Eine exegetische Studie über Genesis 11, i-*') Von 0. E. Ravn-Kopenhagen
Wenn ira vergangenen Jahrhundert die junge assyriolo¬
gische Wissenschaft schnell in weiteren Kreisen Aufsehen
erweckte und populär wurde, hatte es seinen Grund darin,
daß aus Urkunden, die jetzt in der Erde zum Vorschein
kamen und dem Verständnis erschlossen wurden, ein neues
Licht fiel auf Geschichte und Traditionen des biblischen
Altertums, wie sie in den heiligen Schriften der jüdischen und
christlichen Gemeinde niedergelegt sind. Die Zeit ist aber
längst vorüber, in der die Assyriologie als „biblical archaeo¬
logy" einwandfrei bezeichnet werden konnte; die Assyriologie
hat jetzt ihre eigene — und sehr umfassende — Archäologie
und ist ja überhaupt in jeder Beziehung eine selbständige
Wissenschaft. Der Wunsch bleibt jedoch bestehen, auch auf
Seiten der Assyriologie, gegebenenfalls dazu beitragen zu
können, daß Probleme, die außerhalb ihrer eigentlichen Do¬
mäne auftauchen, oder vielleicht schon lange vorlagen, von
ihr aus erhellt werden.
Was das Alte Testament vom Turmbau zu Babel erzählt,
hat keine Parallele in der Keilschriftliteratur; eine assyriolo¬
gische Beleuchtung der Erzählung wird sich daher anders
gestalten als z. B. bei der Sintflutlegende, wo wir von sume¬
rischer, babylonischer, assyrischer und hebräischer Variante
eines gemeinsamen Stoffes sprechen können. Beim Turmbau
liegt nur eine Rezension, die hebräische, vor, aber die direkte
Nennung der babylonischen Weltstadt und die Weise, in
welcher die Erzählung in eine Auslegung des Namens dieser
1) Vortrag gehalten in der Vorderasiatisch-Ägyptischen Gesellschaft in Berlin, 3. Februar 1937.
O. E. Ravk, Der Turm zu Babel 353
Stadt ausmündet, ist eine klare Aufforderung an die Assyrio¬
logie, sich für das hier Erzählte zu interessieren.
Ich erlaube mir, eine sinn- und womöglich wortgetreue
Übersetzung der berühmten Perikope vorzulesen:
Nun war über die ganze Erde die Zunge eine einzige und
die Wörter eins^). Aber während ihres Umziehens nach Osten
hin fanden sie eine weite Ebene im Lande Sumer; sie ließen
sich dort nieder und sagten, der eine zu dem anderen: Gut,
wir wollen Ziegel streichen und im Brande brennenUnd
die Ziegel dienten ibnen als Stein, während Asphalt ihnen als
Mörtel diente. Und sie sagten : Gut, wir wollen uns eine Stadt
und Burg bauen, deren Haupt im Himmel ist, und wollen
uns dabei Ruhm verschaffen, — damit wir uns nicht über die
ganze Erde verbreiten.
Gott aber stieg herab, um die Stadt und die Burg zu
sehen, welche die Menschen bauten. Gott dachte dann:
Siehe, das Volk ist ein einziges und sie haben alle eine einzige
Zunge. Dieses ihr Tun ist nur Anfang, und von nun an wird
ihnen nichts unerschwinglich sein, welches sie zu tun ge¬
denken. Gut, wir wollen herabsteigen und dort ihre Zunge
herumrühren, so daß der eine nicht die Zunge des anderen
verstehe.
1) Es scheint am natürlichsten, Ml ha'araes als Ortsbezeichnung ohne Lokal-Präposition aufzufassen, wie die Beispiele Ges.-Kaützsch",
§ 118g, JoüoN §126h. Dann werden safä und dabärim Subjekte, ent¬
weder in Nominalsätzen: „Nun war es der Fall über die ganze Erde:
die Lippe (war) eine einzige und die Wörter (waren) eins", oder mit wafahi (und darin einbegriffen waffihfü) als Verbum. — Für das Fehlen des Artikels bei ääfä und datärim könnte auf die Bemerkungen über das Schwanken in der Anwendung des Artikels, Joüo» § 137 f, Jons. Pbdbb-
SBN, Hebraeisk Grammatik § 116h, hingewiesen werden; die beiden
Wörter sind aber genügend determiniert durch ihren Sinn, den Kontext und die prädikativen Bestimmungen ,,eine einzige" und „eins".
2) Auch möglich: ,,zu gebrannten brennen" (so Dillmann, Genesis*,
S. 206). Wäre dies beabsichtigt, so würde man jedoch im folgenden er¬
warten: ,,und die gebrannten Ziegel dienten ihnen ...". Der hebräische Text hat aber hier halbbena, nicht hasiarefä. Somit versteht man besser
das il vor sarefä als englisches -ly (Gesbniüs-Bbowh, S. 516,5, i, b
[Dbivbb], „Brenn-weise", wodurch eine Emphasis des Verbalausdruckes erzielt wird: ,,gut, stark brennen".
24»
Und Gott zerstreute sie von dort über die ganze Erde, und
sie stellten den Bau an der Stadt ein. Daher nennt man ihren
Namen Babel — d. i. Rührung —, denn dort rührte Gott die
Zunge der ganzen Erde herum, und von dort zerstreute sie
Gott über die ganze Erde.
Wir wollen nun zu einer Betrachtung der einzelnen Züge
dieser Legende schreiten.
Anfang sowohl als Schluß der Erzählung beziehen sich auf
das Sprachvermögen der Menschen. Anfangs waren — so ist
die wörtliche Übersetzung — ,,über die ganze Erde die Lippe
eine einzige und die Wörter eins" ; man lebte dann zusammen,
man wanderte zusammen. Diese Einheit wurde durch das
Eingreifen Gottes aufgehoben: man versteht sich nicht mehr
wie früher; die jetzige Vielfältigkeit im Reden und das
jetzige Zerstreut-Wohnen ist das Ergebnis. Das Eingreifen
Gottes steht im Mittelpunkt der Erzählung; dieses Ein¬
greifen, wie das „Vor" und das „Nachher" ist in großer
Kürze geschildert.
Vorher wanderten die Menschen. An die Bemerkung über
das Wandern — eigentlich ,, Aufbrechen" — ist eine geogra¬
phische Bestimmung geknüpft, die man in verschiedener
Weise übersetzt hat: „im Osten", oder: „von Osten", oder:
„von dem Land qcBÖcem (in Syrien)". Das richtige wird eine
Wiedergabe ,,nach Osten hin" sein; genau dieselbe Phrase
begegnet, wo Lot von der Gegend um Bethel nach dem
Jordantale aufbricht; ,,er brach auf nach Osten hin" muß
es dort heißen i). Und es ist klar zu seben, wie unsere Er¬
zählung zu der gleichlautenden geographischen Orientierung
kam: in ihr kommen die Menschen, wie wir es sofort sehen
werden, nach Babylonien; zur Zeit, und vom Standpunkt
1) Gen. 13, u, aus der Quelle J wie Gen. 11,«. Vgl. Gen. 2,«; es
besteht kein Widerspruch zwischen dem Wissen von Babylonien im
Osten und der prophetischen Redewendung vom Kommen der mesopo¬
tamischen Völker über Palästina aus dem Norden ; das Land im Norden
Palästinas war für diese Völker die Einfallpforte zu Palästina. Von
diesem Gesichtspunkt aus ist Jer. 46, lo, „das Land des Nordens am
Flusse Euphrat" zu erklären.
0. E. Ravn, Der Turm zu Babel 355
des Erzählers aus, geht man nach Osten, um nach Babylonien
zu gelangen; daher läßt er die frühe Menschheit, die nach
Babylonien kam, dieselbe Richtung einschlagen.
In den somit angegebenen, östlichen Gegenden fanden sie
eine weite Ebene, die weiter so bezeichnet wird, daß wir ver¬
stehen, daß die ungeheure südmesopotamische Alluvialebene
gemeint ist. Das hier vorkommende hebräische Wort gibt
uns allerdings nicht sofort den Schlüssel zum Verständnis.
Man mag zuweilen dieses Wort, biq'ä, mit ,,Tal" wiedergeben, aber dann darf ,,Tal" nicht als profiliertes Terraingebilde verstanden werden, sondern „Tal" ist ,, Talebene" im Gegen¬
satz zum hoben Gelände: biq^ä kommt oft vor als Gegensatz
zu „Berg" und „Gebirge", bedeutet also das niedrige Land^).
Von einer biq'a aus mag man das Gebirge rings herum schauen,
wie im Fall von Libanons biq'ä, die Ebene Ijjon "); es handelt
sich um eine mehr offene Ebene im Fall von Megiddos biq'ä,
die ungefähr 15 km breit ist*); ähnlich verhält es sich mit
Jerichos biq'ä*); noch ausgedehnter ist diejenige bei Damas¬
kus*), und besonders die biq'a, wohin sich Ezechiel begibt*):
bier ist sie die große Alluvialebene zwischen den beiden
Flüssen; — wir smd hier ganz außerhalb der Bedeutung
„Tal", wie jedermann versteht, der diese meilenweite Steppe
gesehen bat oder auch nur aus Bildern kennt.
Die biq'a, welche die alte, einsprachige Menschheit fand,
als sie gegen Osten wanderten, war eben diejenige, in die
Ezechiel hinausging. Es geht aus der in der Erzählung bei¬
gegebenen geographischen Bestimmung hervor: die biq'ä war
in Sinear, wo, wie das Folgende zeigt, die Stadt Babel ent¬
stand. Außerdem ist meines Erachtens die alte Auffassung
richtig, nach der Sinear gleich Sumer ist'), so daß hier mit
1) Deut. 8,7; 11, u; Jes. 40, 4; 41,«; Psalm 104, a.
2) Jos. 11,17 (,, unterhalb Hermons"); 12,7.
3) Zak. 12,11; 2. Chronik 35, 2s.
4) Deut. 34,».
5) Amos 1, 5.
6) Ez. 3, »f.; 8,4; 37,1.
7) Landbksdobpbb, Sumerisches Sprachgut im AT., S. 22, Nr. 17,
mit Hinweisungen auf ältere Literatur.
diesem Namen nicht nur der südhche Teil Untermesopota¬
miens, von Nuffar bis zur Lagune, gemeint ist, wie die Baby¬
lonier den Namen gebrauchten, sondern der nördliche, akka¬
dische Teil erscheint mit einbegriffen: Sinear ist im Sinne der
Erzählung die ganze Alluvialebene von Bagdad bis zum Golf.
Daß der Name Sinear gleich Sumer ist, dafür sprechen
linguistische Erwägungen. Der Landesname Sumer ist aus
dem akkadischen Ausdruck „Land des Sumerers" zu ent¬
nehmen i); die Leute des südlichen Landstriches nannten
selbst ihr Land „Kengi", ,,das Land", aber Sumer ist aus
kengi entstanden, kengi ist eigentlich kengir, das auslautende r
konnte wie andere sumerische finale Laute verloren gehn");
ng wurde dialektisch mm*); durch Annahme einer Palatali¬
sierung von k und eines Überganges von e in m vor m*) ge¬
winnen wir die Entstehung eines dialektischen Sumer aus
Kengi(r) der Hauptsprache. Sinear {Sin'är) seinerseits scheint
aus der Hauptsprache erklärbar: g ist mit hebräischem 'a/'w
wiedergegeben, wozu man vergleichen kann, daß der Orts¬
name Gaza im Hebräischen 'a/in, im Griechischen g am An¬
fang hat; der Übergang von i zu a vor r ist einwandfrei*);
nur muß man auch hier mit einer Palatalisierung des an¬
lautenden k rechnen. Auf philologischem Wege kommen wir
also dazu, daß wir als Inhalt unserer Passage feststellen
können : die älteste Menschheit war im Wandern gegen Osten
begriffen ; sie fanden dort eine weit ausgebreitete Ebene, und
diese Ebene lag im Lande Sumer.
In dieser Ebene ließen sie sich nieder: sie mochten das
Wanderleben nicht fortsetzen; anstatt dessen bereiteten sie
sich jetzt eine dauerde Wohnung vor. Sie hatten bemerkt,
daß überall in Sinear der Boden lehmig ist, und spontan war
1) Cod. Ham. 5, 6—9: der das Licht aus(auf)gehen ließ ana ma-at
su-me-rü-im u, ak-ka-di-im, welches bedeuten muß ,,für das Land des
Sumerers und Akkaders", mit der Lesung lumerim und akkadim, beide
zu beurteilen nach Ungnad, Grammatik', § 27, Nr. 34.
2) Poebel, Grundzüge der sumerischen Grammatik, §§ 39 und 356.
3) Poebel, § 76.
4) Landebsdohfbb, 1. c.
5) Bbbgstbässbb, Hebräische Grammatik, § 26e und 28c.
0. E. Ravn, Der Turm zu Babel 357
der Gedanke aufgekommen, aus Lehm Ziegel herzustellen
und — außerdem — die Dauerhaftigkeit der Ziegel durch
Brennen im Ofen zu erhöhen. Dem palästinensischen Er¬
zähler ist dieses in historischer Zeit gebräuchliche und cha¬
rakteristische Verfahren aufgefallen, er ist zu Hause in einem
Lande mit natürlichem Stein in Menge und mit daraus fol¬
gender Verwendung des natürlichen Steins als Baumaterial.
Er macht daher die erklärende Bemerkung, daß die Leute
in Sinear die (handgemachten, gebrannten) Ziegel so ver¬
wenden wie wir in Palästina den Stein, während außerdem
unser Mörtel durch Asphalt — einen in Mesopotamien häufig
vorkommenden Stoff — ersetzt wird. Nach dem Wortlaut
dieser Stelle würde man annehmen können, daß nur Stein
in Palästina als Baumaterial in Betracht kam. Die Ausgra¬
bungen haben indessen gezeigt, daß dem nicht so ist. Lehm¬
ziegelbau ist in Palästina geläufig im ersten wie im zweiten
Jahrtausend v. Chr., und zwar so, daß normalerweise ein
Steinsockel gelegt wurde und oben darauf die Mauern in
(Luft-)Ziegeln gemauert wurden i). Nun ist in Sinear kein
Stein vorhanden, und dies ist es dann, was unser Erzähler
sagen will: sie fanden dort keinen Stein, und so mußten sie
Lehmziegel — jedoch gebrannt — gebrauchen in Fällen, wo
wir den Stein benutzen. Unser Erzähler legt darauf Gewicht,
daß die Neuangekommenen in Sinear ein festes, dauerhaftes
Material herstellten : Wir wollen die Ziegel im Brande brennen.
1) Watzingbk, Denkmäler Palästinas I, S. 15 (allgemeine Cha¬
rakteristik); 27 (ältester Steinsockel eines Privathauses; telSlät-ghassül, neolitisch); 51 (älteste Jericho-Mauer, ca. 2000; Steinsockel und Luft¬
ziegelaufbau); 53 (Tor in tell-el-färe', ca. 1800, Lehmziegel auf Sand;
äußere Jericho-Mauer, ca. 1700; Ziegelmauer auf Steinfundament);
55 (jüngste Jericho-Mauer, ca. 1500; Ziegel auf 2 — 3 Feldsteinschichten, diese wieder auf älteren Mauerresten) ; 57 (Herrenhaus in tell-b6t-mirsim ; Ziegel auf Steinsockel); 60 (Wohnturm in Beisan, ca. 1400; Ziegel auf
Basaltsockel); 92 (Salomos Tempel; Fundament und Sockel aus be¬
hauenen Quadern; Oberbau aus Lehmziegeln nicht besonders erwähnt
im Königsbuch, weü selbstverständlich); 99 (Kommandantenwohnung in Megiddo, Salomos Zeit; Lehmziegel-Fachwerk auf 3 Quaderschich¬
ten); 11,3 (Stadtmauer von tell-es-säfi (Gath?), ca. 700; Ziegel auf
Bruchsteinsockel).
Wir können noch heute diese schön gebrannten Ziegel in
unsere Hand nehmen. Um Beispiele zu nennen, fmden wir
sie in jungsumerischer Zeit sowohl in Privathäusern!) wie —
namentlich — in Tempeln"); bei den Babyloniern waren die
meisten Tempel aus nur luftgetrockneten Ziegeln gebaut*),
die gebrannten kamen u. a. in Stadtmauern und Palästen
(teilweise) zur Verwendung; berühmte Beispiele feinster Her¬
stellung und hervorragender Bautechnik sind die Fundament¬
pfeiler des Ischtar-Tores zu Babylon*) und das Mauermassiv
der babylonischen sogenannten Hauptburg*). Ebenso be¬
gegnen wir Asphalt als Bindemittel des öfteren*).
Das neugewonnene, dauerhafte Material soll nun zur Ver¬
wendung kommen: Wir wollen uns bauen eine Stadt und
Burg, deren Haupt im Himmel ist, uns dabei Ruhm ver¬
schaffend, damit wir uns nicht über die ganze Erde verbreiten.
Sie wollen somit nun Städtewohner werden, und ihre Stadt
soll eine befestigte und aufsehenerregende sein ; das Zerstreut¬
sein, d. b. hier: das Wandern von Stelle zu Stelle soll ihnen
nicht mehr eine Notwendigkeit sein. Das hebräische Wort,
welches für Stadt gebraucht wird, ist das gewöhnliche und
ist ohne weiteres klar; dasjenige Wort, welches ich mit Burg
wiedergegeben habe, ist migdäl — das Wort, an welches die
mannigfachen Vorstellungen über den Babelturm anknüpfen.
Es ist daher von Wichtigkeit, genau zu fassen, was der
1) The Antiquaries Journal VII, 390.
2) The Antiquaries Journal VI,366ff.; der Tempel Gig-Par-Ku
in Ur.
3) KoLDBWBT, Das wieder erstehende Babylon, *, S. 55; Watklin, Excavations at Kish, S. 1. Ausnahmsweise werden Tempel aus „Asphalt und gebrannten Ziegeln" erwähnt. Vorderasiatische Bibliothek, IV, 128, Z. 12, 23, 33, 42.
4) KoLDEWBY, Das Ischtartor, S. 16, Abb. 23-28, 46/47; Tafeln 23
bis 26. Wieder erst. Babylon, Abb. 24, S. 39.
5) Koldbwbt-Wbtzbl, Die Königsburgen von Babylon, 11,4;
Wieder erst. Babylon, S. 154 und Abb. 98.
6) Reallexikon der Assyriologie, Art. Erdpech. Fobbeb, Bitumen
and Petroleum in Antiquity, Leiden 1936. — In Palästina kommt
Asphalt, bei Mauerbauten aller Perioden, niemals als Bindemittel vor, Galling, Biblisches Reallexikon, Art. Asphalt. Vgl. jedoch Fobbbs, S. 16.
O. E. Ravn, Der Turm zu Babel 359
hebräische Erzähler beabsichtigte, und wie es seine Zuhörer
und Leser verstanden haben.
Die Vorsilbe mi in migdäl ist diejenige, die des öfteren
etwas angibt, das vom Stammbegriff herrührt oder durch ihn
charakterisiert ist. Der Stammbegriff ist hier Größe, und
migdäl wird etwas bedeuten, das durch Größe ausgezeichnet
ist. Im Sprachgebrauch ist diejenige Anwendung die cha¬
rakteristische, die das Wort mit Befestigungsanlagen ver¬
knüpft. König Mesa von Moab spricht in seiner Stein¬
inschrift von Unternehmungen in einer seiner Städte: ich
baute ihre Pforten, und ich baute ihre migdälöp. Die beiden
letzten Termini gehören der Fortifikation der Stadt an: die
migdälöp — in der Mehrzahl —, die neben den Pforten ge¬
nannt werden, sind ohne Zweifel die Festungstürme, das
heißt die Mauermassive, die etwas nach außen, innen und
oben an der Mauerflucht hervorspringen, — Gebäude, die durch
die dargebotene Möglichkeit für Längsschießen und Ausblick
die Verteidigungskraft erhöhen. Fast noch deutlicher erhellt
die Bedeutung von migdäl, wo König Asa von Städten spricht,
die er mit Mauern und migdalim, Türflügeln und Riegeln
umgeben willMehrmals finden wir migdalöp oder migdälim,
Mauertürme, mit Mauern zusammen genannt. Jesaja wahr¬
sagt, daß Gott gegen alles Hochragende in Natur und
Menschenwerk vorgehen wird: die Zedern von Libanon und
die Eichen von Basan, gegen jeden hohen Mauerturm und
jede unzugängliche Mauer*). In einem Psalm soll Juda Sion
umkreisen, ihre migdälim — Mauertürme — zählen, ihre Vor¬
mauer beobachten, ihre Paläste mustern*). Es ist ferner nur
natürlich, daß die Bezeichnung migdäl, eigentlich Großwerk,
von dem einzelnen Mauerturm auf die ganze Befestigungs¬
anlage, die Burg, übertragen wird. Als Gideon droht, Pnuel
niederzureißen, wird dieser nicht besonders bedeutende Ort
migdäl, Burg, genannt*), und eine andere Stelle des Richter¬
buches erwähnt ,,die Herren von migdal SaUcem, Sichem
1) Zeile 22.
2) 2. Chronik 14, ».
3) Jes. 2,15. 4) Ps. 48,13. 5) Richter 8, t.
Burg!)". Nach einer anderen Richtung geht die Verwendung
des Wortes, wo ein etwa 6 Meter hoher, steinerner Turm, der
mit derselben Funktion wie das mehr provisorische Holz¬
gerüst zur Überwachung des Weinbergs errichtet wurde,
migdäl heißt"), und wo im Hohenlied die mittels Steinen auf¬
gebauten Terrassen im Garten migdälöp heißen*). Endlich ist
das hölzerne Gerüst, von welchem aus Ezra das Gesetz vor¬
liest, ein migdäl*); es ist hier bedeutsam, daß ,,aus Holz"
hinzugefügt wird —• ohne diese nähere Bestimmung hätte
man ein migdäl allein nicht so verstehen können. Die Be¬
deutung des Wortes, die sich dem Hörer oder Leser von
Gen. 11, 4 am ehesten darbot, war gewiß diejenige, die mit
Befestigungsanlagen in Verbindung stand, und besonders da,
wo es wie hier ,, Stadt und migdäl" heißt. Migdäl ist in der
Einzahl, und die am nächsten liegenden Parallelen sind die
genannten Ausdrücke „Sichem Burg" und „Burg von Pnuel",
nur ist in unserer Erzählung die Burg eine besonders hoch¬
ragende, es ist eine Burg, ,, deren Haupt im Himmel ist".
Es liegt bei der Wendung „deren Haupt im Himmel ist"
eine Redeweise vor, die uns bei Sumerern und Babyloniern
bekannt ist. Gebäude von imposanter Höhe sind wie ein
Berg oder ragen bis zum Himmel empor. Gudea sagt von
seinem Tempel E-ninnu, daß er ,,am Himmel gelegen ist*)";
Nabopalassar erhält von Marduk den Befehl, E-temen-anki,
die Sikkurrat von Babel, so auszubessern, daß ihr Haupt mit
dem Himmel wetteifern könne*); wo Nabopalassar von der
Ausführung des Gebotes berichtet, sagt er, daß er das Haupt
des Tempels, das ist die Sikkurrat-Kapelle, berghoch baute');
Nebukadnezar errichtete im Osten Babylons die äußere
Mauer (hoch) wie ein Berg*); derselbe König nennt seine
1) Richter 9, «ef.
2) Jes. 5,1.
3) Hohelied 5, u. Ges.-BühlI», S. 419, Nr. 3.
4) Neh. 8, t.
5) Gudea, Cylinder A, 9, 11. Vorderasiatische Bibliothek I, S. 98.
6) Vorderasiatische Bibliothek IV, S. 60, 38 f.
7) Vorderasiatische Bibliothek IV, S. 62ff., Z. 23/24.
8) Vorderasiatische Bibliothek IV, S. 134, 33f.
O. E. Ravn, Der Turm zu Babel 361
nördliche, sogenannte Hauptburg „eine berggleiche Fe-
stung!)"; j)gi (jer Beschreibung dieser Anlage verwendet er
den Vergleich mit Berg oder Gebirge nicht weniger als vier¬
mal"). Die Bedeutung der identischen oder einander ähnlichen
Ausdrücke im Babylonischen und Hebräischen wird dieselbe
sein: es wird mit ihnen eine sehr große Höhe ausgedrückt.
Die Worte unserer Erzählung haben in der Interpretation
eine entscheidende Rolle gespielt, und ich werde auf sie
zurückkommen, nachdem ich den Text philologisch durch¬
gesprochen habe.
Wir sind fast an das Ende des ersten Teils unserer Er¬
zählung gekommen ; es werden nur noch zwei Gedanken zum
Ausdruck gebracht, — erst die Gewißheit, daß die Leute
durch ihr Vorhaben Ruhm gewinnen werden, und dann die
Absicht, die mit dem ganzen Unternehmen verbunden ist:
die Absicht, sich in der neuen, befestigten Großstadt genügend
Raum zu verschaffen, um nicht über die ganze Erde zerstreut,
verbreitet oder, wie man auch übersetzen kann, verdrängt zu
werden*), das heißt nach dem Zusammenhang: dem Wandern
wieder anheimfallen.
Nun aber, in dem zweiten Teil der Erzählung, greift Gott,
Jahwe ein: Jahwe wurde auf die Wirksamkeit der Menschen
aufmerksam; er stieg — wohl vom Himmel — herab, um die
Stadt und die Burg zu besichtigen, welche die Menschheit zu
bauen in Angriff genommen hatte, so darf man wohl die
perfektische Form des Verbums auffassen. In seinen Wohnort
zurückgekommen, so wird die Gedankenfolge sein*), überlegt
er, was er erfahren hat: das Volk ist ein einziges, alle haben
eine einzige Lippe; was sie schon erreicht haben, ist derart
gewaltig, daß jetzt keine Pläne, die sie entwerfen mögen, zu
groß und unausführbar erscheinen : Dieses ihr Tun ist nur An¬
fang. Welche Pläne sie eventuell hegen mögen, bleibt jedoch
1) Vorderasiatische Bibliothek IV, S. 138,51.
2) 1. c. Z. 63, 21, 27; S. 140, Z. 44.
3) Vgl. Ez. 46, j8.
4) Darüber, daß kein Grund vorliegt, eine Quellenscheidung inner¬
halb Gen. 11,1-« vorzunehmen, bin ich mit Johs. Pbdbbsbn, Israel
I —II, S. 248f. (englische Ausgabe) einverstanden.
unerwähnt. Das Eingreifen, wozu sich Jahwe entschUeßt,
entspricht dem von ihm beobachteten Verhältnis: ihre Kraft
beruhte auf ihrer Einheit, der Einheit ihrer Sprache. Diese
Einheit soll aufgehoben werden, ihr Zusammenwirken dabei
unmöglich gemacht werden: Jahwe sagt, wir wollen herab¬
steigen und ihre Zunge — ihre ,, Lippe" — herumrühren, so
daß del" eine die Zunge des anderen nicht verstehe. Jahwes
Tun wird mit einem Worte bezeichnet, dem wir in der kulti¬
schen Sprache begegnen, bälal: es gibt Opfer von trockenem
Mehl und solche von Mehl, wo öl hingetan ist, bälal wird hier
ein Zusammenrühren bedeutenund wir hören von Brot
und Kuchen, deren Teig mit Öl gerührt wurde"). Die Vor¬
stellung, die bei der Verwendung des Wortes in unserer Er¬
zählung zugrunde liegt, ist dann die von einer Flüssigkeit,
die, wenn sie ruhig dasteht, klar und durchsichtig ist, beim
Herumrühren aber in ein trübes Gemisch verändert wird*).
Die Wirkung von Jahwes Eingreifen bleibt nicht aus: Jahwe
zerstreute sie über die ganze Erde, oder vielleicht besser, und
der hebräischen Kausativform genauer entsprechend, Jahwe
bewirkte, daß sie sich über die ganze Erde verbreiteten. Das
Zusammenwohnen war von nun ab von keinem Wert; die
fehlende Möglichkeit gegenseitigen Verständnisses bedeutete
vielmehr Mißtrauen und Gefahr; um sich nicht von Feinden
umgeben zu fühlen, geht man, offenbar gruppenweise, seinen
Weg. Dabei stellten sie die Arbeit an der Gründung der Stadt
ein ; die Stadt blieb aber, soweit sie aufgebaut war ; auch wird
vorausgesetzt, daß sie immer noch bewohnt war. Sie heißt
Babel, das ist Rührung, denn dort rührte Jahwe die Zunge
der ganzen Erde herum, und dort bewirkte er, daß die Mensch¬
heit sich über die ganze Erde verbreitete.
Die hebräische sogenannte Turmbau-Legende gibt somit
eine Erklärung von der Verschiedenheit der menschlichen
1) Lev. 7, lo; Ex. 29, «. 2) Ex. 29, «; Lev. 2, 4.
3) Zur Veranschaulichung eines ruhigen, ungestörten Daseins durch das Bild einer sich selbst überlassenen Flüssigkeit, in welcher die Hefen
am Boden liegen ohne die Flüssigkeit zu trüben, vgl. Seph. l,n, und
zur Veranschaulichung des Gestörtwerdens durch das Bild des Herum¬
gießens Jer. 18, u.
Ü. E. Ravn, Der Turm zu Babel 363
Sprachen, eine Erklärung, die auf dem Namen ,, Babel" auf¬
gebaut ist, auf etwas, das man auf palästinensischem Boden
in diesem Namen gehört hat. Die Menschen hatten nur eine
Sprache, besaßen somit die Bedingung eines Zusammen-
wohnens und Zusammenarbeitens. Sie forderten die Gottheit
heraus mit ihrem Vorhaben, sich in einer befestigten Riesen¬
stadt niederzulassen, und die Gottheit hob die vorhandene
Bedingung, die Einsprachigkeit, auf, worauf die Leute sich
zerstreuten. Dies geschah in Babel, die in ihrem Namen die
Erinnerung an die Katastrophe bewahrte. Die Legende kennt
also den Namen Babel; sie weiß auch, daß Babel im Osten,
in der ,, sumerischen" Ebene gelegen ist, und sie weiß, daß
man dort gebrannte Lehmziegel und Asphalt als Baumaterial
verwendete. Kenntnis von Befestigungsanlagen ist in der
Legende auch vorhanden; daß dieselben mesopotamisch sein
müssen, ist doch keine Notwendigkeit; die Bezeichnung dieser
Befestigung als himmelhoch, die an sumerisch-babylonische
Ausdrucksweise erinnert und durch diese beleuchtet wird,
macht die Möglichkeit erwägungswert, aber eine hyperbolische
Ausdrucksweise kommt jedoch auch sonst bei den Hebräern
vor, ich erinnere nur an das bekannte : zahlreich wie der Sand
der Meeresküste und die Sterne des Himmels.
Sie haben also, meine Zuhörer, in der philologischen Inter¬
pretation der Legende, die ich vorgetragen habe, nichts von
den jetzt wohlbekannten Sikkurrats, Tempel-Türme oder
Tempel-Berge der Babylonier, als Vorbild des Babel-Turms,
auch nichts von einem Babelturm in der traditionellen Ge¬
stalt gehört. Ich werde ein wenig auf diese beiden Punkte
eingehen müssen. Erst: die traditionelle Gestalt des Turmes
zu Babel.
Die gewöhnliche Vorstellung begnügt sich nicht mit einem
Turm, zwar besonders groß und hoch, aber doch nach dem
Muster der üblichen Mauer- und Burgtürme. Man denkt sich
den Turm als selbständiges Riesengebäude, zur Akkomodation
einer großen Bevölkerungoder auch als Landmarke auf¬
gerichtet, das letztere so zu verstehen, daß der Turm den
1) Z. B. Dillmann, Genesis«, S. 206.
2 :>
Menschen bei ihrem Herumziehen in der Steppe einen sicheren
Orientierungspunkt bei ihrer Heimfahrt bieten solleWeiter
denkt man sich den Turm in dem Sinne bis zum Himmel
gebaut, daß die Gottheit dort oben sich von einer Invasion
der Stadt- und Turm-Leute bedroht fühlen müsse, und da¬
durch zu Gegenmaßnahmen gebracht werde. Ich möchte zu
diesen Vorstellungen bemerken, daß es an sich nicht befremd¬
lich wäre, wenn eine hebräische, eventuell kanaanäische
Legende vorkäme, nach welcher die Menschen auf den Ge¬
danken kamen, einen Hochbau aufzuführen und auf diesem
Wege an den festen Himmel gelangen. Sir John Frazer hat
eine Reihe von derartigen Sagen bei primitiven Völkern zu¬
sammengestellt"). (Einige, besonders mexikanische Versionen,
sind durch die Bibel-Tradition beeinflußt, aber eine Anzahl
bleibt nach Ausscheiden solcher sekundären Versionen be-
bestehen.) Man erzählte bei der Zambesi, daß der Gott, der
vorber auf der Erde geweilt hatte, sich in den Himmel begab.
Es scheint, daß die Menschen dies als Unrecht empfanden;
jedenfalls fassen sie den Entschluß, den Gott zu töten. Zu
diesem Zweck richten sie eine Reihe von Mastbäumen auf,
die den Himmel erreichen sollen. Die Mastbäume aber brechen
zusammen und alle Aufsteigenden werden durch den Fall
getötet. In Kongo hatte es Leute gegeben, die wissen mochten,
wie es sich mit dem Mond verhalte. Auch sie stapelten Holz¬
bäume, den einen auf den anderen auf; so viele, daß die ganze
Gemeinde mit dem Aufstapeln beschäftigt war. Aber auch
hier brach der Riesenmast zusammen, und alle kamen um.
Später hat kein Mensch versucht, herauszufinden, wie es sich
mit dem Mond verhalte. Auch der Mond war es, der Ein¬
geborene in Ostafrika dazu verlockte, den Himmel mittels
Bäumen zu erklimmen; das Resultat wurde ebenso verderb¬
lich. Die Ashantis wollten ihren Gott, der sich im Zorn in den
Himmel zurückgezogen batte, aufsuchen; sie waren dicht am
Ziele, es fehlten nur einige von den Mörserstösseln, die sie
1) Dies ist die Ansicht Fbazbb's, Folklore in the Old Testament, I, 363.
2) Frazbb, 1. c. S. 377ff.
O. E. Ravn, Der Turm zu Babel 365
beim Hinaufklettern verwendeten. Ein weiser Mann gab den
guten Rat, den untersten Stössel herauszunebmen und ihn
oben anzubringen. Es versteht sich leicht, daß dadurch alles
zusammenfiel und daß die Verbindung mit dem Gott nicht
zustande kam.
Es ist nun sofort auffallend, daß die hebräische Erzählung
nicht, wie die bei primitiven Völkern zitierten, eine Ursache
des angeblichen, himmelsuchenden Turmbaus erwähnt. Auf
der anderen Seite, in der jüngeren jüdischen Tradition, in
welcher die hergebrachte Anschauung von dem himmelragen¬
den, Gott herausfordernden, Gebäude vorliegt, wird eben¬
sowohl Ziel, wie Methode und weitere Einzelheiten des Baus
mitgeteilt: Die Menschen empören sich gegen Gott, einige
wollen den Himmel erklimmen und dort den Allmächtigen
bekämpfen, andere wollten dort oben ihre eigenen Götzen
aufstellen; wieder andere hegten den Wahn, dem Himmel
unsinnigen Schaden zufügen zu können. Der Turm war
riesig, ein Mann hatte ein ganzes Jahr nötig, bis er oben
ankam; Tag und Nacht wurde gearbeitet; selbst die Geburt
eines Kindes war nicht imstande, die Arbeit einer Frau am
Ziegelstreichen zu unterbrechenEbensolche Einzelheiten
finden wir in den von der Bibel und Tradition beeinflußten
primitiven, z. B. mexikanischen Versionen, die die nach¬
biblische Auffassung der biblischen Erzählung wiederspiegeln.
Aber von alledem steht in der hebräischen Erzählung der
Genesis nichts. Auch steht hier nicbts von einer Zerstörung
des Turmes durch Gott, die man bestimmt erwarten würde.
Man könnte meinen, daß solche Züge durch eine vermeint¬
liche Kürzung der ursprünglichen Sage veranlaßt wurde (ich
habe schon die auffallende Kürze der Fassung erwähnt).
Eine Auslassung von dem Jahwismus unerträglichen Zügen
1) Fbazbb, 1. c. S. 364—66. — Eine Übersicht über die wechselnden Gestaltungen des Babel-Turmes innerhalb der künstlerischen Tradition
seit dem Mittelalter bekommt man durch die Ausstellung im Kabinett
des Babylonischen Turmes in der Vorderasiatischen Abteilung der
Staatlichen Museen zu Berlin; vgl. den offiziellen Führer „Der babylo¬
nische Turm", Abb. 2-12.
wäre allerdings sehr verständlich. Aber eine Erwähnung des
gotteslästerlichen Zieles beim Turmbau wäre hier ganz natür¬
lich und unbedingt zu erwarten, und ebenso eine Erwähnung
der Zerstörung des Gebäudes durch Gott. Doch davon hören
wir also in unserem Texte nichts. Aber die Überlegungen
Gottes nach seiner Untersuchung auf der Erde sind im Texte
mitgeteilt: diese Überlegungen haben zum Gegenstand die
Einsprachigkeit der Menschen und deren Konsequenzen,
nicht dagegen den Turm, nicht die Absicht der Menschen bei
diesem himmelstrebenden Turmbau, und nicht das Schicksal
dieses Gebäudes. Endlich wird an der Stelle, da gesagt wird,
daß die Menschen ihre Arbeit einstellten, der Turm nicht
genannt, sondern nur die Stadt.
Ich glaube daher, bei der vorgetragenen Auffassung
stehen bleiben zu müssen, daß der Turm nicht, wie der
traditionelle Babelturm, im Vordergrund des Interesses
steht; der Turm ist als Befestigung nur natürliches Komple¬
ment zur Stadt: ,,'ir und migdW sind ,, Stadt und Burg".
Diese Burg war eine solche Wohnungs- und Festungsburg,
von denen uns die Ausgrabungen Kunde geben !) und die
auch an den genannten Stellen der Literatur gemeint sind").
In dem weiteren Verlauf der Erzählung tritt der Turm, die
Burg, hinter die Stadt zurück. Der metaphorische Ausdruck,
der von diesem Gebäude gebraucht wird, „deren Haupt im
Himmel ist", hat aber, wörtlich verstanden, zur Entstehung
des traditionellen Babelturmes die Veranlassung gegeben.
1) Wohnungsburgen aus neolitischer Zeit in der Gegend von 'Am¬
man, Watzingbb, Denkmäler Palästinas I, S. 23f., s. besonders den
15,6m starken Rundturm Abb. IIb und 48. Burgen von Ta'annach
und Megiddo (ca. 1500), I.e. S. 58ff. ; Akropolis von Sichem, S. 59
(Abb. 20) und besonders S. 60 Z. 4—7. Vgl. außerdem über Festungs¬
mauern und -türme S. 51 (Jericho, ca. 2000); 53 (tell-el-färe', ca. 1800);
53 (Jericho, ca. 1700); 54 (tell-en-nasbe, ca. 1700, mit Kavalliertürmen;
Sichem); 54f. (Beth-Semes); 55f. (Jericho, ca. 1500); 86f. (Taltor in
Jerusalem W., Salomos Zeit); 87 (Türme in Gezer, Mauer und Türme
in Megiddo, dieselbe Zeit); 97 ff. (Burg und Türme in Samaria, 'Omri's Dynastie).
2) S. o. S. 357-358.
O. E. Ravn, Der Turm zu Babel 367
Besieht endlich zwischen dem Turm oder der Burg zu
Babel und den babylonischen Sikkurraten eine Verbindung?
Das babylonische Wort wird gewöhnlich mit „Tempelturm"
wiedergegeben; besser wäre „Tempelberg", weil die betref¬
fenden Gebäude nichts Turmähnliches in unserem Sinne dar¬
bieten und weil die Alten selbst die Gebäude unter dem Ge¬
sichtspunkt des Bergähnlichen betrachteten. Die Frage,
warum die Sumerer und nach ihnen die Babylonier und
Assyrer solche bergähnliche Bauten aufführten, ist natürlich
an einem frühen Zeitpunkt der assyriologischen Studien ge¬
stellt worden. Die schon alte Auffassung wird im allgemeinen
zu Recht bestehen, nach welcher die Sumerer, die in einer
gebirgigen Heimat die Bergspitzen als Götterwohnungen an¬
sahen, nachdem sie in die Alluvialebene gelangt waren, wo
sie keine Berge fanden, selbst solche schufen. Nur wird die
alte Auffassung durch die neuere präzisiert, daß die Sumerer
die Sikkurrat-Anlagen als eine Verbindung zwischen Gott
und Mensch, Himmel und Erde ansahen: Die Gottheit weilt
in oder passiert durch den Hochtempel auf der Sikkurrat und
erscheint den Menschen im Tieftempel unten auf dem Erd¬
boden unterhalb der Sikkurrat i). Sikkurrate aus sumerischer
Zeit sind durch die Ausgrabungen aufgedeckt worden, z. B.
in Ur") und Warka*), um die wichtigsten zu nennen. Durch
die ganze Geschichte wurde an den alten Gebäuden mit Aus-
besseruiigen gearbeitet, und es ist dann nur natürlich, daß
die Sikkurrat-Ruinen, die sich bis zum heutigen Tag sichtbar
erhalten haben, aus jüngerer Zeit, speziell aus der neubabylo¬
nischen Periode, herrühren. Dies ist der Fall mit den Sikkur¬
raten in Ur*) und Borsippa*), die, wie sie jetzt hervortreten,
eben aus neubabylonischer Zeit herrühren. Besonders die
letztere, die leichter zugänglich war als die entferntere im
südlichen Ur, hat durch die Geschichte ein reges Aufsehen
1) Andrax, Das Gotteshaus, S. 14ff., besonders S. 17.
2) The Antiquaries Journal V, 9,14; XII, 369ff.
3) Vorläufige Berichte über die Ausgrabung von Warka, I —II, in
den Abh. d. Pr. Akad. d. Wiss. Kurzbericht 1930/31, S. 7ff.
4) HiLPucHT, Die Ausgrabungen 1,178; Koldswbt, Die Tempel
von Babylon und Borsippa, S. 58.
Zeltwbrlft d. DUO Bd. Sl (Neue Fol«* Bd. M) 2S
(> f; *
/* *
auf sich gelenkt und die Phantasie lebhaft beschäftigt i). Die
nachbiblische jüdische Tradition, die wir kennengelernt
haben, erzählt auch von dem Schicksal des Turmes: ein Teil
davon sank in die Erde, ein anderer Teil wurde durch Feuer
verzehrt, und nur ein Drittel blieb stehen''); mit diesem
Drittel dachte man vielleicht an die Sikkurrat von Borsippa.
Es ist verständlich, daß man damals und sonst die Ruine des
Babelturmes in einem immerhin beträchtlichen Abstände
vom Ruinenhügel Babil*) suchte, weil keine so ausgeprägte
Ruine in den an Babil angrenzenden Stadtruinen zu sehen
war. Jetzt, nach Koldewky's Ausgrabung, sind wir besser
unterrichtet. Nicht nur hatte eine Sikkurrat in Babel ge¬
standen, die jetzt verschwundene Babel-Sikkurrat scheint
außerdem die imposanteste von allen gewesen zu sein. Be¬
obachtung im Terrain und alte Beschreibungen lassen eine
Rekonstruktion zu, die Sie aus dem hiesigen Museum kennen
werden*): das Gebäude hatte in allen drei Richtungen Dimen¬
sionen, die bis etwas über 90 Meter reichen. In dieser Höhe
stand sie in der neubabylonischen Zeit (6. Jahrhundert v. Chr.)
aber existiert hat die Sikkurrat gewiß wie die Hauptstadt
selbst im dritten Jahrtausend*).
Hat nun dieser Tempelberg der Hauptstadt Babylon
unsere Genesis-Erzählung inspiriert? Viele denken so, und
1) Hilprecht, Die Ausgrabungen I, 12,17,18,19, 29, 41, 43f., 175 ff.
2) Frazer, Folklore I, 364.
3) Vom Ruinenfeld bei Babil, N von Hilla bis Birs Nimrud (Bor¬
sippa), SW von Hilla, beträgt der Abstand ca. 25 km.
4) KoLDEWBY, Wieder erstehendes Babylon*, 189ff. Dohbabt, Der
babylonische Turm 1930; spätere Versuche s. Museumsführer „Der
babylonische Turm" (1932) S. 13 und Abb. 16 (anscheinend in Anleh¬
nung an MoBEBo's Rekonstruktion, Babels Torn [Lund 1918] Abb. 24,
vgl. Le Monde Oriental 1931, S. 151, Abb. 7), und die späteste Re¬
konstruktion von Mabtiny (1934) im Kabinett des babylonischen
Turmes zu Berlin, vgl. Galling, Biblisches Reallexikon, S. 74 m. Abb.
5) Eine Chronik (spätbabylonische Abschrift) erwähnt den Marduk- Tempel Esagil als existierend unter Shulgi aus der dritten Dynastie
von Ur (2276-31), King, Chronicles I,60ff.; 11,11. Heiligtümer von
Babel sind bezeugt für die Zeit Shar-kali-sharris von Akkad (ca. 2500), Vorderasiatische Bibliothek I, S. 225.
O. E. Ravn, Der Turm zu Babel 369
man hat versucht, von dem vermuteten Erhaltungszustand
des Gebäudes aus den Zeitpunkt ausfindig zu machen, an
welchem diese Inspiration durch das zerstörte Riesenwerk
stattfand. Ich glaube, daß diese Bemühungen nicht zum
Ziele führen, daß wir überhaupt nicht daran denken sollen,
unsere Erzählung als an Ort und Stelle entstanden zu be¬
trachten. Es hieß, die Sprachenverwirrung der Genesis
hatte !) ihr Prototyp in der Vielsprachigkeit der wimmelnden
Menge der Weltstadt Babel ; das scheint aber eine oberflächliche
Erklärung einer Sprachenverwirrung zu sein, durch welche,
wie ausdrücklich gesagt wird, die Menschen veranlaßt wurden,
auseinanderzugehen, — wohl gruppenweise, nach Sprachen,
so daß allerdings eine Sprachgruppe zurückbleiben konnte,
aber kein Zusammenleben einer vielsprachigen Bevölkerung
angenommen wurde. In derselben Weise scheint es unglaub¬
lich, daß eine Beobachtung der Babel-Sikkurrat in der Haupt¬
stadt selbst, wo der Charakter des Gebäudes jedermann klar
sein mußte, nämlich sein Charakter als heiliges, gottgewolltes
Kultzubehör, in die blasse Einführung des migdäl in der
Genesis resultieren könne. Und von einer polemischen Um¬
deutung der Aufführung der heiligen, der Gottheit angeneh¬
men, ja notwendigen Sikkurrat in ein die Gottheit heraus¬
forderndes Unternehmen ist weder noch war in der Genesis
die Rede (s. o.). Es bleibt indessen möglich, daß die Urheber
unserer Erzählung von der Existenz des enormen Ziegel¬
gebäudes als solchem in einem nicht näher zu definierenden
Zeitpunkt wußten. Im langen Abstand wurde aus der Stadt
Babel, ,,Gottes-Pforte", wie der babylonische Name bedeutet,
die Stadt Babel, Herumrührung; ebenso könnte aus der
sakralen Sikkurrat in langem Abstände ein der weltlichen
Stadt gehörendes, die Stadt überragendes Turmgebäude, ibre
Burg, werden. Diese Möglichkeit bleibt bestehen, eine Not¬
wendigkeit ist jedoch nicht vorhanden.
Meine Damen und Herren, am Anfang meiner Ausfüh¬
rungen bemerkte ich, daß die Nennung der babylonischen
Weltstadt in der hebräischen Turmbaulegende und die Weise,
1) Frazer, Folklore S. 365.
25«
in welcher die Legende in eine Auslegung des Namens der
Stadt ausmündet, eine klare Aufforderung an die Assyriologie
ist, sich für das hier Erzählte zu interessieren. Sollte ich nun,
in kurzer Zusammenfassung, die Frage beantworten, wie es
sich verhält mit den ausgesprochenen und angeblichen Be¬
rührungen der Legende mit Babylon, dann möchte ich die
Sachlage so charakterisieren: Die Legende hat Kenntnisse
von babylonischer Bauweisekennt Namen und Charakter
des Landes Sumer und kennt die Großstadt Babel, deren
Benennung jedoch eine derartige Umdeutung erfährt, daß
die Legende als eine ätiologische erscheint, die die Aufteilung
der Menschheit in Sprachgruppen erklären will. Außerdem
ist die Möglichkeit vorhanden, daß die Urheber der Legende
unter dem Einfluß einer babylonischen metaphorischen Aus¬
drucksweise standen und daß sie Kunde von der Existenz
babylonischer Sikkurratgebäude, speziell des Tempelberges
zu Babylon, besaßen.
Ein so definierter, gewissermaßen bescheidener Umfang
babylonischen Einflusses kann vielleicht gerade in diesem
Falle unwahrscheinlich vorkommen. Aber es ist ja nicht Auf¬
gabe der Assyriologie, so viel wie möglich für Babylon in
Anspruch zu nehmen. Wo es sich um Berührungen zwischen
babylonischer und anderen Kulturen handelt, ist es vielmehr
Aufgabe der Assyriologie, in Verbindung mit verwandten
Wissenschaften, nach dem Prinzip „suum cuique" festzu¬
stellen, wo Babylonisches und wo Andersartiges, auf anderem
Kulturboden Gewachsenes, vorliegt.
Nachtrag
Herr Professor Erkst Sellin, der bei meinem Vortrag in
Berlin anwesend war, schreibt mir (5.4.37):
1) D. h. babylonischer Bauweise der historischen Zeit. In der
prähistorischen und ältesten historischen Zeit kommt Stein als Bau¬
material in Sumer vor, s. über die Steinsockeln des Tempels der fünften archaischen Schicht in Warka Kurzbericht 1930/31, S. 20ff. ; dritter Vorbericht, S. 16, und über die ältesten Königsgräber in Ur The Anti¬
quaries Journal VIII,431ff.
O. E. Ravn, Der Turm zu Babel 371
Als ich Ihren Vortrag über Gen. 11 1-9 hörte, nahm
icb ihn zunächst, wie ich offen gestehn muß, mit ziem¬
licher Skepsis auf, kein Wunder angesichts der bisherigen
Einmütigkeit in der traditionellen Deutung und der Worte:
dessen Spitze in den Himmel reicht in V. 4. Aber schon auf
dem Heimwege tauchte in mir der Gedanke auf, wie aus¬
gezeichnet gerade bei Ihrer Deutung die Erzählung in
die Ideologie des Jahwisten passen würde, bei dem
B. Luther ja einst — trotz aller Selbständigkeit des¬
selben — rehabitische Einflüsse festgestellt hat^). Was
würde besser in die Gedankenwelt dieses hineinpassen als
eine Erzählung, die berichtete von dem großen Sündenfalle
der Menschheit, als sie versucht hat, von dem Wohnen
in Zelten (vgl. nasa' in V. 1 = die Zeltpflöcke lösen) über-
zugehn zu der Ansässigkeit in einer durch eine Burg
geschützten Großstadt, die bis in die göttliche Sphäre
hineinreichte und daher das göttliche Gericht heraus¬
forderte? Einem Niederschlag der Auffassung, daß die
Hochburg, die 'ir bezurah, der migdal, der nubzar etwas
Widergöttliches sei, begegnen wir ja auch bei den Pro¬
pheten, vgl. Am. 6 8; 5 9; 3 9f.; 1 4, 7, 10, 12; Hos. 814;
10 14; Jes. 2 15 (30 25; 32 14,19); Micha 5 10, auch 2. Kön.
17 9. Meine letzten Bedenken schwanden angesichts
Jerem. 51 03: Und wenn Babel zum Himmel stiege, wenn
es unzugänglich machte seine starke Höhe, womit Jes. 14 13;
Hab. 2 9-13, die sich ebenfalls auf Babel beziehn, zu ver¬
gleichen sind.
Zum Schlüsse noch zwei Fragen : Ob nicht das jibbazer
in Gen. Iis ein Ihre Meinung bestätigendes Motivwort
ist? Vgl. Hos. 8 14; Jes. 2 15; 2. Kön. 17 9; Jer. 51 53 usw.
Und zum andern: Ob nicht das alte Zitat: Völker plagen
sich für nichts, und Nationen mühen sich für Feuer, das
beide Male, Hab. 2 13 und Jer. 51 ss, auf Babels Schicksal
angewendet wird, einer alten dichterischen Darstellung
des einstigen Schicksals dieser Stadt in dem Gottes-
1) Vgl. Ed. Mbtbr, Die Israeliten und ihre Nachbarstämme, S. 129
bis 140.
gericht entstammt, das an ihr vollzogen wurde und das
sprichwörtlich geworden war wie das Sodoms und Go-
morrhas? Der Erzähler in Gen. 11 schweigt ja von diesem
Mittel des Feuers, durch das Gott den Bau gestört hat,
vgl. Am. 1 i ff., weil ihm alles zurücktritt hinter dem
Mittel der Sprachverwirrung.
Jedenfalls möchte ich Ihre Erklärung dieser alten
Sage den Fachgenossen zu ernster Berücksichtigung warm
empfehlen.
Ich spreche Herrn Professor Sellin gegenüber meinen Dank
aus für seinen Beitrag zu der Frage, die ich behandelt habe
und für die Erlaubnis, seine Bemerkungen hier mitzuteilen.
Textkritische Bemerkungen zu Al-Baläduri's Ansah
al-Asräf, V, ed. S. D. F. Goitein
Von C. Brockelmann
Mit Recht ist in Kahle's Anzeige (Bd. 90, 716 — 18) die
Sorgfalt gerühmt, die der Herausgeber dieses die Jerusalemer
Baläduriausgabe eröffnenden Bandes auf die Herstellung seines
Textes verwandt hat. Aber die arabische Edition soll erst
noch gefunden werden, in der ein Leser nicht diese oder jene
Stelle anders aufgefaßt hätte. So möge es gestattet sein, auch
zu Goitein's Ausgabe ein paar Anmerkungen vorzulegen, die
dem verdienten Herausgeber unsern Dank für seine sorg¬
fältige Arbeit bezeugen sollen.
S. 3, 12 folgt der Herausgeber zwar mit Recht de Goeje's
Auffassung von {ji^ als II. Stamm; es ist aber gegen de
Goeje nicht als pass., sondern aktives Part, zu lesen; sonst
müßte es heißen, s. Reckendorf, Syntax § 220,2.
S. 9, 12 doch wohl -ljlc. 13, 19. Da nicht zu verstehen ist,
wie das vom Herausgeber vermutete zu dem überliefer¬
ten liLl hätte werden können, ist doch wohl eine andre
Lösung zu suchen, etwa Ulr? S. 15, 5 ja- kann schwerlich
den vom Herausgeber vermuteten Sinn haben, aber weder
Weil's noch Levi Della Vida's Konjekturen befriedigen
recht. Lies Ä»!>«iJ OjiV ,,die Wunde ist nicht gefährlich".
S. 35, 20 ilic l kann schwerlich heißen: ,,what a bad
abode" 1. J^^- : „Als 'Ali den al-Walid b. 'Uqba zur Strafe
geißeln ließ, rief dieser: ,Halt ein, halt ein!'." S. 36, 13 ja
1. und für j.. Eb. 21. iJi! 1. ÜU-l „Erklärst du