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Senecas Epistulae morales als Anleitung zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung

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41 RAAbits Latein Mai 2016

Fachliche Hinweise

Lucius Annaeus Seneca – ein Leben zwischen philosophischem Anspruch …

Bei Seneca denkt man heute vor allem an praktische Ratschläge für die Lebensfüh- rung; und dies nicht nur wegen der Sentenzenhaftigkeit seiner präzis-kurzgehaltenen Aussagen.

Es sind auch die anscheinende Nähe der philosophischen Aussagen zum Christentum sowie dessen auch außerchristlich adaptierte Ethik- und Moralvorstellungen, die den Zugang zu Seneca und dessen Werk erleichtern.

Und in der Tat drehte sich das literarische Wirken des um die Zeitenwende im spanischen Cordoba geborenen Seneca oft um die (stoische) Philosophie. Obwohl der Vater gleichen Namens uns als kritischer Rhetor überliefert ist, wandte sich Seneca nicht der Teildisziplin der Logik zu, sondern lieferte neben Auslügen in die Physik (vgl. Naturales quaestiones) vor allem Beiträge zur Ethik ab. Er gilt mit dem späteren Kaiser Mark Aurel (reg. 161–180 n. Chr.) und dem 50 Jahre nach Seneca schreibenden griechischen Philosophen Epiktet als bedeutendster Vertreter der sogenannten jüngeren Stoa. Diese philosophische Richtung war wegen ihrer Verbindung von elitärem Prädestinationsgedanken und damit unmittelbar verbundener aktiver Teilnahme am Gemeinwesen ungeheuer beliebt bei der vom aristokratischen Führungsgedanken geprägten Oberschicht (Senatoren, Ritter) der Römischen Republik und Kaiserzeit.

Seneca formulierte – auch unter Aufnahme von Denkweisen anderer Philosophenschulen (z. B.

der platonischen Akademie und der epikureischen Richtung) – die stoische Philosophie als Erzie- hungslehre zu individueller Tugendhaftigkeit mit gemeinnütziger Zielsetzung um. Dabei behielt er das höchste Ziel, die „Seelenruhe“ als frei von letztlich fremdsteuernden Affekten, im Blick.

Auch setzte sich Seneca mit der antiken Tragödie auseinander und betätigte sich als Dramatiker mit tiefenpsychologischer Analysefähigkeit (berühmt ist z. B. seine Tragödie Medea).

… und Wirklichkeit der julisch-claudischen Dynastie

Allerdings war Seneca selbst nicht gefeit vor den von ihm analysierten Affekten, deren Über- windung er in stoischer Manier predigte. Mit dem vom Vater initiierten Studium der Rhetorik in Rom zeichnete sich eine politische Karriere ab. Das sollte sich jedoch in der Kaiserzeit als gefährlich erweisen, sofern man – selbstverschuldet oder nicht – als potentieller Konkurrent oder Opponent vom Herrscher wahrgenommen wurde. Nach seiner Quästur und ersten politischen Meriten in der Zeit des Tiberius (reg. 14–37 n. Chr.) und Caligula (reg. 37–41 n. Chr.) iel er so einer Intrige der Kaiserfrau des Claudius (reg. 41–54 n. Chr.), Messalina, wegen angeblichen Ehebruchs mit deren Konkurrentin Julia Livilla zum Opfer. Auf Fürsprache einlussreicher Freunde wurde er aber „nur“ nach Korsika verbannt (41–48 n. Chr.).

So sehr er sich auch um die Affektkontrolle bemühte (vgl. Consolatio ad Helviam matrem und De ira), so sehr verbog er sich mit der Trostschrift an den kaiserlichen Bittschriften-Ofiziellen Polybios, um aus dem Exil zurückgerufen zu werden. Dies geschah nach dem gewaltsamen Tod von Messalina unter erheblicher Einlussnahme der jüngeren Agrippina, der neuen Gattin des Claudius, die mit Seneca als Erzieher ihren Sohn Nero als Nachfolger des Claudius platzieren wollte.

Den Spagat zwischen philosophischem Anspruch und politischer Realität konnte Seneca auch in der Folge nicht zweifelsfrei bewältigen. Als Erzieher des zukünftigen Kaiser Nero auserkoren, nahm er nach dem Tode des Claudius zunächst literarisch Rache, indem er diesen in seiner Apocolocyntosis („Verkürbissung“) der Lächerlichkeit preisgab. Mit dem Aufsteigen in immer höhere Positionen (Konsulat im Jahre 55 n. Chr.) und als Berater (zusammen mit Sextus Afranius Burrus) des jungen Kaisers Nero ab 54 n. Chr. wurde diese Diskrepanz immer deutli- cher. Das luxuriöse Leben eines Senators, die vielfältigen Versuche, die stoische Tugendethik auf Neros Regierungsführung zu übertragen (z. B. De clementia), die geduldeten politischen Morde (am präsumptiven Konkurrenten Britannicus und letztlich auch an Neros Mutter Agrip- pina) stehen exemplarisch für diese Ambivalenz, die Seneca schon während seiner aktiven Zeit und auch später oft zum Vorwurf gemacht wurde.

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Philosophie 6 Seneca: Epistulae morales

III/B 1

41 RAAbits Latein Mai 2016

Von der Fremd- zur Selbstbestimmung – Senecas Epistulae morales als Anleitung zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung (Oberstufe)

Prof. Dr. Sven Günther, Changchun (China)

Facebook, Feiern, Fun – kann man bei den Verlockungen der modernen Gesellschaft noch Anstand und Moral wahren? Welche Hilfestel- lungen und Antworten kann ein antiker Philo- soph liefern? In dieser Lektürereihe verknüpfen die Jugendlichen die antike stoische Philoso- phie des kaiserzeitlichen Philosophen Seneca mit ihrer modernen Lebenswelt und gehen der Frage nach, inwieweit antike Philosophie auch heute noch ihre Berechtigung inner- und außer- halb des Lateinunterrichts hat.

© mauritius images / SuperStock / Peter Willi

Die Schüler fragen gemeinsam mit Seneca: Darf ein moralisch denkender Mensch an ausschweifenden Partys teilnehmen?

Abiturthema

Klassenstufe: ab 10. Klasse, ab 5. Lernjahr, Latein als 1./2. FS

Dauer: 9 Unterrichtsstunden + LEK Bereich: Antike Philosophie

Kompetenzen:

Sprachkompetenz: Wortschatz zur römischen Philo- sophie; Wiederholung und Vertie- fung zentraler grammatischer Phänomene

Textkompetenz: Wiederholung und Vertiefung verschiedener Erschließungs- methoden; Stilmittelanalyse Kulturkompetenz: Geschichte der Römischen

Kaiserzeit; Philosophie in Rom

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41 RAAbits Latein Mai 2016

Materialübersicht

1. Stunde: Zwischen Politik und Philosophie – Senecas Biograie und Werk M 1 (Ab) Ein Mensch, viele Meinungen – Urteile über Senecas Lebenswerk

M 2 (Ab) Ein Leben zwischen Extremen – Biograie und Werk Senecas im Kontext des kaiserzeitlichen Rom

M 3 (Fo) Ein Mensch, viele Gesichter – Charakterbilder Senecas im Wandel der Zeit 2./3. Stunde: Zeit ist alles, was ich will! – Kann man den richtigen Umgang mit der Lebenszeit

lernen?

M 4 (Bi) Der Tag hat 24 Stunden – und die Nacht noch dazu!

M 5 (Tx) Nutze deine Zeit sinnvoll – aber wie?

M 6 (Tx) „Wir brauchen eine Prämie auf Faulheit“ – macht Langsamkeit kreativ?

M 5« (Tx) differenzierter Text

4./5. Stunde: Immer nur Feiern!? – Die Affektkontrolle als Voraussetzung für eine glückliche Lebensführung

M 7 (Fo) O tempora, o mores! – Römische Sitten vor dem Verfall?

M 8 (Tx) Völlig losgelöst … – die Folgen des Alkoholgenusses und deren Vermeidung M 9 (Ab) Emotionen kontrollieren, aber wie? – Die Affektenlehre der Stoa

ZM 1 (Ab) Tipps zur Bildbeschreibung M 8« (Tx) differenzierter Text

6./7. Stunde: Ist man gemeinsam wirklich stark? – Das Individuum in der Masse M 10 (Ab) Bis es kracht! – Moderne Massenkultur zwischen Emotionen und Risiko M 11 (Tx) Die Masse als Gefahr für die Tugend – Gladiatorenspiele im alten Rom

M 12 (Tx) Masse und Macht – wie Menschengruppen denken, fühlen und gelenkt werden (können)

M 11« (Tx) differenzierter Text

8./9. Stunde: Wie man dem Schicksal ein Schnippchen schlägt – Charakterbildung als lebens- lange Aufgabe

M 13 (Fo/Ab) Kein Weg zurück!? – Schicksalsglaube in der römischen Antike M 14 (Tx) Ist ein Schutz vor Schicksal und Hinterlist möglich?

M 15 (Ab) Richtig leben, aber wie? – Antworten von Religionen und Philosophie ZM 2 (Fb) Feedbackbogen zur Unterrichtseinheit

M 14« (Tx) differenzierter Text

Lernerfolgskontrolle: Gibt es falsches Glück? (Sen. epist. 98,1)

Alle Materialien im Word-Format und die Zusatzmaterialien inden Sie auf CD 17.

Die Vokabelhilfen zu allen Texten dieses Beitrags können Sie in unserem Webshop kostenlos als veränderbare Word-Datei herunterladen und an die individuellen Bedürf- nisse Ihrer Lerngruppe anpassen: http://latein.schule.raabe.de (Word-Download RAAbits Latein „Vokabelhilfen EL 41“).

CD 17

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Philosophie 6 Seneca: Epistulae morales

III/B 1

41 RAAbits Latein Mai 2016

M 3

Ein Mensch, viele Gesichter – Charakterbilder Senecas im Wandel der Zeit

Aufgaben

1. Beschreiben Sie die drei Abbildungen und vergleichen Sie sie hinsichtlich der Darstellung des Philosophen (Physiognomie, Gestik, Mimik, Haltung …).

2. Erklären Sie die Unterschiede in der Darstellung Senecas.

© Thinkstock/iStock

© Joachim Köhler © bpk / Antinkensammlung, SMB

Antike Doppelherme von Seneca und Sokrates

Büste Senecas im Ulmer Münster (ca. 1470) moderne Seneca-Statue in seinem Geburtsort Cordoba (Spanien)

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41 RAAbits Latein Mai 2016

Erwartungshorizont (M 2)

2. Individuelle Schülerergebnisse

3. Seneca machte einerseits politische Karriere und verfügte über Reichtum, andererseits predigte er in seinen philosophischen Werken moralische Qualitäten, was ihm sicher Kritik einbrachte. Kritisch kann man auch seine (gescheiterte) Erziehung des Kaisers Nero beur- teilen, da sich dieser später als zügelloser und grausamer Herrscher zeigte (Mord an Mutter;

Brand Roms; Christenverfolgung etc.).

Erwartungshorizont (M 3)

1. Die antike Doppelherme zeigt Seneca als älteren Mann mit Stirnglatze, rasiert und mit der Stirn in Falten bei gehobenen Augenbrauen. Seine Augen sind weit geöffnet, sein Mund ist klein, aber mit vollen Lippen. Insgesamt wirkt das Porträt sehr individuell, die Person strahlt eine hohe Geistesstärke und Ruhe aus.

Die Büste im Ulmer Münster ist ein Porträt Senecas als bärtiger, alter Weiser im Moment seines Freitodes (Aufschneiden der Pulsadern). Sein Blick ist starr und todessehnsüchtig, allerdings auch in ruhiger Erwartung des Kommenden.

Die moderne Statue Senecas in seinem Geburtsort Cordoba (Spanien) zeigt diesen als Mann mittleren Alters, der in getragener Pose ein ideales Römertum verkörpert. Jegliche individu- ellen Züge treten zugunsten antikisierender Darstellungsweisen zurück – der Kopf erscheint geradezu austauschbar.

2. Jede Zeit fertigt ihr eigenes Seneca-Bild, das einerseits von der Rezeption seines Lebens und Wirkens abhängt, andererseits aber auch zeitgenössische Ideale aufgreift.

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14 von 38 Seneca: Epistulae morales Philosophie 6 III/B 1

41 RAAbits Latein Mai 2016

M 4

Der Tag hat 24 Stunden – und die Nacht noch dazu!

Das ist der „typische“ Tagesablauf eines Vielbeschäftigten, z. B. eines Managers – kommt Ihnen manches bekannt vor?

Aufgaben

1. Beschreiben Sie den angeblich „typischen“ Tagesablauf eines Managers.

2. Erstellen Sie graisch oder tabellarisch einen eigenen typischen Tagesablauf.

3. Vergleichen Sie beide Tagesabläufe.

4. Beschreiben Sie, inwieweit Sie Ihre Zeit selbst gestalten können.

5. Formulieren Sie eine Problemfrage für die Beschäftigung mit antiken philosophischen Texten bezüglich Zeitmanagements.

Zeichnung: Julia Lenzmann

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41 RAAbits Latein Mai 2016

M 5

Nutze deine Zeit sinnvoll – aber wie?

In der Spätphase seines Lebens hat Seneca die Epistulae morales verfasst, die er an seinen jüngeren Freund Lucilius richtete. Die dialo- gisch gestalteten Briefe, von denen heute 124 erhalten sind, geben allgemeine praktische Lebensratschläge.

Gleich im ersten Brief ermahnt Seneca Lucilius, wie er seine Lebenszeit nutzen soll (epist. 1,1):

Ita fac, mi Lucili: vindica1 te tibi, et tempus, quod adhuc aut auferebatur aut subripiebatur2 aut excidebat3, collige et serva. Persuade tibi hoc sic esse, ut scribo: quaedam tempora eripiuntur nobis, quaedam subducuntur, quaedam effl uunt. Turpissima4 tamen est iactura5, quae per negle- gentiam i t. Et si volueris attendere, magna pars vitae elabitur6 male agentibus, maxima nihil agentibus, tota vita aliud agentibus.

1 vindicāre: befreien – 2 subripere, iō, ripuī, reptum: heimlich rauben – 3 excidere, ō, cidī: wegfallen – 4 turpis, e: schändlich, hässlich – 5 iactūra, ae f.: Verlust – 6 ēlābī, ēlābor, ēlāpsus sum: entgleiten

Seinen eigenen Tagesablauf beschreibt Seneca wie folgt (epist. 83,2 f.):

(2) Hoc nos pessimos facit, quod nemo vitam suam1 respicit; quid facturi simus, cogitamus, […]

quid fecerimus, non cogitamus; atqui2 consilium futuri ex praeterito venit. (3)  Hodiernus dies solidus3 est, nemo ex illo quicquam mihi eripuit; totus inter stratum4 lectionemque divisus est;

minimum exercitationi corporis datum5, et hoc nomine6 ago gratias senectuti: non magno7 mihi constat. Cum me movi, lassus8 sum; hic autem est exercitationis etiam fortissimis i nis.

1 vītam suam: seine (vergangene) Lebenszeit – 2 atquī: doch – 3 solidus, a, um: vollständig, ganz;

erg. mihi – 4 strātum, ī n.: Lager, Ruhepolster – 5 datum: erg. est – 6 hōc nōmine: in dieser Hinsicht – 7 magnō: erg. tempore (Abl. temporis) – 8 lassus, a, um: müde, schlaff

Aufgaben

1. Stellen Sie alle Verbformen aus den beiden Briefen zusammen und bestimmen Sie deren Flektion sowie deren Satzgliedfunktion.

2. Übersetzen Sie beide Briefe.

3. Stellen Sie die Aussagen über fremdbestimmte und selbstbestimmte Zeit gegenüber.

4. Überprüfen Sie, inwieweit Ihr Tagesablauf nach der Dei nition Senecas fremd- beziehungs- weise eigenbestimmte Zeit enthält.

© Thinkstock/Hemera

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