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Nomen ne scio

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Academic year: 2022

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it zunehmendem Alter wird man zerstreuter.

Wer das leugnet, hat bereits vergessen, an was er sich früher mal so alles erinnert hat. Oder was er auf der letzten Fortbildung über das Working Memory hätte lernen sollen. Besonders schwierig ist es, Namen abzurufen. Zudem äusserst verletzend, wenn man sich nicht daran erinnert. Die Strategie von Jörg Kachelmann, alle Frauen, deren Namen er sich nicht merken konnte, als «Luusmeitli» anzu - reden, kommt insbesondere bei männlichen Ordina- rien schlecht an. Sechs Jahre lang sass mir im Stu- dium ein fadblonder, dürrer Langeweiler vis-à-vis, der meist diskret in der Nase knübelte und Professor für Gastroenterologie wurde. Jetzt ist der Bursche ein fadgrauer dicklicher Langeweiler und Dozent auf dem Internistenkongress. Er stürzt in der Pause ju- belnd und namenrufend auf mich zu, ergreift beid- händig meine unwillig dargebotene Hand, während ich mir noch überlege, ob an seinen Händen Schnud- der oder weitaus Schlimmeres klebt. Diese Frage klärt sich unverzüglich, da er nach wenigen Minuten von mir ablässt und seinen Index dexter bis zum distalen Interphalangealgelenk diskret in die Naris sinister schiebt. Die Frage, wie er heisst, bleibt hinge - gen ungelöst. Bänz? Bernd? Balz? Böög? «Naiaberau, dass man dich wieder mal trifft?! Heijeijei, wie lang isch’s hääääar?», rufe ich. Wir lachen herzlich. Ein weiterer Alt-Kommilitone gesellt sich zu unserem Duo. Er lügt charmant: «Bert, du wirst irgendwie nicht älter!» «Alter Junge!», röhre ich, während ich hirne, wie der dritte Mann heisst (Jérôme? Julien?

Schliiimi? Tschämpe? Jacques?) «Wo du Recht hast, hast du Recht.» Eine einstmals erotische Mitstuden- tin, die jetzt eher erratisch wirkt, nimmt Kurs auf uns. «Wie hiess die noch?», zischelt der dritte Mann.

Böög-Bert zuckt ratlos mit den Schultern. «Meine Liebe», bluffe ich dreist, «du wirst es nicht glauben, aber die beiden Jungs hier haben keine Ahnung mehr, wie du heisst!» Sie lächelt nachsichtig. «Nun, ich habe ja auch dreimal geheiratet. Inzwischen heisse ich wieder Wyss.» Klar doch, das Wyssbethli, schiesst es mir durch den Kopf. «Bethli, ich bin immer noch dein grösster Fan!», sülze ich. «Da werde ich aber eifersüchtig!», gurrt eine zweite Frau hinter mir. Ich drehe mich um und erblicke die Geo- grafielehrerin meines Sohnes. Kann aber eigentlich nicht sein, denn diese Dame hier ist mindestens 20 Jahre älter. «Madame!», schmachte ich, beuge

mein schamrotes Gesicht über ihre Hand und täu- sche einen Handkuss vor. «Ihr ergebenster Sklave!»

Da rettet mich ein Aussendienstler. Vermutlich weiss er meinen Namen nicht mehr, weil er «Ja gruessech, Herr Doggder!» ruft. Dankbar umklammere ich seine ausgestreckte Hand, schiele auf sein Schild, und sage, während ich mich langsam mit ihm weg- bewege: «Herr Ebnöther, ich hatte gehofft sie hier zu treffen. Haben Sie auch Ärztemuster dabei?»

Noch heikler ist die Zwischenanamnese an der Wursttheke. Strahlend kommt ein slawischer Riese auf mich zu und schwärmt, dass die Hämorrhoiden- zäpfchen super geholfen hätten. Und auch das Kind sei gut drauf. Ich nicke gütig, entscheide mich doch für ein Käse-Znacht und eile weiter. Genau in die Arme der tiefen Venenthrombose des rechten Beins nach Hysterektomie. Zurzeit beträgt ihr Wert 2,8 vom INR. (Das steht nicht für Institute of National Re- membrance, sondern für International Normalized Ratio). «Gäll, Sie wissen nicht, wer ich bin?», keckert sie. «Sie tun mir zutiefst Unrecht!», schmolle ich.

«Und dies nach all dem, was wir zusammen erlebt haben? Mit ihrer Blinddarmentzündung 1978 fing es an, dann die Sepsis ein Jahr später, die wunderbare Entbindung ihrer Zwillinge im Jahr 1988 …», spule ich ihre KG ab. Sie ist beeindruckt. «Und ganz zufäl- lig habe ich das Rezept für ihre drei Stützstrümpfe Kompressionsklasse II bei mir!», lächele ich, hole das Kuvert aus der Tasche und gebe es ihr. Nicht ganz zu- fällig, denn weil ich es wiederholt auszufüllen ver- gessen hatte, wollte ich es ihr auf dem Nachhause- weg in ihren Briefkasten werfen. Hasenrain 12. Aber wie um Himmelswillen heisst sie? Sie sieht aus wie Heidi, Helga oder Hermine. Aber ihr Vorname ist leicht verrucht, so etwas wie Carmen, Corazon oder Carina. «Cazzinda!», ruft ein Mann. Mir schwant Schlimmes ob diesem Kassandraruf. Aber es ist nur der Ehemann. «Herr äääähhh…» «Burkhalter», er- gänzt er freundlich. «Na klar, wie der Bundesrat!», sage ich, «aber politisch in der SP engagiert!» Er lä- chelt geschmeichelt. Zwei picklige weibliche Teena ger lümmeln neben ihm herum. «Und so sehen unsere Zwillinge jetzt aus!», sagt er stolz. «Jööööoi!», hau- che ich, «Venus und Aphrodite!» «Nein, Vreni und Anneli!», korrigiert er mich. «Papaaaaa, das war ein Komplimähäänt!», motzt die eine. «Das sind Göttin- nen!», ergänzt die andere. «Ge nau!», strahle ich.

Und rufe: «Bist du soweit, Luus meitli?» Meine Frau dreht sich um. Dabei weiss ich ge - nau, wie sie heisst. Sogar an den Vor- und den Nachnamen erinnere ich mich …

arsenicum

Nomen ne scio

M

790

ARS MEDICI 20 2010

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