überaus bemerkens-

werte Beobachtungen, die an Men- schen gemacht werden konnten, die in Konzentrationslagern oder in der Illegalität verkrochen dahinve- getieren mußten. Wir haben auch bei ihnen später wieder abklingen- de depressive Erlebnisreaktionen mit oder ohne sekundäre Vitalisie- rung und, wenngleich nicht sehr häufig, echte endogene Depressio- nen gesehen.

Neu sind aber auch die hier ge- meinten chronischen depressiven erlebnisreaktiven Persönlichkeits- entwicklungen. Sie bedeuten in vielen Fällen eine bleibende Umfor- mung der Persönlichkeit und ha- ben nichts mit Tendenz- oder Be- gehrungsneurosen und ebenso we- nig mit den endogenen manisch- depressiven Psychosen zu tun.

Auch Ärzte kennen sie zu wenig und sie sind da und dort — das darf nicht verschwiegen werden —

„von der Parteien Gunst und Haß verzerrt".

Es gibt unter der Übermacht völli- ger Vernichtung des letzten Restes von Menschenwürde und ständiger Gewißheit eines grauenvollen To- des, nicht selten überdies zusätz- lich noch unter den entsetzlichen Eindrücken des qualvollen Zu- Tode-gemartert-werdens der näch- sten Angehörigen und Freunde, Persönlichkeitswandlungen, für welche der alte Neurosenbegriff nicht ausreicht. Es gibt ein Maß von Grauen, das ohne bleibenden seelischen Schaden zu ertragen von dem Überlebenden schlechter- dings nicht als zumutbare Stan- dardleistung verlangt werden kann.

Gewiß haben viele auch diese Höl- le der Konzentrations- und Ver- nichtungslager oder die jahrelange tierische Gehetztheit von Versteck zu Versteck in der Illegalität ohne Schaden überstehen oder ihn spä- ter ausgleichen können; aber for- dern, daß der so geschändete und entrechtete Mensch nach einer zu- gebilligten Zeit „depressiver reakti- ver Erschöpfung" da wieder anzu- fangen habe, wo er stand, bevor er dem Inferno des Mordgesindels gegeben wurde, ist vollkommen wirklichkeitsfremd.

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