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Der Mann mit der Kamera. Zur Kritik am dokumentarischen Realismus in Jean-Luc Godards Kurzfilm Caméra-oeil

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C^er Mann mit der Kamera. Zur Kritik am

dokumentarischen Realismus in Jean-Luc Godards Kurzfilm Camera-oeil

Regine Prange

dem Kaleidoskop der n überwiegend dokumentarischen Episoden des von Chris Marker Zitierten Kooperativ-Films Loin du Viet-nam (1967)." welche das Geschehen in Vietnam, Protest- und Unterstützungsaktionen in den USA, historische Aufnahmen aus Französisch- hrdochina und Streiks wie Protest im zeitgenössischen Frankreich zeigen, ragt Godards Bei­

trag Camera-oeil, der nach rund 50 Minuten Spieldauer eingefügt ist, heraus; nicht nur, weil er die Rolle des Intellektuellen bzw. des Künstlers im politischen Kampf problematisiert, also die Möglichkeit seiner Chance zum wirksamen Engagement hinterfragt. Diese Problema­

tik thematisiert auch schon der lange, von dem Schauspieler Bernard Fresson vorgetragene Monolog des Schriftstellers Claude Ridder im Beitrag Alain Resnais’, insofern er die innere Widersprüchlichkeit, ja die unwillentliche und unaufhebbare Verstricktheit der Protestbewe­

gung in den von ihr bekämpften Herrschaftsapparat eindringlich beschreibt.’ Wie um diese 1 Überarbeiteter Text eines Vortrags, der am 11.6.2008 im Rahmen der vom Kunstgeschichtlichen Institut der Goethe-Universität initiierten Reihe .Frankfurter filmhistorische Vorträge zum Thema ,Kino 68‘ im Deutschen Filmmuseum (DIF) gehalten wurde. Zum Ganzen des Films referierte Ralf M. Fischer. Ich zi­

tiere in Anm. 3 aus seinem mir vorliegenden Manuskript. Zur Kommentierung des Filmganzen siehe auch Thomas Thode: Loin du Viet-nam [Fern von Vietnam], 1967, in: Birgit Kämper und Thomas Thode (Hg.):

Chris Marker. Filmessayist, München 1997, S. 251-255. Einer ähnlichen Thematik war mein Referat über .Godard und die Selbstkritik des Kinos* für das von Gerhard Preyer initiierte Transdisziplinäre Gespräch der ProtoSociology am 10.7.2009 im Frankfurter Hilton gewidmet.

z Regie führten außer Godard Alain Resnais, William Klein, Joris Ivens, Agnes Varda und Claude Lelouch.

3 „In an unfortunately theatrical tableau, Resnais* ,intellectual‘, for example, dissects his own guilt: he remem- bers his relieved affection for the bubblegum-chewing GI‘s of the second World War, speaks sardonically of the 40,000,000 French anticolonialists, and characterizes Vietnam as the „first war everyone can see“ (on television), and yet do nothing about. He ruminates on the ineffectiveness of .Gustave*, a photo of a burned Japanes soldier, reprinted everywhere, which, in twenty years of Standing for the bestiality of war, has done nothing.“ Max KozlofF: Shooting at Wars, in: Film Quarterly, Vol. 21, no.2, Winter 1967/68, S. 27-31, hier S. 30. Ralf M. Fischer kommentiert die Sequenz: „Claude Ridder soll für einen Filmproduzenten eine Rezension über Herman Kahns Buch ,On Escalation* [das von der Eskalationsleiter und vom Atomkrieg handelt] aus dem Jahr 1965 schreiben. Er räsoniert gegenüber seiner stillschweigenden Frau über frühere Kriege, die Rolle der Amerikaner als Befreier im Zweiten Weltkrieg und über die Bedeutung von Vietnam.

Dabei wägt er Für und Wider ab: die allseits verbreitete ,Mode‘, die Vietnamesen zu unterstützen, und die Gräuel der Amerikaner - am Ende entscheidet er sich gegen die Rezension, wohl weil er sich überlastet fühlt und weil er nicht die Kraft oder den Mut aufbringen kann bzw. will, Stellung zu beziehen. Passender­

weise wird er bereits beim Abholen des Buches von einem vollen Bücherregal hinterfangen, womit auf eine letztlich zahnlose und infolgedessen verantwortungslose Bücherstubengelehrtheit verwiesen wird. Die­

sen Eindruck der Weltferne und einer ignoranten Gelehrtheit bekräftigen die langen Einstellungen seines Monologs, den er zu Hause im geschlossenen Raum führt.“ Resnais* Intention richtete sich nach eigenen Angaben allerdings darauf, dem Publikum in diesem Monolog eine „Selbstkritik des Films“ zu liefern. Ein ursprünglicher Plan zur Montage von Loin de Vietnam sah vor, den Monolog alle zehn Minuten wieder auf zunehmen. Erst bei der endgültigen Montage habe es Marker vorgezogen, die Sequenz als geschlossene zu Originalveröffentlichung in: Peter, Georg ; Krauße, Reuß-Markus (Hrsgg.): Selbstbeobachtung der modernen Gesellschaft und die neuen Grenzen des Sozialen, Wiesbaden 2012, S. 301-313

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Verbindung kenntlich zu machen, ist auch in Godards Film Claude Ridder kurz zu sehen (Abb.i). Eine Aufnahme von französischen Streikaktionen zeigt ihn am Rande, als Zuschau­

er, während der Off-Kommentar Godards die Distanz zwischen dem Intellektuellen und der Arbeiterklasse vermerkt. Dennoch geht Godard über die in Apathie mündende Skepsis des Claude Ridder hinaus, indem er eine Antwort auf das Problem anbietet und sich zugleich mit den Bedingungen filmischer Produktion und seinem eigenen Standort in diesem Bedingung5' rahmen auseinandersetzt.

Abb. i: Der Intellektuelle und der politische Kampf.

Claude Ridder (gespielt von Bemard Fresson) am Rande einer Streikaktion französischer Arbeiter in Godards Camera-oeil (1967)

Abb. 2: Veromque (Anne Wiazemsky) als mesin im ,Dialog' mit einem amerikanischen Du Schrauber. Theaterszene aus La Chinoise (l9Wh eingeschnitten in Camera-oeil

In den folgenden Notizen möchte ich zweierlei herausarbeiten: Erstens, dass Godards trag wesentlich in einer Kritik am dokumentarischen Realismus besteht, der von den an ^ ren beteiligten Regisseuren nicht in Frage gestellt wird. Ihnen macht Godard implizlt Vorwurf, dass sie die Hollywood-Regeln zur Kontinuität filmischen Erzählens nicht au Kraft setzen und so letztlich den US-Imperialismus bestätigen. Zweitens: Godards Solidar tät mit dem vietnamesischen Volk artikuliert sich in einer radikal anderen filmischen Fof|T1 die einerseits dem Kontinuitätsprinzip des kommerziellen Spielfilms wie des klassis ^ Dokumentarfilms,4 auf der andern Seite aber auch dem Prinzip der Autorschaft widerspn das ebenfalls eine fiktionale Totalität, nämlich die souveräne kompositorische Einhcitsstift1111®

des Regisseurs, verteidigt.' Die für Godards Filmästhetik charakteristische Dissoziation

zeigen. Siehe Thode (wie Anm. i, S. 255) ,

4 Zum „continuity System“ des klassischen Hollywood-Films siehe David Bordwell, Janet Staiger und Thompson: The Classical Hollywood Cinema: Film Style and Mode of Production to i960, New Columbia University Press, 1985. Zum narrativen Realismus auch des dokumentarischen Filius Henning Engelke: Dokumentarfilm und Fotografie. Bildstrategien in der englischsprachigen Ethno

1936-1986, Berlin 2007, u. a. S. 13. . « ef

5 Zur politischen Bedeutung der Dissoziation von Bild und Ton und über den Zusammenhang von film1^^

Kontinuitäts-Konstruktion und westlichem Identitätskonzept hat sich Godard selbst geäußert. Siehe ^ E. Carroll: Film and Revolution: Interview with the Dziga-Vertov Group, in: Focus on Godard, hg- Royal S. Brown, Englewood ClifFs, N.J. 1972, S. 50-64, hier S. 64: “An interesting concept isyour between takinga pictureand buildinga picture, andsecondly, the relationship between sound and image•

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Tönen, Bildern und Worten wird in Week-End (1967) ausdrücklich mit einem Abgesang auf die bürgerliche Kultur verbunden. Nach dem Pariser Mai 1968 sollte der Regisseur seine Ab- Sfenzung gegen die Konventionen des kommerziellen wie des Kunst-Kinos noch verschärfen, ßis i974 gab er die Spielfilmproduktion ganz auf, um sich gemeinsam mit Jean-Pierre Gorin e'ner experimentellen politischen Filmpraxis zu widmen, die keinerlei Konzession an den

^Uschauergeschmack mehr zuließ und deshalb auch nicht selten ohne nennenswerte Distri-

^utionsmöglichkeiten blieb.6

dbb. 3a, b: „Johnson weint“. Volkstheaterszene aus Joris Ivens' Beitragzu Loin du Viet-nam, eingeschnitten ln Camera-ceil

^amera-ceil ist bei aller Kürze ein Schlüsselfilm in Godards Werk, der auch als Kommentar zu T« Chinoise (1967) gelesen werden kann, dem ersten Spielfilm Godards, dessen Plot explizit auf die politischen Ereignisse der Zeit Bezug nimmt. Das seit A bout de souffle (1959) perma­

nent thematisierte Motiv des Ausbruchs aus gesellschaftlichen Zwängen wird hier nicht mehr direkt an die Genrelogik des Gangsterfilms, der Gesellschaftskomödie oder des Sozialdramas

§ebunden. Dieser Film zeigt eine ganz und gar zeitgenössische Gruppe junger Leute, die sich Inders als Godards frühere Helden und Heldinnen mit ihrer gesellschaftlichen Existenz kon­

frontieren und mit Hilfe der Worte des großen Vorsitzenden Mao Tse-Tungden richtigen Weg

*ur Erkenntnis der Wirklichkeit und zur Revolution finden wollen. Veronique, gespielt von do these concepts relate politically? / Godard: Because you belong to a certain society today in America or France, you just think that when you are speaking that your words and your structure, that they go together, that there is a complete unity. But there is no unity. There is a continuous struggle between what you say and what you think and the way we are living in a certain social condition. You are not a unity. You are trying to be a unity, but the fact is you are not. And the movie represents that in a very simple way - it’s just image and sound - it s not just adding together - it’s a struggle. Hollywood wants to just add them together there on the screen, just like you put a stamp on a letter. - Exactly what you mean by a film as a unity? / Godard:

Well, to build it economically and aesthetically, as an ideological product for a different purpose. What is a bourgeois moviemaker doing? He is dealing with image and sound. He’s building too. But for what? To achieve a truer presentation of reality, he’s using hundreds of sound tracks, so that when you Step on this carpet, you have the very sound of your foot on this carpet. But it means no more than that. He thinks it is real, but of course it is not. We are using the same elements, but in the way we use them we are transforming them. Our purposes are quite different.

6 Dazu Volker Pantenburg: Politik der Konfusion. Jean-Luc Godard und die Filme der Dziga Vertov-Gruppe, Kino Arsenal, Berlin, 6. Juni 2008.

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Anne Wiazemsky propagiert den Terror; Henri, gespielt von Michel Semeniako, der sich 2111,1 Revisionismus, d. h. zur orthodoxen französischen KP bekennt, wird aus der Kommune ausg schlossen. Guillaume, gespielt von Jean-Pierre Leaud, liebt Veronique und träumt von einen1 sozialistischen Theater nach chinesischem Vorbild, „das die Bücke schlägt vom .Gcfäng11^

Kultur“ zum .Gefängnis Fabrik“ 7 Er ist das alter ego des Regisseurs, der gleichwo litische

inisten

Guillaume wie zu all seinen Figuren kritische Distanz wahrt. So gleichen deren po Äußerungen nicht selten den gestanzten Werbesprüchen, die Godard seine Protago etwa in Pierrot le Fou (1965) aufsagen ließ, um den Konformitätszwang ihres Denkens url

ihrer Lebensführung auszudrücken. ^

Einstellungen aus einer grotesken Theaterszene in La Chinoise wurden in Camera ^ mehrfach eingeschnitten (Abb. z). Sie korrespondieren im Kontext des Filmganzen nun der dokumentarischen Aufzeichnung einer Straßentheaterszene auf einem Dorfplatz in ^'"lC nam, die Teil von Joris Ivens’ filmischem Beitrag ist (Abb. 3 a, b). Unter dem Motto ,Johns°

weint’ wird in dieser ersten Episode eine clowneske Parodie auf den militärischen Gro wahn der US-amerikanischen Regierung dargeboten.8 Godard teilt allerdings offenku nicht die Hoffnung, dass das Modell des sozialistischen Straßentheaters als Alternative zU elitären Kunstraum der bürgerlichen Kultur wirksam gemacht werden kann, indem es naC den konservativen Grundsätzen einer klassischen Filmästhetik reproduziert wird. Verff dende Stilisierung und Zitatcharakter der Theaterszene aus La Chinoise artikulieren eine tanzierte Künstlichkeit, die von der primitivistischen Illusion des authentisch Volkstümlw Abstand nimmt. Die wiederholt zitierte Einstellung der als Vietnamesin kostümierten ^ Wiazemsky im .Dialog“ mit einem amerikanischen Hubschrauber darf als eine bitterböse plik auf den sentimentalen revolutionären Gestus westlicher Intellektueller gelesen wer deren Solidarisierung mit dem vietnamesischen Volk hier als theatralisches Tableau bewe wird. Insofern verdichtet Godard in diesem Bild gleichermaßen die Aussage von La Lht und von Camera-oeil. Das politische Agieren der jungen Leute erweist sich nämlich als Art Ferienlager, das ein abruptes, aber .natürliches“ Ende durch die Rückkehr der Eltern roniques findet. Aus der Keimzelle der Revolution wird wieder die familiäre Wohnung>

rote Farbe wird entfernt. Das Politspektakel der Kommune begeistert sich an der Revolnt'^

in Südostasien, tangiert aber die heimischen Besitz- und Machtverhältnisse nicht; der v'°

ständige Filmtitel La chinoise, ouplutotä la chinoise enthüllt bereits diesen Als-Ob-Chara der Handlung, die dann doch Komödie wird, also gewissermaßen die Unausweichlich des Genrekino demonstriert.’ Aus solcher Kritik zieht Godard, sehr viel konsequenter als

n Fr*11' 7 Martin Schaub: Kommentierte Filmographie, in: Jean-Luc Godard. Reihe Film 19, mit Beiträgen vo

cois Albera, Yaak Karsunke u. a., München / Wien 1979, S. 83-200, hier S. 155.

8 „Beginning with people gathering to watch the performance, it [das Theaterstück] shows two aCt°tS clown-like face paint playing US president Lyndon B. Johnson and defence secretary Robert Mc Na*11 ^ Realising that they have been defeated, the actor playing Johnson sings through his tears „I have ^oSt^rT1 war, I must go home!“ Ian Mundeil: Far from Vietnam - Inside Vietnam. The genesis of the collective ^ Loin du Vietnam, in: European Foundation Joris Ivens Newsmagazine, Nr. 9, November 2003» S.

hier S. 26. q0,

9 Ein Mitglied der marxistisch-leninistischen Maoisten der Ecole normale gab seiner Empörung übet ^ dards Film folgenden Ausdruck: „It’s a film about bourgeois youth who have adopted a new disguisej^^g Nouvel Observateur, Septembre 20,1967. Zit. nach Richard Brody: Everything is Cinema. The Wof

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änderen Filmemacher des Kollektivs, die Konsequenz, dass der Kampf des vietnamesischen Volkes „fern“ von den europäischen Gesellschaften stattfindet und von deren Angehörigen kgitim nur als Anstoß zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Metier und den ihm impli- z'ten kapitalistischen Machtstrukturen rezipiert werden kann.

Die russische Tradition einer sozialistischen Filmästhetik ist daher eher Vorbild für Godard die westliche Tradition des Dokumentarfilms. Der Titel Camera-ceil zitiert den Film Ki- n°glaz {Filmauge, 1914) des sowjetischen Regisseurs Dziga Vertov, dem Godard und Gorin

**» ihrer ein Jahr später gegründeten .Groupe Dziga Vertov explizit huldigen sollten. Vertovs dokumentarische Filmästhetik hob sich sowohl vom Realismus-Konzept nicht-fiktionaler Fil- Oie als auch vom avantgardistischen Formalismus eines Walther Ruttmann {Berlin - Die Sin­

fonie der Großstadt, 1919) ab. Wie Siegfried Kracauer beobachtet hat, gewann Vertov „durch die Montage dem Zusammenhang der Wirklichkeitssplitter einen Sinn ab“, wo jener nur ein Nebeneinander gab, „ohne aufzuklären[...]“;'° und, so wäre zu ergänzen, wo der klassische Do- kumentarfilmer Robert J. Flaherty {Nanuk - Der Eskimo, iyzz) seine gestalterischen Eingriffe yerbarg, um vermeintlich das Protokoll der Wirklichkeit zu liefern.

dbb. 4: a, b, c Prolog zu Der Mann mit der Kamera (Dziga Vertov, 192g)

Life of Jean-Luc Godard, London 2008, S. )iof.

,0 Siegfried Kracauer, in: Frankfurter Zeitung, Nr. 369,19.5.1929.

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Das zitierte Lob Kracauers galt Vertovs Tschelowek s kinoapparatom. Kinfeljeton {Der ^ mit der Kamera. Ein Filmfeuilleton, 1919). Dieser Film war offenkundig auch für Godard, ^ die ein Jahr später begründete Kooperation mit Gorin nicht von ungefähr nach Vertov nannte von größter Bedeutung; Vertovs während des Films wiederkehrende Selbstdarstelluufi als ,Mann mit der Kamera (Abb. 4 a-c) ist unübersehbar das Modell für seinen Kurzfilm mera- oeil. Wie der russische Regisseur führt auch er sich und seine Kamera gleich zu An ein (Abb. 5 a-d) und wiederholt wie jener während des gesamten Films immer wieder dies Selbstporträt aus verschiedenen Perspektiven. Wenn er an den .Lenkrädern der schweren mm Mitchell-Kamera dreht (Abb. 6), scheint er gleichsam an die von Vertov exzessiv bedien^

Handkurbel der Stummfilmzeit erinnern und somit jenen Transportmechanismus deut 1 ^ machen zu wollen, den James Monaco als das „Herz des Kinos“ bezeichnet hat, »denn pumpt den Film durch die Kamera oder den Projektor!1"

Abb. 5: a, b, c, d Godard an der Kamera, aus: Camera-oeil

Ebenso intensiv wie die Nachahmung von Vertovs Selbstpositionierung als Mann mit ^ der Kamera ist freilich die in ihr manifeste Differenz. Godard teilt nicht die Emphase, mit Vertov das Ich mit dem mechanischen Auge der Kamera gleichsetzte (Abb. 7), um mit diese111’

11

James Monaco: Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films un d de!

Medien. Mit einer Einführung in Multimedia, Reinbek bei Hamburg 1980, S. 88

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Vt>n aller Schwerfälligkeit befreiten Maschinenblick den .neuen Menschen' zu zeigen und so auch hervorzubringen.'1 Wb Vertov den Apparat als Echtheitsbeweis für seine Dechiffrierung ünd utopische Steigerung der Vorgefundenen Wirklichkeit der Werktätigen wirksam macht, yerselbständigt Godard den Verweis auf die Apparatur. In der ersten Einstellung füllt das Ka­

mera-Objektiv zunächst den gesamten Kader und nimmt auch im sich weitenden Raum noch

^ei Drittel des Bildes ein, so dass Godard, durch den Sucher blickend, nahezu hinter der Ap­

paratur verschwindet (Abb. 5 b-d). Kein offener Raum ist wahrzunehmen, die Sehmaschine Erstellt den Blick. Wohl um dieser ideologiekritischen Aussage willen wählt Godard eine amerikanische Studiokamera. Unter Verzicht auf jedwede eigene .authentische“ Aufnahme definiert er den Standort des Filmautors allein über die Interpretation von Vertovs Dokumen­

tarfilm zum neuen Rußland einerseits und über bereits vorhandenes Filmmaterial zu Vietnam andererseits. Schon seine Modifikation von Vertovs Filmprolog besagt, dass das Erbe des rus­

chen Revolutionsfilms nicht direkt anzutreten, ein filmischer Zugang zur revolutionären Situation in Vietnam nicht möglich sei. Die von Vertov wie von Godard monumental ins Bild gesetzte Kamera wird bei aller politischen Affinität der Regisseure mit einer differenten Bedeutung versehen, wie der Vergleich der Filmanfänge deutlich machen wird.

^bb. 6: Godard .kurbelt'. Aus: Camera-ceil Abb. 7: Das Kino-Auge, aus: Der Mann mit der Ka­

mera (Dziga Vertov, 1727)

£fie erste Einstellung von Vertovs Mann mit der Kamera zeigt aus leichter Untersicht die fron­

tale Ansicht der Kamera, deren oberer Rand parallel zum fernen Horizont einer Landschaft erscheint. Ihr Gehäuse wird so mit einem Bergesgipfel scheinbar eins, den Vertov ,en minia-

12 Siehe Dziga Vertov: Wir. Variante eines Manifestes (1922), in: Texte zur Theorie des Films, hg. von Franz- Josef Albersmeier, 3. Aufl. Stuttgart 1998,8. 31-35. Zu der Vertovs Mann mit der Kamera inhärenten Span­

nung zwischen rhythmischer Einheit und selbstreflexiver Montage vgl. John MacKay: On the one hand, we have this interest in a “rhythmic” unification of artist-worker-machine, which seems to lead to an effort to change the senses immediately, through a kind of sensory pedagogy, almost in Eisenstein’s manner.

[...] On the other, however, we have the whole dimension of self-reflexivity, “intellectual montage,” and the use of film as a way of investigating process, construction, and the dependence of any conception of reality upon an ongoing work of representation.“ (Rhythm Machines: John MacKay on Dziga Vertov by Idiom December 7, 2010 (http://idi0mmag.c0m/2010/12/rhythm-machines-j0hn-mackay-0n-dziga- vertov/ Letzter Zugriff 7.6.12)

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ture', die Kamera schulternd, nun von hinten erklimmt. Oben angelangt, baut er das Stativ a^

betätigt die Handkurbel der Kamera und tritt nach hinten wieder ab. Zwischengeschnitten die Aufnahme eines repräsentativ geschmückten Gebäudes vor ziehenden Wolken, wohl ein Theaters oder einer Akademie, deren obsoleten Status die .Architektur' der Kamera einzun hmen beansprucht, sinnfälligerweise vielleicht auch dadurch, dass nach dem Schnitt nur die monumentale Kamera das Plateau für die Filmproduktion liefert, die Berglandscn auf einen diffusen Horizontstreifen verschwunden ist. Man gewinnt auf diese Weise d£

druck, dass Vertov beim Abgang von dieser Bühne in seiner Kamera verschwindet (Abb. 4a ^ Er bedeutet uns, dass seine Filmkunst eine ausschließlich ökonomisch-technologische a hat. Der Blick vom Gipfel als Metapher des wahrheitssuchenden Kino-Auges ist nicht e'n^

weltentrückten Genie eigen, sondern Teil und Resultat moderner Technik und industrie Massenproduktion. Der .rasende' Filmreporter Vertov erscheint während des gesamten als Zeuge ebenso wie als Teil der Masse; Kameratechnik, Schnitt und Kinovorführung'V ^ den Abläufen der Fabrikproduktion zugeordnet und als Elemente der Massenkommun tion (Telegrafie, Telefon, Plakatanschläge) und des Verkehrswesens (Eisenbahn, Straßen

Flugzeug) anschaulich.1’ .

In einem bewusst starken Gegensatz zu Vertovs futuristischer Dynamik erscheinen m matfüllende Statik und monotone Wiederholung von Godards Selbstporträt an der scfnv fälligen Mitchell-Kamera (Abb. 5 b, c, d). Seine verschärfte Strategie der Selbstreflexion implizit offen, dass Vertov in seiner visuellen Verdopplung der Kamera, die ihn als den111 tion gesetzten Basisapparat - als das exemplarische Arbeitersubjekt - legitimiert, eine pos Idee des Absoluten voraussetzt, die im Jahr 1967 nicht mehr möglich ist. Die Einsicht m Bedingheit der filmischen Produktion kann nicht mehr in einen sozialistischen Auftrag urn^f deutet werden, sondern nur in das Zeigen der Bedingtheit münden. Anders als Vertov ma ^ Godard deutlich, dass er als ,Mann mit der Kamera von einer anderen Kamera aufgenom ^ ^ worden ist. Mit der Klappe zur ersten Einstellung (Abb. 5 a), die auf der Tonspur als so benannt wird, lässt er demonstrativ die Spur des filmischen Produktionsprozesses stehen- Die im engen Ausschnitt zunächst frontal, dann im Profil gezeigte Kamera konstituiert Gegenstand des Films und die Stellungnahme Godards zu Vietnam. Immer wieder ersc während des 15-minütigen Films, der durchaus auch (von andern Regisseuren stammen Dokumentarbilder aus Vietnam enthält, das Bild des Regisseurs an der Kamera, position in einer Pariser Dachlandschaft, wie er die Mechanik bedient und dabei monologisiert, drücklich Hand- und Kopfarbeiter zugleich. Seine Rede schließt die disparaten Bilder Sequenzen zusammen, doch nur vermeintlich liefert sie einen Off-Kommentar im Stile ^ klassischen Dokumentarfilm-Ästhetik, wie ihn die erste Episode des Kollektiv-Films mit schon erwähnten Vietnam-Aufnahmen Joris Ivens’ einsetzt. Dort wird erklärt und bewe was zu sehen ist; die Bilder, so grausam, grotesk und anrührend sie erscheinen, sind klar e ^ diskursiven Logik unterworfen. Auch wenn streckenweise auf einen Off-Kommentar verzi

13 Vgl. Jonathan Beller: Dziga Vertov & The Film of Money, in: Boundary 2 26.3, (1999) 151-199- ^’er ^ jet-e

„What we learn from Vertov is that the image is constituted like an object - it is assembled piece by like a commodity moving thtough the intervals of production - and it is a (technological and econ development of the relations of production.

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tet wird und allein mit Originalton und -geräuschen gearbeitet wird, bleibt die Transparenzil- Won, mit anderen Worten - der Schein eines apparatlosen, der Wahrnehmung unmittelbar Zugänglichen Geschehens - erhalten. In der Ablehnung dieser dokumentarischen Totalitäts­

fiktion bleibt Godard Dziga Vertov verpflichtet. Besitzt die Kamera bei Vertov jedoch noch einen ungetrübten Heldenstatus als Stellvertreterin des revolutionären Subjekts, verkörpert Godards amerikanische Studio-Kamera die Enteignung des Blicks, der nicht allein durch die Usuelle Montage, sondern nur mithilfe der Rede des filmischen Autors und ihrer Vernei- nungskraft aufgedeckt werden kann.

Verfolgt man die Bild-Ton-Kombination in Godards Beitrag, wird man finden, dass er jede eindeutige Beziehung zwischen Bild und Ton unterläuft und mit der Monumentalisierung der Kamera die Kino-Ideologie des apparatfreien Sehens torpediert.14 Sein Monolog beginnt

•Hit einer Erzählung über Geschehnisse während oder vor einem Bombardement.15 Zu sehen sind dabei nur die Kamera und der Regisseur, was zunächst den Eindruck erzeugt, Godard filme in diesem Augenblick jenes Geschehen, von dem sein Bericht handelt. Doch die auditiv und visuell suggerierte Augenzeugenschaft wird sogleich dementiert, denn nun wechselt der Monolog vom vermeintlichen Erlebnisbericht zu kritischen Überlegungen des Regisseurs, die deutlich machen, dass er sich nicht in Vietnam befindet. Seine Rede wechselt unvermittelt yon der Ebene des Augenzeugenberichts zur bildkritischen Reflexion. Vielleicht, so Godards Stimme aus dem Off, hätte er diese Szene aufgenommen, wenn er ein amerikanischer Wo- chenschau- oder russischer Tagesschaureporter wäre. Dokumentarische Bilder aus Vietnam

" eine Schulklasse, Schützengräben - erscheinen, während der Regisseur davon berichtet, dass sein Gesuch in Vietnam zu drehen, von Hanoi abgelehnt worden sei, weil man seiner Politischen Einstellung nicht traute. Es wäre jedoch ein Mißverständnis, wollte man Godards Verzicht auf die „filmische Vermitdung sichtbarer Ereignisse“'6 im Sinne Vertovs als Pragma­

dsmus angesichts der ausgebliebenen Dreherlaubnis interpretieren. Godard verweist auf diese

^ensurmaßnahme, um anzudeuten, dass ihr der zuvor ins Spiel gebrachte Maßstab einer pro­

fessionellen Wochenschau-Ästhetik zugrundelag, deren Normen er sich nicht gebeugt hätte.

Die Rede aus dem Off dient dazu, den parallel gezeigten Bildern aus V ietnam das Echtheits-

*ertifikat zu entziehen. Im Dissens zwischen Wort und Bild entfaltet Godard die Unmöglich­

keit einer audiovisuellen Annäherung an Vietnam. Während er von seinem verworfenen Plan berichtet, am Körper einer nackten Frau, „das gleichzeitig Wärmste und Lebendigste, was es gibt“, zu demonstrieren, „was ein Schrapnell aus einem Frauenkörper machen könnte“,17 sieht

*4 Vgl. Kozloff 1967/68 (wie Anm.3), S. 30: „For his part, Godard, the man who earlier castigated the right as stupid (because mean), and the left as lost (because sentimental), glues himself to a Camera which despite its ominously blinking Strobe lights, is so closed-framed as possibly to be photographing nothing.“

<5 „Mit rauher Stimme las er die Anklageschrift gegen die Frau vor. Der Mann war klein, er trug eine verwa­

schene graue Uniform und ging vor ihr auf und ab. Kurz darauf begannen zwei .Thunderthiefs“ über uns zu kreisen, man hörte sie heulen, als sie zum Tiefflug ansetzten. Und man hörte die Detonation ihrer Bomben [...]. Zit. nach dem Abdruck des Monologs in der Frankfurter Rundschau vom 19.10.1967. Hieraus auch die folgenden Zitate im Text.

>6 So Vertovs Information zum Film im Vorspann zu Der Mann mit der Kamera.

l7 Godards ursprünglicher Beitrag bestand aus der Aufnahme einer nackten Frau, begleitet von einem Kom­

mentar, der die Auswirkung eines solchen Bombenangriffs auf ihren Körper beschrieb. Er wurde von der Gruppe zurückgewiesen, die auch seinen in letzter Minute gelieferten Beitrag Camtra eeil nur zögernd

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man nichts als seine Hand an den Steuerungselementen der Kamera, die Schwenks ausfü (Abb. 6). „Es scheint mir schwierig, über Bomben zu reden, wenn sie einem nicht selbst al den Kopf fallen“, fährt er fort. Und während unscharfe Aufnahmen von entlaubten Wä e und vergifteten Fischen gezeigt werden, stellt der Off-Kommentar die Frage, was die angcrncS sene Form für diesen katastrophischen Gehalt sei.

Abb. 8: a, b, Vietnam als,Symbol des Widerstands', aus: Camera-ceil

Godards Vorbehalt gilt dem bürgerlichen Modell ästhetischer Erfahrung. Gegen die üblich weise eingesetzte manipulative Emotionalisierung der Zuschauerrezeption stellt er die ReflcX on auf den eigenen gesellschaftlichen Standort: „Das Beste, was ich machen kann für Vietn;Ul1' ist, statt es mit meiner Hochherzigkeit zu überschütten, mich von ihm ergreifen zu lassen, klarzumachen, welchen Platz es in unserem Leben einnimmt, überall.“ Vietnam wird zu eine111

„Symbol des Widerstands“ erklärt, das jedem in seiner eigenen Existenz auferlege, Stellung beziehen. Während die Kamera die Gestalt eines jungen vietnamesischen Kämpfers urnt und gleichsam zum Denkmal monumentalisiert (Abb. 8 a, b), spricht Godard aus dem Offv0 der notwendigen Aneignung seines Widerstands. „Wenn man in Guinea ist, muß man gc8c die Portugiesen sein, in Chicago für die Schwarzen [...].“ Sein eigener Kampf gilt dem V 11 stand gegen den „wirtschaftlichen und ästhetischen Imperialismus des amerikanischen das inzwischen das Kino der ganzen Welt zerrüttet“ habe. Diesen Kampf sieht er gleichgerl tet mit dem der streikenden Arbeiter bei der Rhodiaceta in Besancjon,1“ während eine re Beziehung zur Arbeiterschaft nicht möglich sei: „Das Arbeiterpublikum schaut sich mein Filme nicht an und zwischen mir und ihm gibt es die gleiche Trennungslinie wie zwische mir und Vietnam oder ihm und Vietnam.“ Schließlich zitiert Godard den Surrealisten An^ ^ Breton: „Ich glaube an die absolute Kraft all dessen, was, spontan oder nicht, getan wird, Einverständnis zu verweigern!“ Es gehe darum, den Schrei weiterzuleiten, den „uns in jc^cl Augenblick das erschreckende Missverhältnis zwischen dem Gewonnenen und dem VerpaS' ten, dem Zugestandenen und dem Erlittenen abnötigt!“ Godard stellt also mit Breton ftc11 akzeptierte. Brody 2008 (wie Anm. 9), S. 311. Allerdings kritisiertauch Godard selbst in Camlra- eeilW erste Idee als etwas „ästhetisch Gesuchtes“.

18 Hier fand, noch vor Paris, im Oktober 1967 die Premiere des Films statt, ’lhode (wie Anm. 1), S. 2.55-

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aWluten, der Welt zugewandten Kino-Auge Vertovs die Absolutheit der Negation entgegen.

Sein Film ist jedoch keineswegs auf eine solche eher romantisch anmutende anarchistische Position zu reduzieren, so wenig wie der Monolog Godards schon den Inhalt des Films ergibt.

Obwohl Camera-ceil als Monolog angelegt scheint und oft allein durch dessen Referierung beschrieben wurde, erschließt der Text allein den Film nicht, macht er etwa nicht verständlich,

"'arum sich der Regisseur mit einer amerikanischen Studiokamera, dem Gerät der feindlichen

••imperialistischen Macht darstellt, warum er tote Fische und - dann doch - verstümmelte Leichen zeigt, obgleich er ausdrücklich bekennt, in Paris arbeiten zu wollen, warum er die po­

etischen Theaterszenen aus La Chinoise und Aufnahmen von Claude Ridder in seinen Film­

beitrag aufnimmt. Durch diese Verwendung schon vorhandener Bilder nimmt Godard von einem traditionellen Konzept der Autorschaft Abstand, ebenso - paradoxerweise - in seinem Selbstporträt. Denn er führt sich quasi als Anhängsel der Kamera-Maschinerie ein (Abb. 5 a-d), als jemand, der notwendig dem Diktat Hollywoods unterworfen bleibt, verschmolzen geradezu mit dem filmischen Apparat (Abb. 9).1’

^bb. g: Godard an der Kamera, aus: Camera-oeil Abb. 10: Radarturm des amerikanischen Flugzeug­

trägers .Kitty Hawk'. Prolog zu Loin du Viet-nam.

the gigantische Mitchell-Kamera verweist überdies auf den Prolog des Gesamtfilms, der den P-adarturm des amerikanischen Flugzeugträgers .Kitty Hawk' und die Beladung mit Bom­

ben zeigt (Abb. 10,11). Die Bewegung des Ortens zum Zweck militärischer Aktion ist hier hun gleichsam dem Sucher der Kamera übertragen (Abb. 11). Das Kameraobjektiv wiederum korrespondiert einem Geschosslauf. Es ist, im Vorgriff auf die Ideologiekritik der sog. Ap- paratus-Debatte,“ als Herrschaft sichernde Waffe visualisiert. Auch auf der filmhistorischen Zitatebene ist dieser Vergleich unübersehbar: Der .Schuss“ aus dem Bild ruft das revolutionäre

>9 Bereits im Prolog zu Le Mepris (1963) erscheint die schwere Mitchell-Kamera als Apparat der amerikani­

schen Filmindustrie. Ihre diegetische Verwendung - Gegenstand des Films ist die Produktion eines Films über die Odyssee - wird ergänzt durch einen außerdiegetischen Verweis auf Godards Filmproduktion selbst, denn die Kamera bedient Raoul Coutard. Zur selbstreflexiven Dimension dieses Films siehe Verf.:

„Comme au cinema. Le ciel est bleu.“ Zur ästhetischen Tradition der Himmelsschau und ihrer Bedeutung im Frühwerk Jean-Luc Godards, in: Figurationen 2/2010, hg. von Hans Georg von Arburg, S. 39-67.

Dazu Robert F. Riesinger (Hg.): Der kinematographische Apparat. Geschichte und Gegenwart einer in­

terdisziplinären Debatte. Unter Mitwirkung von Guntram Geser, Münster 2003.

(12)

Regine Prangt 312.

Kanonenfeuer des Panzerkreuzers Potemkin in Erinnerung, ebenso den dadaistischen Sc ins Publikum aus dem Prolog von Rene Clairs Entr’Acte (1914). Godard setzt das Mot>vJ^

doch grundsätzlich sehr viel deutlicher als metafilmisches Bild ein.1' In Camera-asil gibter Schuss-Metapher eine radikal politische Deutung. Die Bilder des Regisseurs an der Käme als fast chaplinesker Arbeiter an der Maschine und partiell mit ihr zu einem roboterartig^

Wesen verschmelzend (Abb. 9), in der Profileinstellung aber auch immer wieder zum m duellen Beobachter und Sprecher zusammengesetzt (Abb. $d), sind, in der Verschränkung den Vietnambildern und dem Off-Monolog Godards, symbolisch hochverdichtet, waU ^ Kritiker, die dem Selbstporträt Nichtigkeit und Leere vorwarfen,11 nicht realisierten. Go ^ Kampf gegen den amerikanischen Kino-Imperialismus gilt letztlich der Konzeption des u jekts, das seinen Identitätsentwurf den Helden Hollywoods entlehnt.1’ Den falschen, ^ die filmische Raumkonstruktion gestifteten Einheitsentwurf zerstört Godard, indem er und Ton in eine diskontinuierliche Beziehung bringt. Um den Filmapparat zu einer Wa einen gerechten Krieg um zu schmieden, musste er die Fiktionalität des Dokumentaris aufweisen und den Bildern aus Vietnam ihre rhetorische Überzeugungskraft entziehen.

Abb. 11: Beladung eines Flugzeugs mit Bomben. Pro­

log zu Loin du Viet-nam

. (>

Abb. 12: Die Kamera visiert ihr Ziel an, ttus- mera-oeil

Abbildungen

Abb. 1: Der Intellektuelle und der politische Kampf. Claude Ridder (gespielt von Bernard Fresson) 3111 Rande einer Streikaktion französischer Arbeiter in Godards Camera-ceil (1967)

21 Zu Godards Vergleich von Kamera und Schusswaffe siehe Regine Prange: Genre und Genrekritik- p Western in Jean-Luc Godards bout de souffle (1959). In: Ursula Frohne und Lilian Haberer (Hg-): 1 matographische Räume, München 2012, S. 621-660.

22 Z. B. Raymond Durgnat: Far from Vietnam, in: Films and Filming, Vol. 14, no.5, Febr. 1968, S. 2.of>

S. 21. Zu den Schwachstellen des Films gehöre „Godards criticism-defying, but empty, device 01 na

himself photographed looking through a big Mitchell camera r

23 Auf derselben Ebene liegt seine Problematisierung des politischen Engagements von Jane Fonda in L to Jane von 1972, den Godard gemeinsam mit Jean-Pierre Gorin drehte. Hinweis Ralf M. Fischer.

(13)

313

Abb. 2.: Veronique (Anne Wiazemsky) als Vietnamesin im .Dialog mit einem amerikanischen Hubschrauber. Theaterszene ans La Cbinoise (1967), eingeschnitten in Camera-aeil

Abb. 3: a,b „Johnson weint“. Volkstheaterszene aus Joris Ivens’ Beitragzu Loin du Viet-nam, eingeschnit­

ten in Camera-aeil

Abb. 4: a, b, c Prolog zu Der Mann mit der Kamera (Dziga Vertov, 1919)

^bb. 5: a, b, c, d Godard an der Kamera, aus: Camera-aeil Abb. 6: Godard .kurbelt'. Aus: Camera-aeil

Abb. 7: Das Kino-Auge, aus: Der Mann mit der Kamera (Dziga Vertov, 19Z9) Abb. 8: Vietnam als .Symbol des Widerstands“, aus: Camera-asil

^bb. 9: Godard an der Kamera, aus: Camera-aeil

Abb. xo: Radarturm des amerikanischen Flugzeugträgers ,Kitty Hawk. Prolog zu Loin du Viet-nam.

Abb. 11: Beladung eines Flugzeugs mit Bomben. Prolog zu Loin du Viet-nam.

Abb .iz: Die Kamera visiert ihr Ziel an, aus: Camera-oeil

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Kinematographische Räume, hg. von Ursula Frohne und Lilian Haberer, München 2012, S. 621—660 Schaub, Martin: Kommentierte Filmographie, in: Jean-Luc Godard. Reihe Film 19, mit Beiträgen von

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Referenzen

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