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Archiv "1983 — Wende auch in der Gesundheitspolitik" (03.06.1983)

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An Stelle öffentlichen Anreizes zu unbegrenzter Begehrlichkeit, allgemeiner Anspruchshaltung und umfassender Vollversor- gungsmentalität durch Gesetz- gebung, Rechtsprechung und Sozialpublizistik müssen Eigen- initiative und Eigenverantwor- tung freigesetzt werden. Erst wenn die Kräfte des einzelnen durch Krankheit oder unver- schuldete Not überfordert sind, tritt nach dem Subsidiaritäts- prinzip die Gemeinschaft ein.

Diese Grundsätze haben nichts mit rücksichtsloser Ellenbogen- gesellschaft zu tun. Es geht viel- mehr um den in einer freiheitli- chen demokratischen Gesell- schaft selbstverständlichen indi- viduellen Gestaltungsspielraum, um Selbstverwirklichung im be- sten Sinne.

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Ärztliche Mitteilungen

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

1983 — Wende auch

in der Gesundheitspolitik

Karsten Vilmar

Die Wahlen zum 10. Deutschen Bundestag am 6. März 1983 haben zur überzeugenden Bestätigung der neuen CDU/CSU-FDP- Koalition geführt und einen über sechs Monate betriebenen hefti- gen Dauerwahlkampf beendet. Damit ist nicht nur eine die Sacharbeit lähmende hektische Betriebsamkeit beendet, sondern auch eine grundsätzliche Neuorientierung der Politik mit stabiler Mehrheit möglich geworden.

Der Wahlausgang hat gezeigt, daß die Mehrheit der Bevölkerung die Gefahren für den Staatshaushalt und die Wirtschaft bei Fort- setzung des von der sozial-liberalen Koalition verfolgten Weges erkannt hat.

Die Wählerentscheidung zeigt ebenso klar, daß die Mehrheit der Bevölkerung nicht nur die Gefahren erkannt hat, sondern zu Opfern und Einschränkungen bereit ist, um Wirtschafts- und Währungssystem und damit auch unser wohlgegliedertes sozia- les Sicherungssystem vor dem Zusammenbruch zu bewahren.

Dennoch ist euphorische Feiertagsstimmung nicht angebracht.

Durch den Wahlausgang sind nämlich die Probleme nicht gelöst worden, es besteht lediglich die Chance für einen Neubeginn.

Die Bewältigung der riesigen Schwierigkeiten setzt eine geistige Neuorientierung voraus, wenn dauerhafter Erfolg ermöglicht werden soll. Dazu müssen Ideologie- und Hoffnungstrümmer- berge unübersehbaren Ausmaßes durch die von der Entwicklung der vergangenen 13 Jahre Enttäuschten abgeräumt werden. Man muß Sich von der Vorstellung der Allmacht dirigistischer staatli- cher Fürsorge und Versorgung trennen, ausladenden Sozialba- rock und schwülstige Versorgungsüberhänge entfernen, um die akute Einsturzgefahr für die tragenden Elemente unserer sozia- len Sicherung zu bannen.

Alle diejenigen, die vor bald 14 Jahren in unbeschwerter Auf-

bruchsstimmung dazu aufriefen, die Belastungsfähigkeit der

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Wirtschaft zu prüfen, müssen spätestens jetzt erkennen, daß die Belastungsgrenzen längst erreicht oder sogar überschritten sind. Ein Abbau von Versorgungsüberhän- gen hat also nichts mit sozialer Demontage zu tun. Erfolgt er nicht, ist vielmehr der Zusammen- bruch sicher — dann gibt es tat- sächlich nichts mehr zu demontie- ren, sondern nur noch die vom Einsturz Verschütteten und aller Zukunftshoffnungen Beraubten zu bergen und wieder ganz von vorn zu beginnen.

Doch selbst wenn es gelingt, sich rasch von Überlast zu befreien, bleibt die Lage bedrohlich genug, weil Auftriebskräfte weitgehend fehlen. Zwar ist es gelungen das Anwachsen der Neuverschuldung auf 62,5 Milliarden DM zu brem- sen und einen rechnerisch ausge- glichenen Bundeshaushalt 1983 zu verabschieden. Aber noch 1982 ist die Schuldenlast bei Bund, Ländern und Gemeinden allein um 75 Milliarden DM gestiegen.

Pro Kalendertag sind damit 205 479 450 D-Mark neue Schul- den entstanden, das sind 8,5 Mil- lionen DM Neuverschuldung pro Stunde.

Die Gesamtschuldenlast der öf- fentlichen Hand beträgt nunmehr 620 Milliarden DM — das ist mehr als ein Drittel des Bruttosozialpro- duktes von 1600 Milliarden DM im Jahre 1982. Wie im privaten Be- reich können derart riesige Schul- denberge nicht über Nacht und auch nicht im Laufe einer Legisla- turperiode abgebaut werden. Da- zu bedarf es der Arbeit einer gan- zen Generation.

Erschwert wird die Tilgung der öf- fentlichen Schulden durch die noch nicht überwundene wirt- schaftliche Rezession. Die allein im Jahre 1982 auf 16 000 angestie- gene Zahl der Firmenzusammen- brüche, die mit 2,35 Millionen er- wartete durchschnittliche Zahl der Arbeitslosen, die sich wahrschein- lich noch erhöhen wird, sind dafür sichtbarer Ausdruck. Mit 13 400 000 Menschen haben Ar-

beitslose, Kranke und Rentner be- reits 55 Prozent der Zahl der Er- werbsfähigen erreicht. Auf jeden Erwerbsfähigen kommen ein- schließlich aller Familienangehöri- gen statistisch 2,5 andere, die mit- versorgt werden müssen.

Eine weitere Verschlechterung ist wegen der Veränderungen der demographischen Bevölkerungs- strukturen mit relativer Überalte- rung, aber auch wegen der Ten- denz zu früherer Berentung zu er- warten. Schon 1982 arbeitete nur jeder fünfte Erwerbstätige bis zum 65. Lebensjahr, ein Drittel der Neu- rentner war jünger als 60 Jahre.

Die große sozialpolitische Aufgabe: Neuordnung der Rentenversicherung

Das bedeutet bei steigenden So- ziallasten gleichzeitig weniger Steuereinnahmen und weniger Sozialbeiträge — mit der Folge, daß die Erwerbstätigen und die Wirt- schaft immer stärker belastet wer- den. Mit der Folge aber auch, daß Renten- und Arbeitslosenversiche- rung in immer größere Schwierig- keiten geraten müssen. Bliebe es bei den derzeitigen Maßnahmen, wäre bereits im April 1984 die Ren- tenversicherung illiquide. Es wird auch viele, die erst in zwanzig, dreißig oder vierzig Jahren in das Rentenalter kommen, kaum beru- higen können, wenn sie hören, daß nach der geplanten Anhebung der Beiträge auf 19 Prozent ab 1.

Januar 1984 die Rentenzahlungen lediglich bis 1986 gesichert sind.

Für die Zukunft besteht die Wahl dann darin, ob bis zum Jahre 2035 die Beiträge zur Rentenversiche- rung auf 35 Prozent ansteigen, oder die Renten auf 23 Prozent des Bruttoverdienstes absinken müssen. Zu diesem Zeitpunkt müßten je 100 Erwerbsfähige nicht nur ihre Familien, sondern auch 68 Rentner und deren Angehörige miternähren. Angesichts der Wirt- schaftslage und der zu erwarten- den erheblichen Veränderungen nicht nur durch Einführung elek- tronischer Datenverarbeitung,

sondern auch von Mikroprozesso- ren und Robotern in die Produk- tion, ist zu befürchten, daß die Ar- beitsfähigen dann nicht einmal mehr Arbeit haben, was zu einer weiteren Verschärfung der Proble- me führen muß.

Eine Neuordnung der Altersver- sorgung, insbesondere der Ren- tenversicherung, ist also unum- gänglich. Entgegen früheren Überlegungen sollen nach dem Willen der Bundesregierung in diese Neuordnung aber nicht ein- bezogen werden Lebensversiche- rungen und berufsständische Al- tersversorgungswerke, also auch nicht die ärztlichen Versorgungs- werke. Das versicherte mir kürz- lich auf entsprechende Nachfrage bei einem Gespräch der Bundes- arbeitsminister Dr. Blüm aus- drücklich. Leider klangen seine Ausführungen hierzu gestern in der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung nicht mehr so eindeutig. Da- her sei auch in diesem Jahr wie- derholt: Hände weg von den Ver- sorgungswerken! Die berufsstän- dischen Versorgungswerke haben eine von der gesetzlichen Renten- versicherung ganz verschiedene Geschichte. Sie sind in eigener In- itiative entstanden, als die allge- meine Rentenversicherung noch auf einen bestimmten Mitglieder- kreis beschränkt war. Sie beruhen

— ebenso wie Lebensversicherun- gen — ausschließlich auf eigener Leistung der in diesen Versor- gungswerken Versicherten.

Zurück zur Sozialversicherung:

Die Bundesanstalt für Arbeit benö- tigt 1983 einen Zuschuß von 5,36 Milliarden DM, um ihrer Gesamt- zahlungsverpflichtung in Höhe von etwa 37 Milliarden DM über- haupt nachkommen zu können.

Unberücksichtigt dabei ist die vom Bund mit 5,7 Milliarden DM voll zu tragende Arbeitslosenhilfe. Die in guten Zeiten einmal angesammel- ten Reserven für Notzeiten mit ho- her Arbeitslosigkeit sind in frühe- ren Jahren mit der Begründung verbraucht worden, man müsse die Arbeitslosigkeit durch Um-

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Vilmar: Wende auch in der Gesundheitspolitik

schulung und andere Maßnahmen

bekämpfen, bevor sie überhaupt entstehen könne. Auch der Gut- gläubige wird heute erkennen, daß diese Präventivmaßnahmen gründlich gescheitert sind.

Dies alles gehört zur Eröffnungs- bilanz für die Arbeit der neuen Bundesregierung. Wahrlich kein Anlaß zur Euphorie, sondern ein erschreckender Beweis für die Dringlichkeit der am 1. Oktober 1982 eingeleiteten „Not-Wende".

Um Wirtschaft und Staatsfinanzen wieder in Ordnung zu bringen sind gewaltige Anstrengungen aller Bürger über viele Jahre erforder- lich. Niemand sollte erwarten, daß nur einige politische Beschlüsse gefaßt und entsprechende Geset- ze verabschiedet werden müßten, um die Misere zu überwinden. Er- folge sind nur von beharrlicher, zäher Arbeit und gemeinsamer An- strengung zu erwarten. Das sollte schon heute — auch im Hinblick auf die nächsten Bundestagswah- len — jedermann klar sein.

Die Sozialleistungen müssen wieder auf das Wesentliche beschränkt werden

Die schlechte Gesamtlage steht in unmittelbarer Wechselbeziehung zu der bisherigen und künftigen Gestaltung der Sozial- und Ge- sundheitspolitik. Eine der wesent- lichen Ursachen für das Desaster ist darin zu suchen, daß über das vertretbare Maß öffentlicher Inve- stitionsschulden hinaus immer mehr Konsumschulden als Vor- griff auf kaum mehr zu erbringen- de Leistungen der Zukunft ge- macht worden sind und weil die Hälfte der nur noch durch ständig neue und daher immer stärkere Verschuldung zu finanzierenden Staatsausgaben in Form vielfälti- ger Sozialleistungen privaten Haushaltungen zufließt. So riesige Umverteilungsprozesse und der unmittelbare Verbrauch giganti- scher Kapitalmengen überfordern die Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft.

Wende und Neuorientierung sind auch hier unumgänglich. Das breitgefächerte und alle Bürger und Lebensbereiche oft genug un- abhängig von der eigenen Lei- stungsfähigkeit erfassende Ange- bot an Sozialleistungen muß wie- der auf das Wesentliche begrenzt

Genscher gratuliert Vilmar

zur Wiederwahl

Der Bundesvorsitzende der Freien Demokratischen Partei, Hans-Dietrich Genscher, hat Dr.

Karsten Vilmar zu seiner am 14.

Mai 1983 in Kassel vollzogenen Wiederwahl als Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Arztetages telegra- fisch seine Glückwünsche über- mittelt. Das Telegramm hat fol- genden Wortlaut:

„Sehr geehrter Herr Dr. Vilmar, zu Ihrer Wiederwahl zum Präsi- denten der Bundesärztekammer übermittle ich Ihnen die herzli- chen Glückwünsche der Freien Demokratischen Partei und von mir persönlich. Ihre Wiederwahl ist eine eindrucksvolle Bestäti- gung Ihrer erfolgreichen Arbeit an der Spitze der Bundesärzte- kammer.

Ich wünsche Ihnen für ihre ver- antwortungsvolle Aufgabe wei- terhin viel Erfolg und Ihnen per- sönlich alles Gute.

Ihr

Hans-Dietrich Genscher Bundesvorsitzender der Freien Demokratischen Partei"

werden. Übertriebene oder so- gar mißbräuchliche Ausschöpfung weitgefaßter Rechtsansprüche muß im Interesse der wirklich Hilfsbedürftigen unterbunden werden. Schmerzhafte Kürzungen sind nicht zu vermeiden. Und für manchen Mitbürger wird es eine

herbe Enttäuschung sein, wenn er erkennen muß, daß die Rechnung für die ihm jahrelang von „Sozial- leistungsanbietern" dargebotenen üppigen „Geschenke" jetzt von ihm selbst beglichen werden muß.

Zu den notwendigen Einsichten gehört die Erkenntnis, daß jeder Mensch für seine und seiner Fami- lie Gesundheit, Sicherheit und Wohlergehen zunächst selbst ver- antwortlich ist. An Stelle öffentli- chen Anreizes zu unbegrenzter Begehrlichkeit, allgemeiner An- spruchshaltung und umfassender Vollversorgungsmentalität durch Gesetzgebung, Rechtsprechung und Sozialpublizistik müssen Ei- geninitiative und Eigenverantwor- tung freigesetzt und gefordert werden. Erst wenn die Kräfte des einzelnen durch Krankheit oder unverschuldete Not überfordert sind, tritt nach dem Subsidiaritäts- prinzip die Gemeinschaft ein. Die- se Gemeinschaft ist nicht in jedem Fall sofort der Staat, denn es ist ein Irrglaube anzunehmen, der Staat könne alles besser regeln, und es werde schon alles allein deshalb gut, wenn nur der Staat es mache. Bereitschaft und Fähigkeit zur Leistung, Einfallsreichtum, Einsatzbereitschaft, aber auch Hilfsbereitschaft müssen geför- dert werden. Gestalterische und schöpferische Kräfte müssen sich wieder frei entfalten können, Ar- beit und Mühe müssen sich wieder lohnen und dürfen nicht bestraft werden.

Es ist zu begrüßen, daß diese For- derungen der Ärzteschaft voll mit den Feststellungen von Bundes- kanzler Dr. Helmut Kohl in seiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 übereinstimmen.

Diese Grundsätze haben nichts mit rücksichtsloser Ellenbogenge- sellschaft zu tun. Es geht vielmehr um den in einer freiheitlichen de- mokratischen Gesellschaft selbst- verständlichen individuellen Ge- staltungsfreiraum, um Selbstver- wirklichung im besten Sinne, die in den vergangenen Jahren allzu häufig zu gemeinschaftsfeindli-

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chem, egozentrischem Sozial-Pa- rasitismus pervertiert wurde.

Was für den einzelnen gilt, trifft auch auf die verschiedenen Zu- sammenschlüsse zur Bewältigung gemeinsamer Risiken zu, also auf das in über 100 Jahren gewachse- ne, gegliederte System der sozia- len Sicherung mit seinen verschie- denen Zweigen. Je nach dem in einzelnen Gruppen der Gesell- schaft unterschiedlichen eigenen Leistungsvermögen, je nach der unterschiedlichen Risikobereit- schaft und dem Schutzbedürfnis können in diesem gegliederten Sy- stem der Kranken-, der Alters- und Hinterbliebenenversicherung in Selbstverwaltung den Bedürfnis- sen des einzelnen entsprechende Bedingungen geschaffen werden.

Eine ausreichende Absicherung in Kernbereichen sollte allerdings immer zu den selbstverständli- chen Pflichten gehören, damit nie- mand, der dazu in der Lage ist, ohne Eigenleistung der Allgemein- heit zur Last fallen muß. Über den weiteren Umfang der Absicherung sollten Wahlmöglichkeiten nach Art und Umfang eingeräumt wer- den, wie sie für den mündigen Bürger in allen anderen Bereichen des Lebens selbstverständlich sind.

Der Staat müßte sich ebenso selbstverständlich aller Versuche enthalten, der gesetzlichen Kran- kenversicherung und ihren Bei- tragszahlern eine Vielzahl von sach- und versicherungsfremden Lasten aufzubürden, die teilweise nicht einmal versicherungsfähig sind. Wenn die gesetzgebenden

Rück-Blicke auf den 86. Deutschen Ärz- tetag in Kassel. Oben: Die Papierkörbe zwischen den Tischreihen der Delegier- ten dienen der „Ablage" erledigter Um- drucke. — Mitte: Blick aus dem Plenum aufs Podium; die „Ampel" vor dem Red- nerpult zeigt an, wann die Redezeit ab- läuft — Unten, von links: Hauptge- schäftsführer Prof. J. F. Volrad Deneke, Präsident Dr. Karsten Vilmar, die beiden Vizepräsidenten Dres. Helmuth Klotz und Gustav Osterwald; Geschäftsfüh- render Arzt Dr. Heinz-Peter Brauer

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Vilmar: Wende auch in der Gesundheitspolitik

Körperschaften eine Absicherung

derartiger Fälle aus politischen Gründen für notwendig erachten, müssen die dafür anfallenden Ko- sten aus staatlichen Finanzmitteln gedeckt werden. Es ist den Soli- dargemeinschaften nicht länger zuzumuten, daß politisch motivier- te Geschenke und Subventionen auf ihre Kosten erbracht werden.

Das System der sozialen Siche- rung darf nicht auf direktem oder indirektem Wege äls zweites Be- steuerungssystem zur Finanzie- rung staatlicher Wohlfährigkeit oder zum Ausgleich des Staats- haushaltes mißbraucht werden.

Man mag über den Umfang der Aufgaben von Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung streiten, die Aufgabe, desolate Staatsfinanzen zu sanieren, haben sie gewiß nicht.

Das Motto „Weniger Staat und mehr Selbstverwaltung" sollte auch im Krankenhauswesen gel- ten. Gerade in diesem Bereich un- seres Gesundheitswesens sind un- ter dem Einfluß staatlicher Pla- nungskompetenz bemerkenswer- te Fehlentwicklungen zu verzeich- nen.

Das 1972 nach einer entsprechen- den Grundgesetzänderung in Kraft getretene und als „Jahrhun- dertgesetz" gepriesene Kranken- hausfinanzierungsgesetz (KHG) sollte nicht nur die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser be- wirken, Zweck war es auch „eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen Krankenhäusern zu gewährleisten und zu sozial tragbaren Pflegesät- zen beizutragen". Schon nach we- nigen Jahren wurde deutlich, daß die Absichten des Gesetzgebers nicht zu verwirklichen waren: Und inzwischen ist jedermann klar ge- worden, daß dies Gesetz nicht nur gescheitert, sondern zu einem Mu- sterbeispiel staatlicher Planungs- inkompetenz geworden ist.

Nachdem man noch 1972 glaubte, einen Bettenmangel beheben zu müssen, wurde schon in der zwei- ten Hälfte der 70er Jahre, gewis-

sermaßen über Nacht, ein riesiger Bettenberg entdeckt — noch bevor viele der in einem Zentralisie- rungsgigantismus beschlossenen Bettenburgen bezogen werden konnten. Diese sind heute gleich- sam weithin sichtbare Mahnmale in Beton gegossener ruinöser staatlicher Fehlplanungen.

Das planwirtschaftliche Konzept der Krankenhaus- finanzierung hat ausgedient Die Steigerungsraten der Kran- kenhauskosten sind ein weiterer Beweis dafür, daß staatliche Pla- nung keine Garantie für zweckmä- ßige Verwendung begrenzter Fi- nanzmittel ist. Schematisierte und den Arbeitsbedingungen und Ar- beitsabläufen bei der Versorgung der Patienten im Krankenhaus nicht gerecht werdende und die dabei erbrachten Leistungen nicht berücksichtigende Bemessungs- kriterien für die Pflegesatzberech- nung sowie für die Zahl und die Qualifikation des für eine mög- lichst gute Versorgung benötig- ten Personals haben dazu ge- führt, daß sich im Krankenhaus wirtschaftliche Verhaltensweisen nicht auszahlen, weil Leistung be- straft und nicht belohnt wird. Es ist deshalb zu begrüßen, daß Bun- deskanzler Dr. Kohl die Initiative von Bundesarbeitsminister Dr.

Blüm zur Neuordnung der Kran- kenhausfinanzierung in der Regie- rungserklärung bestätigt hat.

Nach Ansicht der Bundesärzte- kammer sollte dabei statt der bis- herigen planwirtschaftlichen Fi- nanzierungskonzeption mit blo- ßer Kostenerstattung nach dem Selbstkostendeckungsprinzip ei- ne angemessene Vergütung wirt- schaftlich erbrachter Leistungen angestrebt werden.

Die gesamte Finanzierung und vor allem die Gestaltung der Pflege- sätze muß klare Übersicht über Kosten und Leistungen ermögli- chen und Anreize zu wirtschaftli- chem Handeln im einzelnen Kran- kenhaus schaffen. Anzustreben ist

echte Selbstverwaltung der im Krankenhaus unmittelbar Beteilig- ten, die gemeinsam mit den Kran- kenkassen — ähnlich wie im ambu- lanten Bereich — jeweils die best- möglichen Regelungen erarbeiten könnte.

Da im Zuge der Neuordnung die Absicht besteht, das bisherige Sy- stem der Misch- und Dualfinanzie- rung zu verändern, bei dem die Investitionskosten von der öffentli- chen Hand, teils des Bundes, teils der Länder, die Betriebskosten da- gegen von den Patienten oder ih- ren Versichertengemeinschaften getragen werden, sei besonders betont, daß sich staatliche Instan- zen wegen des Geldmangels in den öffentlichen Kassen jetzt nicht plötzlich ihren gesetzlichen Finan- zierungspflichten entziehen dür- fen. Das müßte zwangsläufig zu erneuten Belastungen aller Berei- che des Gesundheitswesens füh- ren. Denkbar wäre allenfalls ein allmählicher und teilweiser Rück- zug des Staates aus seiner Finan- zierungsverantwortung, damit die daraus resultierenden Belastun- gen der Krankenversicherungen durch verbesserte Wirtschaftlich- keit aufgefangen werden können.

Es bleibt jedoch Sache des Staa- tes, Grundkosten für die Vorhal- tung von Betten, Material und Ge- rät für Notfälle und Katastrophen- fälle, wie dies vorbildlich zum Bei- spiel in der Schweiz geschieht, zu tragen

Die Gesamtproblematik war inzwi- schen auch Gegenstand eines Ge- spräches zwischen Bundesar- beitsminister Dr. Blüm, Staatsse- kretär Franke und mir. Es ist zu wünschen, daß bei den nunmehr im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung anstehenden weiteren Beratungen ärztlicher Sachverstand mit einbezogen wird und die seit Jahren auf Deutschen Ärztetagen gestellten Forderun- gen zur Neuordnung der Kranken- hausfinanzierung angemessen be- rücksichtigt werden. Dann bestün- de die Chance, daß sich im Kran- kenhaus die Dinge endlich zum Besseren wenden können.

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Medizin und Effizienz ärztlichen Handelns sind weder im Kranken- haus noch in freier Praxis durch mehr oder weniger willkürlich ge- sammelte Daten zu beurteilen. Das müßte sich eigentlich längst her- umgesprochen haben. Schon in der Vergangenheit sind wiederholt derartige Ansätze gescheitert.

Dennoch wird immer wieder ver- datet, erfaßt und mit wirklichkeits- fremden Durchschnitten manipu- liert, so zum Beispiel durch die Arbeitsgemeinschaft für Gemein- schaftsaufgaben der Krankenver- sicherung durch Vorgabe von Durchschnittsverweilzeiten oder durch den von dem Baden-Würt- tembergischen Sozialminister Schlee geplanten Modellversuch zur statistischen Durchleuchtung von 180 000 Versicherten aus Heil- bronn und ihrer von Ärzten behan- delten Krankheiten. Gerade nach dem Urteil des Bundesverfas- sungsgerichtes zur Volkszählung müßte die Erfassung wesentlich sensiblerer Daten in so großer Zahl auf den energischen Wider- stand aller stoßen, die die grund- gesetzlich garantierten Persön- lichkeitsrechte achten. Das gilt ebenso für Absichten zur Aufstel- lung von Krebsregistern ohne Ein- willigung der Patienten und Aufer- legung von Meldepflichten für den Arzt, um die im § 203 des Strafge- setzbuches verankerte ärztliche Schweigepflicht außer Kraft zu setzen. Allzuschnell könnten wei- tere Register für andere Bevölke- rungsgruppen mit bestimmten Krankheiten, deren Erforschung ähnlich dringend erscheint, folgen.

Datenschutz zwischen Persönlichkeitsrecht und Forschungsnotwendigkeit

Gerade der 85. Deutsche Ärztetag hat sich im Vorjahr in Münster ein- gehend mit dem Thema „Ärztliche Schweigepflicht und Probleme des Datenschutzes" beschäftigt und für die unbedingt notwendige Datennutzung zum Beispiel auch zur epidemiologischen Forschung richtungweisende Beschlüsse un-

ter Beachtung der Persönlich- keitsrechte und der Notwendigkei- ten für die Forschung gefaßt. Auch Bundeskanzler Dr. Kohl hat in sei- ner Regierungserklärung die Not- wendigkeit der Verbesserung des Datenschutzes im Gesundheitswe- sen ausdrücklich betont.

Als völlig abwegig müssen Vor- würfe zurückgewiesen werden, die Ärzteschaft bestehe deshalb auf Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht, weil sie sich nicht in die Karten gucken lassen oder sogar etwas vertuschen wol- le. Darum kann es der Ärzteschaft und ihren Organisationen über- haupt nicht gehen. Und es sei mit allem Ernst betont, daß die ärztli- chen Körperschaften und auch je- der anständige Arzt nicht bereit sind, betrügerische Manipulatio- nen zu decken, wie sie kürzlich bei einigen Ärzten und Apothekern aufgedeckt wurden. Im Interesse einer ordnungsgemäßen Versor- gung der Patienten und zur Erhal- tung der Vertrauensbasis zwi- schen Patient und Arzt müssen derartige Dinge rückhaltlos aufge- klärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

Zurückweisen muß die Ärzteschaft allerdings Versuche, ihr Schuld und Verantwortung für alle mögli- chen Entwicklungen in anderen Bereichen zuzuschieben. Erinnert sei an die Diskussion um die Be- scheinigung von Arbeitsunfähig- keit. Es bedarf keiner Frage, daß das Ausstellen von Gefälligkeitsat- testen nicht geduldet werden kann. Diese Überlegung ist nicht neu, sie hat schon den 9. Deut- schen Ärztetag vor 102 Jahren in Kassel beschäftigt. Bei der Be- scheinigung von Arbeitsunfähig- keit muß der Arzt aber den vom Patienten vorgebrachten Be- schwerden zunächst Glauben schenken. Wirksames ärztliches Handeln wäre unmöglich, müßte der Arzt in jedem Patienten einen potentiellen Betrüger vermuten.

Zu den sachlichsten Diskussions- beiträgen gehört es schließlich nicht, jahrelang eine angeblich be-

stehende ärztliche Unterversor- gung zu beklagen, die Mitursache für einen hohen Krankenstand ge- wesen sein soll, und sich jetzt we- gen drohender Überversorgung besorgt zu äußern und den nach inzwischen eingetretener Normali- sierung der ärztlichen Versorgung gesunkenen Krankenstand zu be- klagen und daraus auf Gefähr- dung der Gesundheit zu schlie- ßen. Wäre nicht die politische Ab- sicht solcher öffentlichen Äuße- rungen sonnenklar und durch- sichtig, könnte man in der Tat ver- wirrt sein.

Medizinische Orientierungs- daten müssen in die

Gesundheitspolitik eingehen

Für die Zukunft wäre zu wün- schen, daß wir zu einer ordnungs- politisch weitsichtigen effektvol- len Gesundheitspolitik kommen, die sich nicht als ausschließlich auf kurzfristige finanzpolitische Entlastungs- und Verlagerungsef- fekte abzielende Kostendämp- fungspolitik versteht. Wir begrü- ßen es, daß die Regierungserklä- rung nicht — wie in früheren Jah- ren — bereits alles festschreibt, hoffen aber, daß die Freiräume un- ter Mitwirkung ärztlichen Sachver- standes ausgefüllt werden. Die Ab- sichtserklärung, den Verschiebe- bahnhof von Sozialversicherungs- haushalten und Bundesetat end- lich ein- für allemal zu schließen, wird von der Ärzteschaft begrüßt.

Für gesundheitspolitisch richtige Entscheidungen müssen endlich auch medizinische Orientierungs- daten einbezogen werden, wie dies die Reichsversicherungsord- nung im § 405 a vorschreibt. Eine Denkschrift über die vielfältigen Einflüsse durch demographische und epidemiologische Verände- rungen, über den medizinischen Fortschritt in Prävention, Diagno- stik und Therapie sowie über spe- zielle Entwicklungstrends in ver- schiedenen medizinischen Teilbe- reichen ist jetzt von der Bundes- ärztekammer in der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen vor-

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Vilmar: Wende auch in

der Gesundheitspolitik

gelegt

worden. Sie wurde auf der Grundlage von Beratungen mit Vertretern wissenschaftlicher me- dizinischer Fachgesellschaften und ärztlicher Berufsverbände er- arbeitet, denen auch an dieser Stelle herzlich dafür gedankt sei, wie auch der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem Zen- tralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland für deren Berech- nungen.

Besonders wenn in der Gesund- heitspolitik eine Wende bevor- steht, ist intensive Zusammenar- beit zwischen medizinisch-wissen- schaftlichen Fachgesellschaften, Berufsverbänden und ärztlichen Selbstverwaltungskörperschaften unumgänglich, um eine den me- dizinisch-wissenschaftlichen Er- kenntnissen entsprechende Ver- sorgung aller Patienten unter Be- achtung humanitärer und ethi- scher Grundsätze zu sichern und politische Fehlentscheidungen zu vermeiden, die weitere Bürokrati- sierung des Gesundheitswesens bewirken könnten. Die gemeinsa- men Arbeiten an den medizini- schen Orientierungsdaten sollen fortgesetzt und themenbezogen vertieft werden.

Gemeinsame Überlegungen sind auch nötig zur Qualitätssicherung in der ärztlichen Berufsausübung.

Hier sind von medizinisch-wissen- schaftlichen Fachgesellschaften in Pilotstudien wichtige Erkennt- nisse erarbeitet worden. Der Deut- sche Ärztetag wird sich dieser viel- schichtigen Problematik anneh- men und darüber beraten, wie ei- ne, in den verschiedenen ärztli- chen Arbeitsbereichen anwendba- re, wissenschaftlichen Kriterien standhaltende notwendigerweise vielschichtige Methodik zur Quali- tätssicherung in der ärztlichen Be- rufsausübung entwickelt werden kann und wie die dabei auftreten- den Finanzierungsfragen zu lösen sind. Es ist einleuchtend, daß die- se schwierige Problematik nicht durch administrative, bürokrati- sche Verfahren zu lösen ist — schon gar nicht ohne den Sach-

verstand medizinisch-wissen- schaftlicher Fachgesellschaften und ärztlicher Selbstverwaltungs- körperschaften.

Alle Bemühungen, die Qualität der ärztlichen Berufsausübung zu si- chern, müssen allerdings schei- tern, wenn es nicht endlich ge- lingt, auch die Qualität der Ausbil- dung zum Arzt zu sichern.

Die politische Forderung nach Mobilisierung der sogenannten Bildungsreserven, die falsche Aus- legung der Forderung nach Chan- cengleichheit und fragwürdige Auswahlkriterien für das Hoch- schulstudium haben zu einer die vorhandenen Ausbildungskapazi- täten weit übersteigenden Studen- tenzahl geführt. Motiv zum Stu- dium und Wahl des Faches wer- den zudem vielfach nicht vom Ge- fühl der Berufung bestimmt, der Entschluß erfolgt eher wegen ei- nes überdurchschnittlich guten Abiturnotendurchschnittes.

Vorrangig ist jetzt eine Novellierung der

Kapazitätsverordnungen

An der Hochschule fehlen häufig die Voraussetzungen für eine sinnvolle Gestaltung der Ausbil- dung. In der Medizin kann auf die Ausbildung der Ärzte am Patien- ten nicht verzichtet werden. Die Zahl der lehrgeeigneten Patienten, ebenso wie die Zahl berufs- und lebenserfahrener Hochschulleh- rer, steht jedoch oft in krassem Mißverhältnis zur riesigen Zahl der Lernenden.

Vorrangig ist eine Novellierung der Kapazitätsverordnungen der Länder. Die Zahl der Studenten ist nicht mehr nach dem letzten freien Hörsaalplatz in vorklini- schen Semestern zu bemessen.

Sie muß sich vielmehr an den tat- sächlichen vorhandenen Ausbil- dungskapazitäten im klinischen Bereich und damit an der Zahl der für die Ausbildung zur Verfügung stehenden Patienten und deren Belastbarkeit orientieren.

Wie die Professoren Stern und Tettinger in einem Rechtsgutach- ten ausführen, muß aus Gründen des Gemeinwohls ein Qualitäts- standard der Ausbildung zum Arzt garantiert sein. Wenn demnach die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung aufgrund der derzeitigen Qualität nachweisbar gefährdet sei, würden trotz der Rechtsprechung des Bundesver- fassungsgerichtes zum Numerus clausus überragende Gründe des Gemeinwohles auch eine Ände- rung der Kapazitätsverordnungen und der Approbationsordnung rechtfertigen.

Die von Deutschen Ärztetagen wiederholt geforderte Novellie- rung der Approbationsordnung ist ebenso notwendig. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Be- schlüsse des 82. Deutschen Ärzte- tages in Nürnberg aus dem Jahre 1979, die darauf abzielen, inner- halb der Ausbildung mehr prakti- sche Kenntnisse und Erfahrungen zu vermitteln, die neben theoreti- schem Wissen unabdingbare Vor- aussetzung für die Berufsaus- übung als Arzt sind.

Die Anpassung der Studentenzah- len an die klinischen Ausbildungs- kapazitäten und die Einbeziehung einer zweijährigen praktischen Tä- tigkeit in die Ausbildung durch Än- derung von Kapazitäts- und Ap- probationsordnungen wird auch bei unverzüglicher Verabschie- dung erst in fünf bis sechs Jahren spürbare Auswirkungen haben können.

Da es für junge Ärzte auch wegen der Stelleneinsparungen zuneh- mend schwerer wird, Arbeitsmög- lichkeiten in Krankenhäusern zu bekommen, um die ihnen nach Abschluß ihrer Ausbildung fehlen- den praktischen Kenntnisse und Erfahrungen zu sammeln, soll durch Änderung der Zulassungs- ordnung vorübergehend die Zu- lassung zu kassenärztlicher Tätig- keit von der Ableistung einer 18monatigen Vorbereitungszeit mit unselbständiger ärztlicher Tä- tigkeit als Assistent oder Vertreter

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Den täglichen Pressekonferenzen (rechts) stellten sich während des Ärz- tetages Vorstandsmitglieder und Refe- renten des Tages. — Unten: Der Kasse- ler Ausstellungsstand des Deutschen Ärzte-Verlages mit Geschäftsführer Dr.

Ferdinand Klinkhammer (links) und Mit- arbeitern Fotos (5): Bohnert-Neusch

im Krankenhaus oder bei einem Kassenarzt abhängig gemacht werden. Allerdings wäre dies nur eine vorübergehende Notlösung, bis der Staat endlich den ihm ob- liegenden Ausbildungsverpflich- tungen gerecht wird. Es wäre wi- dersinnig, die unbedingt nötige praktische Ausbildung zum Arzt aus Kostengründen in Frage zu stellen, bei der Quantität der Hochschulzulassungen aber kei- nerlei Rücksicht auf die Gelder der Steuerzahler zu nehmen.

Die Verantwortung für die Ausbildung der Medizin- studenten liegt beim Staat

Eine von manchen geforderte Pflichtweiterbildung, um nicht zu sagen „Zwangsweiterbildung" ist keine Alternative. Der Staat darf nicht aus einer Verantwortung für die Ausbildung — auch im berufs- praktischen Teil — entlassen wer- den. Er sollte auch nicht versu- chen, über die von ihm zu vertre- tenden Ausbildungsversäumnisse hinwegzutäuschen. Nach unserem Rechtssystem ist mit einer derarti- gen Pflichtweiterbildung, die über Landesgesetze geregelt werden müßte, die Zerschlagung des ein- heitlichen Arztberufes verbunden.

Eine möglichst ganzheitliche Ver- sorgung der Patienten würde da- durch gefährdet.

Die vielschichtigen mit der Motiva- tion zum Studium, den Kapazitäts- verordnungen und der Ausbildung zum Arzt verbundenen Probleme waren noch vor der Regierungser- klärung Gegenstand eines aus- führlichen Gespräches mit dem Bundesminister für Jugend, Fami- lie und Gesundheit, Dr. Heiner Geißler. Die Beratungen in seinem

Ministerium mit dem Ziel einer bal- digen Lösung werden in Kürze fortgesetzt.

Schmerzlich vermißt hat die Ärzte- schaft eine Wende zu vernünftigen Lösungen bei der Verabschiedung der zum 1. Januar 1983 in Kraft getretenen amtlichen Gebühren- ordnung für Ärzte (GOÄ). Ohne auf alle Einzelheiten eingehen zu kön- nen, sei festgestellt, daß damit ei- ne Bürokratisierung früher unbe- kannten Ausmaßes erfolgt ist. Die Einführung von Schwellenwerten mit formalistischen Begründungs- zwängen muß als Weichenstellung zur Einheitsversicherung angese-

hen werden. Auch die Aufteilung in sogenannte persönliche und technische Leistungen ist willkür- lich. Die erheblichen Verschiebun- gen infolge Veränderungen des Gebührenrahmens mit unter- schiedlichen Multiplikatoren und Begründungsschwellen und die Veränderungen im Leistungsver- zeichnis können in vielen Fällen zu der paradoxen Situation füh- ren, daß die Sachkosten, beson- ders im Krankenhaus, das Liquida- tionsvolumen überschreiten. Der Arzt wäre also genötigt, seine Lei- stungen nicht nur ohne Honorar zu erbringen, sondern dafür sogar noch zu bezahlen. Es ist zu begrü-

(9)

Vilmar: Wende auch in der Gesundheitspolitik

ßen, daß die Bundesminister Dr.

Blüm und Dr. Geißler in den Ge- sprächen mit der Bundesärzte- kammer die Bereitschaft erkennen ließen, die von der Bundesregie- rung beschlossene Überprüfung und Korrektur nicht erst nach zwei Jahren, sondern schon früher in Angriff zu nehmen.

Mit allem Nachdruck müssen öf- fentlich geäußerte Vorwürfe zu- rückgewiesen werden, die Ärzte unterliefen die neue amtliche Ge- bührenordnung (GOÄ) und mach- ten sich unter Ausnutzung einer vermeintlichen oder tatsächlichen Monopolstellung die Notlage des Patienten zunutze. Für diese ver- allgemeinernden Feststellungen fehlen jegliche Beweise. Mit öf- fentlichen Polemiken dieser Art werden durchsichtige politische Absichten verfolgt. Sie schädigen das Vertrauensverhältnis zwi- schen Patient und Arzt und nutzen der Sache überhaupt nicht. Falls es aus Unkenntnis oder anderen Gründen in Einzelfällen zu Fehl- verhalten gekommen sein sollte, ist die Aufklärung des konkreten Sachverhaltes durch die Ärzte- kammer wirkungsvoller. Das müß- te auch denen einleuchten, die öf- fentliche Vorwürfe erheben, wenn ihnen wirklich an einer korrekten Regelung gelegen ist. Diese aber dient sowohl den Patienten als auch den Ärzten mehr als öffentli- che Diffamierungskampagnen.

Wenig von einer Wende zum Bes- seren ist zu spüren in dem von der neuen Bundesregierung am 9. Fe- bruar 1983 beschlossenen und der Öffentlichkeit noch vor der Bun- destagswahl vorgelegten Pro- gramm „Forschung und Entwick- lung im Dienste der Gesundheit"

für die Jahre 1983 bis 1986. Es schreibt das von der alten Bundes- regierung für die Jahre 1978 bis 1981 beschlossene Forschungs- programm nahezu detailgetreu fort. Im Rahmen dieses Pro- gramms werden Forschungsvor- haben und Modellversuche geför- dert, die, ohne überhaupt Ergeb- nisse abzuwarten, letztendlich nur der Systemveränderung dienen

Notwendig wäre jedoch eine För- derung von Forschung ohne wie auch immer verbrämte politische Zielvorgaben.

Die neue Bundesregierung wäre gut beraten, die einzelnen Vorha- ben und deren Projektträger dar- aufhin zu überprüfen, ob nicht wissenschaftlich bemäntelte poli- tische Willensbildung geeignet ist, die von ihr beabsichtigte Wende zu verhindern. In einem in Kürze mit dem Bundesminister für For- schung und Technologie, Dr.

Heinz Riesenhuber, vorgesehenen Gespräch, werde ich mit allem Ernst auf diese Zusammenhänge aufmerksam machen.

Die Ärzteschaft

ist zur sachverständigen Mitarbeit bereit

In vielen Bereichen sind die Pro- bleme also auch nach den Wahlen noch keineswegs gelöst. Es wird zäher, beharrlicher Arbeit bedür- fen, denn Patentlösungen gibt es nicht. Die Ärzteschaft und ihre Selbstverwaltungskörperschaften sind jedoch nach wie vor zur Mit- wirkung bei der Bewältigung der Schwierigkeiten bereit. Die Ärzte- schaft wird ihren auf medizinisch- wissenschaftlichen Erkenntnissen und täglicher ärztlicher Erfahrung in Klinik und Praxis beruhenden Sachverstand in die Beratungen einbringen, sowohl bei der Regie- rungskoalition wie bei der Opposi- tion. Für die ärztliche Argumenta- tion ist dabei keine Wende erfor- derlich. Die Vorstellungen der Ärzteschaft sind vielmehr schon seit langem den im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien und Fraktionen vorgetragen wor- den.

Der ärztliche Standpunkt wurde darüber hinaus in zahlreichen Ge- sprächen mit Krankenkassenver- bänden und Gewerkschaften so- wie Krankenhausträgerverbänden vertreten. Von besonderer Bedeu- tung sind gerade jetzt nach den Bundestagswahlen Gespräche mit den Gesundheits- und Sozialpoliti-

kern der Bundestagsfraktionen.

Ein solches Gespräch wurde in- zwischen mit dem Vorsitzen- den der FDP-Bundestagsfraktion, Hans Mischnick, geführt. Gesprä- che mit den Gesundheits- und So- zialpolitikern der anderen Bundes- tagsfraktionen sind für die näch- sten Wochen vorgesehen.

Die ärztliche Argumentation ist ernst zu nehmen. Sie sollte nicht als vordergründige Interessenpoli- tik zurückgewiesen werden, wie das in der Vergangenheit leider oftmals geschah. Ziel der Ärzte- schaft ist es, auch in Zukunft eine möglichst gute individuelle ärztli- che Versorgung aller Patienten zu sichern. Dabei muß jedoch Raum bleiben für die Erfüllung individu- eller Wünsche und Bedürfnisse kranker Menschen, die angesichts von Krankheit, Leiden und Tod nicht entmündigt werden dürfen.

Wichtigste Voraussetzung ist auch in der Gesundheitspolitik klare Analyse und entschlossenes Han- deln; konzeptionsloser Aktionis- mus ist fehl am Platze. Oftmals muß die Mehrheit der Gesunden überzeugt werden, zu denen leider auch manche Sozialbürokraten und Humanitätsökonomen gehö- ren. Bei der Gestaltung der künfti- gen Gesundheitspolitik darf der Sachverstand der Ärzte nicht aus- geklammert werden. Ärzte sind und bleiben schließlich im Ge- sundheitswesen wesentlich Betei- ligte.

Es geht auch hier um weniger Staat, aber mehr Selbstverwaltung und Selbstverantwortung.

Anschrift des Verfassers:

Dr. Karsten Vilmar Präsident der Bundesärztekammer

und des Deutschen Ärztetages Haedenkampstraße 1

5000 Köln 41 (Lindenthal) (Referat bei der Eröffnungsveran- staltung des 86. Deutschen Ärzte- tages am 10. Mai 1983 in Kassel)

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