Die Lautgesetze der Simalegi-Sprache'
im Mentawai-Archipel (Westsumatra)
Von Karl-Heinz Pampus, Frankfurt/Main
Vergleicht man das von mehr als tausend Menschen im Nord¬
westen der Insel Siberut gesprochene Simalegi mit den übrigen
mentawaiischen Dialekten (Pampus 1989), so zeigt sich, daß ein
großenteils gemeinsamer Wortschatz besteht, der überwiegend in¬
novativ ist und nur zum geringeren Teil aus austronesischen Erb¬
wörtern besteht. Phonologisch jedoch unterscheidet sich das Si¬
malegi von allen anderen Dialekten, das betrifft Konsonanten-,
Diphthong- und Vokal-Phoneme. Im folgenden sollen nur dieje¬
nigen Abweichungen des Simalegi (SML) vom Gemeinmenta-
waiischen (MTW) dargestellt werden, hinter denen gesetzmäßige
Lautveränderungen zu erkennen sind, die sich ausschließlich in
diesem Dialekt finden.
I. Der sprachliche Befund
Hier werden - zunächst ohne Interpretation - für die einzelnen
Formen des Lautwechsels, denen der gemeinsame mentawaiische
Wortschatz im Simalegi unterworfen wird, sämtliche Beispiele ge¬
geben, die der Vf seinem rund 1000 Bedeutungen umfassenden
Material entnehmen konnte. Die den Simalegi-Formen gegen-
' Für die mir gebotene Möglichkeit der Datenerhebung im Mentawai-Archipel
gilt mein Dank dem Lembaga Ilmu Pengetahuan Indonesia (LIPI), das die For¬
schungsgenehmigung erteilt hat, der Universitas Andalas, Padang, die sich als Sponsor zur Zusammenarbeit bereit erklärt hat, und der Deutschen Forschungs¬
gemeinschaft (DFG), die eine Reisebeihilfe gewährt hat. Von den vielen freund¬
lichen Menschen, denen ich für ihre Hilfe bei der Feldforschung hier ebenfalls
meinen Dank abstatten möchte, verdient vor allem der in Muara Sikabaluan le¬
bende ehemalige Lehrer M. S. Yunus hervorgehoben zu werden, der sich als Füh¬
rer und Dolmetscher und sogar als Forschungsassistent Verdienste erworben hat.
Sabirut ~ Taburit 'Siberut' 115
Übergestellten gemeinmentawaiischen Formen kommen meist
nicht in allen, aber doch in mehreren Dialekten vor. Die ergänz¬
ten rekonstruierten Formen des Proto-Malayo-Polynesischen
(PMP) oder Proto-Austronesischen (PAN), durch Asterisk ge¬
kennzeichnet, sollen nur auf die etymologische Herkunft des ana¬
lysierten lexikalischen Materials verweisen.
MTW /// > SML /s/
*b3(n)ti''is biti ~ bisi 'Wade'
masi-laptip —■
mai-lapsip '(unterm Arm)
einklemmen'
leiti' ~ leisi' 'Made, Wurm'
otti ~ otsi '(Blüten-)Traube/
Kolben'
tiboi ~ siboi 'sprechen'
'Vulva'
*tilay tilei ~ silei
masi-timbo' ~ mai-simbo' 'räuchern'
*t-in-aqi tinai' sinai' 'Eingeweide'
*9bun tinobut sinobut 'Nebel, Tau'
masi-pa-tippu' ~
mai-pa-sippu' 'zerschneiden'
masi-tVti' — mai-si'si' 'einstechen,
tätowieren'
*t3k3n titikken — sisikken 'Stock'
*susu masi-tottot-i —' mai-tottos-i 'stillen, säugen'
MTW /s/ > SML ///
*[p'?h]asu['?h] masi-aisu ^
mangg-aitu' '(Wasser)
schöpfen'
*ha(n)saq mang-asa ~
mangg-ata 'schärfen.
schleifen'
goset ~ otet 'Laus'
pang-isou —'
pan-iteu 'leuchten
(mit Fackel)'
masi-itsoi ~
mangg-ittoi 'auswählen'
*kasaw kasou ~ kateu '(Dach-)Sparren'
ma-kisei ~ ma-sitei 'seltsam'
lalaisu' ~ lalaitu' 'Bambusbehälter'
*nusa nusa — nuta 'Insel'
♦qaMuLh*?] otsun ottut 'Rauch'
*pUS3j pusou ~
puteu 'Nabel'
*sawah saba ~ taba 'Pythonschlange'
sabau — tabau 'vorbei, entlang'
saggak ~
taggak 'Feind, Gegner'
*säguh sagu ~
tagu 'Sago'
saili ■—' taili 'Vergütung,
Schuld'
*(t)-ina saina' ~ taina' 'Schwein'
saki ~ tasi 'Preis'
Samba ~ tabba 'und'
*qanitu sanitu ^
tanyitu 'Dämon,
böser Geist'
*sauq sao - tao 'Anker'
*sapaw sapou ~
tapeu 'Haus'
masi-sappo' mai-tappo' 's. ausbreiten
(Krankheit)'
sasa ~ tata 'Rotang'
*ina sasaraina ^ tataraina 'Familienange-
hörige(r)'
sege' teige' 'erreicht haben,
fertig sein'
ma-seggei ~
ma-teggei 'Morgengrauen'
sele -- tele 'Fehlverhalten'
serepak ~
terepak '(Boots-)Ausleger'
se'se' ~ te'te' 'Gras, Wiese'
sinoso ~ sinoto 'Knospe'
soibo' ~ toibo' 'Abend, Nacht'
i-soksok ~ i-toktok 's. abwenden,
zurückgehen'
sopak —
topak 'Fluß'
i-soppa i-toppa 'bereit/imstande
sein'
sot ■~ tot 'Zahn'
mu-sou ~ mo-tou 'weinen'
ma-sua ~ ma-toa 'naß'
subba — tubba 'Käscher
(zum Fischen)'
suili — tuili 'Vergeltung,
Strafe'
Sabirut-Taburit 'Siberut' 117
sulet — tulet
*suluq 'Fackel' sulu ~ tulu
sumbao ~ tubbao
tu-suni ~ to-turu
susunan ~ tutunan
'(Finger-/Fuß-) Nagel' 'Sonne' 'Pelikan'
's. erheben, auf¬
stehen' 'Biene'
MTW /g/ > SML /]•/
*gilang 'funkeln'
*qal9jaw
*si(n)j3m
bagei ~
bajei 'ander(-e, -er, -es)'
mu-ge' ~
mo-je' 'rülpsen'
tu-ge'ge' ~
to-je'je' 'überrascht'
gegeng-en ~
jejeng-en 'Anblick,
„Schauspiel"'
ma-gela ~
ma-jela 'matt, erschöpft'
ma-gemgem ~
ma-jepjep 'niedrig, tief¬
liegend'
ma-gerei baga —
ma-jerei baga 'fröhlich, erfreut'
ma-gila' —
ma-j'ila' 'erschrocken.
furchtsam'
gilang ~
jilak 'Armreifen'
ma-gile ~
ma-jile 'stark'
masi-pa-giling mai-pa-jilik 'wälzen, drehen'
gougiu ~-
goujiu '(kleine) Krabbenart'
legei ~
lejei 'Rest, Rückstand'
ma-legeu ~
ma-lejeu 'Trockenzeit'
ligei --
lijei 'Palmblattrippe'
ma-oggou ~
ma-ujeu 'durstig'
piligi ~
piliji 'Sperber'
sigem ~
sijep 'Ameise'
ugei ~
ujei 'eine Rotangart'
MTW /// > SML /dh/
masi-jaja' ~ mai-dha'dha' 'schneiden'
ma-baja' ~ ma-badha' 'alt, betagt'
mu-bujuk ~ mo-budhuk 'liegen'
si-bunjai -jat, -jet jeV jo'jo' joroujoban
jurP ma-laje
*layaR lajo
*layuh i-laju'
ojW onaja
*t3yt9y-an teite-jat
MTW /k/ > SML /s/
-akeV-aken ~
bulu-akenen ~
*kaw ekeu ~
iki ~
kebbu' —
keikei ~
kekeu {< ka ~
ekeu)
pa-kele-at ~
si-kembang ~
mu-kepkep ~
ma-keppu ~
si-kerei ~
masi-kiliu ~
*kunij 'Cur- kiniu ~
cuma'
ma-kisei ~-
laiket ~
mu-lakeu ~
b/in/undhai 'Adoptivkind'
-dhat, -dhet Nominalsuffix
i-dhei' 'hier'
dho'dho' 'Hund'
dhoroudhobat 'Wasserzufüh¬
rung bei der
Sagoherstellung'
dhuri' 'stechen'
ma-ladhe 'hungrig'
ladho 'Segel'
i-ladhu' 'welk'
odhu' 'Flut (Gezeiten)'
onadha 'Sumpf
pa-nyinte-dhat 'Steg, (schmale)
Brücke'
-aset Verbalsuffix
bulu-asenen 'Opfergabe'
eseu 'du'
isi 'wie'
sebbu' 'alter Mann'
seisei 'Verbot'
seseu '(bei, zu) dir'
pa-sele-et 'Geheimnis'
si-sekbak '(große) Fleder¬
maus'
mo-sepsep 'brüten'
ma-seppu 'sehr schwierig'
si-po-seserei 'Medizinmann,
Schamane'
mai-siliu 'verbieten, ver¬
weigern'
siniu 'gelb'
ma-sitei 'seltsam'
laiset 'Knollengewächs
mo-laseu 'angreifen'
Sabirut ~ Taburit 'Siberut'
*(dD)ali(dDj) palakik ~ palasik
saki — tasi
ma-uke ~ ma-use
119
'Brett-, Stütz- wurzel'
'Preis, Tausch¬
wert' 'blau, grün'
MTW /ou/ > SML /eu/
*lan[dD]aw laddou
*sapaw
*un3j
masi-nounou poula
rourou sapou unou
~ landeu
~ mai-neuneu
~ peula
~ reureu
~ tapeu
~ uneu
'(Bambus-)Seg- ment' 'fragen' 'Zuckerpalme' 'Bogen' 'Haus' '(Palm-/Rücken-) Mark'
MTW /u/ > SML /o/
*Duha dua ~ roa 'zwei'
masi-kua — mai-koa 'sagen'
*banua manua ~ manoa 'Himmel'
ma-sua ~ ma-toa 'naß, feucht'
*maR-, *paR-, mu-, pu-, tu- ~ mo-, po-, to- Verbalpräfixe
*ta(R)-
Vokalwechsel in Form von (mehr oder weniger vollkommener)
Metathese :
*luh9q
*qu(n)t3k
*tapak
MTW akkekeilu' birut eiu lutte' takep
SML akkukuile' burit uii si-kai-lattu' tekap
'Augenbraue' 'Maus, Ratte' Ct* .. J
Trane 'Gehirn' 'Handfläche, Fußsohle'
II. Interpretation
Die vorstehende Kontrastierung des Simalegi-Dialekts mit den
übrigen mentawaiischen Dialekten erlaubt aus synchronischer
Sicht unter Heranziehung der bereits bekannten und der vom Vf.
selbst erhobenen Daten folgende Schlußfolgerungen:
1. Der Simalegi-Dialekt unterscheidet sich von allen anderen
Dialekten des Mentawaiischen durch eine Lautverschiebung, die
großenteils mit einem kombinatorischen Lautwechsel verbunden
ist und folgende Phoneme des Mentawaiischen betrifft:
- die Konsonanten /, s, g, j, k in initialer Position und intervoka¬
lisch,
- den Diphtong ou im Silbenaüslaut.
Im einzelnen lassen sich in diesem Lautwandel folgende Vor¬
gänge unterscheiden:
a) Komplementäre Distribution von t und s
Die Alveolare / und s sind in der Weise komplementär verteilt,
daß s nur vor dem Vokal / erscheint und / in allen anderen
Umgebungen (nach vorliegendem Material: vor a, e, o, u, ai, ei,
eu, oi, ou, ui und final).
Das untersuchte Material, in dem sich sowohl für den Wechsel
von / > ^ als auch für den Wechsel von ^ > / genügend Beispiele
finden, bestätigt die Regelmäßigkeit dieses Lautwandels. Eine
scheinbare Ausnahme wie SML ma-set (< MTW ma-tien) juk-
ken' ist so zu erklären, daß i erst nach vollzogenem Lautwandel
geschwunden ist.
Der Lautwechsel in MTW otti > SML otsi '(Blüten-)Trau-
be/Kolben' bzw. umgekehrt MTW otsun > SML ottut 'Rauch'
ist so zu interpretieren, daß tt und ts als Lautkombinationen t+t
bzw. t + s aufgefaßt werden, wobei jeweils nur der zweite Laut
verschoben wird.
Nicht zu erklärende Ausnahmen bilden einige nicht verschobe¬
ne Simalegi-Wörter, die mit sasa- gebildet werden, wobei es sich
nicht um eine Verdoppelung des Präfixes sa- handelt; denn SML
-sa- in zweiter Position entspricht dabei MTW -ka- oder -ma-
oder ist Bestandteil des Grundlexems. Beispiele sind Sasaleji
Sabirut— Taburit 'Siberut' 121
(~ MTW Simalegi), womit die Bewohner von Simalegi ihr eige¬
nes Siedlungsgebiet bezeichnen, sasanteu 'Mann, männlich'
( ~ MTW simanteu) und sasapu (identisch mit MTW sasapu <
*sapu['^h] 'fegen'). In austronesischen Sprachen werden in der
viertletzten Silbe zwar häufig phonologische Regeln außer Kraft
gesetzt, doch kann das hier nicht der Grund sein, da beispiels¬
weise die Bezeichnung MTW Sakalagan für die Bewohner der
Pagai-Inseln SML Takalagat lautet und auch MTW sasaraina
"Verwandte (Fl.)' ganz regelmäßig zu SML tataraina umgelautet
erscheint. So bleibt vielleicht nur die Erklärung, daß die fragli¬
chen Wörter Reliktformen darstellen.
b) Medienverschiebung
Bei der Verschiebung der Medien (sth. Plosiven) MTW g und
j zu SML j bzw. dh ist nur der Wechsel des Velars g zum Palatal
j an eine kombinatorische Bedingung gebunden, er erfolgt vor
Vordervokal und vorn ansetzendem Diphthong. Es besteht also
prinzipiell eine komplementäre Distribution; allerdings fanden
sich im untersuchten Material nur Beispiele für den Wechsel von
g > j, keines für einen Wechsel von j > g. Für den Wechsel von
j zu retroflexem dh ist keinerlei phonologische Bedingung er¬
kennbar.
Die Verschiebung der Medien wirkt insofern in sich folgerich¬
tig, als die Artikulationsstelle jeweils um eine Position nach vorn
rückt, wobei die Phonemabstände unverändert bleiben. Die Pala¬
talisierung von g drückt auf den Palatal MTW j, der im Simalegi
zu dh verschoben wird:
dh j g MTW
SML dh j g
Dem Schaubild entsprechend ist die Verschiebung nur bei dem
gemeinsamen mentawaiischen Wortschatz wirksam. Daneben exi¬
stieren einige unverschobene Simalegi-Wörter, die vielleicht In¬
novationen darstellen. Beispiele für SML g vor Vordervokal sind:
magetek baga , hassen' und ma-gidhok 'kitzlig'; für SML j vor
Vordervokal: i-jeW baga 'verlangen, wollen' und mai-jeujeu 'tre¬
ten/trampeln auf etw.' (das nicht auf MTW masigeugeu 'stören'
zurückgeht).
c) Verschiebung der Tenuis /k/ zu frikativem /s/
Die Verschiebung des Velars k zu alveolarem s ist (wie die von
g > j) an die Bedingung geknüpft, daß sie nur vor Vordervokal
und vorn ansetzendem Diphthong eintritt. Auch in diesem Fall
fand sich, trotz vorhandener komplementärer Distribution, im un¬
tersuchten Material kein Beispiel für den umgekehrten Wechsel
von s > k.
Mag auch die Verschiebung der Velare g und k unter identi¬
schen phonologischen Bedingungen ein paralleler Vorgang sein,
so ist doch die Verschiebung von k> s schwerer zu verstehen, da
eigentlich aus Gründen der Symmetrie eine Verschiebung nach c
zu erwarten wäre. Diese Stelle ist aber im Simalegi - wie im
Mentawaiischen überhaupt - unbesetzt; *c ist mit *s verschmol¬
zen und zu MTW/SML s geworden (Nothofer 1986:99,102).
Vielleicht wirkt die Verschmelzung nach in der eigenartigen Arti¬
kulation von s im Mentawaiischen, die nicht eindeutig dental-al¬
veolar ist. Morris (1900:2) unterschied zwischen s und s, wobei
letzteres „Aussprachevariante [...] von s oder tj" sein soll. Wäh¬
rend Dempwolff PAN *s bekanntlich als palatalen Plosiv, von
ihm *t' geschrieben, ansah, ist eher festzustellen, daß die Aus¬
sprache von MTW/SML s zwischen alveolar und palatal-frikativ
variiert. (Man fühlt sich dabei erinnert an die Entwicklung von
germanisch s, das für das Alt- und Mittelhochdeutsche als dorsal
artikulierter i-naher Laut beschrieben wird.)
Doppelkonsonanz verhindert offenbar den Lautwandel, so
bleibt MTW kk im Simalegi unverändert:
MTW ekket ~ SML ekket 'Kautschuk'
takke' bok ~ takke'-nu bok 'Kniescheibe'
*t9k3n titikken ~ sisikket 'Stock'
(Bei MTW ma-keru 'tief wird der Stammanlaut nicht zu s
verschoben, sondern geminiert, so daß das Adjektiv SML akkeru
lautet.)
Sabirut ~ Taburit 'Siberut' 123
d) Verschiebung des Diphthongs /ou/ zu /eu/
Der Diphthong ou wird im Simalegi zu eu umgelautet, und
zwar regelmäßig, doch fand sich im Material des Vf auch eine
Ausnahme: MTW mu-sou ~ SML mo-tou 'weinen', die noch der
Klärung bedarf Auch hier wäre eine Verschiebung der Artikula¬
tionsstelle von hinten nach vorn zu konstatieren.
e) Assimilatorischer Vokalwechsel
Bei den Vokalen ist der Lautwechsel innerhalb des Simalegi-
Dialekts weniger signifikant. Den regelmäßigen Wechsel von u
> o bei folgendem a, der sich im Material fand, hat man als
Assimilation zu interpretieren, es ist eher ein Wechsel von ua
> oa. Häufig geht in dieser Position bei Simalegi-Sprechern u
auch in den (nichtphonemischen) Semivokal w über: dwa 'zwei',
mai-kwa 'sagen' usw.
Zwar ist auch der Wechsel von m > o in Vorsilben (MTW mu-,
pu-, tu- > SML mo-, po-, to-) regelmäßig, doch besitzt das Sima¬
legi diesen Lautwechsel nicht exklusiv, vielmehr findet er sich
ebenfalls häufig im Nachbardialekt von Terekan und gelegentlich
auch in anderen Dialekten des nördlichen Siberut.
2. Der im Simalegi-Dialekt zu beobachtende Lautwandel bildet
kein einheitliches System, sondern spiegelt offenbar sich über¬
schneidende lautliche Entwicklungen wider. Das zeigt sich im
Bereich der Konsonantenphoneme an den beiden folgenden
(oben bereits beschriebenen) Tendenzen:
a) Der Wechsel von t > s, der nach Blust (1990:248) als ein
„phonetically natural sound change" angesehen werden kann,
steht mit dem Wechsel von s > t in komplementärer Beziehung,
wobei t > s ausschließlich vor dem Vokal / eintritt.
b) Die Verschiebung von k> s bewirkt ebenfalls eine komple¬
mentäre Distribution von k und s, wobei s aber vor allen Vorder¬
vokalen und vorn anlautenden Diphthongen erscheint.
Die Kombination dieser beiden Tatsachen bedeutet, distributio¬
nell gesehen, daß s Allophon zweier unterschiedlicher Phoneme
/[t, s]/ bzw. /[k, s]/ wäre, zudem mit ungleichen kombinatori¬
schen Bedingungen; denn s < k erscheint nicht nur vor / (wie es
bei s < t der Fall ist), sondern auch vor e und vor Diphthongen.
Durch die Kollision von t < s mit s < k wird die komplementäre
Distribution von / und s zerstört, weil nun beide Konsonanten et¬
wa vor e stehen Icönnen und damit eine Opposition bilden. Eine
solche Opposition zeigt sich im Vergleich von SML tele (~ MTW
sele) mit SML pa-sele-et (~ MTW pa-kele-at) 'Fehler', und auch
Beispiele wie SML kateu (~ MTW kasou) vs. SML eseu
( ~ MTW ekeu) 'du' lassen sich heranziehen. Die beiden komple¬
mentären Distributionen verhindern sich also gegenseitig.
Man kann dies so interpretieren, daß die zunächst nur positions¬
bedingten Varianten durch die Zerstörung der komplementären
Distribution von / und s phonologisiert werden, so daß schließlich
SML k, t, s jeweils Phonemstatus zuzubilligen ist. Das hat solange
Gültigkeit, bis möglicherweise eine weitere Lautentwicklung des
Simalegi die Asymmetrie des Phonemsystems beseitigt.
3. Die Lautunterschiede zwischen dem Simalegi und dem Ge¬
meinmentawaiischen liegen nicht im Phoneminventar, sondern
nur in der Distribution der Laute. Das für alle Dialekte gültige
Phoneminventar ist bereits dargestellt worden (Nothofer 1986:
97, Pampus 1989: 66), allerdings etwas unterschiedlich und noch
nicht in endgültiger Form. Nachstehend wird, unter Berücksich¬
tigung neuen Materials, der aktuelle Stand skizziert:
Konsonantenphoneme Vokalphoneme
p t k i u
b d d j g e o
m n fir) a
s
l,r Diphthonge
aw ew iw ow uw
ay ey oy uy
Auf der Basis dieses Lautsystems hat sich der Lautwandel des
Simalegi als innovative Entwicklung in einem Einzeldialekt des
Mentawaiischen vollzogen. Wie aus dem oben angeführten
Sprachmaterial ersichtlich, erfaßt er den gemeinsamen menta-
Sabirut ~ Taburit 'Siberut' 125
waiischen Erbwortschatz wie auch den ganzen Bereich gemeinsa¬
mer mentawaiischer lexikalischer Innovationen.
Da die genetische Identität des Simalegi mit dem Gemeinmen¬
tawaiischen ohnehin nicht anzuweifeln ist, ist davon auszugehen,
daß Formen wie SML ma-lejeu 'Trockenzeit' (< *qabjaw) oder
sijep 'Ameise' (< *si[n]j3m) natürlich nicht PAN/PMP *j fort¬
setzen, sondern auf Verschiebung von MTW g > SML / (vgl.
MTW ma-legeu bzw. sigep) beruhen.
4. Die Lautverschiebung des Simalegi ist recht konsequent, aber
zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vollständig durchgeführt. Im
vorliegenden Material fanden sich relativ wenige Ausnahmen, bei
denen noch nicht mit Sicherheit zu klären ist, inwieweit es sich
um Innovationen oder möglicherweise um Lehngut handelt. Hier¬
über ließe sich nur durch weitere Feldforschung Aufschluß erhal¬
ten. Es wäre in diesem Zusammenhang z. B. auch zu untersuchen,
inwieweit von Simalegi-Sprechern neu eindringende Lehnwörter
aus dem Indonesischen bzw. dem Minangkabau dem eigenen
phonologischen System angepaßt werden. Im Material des Vf
fanden sich leider nur wenige, zudem widersprüchliche Belege:
indonesisch lesung [lasug] 'Mörser' wurde, da das Simalegi die¬
sen Begriff ursprünglich nicht kennt, von einem Sprecher nur
hinsichtlich des Vokals - das Simalegi besitzt, wie das Menta¬
waiische überhaupt, kein Schwa (Murmel-e) - angepaßt und mit
lasong (statt zu erwartendem latong) wiedergegeben, desgleichen
die Bezeichnung für 'Hose' - ein solches Bekleidungsstück kann¬
ten die Mentawaier früher nicht - mit Sarawak (< minangkabau-
isch serawal); dagegen wurde für 'Werkzeug' SML pakedhet
( ~ MTW pakejet) gegeben, und in einer mit Tonband aufgenom¬
menen Erzählung fand der Vf das Wort dhalat-dhalat als Entleh¬
nung von indonesisch jalan-jalan 'Spazierengehen'.
5. Abgesehen davon, daß der Lautwandel des Simalegi erst ein¬
gesetzt haben kann, nachdem die mentawaiischen Reflexe des
Proto-Malayo-Polynesischen sich gebildet hatten, läßt sich über
Verlauf und Dauer des ganzen Vorgangs mangels Quellen nichts
sagen. Man darf vermuten, daß er sich in Phasen vollzogen hat,
doch lassen sich Zwischenstufen nicht mehr feststellen. Geht man
von der Vorstellung eines symmetrischen Phonemsystems (als
Phoneminventar) aus, so hat dieses bereits vor jeglicher dialekta¬
len Sonderentwicklung durch die Verschmelzung von PMP *c
und *s zu MTW s eine erste Störung erfahren, indem in der Reihe
der Tenues eineLücke entstand, während andererseits die Reihe
der Medien mit retroflexem dh um ein Phonem vermehrt wurde.
Auf die dadurch bewirkte Veränderung der Phonemdistanzen hat
möglicherweise das Simalegi mit Lautverschiebung und vielfälti¬
gem kombinatorischen Wandel reagiert; denn beiden Phänome¬
nen gemeinsam ist, daß sie unter der Notwendigkeit der Über¬
brückung von größeren Distanzen auftreten, nämlich vor Vorder-
zungenvokalen und vorn ansetzenden Diphthongen. Nicht ganz
in diese Vorstellung paßt die komplementäre Distribution zwi¬
schen / und s, bei welcher der Artikulationsort ja keine Relevanz
besitzt. Wie bereits angedeutet, ist dieser spezielle kombinatori¬
sche Lautwechsel wohl ein von der Verschiebung der Plosive ge¬
trennter Vorgang. Aus der Tatsache, daß diese komplementäre
Distribution durch den Lautwechsel von k > s mit seinen kom¬
binatorischen Bedingungen zerstört wurde, ließe sich - natürlich
immer nur spekulativ - vielleicht auch folgern, daß die komple¬
mentäre Verteilung zwischen / und s dem komplexeren Vorgang
der Lautverschiebung zeitlich vorangegangen ist und demnach
der erste Schritt beim Umbau des phonologischen Systems des
Simalegi war.
Aus der Sicht des Feldforschers läßt sich zur historischen Di¬
mension höchstens sagen, daß sich der Lautwandel des Simalegi-
Dialekts jedenfalls nicht innerhalb der beiden letzten Generatio¬
nen vollzogen zu haben scheint; denn die meist schon betagten
Informanten gaben keinerlei Hinweis darauf, daß sie sich noch
an eine andere, sprich ältere Aussprache erinnerten. Einige Sima-
legi-Sprecher äußerten die Vermutung, ihr Volksstamm stamme
eigentlich von der nördlich gelegenen Insel Nias, und von dort
lägen auch sprachliche Einflüsse vor. Ein daraufhin (trotz der
Unwahrscheinlichkeit des Gesagten) angestellter Vergleich in
Form eines Interviews mit einem Sprecher des am ehesten in
Frage kommenden Süd-Niassischen auf der Basis einer etwa 500
Stichwörter umfassenden Frageliste ergab jedoch, daß die Ver¬
wandtschaft des Simalegi mit dem Niassischen nicht enger ist als
die der anderen mentawaiischen Dialekte. Es fanden sich kaum
Kognaten, von denen man sagen könnte, daß das Simalegi sie
exklusiv (als einziger mentawaiischer Dialekt) mit dem Niassi¬
schen teilt. Zu nennen sind lediglich SML ipe 'Termite', das ni-
assisch ifö 'Zahn' (< *ip3n) entspricht, und SML ma-pusi ~
niassisch pusi 'weiß' (< *putiq). Der allgemeine mentawaiische
Reflex von PAN/PMP *t ist /, welches im Simalegi vor / regel-
Sabirut-Taburit 'Siberut' 127
mäßig zu s umgelautet wird. Da die übrigen mentawaiischen Dia¬
lelcte andere Wörter für 'weiß' benutzen, läßt sich nicht entschei¬
den, ob es sich bei SML pusi um eine retente Form oder um eine
externe Entlehnung handelt. Mit heranziehen könnte man allen¬
falls noch das Wort SML mo-popo 'pfeifen, singen (Vogel)', das
offenbar mit niassisch fofo 'Vogel' verwandt ist. Für die behaup¬
tete Beziehung zum Niassischen gibt es mithin keine Evidenz.
IIL Zusammenfassung
Ausgehend von einer Ursprungsidentität aller mentawaiischen
Dialekte, läßt sich sagen, daß der Dialekt von Simalegi auf der
Basis des gemeinsamen mentawaiischen Phoneminventars und ei¬
nes gemeinsamen, teils ererbten, teils innovativen Wortschatzes
eine autochthone lautliche Sonderentwicklung innoviert hat, die
sich als ausgedehnte Lautverschiebung darstellt, begleitet von
verschiedenen Formen eines kombinatorischen Lautwech¬
sels:
Konsonanten
sth. Plosive b d dh ■<— j *^ g
sti. Plosive P t k
1) Vor e, i, ei, eu. iu 2) vor e, i, ei, eu 3) vor i
4) vor a, e, o, u, ai, ei, eu, oi, ou, ui
Diphthonge
Spirant s
eu ou
Die Lautverschiebung des Simalegi
Da die Lautverschiebung noch nicht völlig durchgeführt ist,
bleibt das ursprüngliche mentawaiische Phoneminventar vorläu¬
fig auch für das Simalegi noch gültig. Der beschriebene Lautwan¬
del wäre demnach als eine subphonematische Aufspaltung ge¬
meinsamer mentawaiischer Phoneme zu deuten, die bei einigen
Konsonanten zum Entstehen von kombinatorischen Varianten ge¬
führt hat. Der Lautwandel läßt insofern eine gewisse Systematik
erkennen, als die positionsbedingte Verschiebung der Artikula¬
tionsstelle bei den velaren und palatalen Plosiven (g > j, j > dh,
k > s) stets vor Vordervokal bzw. vorn ansetzendem Diphthong
eintritt. Der Wechsel von t > s vor i, mit dem der Wechsel von
s > t kombinatorisch verbunden ist, ist hingegen anders zu deu¬
ten, weil nicht die Artikulationsstelle, sondern die Artikulations¬
art sich ändert. Er scheint auch von der Lautverschiebung unab¬
hängig - und vielleicht sogar älter als diese - zu sein; denn die
komplementäre Distribution zwischen / und s wird gerade durch
die Verschiebung von k > s zerstört. Genaueres läßt sich beim
jetzigen Stand der Kenntnisse hierüber nicht sagen, künftige For¬
schungen können vielleicht mehr Aufschluß geben. Während in¬
tern-linguistische Erklärungen immerhin denkbar oder auch zu
erwarten sind, wird die historische Dimension des Lautwandels
mangels geeigneter entwicklungsbezogener Daten jedoch kaum
aufzuklären sein.
Literatur
Adelaar, K. Alexander: Proto Malayic: The reconstruction of its phonology and parts of its lexicon and morphology (Pacific Linguistics C-1 19) Canberra: Austra¬
lian National University, 1992.
Blust, Robert: y4uj?/-o/iM/an£'/)'/«o/og/'ei, in: Oceanic Linguistics 19:1-181, 1980.
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Ders.: Glosarium Dialek-Dialek Bahasa Mentawai. MS.
Moderne indonesische Lyrik:
Der Dichter Subagio Sastrowardoyo
Von Helga Blazy, Köln
Vielfach wünschen wir, all die übrige Welt möge sein wie wir,
um uns der Schmerzen zu entheben, das Fremde im Eigenen er¬
fahren zu müssen. Wir wünschen schnelle, praktilcable Lösungen
in allen Lebensbereichen und empfinden das Ertragen gedanklich
anders gelagerter Probleme, Freuden, Ambiguitäten und Sorgen
oft als eine Zumutung. So ist Deutschland längst nicht mehr „das
Land der Dichter und Denker". Hier ist nun ein Land, das Lyrik
insgesamt - gar ausländische - nicht leicht annehmen und inner¬
lich verarbeiten mag. Davon zeugen die wenigen Gedichtbände
in den Regalen der Buchhandlungen; davon zeugen die wenigen
Studenten in den Universitätsseminaren, die Lyrik zum Thema
haben. Deutschland ist auch kein Land, das dem Luxus, der Fül¬
le, dem Überfließen des seelischen Lebens freundlich gesinnt ist.
Es gibt andere Länder, die sowohl mit Lyrik als auch mit psychi¬
schen Bewegungen sehr viel wohlwollender umgehen. Octave
Mannoni sagte in bezug auf das psychische Leben sehr treffend,
das Unbewußte erscheine zu leicht als etwas, was wir ohne wei¬
teres meinen zu verstehen und worüber wir leichthin sprechen,
als könnten wir es kontrollieren. Dabei spreche es doch in sehr
eigener Weise und mit spezifischer Syntax, die nicht einfach Be¬
griff für Begriff zu übersetzen sei. In bezug auf Dichtung deuten
die Dichter selber ähnliches an: Hinter der Oberfläche der Wörter
gibt es weitere und weite Räume, die sich dem bewußten Begrei¬
fen und der Kontrolle entziehen.
Man mag fragen, warum hier Psyche ins Spiel gebracht wird,
da es doch um Literatur geht. Doch wie wir sehen werden, spricht
Subagio Sastrowardoyo viel von diesen wechselseitigen Bezie¬
hungen, und auch die Nähe zur Philosophie wird in seiner Dich¬
tung neu belebt.
Seit Jahren bereits fmdet das Werk Subacids in Indonesien und
international Anerkennung. So schrieb z. B. 1968 Keith Foulcher
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