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Bundesverfassungsgericht - 2 BVR 2158/98 -
Im Namen des Volkes In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde des Herrn O...
gegen a) den Beschluß des Landgerichts Verden vom 2. November 1998 - 1 Qs 229/98 -, b) den Beschluß des Amtsgerichts Syke
vom 17. Juli 1998 - 8 Gs 196/98 - u n d Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin
Präsidentin Limbach und die Richter Winter, Hassemer
gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Absatz 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fas- sung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 22. März 1999 einstimmig beschlossen:
Die Beschlüsse des Amtsgerichts Syke vom 17. Juli 1998 - 8 Gs 196/98 - und des Landgerichts Verden vom 2. November 1998 - 1 Qs 229/98 - verletzen das Grund- recht des Beschwerdeführers aus Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbin- dung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes.
Der Beschluß des Landgerichts Verden vom 2. November 1998 - 1 Qs 229/98 - wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Verden zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
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7 Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine Durchsuchungsanordnung wegen Ver- dachts einer ausländerrechtlichen Ordnungswidrigkeit.
I.
1. a) Der Wohnraum des Beschwerdeführers wurde aufgrund richterlicher Anord- nung durchsucht. Zur Begründung verwies das Amtsgericht auf den "Verdacht des Ordnungswidrigkeitsverstoßes nach dem Ausländergesetz"; die "bei der Durchsu- chung etwa aufgefundenen sachdienlichen Gegenstände, insbesondere Geburtsur- kunden und Ledigkeitsbescheinigungen", seien zu beschlagnahmen. Die Ausländer- behörde hatte die Anordnung dieser Maßnahmen beantragt, nachdem der Beschwerdeführer, ein abgelehnter Asylbewerber, Geburtsurkunde und Ledigkeits- bescheinigung beim Standesamt vorgelegt hatte, während er Aufforderungen der Ausländerbehörde, Unterlagen zum Nachweis seiner Identität vorzulegen, nicht nachgekommen war.
b) Die Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts verwarf das Landgericht als unbegründet. Der lediglich formelhafte Durchsuchungsbeschluß sei zwar unzurei- chend gewesen. Der Beschwerdeführer sei zum Zeitpunkt des Erlasses des Durch- suchungsbeschlusses aber einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 93 Abs. 2 Nr. 1 i. V.
m. § 40 AuslG verdächtig gewesen, weil er dem Verlangen der Behörde, Identitäts- papiere vorzulegen, nicht nachgekommen sei.
2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts und rügt eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 13 GG. Der Beschluß des Amtsgerichts sei völlig unbestimmt, die Anordnung der Durchsuchung allein wegen des Verdachts einer Ordnungswidrig- keit sei unverhältnismäßig. Auch das Landgericht habe sich mit der Unbestimmtheit und der fehlenden Verhältnismäßigkeit nicht auseinandergesetzt.
3. Das Niedersächsische Ministerium der Justiz und für Europaangelegenheiten hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird, soweit sie zulässig ist, zur Entscheidung ange- nommen, weil dies zur Durchsetzung von Grundrechten des Beschwerdeführers an- gezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Kammer ist zur Sachentschei- dung berufen, da das Bundesverfassungsgericht die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden hat und die Verfassungsbe- schwerde, soweit zulässig, offensichtlich begründet ist (§§ 93b Satz 1, 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
1. Der Beschluß des Amtsgerichts verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 13 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes. Eine Durchsuchung ist regelmäßig ein schwerwiegender Eingriff in die grundrechtlich ge-
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11 schützte Lebenssphäre des Betroffenen. Sie steht daher ebenso wie ihre Anordnung
unter dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es ist Aufgabe des Richters, von vornherein für eine angemessene Begrenzung der Zwangsmaßnahme Sorge zu tragen. Er muß durch eine geeignete Formulierung des Durchsuchungsbe- schlusses im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sicherstellen, daß der Eingriff in die Grundrechte meßbar und kontrollierbar bleibt. Ein Durchsuchungsbefehl, der keinerlei tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs enthält, wird diesen Anforderungen jedenfalls dann nicht gerecht, wenn solche Angaben nach dem Er- gebnis der Ermittlungen ohne weiteres möglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich sind (BVerfGE 42, 212 <219 f.>; 96, 44 <51 f.>).
Diesem Maßstab genügt der Beschluß des Amtsgerichts nicht. Er enthält ohne rechtfertigenden Grund weder tatsächliche noch rechtliche Angaben zum Tatvorwurf.
Allein der Hinweis, es gehe um eine ausländerrechtliche Ordnungswidrigkeit und ins- besondere seien Geburtsurkunden und Ledigkeitsbescheinigungen zu beschlagnah- men, läßt keinen Rückschluß auf eine bestimmte Tat zu.
2. Der Beschluß des Landgerichts setzt den Verfassungsverstoß des Amtsgerichts fort. Zwar hat das Landgericht zutreffend festgestellt, daß der Durchsuchungsbe- schluß des Amtsgerichts unzureichend war, und selbst eine Sachentscheidung ge- troffen. Auch seiner Entscheidung läßt sich aber kein hinreichend bestimmter Tatvor- wurf entnehmen. Neben der Bezeichnung der Vorschrift des Ausländergesetzes - die das Unterlassen der Vorlage des Passes, des Paßersatzes, des Ausweisersatzes, der Aufenthaltsgenehmigung oder der Duldung mit Bußgeld bewehrt - führt das Landgericht nur aus, der Beschwerdeführer sei dem Verlangen der Behörde, Identi- tätspapiere vorzulegen, nicht nachgekommen. Um welche Papiere es sich handeln soll, wird nicht angegeben. Die vom Amtsgericht genannten Geburtsurkunden und Ledigkeitsbescheinigungen fallen jedenfalls nicht unter die bezeichnete Vorschrift des Ausländergesetzes.
Im übrigen rechtfertigt nicht allein die Vermutung, der Beschwerdeführer könne im Besitz von Identitätspapieren im Sinne der Bußgeldvorschrift sein, ohne weitere tat- sächliche Anhaltspunkte die Anordnung der Durchsuchung. Ein solcher Eingriff muß in angemessenem Verhältnis zur Stärke des Tatverdachts und zur Schwere der Tat stehen (BVerfGE 42, 212 <220>; 59, 95 <97>). Dieses Verhältnis ist bei der Vermu- tung einer Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße von höchstens 5.000 DM (§ 93 Abs. 5 AuslG) bewehrt ist, nicht gewahrt.
3. Soweit mit der Verfassungsbeschwerde die Aufhebung des amtsgerichtlichen Durchsuchungsbeschlusses begehrt wird, ist sie unzulässig und daher nicht zur Ent- scheidung anzunehmen. Das Landgericht kann hier, ohne daß es weiterer Sachauf- klärung durch das Amtsgericht bedarf, durch eine erneute Entscheidung der Be- schwer des Beschwerdeführers abhelfen und die Grundrechtsverletzung beseiti- gen (vgl. BVerfGE 78, 374 <390>). Daß der Beschwerdeführer diesen fachgerichtlichen Rechtsweg ausschöpft, gebietet der Grundsatz der Subsidiarität (§ 90 Abs. 2
12 BVerfGG; BVerfGE 96, 27 <43>).
4. Nachdem der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde im wesentli- chen Erfolg hat, ist der Ausspruch der vollen Kostenerstattung angemessen (§ 34a Abs. 2, 3 BVerfGG). Damit erübrigt sich eine Entscheidung über das Prozeßkosten- hilfegesuch.
Limbach Winter Hassemer
Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. März 1999 - 2 BvR 2158/98
Zitiervorschlag BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom
22. März 1999 - 2 BvR 2158/98 - Rn. (1 - 12), http://www.bverfg.de/e/
rk19990322_2bvr215898.html
ECLI ECLI:DE:BVerfG:1999:rk19990322.2bvr215898