Was nützen Experimentierklauseln?
von Prof. Dr. Christoph Reichard (Universität Potsdam)
erschienen in: „Acht-Modellkommunen-Newsletter“ Nr. 6/1998, S. 2-8 (hrsg. vom KWI der Universität Potsdam)
Seit 1995 gibt es für die Kommunen im Land Brandenburg Experimentierklauseln:
§43a in der GemHVO und §47a in der GemKVO (GVBL, 24. Juli 1995, S. 499f.).
§ 43a GemHVO - Ausnahmen zur Erprobung von Steuerungsmodellen
(1) Zur Erprobung neuer Steuerungsmodelle können für einzelne Gemeinden auf Antrag Ausnahmen von den Vorschriften dieser Verordnung zugelassen werden. Die Ausnahmen sind zu befristen; sie können unter Bedingungen und Auflagen erteilt werden.
(2) Über die Auswahl der Gemeinden, die neue Steuerungsmodelle erproben wollen, sowie über Ausnahmen von einzelnen Bestimmungen dieser Verordnung entscheidet die oberste Aufsichtsbehörde.
§ 47a GemKVO - Ausnahmen zur Erprobung von Steuerungsmodellen
(1) Zur Erprobung neuer Steuerungsmodelle können für einzelne Gemeinden auf Antrag ein Rechnungssystem für die gesamte oder Teile der Jahresrechnung nach den Regeln der kaufmännischen doppelten Buchführung, das alle an die Verwaltungsbuchführung gestellten Anforderungen erfüllt, und Ausnahmen von einzelnen Vorschriften dieser Verordnung zugelassen werden. Die Ausnahmen sind zu befristen; sie können unter Bedingungen und Auflagen erteilt werden.
(2) Über die Auswahl der Gemeinden, die neue Steuerungsmodelle erproben wollen, sowie über Ausnahmen von einzelnen Bestimmungen dieser Verordnung entscheidet die oberste Aufsichtsbehörde.
Die Formulierungen sind weitgehend identisch mit denen anderer Bundesländer, bspw mit Rheinland-Pfalz (GVBl, 23. Dezember 1994, S.454f.) oder in bezug auf die GemKVO mit Baden-Württemberg.
Wie sieht die bisherige Praxis im Umgang mit der
Experimentierklausel in Brandenburg aus? Zunächst wurden die Kommunen durch das Ministerium des Inneren ausdrücklich
ermuntert, Anträge auf Experimentierklauseln zu stellen, um im Innovationsprozeß voranzukommen (z.B. in Brandenburg Kommunal 1994). Bisher scheint man allerdings offensichtlich Anträge auf Experimentierklauseln restriktiv behandelt zu haben, was sich im Lande auch herumgesprochen hat. So hat es von 1995 bis Anfang 1998 nach Auskunft des MI lediglich 10 Anträge von
Kommunen auf Dispens von bestimmten haushaltsrechtlichen Regelungen im Wege der Experimentierklausel gegeben. Von diesen 10 Anträgen wurden 6 abgelehnt und 4 genehmigt. Die Anträge seien laut Auskunft des Ministeriums abgelehnt worden, weil sie entweder nicht hinreichend konkret genug gewesen
seien oder weil die Konsolidierung des Haushalts der betreffenden Gemeinden im Falle einer Antragsgenehmigung gefährdet gewesen wäre. Bislang ist nicht bekannt, welche Regelungssachverhalte bei den vier genehmigten Anträgen gelockert werden konnten und welche Auflagen ggf. erteilt worden sind.
Bis heute hat es über den Wortlaut der Experimentierklauseln in den beiden Verordnungen hinaus offenbar keine
weitergehenden Informationen und Erläuterungen des MI gegenüber den Kommunen des Landes gegeben, wie mit den Klauseln umzugehen sei und welche rechtlichen Bestimmungen unter welchen Bedingungen ggf. gelockert werden könnten. Auch fehlt es bislang an einer Auswertung der mit
haushaltsrechtlichen Experimenten gemachten Erfahrungen, wie sie aus einigen anderen Bundesländern bekannt ist.
In jüngster Zeit hat es aus dem MI allerdings Signale gegeben, die auf eine zukünftig weniger restriktive Genehmigungspraxis im Zusammenhang mit Anträgen auf Dispense von Kommunen
schließen lassen. Bpsw. hat sich die zuständige
Referatsleiterin der Kommunalabteilung auf dem letzten KWI- Workshop vor einer großen Zahl versammelter Kommunen positiv über eine wohlwollende künftige Genehmigungspraxis des MI geäußert. Es ist zu hoffen, daß die Aufklärungs- und
Betreuungsarbeit des MI gegenüber den Kommunen des Landes im Zuge seiner Kommunalaufsicht intensiviert wird und daß ein Informationsblatt (Runderlaß o.ä.) die "Spielregeln" für den Erhalt von Ausnahmegenehmigungen für die Kommunen hinreichend deutlich klarstellt. Ferner ist zu hoffen, daß die
Landesregierung von Brandenburg in Abstimmung mit den anderen Bundesländern in Kürze die Arbeit an der Novellierung
haushaltsrechtlicher Vorschriften (GemHVO usw.) aufnimmt, die die rechtlichen Voraussetzungen für ein wirtschaftliches
Verwaltungsmanagement in den Kommunen des Landes schafft.
Worum geht es überhaupt bei Experimentierklauseln?
Die bisherigen Experimentierklauseln haben im wesentlichen zum Gegenstand, daß für einzelne Kommunen zum Zwecke der
Verwaltungsmodernisierung ("Erprobung neuer
Steuerungsmodelle") auf Antrag bei der (obersten)
Aufsichtsbehörde bestimmte (haushalts-) rechtliche Regelungen befristet außer Kraft gesetzt werden können. Da es sich um die befristete Außerkraftsetzung von Rechtsvorschriften handelt, hängt der materielle Bereich, von dem dispensiert wird,
natürlich davon ab, was in den jeweiligen Rechtsvorschriften geregelt ist, von denen dispensiert wird. Im
haushaltsrechtlichen Bereich bestehen hier im Kern zwischen den verschiedenen Bundesländern keine allzu großen
Unterschiede. Einzelne Länder - wie etwa NRW oder
Niedersachsen - haben mittlerweile reformierte GemHVO's, sodaß hier weniger Bedarf für Ausnahmedispense besteht, weil ohnehin bereits mehr rechtliche Freiräume gegeben sind. Unterschiede bestehen eher in Randbereichen des Haushaltsrechts, indem in einigen Ländern auch Ausnahmen etwa im Vergaberecht gestattet werden.
Bei einer genaueren Analyse von Experimentierklauseln ist es empfehlenswert, sich von den folgenden drei Kernfragen leiten zu lassen:
1. Welche Schritte in Richtung vermehrter Flexibilität und Wirtschaftlichkeit sind bereits im Rahmen des geltenden Haushaltsrechts, also ohne Inanspruchnahme von
Experimentierklauseln möglich?
2. Welche Möglichkeiten eröffnen sich zusätzlich für eine Kommune, wenn ihr Antrag auf Experimentierklausel
genehmigt wird? Und welche rechtlichen Grenzen erweisen sich selbst dann als nicht überschreitbar?
3. Welche Spielräume können nur durch eine über die Experimentierklausel hinaus gehende Reform des
Haushaltsrechts geschaffen werden? Welche längerfristigen Perspektiven gibt es für die Weiterentwicklung des
Haushaltsrechts und des Rechnungswesens in den Kommunen des Landes?
Klar ist, daß erweiterte Handlungsspielräume für einzelne Gemeinden im Rahmen von Experimentierklauseln stets nur eine Übergangsphase darstellen können und daß sich bereits
frühzeitig die Frage nach dem "Was kommt nach der
Experimentierklausel?" stellt. Experimentierklauseln sind - wie ihr Name schon sagt - nur dann zu rechtfertigen, wenn sie Reformexperimente fördern, die sodann zu generellen
Reformulierungen von rechtlichen Regelungen führen (oder
ausnahmsweise auch die alte Rechtslage bestätigen). Es sollte daher folgender Grundsatz gelten: Möglichkeiten zum flexiblen (Finanz-) Management in Verwaltungen sind soweit wie irgend möglich im geltenden Recht, also bspw. in den jeweiligen GemHVO's zu schaffen und nur als zweitbeste Lösung im Rahmen von Experimentierklauseln.
Inzwischen haben nahezu alle Flächenstaaten
Experimentierklauseln in ihr Kommunalrecht aufgenommen. Sieben der 13 deutschen Flächenstaaten haben derartige Klauseln in ihrer Gemeindeordnung verankert (Bayern, Hessen,
Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen- Anhalt und Schleswig-Holstein), 5 demgegenüber in der
jeweiligen Gemeinde-Haushaltsverordnung (GemHVO), ferner in weiteren haushaltsrechtlichen Vorschriften, etwa der Gemeinde- Kassenverordnung. Thüringen ist der einzige Flächenstaat, aus dem bislang keine derartigen Lockerungsregelungen bekannt sind. Obwohl sich die bisher bekannten Experimentierklauseln wie erwähnt schwerpunktartig auf das Haushaltsrecht
konzentrieren und insofern eine Regelung in der jeweiligen GemHVO hinreichend erscheint, spricht doch einiges für die Verankerung von Experimentierklauseln in der Gemeindeordnung eines Landes. Zum einen wird im Falle einer gesetzesförmigen Lockerung das Parlament beteiligt, zum anderen bietet die Gemeindeordnung auch Lockerungsmöglichkeiten außerhalb des engen Bereichs des Haushaltsrechts.
Im Kern geht es bei den kommunalen Experimentierklauseln vor allem um folgende Regelungssachverhalte:
(1) Abweichungen vom Grundsatz der Gesamtdeckung, insbes.
Zweckbindung bestimmter Einnahmen: Im Rahmen der Budgetierung ergibt sich in vielen Kommunen die Notwendigkeit, vom
Grundsatz der Gesamtdeckung abzuweichen. Ein häufig geäußertes Argument ist die Reservierung von Mehreinnahmen für
zusätzliche Ausgaben in einer Organisationseinheit,
insbesondere wenn sie durch "gutes Management" verursacht
sind. Die bislang sehr restriktive Handhabung der Zweckbindung bietet offenbar zu geringe Anreize in den Kommunen,
Mehreinnahmen zu erzielen und damit wirtschaftlicher zu
handeln. Auf der anderen Seite muß akzeptiert werden, daß die Gesamtdeckung für eine flexible Finanzwirtschaft in einer
Gemeinde unverzichtbar ist, um z.B. bei unerwartet gestiegenen Ausgaben in einem Bereich (Bsp. Sozialhilfe) Mittel aus
anderen Bereichen abziehen zu können und der Gefahr der Unterfinanzierung zu begegnen. Der Zielkonflikt zwischen
Manövrierfähigkeit und Eigeneinnahmen-Verwertung bleibt daher wohl unaufhebbar. Insgesamt ist festzustellen: Obwohl die Regelungen in den meisten GemHVO's zur Zweckbindung von Einnahmen eine gewisse Flexibilität gewährleisten, gibt es Bedarf nach größerer Flexibilität bei Budgetierung. Daher werden bspw. in NRW oder in Baden-Württemberg Anträge von Gemeinden zur Zweckbindung aller Einnahmen eines Budgets zur Deckung aller Ausgaben dieses Budgets im Rahmen von
Experimentierklauseln genehmigt. Es ist zu erwarten, daß zukünftige GemHVO's in den Ländern budgetierungsbedingte
Zweckbindungen bei Anbringung entsprechender Haushaltsvermerke zulassen werden.
(2) Ermöglichung von Deckungsfähigkeit zwischen einzelnen Ausgabeansätzen: Bisher gilt im Haushaltsrecht der Grundsatz der sachlichen Bindung, d.h. der Einzelveranschlagung von
Ausgaben für bestimmte Zwecke. Dieser die Haushaltstransparenz (etwa für die Politiker) sichernde Grundsatz erschwert eine flexible Budgetwirtschaft erheblich. Die Kommunen fordern daher in verschiedener Hinsicht eine Lockerung des
Sachbindungsprinzips und damit eine Ausweitung der - auch bisher partiell gemäß GemHVO-Regelungen zulässigen -
Deckungsfähigkeit. Die GemHVO's lassen Deckung von Ausgaben bisher im wesentlichen nur zu, "wenn sie sachlich
zusammenhängen" (§ 18 Abs. 2 GemHVO NRW), teilweise wird sogar ein "enger sachlicher Zusammenhang" gefordert (z.B. § 17 Abs.
2 GemHVO Bbg). Dabei wird in traditioneller Sicht auf
gleichartige Ausgabearten (z.B. Lernmittel an verschiedenen Grundschulen) abgestellt. Unter Budgetierungsaspekten wird es aber viel wichtiger, an eine Deckung verschiedener
Ausgabearten innerhalb einer Kostenstelle (oder größerer Einheiten) zu denken. Bei der Budgetierung bedeutet das etwa die gegenseitige Deckung der Lernmittelausgaben mit den
Energieausgaben in der gleichen Schule. Diese Lesart von
"sachlicher Zusammenhang" entspricht zwar nicht der
traditionellen Auslegungspraxis, ist aber im Hinblick auf neuzeitliches Verwaltungsmanagement wesentlich sachgerechter.
Bei einem Umdenken der Aufsichtsbehörden wäre hier insofern gar keine Experimentierausnahme erforderlich, sondern es würde
das bestehende Recht angewendet werden. Bisher läuft diese Erweiterung der Deckungsfähigkeit jedoch offenbar über nur Ausnahmeregelungen im Wege von Experimentierklauseln.
(3) Ermöglichung der Übertragbarkeit von Ausgabeansätzen in Folgejahre: Die Forderung nach Mittelübertragbarkeit gehört unabhängig von Modernisierungsprogrammen seit jeher zum
Kernbestand von Reformansätzen. Man verspricht sich davon eine Eindämmung des bekannten "Dezemberfiebers". Die geltenden
Rechtsvorschriften sehen eigentlich auch eine Übertragbarkeit vor, wenn sie "eine sparsame Bewirtschaftung der Mittel
fördert" (§18 Abs. 2 GemHVO Bbg). Indes wird diese Norm traditionell von den Aufsichtsbehörden sehr restriktiv ausgelegt und es kann jeweils nur per Haushaltsvermerk für einzelne konkret definierte Ausgabearten deren Übertragbarkeit vorgesehen werden. Für die Budgetierung reicht dies nicht aus, weshalb per Ausnahmegenehmigung in einigen Bundesländern die komplette Übertragbarkeit von Ausgaben in einem Budget - teilweise sogar über das nächste Haushaltsjahr hinaus - erlaubt wird. Teilweise wird dabei eine Quotierung von Übertragungen vorgenommen (z.B. nur 80% nichtverbrauchter Mittel), um Einspar-"Renditen" für die Gesamtkommune zu erzielen.
(4) Bildung von Sonderrücklagen bzw. Rückstellungen: Im Zuge der Budgetierung erweist es sich als notwendig, für bestimmte Budgets Rücklagen zu bilden, um Mittel für künftige Ausgaben zu reservieren. Das widerspricht z.T. den Regelungen der
GemHVO, die Sonderrücklagen nur für bestimmte Ausgabearten und ansonsten die Vorrangigkeit der allgemeinen Rücklage der
Gemeinde vorsehen (z.B. § 19 GemHVO Bbg). In einigen Ländern sind daher Ausnahmen für budgetierende Gemeinden ermöglicht worden.
Zwischenbilanz zur Anwendung von Experimentierklauseln
Experimentierklauseln ermöglichen bestimmte Reformmaßnahmen, d.h. Effizienzgewinne und Einsparungen können sich mittelbar dann ergeben, wenn auf der Grundlage erweiterter
Handlungsspielräume verantwortungsvoller und kostenbewußter gewirtschaftet wird. Erste Erfahrungsberichte - z.B. aus NRW und BW - berichten von konkreten Einspareffekten und
"Effizienzrenditen" in budgetierten Bereichen. Des weiteren wird auf ein Nachlassen des "Dezemberfiebers" hingewiesen.
Weitere Positiveffekte können darin gesehen werden, daß die Experimentierklauseln das Lernen von Reformverwaltungen
fördern und "kontrollierte Versuche" im "Versuch-und Irrtum"- Prozeß ermöglichen. Hinzu kommt, daß einige Kommunalaufsichten im Reformprozeß ihr tradiertes Rollenverhalten geändert haben:
Vom Kontrolleur zum Betreuer und Berater von Kommunen. Dies macht zugleich eine Erfolgsbedingung deutlich: Ohne ausgiebige Information und Betreuung der experimentierenden Kommunen, aber auch ohne die Auswertung der Erfahrungen und Umsetzung in entsprechende Rechtsänderungen ist die Verabschiedung von
Experimentierklauseln wenig sinnvoll.
Bei einer Bilanzierung der Erfahrungen muß indes auch auf bestehende Problemlagen hingewiesen werden. Zunächst ist auf einen generellen Aspekt hinzuweisen: Werden durch
Experimentierklauseln gesetzesfreie Zonen geschaffen und kommt es zu einem allgemeinen Verlust an Rechtsstaatlichkeit, wie manche Fachleute befürchten? Die meisten Rechtsexperten kommen hier zu einer eher optimistischen Einschätzung und erklären die Experimentierklauseln - zumindest unter bestimmten
Bedingungen - für verfassungsgemäß und rechtmäßig. Die
bekannten Haushaltsgrundsätze sind im übrigen seinerzeit mit einer bestimmten Zielsetzung in die Welt gesetzt worden. Sie sichern bspw. die für die Politik (Gemeindevertretung) nötige Transparenz des Verwaltungshandelns. Wird die Exekutive dazu ermächtigt, Ausgabenansätze beliebig hin und her zu schieben (sachlich und/oder zeitlich), bedeutet das prinzipiell
Transparenzverlust für die Legislative, der durch andere Maßnahmen aufgefangen werden muß. Insofern muß Flexibilität für die Verwaltung auf der Inputseite durch erhöhte
Transparenz und Rechenschaftslegung gegenüber der Politik auf der Outputseite wettgemacht werden. Auch das - bspw. in
Brandenburg besonders betonte - Argument der Gefährdung der Haushaltskonsolidierung ist nicht völlig abwegig: Gerade bei Kommunen mit unausgeglichenem Haushalt muß sichergestellt werden, daß Defizite nicht durch flexible Haushaltswirtschaft verschleiert und "ad infinitum" verschoben werden, sondern daß durch Budgetierungsansätze u.ä. erreicht wird, daß bisher
unterentwickelte Einspar- und Effizienzpotentiale mobilisiert und dadurch vorhandene Defizite abgebaut werden.
Umstritten ist, inwieweit die Kommunen in Ostdeutschland restriktiver als die in den altern Ländern behandelt werden müssen. was offenkundig der Fall ist. Häufig wird das etwas lapidar mit dem Hinweis auf den mangelnden "Reifegrad" des dortigen Verwaltungspersonals erklärt. Man argumentiert, daß man erst dann experimentieren könne, wenn man zuvor die "alte"
Praxis souverän beherrsche. Betrachtet man rückblickend den Auf- und Umbauprozeß der Kommunalverwaltung in den neuen Ländern, so ist es dabei ohne Zweifel zu einigen Pannen und Fehlentwicklungen gekommen, deren Folgen gegenwärtig
schmerzhaft spürbar sind. Beispielhaft sei auf das
Mißmanagement im Zusammenhang mit der Gründung und dem Betrieb von Abwasserzweckverbänden - z.B. in Brandenburg - verwiesen.
Dennoch kann das Argument in dieser Pauschalität nicht als stichhaltig gewertet werden. Per Saldo spricht einiges dafür, den mit der Ingangsetzung von Experimentierklauseln
verbundenen Aufklärungs-, Beratungs- und Auswertungsprozeß gegenüber den Kommunen in den neuen Ländern besonders zu betonen. Das impliziert auch erhebliche
Fortbildungsaktivitäten.
Zukünftige Perspektiven
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß
Experimentierklauseln stets nur für eine experimentelle
Übergangszeit - für die "Zeit dazwischen" - sinnvoll sind und daß sie eine endgültige Anpassung des Rechtsrahmens nur
begrenzt aufhalten können. Experimentierklauseln können
demzufolge nur dann als "Schleusen in die Zukunft" fungieren, wenn während der Experimentierphase ein intensiver - vom Land und den Kommunalverbänden unterstützter - Lern- und
Erfahrungsaustauschprozeß stattfindet, der letztlich zu einem kontrollierten Einüben in die neue Praxis beiträgt. Die
während des "Ausnahmezustands" weiterlaufende Reform sollte im Regelfall dazu führen, daß am Ende der Experimentierphase die Rechtslage an die neue Praxis angepaßt ist, damit die
Reformkommunen nicht in den status-quo-ante zurückfallen müssen.
Zukünftig wird es deregulierte kontrollierte Erprobungsphasen neben dem Haushaltsrecht sowohl im Organisations- und
Personalrecht wie auch in den verschiedenen Politikfeldern geben. Ferner sind im Bereich des Haushaltsrechts angesichts der kommunalen "Revolutionen" in den Kämmereien demnächst erhebliche rechtliche Anpassungsprozesse zu erwarten (GemHVO- Novellierung usw.). Konsequenzen sind auch vom
Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetz des Bundes vom
22.12.1997 zu erwarten. Ebenso starker Änderungsbedarf besteht jedoch zweifellos in den Kommunalverfassungen, die insgesamt noch keineswegs der Logik der "neuen Steuerung" gehorchen. Im Endeffekt ist an das Motto der derzeitigen Verwaltungsreformen auf Bundesebene anzuknüpfen: "Schlanker Staat" bedeutet in der regelgesteuerten deutschen Verwaltung in erster Linie Abbau der Regelungsflut und Umdenken von einer weitgehenden
Regelsteuerung zu stärkerer Ergebnis- und Marktsteuerung. Dazu können Experimentierklauseln beitragen, wenn sie umfassende Lernprozesse und einen Kulturwandel in den Amtsstuben
ermöglichen.