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Archiv ". . . mit Entsetzen Scherz: Rauchertote sind nur die Spitze des Eisbergs" (27.08.2001)

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Rauchertote sind nur die Spitze des Eisbergs

Die Kritik an der WHO mit ihrer TFI („Tobacco free Initiative“) ist nicht überzeugend. Ob die 94 Texte zum The- ma Rauchen nun aus den Jahren 1999 und 2000 oder aus den Jahren 1996 ff.

stammen, ist nicht gravierend. Denn völlig neue Methoden zum Aufdecken der Mortalität infolge Zigarettenkon- sums sind in den letzten beiden Jahren nicht aufgekommen.

Auch die Kritik, dass die WHO-Da- ten zur weltweiten Raucherpopulation

„schwankend“ zwischen 1,1 und 1,2 Milliarden betragen, ist marginal. Das gilt auch für die Zahl der Rauchertoten von vier Millionen pro Jahr beziehungs- weise schätzungsweise 100 Millionen Rauchertoten im 20. Jahrhundert.

Denn: Auch die Hälfte oder weniger sollten als Katastrophe gewertet wer- den. Die Forderung an die WHO, mit statistischen Angaben nicht zu großzü- gig umzugehen, ist berechtigt, um nicht deren Glaubwürdigkeit zu gefährden.

Aber damit zugleich die Unterstellung vorzunehmen, die WHO „treibe mit dem Entsetzen Scherz“ – bezogen auf Rauchertote –, ist sicherlich absurd.

Ich wünsche mir, dass andere Dimen- sionen gesellschaftlicher Schäden des Rauchens zu weiteren WHO-Themen würden. Denn Rauchertote sind nur die Spitze des Eisbergs „ökonomischen Unheils“ durch Rauchen.

Zum Verständnis eine Studie bei der US-Luftwaffe von 1997: Von den dor- tigen Angestellten seien 25 Prozent

Raucher, die Kosten von 107 Millionen Dollar jährlich verursachen. Davon sind 20 Millionen für medizinische Versor- gung und 87 Millionen Dollar Unkosten durch Fehltage. Diese Relation 1 zu 4 zulasten der Arbeitswelt spricht für mehr betriebliches Interesse an wirt- schaftlichen Schäden durch Rauchen.

Wenn in den USA 6 bis 12 Prozent der Ausgaben im Gesundheitswesen durch Folgen des Nikotinkonsums ver- ursacht werden, dann müssten die höheren Fehlzeiten durch Rauchen ei- gentlich die Wirtschaft zum Kampf ge- genüber diesen Kosten herausfordern.

Eine schottische Studie bestätigte die höheren Fehlzeiten am Arbeitsplatz bei Rauchern gegenüber Nichtrau- chern. Die dadurch entstehenden Ko- sten wurden auf 40 Millionen Pfund pro Jahr geschätzt, der jährliche Produkti- onsverlust auf 450 Millionen Pfund pro Jahr. Dieser Faktor 11 müsste betriebs- wirtschaftlich mehr Interesse finden. Ist es bei solchen Nikotinfolgekosten noch betriebswirtschaftlich zeitgemäß, starke Raucher einzustellen? Betriebe könn- ten heute bei Neueinstellungen dazu einfache Schnelltests benutzen. Damit ist Cotinin als wesentlicher von 20 Ni- kotin-Metaboliten erfassbar. Die Coti- nin-Halbwertszeit beträgt circa 17 Stun- den. Dies könnte als Raucher-„Biomar- ker“ für Screening-Zwecke verwendet werden bei arbeitsmedizinischen Un- tersuchungen. Beschäftigte mit hohem Cotinin und zugleich hohen Fehlzeiten könnten zur Raucherentwöhnung ver- pflichtet werden. Solche Vorschläge werden sicher Empörung auslösen!

Keine Empörung löst dagegen aus, dass über 60 Prozent der Krebstodes- fälle bei Rauchern auf Nikotinkonsum zurückzuführen sind. Wer trägt die Ko- sten dafür? Warum gilt hier nicht das Verursacherprinzip bezüglich Scha- densfolgen? Immerhin Dreiviertel der Krebstodesfälle unter Rauchern sollen vermeidbar sein. Diese Aussage des britischen Epidemiologen J. Peto wur- de im Wissenschafts-Journal „Nature“

abgedruckt. Solche Daten länderbezo- gen und schließlich global weiter hoch- zurechnen hinsichtlich volkswirtschaft- lichem Schaden, wäre eine lohnendere Aufgabe, als darüber zu lamentieren, dass die WHO über China mit über 1 000 Millionen Einwohnern keine ex-

akten Raucherangaben mit Folgeschä- den macht.

Als Lobbyist für die Zigarettenindu- strie würden mir kreativere Argumente einfallen, zum Beispiel „Kampf den Passiv-Rauchern“, die kein Geld für Zigaretten ausgeben wollen, aber be- eindruckend am Zigarettenkonsum an- derer „partizipieren“ (mit Gesund- heitsschäden und ebenfalls höheren Fehlzeiten).

Prof. Dr. med. J. Matthias Wenderlein, Universitätsfrauenklinik Ulm,

Prittwitzstraße 43, 89075 Ulm

Chance verpasst

Nicht . . . „dem Entsetzen Scherz“, son- dern entsetzlicher Schmerz hat sich bei mir nach dem Lesen des zitatreichsten und inhaltsärmsten jüngsten Aufsatzes zur Frage der Glaubwürdigkeit interna- tionaler WHO-Daten eingestellt.

H.-J. Maes präsentiert eine „kriti- sche Analyse“ des von der WHO zum Thema „Rauchen-assoziierte Morbi- dität und Mortalität“ präsentierten Da- tenmaterials. Hierbei legt der Autor Bewertungsmaßstäbe an, die Empfeh- lungen der „good scientific practise“

entstammen. Problematisch ist dieser Ansatz insofern, als er ungeachtet der Wichtigkeit eines korrekten Umgangs mit Datenmaterial von falschen Vor- aussetzungen ausgeht.

Die Erstellung von Gesundheitsre- ports auf weltweiter Ebene beinhaltet per se ein gravierendes Unsicherheits- potenzial; zu erwähnen sind hier die Unsicherheit demographischer Erhe- bungen, die hochproblematische Ver- gleichbarkeit internationaler Popula- tionen, die zu betrachtenden kaum defi- nierbaren Endpunkte, ja sogar die Schwammigkeit der Variable „Rau- chen“ selbst. Dementsprechend zählt es zu den schwierigsten Fragestellungen der Epidemiologie, im Rahmen ge- sundheitspolitischer Aktionsprogram- me aus sehr heterogenem Datenmateri- al Prognosen und Hochrechnungen auf weltweiter Ebene abzuleiten. Interna- tionale Organisationen wie die WHO sind sich dieser Problematik bewusst, müssen dennoch im Rahmen ihres Auf- trags und verfügbarer Mittel gesund- heitspolitische Ziele definieren und T H E M E N D E R Z E I T

A

A2158 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 34–35½½½½27. August 2001

zu dem Beitrag

World Health Organization (WHO)

. . . mit Entsetzen Scherz

von

Hans-Joachim Maes in Heft 25/2001

DISKUSSION

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verfolgen. Statt jedoch diese Zusam- menhänge sachlich zu diskutieren, po- lemisiert der Autor gegen die WHO und wirft ihr schlampigen Umgang mit Datenmaterial vor, dessen Genese und Schwierigkeit er selbst offensichtlich nicht verstanden hat.

Impetus und Sinn dieser Abhand- lung bleiben genauso unklar wie der fachliche Hintergrund des Autors und sein berufliches Interesse am Thema.

Die pseudowissenschaftliche Darstel- lung erinnert jedoch fatal an entspre- chende Öffentlichkeitsarbeit der ameri- kanischen Tabakindustrie, die seit Mit- te der 80er-Jahre versucht, durch un- saubere methodische Kritik die Anti- Rauchen-Initiativen der US-Gesund- heitsbehörden zu diskreditieren.

Fazit: Schade, dass eine Chance verpasst wurde, ein wichtiges „public health“-Thema angemessen zu disku- tieren – schade, dass sich das DÄ wohl- meinend, aber unkritisch vor diesen Karren spannen lässt.

Dr. med. Claudia Rose, M.P.H., Wingerts Au 64,

68259 Mannheim

Glaubwürdigkeit verteidigen

. . . Nach Ansicht von Norbert Jachertz, seines Zeichens Chefredakteur des DÄ, geht es um die Glaubwürdigkeit der WHO an sich. Auch ein guter Zweck würde es nicht rechtfertigen, lax mit Fak- ten umzugehen. Wie wahr. Aber bitte, auch das DÄ sollte eine gewisse Glaub- würdigkeit verteidigen, zum Beispiel in- dem es auf die fachliche Qualität seiner Beiträge achtet. Wer nur eine entfernte Vorstellung vom Umgang mit Zahlen in Bezug auf die Weltbevölkerung hat, soll- te wissen, dass es völlig müßig ist, sich darüber zu streiten, ob aktuell 1,1 oder 1,2 Milliarden Raucher leben, ob jährlich vier Millionen oder in den nächsten 20 Jahren mehr als 100 Millionen Men- schen an den Folgen des Rauchens ster- ben. Gleichfalls ist es überflüssig, abso- lute Zahlen ohne Nennung eines Be- zugszeitraums als vermeintlich wider- sprüchlich nebeneinander zu stellen.

Als „Krönung“ konstruiert der Au- tor in den letzten Absätzen seines Arti- kels einen nicht nachvollziehbaren Wi-

derspruch: Nach dem Zitat der Äuße- rung einer WHO-Direktorin „Einer von drei chinesischen Männern unter 30 wird schließlich an tabakbezogenen Krankheiten sterben –, nicht im hohen Alter, sondern im mittleren Alter“, be- hauptet der Autor, in keinem der „Ent- wicklungsländer“ werde das „mittlere Alter von 69 Jahren überhaupt erreicht:

die Menschen sterben früher, in China die Männer mit 68,1 Jahren . . .“.

Meint er, dass alle Menschen in China nach weniger als 69 Lebensjah- ren tot sind und deshalb das Rauchen kaum schaden könnte? . . .

Dr. med. Thomas Grobe, M.P.H., Maneckestraße 6, 30625 Hannover

Typisch für die Wirrnisse der WHO in den letzten Jahren

Dem Autor Maes ist sicher zu danken, die häufig variierten Zahlen der WHO zum Rauchertod zusammengestellt zu haben und damit die schon lange be- kannte Glaubwürdigkeitsproblematik auf recht sachliche Beine zu stellen.

Sein Beitrag ist typisch für die Wirrnisse der WHO in den letzten Jahren. Ja, es stimmt: Die Tabakindustrie variiert ihre Behauptungen kaum und hat da- mit einen jahrzehntelangen Glaubwür- digkeitsvorsprung: „Passivrauchen ist (mehr oder weniger) unschädlich“, ist da nur ein Beispiel. Man kann es sich offenbar auch leisten, als Industrie teu- re „Werbekampagnen“ bei VIVA und MTV gegen (!) das Rauchen mit „Wer- bespots“ zu starten, die vorgeschoben transportieren sollen, unter 18 Lebens- jahren sei Rauchen nicht sinnvoll, über 18 Jahren könne man sich jedoch „frei“

fürs Rauchen entscheiden. Dies schä- digt den Zigarettenabsatz ohnehin nicht: Der Lehrer einer siebten Klasse, die gerade eine Freistunde mit kollekti- vem Qualmen verbrachte, berichtete mir trocken, genau 100 Prozent seiner Schüler seien Raucher. Je schwächer die WHO, je dreister die Industrie.

Die Unterwanderungsversuche der WHO durch jahrzehntelange intensive Aktivität der Industrie (Tobacco Com- pany Strategies to Untermine Tobacco Control Activities, WHO July 2000) zeigten wenigstens, dass man die WHO noch ernst nimmt. Natürlich ist zuzuge-

stehen, dass diese Zahlen per se kaum besonders genau erfasst werden kön- nen. Beim Rauchertod in den zahlen- mäßigen Dimensionen eines Völker- mordes ist keine genaue Erfassung weltweit möglich. Jedoch scheinen sol- che Zahlenangaben, die regelmäßig va- riiert werden, doch arg der öffentlichen Kampagne zu schaden.

Was fehlt der WHO? Offenbar eine qualifizierte interne wissenschaftliche Erfassung und Dokumentation ebenso wie eine PR, die dieses Zahlenfunda- ment glaubhaft herüberbringt, um Wir- kung zu zeigen. Zielgruppenspezifische Variation solcher Zahlen diskreditiert die WHO leider vollständig. Da hat der Autor Maes wirklich Recht.

Manche vermuten die Ursache des Desasters in mangelnden finanziellen Möglichkeiten der WHO. Nun, man kann auch mit wenig Mitteln glaubhaft sein und gute Öffentlichkeitsarbeit lei- sten. Peinlich, peinlich: Auch Autor Maes hatte offenbar Probleme, über- haupt die Dateien herunterzuladen oder separat geschickt zu bekommen.

Auf so manche Zusendung warte auch ich immer noch. Jemanden dort telefo- nisch zu erreichen, ist ohnehin arg schwierig. Eine professionelle Art, ma- ximal möglichen Erfolg mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu errei- chen, ist das nicht. Vielleicht erbarmt sich einmal ein Doktorand und versucht eine genaue Analyse der Situation.

Mein persönliches Fazit: Die WHO ist wohl zurzeit kaum in der Lage, den organisierten Tabakherstellern adäquat Paroli zu bieten, und leistet in diesem Zusammenhang eher Bärendienste. Ob es sogar mehr schadet denn nützt?

Gerhard Schuster,

PRESSpool (R)- Das Redaktionsbüro, Pestalozzistraße 23, 55283 Nierstein

Horrende

Zahlenmanipulation

Es ist mutig und verdienstvoll, wenn H.- J. Maes die horrenden Zahlenmanipu- lationen der WHO aufdeckt und be- nennt. „Der laxe Umgang mit Fakten schadet der Glaubwürdigkeit der WHO, auch auf anderen Gebieten.“ So wird der fehlerhafte Umgang mit Ge- sundheitsdaten durch die WHO bei der T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 34–35½½½½27. August 2001 AA2159

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weltweiten Ausrottungsstrategie der Masern zu einer folgenschweren Ent- wicklung führen. Mit der angeblichen Häufigkeit der Masern-Encephalitis 1 zu 1 000 wird „mit Entsetzen Scherz getrieben“. Sie beträgt im Kindesalter allenfalls 1 zu11 – 15 000, ist aber das Hauptargument für die Einführung dieser Strategie. Wenn die WHO als

„führende Agentur für Public Health“

der Welt und in der Folge die nationa- len Institutionen, wie bei uns STIKO und RKI, erreicht, dass durch Maximal- Propaganda Epidemien zunächst unter- drückt werden, bleiben doch in jedem Geburts-Jahrgang 10 Prozent oder mehr Ungeimpfte. Dazu kommen noch die Impfversager. Nach einer gewissen masernfreien Zeit wird dann durch Ein- schleppung eine Epidemie auftreten, jetzt aber auch unter Erwachsenen, die weit höher gefährdet sind als Kinder (zehnfach höhere Todesraten und Ma- sern: Masern-Encephalitis 1 zu 500).

So entstehen aus einer falschen Zahl für einen Rest in der Bevölkerung Ge- fahren, über die man in der medizini- schen Öffentlichkeit heute noch nicht spricht. Als erste Konsequenz aus die- ser auf falscher Grundlage beruhenden Ausrottungsstrategie der WHO stehen jetzt im deutschen Infektionsschutzge- setz die Masern neben den mit hoher Letalität behafteten Cholera, Pest und Tollwut. Namentliche Meldepflicht, Möglichkeiten der Quarantäne und Riegelungsimpfungen, mithin Ein- schränkung der körperlichen Unver- sehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) sind jetzt auch bei Masern Gesetz.

Es ist nicht die Frage, ob eine Epide- mie kommt, sondern nur, wann sie kommt. Die anfangs geglaubte Mög- lichkeit der weltweiten Ausrottung wird auch heute schon von mehreren Impfexperten angezweifelt. Abgesehen von der epidemiologischen Entwick- lung gibt es noch weitere schwerwie- gende Folgerungen aus diesem Eingriff in die epidemiologische Lage. Wir ha- ben gerade die panischen Reaktionen mit der MKS erlebt, wenn nach einem krankheitsfreien Intervall von zehn Jahren ein Virus durch ein australisches Wurstbrot eingeschleppt wird.

Dr. Harald von Zimmermann, Richard-Wagner-Straße 16, 50999 Köln

Zahlenspiele auch in anderen Themenbereichen

Inkonsistente und irreführende Zah- lenangaben der WHO sind leider kein Einzelfall:

Im Tuberculosis Handbook der WHO von 1998 wird noch von 2,73 Mill.

Toten durch Tuberkulose im Jahr 1995 und 3,0 Mill. projizierten Toten im Jahr 2000 berichtet, während aktuelle Anga- ben aus der Internet-Seite der WHO die Zahl der Toten im Jahr 1999 auf 1,669 Mill. schätzen. Auch hier also wird mit schockierenden Zahlen recht großzügig umgegangen.

Leprahilfswerke wie das Deutsche Aussätzigen-Hilfswerk DAHW werden in ihrer Öffentlichkeitsarbeit massiv durch Publikationen der WHO behin- dert, in denen von einer unmittelbar be- vorstehendern oder gerade stattgehab- ten „Elimination“ der Lepra die Rede ist. Laut Angaben der WHO selbst (Weekly Epidemiological Record vom 8.

Juni 2001) wurden im Jahr 2000 weltweit 631 000 neue Leprapatienten aufge- spürt. Zudem seien am 31. Dezember 2000 weltweit 618 000 in Behandlung be- findliche Leprapatienten registriert ge- wesen. Kurz zuvor, am 16. Mai, teilte die WHO in einer Pressemitteilung mit, die

„globale Last“ der Krankheit sei unter den Wert von 1/10 000 Einwohner gefal- len. Damit sei das Ziel der „Eliminati- on“ der Lepra erreicht. Diese Mitteilung lässt folgende Tatsachen weitestgehend außer Acht:

❃ Die Zahl der am jeweiligen Jahres- ende registrierten Leprapatienten dient der WHO als Maßstab für die „Elimi- nation“ der Lepra. Er ist zu einem Zeit- punkt gewählt worden, als viele Patien- ten noch lebenslang oder über viele Jahre behandelt wurden. Heutzutage werden die meisten Patienten nur noch sechs bis zwölf Monate therapiert und erscheinen dann nicht mehr im Regi- ster. Dieser Effekt – das Aussortieren von Millionen von Patienten aus diesen Registern – ist wesentlich für die absin- kende Zahl am Jahresende registrierter Fälle verantwortlich.

❃ Ungeachtet dessen werden seit den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts jährlich über 500 000 neue Patienten entdeckt. Der von der WHO für das Jahr 2000 benannte Wert von 631 000

neuen Fällen ist der fünfthöchste in der Geschichte der Menschheit.

❃ Wie die WHO selbst in den Fuß- noten des Weekly Epidemiological Re- cord einräumt, sind gerade die Daten aus den hochendemischen Ländern In- dien und Brasilien unvollständig. Diese Information kann das Deutsche Aus- sätzigen-Hilfswerk bestätigen.

❃ Weiterhin entspräche die „regi- strierte Prävalenz“ der Fälle am 31. De- zember 2000 bei einer von der UNO an- gegebenen Weltbevölkerung von 6,055 Mrd. einem Wert von 1,02/10 000 Ein- wohner und läge damit über dem von der WHO selbst vorgegebenen Ziel der Elimination.

Zusammenfassend kann festgehal- ten werden, dass die Zahlen ein Arte- fakt darstellen, von bemerkenswert vie- len neuen Patienten berichten, unvoll- ständig sind und dem recht willkürlich festgelegten Ziel der Elimination nicht gerecht werden. Zahlen unsicherer Ver- lässlichkeit (reliability in der Sprache der Epidemiologen) höhlen natürlich die Aussagekraft darauf aufbauender Schlussfolgerungen aus. Dies Phäno- men ist umso bedenklicher, als die Weltgesundheitsorganisation die Füh- rungsrolle in der medizinisch-techni- schen Beurteilung von Gesundheits- problemen beansprucht.

Es stellt sich somit in Übereinstim- mung mit dem Beitrag auch in anderen Themenbereichen tatsächlich die Fra- ge, inwieweit die WHO Zahlenspiele mit menschlichen Schicksalen vor- nimmt, um bestimmte Ziele zu verwirk- lichen beziehungsweise sich selbst zwei- felhafte Erfolge zu bescheinigen.

Andreas Kalk,

Deutsches Aussätzigen-Hilfswerk e.V., Marianhillstraße 1c, 97074 Würzburg

Über Nikotinabhängigkeit wird wenig berichtet im DÄ

Maes wirft in seinem Artikel der WHO fahrlässigen Umgang mit Gesundheits- daten vor. Unter anderem schreibt er, dass „die Angaben der WHO/TFI um jeweils 100 Millionen Raucher schwan- ken“ würden und nennt fünf Beispiele, bei denen die Zahl zwischen 1,1 und 1,2 Mrd. schwankt. Finden auch Sie das im Ernst stark schwankend? Meinen Sie T H E M E N D E R Z E I T

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A2162 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 34–35½½½½27. August 2001

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wirklich, dass dieser Artikel für Ihre Le- ser, die deutschen Ärzte, relevant ist?

In Ihrer Anmerkung zu diesem Arti- kel schreiben Sie, „dass auch ein guter Zweck es nicht rechtfertigt, lax mit Fak- ten umzugehen“. Gleichzeitig wehren Sie sich gegen den Vorwurf, raucher- freundlich zu sein. Tatsache ist jedoch, dass im DÄ auffallend wenig berichtet wird über die Nikotinabhängigkeit, ei- nes der großen Probleme auch im ärztli- chen Bereich. Beispielsweise wurde von Ihrer Redaktion mein Manuskript

„Modellsucht Nikotinabhängigkeit und der Suchtbegriff der ICD-10“ am 30.

November 2000 wegen des angeblich hohen Manuskriptbestands – offenbar ungelesen – zurückgeschickt.

Dr. med. Bert Kellermann, Ehrenbergstraße 35, 22767 Hamburg

Kindersterblichkeit beeinflusst Lebenserwartung

Herr Maes kritisiert, dass die Schätzun- gen der WHO zum weltweiten Rauch- verhalten inkonsistent sind; zweitens, dass die Prognosen zur Entwicklung der Zahl der Rauchertoten in den näch- sten Jahrzehnten laufend verändert werden; und drittens, dass Männer in den so genannten Entwicklungsländern aufgrund der niedrigen Lebens- erwartung das „mittlere Alter“ von 69 Jahren gar nicht erreichten, vor dem sich laut Prognose der WHO die Hälfte aller Todesfälle aufgrund des Rauchens ereignen würden.

Zum ersten und zweiten Punkt möch- ten wir anmerken, dass aufgrund des Mangels an Daten aus Entwicklungslän- dern eine genauere Abschätzung der Rauchprävalenz weltweit derzeit nicht möglich ist; noch schwieriger ist die Vor- aussage der Anzahl von Toten durch das Zigarettenrauchen in den kommenden Jahrzehnten. Je nach verwendeter Da- tengrundlage und Modellierungstechnik ergeben sich unterschiedliche Schätzun- gen. Dies ändert aber nichts an der durch zahlreiche Studien belegten Tatsache, dass das Rauchen mit einer Reihe von Erkrankungen und vorzeitigen Todesfäl- len assoziiert ist. Weiterhin besteht späte- stens seit der Publikation der „Global Burden of Disease-Studie“ bei Fachleu- ten Einigkeit darüber, dass tabakassozi-

ierte Erkrankungen und Todesfälle auch in Entwicklungsländern massiv an Be- deutung gewinnen werden. Beim dritten Punkt argumentiert Herr Maes fehler- haft. Die durchschnittliche Lebenserwar- tung wird stark durch die Kindersterb- lichkeit beeinflusst und liegt dort beson- ders niedrig, wo die Kindersterblichkeit hoch ist – nämlich in Entwicklungslän- dern. Dies bedeutet allerdings nicht, dass ein Mensch, wenn er erst einmal das 15.

Lebensjahr erreicht hat, durchschnittlich schon mit 33 Jahren (Sierra Leone) oder mit 68 Jahren (China) stirbt.

Abschließend möchten wir auf be- kannt gewordene Strategien verweisen, mit denen die Tabakindustrie versucht, die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Public-Health-Relevanz des Rauchens infrage zu stellen. So wurde in einem in der Fachzeitschrift „The Lancet“ publi- zierten Artikel aufgezeigt, dass die Ta- bakindustrie erhebliche finanzielle Mit- tel aufwendet, um zum Teil über be- zahlte Wissenschaftler manipulierende Beiträge zu den epidemiologischen Zu- sammenhängen zwischen Tabakkon- sum und Gesundheitsrisiken in den Me- dien und in Fachzeitschriften zu platzie- ren. So plante alleine die Firma Philip Morris, bis zu sechs Millionen US-$ für eine Kampagne gegen die von der „In- ternational Agency for Research on Cancer (IARC)“ veröffentlichten Er- gebnisse zu den Risiken des Passivrau- chens auszugeben, dreimal mehr, als die IARC-Studie gekostet hat . . .

Dr. med. Oliver Razum, Dr. med. Olaf Müller, Hygiene-Institut, Tropenhygiene,

Im Neuenheimer Feld 324, 69120 Heidelberg

Dilemma des Autors

Die Abbildung zeigt Frau Brundtland vor einem Plakat mit Marlboro-Reitern und dem Schriftzug „Tobacco kills“.

Ganz richtig, dies ist ein „offenbar zu- sammengeklebtes Poster“. Wenn nun aber der Marlboro-Reiter selbst, wie bekanntlich schon geschehen, am Rau- cherkrebs der Lunge verstirbt, warum findet es der Autor dann bedenklich, solch ein Plakat zusammenzukleben?

Der Autor Hans-Joachim Maes steht vor einem Dilemma. Wenn er öffentlich erklären würde, dass seine „W+D Wis- senschaft und Dokumentation GmbH“

mit der Zigarettenindustrie in geschäft- licher Verbindung steht, ließe sich seine Intention entsprechend einschätzen.

Wenn er uns aber mitteilen würde, dass er von der Zigarettenindustrie keinen Pfennig bekommen hat, wie könnte er dann erklären, warum er diesen Artikel überhaupt geschrieben hat?

Prof. Dr. med. Rudolf Happle, Klinik für Dermatologie und Allergologie, Philipps-Universität Marburg, Deutschhausstraße 9, 35033 Marburg

Schlusswort

Wer missverstehen möchte, wird missver- stehen. Wer unsicher ist, lenkt ab – zum Beispiel mit Darlegungen, die mit dem Thema nichts zu tun haben (Prof. Wen- derlein, Dr. Razum und Dr. Müller). Wer sehr unsicher ist, macht den Autor zum Thema, auch zum Objekt von Verun- glimpfung (siehe die Schreiben von Frau Dr. Rose, Dr. Grobe, Prof. Happle).

Im Artikel ging es um die Daten von WHO und „Tobacco Free Initiative“

(TFI) zum Rauchertod. Kritikpunkte waren u. a.: Fehlen jeglicher Quellen- nachweise, unlogische, unschlüssige, widersprüchliche oder sich ausschlie- ßende Angaben.

Nachgehen sollte man den Hinweisen von Herrn von Zimmermann und Herrn Kalk, die in anderen Bereichen ebenfalls suboptimale Leistungen der WHO aus- gemacht haben. Herr Schuster stellt fest, der WHO fehle es an qualifizierter inter- ner wissenschaftlicher Erfassung/Doku- mentation sowie an PR. Dem stimme ich zu, verbunden mit meiner Einschätzung, dass die WHO solche Instrumente nicht ernsthaft anwenden will. Wissenschaft- lichkeit könnte höherwertige (= „politi- sche“) Ziele oder auch banale, wirt- schaftliche Anliegen gefährden. Der größte Teil des TFI-Etats kommt von Pharmaunternehmen; die WHO hat mit Industriegeldern sogar irreführende Produktwerbung finanziert. Dass bei solcher Prioritätensetzung das Wissen der WHO zum Rauchen sich als Sammel- surium konfuser Texte darstellt, sollte auch ganz Naive nicht überraschen.

Hans-Joachim Maes

W+D Wissenschaft + Dokumentation GmbH Saatwinkler Damm 42 a, 13627 Berlin Internet: www.wissdok.com T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 34–35½½½½27. August 2001 AA2163

Referenzen

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