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Um mit einer Äußerlichkeit zu beginnen, eine deutsche Übersetzung des umfang- reichen Werkes wird sobald nidit zu erreichen sein

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Rezensionen Fritz Redlich, The German Military Enterpriser and his Work Force.

Α Study in European Economic and Social History. Franz Steiner Verlag GmbH, Wiesbaden, Vol. I 1964, Vol. II 1965. 532 und 322 Seiten ( = Vier- teljahrsdirift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beihefte 47 und 48).

Um mit einer Äußerlichkeit zu beginnen, eine deutsche Übersetzung des umfang- reichen Werkes wird sobald nidit zu erreichen sein. Auf Breitenwirkung kann es also wohl nicht rechnen. Nicht zuletzt aus diesem Grunde wird ihm hier eine aus- führliche Besprechung gewidmet. Der deutsche fachkundige Leser jedoch begrüßt auch eine englische Fassung dankbar, zumal er sich daran gewöhnt hat, seine Kennt- nisse in der deutschen Militärgeschichte besonders der neuesten Zeit zu einem we- sentlichen Teil von ausländischen Autoren zu beziehen.

Wenn hier der Autor nicht das 20. Jahrhundert, sondern eine weit zurückliegende lange Epoche untersucht, so gibt dies Anlaß zu besonderer Dankbarkeit. In der Nachkriegszeit wird Militärgesdiidite fast ausschließlich als Zeitgeschichte aufge- faßt, und Darstellungen, die einige Jahrhunderte umfassen, sind außerordentlich dünn gesät. Auch sie drängen die Zeit vor 1800 als Vorgeschichte in den einleiten- den Kapiteln auffällig an den Rand des Blickfeldes. So sind in dem allgemeinen militärischen Geschichtsbild - wenn dieser Ausdruck gestattet ist - nur einzelne Phänomene und Gestalten aus früheren Jahrhunderten erhalten, die in einen un- mittelbaren Bezug zur Gegenwart gesetzt werden und in der isolierenden Betrach- tung der von modernen Vorstellungen geprägten Wertung leicht verzerrt gesehen werden können. Vor der Scharnhorstschen Heeresform existiert eigentlich nur noch das friderizianisdie Preußen als Zeitbegriff. Die lange und ereignisreiche Zeit des Söldnertums wird nicht mehr als Epoche erfaßt, sondern nur noch als Konglomerat mehr oder weniger zusammenhängender Einzelerscheinungen.

Damit ist nicht gesagt, daß diese Jahrhunderte von der militärgeschichtlichen For- schung ausgespart worden wären. Redlich nennt in seinem Literaturverzeichnis rund 500 Titel, vor allem deutscher Provenienz. Neben den bekannten Standard- werken, wie Frauenholz oder Jähns, den Heeresgeschichten der Länder, steht die große Zahl der Monographien, Biographien und Fachaufsätze, die selbst dem auf einem bestimmten Gebiet eingearbeiteten Militärhistoriker in ihrer Gesamtheit wahrscheinlich nicht bekannt sind. Auffallend ist nämlich die außergewöhnlich große Streuung der Titel nicht nur in zeitlicher, sondern auch in thematischer Hin- sicht, ein Zeichen dafür, daß es der jungen deutschen Militärgeschichte bisher an Geschlossenheit mangelte und ihre Aufsplitterung in zahlreichen Sondersparten - Kriegs-, Rechts-, Staats- und Landes-, Wirtschafts-, Sozial-, Truppengeschichte - eine Zusammenschau erschwert hat. Schon die Fülle des systematisch zusammen- getragenen und intensiv durchgearbeiteten literarischen Materials gibt den beiden Bänden einen erheblichen Wert.

An Quellen hat der Verfasser ausschließlich gedrucktes Material benutzt, eine Be- schränkung, die sich nach Lage der Dinge nicht als Mangel, sondern als ein Vorteil und eine glückliche Fügung erweist. Archivstudien hätten zu einer sicher wertvollen Monographie geführt, aber eben doch nur wieder einen Teilaspekt erfaßt. An Ein- zeluntersuchungen besteht jedoch kein Mangel. Was fehlte, war die Gesamtschau, der Vergleich und die Einordnung der Fakten in eine übersichtliche Darstellung.

Erst damit wird es möglich sein, zweifelhafte Interpretationen zu berichtigen, Feh- lendes zu ergänzen. Unabhängig von den wissenschaftlichen Ergebnissen muß es dem Verfasser daher als ein besonderes Verdienst angerechnet werden, daß er mit einer in deutschen Augen geradezu unbekümmerten Selbstverständlichkeit daran- 121 gegangen ist, einen Zeitraum von rund 400 Jahren als eine Einheit zu betrachten

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und unter eine militärgeschichtliche Uberschrift zu stellen, unbelastet durch den Zwang zur Aktualität und ohne das Gefühl, etwas zu verurteilen oder zu recht- fertigen. So entstand im Laufe von fast zehn Jahren diese vornehmlich aus wirt- schafts- und sozialgeschichtlichen Fragestellungen herausgewachsene Untersuchung des deutschen Söldnerwesens von 1350 bis 1800.

Die Skizzierung des Werkes in den folgenden Absätzen ist nicht als Inhaltsangabe anzusehen. Eine Untersuchung, die nicht auf klar umrissene Endergebnisse hinaus- läuft, sondern deren Wert in der weitläufigen Differenzierung von Vorgängen und Zusammenhängen liegt, die bisher als einfach und unproblematisch hingenommen wurden, kann mit einer rekapitulierenden Zusammenfassung nicht charakterisiert werden. Aber der Versuch einer Überschau madit zum mindesten mit der Proble- matik bekannt.

Die Arbeit ist in drei Teile dironologisch gegliedert: I. Entwicklung zum ausge- prägten Unternehmer (1350-1600), II. Blütezeit des militärisdien Unternehmer- tums (1600-1650), III. Niedergang (1650-1800). Innerhalb der Teile faßt ein systematisches Schema in einzelnen Kapiteln bestimmte Komplexe ohne allzu große Rücksicht auf die chronologische Entwicklung zusammen, so etwa unter den Uber- schriften: Die Doppelrolle des militärisdien Unternehmers als Geschäftsmann und Soldat, Organisation und Finanzierung des Unternehmens, Ertrag und Einkom- men, Stellung des Unternehmers in der Gesellschaft. Am Schlüsse jedes Teils be- schäftigen sich ein oder mehrere Kapitel mit der Situation der Arbeitskräfte - also der Söldner und späteren Soldaten. Als »militärisdien Unternehmer« (military enterpriser) bezeichnet der Verfasser nicht einen Kaufmann oder Finanzier, der durch Lieferung von Kriegsmaterial und Truppen mit dem Kriege Geschäfte machte, oder gar einen Marketender, sondern den Söldnerführer, der entweder auf eigene Rechnung und Gefahr oder im Auftrage eines Landes- und Kriegsherrn ein Söld- nerkontingent anwarb, ausrüstete und organisierte, um es dem Kriegsherrn gegen einen bestimmten Betrag für eine bestimmte Zeit zur Kriegführung zur Verfügung zu stellen.

Im ersten Teil werden bereits alle Hauptphänomene erfaßt, die späteren Teile bringen also nur noch Variationen, aber keine grundsätzlichen Neuerungen mehr.

Der frühe Unternehmertyp entwickelte sich aus zwei Vertretern des mittel- alterlichen Kriegswesens, dem Soldritter und dem Rottmeister der frühen Söldner- banden. Unternehmer auf rein eigenes Risiko gab es wenige, ihr letzter bedeuten- der Exponent war Franz von Sickingen, der mit seinen zeitweilig 3000 »Lanzen«, also rund 12 000 Söldnern, über eine beaditliche Truppenmacht verfügte. Eine recht dubiose Rolle spielten im 16. Jahrhundert bestimmte fürstliche Söldnerführer, wie Johann von Küstrin oder Albredit Alkibiades von Brandenburg-Kulmbadi, die ihre Soldtruppen einmal aus politisdien Gründen, das heißt als Kriegsherren, das andere Mal aus Profitgründen, das heißt als Unternehmer, auf eigenes Risiko ein- setzten. Der normale Söldnerführer war in der Regel bereits durch einen Kontrakt mit einem Kriegsherrn gebunden, bevor er seine Truppen aufstellte.

Um 1500 war die Struktur des militärisdien Unternehmertums schon voll ausge- bildet und wies drei Stufen auf:

den obersten Hauptmann und späteren Generaloberst als Großunternehmer,

den Oberst und Inhaber eines Regiments als den eigentlichen Unternehmertyp,

den Hauptmann und Inhaber einer Kompanie (Fähnlein) als Kleinunternehmer.

122 Der oberste Hauptmann gehörte nur bedingt in diese Ordnung hinein; er war Ver-

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mittler zwischen dem Kriegsherrn und den Obersten, trat häufig als Kreditgeber nach beiden Seiten hervor und zog seine Gewinne vornehmlich aus Finanzgeschäf- ten, besaß jedoch grundsätzlich auch ein Regiment. Die Obersten als die tragende Schicht des Unternehmertums schlossen mit einem Kriegsherrn Verträge über die Aufstellung eines Regiments und verpflichteten eine Reihe von Hauptleuten zur Errichtung der Kompanien. Die Hauptleute warben die Söldner an, stellten ihre Kompanien auf, rüsteten sie aus und zahlten den Sold.

Schon ein günstiger Vertragsabschluß ergab einen gewissen Profit, hinzu kamen Ge- winne aus dem Waffenhandel und der Praktik der Soldzahlung. Neben den reinen Unternehmergewinnen bezog ein Oberst zum Beispiel den seinem Dienstrang ent- sprechenden Sold, dazu Einkünfte und Sold als Chef der ersten Kompanie seines Regiments (die von einem Kapitänleutnant geführt wurde), Dienst- oder Warte- geld für Zeiten, in denen das Regiment nicht bestand und kein Sold gezahlt wurde, eine Pauschalsumme für die Besoldung des Regimentsstabes, einen Anteil an der Beute und Brandschatzungen, Dotationen oder Landbesitz als Deckung f ü r Kredite an den Landesherrn, aber auch als Anerkennung für geleistete Dienste, endlich Pensionen und Jahrgelder.

So groß der Gewinn gelegentlich sein mochte, er war hart verdient und oft ebenso schnell verloren wie gewonnen. Neben den persönlichen Risiken - Tod auf dem Schlachtfelde, Verwundung und langes Siechtum oder die Seuchengefahren des Lagerlebens - bedeutete jede Wendung des Kriegsglücks unberechenbare Einbußen;

eine Auslösung aus der Gefangenschaft konnte zum Beispiel das gesamte bisher angesammelte Vermögen kosten. Die Hauptsorge blieb jedoch, ob und wie weit der Kriegsherr seinen Zahlungsverpflichtungen nachkam. Besonders nach einem un- glücklichen Krieg oder Feldzug hatte der Unternehmer größte Mühe, wenigstens einen Teil der vorgeschossenen Soldzahlungen einzutreiben.

Die Masse der Söldner - das heißt des Betriebspersonals der Unternehmer - setzte sich nicht, wie oft zu lesen ist, durchgängig aus der Hefe des Volkes, aus Landstrei- chern und heruntergekommenen Existenzen zusammen, jedenfalls nicht zu allen Zeiten. Es ist bekannt, daß bei der Musterung der Landsknechte ein recht strenger Maßstab angelegt wurde, nicht nur Gesundheit, Kriegstüchtigkeit und eigene Aus- rüstung, sondern auch soziale Herkunft und wirtschaftliche Verhältnisse wurden genau überprüft. Im allgemeinen galt der Solddienst als eine normale Beschäfti- gungsart für Angehörige der unteren Schichten, die aus Mangel an Arbeitsplätzen keinem bürgerlichen Beruf nachgehen konnten. In Krisenzeiten sank das von den verschiedensten Imponderabilien abhängige soziale Niveau beträchtlich ab. Es ist aber falsch, in den Söldnern von vornherein eine Bande von Dieben und Mördern zu sehen.

Mit dem Eid auf die Kriegsartikel beschwor der Söldner einen Kontrakt, der ihm 4 Gulden, als Spießer und Doppelsöldner 8 Gulden monatlidi einbrachte und ihn im Einkommen den Handwerkern zumindest gleichsetzte. Erst die fortschreitende Geldentwertung - 1525 verdiente ein Maurer 2,50, 1550 schon 3,30 und 1575 bereits 5,00 Gulden, während der Sold der Kriegsknechte gleich blieb —, vor allem aber das häufige Ausbleiben des Soldes veränderte die Situation. Kam der Kriegs- herr seinen Verpflichtungen nicht nach, dann konnten auch der Oberst und die Kapitäne ihre Mannschaften nicht voll entlöhnen. Die Meutereien und Plünderun- gen der Soldateska waren nicht ausschließlich Zeichen ihrer moralischen Verworfen- heit, sondern im Ursprung Selbsthilfemaßnahmen, die allerdings oft in Mordbren- nerei ausarteten. Nach Beendigung eines Feldzuges wurde nur ein begrenzter Teil der »Befehlshaber« als Rahmenpersonal für Neuaufstellungen auf Wartegeld ge- setzt, während die Söldner, oft nur mit einem Bruchteil des ihnen seit Monaten

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zustehenden Soldes abgefunden, entlassen wurden und sich als »gartende Knedite«

durchschlagen mußten, bis ein neuer Feldzug Beschäftigung und Sold bot.

Der zweite Teil geht der Entwicklung in ihrer schwer überschaubaren Verästelung bis in die kleinsten Zweige nach, zumal jetzt reicheres und differenzierteres Material zur Verfügung steht. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, speziell im Dreißig- jährigen Kriege, erreichte das militärische Unternehmertum seinen Höhepunkt.

Im Vergleich mit dem 120 Jahre jüngeren preußischen Offizierkorps war die militärische Oberschicht der Kriegszeit - rund 1500 Obersten und Generale - nach Herkunft, Besitz, Bildung und Ausbildung unwahrscheinlich bunt zusammen- gesetzt. Noch herrschte nicht der Zwang der Anciennitätshierarchie, jedenfalls nicht über die von den Unternehmern besetzten Stellen. Uber die Hälfte der Obersten erhielten ein Regiment und damit den Rang im Alter von 25 bis 35 Jahren, rund ein Achtel sogar in jüngerem Alter. Über 60 °/o der Generale erreichten diesen Rang vor dem 40. Lebensjahr. Herkunft, verwandtschaftliche Beziehungen und Protek- tion, Kreditwürdigkeit, Begabung und Kriegsglück fielen mehr ins Gewicht als militärische Routine. Dafür quittierte eine große Zahl den Dienst relativ früh, oft allerdings nicht freiwillig. Gewiß gab es Hasardeure, Erfolg brachte aber auf die Dauer militärisches Können, organisatorische Begabung, geschäftliche Wendigkeit

gepaart mit Solidität, Ehrenhaftigkeit, Sorge f ü r das Regiment und ehrliche Er- gebenheit gegenüber dem Kriegsherrn.

Gerade das Verhältnis des Unternehmers zum Landes- und Kriegsherrn - bisher aus der politischen Geschichtsbetrachtung recht einseitig interpretiert - gewinnt in der militär- und sozialgeschichtlichen Sicht neue und überraschende Akzente. Der Typ des haltlosen Abenteurers, der nur auf den eigenen Vorteil bedacht, die Partei bedenkenlos wechselte, war verhältnismäßig selten. Konfessionelle Bindungen, lehnsrechtliche Verpflichtungen, nicht zuletzt auch das durch die Bestallung geschaf- fene Vertrags- und Treueverhältnis behielten auch während des langen Krieges ihr Gewicht. Frontwechsel kamen vor, sie waren aber immer wohlüberlegt, denn sie konnten vernichtende Folgen haben. Der Oberst dieser Zeit war noch kein Offizier im späteren Sinne, sondern abhängig von der Existenz seines Regiments, allerdings auch angewiesen auf das Vertrauen seines Dienstherrn. Abgesehen von ihrem son- stigen moralischen Verhalten - auch hierin waren die militärischen Unternehmer besser als ihr heutiger Ruf - sind sie ihren Verpflichtungen im allgemeinen zuver- lässig nachgekommen, ein Verhalten, das ihren Vertragspartnern, den Kriegsher- ren, nicht in diesem Maße nachgesagt werden kann.

Das Kontraktwesen änderte sich im 17. Jahrhundert nicht wesentlich. Die Bestal- lung eines Obersten enthielt die geschäftlichen Abmachungen, die Kapitulation das Oberstenpatent und die verwaltungstechnische Regelung, das Rekrutierungspatent die Vollmachten zur Anwerbung bestimmter Kategorien und einer bestimmten Anzahl von Knechten. Die drei Verträge bildeten die Basis für die Aufstellung, Verwaltung und Führung eines Regiments. Der Oberst als Inhaber hatte sein Ka- pital in ihm investiert, er trug allein Gewinn und Verlust. Als Gehilfen dienten ihm zwei Stabsoffiziere, der Oberstleutnant vertrat ihn in allen Angelegenheiten, der Oberstwachtmeister, später Major genannt, war für die militärische Ordnung ver- antwortlich. Das Rekrutierungsgeschäft war an die Kapitäne (Hauptleute, Ritter- meister) delegiert, die in bestimmten Grenzen auf eigenes Risiko handelten.

An Neuerungen oder besser Erweiterungen brachte das neue Jahrhundert erstens die Sammlung der Inhaberschaft von zwei oder mehr Regimentern in einer Hand.

Ernst von Mansfeld besaß zum Beispiel zeitweise fünf Infanterie- und Kavallerie- regimenter, Wallenstein ein Infanterie- und drei Kavallerieregimenter gleichzeitig.

Damit zusammenhängend entwickelte sich zweitens die Trennung der Funktionen

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des Inhabers und des Regimentsführers. Drittens wurden, besonders während des langen Krieges, die Regimenter nicht mehr für jeden Feldzug neu aufgestellt, son- dern blieben über Jahre als eigenständige Einrichtungen bestehen, während die Inhaber und Führer wechselten.

Als wichtigste Neuerung bildete sich viertens ein besonderes, auf Generalkontrak- ten basierendes militärisches Großunternehmertum heraus. Das Generalkontrakt- wesen war aus der Accumulation der Regimenter entstanden und schob sich als eine neue Vertragsform über das bisherige System, ohne es zu verändern. Ähnlidi wie der Oberst in bezug auf ein Regiment schloß ein General in bezug auf eine Armee Verträge mit dem Kriegsherrn, die ihm weitgehende Vollmachten zusicher- ten oder zum mindesten offenließen. Er mußte natürlich über Mittel oder Kredite verfügen, die für die Aufstellung einer Armee erforderlich waren und einem Kriegsherrn als Kontrahenten gegenüberstehen, der, willig oder gezwungen, ihm eine solche Machtposition einräumte. Wallenstein, der Prototyp des militärischen Großunternehmers, hat während seines zweiten Generalats selbständig Verträge mit Obersten über die Errichtung von Regimentern geschlossen und Rekrutierungs- patente unterzeichnet. Bernhard von Weimar hatte 1635 für den französischen König eine Armee von 18 000 Mann mit einer Summe von vier Millionen Lire auf- zustellen. Als kleinerer Großunternehmer errichtete Thilo Albrecht von Uslar 1632 eine Armee von sechs Regimentern f ü r den Herzog von Braunschweig.

Diese so zeitgebunden erscheinenden Neuerungen werden erwähnt, weil sie alle in eine bestimmte Richtung weisen, es sind Stufen der Entwicklung zum Stehenden Heer des Absolutismus. Inhaber und Regimentsführer waren nicht mehr grund- sätzlich identisch. Die Regimenter konnten relativ unabhängig von der Person ihres Begründers und Inhabers auf theoretisch unbegrenzte Zeit weiterbestehen. Ein Landesherr brauchte nur - simplifiziert ausgedrückt - wie ein militärischer Groß- unternehmer zu agieren, das heißt das geschäftliche Unternehmen in eigene Regie überzuleiten, und er hatte den gesamten militärischen Apparat zur unmittelbaren Verfügung.

Die Finanzierung der Regimenter war theoretisch ausschließlich Sache des Landes- und Kriegsherrn. Tatsächlich jedoch schoß der Unternehmer das Geld für seine eige- nen Truppen in der Regel vor, da die Landesherren selten über flüssige Mittel verfügten. Die Prolongierung der Vorschüsse über Kredite aus dritter Hand, die direkte und indirekte Finanzierung durch Finanzleute und Kreditinstitute, das Bemühen, die Gelder mit Gewinn wieder einzutreiben oder neu anzulegen, die verschiedenen Formen der Abfindung durch Kriegssteuern, Kontributionen, Ver- pfändungen, Übereignung von Landbesitz, alle diese Vorgänge bildeten in ihrer engen Verzahnung ein kaum entwirrbares Geflecht gegenseitiger Verpflichtungen und Forderungen, das gerade wegen seiner Unüberschaubarkeit wieder neue Mög- lichkeiten für gewinnbringende Spekulationen, großangelegten Betrug und Erpres- sungen bot. Es kann als eine allgemeine Regel angesehen werden, daß die Kriegs- herren ihren Unternehmern und Großunternehmern gegenüber unwahrscheinlich hoch verschuldet waren. Zahlungen, in welcher Form auch immer, konnten die Unternehmer jedoch nur erwarten, wenn sie ihre Dienstherren unter Druck zu set- zen vermochten, sei es, daß sie sich in einer strategisch günstigen Position befanden, sei es, daß sie aus anderen Gründen gerade unentbehrlich waren.

Die Eintreibung des Geldes nahm gelegentlich merkwürdige Formen an, jedenfalls nach heutigen Vorstellungen. Der Oberst Fränck zum Beispiel verkaufte im Winter 1620/21 die von ihm zu haltende Festung Pilsen an den Gegner für 140 000 Gul- den, um seine Kompanien zu besolden, ein Vorfall, der wohl Aufsehen erregte, aber anscheinend nicht als ehrenrührig galt, denn Fränck blieb weiter im Dienst. Ge-

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legentlidi schössen die Unternehmer den mit Kontributionen belegten Gebieten erst beträchtliche Summen vor, um damit die Verpflegung und Besoldung ihrer Truppe aus dem Lande sicherzustellen. Wallenstein war geradezu ein Meister darin, ein von ihm besetztes Gebiet für Monate und Jahre liquide zu erhalten, indem er die Kontributionen in tragbaren Raten zahlen ließ und langfristige Kredite gab.

Eine Berechnung der Gewinne ist nicht möglich - die erhaltenen Unterlagen sind zu fragmentarisch sie müssen beträchtlich gewesen sein. So mandier Oberst beendete trotz äußerst aufwendiger Lebensführung den Krieg als reicher Mann. Genauere Daten liegen über die Besoldung und die sonstigen Einkünfte vor. Ein Oberst erhielt im allgemeinen 400 Gulden monatlich, die Generale je nach Rang 1000 bis 3000 Gulden, der Sold bedeutender Heerführer war um ein Vielfaches höher. Hinzu kamen Zuwendungen verschiedener Art, wie Geldgeschenke, Landdotationen, die jedoch nur einzelnen für bestimmte Verdienste gewährt wurden.

Die soziologische Struktur der Unternehmerschicht veränderte sich durch den Krieg erheblich. Vor dem Krieg hatte der Hochadel audi quantitativ eine dominierende Stellung inne, mit der Aufstellung neuer Regimenter durch Angehörige des niede- ren Adels wurde er mehr und mehr auf die höheren Kommandostellen beschränkt.

Sogar die Zahl der Obersten und Generale nichtadliger Herkunft war relativ hoch.

Im Jahre 1633 setzte sich die Unternehmersdiicht der kaiserlichen Armee zu 4 °/o aus Mitgliedern fürstlicher Häuser, zu 84 % aus Adligen und zu 12 % aus Nicht- adligen zusammen. Dabei darf nicht übersehen werden, daß sich auch innerhalb des Adels eine Umschichtung vollzog. Mit der Erreichung eines bestimmten militäri- schen Ranges erhöhte sich die Aussicht auf das entsprechende Adelsprädikat. Auch Bürgerliche konnten nach der Nobilitierung - und Nobilitierungen waren recht häufig - weiter aufsteigen; die Generale Melander (Eppelmann), Sporck und Werth, alle nichtadliger Herkunft, wurden Grafen.

Von dem Korpsgeist der späteren adligen Offizierskorps ist jedoch in dieser Zeit kaum etwas zu spüren. Die sozialen Unterschiede waren zu stark, der Konkurrenz- kampf im freien Wettbewerb zu scharf, als daß sich außer Familienclans oder zeit- weiligen Interessengruppen eine organisch aufeinander abgestimmte militärische Führungsschicht hätte bilden können.

Der Großartigkeit des Lebens und Wirkens der militärischen Unternehmer standen das Elend und die N o t ihrer Arbeitskräfte - der Kriegsknechte - gegenüber. Es ist eine irrige Vorstellung, daß der Söldner des Dreißigjährigen Krieges ein zwar ge- fährliches, aber doch auskömmliches, wenn nicht zeitweilig üppiges Leben führte, das ihm vielerlei Möglichkeiten bot, zu Besitz und Ansehen zu kommen. Im Gegen- satz zum 16. Jahrhundert war das Söldnertum als Berufsstand so gut wie ver- schwunden. Die Masse der Neugeworbenen gehörte zu den untersten Schichten, den Entwurzelten, denen keine andere Wahl blieb als der Kriegsdienst, um das Leben zu fristen. Nur die Kavallerie konnte es sich noch leisten, eine gewisse Auswahl zu treffen.

Der Sold betrug bei der Infanterie 4 bis 9, bei der Kavallerie 9 bis 18 Gulden monatlich und hätte eine bescheidene Lebenshaltung gesichert, nur mußten die Knechte zumeist Monate auf ihn warten. Die Verpflegung für die stark angewach- senen Armeen war durch den Nachschub nicht mehr heranzuschaffen und sollte durch die Kontributionen aus den besetzten Gebieten gedeckt werden. Das von Wallenstein allgemein eingeführte neue Kontributionssystem löste jedoch die Sach- lieferungen durch Geldzahlungen ab - die Lieferung von Nahrungsmitteln wurde zusätzlich verlangt - , erschloß also den Unternehmern eine neue Einnahmequelle, benachteiligte aber den einfachen Söldner. Bedenkt man nämlich, daß die zu lie- fernde Verpflegung vom Sold abgezogen wurde, dann wird erklärlich, daß sich der

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Kriegsknecht oft genug ohne Geld und ohne Verpflegung durchschlagen mußte. Die Kompanien hielten sich natürlich an die Bevölkerung, sei es in Form von Beschlag- nahmungen, sei es durch willkürliche Raubzüge und Diebereien. Die Strafen für Plünderungen waren streng, dienten aber nicht dem Schutz der Bevölkerung, son- dern als exemplarische Maßnahme der Aufrechterhaltung von Ordnung und Dis- ziplin. Vom Grafen von Anholt, einem der diszipliniertesten Söldnerführer seiner Zeit, stammt der Ausspruch: »Die Galgen sind nicht für die Schlechten gebaut, sondern für die Pechvögel!«

Die Bevölkerung sah naturgemäß in der Soldateska den erbarmungslosen Feind, eine apokalyptische Plage. Aber auch dieses absolute Urteil ist historisch nicht halt- bar. Die Behörden und Landstände sammelten wohl alle Berichte über Räubereien und Ausschreitungen, um sie bei Verhandlungen in die Waagschale werfen zu kön- nen, nicht aber die sehr wahrscheinlich viel zahlreicheren Beispiele eines korrekten Verhaltens. Deutschland hätte diesen langen Krieg nicht durchstehen und bald nach Friedensschluß noch immense Summen für Soldnachzahlungen aufbringen können, wenn die riesigen Söldnerheere nur aus Dieben und Räubern bestanden hätten.

Der dritte Teil umfaßt die Zeit von 1650 bis 1800 und behandelt eine Entwick- lung, die Redlich als den Niedergang des militärischen Unternehmertums bezeich- net. Den alten Typ sieht er nur noch in drei Gestalten verkörpert, in Herzog Karl IV. von Lothringen, in dem Fürstbischof von Münster Christoph Bernhard von Galen und in Herzog Christian I. von Mecklenburg. Alle drei waren zugleich Landesherren und hielten ihre Truppen auf eigenes Risiko. Sie waren bereits eine Ubergangserscheinung. Das Schwergewicht verschob sich zugunsten eines Groß- unternehmertums, das von nun ab ausschließlich durch die Landesherren verkörpert wurde und sich zunächst einmal in den historischen Erscheinungen des »Soldaten- handels« und der Subsidienpolitik äußerte.

Der bekannte, aber etwas irreführende Ausdruck Soldatenhandel umfaßt ein gan- zes Bündel zusammenhängender und ineinander übergehender Phänomene. Es kam vor, daß einzelne Soldaten verkauft oder verschenkt wurden, so etwa »lange Kerls«

an den preußischen Soldatenkönig. In der Regel aber bezeichnet der Begriff das Verleihen, vor allem Vermieten, aber auch Verkaufen von Bataillonen oder Regi- mentern durch einen Landesherrn an einen anderen. Als erster deutscher Fürst ver- mietete Johann Friedrich von Braunschweig-Lüneburg 1660 Truppen an eine aus- wärtige Macht, drei Regimenter an die Republik Venedig. Den Prototyp des Sol- datenhändlers finden wir in Friedrich III./I. von Brandenburg-Preußen, den sein Enkel Friedrich II. den roi mercenaire nannte. Aber es ist wohl kaum ein deutscher Territorialherr dieser Zeit von der Liste zu streichen.

Zunächst galt die Soldatenvermietung als eine durchaus legale Handlung. Die Söldner waren als Freiwillige angeworben. Sehr oft führte auch ein echtes politi- sches Interesse zu den Mietverträgen, ganz abgesehen davon, daß die Gelder nicht allein der höfischen Repräsentation, sondern auch dem Lande zugute kamen. Erst mit der »Nationalisierung« der Armeen, als Landeskinder zwangsausgehoben wur- den, und als im 18. Jahrhundert die Truppenlieferung ausschließlich auf Geschäfte- macherei der Duodezfürsten hinauslief, wurde daraus der anrüchige Soldaten- handel. Entwicklungsgeschichtlich gesehen ist, nach Redlich, die frühe Phase der Truppenvermietung durch den Landesherrn bereits eine Erscheinungsform des Stehenden Heeres.

Weit weniger dubios, ja gerade ein Kennzeichen der Zeit war dagegen eine andere Form, Truppen einer auswärtigen Macht gegen Geld zur Verfügung zu stellen - die Subsidienpolitik. Die Großmächte Österreich und Frankreich, und nicht nur sie allein, zahlten einzelnen deutschen Teritorialherren auf Grund eines Subsidien-

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Vertrages, der zugleich eine Allianz begründete, entweder eine einmalige fixe Summe oder jährliche Hilfsgelder - die Subsidien - für die Aufstellung von Regi- mentern oder ganzen Armeen zur Bedrohung oder Bekriegung eines auf Grund der Allianz gemeinsamen Gegners. Die Subsidienpolitik leitete endgültig den Verfall der alten Regimentsinhaberschaft ein. Im Besitz der ausländischen Hilfsgelder waren die Landesfürsten endlich in der Lage, als militärische Großunternehmer aufzutreten und auf die Kredithilfe der Obersten zu verzichten. Hier ist also der Schlüssel f ü r die Eliminierung der Regimentswirtschaft zu suchen, die jedodi erst in die Wege geleitet werden konnte, nachdem die Regimentschefs entmachtet, das heißt nachdem ihnen Jurisdiktion und das Recht der Offizierernennung entzogen worden waren.

Der komplexe Vorgang erstreckte sich über Jahrzehnte, in denen das Unternehmen in die Hände des Landesherrn, die Bewirtschaftung in die Hände der Kompanie- chefs überglitt. Die Kompaniewirtsdiaft als letzte Phase des militärischen Unter- nehmertums erreichte ihre Blüte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und wurde dann mehr und mehr zugunsten der landesherrlichen Regierung ein- geschränkt. Sie erlaubte es, die alte Verwaltungsstruktur im wesentlichen beizu- behalten, beschnitt nicht die Rechte des Staatsoberhauptes, also des wirklichen Eigentümers, betonte aber die Eigenständigkeit der Armee im Rahmen des staat- lichen Ganzen.

Die Frage, wieweit und in welcher Form der Landesherr als der alleinige militäri- sche Unternehmer sein leitendes Personal - die Offiziere - auswählte, einsetzte und ausrichtete, wie er es besoldete und in welcher Form er es sich verpflichtete, soll hier nidit mehr angeschnitten werden, obgleich der Verfasser sie noch eingehend be- handelt und zweifellos von seiner Sicht her mit Recht in den Rahmen des Themas hineinzieht. So aufschlußreich seine Ausführungen über die wirtschaftliche und soziologische Situation der Offiziere im 18. Jahrhundert sind - und sie werden dankbar begrüßt - , die Probleme des militärischen Unternehmertums berühren sie doch nur am Rande. Eine oft übersehene Tatsache allerdings wird mit dieser Aus- weitung fixiert, das Stehende Heer des 18. Jahrhunderts war noch ein Unter- nehmen; Verhalten und Haltung der Offiziere ist dadurch nicht mehr ausschließ- lich gekennzeichnet, aber davon spürbar beeinflußt.

Wie die Offiziere nicht mehr echte Unternehmer, so waren die Soldaten nicht mehr echte Arbeitskräfte eines Unternehmens. Sie waren nicht mehr in freier Werbung auf Zeit verpflichtet, sondern durch Zwangs- oder Trickwerbung und Aushebung zu lebenslänglichem Dienst genötigt. Der soziale Status hatte sich verändert, aber kaum verbessert; die wirtschaftliche Lage war schledit, aber der Dienstherr sorgte, zum mindesten in den größeren Territorien, für pünktliche Soldzahlung und ge- werbliche Nebeneinnahmen, die eine besdieidene Lebenshaltung sicherstellten. Trotz- dem gehörte auch der bettelnde Soldat noch in das Straßenbild vieler Garnisonen.

Der Soldat war »domestiziert«, die strenge Disziplin verhinderte Meutereien und Plünderungen, ließ aber die Desertion zu einem das gesamte Militärwesen maß- geblich beeinflussenden Phänomen anwachsen. Gerade an diesem Zeitproblem jedoch wird der Unterschied zur Vergangenheit besonders deutlich. Der Kriegs- knecht des 17. Jahrhunderts desertierte vornehmlich aus Profitgründen, er wollte mit neuem Handgeld an anderer Stelle wieder in das Geschäft einsteigen; der Sol- dat des 18. Jahrhunderts wollte die Freiheit gewinnen.

Wie bereits erwähnt, sagt eine vereinfachende Übersicht wenig über den eigent- lichen Inhalt aus, der seine Spannung erst aus der großen Variationsbreite gewinnt, die jedem Einzelthema zugestanden wird. Gelegentlich ist dem Detail um der historischen Wahrheit willen vielleicht sogar etwas zu viel Aufmerksamkeit ge-

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schenkt. Dem Wissenschaftler kann dies nur recht sein, zumal die Fakten in ihrer Fülle nicht kahl nebeneinanderstehen, sondern in flüssiger Darstellung miteinander verbunden sind. Die starke Differenzierung zwingt jedoch aus Gründen der Über- sichtlichkeit zu einer strengen Systematisierung, die naturgemäß den historischen Ablauf und die historischen Umstände weitgehend unberücksichtigt lassen muß.

Auch eine regionale Gliederung läßt das Thema nicht zu. Das heißt also, daß nur ein Leser, der sidi in der Geschichte dieser Zeit recht gut auskennt, wirklichen Ge- winn aus der Lektüre zieht.

Doch es ist nicht die allgemeine Geschichte allein, die als Hintergrund das unlösliche Verhältnis von Politik und Kriegführung zum unbestrittenen zentralen Problem der Militärgeschichte erhebt. Eine sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Betrachtung des Militärwesens, die in ihren Grenzen bleiben muß, wenn sie sich nicht in Un- verbindlichkeiten verlieren will, macht deutlich, wie viele historische Teilgebiete einen Beitrag leisten müssen, um eine Epoche lebendig werden zu lassen.

Aus dem großen Komplex, der von dem Literaturverzeichnis des Werkes bereits erfaßt ist, seien drei Aspekte herausgestellt. Aus der Rechts- und Verwaltung- geschichte wäre zu erfahren, in welcher Weise der sich gerade in dieser Zeit bildende moderne Staat von dem militärischen Instrument Besitz ergriff, wie er seine Finanzpolitik und seine Verwaltungsapparatur auf diese Aufgabe ausrichtete. Zwei- tens bietet die Geschichte der politischen Ideen, deren Bedeutung für das Militär- wesen Gerhard Oestreich in seinen Untersuchungen zur Oranischen Heeresreform so überzeugend nachgewiesen hat, die Erklärung für einige Vorgänge und Phäno- mene, die aus der Sozialgeschichte doch nicht schlüssig zu deuten sind. Ohne eine klare Vorstellung vom Wesen des Absolutismus zum Beispiel wird der Übergang von der Söldnerarmee zum Stehenden Heer nicht zu begreifen sein. Drittens end- lich kann die Geschichte der Kriegskunst nachweisen, daß die militärischen Unter- nehmer zugleich eine heute etwas fremdartig anmutende, aber doch faszinierende Kunst der Kriegführung entwickelten. Ihre eigentliche Meisterschaft zeigte sich nämlich in der engen Kopplung von Unternehmerdenken und operativem Denken.

Die Kriegswissenschaften und Kriegsgeschichte des 18. Jahrhunderts haben diese Form der Kriegführung noch ausgiebig interpretiert und ausgewertet. Erst mit dem Führungsdenken des 19. Jahrhunderts engte sich der Blick mehr und mehr auf die rein taktischen Vorgänge ein.

Zum Abschluß sollen noch einige Überlegungen angefügt werden, die sich weniger mit dem Inhalt des Werkes als vielmehr mit seiner Wirkung beschäftigen. Dabei ist es wohl unnötig, eine Lanze für die Berechtigung der sozial- und wirtschafts- geschichtlichen Sicht auch in der Militärgeschichte zu brechen. Problematischer ist dagegen schon die Frage, ob und wie weit diese Sicht das so fest gefügt scheinende Gebäude unserer militärischen Vergangenheit zu erschüttern vermag.

Im Vorwort zu seiner Englischen Geschichte sagt Ranke: »Ein historisches Werk kann zum Zwecke haben, entweder eine neue Auffassung des schon Bekannten aufzustellen oder noch unbekannte Informationen über die Tatsachen mitzuteilen.«

Redlich betont ausdrücklich, daß sein Werk das erste der beiden Ziele verfolgt. Ist ihm jedoch dabei bewußt, wieviel stärker eine neue Auffassung des altvertrauten Bildes der Kritik ausgesetzt ist als die Mitteilung neuer Informationen?

Welch einen erfrischenden Schock gibt zum Beispiel schon seine einfache Feststellung, daß das Stehende Heer des Absolutismus - bisher die erste wirklich greifbare Inkar- nation deutschen Soldatentums - eine Verfallserscheinung war. Was steht dabei zum Vergleich? Auf der einen Seite steht der Oberst und Regimentsinhaber der Söldner- zeit. Eigenes Kapital und eigene Initiative gaben ihm schon in jungen Jahren eine Machtposition, die ihresgleichen suchte; das Wort Regiment hatte damals nodi

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weitgehend seinen alten Sinn »Herrschaft«, er war nicht Diener seines Kriegs- herrn, sondern Vertragspartner. Auf der anderen Seite gehörte der Oberst und Regimentskommandeur des friderizianischen Heeres wie alle Offiziere zum ersten Stand im Staate, aber er erreichte seine Position erst in der streng disziplinierten Routine einer langen Dienstzeit an der Schwelle des Greisenalters. Er führte ein Regiment, aber er besaß es nicht mehr. Eindeutig abhängig von einem Kriegsherrn, dem er ehrenvoll diente, waren ihm wohl die jetzt reglementierten Pflichten des Söldnerführers geblieben, aber nur noch ein Teil der Freiheiten und Rechte.

Es ist zweifellos eine Frage des Standpunktes, ob hier von einem Verfall gesprochen werden kann. Doch gerade dieser Standpunkt soll noch kurz zur Diskussion stehen.

Im Zeitalter des Nationalismus dienten Wehr- und Kriegsdienst der Verteidigung von Volk und Vaterland. Nur dieser hohe Zweck rechtfertigte den vom Staat ge- forderten Einsatz des Lebens. Damit wurde eine Konzeption Allgemeingut, in die das Söldnertum seinem Wesen nach in keiner Weise hineinpaßte und die sich von ihm als einer Abart des Soldatentums distanzierte. Angriffspunkte bot es genug.

In Wirklichkeit jedoch hat der Söldner - anders ausgedrückt, der Berufssoldat - die Entwicklung des europäischen und damit auch deutschen Militärwesens in den letzten 500 Jahren nicht nur beeinflußt, sondern geformt. Das ist nicht verwunder- lich, auch früher war das Kriegführen kein Laienspiel. Es gab nur eine Grundform der Truppeneinteilung, der Taktik, der Führungshierarchie, nämlich die der Söld- nerheere. Was jedoch störte, war die Haltung der Söldner, das »Landsknechts- denken«. Der Trick, ihnen ihre Laster doppelt anzukreiden und dafür ihre Tugen- den für die nationalen Armeen zu okkupieren, hat das Problem nicht gelöst. Geist und Form lassen sich nicht in dieser Weise aufspalten. Eine so gewaltige und rich- tunggebende Erscheinung wie das Söldnertum läßt sich nicht aus der Geschichte hinausdiskutieren. Damit sind wir wieder bei der Untersuchung über den military enterpriser.

Redlich hat also einen in der deutschen Militärgeschichte neuen Standpunkt ein- genommen, indem er das Söldnertum als eine epochale Erscheinung in ihrem Auf- stieg, Höhepunkt und Verfall ohne Schönfärberei und ohne Ressentiments unter- sucht und es damit wieder existent macht. Das ist ein Anfang. Wenn man es den Söldnern nicht weiterhin übelnimmt, daß sie einmal existiert haben, wenn sie ge- wissermaßen ehrlich geworden sind, dann werden sich manche strittigen Probleme klären lassen, weil die Militärgeschichte dann endlich ein Fundament gefunden hat.

Ein Beispiel muß hier genügen, um die These zu erläutern. Der entscheidende Fak- tor, der Aufstellung, Ordnung und Einsatz einer Söldnertruppe bestimmte, war der Oberst und Unternehmer mit seinem Stab und seinen Hauptleuten. Die or- ganisch zusammengewachsene Führungsschicht eines Regiments, und sie allein, bil- det den Ursprung des Offizierkorps. Hier ist bereits alles vereint, und es ist nicht mehr notwendig, daß die Vorstellungen von Ehre und Treue vom mittelalterlichen Rittertum ausgeliehen, Standesbewußtsein und Haltung vom Landadel übernom- men werden und daß die militärische Routine als eine Erfindung der preußischen Könige angesehen wird. Von diesem Ursprung her erklärt sich, verfolgt man die Entwicklung zum Stehenden Heer, die wachsende Distanz zu den Mannschaften, die enger werdende Bindung an den Kriegsherrn, nicht an den Staat, die betonte unpolitische Haltung und manches andere. Oder von der anderen Seite gesehen, endlich im Besitz der Inhaberrechte über das Regiment taten die Kriegsherren über Generationen hin alles, um die bestehenden Verhältnisse zu festigen, die in der Armee eine »Domäne des Absolutismus« erhielten.

Zum Ausklang sei eine letzte Bemerkung gestattet, die noch einmal zum militäri- schen Unternehmertum zurückführt, dabei aber einer gewissen Aktualität nicht

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ermangelt. Wenn die Offiziere der letzten drei oder vier Generationen vornehm- lich auf die Ausbildung und Führung der Truppe ausgerichtet waren, so war dies auf die Dauer der Jahrhunderte hin gesehen eine Ausnahme, nicht die Regel. Viel- leicht ist es für den heutigen Kompaniechef ein Trost, daß auch die Chefs des späten 18. Jahrhunderts den Hauptteil ihrer Dienstzeit mit der Bewirtschaftung ihrer Kompanie verbrachten. Noch war die Kompanie ein Unternehmen, und ein so wirtschaftlich denkender König wie Friedrich der Große stellte in der Beurteilung geschäftliche Akkuratesse allen übrigen Eigenschaften voran. Im Reglement für die preußische Infanterie von 1743 heißt es auf Seite 564: »Und es muß den sämtlichen Officiers gesaget werden, daß Se. Königl. Majestät der festen Meinung sind, daß kein Officier der Compagnie gut vorstehen könne, wofern er nicht ein guter Wirth ist, und daß man allezeit finde, daß eine Compagnie, wovon der Capitaine ein Wirth ist, besser im Stande sey, als eine andere, wovon der Capitaine kein Wirth ist; Weshalb ein Lieutenant oder Fähnrich, welcher ein schlechter Wirth ist und sich nicht corrigiret, niemahls eine Compagnie zu gewarten habe.«

Freiburg i. Br. G. Papke

Torsten Burgman, Svensk opinion odi diplomat! under rysk-japanska kriget 1904-1905. Svenska Bokförlaget, Stockholm 1965. 282 Seiten ( = Studia Historica Upsaliensia, Bd 18).

Torsten Burgmans Arbeit über die sdiwedische öffentliche Meinung und Diploma- tie während des russisch-japanischen Krieges, die sich auf eine breite Quellengrund- lage stützt, zeigt in ihrer exakten Methodik und sauberen Darstellungsweise den vorbildlich hohen Standard der skandinavischen Universitätsschriften. Den Inter- essenten, die der schwedischen Sprache nicht mächtig sind, bietet der Verfasser auf zehn Seiten eine wohlüberlegte Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse in eng- lischer Sprache.

Abgesehen davon, daß ein derartiger Abriß für wissenschaftliche Abhandlungen, die in den Sprachen der kleineren Völker geschrieben wurden, eine gewisse Not- wendigkeit darstellt, wenn sie nicht für die Forschung verlorengehen sollen, wäre es sehr zu begrüßen, wenn es sich einbürgern würde, allen größeren historischen Untersuchungen eine fremdsprachliche Zusammenfassung beizufügen.

Burgman stützt sich in erster Linie auf den reichen Bestand der schwedischen Archive — Reichsarchiv, Archiv des Außenministeriums sowie Sammlungen anderer öffentlicher und privater Archive. Er benutzte ferner Bestände des norwegischen Reichsarchivs in Oslo, des Archivs des Außenministeriums in Paris, des Archivs des Auswärtigen Amtes in Bonn und des Public Record Office in London. Wie es für eine Arbeit über die öffentliche Meinung natürlich unerläßlich ist, wertete er die einschlägigen Jahrgänge von 25 schwedischen und sechs norwegischen Zeitungen aus.

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Im Literaturverzeichnis, in dem keine wichtige skandinavische Veröffentlichung fehlt, begegnet man, was den deutschen Leser interessiert, nur wenigen deutschen Titeln. Neben den Briefen Kaiser Wilhelms II. an den Zaren und den Memoiren Bülows ist nur eine neuere Arbeit genannt, Gollwitzers Buch über »Die gelbe Gefahr«. Das ist, wiederum vom deutschen Standpunkt gesehen, bedauerlich. So könnte der Eindruck entstehen, die künstlerisch dubiose Allegorie von Knackfuß, die den Begriff der »Gelben Gefahr« in aller Welt bekannt werden ließ, sei der wesentliche Beitrag deutscher Politik zu den Problemen des Fernen Ostens gewesen.

Das Urteil Burgmans über die deutsche Politik und öffentliche Meinung wäre viel- leicht etwas gerechter ausgefallen, wenn er Oswald Hausers 1958 erschienene Arbeit über Deutschland und den englisch-russischen Gegensatz verwertet hätte.

Die Bedeutung des russisch-japanischen Krieges für die deutsche Außenpolitik in der Ära Bülow und das Verhältnis des Deutschen Reiches zu Rußland sind in dieser Untersuchung nur Randprobleme. Sie schildert einleitend die Möglichkeiten der Informationsbeschaffung und die Tätigkeit der Kriegskorrespondenten. Ein Uber- blick gilt der öffentlichen Meinung in Europa und USA. Breiter behandelt Burgman die Haltung der schwedischen Presse in der ersten Hälfte des Jahres 1904 mit den Reaktionen auf die Doggerbankaffäre und den Fall Port Arthurs. Nach Darlegung der schwedischen Einstellung zum Problem der »Gelben Gefahr« und zur russischen Innenpolitik wendet er sich ausführlicher der schwedischen Neutralitätspolitik von 1904 zu. Diese wird erst verständlich durch die Vorgänge in Finnland. Hauptteil der Untersuchung ist die durch eine Pressedebatte zwischen Hedin und Hjärne eingeleitete Schilderung der schwedischen Verteidigungsdebatte der Jahre 1904 und 1905.

Als japanische Torpedoboote in der Nacht vom 8. auf den 9. Februar 1904 ohne Kriegserklärung die russische Flotte vor Port Arthur überfielen, hatte nach über 30 Jahren leidlichen Weltfriedens der erste größere Krieg begonnen. Er wurde über- all in der westlichen Welt mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Wie alle bedeuten- deren Zeitungen und Nachrichtenagenturen, schickten auch die skandinavischen Blätter ihre politischen und militärischen Korrespondenten in das Kriegsgebiet. Ob- gleich sich die Ereignisse fern der schwedischen Grenzen abspielten, fanden sie in der Öffentlichkeit starken Widerhall. Burgman schildert anschaulich die Schwierig- keiten durch Zensur und schlechte Kabelverbindungen, die einer freien und aktuel- len Berichterstattung hindernd im Wege standen. Dieser Krieg war der erste, der in Schweden täglich und mit detaillierten Berichten verfolgt wurde.

Schweden hatte in diesen Jahren eine ausgesprochen konservative Presse. Von der extrem rechten Stockholmer »Nya Dagligt Allehanda« über das gemäßigte »Sven- ska Dagbladet« bis zum etwas liberaleren »Aftonbladet« war man eigentlich nir- gends direkt überrascht, daß es zum Kriege gekommen war. Es wirft ein interessan- tes Schlaglicht auf die schwedische Neutralität, daß die meisten schwedischen Zeitungen den Uberfall der Japaner lautstark verteidigten und zu rechtfertigen such- ten. Die einwandfreie politische Neutralität der Regierung war nicht identisch mit einer stimmungsmäßigen oder gar ethisch begründeten Haltung der Bevölkerung.

Unter deutlichem Hinweis auf die Gefahren für die eigene Verteidigungssituation an deir offenen Grenze gegen Rußland wurde auf die gefährlichen russischen Trup- penkonzentrationen in der Mandschurei verwiesen. Die Leitartikel ließen keine Zweifel daran, daß die Sympathien der Schweden den durch Rußland provozierten Japanern gehörten. Die sogenannte Gelbe Gefahr wurde überall diskutiert, und man kam zu dem Ergebnis, die Theorie, wonach die gelbe Rasse eine militärische, politische oder wirtschaftliche Gefahr werden könnte, sei russische Zweckpropa- ganda. Man war im Gegenteil davon überzeugt, die Begegnung und Auseinander-

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Setzung mit der Kultur des Ostens könne das westliche Denken beleben und be- fruchten.

Die Einstellung gegenüber Rußland wurde bestimmt durch das russische Regime in Finnland. Mit Sorge und Anteilnahme verfolgte man das Schicksal der Finnen wäh- rend der gerade um die Jahrhundertwende rücksichtslos betriebenen Politik der Russifizierung des Nachbarlandes. Obwohl der politische Mord im allgemeinen nicht gebilligt wurde, wurde der Mörder des russischen Generalgouverneurs Botri- kov 1904 in Sdiweden von der öffentlichen Meinung verteidigt. Als der russische Innenminister v. Plehve ermordert wurde, reagierte die Presse mit scharfer Kritik am russischen Regime.

Burgman konstatiert eine gewisse Mäßigung der britischen und französischen Presse gegenüber Rußland und bringt sie in Zusammenhang mit der Entente. Er verweist aber auch auf schwedische und deutsche diplomatische Berichte, nach denen füh- rende französische Blätter mit bedeutenden Summen von den Russen »gekauft«

worden waren. Eindeutig pro-russisch waren nach Burgman nur die deutschen Zeitungen. Für die Auffassung, die russenfreundliche »Politik und Propaganda des Kaisers« habe nur geringen Widerhall in der deutschen Bevölkerung gefunden, stützt sich der Verfasser lediglich auf einen Bericht des schwedischen Gesandten in Berlin, Graf Arvid Taube, den dieser über sein Gespräch mit dem preußischen Staatssekretär v. Richthofen gab. Es bleibt doch, schon aus methodischen Gründen, sehr fraglich, ob ein einzelner diplomatischer Bericht ein derart umfassendes Urteil erlaubt. Man kann den Inhalt der Zeitungen analysieren und vielleidit die Hinter- gründe einer Pressepolitik darlegen, aber »die« abweichende Meinung »der« Bevöl- kerung läßt sich mit solcher Methode nicht ermitteln.

Wußte sich die schwedische Presse einig mit der Publizistik in Ungarn, Italien, Bel- gien, der Schweiz und den Vereinigten Staaten, so bereitete die eindeutig japan- freundliche Tendenz ihrer Zeitungen der schwedischen Regierung erhebliches Unbehagen. Schweden hatte bei Ausbruch des Krieges eine Neutralitätserklärung abgegeben und diese in den politischen Maßnahmen strikt verfolgt. Auf Gotland waren die Militärstützpunkte Slite und Farösund sowie Teile der Küstenflotte in Verteidigungszustand versetzt worden, um bei einem erwarteten britisch-russischen Konflikt und Flottenoperationen in der Ostsee nicht wehrlos zu sein. Doch bereits im Sommer 1904 wurden die Verteidigungsmaßnahmen wieder rückgängig gemacht - eine Entscheidung, die von der Presse scharf kritisiert wurde.

Die antirussische Haltung der schwedischen Zeitungen blieb den Russen natürlich nicht verborgen, bot aber keine Möglichkeit zu offiziellen diplomatischen Schritten.

Die Russen befürchteten, daß sich in Stockholm ein Zentrum der japanischen Spio- nage befinde. Außerdem rechneten sie mit Angriffen getarnter japanischer Schiffe auf die nach dem Fernen Osten laufende Baltisdie Flotte. Um dieser Gefahr zu begegnen, charterten die Russen mehrere kleinere schwedische Sdiiffe und suchten mit diesen die Häfen und Buchten entlang der schwedischen, norwegischen und dänischen Küste nach japanischen Fahrzeugen ab.

Die Kriegsereignisse und Erfahrungen ließen in Schweden, ähnlich wie in allen anderen gerüsteten Staaten, die Diskussion um die Zweckmäßigkeit der Verteidigung erneut aufleben. Bereits um die Jahrhundertwende betrachtete man die Expansions- tendenz der russischen Politik mit größtem Mißtrauen. Daß Rußland nun in diesem Kriege erhebliche Rückschläge erlitt, wurde nicht uneingeschränkt mit Befriedigung aufgenommen. Einer um die Jahrhundertwende allgemein verbreiteten Anschauung folgend, befürchtete Schweden, daß Rußland um jeden Preis versuchen würde, den offenen Ozean zu erreichen. Nach einem Scheitern der pazifischen Pläne Rußlands sah man nun die nördlichen Teile Norwegens und Schwedens durch Rußland bedroht.

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Ende 1904 wurden die russischen Absichten und die dagegen zu ergreifenden Maß- nahmen von dem bekannten Forscher Sven Hedin, der als besonders guter Kenner der russischen Verhältnisse und Politik galt, in der Presse zur Diskussion gestellt.

Er schilderte seinen letzten Besuch beim Zaren und dessen deutlich erkennbare Ver- ärgerung gegenüber Schweden. Hedin war sich darüber klar, daß die Haltung und der Ton der schwedischen Presse gegenüber Rußland die Ursache dieser Verärge- rung waren. Ohne die Notwendigkeit der Pressefreiheit im geringsten zu bezwei- feln, so meinte er, könnte der Fall eintreten, wo die Klugheit zu Vorsicht und Zurückhaltung raten müsse. Er warnte vor der Rache Rußlands und propagierte ein starkes schwedisches Verteidigungssystem. Der schwedische Historiker Harald Hjärne widersprach ihm in der Presse. Er befürwortete zwar auch eine starke Verteidigung, glaubte aber nicht an die maritimen Expansionspläne, da sich Ruß- land aus finanziellen Gründen das dazugehörige Flottenbauprogramm nicht würde leisten können.

Die schwedische Regierung hatte im Jahre 1900 beschlossen, in Norbotten, im Be- reich der finnischen Grenze, ein umfangreiches Befestigungsprogramm auszuführen.

Die Kosten waren mit 8,7 Millionen Kronen — für damalige Verhältnisse eine riesige Summe - veranschlagt und bewilligt worden. Es stellte sich dann aber bald heraus, daß die Kosten erheblich höher sein würden. Bis zur Verteidigungsdebatte des Jahres 1905 waren die Ausgaben auf 19 Millionen Kronen angestiegen.

Die schwedischen Militärs und Politiker versuchten nun, aus den Erfahrungen des Krieges in Fernost die Konsequenzen f ü r die eigene Rüstung zu ziehen. Vor allem bestanden erhebliche Zweifel am Wert starrer Befestigungssysteme. Bereits der Verteidigungshaushalt des Jahres 1905 zeigte, daß Schweden aus dem russisch- japanischen Kriege Folgerungen gezogen hatte. Hinsichtlich der Landrüstung mach- ten sich diese durch wesentliche Vergrößerung der Munitionsvorräte bemerkbar.

Gegenüber einem Vorrat von 50 Millionen Patronen für 1904 wurden nun bei- spielsweise 200 Millionen bereitgestellt. Eine wesentliche Verstärkung erfuhr die Feldartillerie. Auf taktischem Gebiet wurde der Notwendigkeit eines Zusammen- wirkens von Heer und Flotte größere Beachtung geschenkt. Die Tatsache, daß Port Arthur eine längere Belagerung ausgehalten hatte, wurde als Argument f ü r den - zumindest hinhaltenden - Wert von Befestigungen ausgedeutet.

Hinsichtlich der Seerüstung schien die Belagerung von Port Arthur ein Warnungs- zeichen zu sein. Man erwog, die Flotte aus dem Kriegshafen Karlskrona heraus- zuziehen, da sie dort leicht blockiert werden konnte. Die Anfangserfolge der japa- nischen Torpedowaffe erregten großes Aufsehen. Zunächst schien es so, als sei die gesamte Flottenstruktur jetzt falsch. An die Stelle kostspieliger gepanzerter Schiffe wollte eine Gruppe progressiver jüngerer Offiziere Torpedofahrzeuge setzen. Im Reichstag setzten sich die Liberalen und einzelne Agrarier für den verstärkten Bau von Torpedobooten und Zerstörern ein. Sie blieben auch auf dieser Linie, als der weitere Verlauf des Krieges zeigte, daß die Torpedoboote keine bedeutenden Er- folge zu erringen vermochten.

Als im Jahre 1905 eine liberale Regierung gebildet wurde, ließ diese unter dem Eindruck der 1904 entfesselten Debatte Pläne für neue Schiffstypen und einen Umbau der schwedischen Flotte ausarbeiten. Das führte dann 1911 zur großen Panzerschiffsdebatte im Reichstag.

Burgman kommt abschließend zu dem Ergebnis, daß die schwedische öffentliche Meinung während des Krieges sich in Ubereinstimmung mit der Weltmeinung be- funden habe. Schweden bewunderte die kleine und junge japanische Nation, die kühn den Kampf gegen einen Giganten aufgenommen hatte. Von starkem Einfluß auf die Entwicklung der Sympathien f ü r Japan war dabei die gewaltige Menge

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japanfreundlicher Berichte der Nachrichtenbüros - allen voran Reuter. In Groß- britannien galt Japan als der Exponent einer Politik der offenen Tür in Ostasien.

Es gewann durch seinen Uberfall auf Rußland und die militärischen Erfolge große Popularität in der westlichen Welt. Burgman erklärt die Haltung der schwedischen Öffentlichkeit, die primär eine antirussische Haltung war. Moralische Qualitäten werden nicht zur Begründung herangezogen.

Militärgeschichtlich interessant sind die Zusammenhänge zwischen Neutralitäts- politik und Rüstung sowie die Auswirkungen von Presse und Propaganda. Beides trägt zum Verständnis der schwedischen Militär- und Neutralitätspolitik bei. Daß der Text von Emotionen frei ist, berührt besonders angenehm.

Freiburg i. Br. Gert Sandhof er

Francis L.Carsten, Reichswehr und Politik 1918-1933. Kiepenheuer &

Witsch, Köln-Berlin 1964.484 Seiten.

Der neutrale Titel der Publikation verspricht eine Dokumentation über die Stel- lung der bewaffneten Macht in der Weimarer Republik. Aber der Verfasser will weit mehr, nämlich untersuchen, ob und in welchem Maße die politische und mili- tärische Führung der Reidiswehr für den Zusammenbruch der ersten deutschen parlamentarischen Demokratie verantwortlich zu machen ist. Aus dem Ergebnis dieser Bemühung geben wir die wesentlichen Feststellungen wieder:

» . . . Es war ein Geburtsfehler der Republik, daß sie die Armee zur Verteidigung gegen polnische Übergriffe und revolutionäre Umsturzversuche benötigte und daß diese Armee von dem Offizierkorps des Kaiserreichs geführt wurde. Von diesem Offizierkorps konnte niemand erwarten, daß es die neue Ordnung begrüßen oder sich zu ihr bekehren würde . . . Eine Reidiswehr, die in der Stunde der Not mit der preußischen Polizei und den republikanischen Massenorganisationen zusammen- gearbeitet und sich auf sie gestützt hätte, statt sie der Umsturzpläne zu verdäch- tigen, hätte ein Fels sein können, an dem sich die Brandung brach. Aber die Politik der Heeresleitung verhinderte eine solche Zusammenarbeit und führte zu einer Schwächung der Republik, zu einer Schwächung ihrer Einrichtungen und der Orga- nisationen, die zur Verteidigung der Republik bereit waren . . . «

Das Urteil ist eindeutig, es bleibt zu prüfen, auf welche Weise der Autor zu dieser Schlußfolgerung gelangt.

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Die Republik ist am 9.11. 1918 in die damalige politische Situation hineingeboren worden, und es hat wenig Sinn, nachträglich diesen oder jenen »Geburtsfehler« zu beklagen. Unter den »Papieren«, die der Verfasser gesichtet hat, befindet sich auch der »Geburtsschein« der Reichswehr, das von den Mehrheitsparteien der National- versammlung am 25. 2.1919 eingebradite »Gesetz über die Bildung einer vor-

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läufigen Reichswehr«. Der Inhalt wird von Carsten in großen Zügen behandelt mit Ausnahme des im § 1 enthaltenen Kernstücks. Diese Lücke ist deshalb unver- ständlich, weil der Gesetzgeber darin den der Armee der künftigen Republik zuge- dachten Auftrag formuliert:

»Der Reichspräsident wird ermächtigt, das bestehende Heer aufzulösen und eine vorläufige Reichswehr zu bilden, die bis zur Schaffung der neuen, reichsgesetzlich zu ordnenden Wehrmacht die Reichsgrenzen schützt, den Anordnungen der Reichs- regierung Geltung verschafft und die Ruhe und Ordnung im Innern aufrecht erhält.«

Wenn der Autor bedauert, daß das Gesetz nichts darüber enthalte, was unter einer Reichswehr »auf demokratischer Grundlage« zu verstehen sei, so hätte er Einzel- heiten darüber u. a. in dem Sitzungsprotokoll vom 25. 2.1919 gefunden. Die Sprecher der Mehrheitsparteien, insbesondere der schon in der Monarchie als Mili- tärsachverständiger hervorgetretene SPD-Abg. Schöpflin, haben über die innere Struktur und die äußeren Formen der neuen Armee bestimmte Vorstellungen ent- wickelt. Sie stimmten in den Hauptpunkten, wie ζ. B. in der Wiederherstellung der Disziplin, mit den militärischen Wünschen überein. Sdiöpflin hoffte sogar, daß die »sozialistische Arbeiterschaft« die Gestellung von Freiwilligen nicht »anderen Bevölkerungskreisen« überlassen würde.

Es ist freilich festzuhalten, daß als Folge der politischen Verwirrung und der mangelnden Erfahrung im Umgang mit der Demokratie die »oben« immer wieder hergestellte Übereinstimmung sich nicht »nach unten« fortsetzte. Wenn Carsten beispielsweise für die Zeit nach Annahme der Verfassung, also August 1919, schreibt: »Die Revolution war abgeschlossen; Deutschland war eine bürgerliche Republik. Ruhe und Ordnung waren überall wiederhergestellt«, so hat er kein Gespür dafür, was damals »unten« vor sich ging, was die Menschen bewegte und erregte.

Während nach 1945 Totenstille im Lande herrschte und die Luft erfüllt war von dem Verwesungsgeruch des tödlich getroffenen Regimes, war nach 1918 die deut- sche Handlungsfreiheit zwar eingeengt, aber grundsätzlich erhalten.

In den frühen zwanziger Jahren und zu Beginn des dritten Jahrzehnts gab es im- mer nur kurze Atempausen in der geistigen, politischen und handgreiflichen Aus- einandersetzung, zunächst begleitet von dem ständig fortschreitenden Verfall der Währung, später von einer von Jahr zu Jahr zunehmenden wirtschaftlichen Ver- elendung. Nur vor diesem Hintergrund kann die der Reichswehr gestellte Aufgabe gesehen und ihre Durchführung kritisch beurteilt werden.

Der ihr am 6. 3.1919 von der Nationalversammlung erteilte Auftrag ist im Art. 160 des Vertrages von Versailles bestätigt worden, jedoch mit zwei wichtigen Ergänzungen: der endgültigen Bildung eines Berufsheeres von 100 000 Mann mit den bekannten Beschränkungen und der Erklärung der Siegermächte, die deutsche Entwaffnung sei nur als Vorläufer einer allgemeinen Abrüstung anzusehen. Der

»Oberste Befehlshaber der gesamten Wehrmacht« blieb auch nach dem Wehrgesetz vom 21. 3.1921 der Reichspräsident, gegebenenfalls unter Anwendung des »Dik- taturparagraphen« der Verfassung (Art. 48).

In dem breit angelegten Werk von Carsten fehlt allerdings eine Auseinanderset- zung mit der Ausgangslage. Vor dem Leser wird eine Fülle von Fakten ausgebrei- tet, aber es wird ihm schwer gemacht, der Beweisführung des Autors zu folgen, zumal er häufig auf Widersprüche stößt.

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Weiterhin gewinnt man auch den Eindruck, daß der Verfasser in dem Deutschen Reich von 1919 einen zentral gelenkten Staat vermutet und alles, was nach dem Buchstaben des Gesetzes oder stimmungsmäßig dagegen spricht, mehr oder weniger negiert. Carsten hat recht, wenn er sagt, daß nach Annahme der Reichsverfassung (11.8.1919) die »Länder aufhörten, eigene Heeresverwaltungen, Kommando- gewalten und Kriegsministerien zu besitzen«. Aber er hat nicht redit, wenn er meint, daß damit jeder Einfluß der Länder auf die bewaffnete Macht aus der Welt geschafft worden sei.

Die Schilderung der Vorgänge in München im Spätherbst 1923, die ihren Tiefpunkt im Hitler-Putsdi am 9. November hatten, ist charakteristisch für seine Darstel- lungsweise: er erwähnt den Anlaß, aber er befaßt sich nicht mit der Ursache der Krise. Dazu gehörte audi eine Beschreibung des politischen Klimas, wie es sich im Reich nach der Besetzung des Ruhrgebietes durch Frankreich (11. 1.1923), unter dem Eindruck des passiven Widerstandes aller Bevölkerungskreise und des Zu- sammenbruchs dieser Bewegung im August 1923 entwickelte.

Wenn den Menschen der Verdienst buchstäblich unter den Händen zerrinnt, dann sind sie für jede Art von Demagogie empfänglich, ob die Propheten einer besseren Welt nun Adolf Hitler oder Karl Radek heißen. Auch Soldaten sind für solche gefährlichen Stimmungen im eigenen Lande anfällig, und in dem vorsichtigen Tak- tieren von Geßler als Reichswehrminister und von Seeckt als Chef der Heeres- leitung bei der Erfüllung des Auftrages, Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten, läßt sich als Leitmotiv im Unruhejahr 1923 die Absicht erkennen, in dem drohen- den Bürgerkrieg nicht ohne Not die Initiative zu ergreifen und ein neues »Gefecht bei Kissingen« (1866) zu vermeiden, das die Parole »Los von Berlin« zum allge- meinen »Schlachtruf« hätte werden lassen.

Die Ursache jener Krise im Verhältnis Reich - Bayern lag in der föderalistischen Struktur des Deutschen Reiches. Sie erlaubte, daß am gleichen Tage (26. 9.1923) der Reichspräsident den Ausnahmezustand für das gesamte Staatsgebiet verkün- den ließ und die bayerische Regierung eine eigene Verordnung für Bayern her- ausgab.

Carsten befaßt sich nicht mit der verfassungsrechtlichen Seite; er kommt daher zu dem Fehlschluß, die Führung der Reichswehr habe sich gegenüber Thüringen, Sach- sen und Hamburg bei der Bekämpfung kommunistischer Aufstandsversuche anders als gegenüber Bayern verhalten.

Er übersieht die Bedeutung der im Wehrgesetz von 1921 festgelegten Personal- union zwischen dem »Landeskommandanten« im »Freistaat Bayern« und dem Kommandeur der 7. (bayr.) Division. Damit wurde zwar die Befehlsgewalt des Reichspräsidenten nicht aufgehoben, aber wie meist, wenn politische und mili- tärische Interessen kollidieren, hatte die Politik, d. h. hier die Vermeidung des Bruchs zwischen dem Reich und Bayern, den Vorrang.

Ohne eine Behandlung der Problematik, die für jede Armee in einem innerpoliti- schen Auftrag liegt, ist - in einem Buch mit dem Titel: Reichswehr und Politik - die Ausnahmesituation nicht zu verstehen, in die sich die Reichswehr zwischen 1919 und 1933 wiederholt gestellt sah. Sie hat - so meinen wir im Gegensatz zu Car- sten - mehr als einmal wesentlich dazu beigetragen, als »Klammer des Reiches«

(Hermann Foertsch) die Einheit zu erhalten; den Sieg der Staatsautorität am 9. 11.1923 hat der damalige Polizeileutnant Frhr. von Godin erkämpft.

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Es ist unschwer zu erkennen, auf welche Weise der Verfasser zu seiner Beurteilung der leitenden Persönlichkeiten gelangt.

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Wie im Vorwort mitgeteilt, stützt er sich für die letzten Jahre der Weimarer Repu- blik auf die wichtigsten Darstellungen deutscher Autoren. Sie sahen es jedoch als vordringlich an, den Anteil der Reichswehr an der Berufung Hitlers zum Reichs- kanzler sowie das Verhalten der Wehrmacht im NS-Regime zu klären. Die Litera- tur über die ersten Jahre der Republik ist dagegen, wie auch Carsten feststellt, unzureichend.

In diesem unausgewogenen Verhältnis der verfügbaren Unterlagen liegt die Ge- fahr, daß sich dem Benutzer unbewußt ein einseitiges oder nur für einen gewissen Zeitraum zutreffendes Erscheinungsbild der verantwortlichen Persönlichkeiten ein- prägt. Das gilt bei Carsten am wenigsten für Seeckt, dessen militärische Laufbahn bereits im Herbst 1926 beendet war, wohl aber für Groener und Schleicher.

Aus der Sidit von 1932 agiert Groener als abgekämpfter, von persönlichen Sorgen bedrückter Mann auf der politischen Bühne. Fast nichts erinnert mehr an den Ersten Generalquartiermeister von 1918/19, diesen tatkräftigen, realistisch denkenden Mann, für den »Zivilcourage« kein Fremdwort ist. Ebenso ist bei Schleidler zu unterscheiden zwischen dem politisch versierten, ideenreichen Gehilfen und dem verantwortlichen Reichswehrminister und Reidiskanzler.

Neben der Auswertung der vorhandenen Literatur hat der Verfasser, von deut- schen Stellen unterstützt, neue ungedruckte Quellen, in der Hauptsache nachgelas- senes Schriftgut von Generälen sowie Einzelakten aus dem militärischen und zivilen Dienstverkehr erschlossen.

Aus den Angaben von Carsten erfahren wir vorerst zweierlei: Die Bestätigung der Tatsache, daß das politische Interesse und die Urteilsfähigkeit zahlreicher hoher Offiziere mit Ausnahme derjenigen, die unter Schleicher gearbeitet haben, höchst unzureichend war. Es fehlte auch nicht an taktlosen Äußerungen im privaten Schriftverkehr. In dieser Abstinenz drückt sich das große MißVerständnis aus, wo- nach eine »überparteiliche Haltung« der Armee bereits - überspitzt ausgedrückt - das Lesen einer Tageszeitung verbiete. Die für die Erziehung des Offizierkorps verantwortlichen Kommandeure wurden weder dazu angehalten, sich politisch zu informieren noch wirkten sie als Vorgesetzte in dieser Hinsicht auf ihre Offiziere ein. (Andere Ursachen für diesen Mißstand, wie das Fehlen eines Reserveoffizier- korps oder die Aufsplitterung der Truppe in kleinste Standorte, kamen hinzu.) Zum zweiten besteht das von Carsten mitgeteilte Ergebnis seiner Forschungsarbeit vornehmlich in der Wiedergabe von Einzelvorgängen, die im militärischen Dienst- betrieb unter der Bezeichnung »Besondere Vorkommnisse« laufen. Sie können für die innere Einstellung der Truppe charakteristisch sein; sie verleiten jedoch, wie in anderen Lebensbereichen, leicht dazu, sie zu verallgemeinern. Namentlich für die Frühzeit der Reichswehr sind sie nur Anhaltspunkte dafür, wie es damals in einer Truppe aussah, deren junge Kriegsoffiziere nur gelernt hatten, eine Kompanie im Kampf zu führen. In der Bibliographie des Autors fehlt, kurz gesagt, »die andere Seite«, etwa die Erinnerungen von Carl Severing oder die Chronik von Friedrich Stampfer, dem langjährigen Chefredakteur des »Vorwärts«.

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Carsten zitiert das Urteil von Hermann Foertsch, wonach die Einstellung der Reichswehr zum Staat »im Grunde nicht republikfeindlich [war], sie war aber auch der Demokratie und dem Parlamentarismus nicht freundlich gesinnt. Sie war un- persönlich, wirkte im luftleeren Raum und machte die Reichswehr zu einem Staat im Staate, zu einem Staat außerhalb des derzeitigen Staates . . . « Er läßt leider den anschließenden, für das Verständnis unentbehrlichen Satz fort: »Auf der anderen Seite aber hat es auch vielfach an der >Liebe zum Heer< gefehlt.« Die Kürzung ge-

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schieht gewiß nicht absichtlich, der Verfasser hat wohl die Bedeutung dieses Satzes verkannt.

»Liebe zum Heer« - was heißt das? Auf dem Parteitag der SPD in Magdeburg (1929) verurteilte Severing, der gute Gründe hatte, die Art des Verkehrs der Reichswehrführung mit ihm als preußischem Innenminister zu kritisieren, die »Ab- stinenz« der Arbeiterschaft gegenüber der Reichswehr. Und der wehrpolitische Re- ferent der SPD-Fraktion im Reichstag, Julius Leber (hingerichtet 5.1.1945), sprach nach dem Leipziger Prozeß gegen die Reidiswehroffiziere (Oktober 1930) von der verhängnisvollen Spannung zwischen Arbeiterschaft und Armee, die nicht allein Schuld der Reichswehr sei. Eine Analyse der Aussagen der jungen Offiziere, der Angeklagten und der Zeugen, zeigt, wovon die Armee damals sprach und - träumte.

Es kann freilich nicht unsere Absicht sein, nun den Ball zurückzuspielen und an Stelle der Reichswehr auf die Suche nach einem anderen »Hauptschuldigen« zu gehen. Rückblickend ergibt sich eine schicksalhafte Verknüpfung zwischen der Armee und der SPD und in mancher Hinsicht eine Zwangslage, die zu beseitigen kaum in der Macht des einen wie des anderen lag.

Wenn Seeckt gegen die Schrift von Kurt Hesse »Der Feldherr Psychologus« eine Gegenschrift mit dem bezeichnenden Titel: »Die alte Armee und die junge Gene- ration« veranlaßte, dann drückt sie darin ein ähnliches Unverständnis aus, wie es der Parteivorstand der SPD gegenüber den Bestrebungen seiner jungen Mannschaft, der Haubach, Leber, Mierendorff, Reichwein, Schumacher, praktizierte.

Die Mehrheitssozialisten waren gezwungen, in ihrer Wehrpolitik ständig Rücksicht zu nehmen auf den Nachbarn zur Linken, zuerst die USPD, später die KP. Sie verloren von 1928 bis 1932 im Reichstag 32 Sitze, während sich die Zahl der kom- munistischen Abgeordneten fast verdoppelte, von 54 auf 100.

Die Bewegungsfreiheit der Reichswehr war gegenüber den Rechtskreisen - neben anderen Faktoren - dadurch eingeengt, daß ein großer Teil der Offiziere im höhe- ren Lebensalter - im Gegensatz zu den gleichaltrigen Beamten, Richtern, Lehrern, Professoren - vorzeitig aus ihrem Beruf ausscheiden mußte. In zahlreichen Fällen fanden sie eine neue Existenz nur als Parteifunktionäre, als Angestellte in den

»Vaterländischen Verbänden« oder im »Grenzschutz«. Damit ist der »Katalog der Gemeinsamkeiten« nur angedeutet.

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Der Autor macht vornehmlich Groener, Seeckt und Schleicher dafür verantwort- lich, daß sich die Reichswehr in den Notjahren der Republik nicht als »Fels in der Brandung« erwies. Wir beschränken uns darauf, diese Feststellung an zwei Bei- spielen nachzuprüfen.

»Als es ihm gelang«, schreibt Carsten, »den Sturz der Regierung Stresemann her- beizuführen (Nov. 1923), erreichte Seeckt den Höhepunkt seiner politischen Macht.

Seine darauf ausgerichtete Politik, die Stellung des Reichskanzlers in einer Zeit der schwersten innen- und außenpolitischen Krise zu unterminieren, zeigte keine Spur von politischem Verantwortungsgefühl.«

Das Verhältnis zwischen Stresemann als Reichskanzler und Seeckt als Chef der Heeresleitung, der vom Reichspräsidenten beauftragt war, die Ordnung aufrecht- zuerhalten, war in jenen Tagen so gespannt, wie zeitweilig zwischen Bismarck und Moltke, Clemenceau und Foch, Churchill und seinen militärischen Ratgebern. Im- mer befürchtet der Soldat, es solle ein politischer Erfolg zu Lasten der Armee erreicht werden. Immer setzt sich der Politiker durch, der staatsmännisches Format hat. Die Regierung Stresemann ist am 23.11.1923 durch ein Mißtrauensvotum der

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