Zur Empfindlichkeit von Blässhühnern und Haubentauchern gegenüber Störungen
vom Wasser und vom Land
D.
PFLUGER und
P.INGOLD
*Mit5Abbildungen
Abstract
Responses of
Coots
(Fulica atra)and
Great Crested Grebes (Podiceps chstatus) tohuman
disturbances originatingfrom
landand
waterside respectively.— The aim
ofthis studywas
to determine the sensitivity oftwo
waterfowl, Coots (Fulica atra)and
Great Crested Grebes (Podicepschstatus), tohuman
leisure activities. This is ofconsiderable interest asthesetwo
species breed undersimilar conditions.Forthispurpose
two
questionswere examined: 1)What
are theflightdistancesofthe breeding birds leaving the nest in front of disturbing objects originatingfrom
landand
waterside respectively?2)For what
periodof timearethe birdsabsentfrom
the nestafterhuman
disturbance?The
observationsand
recordingwere taken under experimentalconditionson
a small lake (Burgäschisee,Kanton
ofBern). This lakeareaisheavily used for leisure activities.The
following results were noted:When
confronted withapersonapproachingfrom
thelandsideCootswhere
leaving the nest for significantly shorter distances than the Grebes.When
confronted with approachingrow
boatsCoots were leaving for slightlylonger distancesthanthe Grebes.After disturbances
from
thelandside thetwo
speciesdidnotdiffer inthetimeof absencefrom
the nest.However,
theCootsremained
absentfrom
the nest for alongerperiod of time after disturbances originatingfrom
the waterside.We
concludedthat Great Crested Grebes weremore
sensitive to disturbancesfrom
landside.Coots
weremore
sensitive todisturbances originatingfrom
the waterside.The
reasons forthis difference are briefly discussed.* EthologischeStation Hasli,ZoologischesInstitutder UniversitätBern,Wohlenstrasse50a,3032 Hinterkappelen/Bern,Schweiz.
Poster vorgelegtanderJahresversammlungder
SZG
inLuzern,8.-9.Oktober1987.Rev. Suissede Zool., T. 95, 1988 77
1172 D.
PFLUGER UND
P.INGOLD
EINLEITUNG
Wasservögel sind heutean unseren
Gewässern einem zunehmend
stärkerwerdenden
Freizeitbetrieb ausgesetzt,wobei
die verschiedenenArten
unterschiedlich stark betroffen seinkönnen. Diesistzur Brutzeitu. a.abhängig davon, wie exponiertihreNestersindund
wie empfindlich sie aufden
Freizeitbetrieb reagieren. In beider Hinsicht scheinen die in ausgesprochen hoher Bestandesdichtevorkommenden
Blässhühner gegenüberden
eben-falls
noch
gutvertretenenHaubentauchern
bevorteiltzu sein: Die Blässhühnerlegendas Nestrelativverstecktan;siegeltenalssehr„zutraulich"und
erfolgreichbeim
Brüten,von den
relativ offen brütendenHaubentauchern
ist bekannt, dass sie sich in einerWeise
stören lassen,dasssieaufstark belastetenGewässern
einenverminderten Fortpflanzung- serfolghaben (Fuchs
1982,Ingold
etal. 1983).Dabei
sind es gerade die Blässhühner, welchevon
der Störungsanfälligkeit derHaubentaucher
profitieren,indem
sie ihre Eier rauben,wenn
diese frei daliegen(Keller,
1988).Ob
Blässhühnertatsächlichweniger empfindlichreagierenalsHaubentaucher
oderob
sienicht v. a. deshalberfolgreicherbrütenkönnten,weilsieihreNester versteckter anlegen, prüftenwir
am
Burgäschisee,einem
starkbelastetenKleinsee desBernischenMittellandes.Konkret wurden
die beiden folgendenFragen
untersucht:1.
Auf
welche Distanz flüchten brütendeVögel
der beidenArten
vor „Störobjek- ten", die sichvom Land und vom Wasser
hernähern?
2.
Wie
langedauertdieNestabwesenheitnach einem
störungsbedingtenNestverlassen?METHODE
Untersuchungen
zeigten(Pfluger
1988) dass sichBlässhuhnnesteretwas weitervom
offenen
Wasser
entferntbefindenals Haubentauchernester. Erste sinddamit vorBooten
bessergeschützt, dafürden
Spaziergängern etwasstärker ausgesetzt.Da
dieBedingungen
für die VertreterderbeidenArten
somitnicht identisch sind,kann
überdieEmpfindlich- keitnur etwas ausgesagt werden,wenn „Störungen" vom Wasser und vom Land
herkon- trolliert erzeugt werden.Dazu wurde
wiefolgtvorgegangen:Eine Versuchsperson näherte sich
vom Land
herdem
Nest.Sobald
der brütende Vogel das Nest verliess,wurde
innegehaltenund
die Stelle markiert. Späterwurde
die Streckezwischendem
Nestund
dermarkiertenStellegemessen.Manchmal war
esgelände- bedingtnichtmöglich,sichdem
Nestso weitzu nähern, dass derVogelzum
Verlassendes Nestesveranlasstwurde. InsolchenFällen hieltenwirdieDistanzdermaximal
möglichenAnnäherung
fest.Vom Wasser
her nähertenwiruns miteinem Boot
in schrägerRichtung (ca.45° zur Uferlinie)dem
Nest.Wenn
derbrütendeVogel das Nestverliess,wurde
innegehaltenund
dieDistanzzwischen
dem Boot und dem
Nestgeschätzt. BliebeinVogel auchbeimaximaler Annäherung von m
aufdem
Nest sitzen,wurde
„nichtweg"
protokolliert. Flucht- distanzenbeiAnnäherung
mitdem Boot konnten
auf 1m genau
geschätztwerden,da
sie sichim
Bereichvon wenigen Metern
bewegten. In etlichenFällen bliebderVogelauch
beiAnnäherung
bisdichtansNestsitzenbevorerflüchtete. Dieswurde
alsm
protokolliert.Nach dem Versuch
entfernteman
sichjeweilswieder raschvom
Nestund bestimmte
aus angemessener Distanz, wie lange es dauerte, bis der Vogel das Nest wieder bestieg.Die Versuchszahl
war
nicht bei allenPaaren genau
dieselbe.Da
keine Hinweisefür kurzfristigeÄnderung
der Empfindlichkeitaufgrund von Erfahrung
vorliegen(Keller
1988),solltediesjedoch keinenEinflussaufdieErgebnissegehabt haben.Im
übrigen wur-den
dieDaten
fürbeideArten
in vergleichbarer Brutphase erhoben.RESULTATE
1. Fluchtdistanzen
a) Bei
Annäherung vom Land
her.Abb.
1 zeigt, dass die Blässhühner kleinere Fluchtdistanzen aufwiesen als dieHaubentaucher
(W-Test, p<0.05). Diesbestätigt sich,wenn
die bei der statistischen Bearbeitung nicht berücksichtigten Fälle miteinbezogen werden,wo
brütende Blässhühner bei einerAnnäherung
auf 1 bis 2m
nichtvom
Nest gingen.Tb-,
o
14-
o
12-
i
10-
1
1
8-
\
i.
+
•
1D
6h
<
•
» <>
o
i Ol
c
D
D o o
o
4-
a o
o o cDo
2- i» <> o O 00 CO
oo o
Blässhuhn-Paare Haubentaucher-Paare
Abb. 1.
Fluchtdistanzen in Metern bei Störungen
vom
Land her. Angegeben sind Median und Bereich (Extremwerte)von13Blässhuhn-(N=
43)und9Haubentaucherpaaren(N=
54).o=
DerVogelbliebsitzen, nachdem sichdieVersuchspersonsoweit wie möglich
dem
Nest genähert hatte.b) Bei
Annäherung vom Wasser
her.Aus den Abb.
2und
3 geht hervor, dass die FluchtdistanzenbeibeidenArteninderselbenGrössenordnung
(0 biseinigem)
lagen.Auf-
fallend ist jedoch, dass in wesentlichmehr
Fällen (Chi-Quadrat-Vierfeldertest,p<0.01)
brütendeHaubentaucher
nichtvom
Nest gingen als Blässhühner.1174 D.
PFLUGER UND
P.INGOLD
o
n.w.
11
o oo
o o o • o o
• o
o
<»Blässhuhn-Paare
Abb. 2.
Fluchtdistanzen in Meternbei Störungen
vom
Wasser her. Angegeben sind Median und Bereich (Extremwerte) von 18 Blässhuhnpaaren(N=
112). n. w.=
Tiergeht auchbeiAnnäherung aufm
nicht weg.
Im o o •
o o o o o o
o o o
OCOCO O O OO 0000000 00 OOO 00 o ooooo o
Haubentaucher-Paare
Abb. 3.
FluchtdistanzeninMeternbeiStörungen
vom
Wasserher.AngegebensindMedian undBereichvon 19 Haubentaucherpaaren(N=
160). n. w.=Tiergeht auchbeiAnnäherung aufm
nichtweg.2.
Dauer
der Nestabwesenheita)
Nach Annäherung vom Land
her (Abb. 4). Die Nestabwesenheit dauerte bei beiden Arten nicht unterschiedlich lange.Der Median
der Zeiten für die Blässhühner beträgt 3'45", jener für dieHaubentaucher
3'27".Anzahl(N) 8 n
Blässhuhn (N =30)
E3 Haubentaucher (N =32)
6 A
2-
<0.5 >0.5-1>1-1.5>1.5-2>2-2.5>2.5-3>3-3.5>3.5-4>4-4.5>4.5-5>5-6 >6-7 >7-8 >8
Minuten
Abb. 4.
Dauerder Nestabwesenheit beiStörungen
vom
Land her. Blässhühner: 11 Paare(N=
30);Haubentaucher: 11 Paare (N
=
32).b)
Nach Annäherung vom
Wasser her (Abb. 5). Bei denHaubentaucern
dauertedie Nestabwesenheitkürzer alsbei den Blässhühnern (W-Test, p<0.01).Der Median
für die Zeiten der Blässhühner beträgt 2'23", jener für dieHaubentaucher
52".Anzahl(N)
30 -i
_
| Blässhuhn (
N
=57)E3 Haubentaucher (N =73)
<0.5 >0.5-1>1-1.5>1.5-2>2-2.5>2.5-3>3-3.5>3.5-4>4-4.5>4.5-5>5-6 >6-7 >7-8 >8
Minuten
Abb. 5.
Dauer derNestabwesenheitbei Störungen
vom
Wasserher. Blässhühner: 24Paare(N=
57);Haubentaucher: 23 Paare(N
=
73).1176 D.
PFLUGER UND
P.INGOLD
DISKUSSION
Aus dem
Vergleich der Fluchtdistanzen geht hervor, dass dieHaubentaucher
beiAnnäherung
vornLand
herempfindlicherreagieren als die Blässhühner.Hingegen
trifft beiAnnäherung vom Wasser
herdasUmgekehrte
zu: In dieserSituationerwiesensichdie Blässhühneralsempfindlicher.Dieslässtsichsowohl ausdem
Vergleich derFluchtdistanzen alsauch von
derDauer
der Nestabwesenheit her schliessen.Überraschend
ist, dass die Blässhühner überhaupt in einer Situation empfindlicher reagiertenals dieHaubentaucher. Dass
diesgeradebei derAnnäherung vom Wasser
her derFallist,könnte dadurch
erklärtwerden, dassdasNestmancher Haubentaucher
näherbeim
Freizeitgeschehen aufdem Wasser
liegt, sie sich stärker damit auseinandersetzenmüssen und
damit möglicherweiseeinestärkereGewöhnung
an ihn stattgefundenhatals beiden
Blässhühnern.Das Umgekehrte könnte
inBezug
auf dasGeschehen
anLand
der Fallsein.Da
Blässhuhnnesteretwasnäheram Land
sichbefinden alsHaubentaucherne-
ster, sindsie
auch
stärkerdem
Betrieb hier(durchWanderer
etc.)ausgesetzt. Möglicher- weisehabensichdeshalbdieBlässhühner etwasstärkeranihngewöhntalsdieHaubentaucher.Dass
generell bei beidenArten
einAnpassungs Vorgang
stattgefunden hat, dafür spricht bei Blässhühnern die Feststellung,wonach
sie z. B. in derCamargue nach
einer Störung wesentlich länger nicht aufs Nestzurückkehren (Grössenordnung
1/2 Std.;Salathé, mundi.
Mitt.)alsam
Burgäschisee. Beiden Haubentauchern
spricht für einenAnpassungsvorgang
dieTatsache, dass dieFluchtdistanzenaufdem
unbelastetenGerzen- see erheblich grösser sind als aufdem
Burgäschisee(Keller
1988).Die
Untersuchung am
Burgäschisee ergab ferner, dass dieHaubentaucher
relativ höhere Eiverluste aufwiesen als die Blässhühner. Dieskönnte
v. a. zweiGründe
haben:Zum
einenwerden
die Blässhühnerwegen
der geringeren Exponiertheit ihrer Nester—
trotz ihrer
an
sichetwas grösseren Empfindlichkeit—
durchden
sehr starkenBetrieb aufdem Wasser
(Ruder-und Gummiboote
etc.)wohl
etwasweniger stark beeinflusst als dieHaubentaucher. Zum andern
sind dieHaubentauchergelege
besser sichtbar als jene der Blässhühner,wenn
derbrütendeVogel
dasNestverlassen hat,sodass dieHaubentauche-
reier
einem höheren
Risiko ausgesetzt sind, geraubt zu werden. Schliesslichhaben
dieHaubentaucher
einen wichtigenEiräubermehr
alsdie Blässhühner, nämlich, wie bereits erwähnt, die Blässhühnerselbst.Zusammenfassung
Das
Zieldieser Arbeitwar, festzustellen, wieempfindlich zweiunter vergleichbarenBedingungen
brütende Arten,dieBlässhühner(Fulica atra)und
dieHaubentaucher
(Podi- cepscristatus), aufFreizeitbetriebreagieren.Dazu wurden
zweiFragen
untersucht: 1.Auf
welche Distanz flüchten brütende Vögel der beidenArten
vor ,,Störobjekten", die sichvom Wasser und vom Land
hernähern?
2.Wie
lange dauert dieNestabwesenheitnach einem
störungsbedingten Nestverlassen? DieexperimentellePrüfung
derFragen
aneinem
starkdurchFreizeitbetrieb belasteten KleinseedesBernischenMittellandesergab folgende Resultate: BeiAnnäherung vom Land
herdurcheineVersuchspersonverliessen die Bläss-hühner
dasNest aufgeringereDistanzalsdieHaubentaucher,
beiAnnäherung vom Was-
serhermit
einem Boot
verliessen dieBlässhühner das Nest eheralsdieHaubentaucher
(1).Nach Annäherung vom Land
verliessen die beidenArten
das Nest nicht unterschiedlichlang.
Hingegen
blieben die Blässhühner nacheinerAnnäherung vom Wasser
längerweg
alsdie
Haubentaucher
(2).Daraus
wirdgeschlossen,dassbeieinerAnnäherung vom Land
dieHaubentaucher,beieiner
Annäherung vom Wasser
dieBlässhühner empfindlicherrea- gieren.Wie
derUnterschied erklärtwerden
könnte, wird kurz diskutiert.LITERATUR
Fuchs, E. 1982. Bestand, Zugverhalten, Bruterfolgund Mortalität des Haubentauchers, Podiceps cristatus, auf
dem
Sempachersee. Orn. Beob. 79: 255-264.Ingold, P., S.Rappeler undB. Lehner. 1983.
Zum
ProblemderGefährdungderVogelbestände an unserenGewässern durch Erholung suchende Menschen.Mitt. naturf. Ges. Bern,NF
40: 57-61.Pfluger, D. 1988.Auswirkungendes FreizeitbetriebesaufdasFortpflanzungsgeschehenvonBläss- huhn(Fulicaatra)und Haubentaucher(Podicepscristatus).Lizentiatsarbeit, Univ.
Bern.
Reller,V. 1988.ZurFragederAnpassungbrütenderHaubentaucher(Podicepscristatus)an Bedin- gungenihres