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1. Exzellenz in den deutsch-italienischen Wissenschaftsbeziehungen

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Lutz Klinkhammer

Zeitgeschichtliche Exzellenzforschung und zeitgenössische Wahrnehmungs- störungen

1. Exzellenz in den deutsch-italienischen Wissenschaftsbeziehungen

Die wissenschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland u n d Italien sind in allen Bereichen exzellent. Ein Beleg für die intensive Vernetzung der beiden Länder ist allein schon das Verzeichnis der etwa 500 italienischen „Humboldtianer"'. Auch wenn man auf die Präsenz Italiens in der historischen Forschung der Bundesrepublik schaut, ist festzustellen, dass diese nicht nur außerordentlich hoch ist, sondern in den letzten J a h r e n sogar enorm zugenommen hat.

Diese Entwicklung hängt zweifellos mit der Aktivität einzelner Institutionen zusammen, die als Motoren u n d Promotoren der Ita- lienforschung gewirkt haben. In der f r ü h e n Nachkriegszeit hatten gerade die deutsch-italienischen Historikerzusammenkünfte, die vom Internationalen Schulbuchinstitut Braunschweig (dem heuti- gen Georg-Eckert-Institut f ü r internationale Schulbuchforschung) organisiert wurden, erhebliche Bedeutung. Renommierte Fachkolle- gen beider Länder kamen hier seit 1953 miteinander in Kontakt2. An der Tagung im J a h r 1968 zum Rüorgimenlo n a h m e n Franco Val- secchi, Rosario Romeo, Giuseppe Galasso und Renato Mori teil, während auf deutscher Seite auch Vertreter der j ü n g e r e n Genera- tion auffielen: Rudolf Lili, Wolfgang Schieder, Volker Sellin. Bis 1968 gab es acht solche Treffen; bereits 1960 wurden Thesen über

„1000 J a h r e deutsch-italienische Beziehungen" veröffentlicht, die man auf den ersten fünf Tagungen erarbeitet hatte. 1963 kam das T h e m a „Faschismus und Nationalsozialismus" in den Blick, das damals als das „heikelste" in der Geschichte der beiden Länder u n d ihrer gegenseitigen Beziehungen galt.

1 Dass d a r i n d i e Geschichtswissenschaft trotz a u s g e z e i c h n e t e r V e r t r e t e r z a h l e n m ä ß i g n u r wenig vertreten ist, hat mit d e r D o m i n a n z d e r Naturwissen- s c h a f t e n in d e r A l e x a n d e r von H u m b o l d t - S t i f t u n g zu tun.

- S p ä t e r ü b t e n a u c h das Institut f ü r E u r o p ä i s c h e G e s c h i c h t e in Mainz u n d das Institut f ü r Zeitgeschichte in M ü n c h e n e i n e solche B r ü c k e n f u n k t i o n aus.

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Seitdem es am Deutschen Historischen Institut (DHI) Rom einen Referenten f ü r die Geschichte des 19. u n d 20.Jahrhunderts gibt, spielt dieses Institut eine zentrale Rolle bei der Förderung der deutschsprachigen Italienforschung. Insbesondere die jahrzehnte- lange Arbeit von J e n s Petersen hat reiche Früchte getragen3. Es ist hier schon aus Platzgründen nicht möglich, eine Bilanz zu ziehen u n d alle wichtigen Studien aufzulisten, die ehemalige Stipendiaten o d e r Mitarbeiter des DHI Rom verfasst haben. Allein in der „Bi- bliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom"4 sind seit 1967 24 Bände zur Geschichte des 19. u n d 20.Jahrhunderts erschie- nen. Auch in den „Quellen u n d Forschungen aus italienischen Archiven u n d Bibliotheken" wurden zahlreiche einschlägige Aufsät- ze publiziert, wobei in d e n sechziger J a h r e n zunächst das ^ . J a h r - h u n d e r t als Forschungsfeld erschlossen wurde, bevor man eine Dekade später auch die Zeitgeschichte im engeren Sinne ent- deckte5. Das DHI ist eng mit der .Arbeitsgemeinschaft f ü r die Neueste Geschichte Italiens" verbunden, die ein Vierteljahrhun- dert lang maßgeblich von Wolfgang Schieder u n d Jens Petersen getragen wurde u n d nicht n u r die Vernetzung des DHI Rom mit der deutschen Universitätslandschaft sicherstellte, sondern auch eine nachhaltige Wirkung auf diese selbst ausübte6.

Der Kreis der deutschen Italienexperten hat sich insbesondere in den letzten 15 Jahren erstaunlich erweitert, wie die Zahl der Disser- tationen mit Italienbezug eindrucksvoll belegt. Fortgeschrittene Stu- dierende u n d Magisterkandidaten konnten das Erasmus-Programm nutzen, durch das der Austausch intensiviert und die Sprachkompe- tenz deutlich gestärkt worden ist. Dennoch bleibt f ü r die meisten deutschen Akademiker die Sprachbarriere bestehen. Wahrneh- mungsprobleme sind die Folge, da die Ergebnisse der italienischen Forschung n u r selten in andere Sprachen - zumal ins Deutsche - übersetzt werden.

' Vgl. J e n s Petersen, I.a ricerca c o n t e m p o r a n e i s t i c a al Deutsches Histori- sches Institut - DHI, in: Istituto Nazionale p e r la storia del m o v i m e n t o di liberazione in Italia. Storia d'Italia nel secolo ventesimo. S t r u m e n t i e fonti, hrsg. von Claudio Pavone, Bd.2, Rom 2006, S. 189-208.

4 Ein Meilenstein war die Dissertation von J e n s Petersen, Hitler - Mussolini.

Die E n t s t e h u n g d e r Achse Berlin-Rom 1933-1936, T ü b i n g e n 1973 (Biblio- thek des D e u t s c h e n Historischen Instituts in Rom, B d . 4 3 ) , die rasch e i n e bis h e u t e vielbeachtete italienische U b e r s e t z u n g e r f u h r .

' Vgl. Q u e l l e n u n d F o r s c h u n g e n aus italienischen Archiven u n d Biblio- theken. Register zu d e n B ä n d e n 1-75 (1898-1995), bearb. von Helen Meyer- Z i m m e r m a n n , T ü b i n g e n 1997, sowie w w w . d h i - r o m a . i t / p u b l n e u . h t m .

" Vgl. hierzu d e n Beitrag von Christof D i p p e r in diesem Band.

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2. Politisierte Vergangenheit

Aber f ü h r t exzellente Forschung auch zu exzellenten Beziehungen?

H i e r ist eine g e s u n d e Portion Skepsis a n g e b r a c h t , die vor allem auf die j ü n g s t e V e r g a n g e n h e i t z u r ü c k z u f ü h r e n ist. Schließlich stand die d e u t s c h e Wissenschaft im Dienste des NS-Regimes - das gilt f ü r die Kaiser-Wilhelm-Institute ebenso wie f ü r die Universitäten.

Nach d e m E n d e des Dritten Reichs kam es nicht zuletzt bei d e n Historikern als Reaktion auf die Politisierung u n d Instrumentali- sierung d e r Wissenschaft zwischen 1933 u n d 1945 zu e i n e m Rück- bezug auf ältere, zumindest auf d e n ersten Blick weniger brisante o d e r sogar positiv bewertete P e r i o d e n d e r Geschichte. Allerdings trog d e r schöne Schein, d e n n es k o n n t e auch in f r ü h e r e r Zeit keine Rede davon sein, dass Politik u n d Historie g e t r e n n t e S p h ä r e n ge- wesen wären. Aktuelle Gegenwartsfragen h a b e n das Forschungs- p r o g r a m m des Preußischen Historischen Instituts in Rom schon vor 1914 beeinflusst, wobei sich hier das Erbe des Kulturkampfs ebenso widerspiegelte wie das kulturimperialistische Tauziehen u m die schönsten Editionsvorhaben, die in dieser Zeit archivalischen Goldrausches abgesteckt w u r d e n wie wenige J a h r z e h n t e vorher die Claims auf d e n Goldfeldern Kaliforniens7.

W ä h r e n d sich die Historiker mit weit zurückliegenden E p o c h e n beschäftigten - vom Repertorium Germanicum über die Nuntiatur- berichte hin zu d e n S t a u f e r f o r s c h u n g e n - , f a n d gleichzeitig das aktuelle Tagesgeschehen jenseits d e r Alpen große Aufmerksam- keit: Dies galt f ü r das Risorgimento u n d d e n vermeintlich f ü r Deutschland beispielhaften Prozess d e r staatlichen Einigung Itali- ens e b e n s o wie f ü r die Geschicke des Dreibunds, das Drama d e r deutsch-österreichischen u n d italienischen Entzweiung vor 1915 u n d in n o c h stärkerem Maße f ü r Mussolinis Faschismus. Dieses zeitgenössische Interesse brach nach 1945 weitgehend ab, wie Jens Petersen, der große Italienkenner, festgestellt hat. Darunter litt (und leidet) auch die italienische Geschichte des 19. u n d 20.Jahr- h u n d e r t s , die die deutsche Öffentlichkeit n u r in h o m ö o p a t h i s c h e r V e r d ü n n u n g erreichte. Die Zahl d e r Ubersetzungen einschlägiger Studien ist bis heute marginal. Dies lässt sich beispielsweise a n h a n d der italienischen Geschichtsschreibung ü b e r Preußen zeigen, deren

„wichtiges, wenngleich negatives Charakteristikum" nach e i n e m

' Eine ä h n l i c h e E n t w i c k l u n g lässt sich ü b r i g e n s bei d e n Forschungsinstitu- t e n f ü r klassische A r c h ä o l o g i e a u s m a c h e n ; vgl. Lutz K l i n k h a m m e r , Groß- g r a b u n g u n d g r o ß e Politik. D e r Olvmpia-Vertrag als E p o c h e n w e n d e , in: H e l m u t Kvrieleis (Hrsg.), O l y m p i a 1875-2000. 125 j ä h r e D e u t s c h e Aus- g r a b u n g e n , Mainz 2002, S. 3 1 - 4 7 .

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galligen Diktum von Gustavo Corni darin besteht, „dass sie in Deutschland wenig bekannt ist"8. Dieser Befund lässt sich getrost auf a n d e r e T h e m e n f e l d e r übertragen, wobei die schließlich über- setzten Werke nicht selten eine eigene Geschichte haben u n d viel dem Engagement einzelner Verleger zu danken ist9.

Bücher ü b e r Grappa, Olivenöl u n d die italienische Renaissance finden immer Abnehmer in Deutschland. Italienische Zeitgeschichte hingegen wird gescheut, als ob sie eine ansteckende Krankheit mit sich brächte. Diese Abwehrreaktion zeigte sich in besonders ekla- tanter Weise im U m g a n g mit dem Buch Luciano Canforas ü b e r die Demokratie1 0, das von deutschen Historikern als nicht publika- tionswürdig eingestuft wurde. Nach Pressemeldungen hat Hans- Ulrich Wehler von einer „nicht n u r extrem dogmatischen", son- dern auch „dummen" Darstellung gesprochen1 1. Der Beck-Verlag löste daraufhin d e n Vertrag mit einem Autor, dessen Arbeiten er in den vergangenen J a h r e n bereits erfolgreich verlegt hatte. O b Canforas essayistischer Uberblick (der f ü r die von Jacques Le Goff herausgegebene Reihe „Europa bauen" - einem Gemeinschafts- projekt von fünf europäischen Verlagen - konzipiert wurde) gelun- gen ist oder nicht, sei dahingestellt. Die damit verbundene Ausein- andersetzung legte j e d o c h wunde Punkte im deutsch-italienischen Verhältnis offen, die auch ein Schlaglicht auf den Stand der Bezie- h u n g e n zwischen beiden Ländern insgesamt warfen.

Besonders bezeichnend war das Faktum, dass die deutsche Presse - die sich dabei n u r auf Historiker berief - Canfora die Ver- harmlosung Stalins vorwarf, während italienische Printmedien be- tonten, der Grund f ü r die ablehnende Haltung des Beck-Verlags seien die giftigen Passagen Canforas über die Rolle ehemaliger Nazis in der Bundesrepublik der Ära Adenauer gewesen. Bemer- kenswert ist darüber hinaus, dass die deutschen Experten ihr Ur- teil auf der Basis einer fehlerbehafteten Rohübersetzung fällten, o h n e sich die Mühe gemacht zu haben, die schon veröffentlichte

* Gustavo Corni, P r e u ß e n in d e r italienischen Historiographie n a c h 1950.

E i n f ü h r e n d e B e m e r k u n g e n , in: d e r s . / F r a n k - L o t h a r K r o l l / C h r i s t i a n e Lier- m a n n (Hrsg.), Italien lind Preußen. Dialog d e r Historiographien, T ü b i n g e n 2005, S. 9—15, h i e r S. 13.

" Vgl. etwa Fiammetta Balestracci, Klaus W a g e n b a c h u n d die italienische Literatur in d e r Bundesrepublik Deutschland 1964-1989, in: J a h r b u c h f ü r I n t e r n a t i o n a l e Germanistik 38 (2006), S. 5 9 - 8 0 .

"' Vgl. L u c i a n o Canfora, La democrazia. Storia di u n ' i d e o l o g i a , R o m / B a r i -2006.

" Peter von Becker, Der gute Stalin. Ein italienisch-deutscher Historiker- streit, in: Tagesspiegel vom 18.11.2005.

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f r a n z ö s i s c h e o d e r s p a n i s c h e Ausgabe zu Rate zu z i e h e n - von e i n e r L e k t ü r e des italienischen Originals g a n z zu schweigen. So w u r d e d i e (ziemlich ü b e r z o g e n e ) Antwort d e s s c h a r f s i n n i g e n u n d scharf- z ü n g i g e n A l t p h i l o l o g e n C a n f o r a zu e i n e m L e h r s t ü c k in Q u e l l e n - kritik1 2.

3. Historische B e l a s t u n g e n

H i n t e r d e n F e h l p e r z e p t i o n e n , d i e im Fall C a n f o r a b e s o n d e r s grell a u f s c h i e n e n , s t e h e n d i v e r g i e r e n d e D e u t u n g e n d e r Geschichte, die n i c h t zuletzt von d e n t r a u m a t i s c h e n E r f a h r u n g e n d e s v e r g a n g e n e n J a h r h u n d e r t s g e p r ä g t sind. Vor allem d e r P a r t i s a n e n k r i e g in Itali-

e n zwischen 1943 u n d 1945 u n d d e r Vorwurf vom d o p p e l t e n „Ver- rat" 1915 u n d 1943 erwiesen sich als n a c h h a l t i g e kulturelle Bela- s t u n g e n1 3, die a u c h dazu f ü h r t e n , dass g r o ß e Teile d e r italieni- s c h e n Zeitgeschichte, vor allem a b e r die W e r k e d e r politisch links- s t e h e n d e n Historiker, in d e r B u n d e s r e p u b l i k nicht w a h r g e n o m m e n w u r d e n . Der Partisanenkrieg u n d die Resistenza spielten weder in d e r w e s t d e u t s c h e n Geschichtswissenschaft1 4 n o c h in d e r ö f f e n t l i c h e n D e b a t t e e i n e n e n n e n s w e r t e Rolle. Spiegelbildlich-konträr zur kol- lektiven E r i n n e r u n g d e r italienischen Gesellschaft, wo m a n d e n W i d e r s t a n d glorifizierte, w u r d e in d e r B u n d e s r e p u b l i k j a h r z e h n t e - l a n g d e r e h r e n h a f t e Kampf d e r d e u t s c h e n T r u p p e n herausgestellt.

Die Leserbriefspalten in d e r „ F r a n k f u r t e r A l l g e m e i n e n Zeitung"

liefern h i e r f ü r g e n ü g e n d A n s c h a u u n g s m a t e r i a l : N o c h A n f a n g d e r n e u n z i g e r Jahre k o n n t e das z a h l e n m ä ß i g g r ö ß t e Massaker an d e r Zivilbevölkerung im nationalsozialistisch besetzten Westen Europas abgestritten u n d als „Marzabotto-Lüge" b e z e i c h n e t w e r d e n . Die b e i d e n in Italien verurteilten Kriegsverbrecher Walter R e d e r u n d H e r b e r t Kappler w u r d e n nicht selten als O p f e r e i n e r rachsüch- tigen Siegerjustiz angesehen1-'. Die von d e r italienischen Wider-

Vgl. L u c i a n o C a n f o r a , L ' o c c h i o di Zeus. Disavventure della „Democra- zia", R o m / B a r i 2006.

11 Vgl. Gian E n r i c o Rusconi, D e u t s c h l a n d - Italien, Italien - D e u t s c h l a n d . G e s c h i c h t e e i n e r schwierigen B e z i e h u n g von Bismarck bis zu Berlusconi, P a d e r b o r n u.a. 2006.

" Eine bei E d g a r R. Rosen e n t s t a n d e n e Dissertation stellt e i n e a b s o l u t e A u s n a h m e dar: H u b e r t u s Bergwitz, Die P a r t i s a n e n r e p u b l i k Ossola. Vom 1 0 . S e p t e m b e r bis zum 2 3 . O k t o b e r 1944, H a n n o v e r 1972; das Buch er- s c h i e n 1979 b e i m Verlag Feltrinelli a u c h in italienischer S p r a c h e .

11 Z u r H a l t u n g d e r b u n d e s d e u t s c h e n Presse u n t e r b e s o n d e r e r Berücksich- t i g u n g d e r F r a n k f u r t e r A l l g e m e i n e n Z e i t u n g vgl. Joachim S t a r o n . Fosse A r d e a t i n e u n d M a r z a b o t t o : D e u t s c h e K r i e g s v e r b r e c h e n u n d Resistenza.

G e s c h i c h t e u n d n a t i o n a l e M y t h e n b i l d u n g in D e u t s c h l a n d u n d Italien

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standsbewegung selbst geschaffenen Legenden h a b e n diese Re- aktion auf deutscher Seite sicherlich erleichtert. Die eigentliche Verweigerung bestand j e d o c h auf der Ebene des kollektiven Be- wusstseins, wo die zeitgenössische Missachtung des Feindes in d e n öffendichen - u n d in transformierter Form auch in den historio- graphischen - Diskurs ü b e r f ü h r t worden ist.

Hängt diese Missachtung der Resistenza aber nicht auch mit einer spezifisch deutsch-deutschen Variante des Konflikts u m politische Legitimation zusammen? Denn die DDR hatte d e n italienischen Widerstand gegen die „nazifaschistischen deutschen Truppen" sehr wohl gewürdigt. Schon 1959 erschien in Ost-Berlin eine wichtige Auswahl von Berichten u n d Artikeln, die Luigi Longo u n d Pietro Secchia, beides führende Kommunisten, 1944 im Untergrund publi- ziert hatten, u n d 1970 brachte der Militärverlag in Ost-Berlin die längst zum Klassiker gewordene Geschichte der Resistenza des Kunst- historikers Roberto Battaglia in deutscher Sprache heraus. Wäh- r e n d Battaglias Storia della Resistenza italiana bereits eine Reihe von Augenzeugenberichten ü b e r das Massaker von Sant'Anna di Staz- zema enthielt, geriet dieses Thema in der Bundesrepublik erst 1999 in die Schlagzeilen, als es Christiane Kohl von der „Süddeut- schen Zeitung" gelang, ein spektakuläres Interview mit einem ehe- maligen Soldaten der Waffen-SS zu f ü h r e n , dessen Einheit im August 1944 f ü r dieses grauenhafte Gemetzel verantwortlich war16. Glauben finden Schilderungen aus dem italienischen Widerstands- kampf in Deutschland offenbar erst dann, wenn die Täter ihre eige- nen Gräueltaten eingestehen. Lange Zeit wurden dagegen deutsche Rechtfertigungslegenden verbreitet, die oft genug mit abschätzi- gen Kommentaren oder gar der offenen Kriminalisierung der italie- nischen Widerstandsbewegung einhergingen. Anfang der sechziger J a h r e wurde dies im Zusammenhang mit dem deutsch-italie-

nischen Wiedergutmachungsabkommen besonders deutlich. Ein Beamter des Bundesministeriums für Finanzen lehnte etwa 1963 die Bitte des Comitato Vittime Civili di Guerra von Sant'Anna di Stazzema um Entschädigung mit der Begründung ab, der Eingabe könne man nicht e n t n e h m e n ,

(1944-1999), P a d e r b o r n u.a 2002; eine italienische Ü b e r s e t z u n g erschien im J a h r 2007 b e i m Verlag II Mulino.

"' Vgl. Christiane Kohl, Der H i m m e l war strahlend blau. Vom Wüten d e r W e h r m a c h t in Italien, Wien 2004. Eine ä h n l i c h e W i r k u n g hatte das Fern- sehinterview d e r J o u r n a l i s t e n R e n é A l t h a m m e r u n d U d o G ü m p e l mit d e m f r ü h e r e n SPD-Abgeordneten Klaus Konrad, d e r in langen Einlassungen seine Mitwirkung am Massaker von San Polo rechtfertigte.

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„wer für die Tötung der 560 italienischen Zivilisten verantwort- lich ist. Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um allgemeine Kriegsmaßnahmen und keine Verfolgungstatbestände [...], so daß schon aus diesem Grunde keine Möglichkeit für eine Hilfe im W e g e der Wiedergutmachung bestehen dürfte. Außerdem wären die Wohnsitz- und Stichtagsvoraussetzungen nach BEG [Bundesentschädigungsgesetz] nicht gegeben. Im übrigen weise ich auf das globale Wiedergutmachungsabkommen mit Italien hin."17

Das - neben Marzabotto - schlimmste Beispiel des nationalsoziali- stischen Kriegs gegen die Zivilbevölkerung in Italien, verübt von Angehörigen der 16. Panzergrenadierdivision der Waffen-SS, wird hier entweder als möglicherweise gar nicht von deutschen Soldaten begangen in Frage gestellt oder als Kriegshandlung gewertet. Der Fall wurde als italienische Angelegenheit dargestellt, die mit den Wiedergutmachungszahlungen abgegolten sei - obwohl der Refe- rent im Bundesfinanzministerium sehr wohl wusste, dass die deut- schen Anstrengungen zur Einschränkung des Kreises der Anspruchs- berechtigten für die Wiedergutmachung eindeutig auf eine Aus- grenzung der Opfer von Sant'Anna hinausliefen.

Als das Wiedergutmachungsabkommen von 1961 die deutsche Öffentlichkeit erreichte, gab es Kommentare, die in ihrer dreisten Ignoranz fast sprachlos machen: O b sich die deutschen Verant- wortlichen denn nicht schämten, die

„hinterlistige Tätigkeit und hinterlistige Morderei [der Partisa- nen] heute noch zu prämieren? Ich selber bin am 30. April 1945 in Italien von den Partisanen gefangen genommen wor- den. Mir wurden eigene Schuhe, Uhr, Ring etc. abgenommen und [ich] sollte erschossen werden. Ich verdanke es nur dem Umstand, daß ein Ami dazukam, daß ich heute noch lebe. Bitte melden Sie auch meine Wiedergutmachung bei der Bundes- regierung an. Vielleicht sind in Deutschland noch mehrere, denen von den Partisanen Hab und Gut genommen wurde.

Oder kann ich wirklich keine Wiedergutmachung bekommen, weil ich sechs Jahre ehrlicher Soldat war und kein Partisan, der aus dem Hinterhalt geschossen hat. [...] Wird ein Partisan höher bewertet als ein Soldat in Uniform?''

Ein anderer Zeitgenosse bemühte implizit den Vorwurf des italieni- schen „Verrats": „Wenn wir Deutschen nun jetzt noch diese Leute, die uns durch ihre Waffenübergabe Schaden an Leib und Leben

' ' Politisches Archiv des Auswärtigen Amts. Β 81/355, Bundesfinanzmini- sterium (gez. Z o r n ) an das Auswärtige Amt v o m 19.2.1963.

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zugefügt haben, honorieren, dann versteht man nichts mehr."1 8 Angesichts dieser Stimmen überrascht es nur wenig, dass in der deutschen Fassung des berühmten Films „Paisà" (Regie Roberto Rossellini) über den Krieg in Italien eine Szene herausgeschnitten wurde, in der deutsche Soldaten italienische Partisanen erschießen.

4. Ausblick

Dieses Erbe hat Folgen, die bis heute fortwirken: Das politische Italien wird allzu oft gar nicht oder nur verzerrt wahrgenommen, von oben herab behandelt oder belächelt. Auch die italienische Geschichtswissenschaft tut sich schwer damit, nördlich der Alpen Gehör zu finden. Während große italienische Verlage seit langem dafür sorgen, dass wichtige Werke der deutschen Historiographie übersetzt werden, sind es auf deutscher Seite nur wenige, die sich um die Verbreitung von Studien aus der Feder italienischer Histo- riker bemühen. Und wenn im Fall Canfora gegenüber dem italie- nischen Altkommunisten offenbar der Reflex eines vierzigjährigen innerdeutschen Systemkonflikts zu einer Abwehrhaltung führt, dann erfährt genau diese Chance zur Rezeption - die j a durchaus Kontroversen bewirken kann und nicht nur zu Elogen führen muss - einen Rückschlag. Erwähnen sollte man in diesem Zusam- menhang freilich auch, dass viele Vermittlungsprozesse von Süd nach Nord - und das stimmt hoffnungsvoll - über die Lektüre ita- lienischer Belletristik ablaufen: Darüber wurden und werden in einfühlsamer Weise für Italien zentrale zeithistorische Themen bekannt gemacht; das gilt für die Bücher von Primo Levi und Giorgio Bassani ebenso wie für die Romane von Elsa Morante und Natalia Ginzburg. Mit den Werken von Rosetta Loy19 und Aldo Zargani20 hat auch die Verfolgung der italienischen Juden die nötige Aufmerksamkeit gefunden, lange bevor sich deutsche Hi- storiker dieses Themas angenommen haben2 1.

18 Der Steuerzahler. Monatszeitschrift des Bundes der Steuerzahler 15 (1964) H . 9 , S.132f.

19 Vgl. Rosetta Loy, Via Flaminia 21. Meine Kindheit: im faschistischen Ita- lien, München 2001.

-" Vgl. Aldo Zargani, Für Violine solo. Jüdische Kindheit in Italien, Frank- furt a.M. 1998.

Hier zeichnet sich in den letzten Jahren ein wichtiger Wandel ab. Neben den klassischen Studien von Klaus Voigt vgl. Thomas S c h l e m m e r / H a n s Woller, Der italienische Faschismus und die J u d e n 1922 bis 1945, in: VfZ 53 (2005), S. 165-201; Carlo Moos, Ausgrenzung, Internierung, Deportation.

Antisemitismus und Gewalt im späten italienischen Faschismus (1938—

1945), Zürich 2005.

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Besonders positiv stimmt in d e n letzten J a h r e n die spürbare Intensivierung der wissenschaftlichen Kontakte zwischen Deutsch- land u n d Italien, aller Sprachbarrieren zum Trotz: Erasmusauf- enthalte, Doktorandenprogramme, Dozentenaustausch, bi- oder multilaterale Forschungsprojekte entfalten hier ihre Wirkung2 2. So entstehen die eigentlichen Konvergenzen, auch wenn die Unter- schiede in der Ausrichtung der historischen Forschung bestehen bleiben. Die italienische Geschichtswissenschaft ist nach wie vor stark geistes- u n d ideengeschichtlich orientiert. Sozialgeschichte bedeutet hier die enggeführte Analyse von Instrumenten u n d Entwicklungen des Sozialstaats. Der vielfach zu beobachtende T r e n d zur Kulturgeschichte erwächst nicht nur direkt aus einer nachhaltigen ideengeschichtlichen Prägung - einem späten Erbe nicht n u r Benedetto Croces u n d des Idealismus23, sondern viel- leicht m e h r noch der Schulreform Giovanni Gentiles von 192324

mit ihrer obligatorischen Verbindung von Geschichte u n d Philo- sophie am humanistischen Gymnasium. Diese Konstruktion wird erst seit einigen J a h r e n von kritischen italienischen Intellektuellen ernsthaft in Frage gestellt.

Die italienische Politik, soweit sie über das Theatralische u n d d e n schönen Schein hinausgeht, bleibt dem Betrachter nördlich der Alpen allerdings nach wie vor oft verschlossen; sie erscheint kryptisch, verschlüsselt, voller Anspielungen. Die öffentliche Dis- kussion, die sich an spektakulären Einzelbeispielen orientiert u n d nicht auf eine strukturierenden Gesamtsicht zielt, trägt ein Übri- ges zur Verwirrung bei. Hier kommt ein anderer Politik- und Ver- waltungsstil zum Ausdruck2' - eine andere Art zu denken und zu

-¿ Auch das DHI Rom wirkt ü b e r ein Postdoc-Stipendium für italieni- sche Kollegen, V e r ö f f e n t l i c h u n g e n in italienischer Sprache u n d eine n e u e Reihe (Ricerche dell'Istituto storico g e r m a n i c o di Roma) verstärkt in die italienische Wissenschaftslandschaft h i n e i n . Der erste d e r Zeitgeschichte gewidmete Band dieser n e u e n Reihe s t a m m t von Nicola D'Elia. Delio Can- timori e la cultura politica tedesca (1927-1940), Roma 2007; in Vorberei- t u n g befindet sich ein Band mit d e n von Ruth N a t t e r m a n n b e a r b e i t e t e n T a g e b ü c h e r n des D i p l o m a t e n Luca P i e t r o m a r c h i aus d e n J a h r e n 1938 bis 1940.

Vgl. Karl-Egon I . ö n n e , B e n e d e t t o ( ' r o c e als Kritiker seiner Zeit, Tü- b i n g e n 1967 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, Bd. 28).

Vgl. Jürgen Chamitzky, Die Schulpolitik des faschistischen Regimes in Italien 192*2-1943, T ü b i n g e n 1994 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, Bd. 79).

Dies spiegelt sich auch in d e r italienischen Aktenüberlieferung mit ihren vielen Spezialakten u n d wenigen Generalia wider.

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diskutieren, eine andere kulturelle Praxis, deren Dechiffrierung Expertise braucht und kein vorschnelles oder gar höhnisches Urteil verträgt. Erst dann können Wahrnehmungsstörungen und kultu- relle Belastungen dauerhaft abgebaut werden.

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