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Beitrag zur Untersuchung einer Institution des si'itischen Islam

Von Dietbich von Denffeb, Bad Kreuznach

Vorbemerkung

Im Rahmen der hohen Anforderungen der islamischen Ethik einen

besonderen Platz einnehmend, gehört die mut'a, die si'itisch-islamische

Vertragsehe auf Zeit, zu den am wenigsten untersuchten und am meisten

mit Stereotypen behafteten Institutionen der islamischen Kultur.

Ziel der folgenden Untersuchung ist es, die mut'a ausreichend zu

charakterisieren, um ihr dann eine Position in der Struktur der weiteren

Institutionen zwischen Ehe und Prostitution zuzuweisen. Wenn die

Begriffstriade Ehe — mut'a — Prostitution Hauptgegenstand der Unter¬

suchung ist, geht es aber doch nicht darum, ein moralisches Urteil zu

fällen; vielmehr soll, gerade weil der Begriff Prostitution einerseits mit

bestimmten Assoziationen beladen ist und er andererseits häufig mit

der mut'a in Verbindung gebracht wird, dies vermieden bzw. aus der

Behandlung der mut'a ausgeschlossen werden, indem alle drei Begriffe,

Ehe, mut'a und Prostitution, als Benennungen sozialer Institutionen ver¬

standen sind, die zu bestimmende und voneinander abgrenzbare Positio¬

nen in einer Gesamtstruktur einnehmen.

Zu diesem Zweck gliedert sich die Untersuchung in einen deskriptiven

und einen analytischen Teil, dessen Inhalt durch die generell mangelhafte

Erforschung des Gegenstandes beschnitten ist, der aber trotzdem, so

hoffe ich, Aufschluß über wesentliche Merkmale der mut'a, vor allem

über ihre Ambivalenz, geben wird und der vielleicht auch cin Hinweis

auf die zahlreichen, der Islamkunde noch offenstehenden Untersuchungs¬

gegenstände sein kann.

Es ist ein Anliegen des Verfassers, mit dem folgenden Beitrag auch

darauf hinzuweisen, daß die Einordnung der von der Islamkunde bereit¬

gestellten Ergebnisse für den Prozeß des Verstehens islamischer Institu¬

tionen auch dann gewagt werden muß, wenn sie auf den, wie wohl

kritisch angewandten, Entlehnungen von Erkenntnissen der Gesellschafts¬

wissenschaften beruht, die vornehmlich dem nicht mit dem Islam be¬

faßten Bereich entstammen. Auf diesem Weg kann zudem ersichthch

(2)

300 Dietbich von Denffeb

werden, wann und in welchem Maß spezifische Kategorien für den Bereich

der Islamforschung zu erarbeiten sind.

Deskriptiver Teil

I. Terminologie

mut'a, Bezeichnung für eine zeitlich befristete Ehe, nach arabischen

Lexikographen ,, Genußehe" (matä', der Genuß), deren rechtliche

Vahdität von der Bestimmung der Zeitdauer der Ehe sowie Bestim¬

mung von Art und Umfang der Morgengabe, mahr, abhängt. A^ikäh

al-mut'a und nilcäh al-munqati'a sind als Synonyme verwendbar.

Der zwischen den Partnern der mut'a abzuschließende Kontrakt, in

dem Zeitdauer der Ehe und die der Frau zu zahlende Morgengabe

vereinbart sind, wird als siga bezeichnet.

siga, der mit der Vertragsbezeichnung identische Name für eine die

Zeitehe eingehende Frau ist als Lehnwort aus dem Ai-abischen ins

Persische (ebenso wie mut'a) übergegangen. Die Frage, ob eine siga

als zauqa bezeichnet werden kann, ist umstritten, obwohl das Wort

tazwi^ als Synonym für nilcäh al-mut'a zumindest in der Juristensprache bekannt ist.

II. Mut'a im Recht der Zwölfer-5i'a

Die Form des zur mut'a zwischen Mann und Frau zu schheßenden

Kontrakts muß die Bezeichnung der Ehe als zeitlich begrenzte Ehe,

mut'a angeben und den vereinbarten Zeitraum festsetzen*, da andernfalls

die Ehe als dauernde anzusehen ist*. Die eigentliche Zeitehe muß aber

nicht zwingend mit Vertragsabschluß beginnen*.

Die Dauer der Zeitehe kann zwischen Tagesteilen*, Tagen und Jahren

vereinbart werden*. Beim Vertragsabschluß sind die formalen Kriterien

von Erklärung und Zustimmung zu beachten". Eine Bezeugung ist nicht

notwendig, wird aber, wenn sie stattfindet, von zwei Zeugen geleistet'.

Auch eine mut'a mit der vereinbarten Zeitspanne der Lebensdauer der

Partner ist rechtlich gültig*, aber nicht mit der regulären Ehe zu ver-

* Saksena: Muslim Law aa administered in India & Pakistan. Luclmow

1954, S. 194; Tyabji: Muhammadan Law. Bombay 1940', S. 120.

2 Tyabji, a.a.O., S. 121; Fyzee: Outlines of Muhammadan Law. London

1955", S. 100; QuEBBY: Recueil des lois concernant les musulmans schyites (al-Muhaqqiq's Sarä'i'-al-Isläm). Paris 1881, I, S. 692.

3 Tyabji, a.a.O., S. 121; Quebby, a.a.O., S. 693.

* Quebby, a.a.O., S. 693.

* Fyzee, a.a.O., S. 100; Saksena, a.a.O., S. 194.

« Fyzee, ebd.; Querry, a.a.O., S. 689.

' Saksena, ebd. * Ebd.

(3)

gleichen. Obwohl das Grcsetz hinsichthch der mut'a keine Zeugen zur

Kontraktschheßung verlangt, scheinen in der Praxis Verträge von

mullä's aufgesetzt zu werden*.

Die eine Zeitehe emgehende Frau soll achtbar und fromm sein, der

Mann nötigenfalls hierüber Erkundigungen einholen*". Der Kontrakt ist

nichtig, wenn in ihm Bezeichungen Erwähnung finden, die auf Verkauf,

Vermietung u.ä. schließen lassen**.

Die koranischen Bestimmungen des mali/ram finden auch auf die mut'a

Anwendung**. Die siga darf demnach nicht anderweitig verhenatet sein**.

Hinsichtlich der Religionszugehörigkeit der Partner gelten die übhchen

Bestimmungen, d.h. ein Mann kann eine «i.Mi'a-Ehe mit einer Muslünin,

Jüdin, Christin oder magüsiya^* eingehen, während dies einer Frau nur

mit einem Muslim möglich ist**. Eine weitere Einschränkung ergibt sich

aus der Ablehnung der mut'a durch die übrigen Rechtsschulen außerhalb

der Zwölfer-j§i'a. Nach manchen Autoren darf die mut'a nicht mit

Angehörigen von Religionsgemeinschaften geschlossen werden, die den

Propheten oder seine Nachkommen verachten oder hassen**. Diese Be¬

stimmung mag sich zeitweilig durchaus auch auf sunnitische Muslime

bezogen haben.

Die beschränkte Zahl der Ehefrauen von maximal vier ist für das mut'a-

Recht nicht verbindlich, die Zahl der mw^'a-Frauen eines Mannes dem¬

nach nicht beschränkt*'. Eine Frau kann allerdings nicht gleichzeitig

siga mehrerer Männer sein**.

Hinsichtlich der Morgengabe, mahr, sieht das mut'a-B,echt folgende

Besonderheiten vor: die Morgengabe muß im Vertrag ihrer Art und

ihrem Umfang nach genannt sein, ihr Wert ist der Vereinbarung der

Partner überlassen**.

Wird die Ehe vollzogen und mit dem vereinbarten Zeitpunkt beendet,

erhält die siga die gesamte Morgengabe*", während der Mann diese

9 Für die neuere Zeit Abasteh: Man and soeiety in Iran. Leiden 1970,

S. 162; sonst Rosen: Persien. Berlin 1926, S. 87, der von ,, Priestern" spricht;

vgl. auch Browne: A year amongst the Persians. Cambridge 1927, S. 506;

Morier: The adventures of Hajji Baba of Ispahan. London 1897, S. 432, der

außerdem je einen ,, vakeel" für jede Partei auftreten läßt.

1» Querry, a.a.O., S. 690.

" Ebd., S. 689; Arasteh, a.a.O., S. 162.

" Fyzee, a.a.O., S. 100. " Saksena, a.a.O., S. 195.

" Tyabji, a.a.O., S. 120; Fyzee, a.a.O., S. 100.

15 Mulla : Principles of Mahomedan Law. Bombay 1968**, S. 258; Querby,

a.a.O., S. 690. " Quebby, ebd.

1' Fyzee, a.a.O., S. 100; Saksena, a.a.O., S. 194.

18 Tyabji, a.a.O., S. 120; Saksena, ebd., S. 195.

19 Quebby, a.a.O., S. 691 f.

2» Tyabji, a.a.O., S. 120; Fyzee, a.a.O., S. 101; Saksena, a.a.O., 196.

(4)

302 Dietbioh von Dbntfeb

proportional kürzen kann, wenn die siga ihn vorzeitig verläßt**. Löst der

Mann aher die Verbindung vorzeitig, ohne daß die Ehe vollzogen wurde,

erhält die siga die Hälfte des vereinbarten mahr^^. Ist die Ehe in diesem

Fall vollzogen, steht ihr die gesamte Morgengabe zu**. Die Spezifizierung

der mahr im Kontrakt ist neben der vereinbarten Ehedauer zweites

formales Merkmal der mwi'«**.

Kinder, die aus mw^'a-Ehen hervorgehen, sind legitime Nachkommen

des Vaters und ihm** wie auch der Mutter gegenüber erbberechtigt*'. Die

Vaterschaft kann unter Umständen auf Grund rechtlicher Kriterien be¬

stritten werden*', wobei die Prozedur des li'än nicht in jedem Fall zur

Anwendung kommen muß**.

Hinsichtlich der mwi'a-Partner bestehen allerdings keine gegen- oder

einseitigen Erbansprüche**. Diese können jedoch in den Vertrag mit

aufgenommen werden, ohne den besonderen Charakter der Zeitehe auf¬

zuheben™. Die Gültigkeit solcher Vereinbarungen ist nach manchen

Autoren strittig**.

Die wittt'a-Ehe endet gewöhnlich mit Ablauf der vereinbarten Zeit¬

spanne und ohne eine der Scheidung entsprechende formale Trennung**.

Der Tod eines der Partner beendet die Zeitehe ebenfalls. Außerdem kann

der Mann die siga bereits vor Ablauf der vereinbarten Zeitspanne ent¬

lassen. Ihre Zustimmung ist hierzu nicht erforderlich**. Rechtlich ge¬

sehen ist eine Scheidung der mut'a nicht möglich und die vorzeitige Ent¬

lassung geschieht demnach auch als hiba-i muddat^*, ,, Schenkung der

Zeit". Die theoretische Möglichkeit der Scheidung infolge von zihär ist

verschiedentlich anerkannt worden, wobei aber ihre praktische Anwen¬

dung negiert ist**.

Nach Beendigung der mut'a muß die Frau, falls die Ehe vollzogen

wurde, eine 'idda von zwei Regeln bzw. 45 Tagen beachten**. Ist die

21 Saksena, ebd.; Fyzee, ebd.; Quebby, a.a.O., S. 692.

22 Quebby, ebd.; Saksena, ebd.

2ä Quebby, a.a.O., S. 693; Tyabji, a.a.O., S. 120.

2* Saksena, a.a.O., S. 194; Quebby, a.a.O., S. 692.

25 Fyzee, a.a.O., S. 101; Mulla, a.a.O., S. 2.58f.

2« Mulla, ebd., S. 259; Saksena, a.a.O., S. 195.

" Tyabji, a.a.O., S. 121, 123; Quebby, a.a.O., S. 694.

28 Tyabji, ebd., S. 121; Quebby, ebd.

2» Mulla, a.a.O., S. 295.

ä» Tyabji, a.a.O., S. 121; Fyzee, a.a.O., S. 101.

31 Saksena, a.a.O., S. 195; Quebby, a.a.O., S. 695.

32 Tyabji, a.a.O., S. 121; Mulla, a.a.O., S. 259.

33 Fyzee, a.a.O., S. 101.

3* Saksena, a.a.O., S. 195; Mulla, a.a.O., S. 259.

35 Saksena, ebd.; Tyabji, a.a.O., S. 120.

38 Fyzee, a.a.O., S. 110; Quebby, a.a.O., S. 695.

(5)

Zeitehe durcli den Tod des Mannes aufgelöst, dauert die Hdda 4 Monate und 10 Tage. Im Falle einer Schwangerschaft, festgestellt vor oder während der Hdda, ist die Hdda bis zur Entbindung zu verlängern*'.

Zu den zusätzlich in den Vertrag aufnehmbaren Klauseln kann der

vereinbarte Unterhalt der Frau während der Zeitehe durch den Mann

gehören. Ohne eine derartige Vereinbarung bestehen aber weder Unter¬

haltsanspruch seitens der Frau noch Unterhaltspflicht seitens des

Mannes**.

Die rechtsfähige Frau kann jederzeit eine Zeitehe eingehen, ohne daß

sie dazu eines wäli's oder dessen Zustimmung bedürfte**. Eine Jungfrau

bedarf nach manchen Autoren die Erlaubnis ihres Vaters*".

Ohne Zustimmung seiner freien Frau kann ein freier Muslim keine

mut'a mit einer Sklavin eingehen. Auch zur Zeitehe mit der Nichte

seiner Frau bedarf der Mann der Zustimmung seiner Gattin**.

III. Mut'a in der gähiliya

Über die Existenz der Zeitehe in der vorislamischen Ära informieren

uns vor allem Wilken** und Robeetson Smith**. Nach beiden Autoren

handelt es sich bei der mut'a um eine vorislamische arabische Institution,

die zunächst von Muhammad übernommen wurde. Auch im altjüdischen

Bereich gibt es Spuren dieser Einrichtung. Die Verbindung Judas' mit

Thamar, 1. Mos. 38, kann beispielsweise derart gedeutet werden**. Patai

allerdings benutzt gerade diese Episode, um die Existenz der mit lokalen

Heiligtümern verbundenen Prostitution zu belegen**.

Wilkbn's Absicht ist es indes, die Zeitehe als Beweismittel dafür zu

verwenden, daß im vorislamischen Arabien das ,, Matriarchat" bedeut¬

sam gewesen sein muß: ,,Der Ursprung des Matriarchats ist bekanntlich

in der Unsicherheit der Vaterschaft zu suchen, die eine Folge des Mangels

eines gesetzlichen Ehebündnisses in den ursprünglichen gesellschafthchen

Verhältnissen ist. Als Ausgangspunkt haben wir uns ja einen Zustand

" Tyabji, a.a.O., S. 122.

38 Saksena, a.a.O., S. 196; Mulla, a.a.O., S. 295.

39 Quebby, a.a.O., S. 694.

40 EI', Artikel mut'a, III, S. 837.

41 Quebby, a.a.O., S. 690.

42 WiLKEN: Das Matriarchat bei den alten Ardbern, dtsch. Leipzig 1884.

43 Robebtson Smith: Kinship and marriage in early Arabia. London 1903,

repr. Boston o.J.; (— R.S. über W. : "most of the facts on which Prof.

Wilken builds are simply copied from my paper..." author's preface,

XXIII.)

44 Vgl. Bialoblocki: Materialien zum islamischen und jüdischen Eherecht.

Gießen 1928, S. 23.

45 Patai: Sippe und Sitte in Bibel und Orient, dtsch. Frankfurt 1962,

S. 161.

21 ZDMG 128/2

(6)

304 Dietbioh von Denefeb

vorzustellen, bei welchem keine Ehe bestand, die Frau mit keinem be¬

stimmten Mann verbunden war, sondern bald dem einen, bald dem ande¬

ren Mann des Stammes zugehörte. Aus diesem Zustand der allgemeinen

Vermischung, PromLscuität, des vollständigen Hetaerismus, muß sich

allmählich eine individuelle Ehe entwickelt haben"*'.

Im Hinblick auf die Entstehung von Ehe und Familie wnd man heute

an der ursprünghchen ,, allgemeinen Vermischung" und der hier ange¬

deuteten evolutioiüstischen Stufentheorie, zeitweUig aktualisiert durch

Engel's Gruppenehe*' und Fbeud's Urliorde mit Promiskuität und

Ödipuskomplex**, nicht festhalten wollen. Für Wilken ist die Zeitehe

aber noch eine Stufe auf der Entwicklung von allgemeiner Promiskuität

hin zur Einehe, und ihre Existenz bei den vorislamischen Arabern, die er

mittels antiker Autoren belegt**, dient zum Beweis einer anderen Stufe,

nämlich der des „Matriarchats". Parallelen sieht er beispielsweise bei den

südindischen Nayar*". Robertson Siirrn möchte weiterhin die Existenz

des Totemismus im vorislamischen Arabien belegen und beschäftigt sich

von daher mit arabischen Abstammungsgruppen und Verwandschafts-

beziehungen. Da die ersteren sich häufig auf mythische weibliche Vor¬

fahren zurückführen lassen, nimmt er die vormalige Existenz matrili¬

nearer küiship-groups als gegeben an^*. Das Gewicht müsse sich graduell

auf die Seite der patrilinearen kinship-groups verlagert haben''*. Eine

starke Integration dieser Abstammungsgruppe wäre nun Erklärung für

die teilweise beobachtete Sitte, daß eine verheiratete Frau in ihrer Ab¬

stammungsgruppe verbleibt''* und diese Ehe grundsätzlich uxorilokal ist.

Als Beispiel für eine mwi'a-Elie im vorislamischen Medina nennt

Robertson Smith die Ehe zwischen Salmä bint 'Amr und Häsim''*. Der

dieser Ehe entstammende 'Abd al-Muttalib verblieb für lange Zeit bei

seiner Mutter in Medina. Dieser Fall kann aber nur eiu schwacher Abglanz

der vorausgesetzten früheren 7)iM<'a-Elie ohne Erbrecht und Verwandt¬

schaft in väterlicher Linie sein, denn 'Abd al-Muttalib übersiedelte ja

schließlich nach Mekka und die Genealogie Muhammads verbindet dessen

Vater 'Abdalläh von jeher über 'Abd al-Muttalib mit Häsim. Auf ein

Relikt der durch die Unabhängigkeit der Frau gekennzeichnete mut'a

" Wilken, a.a.O., S. 7.

Engels : Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates.

Berlin 1973", vgl. S. 85 f.

" Fbeud: Totem und Tabu. Frankfurt 19731", vgl. S. 130, 145f.

" Wilken, a.a.O., S. llff.

5» Bei Wilken „die Nairen", a.a.O., S. 30f.

51 Robebtson Smith, a.a.O., S. 29ff.

52 Ebd., S. 37. 6ä Ebd., S. 77.

5* Ebd., S. 85;vgl.auch Guillaume: Tfie life of Muhammad. London 1955,

S. 59.

(7)

der gähiliya, wie sie von Robebtson Smith und Wilken angenommen

wdrd, könnte auch die besondere Position Hadiga's Iiindeutcn^^.

Unter den von Robebtson Smith vorgegebenen Voraussetzungen Läßt

sich die Funktion der zeitlich begrenzten Ehe erkennen. Robebtson

Smith erklärt, daß die zeitliche Begrenzung nur eine ,, negative Vor¬

sorge" gewesen sein könne: ,,Die Frau hatte vom Mann eine Gabe als

Preis für ihre Zustimmung erhalten und so war es natürlich, daß ilir

Recht, ihn zu verstoßen, für eine besthnmte Zeitdauer nicht wirksam

werden könne"^*. Von daher liege auch die tatsächliche Differenz zwischen

m'ui'a und islamisch-rechtlich regulärer Ehe ,, nicht im temporären

Charakter der Verbindung, sondern in der Tatsache, daß in einem Fall

beide Gatten das Scheidungsreclit haben, während es im letzteren Fall

nur dem Gatten zukommt^'. Deshalb könne auch der Grund für die Ab¬

schaffung der Zeitehe nicht in ilirem temporären Charakter zu suchen

sein^*, denn das für andere Ehen übliche Scheidungsreclit fördere eine

permanente Ehe keineswegs^*. Wie auch Wilken feststellt und mit einem

hadit belegt*", bedurfte es zur 77iMi'a-Ehe wieder Zeugen noch eines wall's.

Dieser Aspekt ist ja im heutigen Rocht noch beibehalten. Robebt¬

son Smith folgert weiter, daß der Kontrakt zwischen den??!.w<'a-Gatten,

weil die Frau in ilirer Abstammungsgruppo verblieb und diese keinerlei

Rechte hinsichtlich der Frau verlor, ein rein persönlicher Vertrag gewesen

sei**, der die Abstammungsgruppe der Frau nicht einbezog, was aber

immer der Fall war, wenn die Maritalresidenz virilokal wurde. Die Kinder

aus einer solchen Ehe galten allerdings nicht als mit dem Vater v^erwandt

und der Islam habe die mMi'a-Elie verboten, weil ,,sie dem Gatten keinen

legitimen Nachkommen ermöghcht, d.h. einen Nachkommen, der seinem

eigenen Stamm zugerechnet wird und in diesem Erbrecht hat"**. Naeh

Nawawi** entspringt der ??iM<'a-Ehe kein Erbrecht.

Die wesenthche Voraussetzung zur Schlußfolgerung Robertson

Smith's ist im si'itischen mw^'a-Recht nicht gegeben. Dort ist wie ge¬

sagt das Kind aus einer »ww^'a-Ehe legitimer Nachkomme des Vaters und

zudem erbberechtigt.

Aus der bisherigen Betrachtung ergeben sicli drei Folgerungen :

1. Die Zeitehe hatte möglicherweise während einer Epoche mit starkem

matrilinearem Einfluß die Funktion, die Gruppe der Frau mit Näch¬

st Robebtson Smith, a.a.O., S. 290.

56 Ebd., S. 83. " Ebd.

58 Ebd., S. 84. " Ebd.

0» Wilken a.a.O., S. 18.

'1 Robebtson Smith, a.a.O., S. 84.

«2 Ebd., S. 85.

*3 Ebd., olme nähere Angabe der Quelle.

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306 Dietkich von Denffeb

kommen zu versorgen und der Frau die geschlechtliche Beziehung zu

ermöglichen, ohne daß die Interessen und Ansprüche der Gruppe der

Frau auf diese und deren Nachkommenschaft tangiert wurden.

2. Das spätere zwölfer-si'itische Recht zur Zeitehe sieht Verschiedene

Modifikationen dieser früheren Zeitehe vor. Diese hat offensichtlich

mit Betonung der patrilinearen Abstammungsgruppe ihre ursprüng¬

liche Funktion verloren. So bleibt zu klären, welche neue Funktion der

Zeitehe durch die Modifikation ihrer Rechts- und sozialen Folgen

ermöglicht und tatsächlich erfüllt wird.

3. Im wesentlichen handelt es sich bei den erwähnten rechtlichen Modi¬

fikationen um zwei Hauptpunkte, nämlich das Auflösungsverfahren

der Ehe und die Position der Nachkommen aus einer solchen Ehe.

Das heutige Verfahren, die mut'a als aufgelöst zu betrachten, sieht

die folgenden drei Möglichkeiten vor: 1) Auflösung mit Ende des Ver¬

trags; 2) Auflösung durch Tod eines der Partner; 3) Auflösung durch

vorzeitige Entlassung. Der letzte Punkt läßt erkennen, daß, wenn man

im Fall der mut'a von Scheidungsmöglichkeit sprechen will, diese im

Gegensatz zur früheren mut'a nach Robektson Smith jetzt in der Hand

des Gatten liegt. Die Position der Frau, von der aus sie eine zeitlich

begrenzte Ehe eingeht, läßt sie allerdings auf die Auflösung dieser

Ehe Einfluß nelimen. Dies ist, wie zu zeigen bleibt, im Hinblick auf

die reguläre Ehe und besonders auf die Frage des Unterhalts anders

zu werten.

Durch das si'itische mut'a-B,echt ist wie festgestellt die legitime

Abstammung des Kindes aus einer mut'a-'Ehe vom Vater grundsätzlich

eingeräumt, die Nichtanerkennung der Vaterschaft allerdings im Ver¬

gleich zur regulären Ehe erleichtert. Noch einmal sei darauf hinge¬

wiesen, daß ein Kind aus einer mM<'a-Ehe sowohl Vater als auch

Mutter gegenüber erbberechtigt ist.

Aus den genannten Modifikationen läßt sich nun bereits folgern, daß

der Fortbestand der mut'a in der Zeit nach der gähiliya nicht mit dem

einer älteren Institution vergleichbar ist, die ihre ursprüngliche Funktion

schon lange verloren hat. Die modifizierte Struktur der mut'a ist durch

die Darstellung der rechtlichen Vorschriften zur Zeitehe im zwölfer-

si'itischen Recht nun hinreichend bekannt, so daß uns die Untersuchung

der modifizierten Funktion der mut'a zum Ziel werden kann'*.

Es ist keine Frage, daß die Vorstellungen Robebtson Smith's zur Ent¬

stehung der altarabischen mut'a mit ebensowenig Beweiskraft verseben sind

wie die WiLKEN'schen zur Entstehung des Matriarchats. Daß die Totemismus-

Theorie zur Entstehung der Religion, die von Robertson Smith vertreten

und sowohl von Freud (in 'Totem und Tabu', a.a.O., S. 137ff.) als aucb von

Dürkheim (vgl. dazu : Evans-Pbitchaed : Theorien über primitive Religio-

(9)

IV. Mut'a in Qur'än und hadit

Die Aussagen von Qur'än und hadit als primären Rechtsquellen zur

mut'a sind zur Genüge diskutiert worden'^ und lassen sich kurz zusam¬

menfassen. Die im Qur'än relevante Passage 4:28 ist von jeher Streit¬

punkt der Exegeten im Hinblick auf die Legalität der mut'a gewesen.

Nach der HENNnsra'schen Übersetzung lautet der strittige Satz :,,... und

gebt denen, die ihr genossen habt, ihre Morgengabe. . Aus der

Sicht der mMi'a- Anhänger ist liier die Institution der Zeitehe Gegenstand

einer koranischen Verfügung. Die einfachste Möglichkeit, das Problem

in diesem Smne zu lösen, ist die von Khan"' vorgeschlagene, nämlich

istamta'tum als terminus technicus wie beispielsweise zakäi aufzufassen,

dessen wörtliche Bedeutung im Qur'än ebenfalls nur sekundären Rang

habe. Wenn man die angesprochene Passage derart übersetzt, könnte

man in der Tat wiedergeben: ,,...gebt ihnen für eure mut'a mit

ihnen ihre Morgengabe ..." Ähnlich verfährt auch eine zeitgenössische

persische Koranausgabe"* mit interlinearer Übersetzung, die für die

Passage fa-mä stamta'tum hihi minhunna das persische pas än6e mut'a

fcardid az iSän setzt. Hier bleibt es der Spitzfindigkeit des Lesers über¬

lassen, ob er das arabische Lehnwort mid'a im gebräuchhchen Sinn als

terminus technicus für Zeitehe oder anders auffassen möchte. Hin und

wieder findet sich auch die Bemerkung, die ursprüngliche Lesart des

Verses habe den Zusatz ilä analin musamman ,,für eine bestimmte Zeit"

enthalten"«. Nicht generell akzeptiert ist die Behauptung, 24:33 habe

eine Anweisung zur mut'a enthalten'*, sei aber von den 'alidenfeindlichen

^Mr'än-Redaktoren gestrichen worden. Den Zusatz zu 4:28 erwähnen

jedoch bekanntere Autoren wie Tabari und Zamahsari als Lesart von

Ubaiy b. Ka'b und Ibn 'Abbäs".

Der Artikel mut'a der EI'* ordnet die ahädit zur mut'a in folgende

Gruppen: a) die mut'a wurde zur Zeit des Propheten (auch von ihm

selbst) praktiziert; b) die mut'a wurde am Tag von Haibar verboten;

nen. Frankfurt 1968, S. 86ff.) aufgegriffen wurde, auch seiner mwi'o-Konzep-

tion zugrunde liegt, bedeutet nicht, daß seine Aussagen zur Funktion der

mut'a in vorislamisclier Zeit abzuweisen sind.

65 Vgl. Ell, Artikel mut'a, III, S. 835ff.; Absehn. II, III, S. 836f.

Henning: Der Koran. Stuttgart 1960, S. 92: Hervorhebung von mir.

" Khan: Mut'ah and Sociological problems. Lucknow 1958, S. 14f.

68 Qur'än-i Karim wa tar§uma-i färsi wa kaSf al-äyät. Tehrän 1338/1958.

«9 Vgl. Wilken: Das Matriarchat bei den alten Arabern. Leipzig 1884,

S. 11; Tisdall: Shi'ah additions to the Quran. In: MW 3 (1913), S. 236.

Vgl. Tisdall a.a.O., S. 238.

" Vgl. Ell, Artikel inut'a, a.a.O., S. 836.

'2 Vgl. Ell, Artikel mut'a, III, S. 835ff.; Abschn. III, S. 836f.

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308 Dietrich von Deniteb

c) die mut'a war nur zu bestimmten Anlässen für kurze Zeit statthaft;

d) der Hallf 'Umar hat die mut'a untersagt.

Bemerkenswert scheint mir eine im MiSkät al-masäbih aufgeführte

Tradition nach der Ibn 'Abbäs, der für 4:28 den Zusatz ilä agalin

musamman überheferte und so zunächst nicht als mM<'a-Gegner erscheint,

die mut'a als eine Praktik der Frühzeit des Islam bezeichnet, die aber mit

der OfFenbarung der Sure 23'* untersagt sei'*. Qadbi'^ stellt ohne weitere

Angaben fest, die Zwölfer-Si'a berufe sich bei ihrem fälschUchen Fest¬

halten an der mut'a auf Ibn 'Abbäs, während die Abschaffung der mut'a

gerade auf Grund seiner Autorität überliefert sei. Hier ist wohl ein wie

von mir gerade bezeichnetes hadit gemeint.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß auf Grund der sunna die mut'a

sowohl als verboten wie auch als erlaubt angesehen wird. In diesem Sinn

verwenden äi'itischc Autoren auch ahädit aus sunnitischen Sammlungen,

um ihren Standpunkt zu erhärten. Vor allem legt man si'itischerseits

Wert darauf, zu betonen, daß die saÄi/i-Werke davon berichten, es sei

der Halif 'Umar gewesen, der die mut'a verboten hat". Immerhin ent¬

scheidet sich erst im II. Jahrhundert der hi^ra die allgemeine sunnitische

Ansicht für die Ablehung der mut'a'''', die unter dem Halifen Ma'mün

noch einmal offiziell zugelassen war'*. Demnach muß die Annahme,

allein das Verbot der mut'a durch 'Umar habe diese für die Sunniten

illegalisiert und die Fortführung bei den Si'iten verursacht, insofern

modifiziert werden, als dieses Verbot nur in der Endphase der auf das

Verbot hinführenden Entwicklung wirksam wurde. Die sehr weite

Beachtung des Verbots seitdem ist nicht monokausal erklärbar, wofür

ja seine Umstrittenheit bis heute den Beweis liefert. Es muß nicht weiter

ausgeführt werden, inwiefern in diesem Zusammenhang auch die Frage

des rechtmäßigen Halifats eine Rolle spielt. Abschließend sei noch darauf

aufmerksam gemacht, daß für si'itische Kreise das Wort des Imäm

weitere entscheidende Rechtsquelle sein konnte, da der Prophet nach

seinem Tode den Qur'än und die ahl al-bait hinterlassen hatte". Die von

" Gemeint ist wohl Vers 6 der Sure 23.

'* At-Tibrizi : Miäkät al-masäbih. II. Damaskus 1381/1961, kitäh an-nikäh, No. 3158.

'5 Qadri: Islamic Jurisprudence in the Modern World. Labore 1973", S.370.

" Vgl. Khair-ul-Bareeyah. Übers. Husain. Bombay 1960, No. 57; Oems of

Islamic History. Übers. Sarosh. Bombay 1965, No. 125.

" Vgl. EI', III, S. 837.

'8 Vgl. ebd.; Levy: The social structure of Islam. Cambridge 1971^, S. 116.

— Ma'mün regierte 813—833.

" Lalljee (ed.): Some sayings of the Holy Prophet. Bombay o.J., No. 68.

— Vgl. z. Legitimation d. Weisungsbefugnis d. Imäm mein ,,Der schi'itische Islam", unveröffentl. Seminarpapier, Mainz 1972.

(11)

Khan angeführten Aussprüche si'itischer aHmma^" maclien deutlich,

daß die mut'a nicht, wie von extremer Seite gefordert, ein Zeichen der

Vollkommenheit des Gläubigen sei**, lassen an ihrer Legalität keinen

Zweifel. Allerdings viörd beispielsweise der für das si'itische Recht so

bedeutsame Imäm Ga'far as-Sädiq von der Zwölfer-Si'a als ein Befür¬

worter der mut'a beansprucht, während die Zaidiya sich auf sein Verbot

der mut'a beruft**.

V. Mut'a außerhalb des zwölfer-si'itischen Rechts

Die Anerkennung der mut'a scheint ausschließlich im Recht der

Itnä-'asariya-Schule vorzuliegen. Im sunnitischen Recht ist ihr entweder

kein Raum gewdmet oder sie ist, wie beispielsweise bei Qairawänl

explizit verboten**.

Im fätimidischen Recht ist die mut'a ebenfalls, untermauert mit einem

von 'Ali tradierten hadit, untersagt**. Fyzee macht hierfür den mäliki¬

tischen Emfluß im Magrib geltend*^. Auch die äi'itisch-zaiditische

Rechtsschule lehnt die mut'a als dem islamischen Recht widersprechend

ab** ; ebenso verfahren die Hoga und Bohora in Indien*', bzw. die zeit¬

genössische Ismä'iliya überhaupt**.

In der Praxis kommen allerdings im Bereich aller dieser Schulen

temporäre Ehen häufig vor. Mt Recht weist Mulla darauf hin, daß

keine islamische Ehe auf Grund des islamischen Scheidungsrechtes als

permanent im Sinne christlicher oder parsischer Ehen angesehen werden

kann*«.

Für den sunnitischen Bereich läßt sich außerdem die mit der Intention

zur zeitlichen Begrenzung eingegangene Ehe feststellen. Snouck-

HüRGEONJB erwähnt dies für Mekka*", Trimlnoham für Hansa-Städte**.

Im letzteren Fall ^vird die zeitlich begrenzte Ehe aber offen und vor¬

wiegend auf Reisen eingegangen, womit sie eine der in der islamischen

Tradition belegte Form annimmt. Der Mann 'verzichtet' hier während

der Zeit der Reise auf seine anderen Frauen. Für Mekka gilt ein auf

8» Khan, a.a.O., S. 28f.

81 Al-Hurr al-'Ämili in: EP, III, S. 837.

82 Qadm, a.a.O., S. 160.

83 Qairawäni (Übers. Bercher): La Risäla. Alger 1968, S. 174, 175.

84 Fyzee: Com,pendium of Fatimid Law. Simla 1969, S. 21.

85 Ebd.

86 Qadri : Islamio .Jurisprudence in the modern World. Lahore 1973", S. 169.

8' Tyabji: Muhammadan Law. Bombay 1940', S. 122.

88 Ebd., S. 143.

89 Mulla: Principles of Mahomedan Law. Bombay 1968i', S. 260.

9" Snouck-Hurgbonje: Mekka. II. Leiden 1888, S. 156.

»1 Tbimingham: Islam in West Africa. Oxford 1972*, S. 168f.

(12)

310 Dietbich von Denffer

as-Säfi'i zurückgeführter Rechtskniff, der es den Kontraktparteien

anheimstellt, vor Abschluß des Vertrags die zeitliche Begrenzung zu

vereinbaren, sie der Rechtslage wegen aber im eigentlichen Vertrag nicht

zu erwähnen**. Nach zwölfer-si'itischem Recht sind andererseits nur

Vereinbarungen, die in den Vertrag aufgenommen wurden, verbindlieh**.

Lane** erwähnt ähnliche Vereinbarungen, bei denen für beide Parteien

die begrenzte Dauer der Verbindung offensichtlich ist und die ,,Ehe"

nur noch Formsache und als Schutz vor Strafe anzusehen ist. Eine

reguläre Zeitehe scheint man Lane ebenfalls angeboten zu haben*^. Die

zeithch begrenzte Ehe kommt also in folgenden Formen außerhalb des

zwölfer-si'itischen Rechtes vor:

ermöglicht durch das allgemeine Scheidungsrecht

offen und entsprechend si'itischem Verfahren bei den Hausa

versteckt und mittels Rechtskniff

in der Sonderform durch muhallil, indem eine endgültig geschiedene

Ehe nach einer Zwischenehe mit einem zweiten Partner wieder aufge¬

nommen werden kann.

Innerhalb des zwölfer-si'itischen Bereichs ist, das sei abschließend ver¬

merkt, die mut'a nicht nur im Iran anzutreffen, sondern auch in Süd¬

asien*" und im Nahen Osten*'.

VI. Mut'a als Gegenstand si'itischer Apologetik

Die mut'a ist, da sie von jeher umstritten war, immer Gegenstand der

si'itischen Apologetik gewesen, doch hat sich der Inhalt der Argumente

für die mut'a während verschiedener Epochen gewandelt. In der Moderne

ist dabei der Einbruch der neuzeitlich-abendländischen Kultur zu be¬

achten, der die islamische Apologetik generell ausgiebig beschäftigt. Als

vortreffliches Beispiel einer Kombination beider Ebenen, der Diskussion

der mut'a von Si'itischer Seite unter Einbeziehung neuzeitlich-abend¬

ländischen Denkens, soll die von M. A. H. Khan verfaßte Schrift

Mut'ah and sociological problems^^ herangezogen werden. Sie ist vor allem

deshalb geeignet, weil sie für eine europäische Muslim-Gemeinde** ge¬

schrieben wurde und Aspekte, die sich aus der Begegnung zwischen

»« EIS Artikel miU'a, III, S. 837.

»3 Tyabji, a.a.O., S. 121.

'* Lane: The modern Egyptians. London 1944, S. 384.

95 Ebd., S. 160f .

9' Saksena : Muslim Law as administered- in India cfc Pakistan. Lucknow 19543, S. 194.

9' Bliss: The religions of modern Syria and Palestine. New York 1912,

S. 304.

93 Khan: Mut'ah and Sociological Problems. Lucknow 1958.

99 Nämlich die Islamische Gemeinde Hamburg, vgl. S. 3.

(13)

westlicher Zivilisation und si'itisch-islamischen Maximen ergeben, mit

berücksichtigt. Für Khan steht allerdings daneben außer Frage, daß an

der Seite des Arguments, mut'a sei Teü der götthchen, koranischen

Ordnung, alle anderen nur komplementär sein können.

Zur Berechtigung der mut'a überhaupt, nicht nur im Sritischen Islam,

führt Khan verschiedene Gründe an, deren wichtigste hier zusammen¬

gefaßt sind: Zunächst sei es sinnvoller, ,,nur diejenigen Restriktionen

dem sexuellen Verhalten aufzuerlegen, die für die gesellschaftliche

Struktur und die physische und psychische Gesundheit des Individuums

notwendig sind; dem Individuum soviel Spielraum als möglich zu geben

ün Bereich dieser notwendigen Restriktionen und diese Restriktionen

durchzusetzen dmch konsequente Bestrafung jeden Bruchs des Moral-

kodex"*"". Dies vermeide die extremen Positionen der Aufgabe aller

Restriktionen einerseits und der Aufrechterhaltung unrealisierbarer

Ideale wie Monogamie und Ehe bis zum Tode andererseits. Khan ver¬

gleicht mut'a mit der regulären Ehe und bezeichnet erstere als ,,eine

Form des ihsän, was wörtlich Befestigung in dem Sinne bedeutet, daß

die derartig verheüatete Frau keine legale sexuelle Beziehung mit einem

anderen Mann aufnehmen kann, der Mann durch das Gesetz gezwungen

ist, sie zu unterhalten und den Kindern auf gleiche Weise Erbansprüche

und sozialer Status zusteht wie lündern aus einer wiM/t-Ehe""". Den

herkömmlichen Rechtskompendien ist indes nicht zu entnehmen, daß

der Mann zum Unterhalt der Frau verpflichtet ist, im Gegenteü stellen

diese explizit fest, daß dies nicht zutrifft und gelegentlich wird sogar die

Aufnahme einer entsprechenden Klausel in den mwZ'a-Kontrakt als

nichtig angesehenio*.

Ich vei-mute, daß Khan's Angaben auf Vorschriften des indischen

Rechts beruhen — Khan schrieb in Lucknow — nach denen die siga

Unterhalt einklagen kann*"*, obwohl sie nach dem mMi'a-Recht keinen

Anspruch hat. Der Beklagte kann die Unterhaltszahlung dadurch zu ver¬

meiden suchen, daß er die siga durch „hiba-i muddat" in die Position der

Schuldnerin bringt*"*. Nach dem bislang üblichen iranischen Rocht

besteht aber für die siga keine Möglichkeit, Unterhalt zu erhalten, es sei

denn, dies wurde im Vertrag vereinbart*"''.

Mit Recht weist Khan aber darauf hin, daß ebenso, wie ein mut'a-

Vertrag für kurze Zeit geschlossen werden kann, die reguläre Ehefrau

nach kurzer Zeit geschieden werden könne und außerdem daß beide,

1»» Khan, a.a.O., S. .3f. *»i ders. S. 32.

i»2 Tyabji: Muhammadan Law. Bombay 1940', S. 122, Anm. 24; 317f.

103 Ebd. *»* Ders., S. 319.

Nazabi : Die rechtliche Stellung der Frau in Iran unter der Pahlaividen- Dynastie. Dissert. Mainz 1974, S. 25.

(14)

312 Dietrich von Denffer

siga und reguläre Ehefrau, erneut Ehen eingehen dürfen. Auch seien

beide zur Beachtung der Hdda verpflichtet. Hierzu ist zu bemerken, daß

die 'idda der siga kürzer ist und die reguläre Ehefrau nicht die Möglichkeit

hat, die 'idda mittels einer nicht vollzogenen mut'a zu umgehen. Hieraus

folgt, daß die mut'a wesentlich häufiger ausgeübt werden kann.

Die wohl interessanteste Feststellung Khan's ist die, daß die Institu¬

tion der mut'a dazu geeignet sei, die Probleme eines ungleichen Zahlen¬

verhältnisses der Geschlechter zu lösen*"*. Für Europa setzt er einen

hohen Frauenüberschuß an — er schrieb 6 Jahre nach dem Zweiten

Weltkrieg und ist bemüht, die damaligen demographischen Verhältnisse

gebührend zu berücksichtigen — und empfiehlt, die Polygamie zu

legalisieren, ,, anstatt eine derart große Zahl von Frauen zur ständigen

Sterilität zu verdammen"*"'. In asiatischen Ländern befänden .sich aller¬

dings die Männer in der höheren Zahl, so daß mut'a das geeignete In¬

strument wäre, zu verhindern, daß ,, einige Millionen Männer zum Zölibat

und zur Sterilität oder zu illegalen Beziehungen"*"* bestimmt werden. Die

von Khan derart angesprochene demographische Frage soll an anderer

Stelle auf dem Hintergrund der iranischen Bevölkerungsstruktur unter¬

sucht werden. Es ist richtig, daß mut'a im Falle eines starken Männer¬

überschusses ein sozial-technisches Instrument sein könnte, die daraus

entstehenden Probleme zu verhindern oder zu verändern. Gleichermaßen

läßt Khan erkennen, daß er im umgekehrten Fall, dem hohen Frauen¬

überschuß, mut'a zusammen mit Polygamie empfehlen würde*"«.

Analytischer Teil

I. Familienstruktur — Basis für mut'a?

Die mut'a kommt in verschiedenen zwölfer-si'itischen Bevölkerungen

vor, hauptsächlich aber im Iran, Irak, Indien und Pakistan. Die Unter¬

suchung der mut'a in Verbindung mit der iranischen Familienstruktur

ist rein pragmatisch zu begründen : der überwiegende Teil der iranischen

Bevölkerung könnte nach der Rechtslage die mut'a praktizieren, während

überall sonst die Sunniten überwiegen und wir Minderheiten zu unter¬

suchen hätten. Gememsam ist allen genannten Räumen, daß für sie kaum

Untersuchungen zur Familienstruktur vorliegen. Dies gilt auch für die

iranische und Si'itisch-islamische Famüie. Die Funktion der Zeitehe im

Rahmen dieser Institutionen ist überhaupt nicht beachtet worden. In

einem Artikel Kinship and marriage in Eastern Persia^^'^ berichtet

i»6 Khan, a.a.O., S. 21 f. i»' Ebd., S. 21.

"8 Ebd. Ebd.

**" Spooner: Kinship and marriage in - Eastem Persia. In: Sociologua N.S. 15 (1965), S. 22—31.

(15)

Spooner über die ländliche Gesellschaft des Iran, besonders über

Hui'äsän. Zwar wird auf den Komplex mut'a nicht näher eingegangen,

aber darauf hingeiviesen, daß, ,,wenn es für eine Frau erleichternd ist,

von einem Mann außerhalb der [mahram, v.D.)-Grade un verschleiert

gesehen zu werden, (z.B. Diener, Verwalter, jemand, mit dem sie im

Haus regelmäßig zu tun hat), wird eine kleine Tochter zur slghe oder

zeitlichen Vortragsfrau des Mannes gemacht, damit dieser technisch

mahram ivird"'*'. Auf gleiche Weise wird in si'itischen Gemeinden des

Libanon der Umgang von Reisenden, vor allem während der Pilgerfahrt,

ermöghcht"*.

Für die reguläre Ehe genießt die ,,Erst-Cousinen-Heirat" Präferenz''*.

Die Mögliciikeit der mut'a im si'itischen Recht Avird von Spooner er¬

wähnt und wie folgt kommentiert: ,, Theoretisch ist das so, damit ein

Mann, vor allem wenn er für längere Zeit, z.B. während einer Pilgerfahrt,

abwesend ist, die Gesellschaft einer Frau genießen kann, aber in der

Praxis wird traditionell Mißbrauch getrieben"*."

Spooner betont, daß in den von ihm untersuchten Bereichen die

Älutter die Frau des Solines wählt und die Abstammung väterlicher und

mütterlicherseits nahezu gleichwertig ist"^. Das kinship-system im

iranischen Dorf ist cognatisch"" und die iranische Familie scheint nur selten über den Rahmen der Nuklearfamilie hinauszugehen'". Allerdings sind die Nuklearfamilien durch ,, Familien-Unionen" verbunden"*.

In der regulären Ehe ,,ist der Status der Frau gebunden an die zwei¬

fache Form der Familie und an die Rolle der Union der Familien im

Prozeß der Integration der Individuen in die Gesellschaft""*.

Zusammenfassend läßt sich feststellen : die Rolle der siga ist für die

Struktur der iranischen Familie denkbar ungeeignet. Die Familie ist in

der Regel klein und mutterzentriert, damit auf eine permanente Ehe

angewiesen. Die Familien-Unionen oder -verbände basieren auf Ehe¬

schließungen und würden bei Zeitehen instabil. Bereits Robertson Smith

"1 Ebd., S. 27.

112 Petebs: Aspects of rank and status among Muslims in a Lebanese

village. In: Pitt-Rivebs: Mediterranean Countrymen. Paris 1963.

HS Spooneb, a.a.O., S. 27.

m Ebd., S. 28.

"5 Ebd., S. 31.

"6 Spooneb: Iranian kinship and marriage. In: Iran 4 (1966), S. 51—59, hier S. 58.

'" Vieille/Kotobi : Families et unions de families en Iran. In: Cahiers internationaux de sociologie N.S. 13 (1966), S. 93—104, hier S. 94.

"9 Ebd., S. 98f.

"9 Ebd., S. 100.

(16)

314 Dietbich von Dentpee

hat darauf hingewiesen, daß die alt-arabische mut'a nicht geeignet war,

Gruppen zu verbinden'*". Die mut'a hat in bestimmten Bereichen die

Funktion eines Rechtskntffs angenommen, um die mai^ram-Grade zu er¬

weitern. Im sunnitischen Islam wird dieses Problem mit der regulären

fiktiven Ehe gelöst. Der Status der Frau wird in starkem Maß durch ihre

Rolle in den FamUien-Verbänden mitbestimmt. Der Status der siga, die

diese Rolle nicht übernehmen kann, müßte demnach weit unter dem der

regulären Ehefrau liegen. Den sozialen Status der siga zu bestimmen,

dürfte uns aber auf Grund mangelnder Information nicht gehngen. Fest¬

halten sollten wir allerdings, daß die von Browne'*' beschriebene Situa¬

tion in Karmän hinsichtlich einer der vielen Statusdeterminanten, nämlich

der Besitzverhältnisse und der Art des Besitzerwerbs eine hohe Ein¬

schätzung nicht möglich macht. Hier stammt die siga aus den ärmsten

Bevölkerungsschichten und erwirbt Besitz, wenn überhaupt in nennens¬

wertem Umfang, gezwungenermaßen durch das Eingehen von Zeitehen.

Die Anwendung von Rechtskniffen zur Umgehung der 'idda und damit

zur potentiellen Vergrößerung der Einkommensmöglichkeiten, dürfte

ebenfalls für einen hoch zu wertenden Status ungünstig sein. ,,Hajji

Baba's" Charakterisierung der ,,müti, eine Klasse Frauen, die im allge¬

meinen der Ausschuß der Weiblichkeit waren — alte Witwen und ver¬

lassene Frauen; und die, eher noch als unter der Schmach zu leben, die

das Ledig-Sein in unseren mohammedanischen Ländern bedeutet, mit

jedem zusammengehen würden, was unter die Bezeichnung Gatte fiel"'**,

deutet ebenfalls in dieser Richtung, kann aber von uns nicht als ivisson-

schaftliche Information betrachtet werden, wenn auch manche Fach¬

leute wie beispielsweise Fyzee'**, diesen Bericht ,, ergötzlich" finden.

Andererseits könnte die siga, die konsequent entsprechend den vom

mut'a-üecht sanktionierten Verhaltensweisen verfährt, auf Grund ihrer

Beachtung des ja an den Glauben gebundenen Rechts hohes Ansehen

genießen. Die rechte religiöse Verhaltensweise zählt bekanntermaßen zu

den grundlegenden Statusdeterminanten und ist als solche um so be¬

deutender, je mehr die betrefFende Kultur dahin tendiert, Religion bzw.

Religiosität als eine bedeutende oder die zentrale Institution anzuerken¬

nen. Für die si'itisch-iranische Gesellschaft läßt sich die Dominanz dieser zentralen Institution bislang nicht leugnen'**.

'20 Robebtson Smith: Kinship and marriage in Early Arabia. London

1903, repr. Boston o.J., S. 84f., 88.

'21 Bbowne: A year amongst the Persians. Cambridge 1927, S. 506.

'=2 Moeier: The adventures of Hajji Baba of Ispahan. London 1897, S.436.

123 Pyzee: Outlines of Muhammadan Law. London 1955, S. 100.

12« Vgl. Spoonee : The function of Beligion in Persian Society. In : Iran 1 (1963), S. 83—95, hier S. 93—95.

(17)

II. Mut'a im heutigen Iran — rechtliche und demogra- /

phische Aspekte

Da.s 1967 im Iran erlassene „Gesetz zum Schutz der Familie", das v-j,rj

beispielsweise die Polygamie durch Kontrolle zu erschweren sucht'*^,

berührt die Zeitehe zunächst nicht, hat aber möglicherweise ernst¬

zunehmenden indirekten Einfluß auf sie genommen.

Die mut'a bleibt rechtlich und praktisch möglich'**. Sie ist Gegenstand

verschiedener Paragraphen des Iranischen Zivilrechts'*'. Über die Auf¬

hebung der Vorschrift, nach der seit 1931 Zeitehen offiziell zu registrieren sind'**, ist mir nichts bekannt geworden.

Zum Komplex der mut'a fehlen im allgemeinen statistische Angaben'*«,

doch macht uns Nazaei'*" die folgende offizielle iranische Statistik zu¬

gänglich :

,,Die Anzahl der Eheschließungen nach Dauer- und Zeitehen in Teheran

von 1961—1968

Dauerehen Ehen auf Zeit

4. Ehe u.Jabr 1. Ehe 2. Ehe 3. Ehe 4. Ehe u. 1. Ehe 2. Ebe 3. Ebe

weitere weitere

1961 M. 2.941 501 144 43 150 3 1

F. 3.390 515 119 40 201 — — 3

1962 M. 2.590 516 124 34 155 3 .

F. 3.475 542 108 19 213 3 — —

1963 M. 1.173 259 45 34 37 2 1 1

F. 1.365 217 59 12 30 1 3 —■

1964 M. 3.160 638 128 33 93 1 , .

F. 3.547 577 101 23 — 144 4 —

1965 M. 3.270 710 135 42 196 5 3 2

F. 3.595 626 101 21 213 7 1 1

1966 M. 3.134 631 96 36 232 6 4 4

F. 3.393 654 107 29 230 5 3 3

1967 M. 2.279 488 151 26 162 10 2 —

F. 2.505 501 86 16 170 6 — 2

1968 M. 1.522 293 55 9 109 4 1 —

F. 1.772 333 22 15 146 1 — —

(18)

316 Dietrich von Denffeb

Diese Tabelle zeigt eine deutliche Abnahme der Polygamie bei Männern

und Frauen."

Wollten \vir den Zahlen dieser Tabelle Glauben schenken, ergäben sich

eine Reihe von Folgerungen und Konsequenzen, die, obwohl die mut'a

vom Text des ,, Gesetzes zum Schutz der Famüie" nicht tangiert ist, diose

erheblich beeinträchtigen. Nach obigen Angaben läßt sich nämhch er¬

rechnen, daß die mut'a bei Männern und Frauen in der Zeit, in der die

Polygamie zurückgegangen sein soll, häufiger geworden ist:

Xazabi : Die rechtliche Stellung der Frau in Iran unter der Pahlaw-iden- Dynastie. Dissertation, Mainz 1973, S. 44.

Ebd., S. 108.

12' Ebd., S. 25ff. — Die Angaben N. zur mut'a sind aber im allgemeinen .

ungenau oder falsch; vgl. S. 24, wo die Zeitehe als nach islamischem

Recht möglich bezeichnet wird; S. 25, wo der strittige Koranvers 4:28 ein¬

deutig, aber ohne Beleg im Sinne des zwölfer-Si'itischen Bechts angeführt

ist und NÖLDEKB als Autorität dafür zitiert wird, daß die mut'a ,,eine Art

Prostitution" sei. Nachlässiger Umgang mit statistischem Material, wenn

dies auch den Intentionen iranischer Behörden nutzt, die prompten und ge-

wimschten Resultate gesetzlicher Initiativen zu beweisen, spricht ebenfalls gegen eine objektive Analyse der mut'a in diesem Zusammenbang.

128 Elwell-Sutton: Modern Iran. London 1941, S. 125.

129 So auch Arasteh: Man and soeiety in Iran. Leiden 1970, S. 162.

13» Nazari, a.a.O., S. 45, naoh Wizärat-i ittilä'ät, 1968, S. 11.

(19)

%-Aiiteil der %-Anteil der

mut'a an Gesamtehen 2. u. f. Ehen an Gesamtehen

1961 M. 4,07% 1961 M. 18,83%

F. 4,77% F. 16,52%

1962 M. 4,61% 1962 M. 20,64%

F. 4,95% F. 16,14%

1963 M. 2,64% 1963 M. 24,85%

F. 2,01% F. 17,42%

1964 M. 2,77% 1964 M. 20,18%

F. 3,36% F. 16,50%

1965 M. 4,72% 1965 M. 21,33%

F. 4,86% F. 17,22%

1966 M. 5,93% 1966 M. 19,57%

F. 5,44% F. 18,88%

1967 M. 5,58% 1967 M. 21,52%

F. 5,41% F. 19,40%

1968 M. 5,72% 1968 M. 18,99%

F. 6,42% F. 17,27%

Wollte man demnach die Zeitdauer eines Jahres zwischen 1967 und 1968

als Indikator für die ,, deutliche Abnahme der Polygamie" ansehen, muß

man doch gleichzeitig festhalten, daß die Häufigkeit der mut'a in diesem

Zeitraum zugenommen hat:

M P MF

1967 21,527o 19,40% 1967 5,58% 5,41%

1968 18,99% 17,27% 1968 5,27% 6,42%

gesunken — 2,53% 2,13% gestiegen +0,14% 1,01%

Die vergleichsweise hohe Zunahme der mut'a bei Frauen sollte beachtet

werden.

Insgesamt entspräche der Anteil der mut'a an allen Eheschließungen

in Teheran zwischen 1961 und 1968 etwa 4,85%. Nach Angaben des

Statistischen Bundesamtes'*' ist die Zahl der Eheschließungen für

Teheran allerdings wesenthch höher, nämlich :

1959/60 19894 1962/63 19000

1960/61 15653 1963/64 18275

1961/62 17364

"' Statistisches Bundesamt Wiesbaden : Länderbericht Iran 1967. Stuttgart 1967, S. 63.

(20)

318 Dietrich von Dbntteb

Der starke Einbruch für das Jahr 1963 in der ersten Tabelle ist zudem

nach diesen Angaben nicht ersichtlich.

Zur Gesamtbevölkerung des Iran läßt sich feststellen, daß für den

Zeitraum von 1956 bis 1966 bei einer Gesamtzunahme der Bevölkerung

von 19242500 auf 24020900 der Überschuß von Männern bei etwa

400000 bis 600000 lag"*. Eme Praktizierung der mut'a im Sinne der

KHAN'schen Indikation'** wäre demnach hier für einen geringen Anteil

iranischer Frauen vertretbar. Doch ergeben sich für die Jahre 1956 und

1966 als ausgewählte Beispiele in den Gruppe heiratsfähiger Frauen

leicht veränderte Verhältnisse'** :

1956 Alter M F 1966 Alter M P

15— 20J 710029 710495

20—25 699369 797809

25—35 1440 929 1463 246

35—45 1056710 1890731

15— 20J 1060000 1069000

20—25 793000 889000

25—35 1665 000 1653 000

35—45 1502 000 1238 000

Der Anteil der heiratsfähigen Frauen liegt hier meist geringfügig über

dem der Männer, so daß, Khan folgend, die im Iran zulässige Polygamie

eine ausreichende Maßnahme sein könnte, das 'demographische Problem'

zu lösen, wobei allerdings das eventuelle feed-back Polygamie/mwZ'a zu

berücksichtigen wäre.

III. Mut'a und Prostitution

Man hat die Praxis der Zeitehe verschiedentlich als Form der legali¬

sierten Prostitution bezeichnet'*^ oder zumindest mit ihr in Verbindung

gebracht'*" ; Woodsmall, die rechtliche Lage der siga völlig verkennend,

schreibt, daß 75% der §igät zu Prostituierten würden'*'. Diese Ein¬

schätzung beruht mit Sicherheit auf einer guten Portion ethnozentrisehen

Denkens, verbunden mit Unkenntnis wesentlicher Faktoren der mut'a.

Wir selbst müssen uns bei vielen Aspekten dieser Untersuchung mit

Hinweisen und, wenn auch begründeten, Vermutungen zufrieden geben,

da ausreichende Quellen zur mut'a als sozialer Institution nicht vorhanden sind.

Ebd., S. 61.

'3* Khan: MuVah and sociological problems. Lucknow 1958, S. 21.

Statistisches Bundesamt Wiesbaden : Länderbericht Iran 1967. Stuttgart 1967, S. 61 und Länderkurzbericht Iran 1972. Stuttgart 1972, S. 12.

135 Fyzee: Outlines of Muhammadan Law. London 1955", S. 99.

1" Bousquet: Du droit musulman et de son application effective dans le

monde. Ager 1949, S. 46.

137 WooDSMALL: Der Aufstieg der mohammedanischen Frau. Zürich 1936,

S. 141.

(21)

Die Prostitution ist bestimmt durch die Paktoren der Gewerbsmäßig¬

keit, der WaliHosigkeit und flüchtigen Beziehung zu vielen Partnern zu¬

sammen mit gesellschaftlicher Diffamierung und zugleich Konventionali-

sierung'**. Die Diffamierung der Prostituierten bezieht sich auf deren

Preisgabe der Virginität ohne Eheschluß, aufdie rechtlich nahezu unver¬

bindliche Geschlechtsbeziehung, die durch Bezahlung abgegolten wird

und den zahl- und wahllosen Beziehungen, die dem Charakter der Mono¬

gamie mdersprechen. Sie ist begründet, zumindest in unserer Tradition,

mit der absoluten Monogamie der patriarchalischen Ehe mit ihrer

Forderung nach Jungfräulichkeit der Frau bei der Eheschließung und

der strengen Bestrafung des Ehebruchs mit verheirateten Frauen.

,, Später kommen auf Grund der christlichen Spiritualisierung der ehehchen

Liebe und der Romantisierung der Liebe überhaupt noch die Motive der

Verachtung einer rein-triebhaft-materialistischen Geschlechtsbeziehung hinzu'"*».

Aus der Betrachtung der Prostitution möchte Schblsky aber „Formen

des neben- und außerehelichen Geschlechtsverkehrs, wie sie in der Probe¬

oder Zeitehe, der sogenannten Gast- und Festprostitution, der Zeugungs¬

hilfe und HUfsehe, der Nebenehe oder dem Konkubinat und den 'festen

Verhältnissen' in den verschiedenen Gfesellschaften vorliegen, außer acht

lassen, da ihnen ein eigenthcher Prostitutions- Charakter nicht zukommt;

offensichtlich gibt es ein Legitimitäts- und Prestigegefälle des sozial

erlaubten und geregelten Geschlechtsverkehrs, in dem der eheliche

Sexualverkehr ganz oben, der prostituive ganz unten rangiert"'*". Um

die Institution der mut'a von der Prostitution zu unterscheiden, sollten

wir untersuchen, welche Werte zu ihrer Beurteilung heranzuziehen sind.

Schelsky's Angaben zur Prostitution sind nicht ohne weiteres auf nicht¬

europäische Verhältnisse zu übertragen, können uns aber trotzdem als

Orientierungshilfe dienen, da bekanntermaßen für den Bereich des Islam

gleichermaßen ein Legitimitäts- und Prestigegefälle des Geschlechts¬

verkehrs vorhanden ist, dessen obere Position die Ehe, ihsän, und dessen

untere der außereheliche Geschlechtsverkehr, zinä', überhaupt ist'*',

wenn auch die zugrunde liegenden Faktoren verschieden sind. Die obigen

Charakteristika der Prostitution begegnen uns im Zusammenhang mit

der mut'a teilweise wieder, doch sollten wir beachten, ,,wie sehr es der

Feinfühligkeit bedarf, um in der Analyse gesellschaftlicher Fakten gut

1*8 ScHBLSKY: Soziologie der Sexualität. Hamburg 1965", S. 41.

"9 Ebd. 1" Ebd., S. 40.

141 Die Kenntnis dieser Verbältrusse sind vorausgesetzt; sie sind beispiels¬

weise für ähnliche Probleme analysiert bei Antottn : On the modesty of women in Arab Muslim villages : A study in the accomodation of traditions, in : American Anthropologist 70,2 (1968), S. 671—697.

22 ZDMG 128/2

(22)

320 Dibtbich von Denitbb

zu unterscheiden zwischen den Fakten der Theorie, zwischen Form und

Ursache der Dinge"'**. Weiter soUten wir uns darüber klar sein, daß die

idealen Werte einer Gesellschaft kaum dem realen Verhalten in ihr völlig

entsprechen werden.

Der Faktor der Gewerbsmäßigkeit der Prostitution ist durch das

mwi'a-Recht insofern tangiert, als der abzuschließende Vertrag nichtig

wird, wenn er die mut'a mit Verkauf, Vermietung o.ä., also der Gewerbs¬

mäßigkeit in Verbindung bringt'**.

In der Praxis wird die mut'a aber gewerbsmäßig ausgeübt, wie dies

der Vorwurf, mut'a entspreche den niedrigsten Formen der Prostitution'**,

darlegt. Die Gewerbsmäßigkeit wird zudem durch einen Rechtskniff er¬

leichtert. Um die vorgeschriebene 'idda zu umgehen, schließen Partner

nach Ablauf der mut'a erneut eine kurze Zeitehe, die sie aber nicht voll¬

ziehen. Die Verpfhchtung zur Einhaltung der 'idda entfällt hierdurch

formal und das Eingehen einer mut'a mit einem weiteren Partner un¬

mittelbar im Anschluß wird derart legalisiert'**, denn der Verzicht auf

Einhaltung der 'idda nach einer mut'a ohne Aufnahme geschlechtlicher

Beziehung ist Gregenstand rechtlicher Texte'*®.

Für die Faktoren der Wahllosigkeit und flüchtigen Beziehung läßt sich

ähnliches feststellen. Der Kreis der möglichen Partner für die mwi'a-Ehe

wird theoretisch durch die Zugehörigkeit zu bestimmten Religionsgruppen

eingeschränkt, während in der Praxis die mut'a entsprechend dem

si'itischen Recht nur zwischen Si'iten vorkommen wird. Da das mut'a-

Recht keine Mindestdauer der mut'a vorsieht, lassen sich flüchtige Be¬

ziehungen, auch wenn mufa-Ehen mit der Dauer von 99 Jahren ge¬

schlossen werden'*' keinesfalls ausschließen.

Die juristische Konventionalisierung der mut'a ist durch ihre fort¬

dauernde Legalität gegeben, während die gesellschaftliche Diffamierung

zumindest regional zu vermuten ist. Im allgemeinen verlegt man die

Zentren der mut'a in die si'itischen Wallfahrtsorte'**; Browne allerdings

bezieht sich auf Karmän, ,,wo, wegen der großen Armut der Bevölkerung

die kleine Morgengabe für die sigha die Eltern veranlaßt, eine solche

1*2 Bousquet: L'khique sexuelle de l'Islam. Paris 1966, S. 134.

14' Quebby: Recueil des lois concernant les mu.sulmans schyites. Paris 1881,

I, S. 689; Abasteh: Man and soeiety in Iran. Leiden 1970, S. 162.

1" Fyzee; a.a.O., S. 99; Eii, Artilcel mut'a, III, 8. 838.

1*5 Bbowne: A year amongst the Persians. Cambridge 1927, S. 500.

Nobden: Under Persian Skies. London 1928, S. 29, der diese Praxis voraus¬

setzt.

146 Tyabji: Muhammadan Law. Bombay 1940', S. 121 f.

1*' Ell, Artiliel mut'a. III, S. 838; Abasteh, a.a.O., S. 162.

14' Rosen: Persien. Berlin 1926, S. 87; Nobden, a.a.O., S. 29.

(23)

Verbindung für ihre Tochter zu suchen"'**. Es kann angenommen werden,

daß diese Art des Besitzerwerbs kein hohes Ansehen gestattet.

Doch können nicht alle die Diffamierung begründenen Faktoren ohne

weiteres auf iranische Verhältnisse übertragen werden. Die absolute

Monogamie ist kein Bestandteil der sozio-kulturellen Umgebung, in der

die mut'a praktiziert wird, während aber die Virginität der Frau bei der

herkömmlichen Eheschließung als unbedingter Wert angesehen ist'***.

Eine Spiritualisierung oder gar Romantisierung der Ehe als weiterer,

verachtungsfördernder Faktor für die m,ut'a kann für den großen Teil

der traditionsverhafteten ländlichen und städtischen Bevölkerung bis¬

lang ausgeschlossen werden: „... die Ehe ist vor allem ein Vertrag und

wenn aus ihr später eine Partnerschaft erwächst, ist dies Glücksache oder

mehr Zwang der Umstände, obwohl natürlich nicht selten. Sie ist keine

mystische Union"'*'.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß eine Reihe der die Prostitution

charakterisierenden Faktoren der mut'a in der Praxis zukommen können,

während andere abwesend sind oder einer differenzierenden Wertung

bedürfen.

Wenn wir nun versuchen, die mut'a in das Legitimitäts- und Prestige¬

gefälle des sozial erlaubten und geregelten Geschlechtsverkehrs einzu¬

passen, und davon ausgehen, daß in ihm der eheliche Sexualverkehr ganz

oben, der prostituive ganz unten rangiert, bleibt uns für mut'a der

Zwischenbereich zwischen beiden Institutionen. Die dem Idealtypus der

mut'a entsprechende Zeitehe stünde dann der regulären Ehe, dem isla¬

mischen ihsän, sehr nahe, während die mit Rechtskniff ermöglichte ge¬

werbsmäßige Form der Prostitution, dem islamischen zinä', verwandt

sein müßte. Wir sollten festhalten, daß uns Rosen'** mitteilt, in Persien

bestünde ,, eigentliche Prostitution" verhältnismäßig wenig. Konservative

Iraner sollen zudem die mut'a als eine der Prostitution vorzuziehende

Einrichtung ansehen'**.

Um die mut'a genauer zu lokalisieren, wollen wir im folgenden fest¬

stellen, welche Funktionen die reguläre Ehe und die Prostitution er¬

füllen, um daran abzuschätzen, welche spezifischen Funktionen der mut'a

ihrerseits zukommen können. Wir dürfen dabei nicht übersehen, daß die

reguläre Ehe mit der Familie auf enge Weise verbunden ist'**. Die

1" Brown, a.a.O., S. 506.

'*" Spooner: The function of religion in Persian soeiety. In: Iran 1 (1963), S. 8.3—95, hier S.92.

»" Ebd., S. 93.

1" Bosen, a.a.O., S. 87.

163 Woodsmall, a.a.O., S. 142.

151 Vgl. oben A.bschnitt Famihenstruktur.

22»

(24)

322 Dietrich von Denteer

Familie ihrerseits aber ist diejenige Gruppe, in der die wesenthchen

Grundlagen der Sozialisation vereint sind'**.

Die Institution der islamischen Ehe, dies läßt sich verallgemeinernd

sagen, erfüllt vor allem zwei Notwendigkeiten : sie dient der Fortpflan¬

zung, die sie im Bereich rechtlicher Normen ermöglicht. Die Ehe Verein¬

barung wird im islamischen Recht schlechthin als ein Kontrakt ange¬

sehen, der zum Ziel hat, Kinder auf legitime Weise zu zeugen'**, während

er zunächst ermöglichte, sich rechtmäßigerweise einer Frau zu erfreuen'*'.

Hinzu kam, daß die Erziehung der Kinder in einer Ehe zu einem weiteren

Zweck der Ehe wurde, was sich in der juristischen Definition nieder¬

schlug'**. Schließlich machte die Funktion der Abwehr von ziwä"** die

Ehe zu einem religiösen Akt im Sinne der modernen Auslegung'**. Der

derart entwickelte Ehebegriff läßt den Vergleich der Ehefrau, muhsiTia,

mit einer, die sich in einer Festung, ihsän, befindet'*', berechtigt er¬

scheinen.

Mut'a als Komplementär-Institution zur regulären Ehe erfüllt zu¬

nächst die gleichen Funktionen, wenn auch unter verschiedenen Voraus¬

setzungen. Vom Ehetypus her handelt es sich wohl in der Regel um eine

Konsens-Ehe, während die reguläre Ehe meist noch die arrangierte Ehe

sein dürfte'**. Der Konsens-Charakter der mut'a wird ja durch die recht¬

lichen Vorschriften ermöglicht und betont. Beide Eheformen erlauben

simultane Polygjmie, wenn auch die mut'a die Beschränkung auf vier

Frauen nicht kennt. Beide Ehen sind durch ihren legalen Charakter in

der Lage, die Zeugung von legitimen Nachkommen zu ermöglichen'**.

Zusätzlich zu diesen gemeinsamen Funktionen könnte die mut'a

allerdings spezifische erfüllen : wenn ihr eine reguläre Ehe folgt, wäre die

vorausgegangene mut'a mit dem gleichen Partner im Sinne einer trial-

marriage aufzufassen. Dies ist vom rechtlichen Standpunkt her durchaus

möglich. Weiterhin könnte die mut'a dazu dienen, die Nachkommenschaft

sicherzustellen im Sinne einer Hilfsehe oder sie zu vergrößern, ohne den

Unterhalt für eine oder mehrere Frauen, zudem noch auf Dauer, bereit¬

stellen zu müssen.

Die mut'a wird allerdings häufig nicht das Ziel haben, Nachkommen¬

schaft zu zeugen. Von daher gesehen wäre sie als Komplementär-

i^'' König: Die Familie der Oegenwart. München 1974, S. 58 f.

Mulla.: Principles of Mahomedan Law. Bombay 1968'*, S. 249.

'^' Chehata: Droit musulman. Applications au Proche Orient. Paris 1970,

S. 68.

Ebd., S. 72. Ebd., S. 71. '«<> Ebd., S. 74.

1*1 Islami Mission: Marriage in Islam. Lahore o.J., S. 12.

162 Vgl. oben Abschnitt Familienstruktur.

1*3 ,,Die Zeitehe (mut'a) karm als das Prinzip der legalen Sexualität ins

logische Extrem treibend angesehen werden", in: Antoun, a.a.O., S. 690.

(25)

Institution zur islamischen Ehe vergleichbar mit der Prostitution als

Komplementär zur christhch-abendländischen. Von Khan wurde des¬

halb auch die Einführung der mut'a zur Bekämpfung der Prostitution in

Europa vorgeschlagen'"*, wobei allerdings übersehen wurde, daß zwar

beide komplementär, aber zu verscliiedenen Ehetypen, und damit keines¬

falls einfach austauchbar sind. ,,Die Prostitution ist nun zweifellos eine

solche speziell auf die absolute patriarchalische Monogamie ausgerichtete institutionelle Ventilsitte, welche die durch die rigorose Sexualmonopoh-

sierung dieser Eheform angehäuften Spannungen neutralisieren soll'"*.

Die mut'a ist sicher nicht eindeutig als derartige Ventilsitte anzusehen,

sondern muß je nach ihrer Orientierung hin zur regulären Ehe oder aber

zur Prostitution als mehr oder weniger starke institutionalisierte Devia¬

tion betrachtet werden. Sie unterscheidet sich von der Prosti¬

tution letztlich dadurch, daß ihre Deviationsbreite viel

umfassender ist.

Die mut'a kann und wird in vielen Fällen den Charakter der Ventilsitte

haben, ohne daß sie dadurch andere möghche Funktionen abgibt. Dies

wdrd beispielsweise dadurch deutlich, daß die Anwendung von Rechts¬

kniffen, die ja die mut'a häufig in die unmittelbare Nähe der Prostitution

rücken, als notwendig empfunden wird.

Ein entscheidender Unterschied zwischen rnut'a und regulärer Ehe ist

schließlich der bereits angedeutete, daß die mut'a keine mutterzentrierte

Familie erlaubt, wenn sie auch mögliche Nachkommenschaft legitimiert.

Andererseits scheint die iranische Familie gerade für den Sozialisations- prozeß auf die Mutter hin orientiert zu sein'"", was sicher auch mit dem

überwiegenden Anteil an Nuklearfamilien zusammenhängt'"'. Dieser

Familientyp fördert die mut'a keineswegs. Die von der siga wahrgenom¬

mene Rolle kann der einer regulären Ehefrau, auch der 2., 3. oder 4. in

einer polygynen Ehe, nicht entsprechen, da, wenn auch richtigerweise im

islamischen Recht von permanenten Ehen nicht gesprochen werden soll,

die Rolle der siga nicht geeignet ist, die für den Sozialisatioiisprozeß

innerhalb der mutterzentrierten Nuklearfamilie notwendigen Voraus¬

setzungen zu erfüllen. Woodsmall deutet außerdem psychologische

Belastungen der siga an, die sich aus der rechtlichen Position der siga im

Vergleich zur regulären Ehefrau ergeben'"*. Auch daran ließe sich die

'** Khan: Mut'ah and sociological problems. Lucknow 1958, S. 26.

Schblsky, a.a.O., S. 42.

18" Abasteh, a.a.O., S. 140ff.; 151 f.; 155 f.

187 Viellb/Kotobi : Families et unions de families en Iran. In: Cahiers

internationaux de sociologie N.S. 13 (1966), S. 93—104, hier S. 94f.

168 Woodsmall a.a.O., S. 364. Alle Angaben Woodsmall's sind mit Vor¬

sicht zu bewerten, da sie weder Rechtslage der siga (vgl. S. 149) noch Rolle

und Funktion des Islam im Iran zu erkennen weiß (vgl. S. 483).

(26)

324 Dietrich von Denffer

Schwierigkeit der Erfüllung obiger Voraussetzungen aufzeigen. Letztlich

erweist die Tatsache, daß der siga im Regelfall im Gregensatz zur regulären

Ehefrau kein Unterhalt zukommt, daß ihr nicht die gleiche Rolle zu¬

kommt, denn ihre unterschiedlichen Rollen werden sanktioniert.

Die Frage des Unterhalts läßt uns schließlich noch einmal die Position

der mut'a abstecken. Wenn der Unterhalt der siga anderweitig, beispiels¬

weise durch Erbgut oder durch Vertrag gesichert ist, so daß für sie kein

Anlaß besteht, weitere Zeitehen einzugehen, wäre sie in diesem Fall weit

von der Prostitution entfernt. Wenn die siga andererseits auf den Ab¬

schluß von Zeitehen angewiesen ist, um ihren Unterhalt zu bestreiten,

entspricht sie subjektiv der Prosti tu tierten. Dies bedeutet nicht, daß

sie objektiv mit ihr zu identifizieren wäre, denn zumindest ihr Rechts¬

status ist verschieden, ein Ausdruck dafür, daß die Komplementär-

Institution mut'a einer anderen Eheform zugeordnet ist

als die Prostitution.

Insgesamt läßt sich sagen, daß in der Mehrheit der Fälle — dies ist

aber nur zu vermuten, da keine Angaben zu diesem Aspekt erfahrbar

sind, — die mut'a in der Praxis weit vom Idealtypus entfemt sein wird.

Dies ließe sich aus den gelegentlichen Bemerkungen der zitierten Autoren

entnehmen, vor allem aber aus den tatsächlichen Lebensbedingungen der

unteren, und das heißt der mehrheitlichen, Schichten der Bevölkerung im

Iran. Diese Bedingungen sind sicher mit verantwortlich für den Fort¬

bestand der mut'a, besonders seit dem Einbruch neuzeitlich-abendlän¬

discher Kultur mit ihren spezifischen Vorstellungen von Emanzipation

der Frau, da sie in der Frage nach dem Wie des Erwerbs des Unterhalts

keinen Spielraum lassen. Dieser Aspekt muß zumindest dann genauer

untersucht werden, wenn man klären will, wamm die mut'a durch das

,, Gesetz zum Schutz der Familie" nicht tangiert wurde.

Es ist richtig, daß mit der Beibehaltung der mut'a einer spezifischen

Kategorie der weiblichen Bevölkerung im Iran die Möglichkeit zum

Erwerb eines sicher dürftigen Lebensunterhalts gegeben ist. Die Voraus¬

setzungen zum Erwerb dieses Unterhalts sind uns inzwischen annähernd

vertraut. Die offene Frage ist, ob und wie die Praxis der mut'a einge¬

schränkt oder abnehmen würde, wenn dieser Kategorie von Frauen ein

ausreichendes Einkommen auf andere Weise zugänghch wäre. Daß dies

bislang nicht der Fall ist, läßt sich jedenfalls feststellen. Noch heute ver¬

wendet der persische Bauer 90% seines Einkommens für Nahmngs-

mittel, ohne die notwendigen 2000 cal/Tag zu erreichen^*».

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Rollen von siga und regu¬

lärer Ehefrau und damit die Institution von mut'a und regulärer Ehe

"» Arasteh, a.a.O., S. 134.

(27)

trotz einiger Parallelen durchaus verschieden sind. Dies bedeutet aber

nicht, daß mut'a der Prostitution entspricht, wenn auch zwischen diesen

beiden Komplementär-Institutionen zum jeweiligen Ehetypus Ähnlich¬

keiten sichtbar sind. Letztlich unterscheiden sich mut'a und Prostitution

ebenso wie mut'a und Ehe dadurch, daß, wie dargelegt, die Devia¬

tionsbreite der mut'a zwischen den Institutionen von Ehe

und Prostitution einen Raum einnimmt, in dem die mut'a

in verschiedenen Variationen auftreten kann, während die

institutionalisierte Ehe und auch die Prostitution letztlich

konkreter strukturiert und unterschiedlich werthaltig sind.

Der faktische Fortbestand der mut'a bei angebhch emanzipatorischer

Rechtspositionsentwicklung für die Frau"", kann nur als Zeichen dafür

angesehen werden, daß neben den soziokulturellen Verhältnissen die

sozialen Verhältnisse im Iran eine Emanzipation, gleich welcher Rich¬

tung, zu verhindern geeignet sind.

i'o Paklawi, M. Reza : Die soziale Revolution Irans. Düsseldorf/Köln 1967, S. 108ff.

Referenzen

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