BACHELORARBEIT
Die kulturellen Formen der Villa Kunterbunt im Film Zum Wandel von Diskursformationen
vorgelegt von
Katja Baur
an der
Geisteswissenschaftliche Sektion Fachbereich Geschichte und Soziologie
1. Gutachter: Prof. Dr. Frank Hillebrandt 2. Gutachter: Prof. Dr. Bernhard Giesen
Konstanz, 2012
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung und Vorgehensweise _________________________________________1
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2. Grundlagen der Theorie und der Methoden _______________________________4
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2.1Die Cultural Studies und die Populärkultur_______________________________4
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2.1.1 (Deutungs-) Macht der Konsumierenden _______________________4
m
2.1.2 Die Struktur populärer Texte _________________________________6
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2.1.3 Phantasie, Widerstand und sozialer Wandel _____________________8
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2.1.4 Zusammenfassung und wissenschaftliche Folgerungen ___________10
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2.1.5 Die Cultural Studies und Pippi Langstrumpf ___________________12
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2.2Filmanalyse nach Faulstich __________________________________________12
.
3. Untersuchung des Materials ___________________________________________17
.
3.1 Die Anfangssequenz – die Vorstellung der zentralen Charaktere _____________18
.
3.1.1 Die Charakterisierung der Kinder ____________________________19
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3.1.2 Die Charakterisierung der Polizisten __________________________20
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3.1.3 Die Charakterisierung der Tante Prysselius _____________________28
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3.2 Zeitbezug der kulturellen Formen im Film – die 68er Bewegung ____________33
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3.3Rezeptionsgeschichte und der Wandel von Diskursformationen _____________37
.
4. Resümee und Ausblick _______________________________________________40
Literaturverzeichnis ___________________________________________________44 Filmverzeichnis ______________________________________________________45 Anhang ____________________________________________________________46
1. Einleitung und Vorgehensweise
Seit der erste Band der Pippi Langstrumpf-Bücher 1945 zum ersten Mal in Stockholm veröf- fentlicht wurde, scheint die Geschichte der Pippi Langstrumpf nicht an Bedeutung und Aktua- lität verloren zu haben. Damals wie heute stehen die beliebten Bücher in den Kinderzimmern und werden immer noch die Filme aus den Jahren 1969 und 1970 geschaut. Es hat sich eine ganze Ökonomie entwickelt, in der (Hör-) Bücher, DVDs und Merchandise-Artikel umgesetzt werden. Auch in der Presse findet man regelmäßig Artikel und zahlreiche Verweise auf die Welt der Pippi Langstrumpf, die auf die Popularität der Kinderheldin verweisen. Kein anderer Kinderfilm – fast kein anderer Film überhaupt – hat über eine dermaßen lange Zeit eine so große und konstante Nachfrage erfahren1 und wurde von so vielen Menschen alltäglich imi- tiert und auf unterschiedliche Lebensbereiche angewendet. Durch die Verfilmungen der Bü- cher, mehr als 20 Jahre später, stellte sich ein zusätzlicher Popularitätsboom ein, der zu einer gesamtgesellschaftlichen Verbreitung der Geschichten führte und breite Massen erreichte, be- einflusste und prägte. Pippi ist zu einer Ikone geworden, deren Sinnbild in unterschiedlichen Bereichen Einzug findet. Warum faszinieren die Geschichten der „rotzfrechen Göre“ über Ge- nerationen hinweg Kinder und deren Eltern, aber auch die Gesellschaft allgemein? Welche Aspekte haben zu ihrer jahrzehntelangen Popularität geführt?
Laut dem Kulturwissenschaftlers John Fiske kann ein kulturelles Gut nur populär sein, wenn es für die Konsumierenden relevante Themen auf eine Weise verarbeitet, die es ihnen ermög- licht, ihre eigenen alltäglichen und individuellen Erfahrungen in das Geschehen mit einzube- ziehen und Kritik gegenüber strukturellen Bedingungen dieser Situation zu äußern (vgl. Fiske 2001: 129). Demzufolge müssen sowohl in den Büchern, aber vor allem in den populäreren Filmen Themen verarbeitet werden, die nicht nur über Generationen hinweg von Bedeutung waren. Ebenfalls muss es sich um Themen handeln, die die gesamte Gesellschaft betreffen und noch bis heute ein essentieller und prägender Bestandteil der alltäglichen Lebenswelt sind.
In der vorliegenden Arbeit gilt es herauszufinden, welche zentralen Themen der Film haupt- sächlich verarbeitet, und sodann nachzuvollziehen, wie es zu dieser gesamtgesellschaftlichen Relevanz der Thematiken kam. Der Forschungstradition der Cultural Studies zufolge ist der
1 Mittlerweile wurde Pippi Langstrumpf „in mehr als 60 Sprachen übersetzt und allein die deutsche Über- setzung hat eine Gesamtauflage von sieben Millionen Exemplaren“ (Pressemappe 2005: 2). Die Gesamtauflage wird im Jahr 2005 nach Informationen des Verlages auf 52 Millionen Exemplare geschätzt.
Einfluss zeitspezifischer Gedankengänge und Wertvorstellungen, aber auch der Umgang mit den kulturellen Gütern in die Analyse mit einzubeziehen, um die unterschiedlichen Möglich- keiten der Sinngebung und der daraus resultierenden Beeinfussung von Diskursformationen2 erfassen zu können. Der zeitliche Bezug dieser Diskursformationen ist von großer Bedeutung und gewährleistet eine kulturgeschichtliche Betrachtung des Filmmaterials, die es ermöglicht, die bis heute immer wiederkehrenden oder neu entstehenden Diskurse zu identifizieren.
Durch ihre Jahrzehnte lange Popularität bietet sich die Geschichte der Pippi Langstrumpf und deren kulturellen Produkte unterschiedlicher Zeitpunkte für die Herausarbeitung eines Wan- dels der Diskursformationen geradezu an. Die Gesellschaft der 1940er Jahre ist unweigerlich eine andere als die heutige und so ist es unwahrscheinlich, dass ein kulturelles Gut über 60 Jahre lang stets die gleiche Bedeutung besitzt. Es ist anzunehmen, dass die gesellschaftlichen, soziokulturellen, wirtschaftlichen und politischen Transformationsprozesse der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts großen Einfluss auf die Bedeutungszuschreibungen dieser Kul- turgüter hatten.
Um den Zusammenhang zwischen filmischer Ausgangslage und der Bedeutungsproduktion der Konsumierenden nachzuvollziehen, wird im Folgenden eine Einführung in die Betrach- tungsweise der Populärkultur im Sinne der Cultural Studies gegeben und anhand der Struk- turen populärer Güter Elemente und Praktiken der populären Sinnproduktion identifiziert.
Daraufhin werden die Potentiale der Sinnproduktion dieser spezifischen Verfilmung von Pippi Langstrumpf aus dem Jahr 1969 in Form einer systematischen Filmanalyse ausfindig gemacht. Das methodische Vorgehen leitet sich hierbei vom Grundkurs Filmanalyse von Werner Faulstich (2008) ab. Die vier zentralen Analysefokusse auf Handlung, Figuren, Bau- form sowie Normen und Werte werden skizziert, Variablen – z.B. der Perspektiven – heraus- gearbeitet und tendenzielle Wirkungsformen und Schlussfolgerungen für die Wahrnehmung eines Filmes angedeutet. Auf Grundlage dieser systematischen Filmanalyse werden an- schließend vor allem die Anfangsszenen des 1969 erschienen Filmes betrachtet und zeittypi- sche Charakterisierungen durch Bauart, Handlung und Präsentationsformen, auch in Kontras- tierung zum Buch, herausgearbeitet. Anschließend lassen sich diese Charakterisierungen auf Diskursformationen der Entstehungszeit beziehen und deren sichtbaren Wandel bezüglich der Ausgestaltung des Buches aufzeigen. Weiterhin wird, entsprechend dem Forschungsverständ- nis der Cultural Studies, auch mithilfe von Pressestimmen und Rezensionen, die Lesart unter- schiedlicher Jahrzehnte einbezogen und die Relevanz von Zeitaspekten, Ereignissen und aktu-
2 Unter Diskursformationen ist im Allgemeinen eine „von einzelnen Kommunikationsereignissen unabhängige
ell vorherrschenden Diskursen für diese Lesarten überprüft. Hierbei wird sich der Einfluss der Debatten im Zuge der 68er-Bewegung zeigen, deren Bemühungen eine mit dem Nationalso- zialismus vergleichbare Katastrophe in Zukunft zu verhindern, und die die Gesellschaft grundlegend prägten.
2. Grundlagen der Theorie und der Methoden
2.1 Die Cultural Studies und die Populärkultur
Um die langjährige Popularität des Kinderfilmes Pippi Langstrumpf und dessen Bedeutung für die Gesellschaft nachvollziehen zu können, eignet sich vor allem der Ansatz der Cultural Studies bezüglich der Betrachtung der Populärkultur. Abgesehen von der inhaltlichen Ebene der kulturellen Güter legen sie einen großen Fokus auf die Rezeption der Güter und beziehen zeittypische bzw. aktuelle Konfliktthemen mit in die Untersuchung ein. Im Folgenden sollen die Grundsätze dieser Betrachtungsweise dargelegt und Schlussfolgerungen für die spezifi- sche Betrachtung des Filmes Pippi Langstrumpf gezogen werden. Hierbei wird zuerst auf die Mechanismen und Möglichkeiten der Sinnproduktion mithilfe populärer Güter eingegangen, um anschließend Kriterien dieser populären Güter herauszuarbeiten, die diese Sinnproduktio- nen ermöglichen und begünstigen. Schließlich wird der Einfluss dieser populären Sinnproduktionen auf die gesellschaftliche Realität betrachtet und die Potentiale für einen Wandel der Diskursformationen, der Werte und der sozialen Realität selbst umrissen. Mithilfe von Schlussfolgerungen für die Betrachtung dieses spezifischen Filmes wird das weitere Vorgehen der hier durchgeführten Analyse und deren Augenmerk erarbeitet.
2.1.1 (Deutungs-) Macht der Konsumierenden
Den Cultural Studies zu Folge kann ein und dasselbe kulturelle Gut zu unterschiedlichen Zeit- punkten, in unterschiedlichen Rezeptionsmilieus und in unterschiedlichen Situationen zu grundlegend anderen Bedeutungen und Relevanzen führen. Der Grund hierfür liegt nach Fiske darin, dass die – im weiteren Verlauf als „Texte“ bezeichneten – Waren keine Bedeu- tungen und Vergnügen übermitteln, sondern diese hervorrufen. Für die Bedeutungsproduktion ist somit letztendlich allein der Konsumierende verantwortlich und kann nicht von den Kulturindustrien vorhergesagt oder kontrolliert werden (vgl. Fiske 2001: 117, 128). So lässt sich eine Rollenverschiebung des „Texts als Ware“ hin zu einem Produzenten ausmachen: „In diesem Fall handelt es sich dabei um einen Produzenten von Bedeutungen und Vergnügen“
(Fiske 2001: 116), wodurch sich eine Vielfalt von sozialen Identitäten durch eine Vielfalt von Bedeutungs- und Vergnügensproduktionen – selbst ein und derselben Fernsehsendung – bei
unterschiedlichen sozialen Gruppen erklären lässt3 (vgl. Fiske 2001: 112, 116, 117). Der Kon- sum einer kulturellen Ware müsse somit nicht zwangsläufig den Konsum der enthaltenen Ideologie beinhalten (vgl. Fiske 2001: 127). Mit dieser Erkenntnis wird der Auffassung der Vertreter der Frankfurter Schule4, eindeutig widersprochen, die die Position vertreten, dass die Kulturindustrien den einzigen Sinn darin haben, durch eine Erzeugung einer medialen Scheinrealität die kapitalistische Ideologie5 zu reproduzieren. Hierbei beziehen sie sich auf den Ideologiebegriff von Marx, analog dessen die Ideologie wiederum lediglich als eine Entität zu verstehen sei, die die eigentlichen Machtverhältnisse verschleiert und hierdurch zu rechtfertigen vermag (vgl. Marx/Engels 2004). Der Konsum dieser Güter führe zu einer Flucht in eine Phantasiewelt, auch Eskapismus genannt. Hierdurch werde ein Bewusstsein für die Missstände und die Notwendigkeit eines sozialen Wandels verhindert und dadurch eine Veränderung der Machtverhältnisse zu Ungunsten der herrschenden Klasse unterbunden.
Diese Betrachtungsweise einer Massenkultur ist jedoch verkürzt, da auch die Konsumieren- den Einfluss auf die Sinnproduktionen haben. Jedoch muss hierbei bedacht werden, dass der Spielraum dieser Sinnproduktionen davon eingeschränkt wird, welche potentiellen Bedeu- tungen überhaupt in einem kulturellen Gut enthalten sind. „Just as power is not distributed equally in society, so potential meanings are not distributed equally in texts” (Fiske 1989b:
168). Für das Verständnis der Wirkungsweise von Populärkulturen ist jedoch Michel Foucaults Auffassung von Macht hilfreich (1977): Macht verläuft niemals nur in eine, sondern immer mindestens in zwei Richtungen. So sei es ungenügend, populäre Ereignisse nur im Hinblick auf deren Wirkungsweise im Dienste der herrschenden Ideologie zu analysieren, denn ein „integraler Bestandteil dieser Macht [ist] der Widerstand bzw. die Widerstände gegen sie“ (Fiske 2001: 119). Durch dieses Verständnis der Machtverhältnisse muss endgültig von einer Betrachtungsweise einer Masse an den von den Produzenten ausgewählten Inhalten aus- geliefert „Kulturtrotteln“ abgesehen werden. Konsumierende sind aktiv an der ideologischen Praxis beteiligt und können dabei eigene Bedeutungen und Vergnügen produzieren, die eben auch entgegengesetzt zur herrschenden Ideologie sein können.
„Die narrative Struktur und die Hierarchisierung der Diskurse eines Texts zielen
3 Dies ergibt sich u.a. aus den Studien von Katz und Liebes (1984, 1985) bezüglich der von 50 ethischen Gruppen produzierten enormen Vielfalt von Bedeutungen und Vergnügen aus ein und derselben Sendung namens Dallas.
4 Mit ihren Ausführungen zur Kulturindustrie in die Dialektik der Aufklärung (1994 [1944]) sind Horkheimer und Adorno die wichtigsten Vertreter der hier zurückgewiesenen Thesen.
5 Es wird sich im Folgenden insbesondere auf den von Karl Marx geprägte Ideologiebegriff bezogen (vgl.
Marx/Engels 2004)
[zwar] darauf ab, ein für die Herrschenden günstiges Ende zu produzieren, verschiedene Lesemomente können dieses Ende jedoch als weit fragiler erscheinen lassen, als von der traditionellen Textanalyse angenommen wird“, denn „sie vermögen [...] nicht das ge- samte Textgewebe zu umfassen“ (Fiske 2001: 129).
Kulturelle Güter finden nur Verbreitung und somit ökonomischen Erfolg, wenn die Publika6 mit diesen Texten etwas anzufangen wissen und sie als adäquate Grundlage zur Verarbeitung ihrer eigenen individuellen sozialen Erfahrungen akzeptieren. Voraussetzung für Popularität ist hierbei die Integration von „Widersprüchen, Lücken und Spuren von Gegen-Ideologien“
(Fiske 2001: 129) um Beliebtheit bei einer Vielfalt von Publika zu erzeugen. Hierdurch wird ein instabiles Gleichgewicht zwischen dominanter Ideologie und Momenten des vielfältigen Widerstands geschaffen (vgl. Fiske 2001: 129). Eine detailliertere Betrachtung der Strukturen populärer Texte, die eine individuelle Sinnproduktion und Widerstand gegen die herrschende Ideologie ermöglichen, soll im Folgenden durchgeführt werden.
2.1.2 Die Struktur populärer Texte
Die Populärkultur besteht maßgeblich aus dem Konsum und der Rezeption von „producerly texts“, jedoch auch aus den durch diese Texte initiierten Sinnproduktionen und -zirkulationen.
Diese „producerly texts“ zeichnen sich zum einen durch eine sehr leichte Zugänglichkeit aus, bei der nicht viel Aufwand und Vorwissen für den Konsum eingefordert wird. Zum anderen ist ebenso auch eine Offenheit des Textes relevant, die es dem Konsumierenden erlaubt, den In- halt des Textes bezüglich verschiedener, vom Text nicht festlegbarer Aspekte zu betrachten und hierdurch spezifisch Sinn zu produzieren. Diese Kombination ist Voraussetzung für die Massentauglichkeit eines Textes als „popular text“ (vgl. Fiske 1989a: 104), deren Kriterien sich zudem auf die vier Kategorien Sprache, Exzess, Widersprüchlichkeit bzw. Komplexität sowie Intertextualität beziehen lassen (vgl. Fiske 1989a: 106-127), die nun skizziert und für das Verständnis der Populärkultur herausgearbeitet werden.
Populäre Texte werden nach Fiske sehr häufig für ihren Gebrauch, oder besser gesagt Miss- brauch der Sprache kritisiert (vgl. Fiske 1989a: 106), denn populäre Texte orientieren sich vornehmlich an der gesprochenen, alltäglichen Sprache. So finden häufig Wortspiele, um- gangssprachliche Ausdrücke und veränderte Schreibweisen von Wörtern Einzug in diese Tex- te, weshalb sie im Widerspruch zu einem korrekten Gebrauch der Sprache stehen. Gründe für die Beliebtheit z.B. von Wortspielen liegen darin, dass durch eine implizierte vulgäre Bedeu-
6 Aufgrund einer Vielzahl an möglichen Sinnproduktionen kann nicht länger von einem Publikum im Singular gesprochen werden, welches ein einheitliches Konglomerat an produzierten Bedeutungen impliziert (vgl. Fiske
tung soziale Unterschiede relativiert werden können: Durch eine Verweigerung der linguisti- schen Disziplinierung kann die vulgäre Bedeutung als zutreffender und damit mächtiger als die offizielle Bedeutung der Wörter gesehen werden. Jedoch liegt das Vergnügen nicht nur in der linguistischen Verkleinerung von sozialen Beziehungen, sondern zudem auch in der Um- kehrung der Machtverhältnisse, die diese strukturieren. Der Leseprozess der geschriebenen Sprache findet zum Beispiel nach festen und durch soziale Autoritäten antrainierten Regeln statt7, wodurch eine Unterordnung des Lesenden unter die herrschenden Regelsysteme ent- steht (vgl. Fiske 1989a: 108). Das Lesen populärer Texte benötigt hingegen eine gesprochene Kultur, die sich entgegen der offiziellen skriptartigen Sprache oder über sie hinaus entwickelt hat, und ihrer Disziplinierung entgegensteht.
Populäre Kultur tendiert zum Exzess, zur Übertreibung des Normalen, wodurch sie oft als vulgär, melodramatisch, oberflächlich und aufsehenerregend angeprangert wird (vgl. Fiske 1989a: 114). Doch nur aufgrund der Übertreibung und Überschreitung von Normen und ei- nem extremen Klischieren kann deren Unsichtbarkeit und Status als „natural common sense”
aufgelöst werden. Hierdurch werden die Normen von ihrer ideologischen Kontrolle befreit und die dominante Ideologie demystifiziert. Dies ist notwendig, um ihr Widerstand entgegen zu bringen oder sie umformen zu können, denn übertriebene Klischees können dazu beitra- gen, die Kluft zwischen Ideologie und der alltäglichen Erfahrung zu enthüllen (vgl. Fiske 1989a: 114f. 118f.): „Far from being a hegemonic agent with an effectiveness close to that of brain-washing, the cliche often exposes [...] the extent of the compromises that have to be made to accommodate it with everyday life” (Fiske 1989a: 120). Aus diesem Kontrollverlust entsteht Fiske zu Folge wiederum Popularität, da es Vergnügen bereitet, die dominanten Er- klärungsversuche scheitern zu sehen.
Populäre Kultur ist komplex, birgt seine Komplexität jedoch im Gegensatz zu hochkulturellen Gütern nicht in seiner Fabrikation, sondern im Lesen des eher einfach geschriebenen Textes.
Populäre Texte sind nicht detailliert, sondern eher skizzenhaft ausgearbeitet und dabei durch- setzt mit durch die Autorenschaft unkontrollierbaren Widersprüchlichkeiten (vgl. Fiske 1989a:
104, 120). Hierdurch bietet sich der Text selbst der produktiven Lesart an, da die Be- schränkungen, Schwächen und Angriffsflächen der Ideologie sichtbar werden. Durch diese Skizzenhaftigkeit und die Ablehnung von fein ausgearbeiteten Unterscheidungen liegt die Verantwortung der vielseitig möglichen Sinnproduktion beim Lesenden (vgl. Fiske 1989a:
7 De Certeau nennt das antrainierte Verstehen der geschriebenen Sprache Entzifferung („decipherment”) in Kontrastierung zum Lesen („reading”) der alltäglichen gesprochenen Sprache (1984).
122f.).
Aufgrund der eben schon beschriebenen fehlenden textlichen Komplexität populärer Texte und die unabdingbare Sinnproduktion durch den Lesenden gewinnt die Intertextualität eines Textes an Bedeutung. Die Sinnproduktion kann nur durch den Einbezug anderer kultureller Produkte und Texte geschehen. Der Untersuchungsgegenstand muss somit über den Text und der Auffassung dessen als ein statisches Objekt, das eine feste Bedeutung in sich trägt, hinaus- gehen. Stattdessen muss man bei einer Betrachtung ebenso alltägliche Diskurse und gesell- schaftlich relevante Themen mit einbeziehen. Dazu gehören unter anderem auch die kommer- ziellen Distributionsmethoden der Güter, ihre Relevanz in der Presse und den Medien als auch aktuelle gesellschaftliche Streitthemen abseits der eigentlichen Texte. Der Text wird hierdurch vielmehr als Agent und als Ressource der Bedeutungsproduktion und -zirkulation betrachtet, die auf unterschiedlichen Zirkulationsebenen geschehen kann (vgl. Fiske 1989a: 124). Der einzige Zugang, mit dem es möglich ist, eine Populärkultur zu erfassen, kann somit nur ein in- tertextueller sein.
Im vorangehenden Abschnitt ist deutlich geworden, dass sich die Cultural Studies anhand ih- rer Auffassungen von Texten bezüglich einer Konzentration auf den semantischen und semio- tischen Gehalt von der Auffassung klassischer Textanalysen distanzieren. Es wird davon aus- gegangen, dass ein Text nicht eine feste und einzig wahre Bedeutung in sich trägt, die sich durch ein aufwändiges und streng kontrolliertes hermeneutisches Verfahren für alle Zeit und jede Situation herausfinden lässt. Vielmehr herrscht die Einstellung vor, dass Texte jeweils un- terschiedlich und kontextabhängig immer wieder erneut betrachtet werden sollten. Hierbei sollte die Variabilität dieser Sinnproduktionen bedacht werden, die unter anderem von den Po- sitionen und alltäglichen Erfahrungen des Lesenden, aber zudem auch von zusätzlich initiier- ten Texten und deren Sinnproduktionen beeinflusst werden und abhängig sind.
2.1.3 Phantasie, Widerstand und sozialer Wandel
Soeben wurde dargelegt, dass sich die Lesarten der populären Texte je nach sozialem, kultu- rellen oder zeitlichen Kontext ändern können. Darüber hinaus – entgegen der von der Frank- furter Schule vertretenen Auffassung eines vor allem konservativen Einflusses der Medien auf die soziale Wirklichkeit – erkennen die Cultural Studies durchaus das Potential für sozialen Wandel gerade aufgrund und nicht nur trotz populärer Güter. So stellt sich die Frage, welche Auswirkungen populäre Sinnproduktionen und -rezeptionen auf Diskursformationen und mi- kro- als auch makropolitische Aspekte einer Gesellschaft haben können und damit eventuell
zu sozialem Wandel führen. Statt die populäre Kultur nur als Unterhaltung zu sehen, deren Einfluss sich lediglich auf die Vorstellungskraft und Phantasie der Konsumierenden be- schränkt, ergibt sich durch die Cultural Studies eine durchaus interessante Sichtweise auf die Prozesse der gesellschaftlichen Veränderungen.
Populäre Kultur kann niemals allein einen revolutionären Umbruch herbeirufen, da eine Re- volution nicht nur auf der Ebene von Repräsentation und Symbolsystemen operiert und diese Ebene allein keine revolutionären Voraussetzungen erzeugen kann. Jedoch ist auf die Bedeu- tung der Medien und Populärkultur und deren aktive Rolle innerhalb einer Situation der Krise und der radikalen Veränderung zur Unterstützung dieser Bewegungen hinzuweisen (vgl. Fiske 1989b: 188). Auch wenn der Konsum der kulturellen Waren auf den ersten Blick lediglich Einflüsse auf die Phantasie und die Vorstellungskraft der Konsumierenden zu haben scheint, sollte das Potential progressiven Wandels der Machtstrukturen – unter anderem aufgrund ei- nes Wandels von Diskursen und deren Formationen – nicht unterschätzt werden, denn „die Vertraulichkeit und Intimität hindern sie nicht daran, ebenso nachdrücklich auf die Bedeutung der sozialen Erfahrung einzuwirken wie die öffentlicheren Repräsentationen der Sprache und der Medien” (Fiske 2001: 124). Hierbei macht es keinen Sinn, einen analytischen Unterschied zwischen dem Sozialen und dem Innerlichen zu machen, denn „es kann keinen sozialen oder kollektiven Widerstand geben, der unabhängig von einem ‚inneren‘ Widerstand existiert, auch wenn dieser abwertend als ‚Phantasie‘ bezeichnet wird“ (Fiske 2001: 125). Diese Phantasie stellt dadurch die kleinste mögliche Einheit der Mikropolitik dar, die dennoch sowohl auf Mikro- als auch auf Makropolitik und die Ausgestaltung von Diskursen Einfluss nehmen kann, da diese eine unerlässliche Voraussetzung für die Umsetzung gesellschaftlicher Veränderungen ist: „It is difficult to conceive of a movement for social change that does not depend on peoples' ability to think of themselves and their social relations in ways that differ from those preferred by the dominant ideology” (vgl. Fiske 1989b: 190). Eine solche Phantasie stellt somit keine Flucht vor der Wirklichkeit dar, „sondern vielmehr eine direkte Reaktion auf die dominante Ideologie und wie sich diese in den sozialen Relationen ausdrückt“ (Fiske 2001: 125). Demnach liegt der Nutzen der populären Kultur gerade darin, das Bewusstsein für gesellschaftliche Unterschiede zu erhalten und zu erzeugen, denn „under certain historical and social conditions this submerged consciousness can break through the surface into visible political action“ (Fiske 1989b: 159). Dabei kann eine Neuverteilung der Macht zu Gunsten der populären Massen realisiert werden (vgl. Fiske 1989b: 161). Die Populärkultur selbst muss jedoch als konstanter, andauernder Prozess betrachtet werden, mit
dem die „bottom-up-power” beständig versucht Machtungleichverteilungen abzuschwächen und die Selbstwertschätzung und das Identitätsgefühl der „Leute“ zu bewahren (vgl. Fiske 1989b: 188).
2.1.4 Zusammenfassung und wissenschaftliche Folgerungen
Im Folgenden werden noch einmal die zentralen Punkte der obigen Argumentation zusam- mengefasst, um schließlich Konsequenzen für eine Betrachtung des Filmes Pippi Langstrumpf im Sinne der Cultural Studies erfassen zu können. So wurde dargelegt, dass es dem Begriff der Massenkultur nicht möglich ist, die Pluralität der Identitäten und der Bedeu- tungsproduktionen auf Grundlage der kulturellen Güter zu erfassen. Stattdessen wird der Be- griff der Populärkultur vorgezogen, der die Deutungsvielfalt und die Machtposition der Kon- sumierenden in der kulturellen Ökonomie erkennt. Hierbei reflektiert der Begriff, dass durch die Akzeptanz nur weniger Güter eine Erfordernis entsteht Güter zu produzieren, die den so- zialen Erlebnissen der Konsumierenden gerecht werden. Außerdem wird hierdurch die Mög- lichkeit der Kritik und des Widerstands bewusst einbezogen und die Rückkopplung der Popu- larität eines Produkts an die finanzielle Ökonomie vergegenwärtigt. Eine Betrachtung der Konsumierenden als passive „Kulturtrottel“, die die Ideologien der Güter unreflektiert inter- nalisieren, wird somit dementiert. Stattdessen wird hierbei der jedoch nur eingeschränkte Spielraum der Sinnproduktion, durch die in den Texten stets vorherrschende Ideologie, er- kannt und bedacht. Außerdem wurde herausgearbeitet, welche Elemente eines populären Tex- tes eine solche der Ideologie und dem System kritisch gegenüberstehende Lesart begünstigen.
So ist der Gebrauch einer alltäglichen Sprache, eine Übertreibung von Normen und Klischees und eine Lückenhaftigkeit und Widersprüchlichkeit der Texte von großer Bedeutung, um pro- duktives Lesen zu begünstigen. Außerdem ist es wichtig, dass diese Texte eingebettet in eine ganze Reihe von anderen Texten zirkulieren und ihre Bedeutungen nur im Kontext dieser her- vorgehen können.
Die Bedeutung dieser Sichtweise auf die Populärkultur wurde daraufhin, anhand der Möglich- keiten zur Veränderung der sozialen Wirklichkeit und des sozialen Wandels betrachtet. Hier- bei wurde der Vorwurf des Eskapismus der Frankfurter Schule, aufgrund einer ausschließlich inneren Einflussnahme der Kulturindustrie auf die Phantasie und einer pessimistischen Schlussfolgerung dieser Wirkungsweise bestritten. Selbst die Phantasie weist sozialpolitische Relevanz auf, da es keine Veränderung der sozialen Wirklichkeit geben kann, ohne dass sich die Akteure selbst in einer anderen Position, in einer anderen Sozialordnung vorstellen kön-
nen. Diese Vorstellungskraft kann somit eine progressive Veränderung der sozialen Wirklich- keit auf mikro- und makropolitischer Ebene unterstützen. Für die Wissenschaft ist es deshalb relevant, diese Veränderungspotentiale, begünstigt durch die Lesart von populären Texten, in Erfahrung zu bringen. Selbst wenn dies nur retrospektiv möglich ist.
Es wird Zeit, so Fiske, dass die Veränderungs- und Entwicklungspotentiale für die Gesell- schaft aufgrund populärer Kräfte nicht länger unterschätzt werden. Die alltäglichen Praktiken innerhalb und entgegen des dominanten Systems sind gesellschaftlich als auch wissenschaft- lich relevant. Ebenso ist es notwendig, die Beschaffenheit des Widerstands, und die Ver- knüpfungen zwischen innerem und sozialpolitisch organisiertem Widerstand zu erkennen, da bisher diesbezüglich nur wenige Erkenntnisse vorhanden sind (vgl. Fiske 1989b: 188f.). Die rein textliche Analyse kann hierbei zwar die möglichen populären Potentiale ausfindig ma- chen, jedoch nur Spekulationen darüber aufstellen, ob diese auch wirklich realisiert werden.
Deshalb ist es notwendig, auch ethnografische Analysen der Verwendungen dieser Texte an- zustellen um in Retrospektive herauszufinden zu können, unter welchen Bedingungen und auf welche Weise diese Potentiale verwirklicht wurden bzw. werden konnten.
Zusammenfassend für die Forschung ist festzustellen, dass aufgrund der Kombination von Zugänglichkeit und Offenheit der für die Populärkultur zentralen „producerly texts“ ein dop- pelter Analysefokus notwendig ist, bei dem einerseits die in einem Text enthaltene Tiefen- struktur und deren Potentiale zu analysieren sind. Zusätzlich sind jedoch andererseits auch die Lesarten des Textes relevante Betrachtungsgegenstände, die bisher nicht genügend in der Wis- senschaft berücksichtigt wurden (vgl. Fiske 1989a: 105). Hierbei geht es darum, wie Men- schen mit dem herrschenden System umgehen und wie aus den ihnen gegebenen Ressourcen eine populäre Kultur erzeugt wird. Dieser doppelte Analysefokus erfordert somit eine Auseinandersetzung vor allem mit den Widersprüchlichkeiten und den unkontrollierbaren Bedeutungen eines Textes. Hierbei muss immer gefragt werden, „what it is within them that has attracted popular approval?” (Fiske 1989a: 105).
Es lässt sich somit schlussfolgern, dass vor allem die populären Güter gesellschaftliche Rele- vanz besitzen und diese nicht länger als unterkomplex und banalisierend betrachtet werden dürfen. Stattdessen können diese Produkte erhebliche Erkenntnispotentiale in Bezug auf die bestehenden Alltagspraxen der Leute hinsichtlich der herrschenden Ideologie erfassen und selbst zu einem Wandel der Verhältnisse beitragen.
2.1.5 Die Cultural Studies und Pippi Langstrumpf
Mit der Sichtweise der Cultural Studies eröffnen sich zahlreiche Erkenntnispotentiale für die Betrachtung von Pippi Langstrumpf. Neben der klassischen Filmanalyse, die im nächsten Ab- schnitt noch ausführlicher behandelt wird, lässt sich durch das Verständnis der Populärkultur auch der Wandel von Diskursformationen verstehen. Hierbei betrachtet man den Film selbst als einen durch das Buch erst initiierten Text, der andere thematische Schwerpunkte legt.
Durch dessen eigene Lesart des Buches kann ein Wandel der gesellschaftlich relevanten The- men und Probleme, sowie geschätzte Werte und Normen aufgezeigt werden. So kann eine Analyse dieses einzelnen populären Textes im Zeitverlauf einen Wandel von Diskursformatio- nen illustrieren und Kulturgeschichte nachzeichnen. Die Art und Weise, wie der Film diese Themen anspricht, beeinflusst maßgeblich die potentiellen Sinnproduktionen und -zirkulatio- nen, die hierdurch entstehen können. Um diese potentiellen thematischen Schwerpunkte aus- findig zu machen, innerhalb derer Sinn produziert werden kann, ist die klassische Text- bzw.
Filmanalyse weiterhin ein essentieller Anteil der Analyse. Jedoch wird dieser Fokus durch das Verständnis der Cultural Studies erweitert: So müssen in deren Sinne auch die Möglichkeiten der Bedeutungsproduktionen betrachtet werden, die sich gerade nicht direkt im Text artikulie- ren, sondern sich aufgrund der Verarbeitung populärer Textelemente dem produktiven und da- mit populären Lesen öffnen. Es gilt somit auch auf die Sprachwahl und Überzeichnung bzw.
auf Widersprüchlichkeiten und Lücken zu achten, die Ausgangspunkte für Sinnproduktionen sind. Da diese sich jedoch je nach Situation und Zeitpunkt anders gestalten, sind zeit- und situationsspezifische Diskursformationen und Themen gesellschaftlicher Aufmerksamkeit für das Verständnis der Popularität und der spezifischen Sinnzirkulation des Textes hilfreich.
Ebenso geben Analysen der jeweiligen Rezensionen Aufschluss darüber, welche Bedeutungen produziert wurden und ob diese den Ergebnissen der klassischen Analyse entsprechen oder widersprechen. Anhand der so identifizierten unterschiedlich produzierten Bedeutungen las- sen sich thematische Schwerpunkte und der Einfluss anderer aktueller Diskurse auf die Sinn- produktion nachzeichnen, die Aufschluss über die jeweils aktuelle gesellschaftliche Situation geben können.
2.2 Filmanalyse nach Faulstich
Methodisch gesehen legen sich die Vertreter der Cultural Studies nicht fest. Ihr Anliegen kon- zentriert sich vielmehr darauf, die bisher wenig betrachteten alltags- und populärkulturellen
Prozesse in die kulturwissenschaftliche Betrachtung zu integrieren. Die methodische Vor- gehensweise selbst ist jedoch dem Untersuchungsgegenstand individuell anzupassen. Das ge- samte Repertoire der qualitativen, jedoch auch teilweise der quantitativen Datenerhebung und -analyse kann deshalb soweit sinnvoll genutzt und verwendet werden. Das methodische Vor- gehen, das sich für eine Betrachtung der kulturellen Formen der hier betrachteten Verfilmung anbietet, wird im Folgenden erarbeitet.
Bei der Verfilmung von Pippi Langstrumpf aus dem Jahr 1969 handelt es sich dem Textver- ständnis der Cultural Studies folgend nicht um ein Duplikat des Kinderbuchs aus dem Jahr 1949, sondern um eine eigenständige Lesart dessen. Diese Lesart kann wiederum selbst un- zählige verschiedene Lesearten bei den Konsumierenden hervorrufen. Jedoch sind die Mög- lichkeiten dieser Sinnproduktionen nicht unbegrenzt und so ist durch die Machart des Filmes ein gewisses Repertoire an möglichen und begünstigten Lesarten festgelegt (vgl. Fiske 129;
1989b: 168). Dieses Repertoire der begünstigten Sinnproduktionen gilt es mit Hilfe der syste- matischen Filmanalyse ausfindig zu machen, die im Folgenden nach Werner Faulstich skiz- ziert wird. Anschließend lässt sich dann unter Einbezug anderer Texte aus unterschiedlichen Zirkulationsebenen die kontext- und zeitabhängigen Sinnzirkulationen innerhalb der Gesell- schaft nachzeichnen.
Um die kulturellen Formen der Villa Kunterbunt, also das unkonventionelle Zuhause und die Lebenswelt der Pippi Langstrumpf, erkennen zu können, sollen exemplarisch zentrale und kontroverse Szenen des Films von 1969 auf unterschiedliche systematische Aspekte hin unter- sucht werden. Schwerpunktmäßig werden hierbei folgende Fragen geklärt: (1) Was geschieht?
(Handlungsanalyse); (2) Welche Charaktere spielen eine Rolle? (Figurenanalyse); (3) Welche Bauformen des Erzählens stehen im Vordergrund? (Bauformanalyse). Der letzte Schritt (4) dient der Beleuchtung der Frage nach dem Wozu? Welche Normen, Werte und Ideologien werden dadurch transportiert? (vgl. Faulstich 2008: 27). Die Methoden dieser vier Schritte werden knapp dargestellt um im Anschluss das eigene methodische Vorgehen daraus zu ent- wickeln.
Mit Hilfe der Handlungsanalyse wird zuerst durch ein Sequenzprotokoll die inhaltliche Kon- struktion des Filmes in einzelne Abschnitte eingeteilt (Faulstich 2008: 76, 83), Dialoge tran- skribiert (Faulstich 2008: 71) und falls sinnvoll, Anzahl, Dauer und Kombinationen der Ein- stellungen vermerkt (Faulstich 2008: 70). Gleichzeitig werden sowohl inhaltliche Bezüge auf- grund des Aufbaus der Storyline nachgezeichnet, als auch subjektive Eindrücke beim Film- konsum protokolliert (vgl. Faulstich 2008: 63). Hierdurch kann deutlich gemacht werden,
welche Logiken und Argumentationsstrategien durch die inhaltliche Abfolge, als auch durch intra- und intertextuelle Bezüge hergestellt werden. Besonderer Fokus soll hierbei auf den An- fangsszenen liegen, mit Hilfe derer die gesamte Handlung des Filmes inhaltlich gerahmt und die zentralen, im Film behandelten Themen eingeführt werden. Um diese mit Hilfe der Hand- lungsanalyse zu rekonstruieren ist deshalb stets relevant, welche Themen, welche Inhalte und welche Konflikte zuvor und direkt im Anschluss behandelt werden. Außerdem gilt es zu un- tersuchen, auf welche Weise diese Themen behandelt werden, wie Dialoge sprachlich, inhalt- lich und im Hinblick auf Turn-Taking8 gegliedert sind, sowie Bezüge und Wertungen herge- stellt werden.
Mit Hilfe einer Figurenanalyse wird eine Charakterisierung der Hauptfiguren anhand der Dinge, die sie tun, sagen oder mit ihnen in Verbindung gebracht werden, durchgeführt. Hier- bei wird vor allem darauf geachtet, nach welchen typischen Rollen und sozialen Verhaltens- schemata entsprechend die Protagonisten agieren. Eine Modifikation oder Kritik der Rollen und Verhaltensschemata ist vor allem bei Hauptfiguren relevant (vgl. Faulstich 2008: 98f.).
Hierbei sind vor allem die Charakterisierungen beim ersten Auftritt der Protagonisten auf- schlussreich; sie lassen sich in drei Typen einteilen (vgl. Faulstich 2008: 100-103): (1) die Selbstcharakterisierung durch das eigene Handeln, ihre Mimik, Gestik, Stimme, Sprache, Kleidung, etc.; (2) die Fremdcharakterisierung durch Kontrastierungen mit einer anderen Fi- gur des Films, als auch (3) die Erzählercharakterisierung, die vor allem durch Bauformen des Erzählens durchgeführt werden. Solche Bauformen können Einstellungsgröße und -perspekti- ve, Musik, Beleuchtung, etc. sein, sich jedoch vor allem auch durch das Setting, die Situie- rung einer Figur innerhalb der Gesellschaft (anhand von Kategorien wie Geschlecht, Alter, Beruf, Schicht, Ort, Milieu, etc.) ausdrücken. Je nach Charakterisierung der Protagonisten können Bedeutungen gezeigter Situationen massiv variieren und unterschiedliche Bezüge her- gestellt werden.
Eine Analyse der Bauformen betrachtet explizit Faktoren der Einstellungsgrößen, der Per- spektiven, der Einstellungslängen als auch der Kamerabewegungen und Bildmontagen, die die Wahrnehmung der Szenen beeinflussen. Eine Einteilung der Einstellungsgrößen wird übli- cherweise in die Kategorien Detailaufnahmen, Großaufnahmen, Nahaufnahmen, Amerikani- sche Einstellungen, Halbnahaufnahmen, Halbtotalen, Totalen und Weitaufnahmen vorgenom- men (vgl. Faulstich 2008: 115-121). Für diese Arbeit ist jedoch vor allem eine Unterscheidung der nahen Aufnahmen und der Aufnahmen mit einer Möglichkeit des Abstands und des
Überblicks relevant, da zum Beispiel durch eine Nahaufnahme sowohl Sympathie, als auch Antipathie erzeugt werden können, denn Gefühlsregungen und Emotionen sind besser erkennbar; man kann sich leichter mit der gezeigten Person und ihrer Situation identifizieren.
Ebenso kann aber bei einer extremen Detailaufnahme diese Nähe abstoßend und unangenehm empfunden werden und z.B. bei einer häufigen Schnittfolge oder einer bewegten Kamera Unsicherheit und Orientierungslosigkeit erzeugt werden. Eine weite Einstellung hingegen ermöglicht es dem Zuschauer auch Nebenhandlungen und Interaktionskonstellationen zu beobachten oder den Überblick über das Setting zu bewahren. Sie kann aber auch Distanz zum Geschehen und den dargestellten Inhalten erzeugen.
Mit Hilfe der Einstellungsperspektive lässt sich häufig eine Veränderung im Verhältnis von Fi- guren untereinander, jedoch auch im Verhältnis zum Zuschauer und seiner Betrachtungsweise der Protagonisten nachvollziehen. Hierbei lassen sich fünf typische Kategorien bilden: Extre- me Untersicht, Bauchsicht, Normalsicht, Aufsicht und extreme Aufsicht (vgl. Faulstich 2008:
121). Da es sich bei dem zu untersuchenden Material um einen Kinderfilm handelt, ist eine Adaption der Kategorien Bauchsicht und Normalsicht notwendig, da sich eine Normalsicht ei- nes Erwachsenen von der eines Kindes unterscheidet. Filmanalytisch ist nun relevant, ob in den gezeigten Szenen die Perspektive von Kindern oder die von Erwachsenen eingenommen wird. Auch die jeweilige Umsetzung der Perspektive von Erwachsenen auf Kinder und umge- kehrt liefert der Analyse wichtige Hinweise, da hierdurch Hierarchie-, Macht- und Wertschät- zungsverhältnisse zum Ausdruck gebracht werden können. Ein besonderer Fall der Perspekti- vität ist die sogenannte subjektive Kamera. Hierbei wird eine Einstellung aus exakt der Sicht eines Protagonisten gefilmt, wodurch dem Zuschauer die Perspektive eines Protagonisten als seine eigene aufgezwungen wird. Hierbei können Parteilichkeit und Identifikationspotentiale des Zuschauers stimuliert werden (vgl. Faulstich 2008: 123). Unterstützt werden diese Bau- formen durch weitere Methoden der Rezeptionssteuerung und Emotionalisierung mithilfe von Dialogen, musikalischer Untermalung und allgemein von Geräuschen, aber auch der Raum- aufteilungen (Vorder-, Mittel- und Hintergrund) und der Beleuchtungsverhältnisse der Szenen und Sequenzen, die es ebenfalls zu betrachten gilt (vgl. Faulstich 2008: 133-151).
In den Medienwissenschaften gibt es unterschiedliche Ansatzpunkte der Filminterpretation. In dieser Arbeit ist jedoch vor allem die soziologische und zu Teilen die genrespezifische Filmin- terpretation relevant, auf die nun kurz eingegangen wird. Bei der soziologischen Filminterpre- tation geht man davon aus, dass sich die Bedeutung von Filmen nur in Bezug auf die zeitglei- chen gesellschaftlichen Phänomene erschließen lässt. Ihre Handlung und Erlebnisstruktur re-
kurrieren auf zeittypischen wichtigen Ereignissen und Diskursen, wobei in deren Thematisie- rung möglicherweise eine Funktion der Parteilichkeit gesellschaftlicher Problemfragen ver- folgt wird (vgl. Faulstich 2008: 195f.): „Die soziologische Filmanalyse kann hier zu einem Teil von Kulturgeschichte werden“ (Faulstich 2008: 200).
Die genrespezifische Filminterpretation achtet hingegen besonders auf die Konventionen und regulativen Prinzipien eines Genres und dessen historische Abfolge. Hierbei fragt sie stets nach drei Aspekten: (1) Was sind die verarbeiteten Konstanten des Genres? (2) Was sind die variablen Elemente des Genres in seiner historischen Entwicklung? (3) Und welche gesell- schaftlichen Gründe für die Variation und dem genre-internen ästhetischen Wandel können an- geführt werden? (vgl. Faulstich 2008: 200f.). Ziel ist es somit, Verweise auf genretypische Aspekte und damit verbundene Bedeutungszusammenhänge zu rekonstruieren. Ein Film muss hierbei sowohl innerhalb der Filmgeschichte als auch der Gesamtgeschichte der Gesellschaft betrachtet werden (vgl. Faulstich 2008: 200).
Für den Film Pippi Langstrumpf bedeutet dies, dass zunächst ein Reaktionsprotokoll des Fil- mes angefertigt wurde, um anschließend erste inhaltliche und ideologische Auffälligkeiten zu identifizieren. Anschließend wurden die Einführungs- und ersten Handlungsszenen des Filmes transkribiert und nach Kriterien der Bauform (Einstellungsgröße, Einstellungsperspektive) und Auffälligkeiten der Bildkomposition (Anordnung, Personenkonstellation, besondere ge- zeigte Objekte) und Stimmung durch Lichtverhältnisse, Musik etc. kodiert und Zeitvermerke gesetzt9. Außerdem wurde hierbei auf Charakterisierungsmomente der Hauptfiguren geachtet, die sich unter anderem durch Sprache, Aussagen, Kleidung, Bildaufbau, musikalische Unter- malung und thematische Einbeziehung in das Geschehen ergeben. Die Kameraführung, Per- spektiven und Schnittfolgen aber auch strukturelle Stilmittel, wie die Integration einer subjek- tiven Kamera, wurden vermerkt und anschließend versucht, diese mit der inhaltlichen Ebene der Szenen in Verbindung zu bringen. Um Besonderheiten erkennen zu können, wurden Mo- detrends und zeittypisches Filmmaterial, aber auch die Umsetzung der Handlung im ursprüng- lichen Buch in die Analyse mit einbezogen. Außerdem wurden Rezensionen und Pressestim- men bezüglich dieses Films aus unterschiedlichen Jahrzehnten herangezogen, um einen Bezug zu jeweils aktuellen Diskursen andeuten zu können. Die Ergebnisse dieser Analyse werden im nächsten Abschnitt dargestellt und erläutert.
3. Untersuchung des Materials
Astrid Lindgren veröffentlichte 1945 in Schweden den ersten Band des Buches Pippi Langstrumpf, das 1949 schließlich auch in deutschen Buchhandlungen erschien. Dieses Buch stellt die literarische Grundlage für den 196910 erneut verfilmten Film namens Pippi Langstrumpf dar. Auf Basis dieses Bandes und der beiden Fortsetzungen wurden anschließend noch drei weitere Filme gedreht.
In dem hier näher betrachteten Film von 1969 zieht Pippi Langstrumpf, ein ungewöhnliches und übermäßig starkes Kind ohne Eltern, allein mit einem Affen namens Herr Nilsson und ei- nem Pferd in die Villa Kunterbunt ein. Sie und die Nachbarskinder Annika und Tommy freun- den sich sehr schnell an. Zusammen erfinden sie die ungewöhnlichsten Spiele und Geschich- ten, machen allerlei Unsinn und erleben einige Abenteuer. Doch weder das Fräulein Prysselius11, eine zentrale Erziehungsfigur im Dorf, noch die Dorfpolizisten Kling und Klang dulden diese Situation und versuchen Pippi in einem Kinderheim einzuquartieren. Pippi denkt jedoch nicht daran, die Villa Kunterbunt zu verlassen und wehrt sich erfolgreich gegen die Bemühungen der Erwachsenen. Diese schließen das ungewöhnliche Mädchen mit ihrer unge- trübten Lebensfreude und blühenden Phantasie letztlich doch ins Herz.
Zu Beginn der Analyse wird vor allem die Anfangssequenz des Filmes betrachtet, um durch die Art und Weise der Vorstellung der zentralen Figuren Charakterisierungen dieser vorneh- men zu können und die zentralen behandelten Themen des Filmes ausfindig zu machen, die für das weitere Geschehen des Filmes relevant sind. Diese primären Charaktere sind zum einen die Kinder Tommy, Annika und Pippi, zum anderen jedoch auch das Fräulein Prysselius und die Dorfpolizisten Kling und Klang, die im Konflikt mit den Kindern und der Lebenswelt der Villa Kunterbunt stehen. Hierbei wird neben der expliziten inhaltlichen Ebene außerdem auf verwendete Stilmittel der filmischen Erzählung geachtet und Besonderheiten der Bauform mit einbezogen und interpretiert. Anschließend werden diese Charakterisierungen an weiter- führenden Szenen überprüft und ergänzt, die sich vor allem durch die Interaktion der erwach-
10 Eine erste Verfilmung (Pippi Långstrump) entstand 1949, jedoch ist die Verbreitung dieses Filmes nur sehr eingeschränkt und der Film vor allem seit der neuen Verfilmung (eine deutsch-schwedische Produktion) aus dem Jahr 1969 fast nicht mehr zu beschaffen.
11 Über die Schreibweise des Charakters des Fräulein Prysselius gibt es uneinheitliche Informationen. Auch zu finden sind: Pryselius und Prüsselius; von Pippi hingegen wird sie Prusseliese genannt (auch Prüsseliese).
senen Charaktere mit den Kindern beschreiben lassen. Hierbei wird das Verhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen noch stärker beachtet, Diskurse herausgearbeitet und anschließend auf das aktuelle Zeitgeschehen Bezug genommen.
3.1 Die Anfangssequenz – die Vorstellung der zentralen Charaktere
Eine Charakterisierung der zentralen Figuren wird vor allem durch die Anfangsszenen durch- geführt, weshalb diese aus filmanalytischer Sicht äußerst wichtig sind und im Weiteren eine Betrachtung der vorgestellten Charaktere und relevanten Konfliktsituationen durchführt wird.
Zusammenfassen lässt sich diese Anfangssequenz von Pippi Langstrumpf wie folgt (vgl. Pippi Langstrumpf 1969: 00:00-0 – 05:43-0)12: Während des Vorspanns sieht man ein kleines Mäd- chen, mit roten, abstehenden Zöpfen und in einem kurzen Kleid, bunten Kniestrümpfen und viel zu großen Schuhen. Auf ihrer Schulter sitzt ein bekleidetes Äffchen und sie reitet auf ei- nem Pferd, das einen Lederkoffer um den Hals gebunden hat. Dieses Mädchen wird uns spä- ter als Pippi Langstrumpf vorgestellt und stellt die zentrale Hauptfigur des Filmes dar. Jedoch lernen wir zu Beginn noch nichts Näheres zu ihrer Person, denn die Handlung des Filmes be- ginnt nicht aus Sicht der Protagonistin. Stattdessen stellen die zukünftig mit Pippi befreunde- ten Geschwistern Annika und Tommy das Dorf, in dem sie wohnen, und die zentralen Charak- tere dieses Ortes vor. Wichtige Orte dabei sind das Haus, in dem Annika und Tommy wohnen, das leer stehende Nachbarhaus - bekannt als die Villa Kunterbunt - und einige kleine Geschäf- te des Ortes. Anschließend lernt der Zuschauer zuerst die beiden Dorfpolizisten Kling und Klang und deren Verpflichtung zu Ordnung und Sicherheit im Bezug auf die Gauner Donner- Karlsson und Blom kennen. Danach wird die Tante Prysselius mit Kindern tanzend auf einem Spielplatz gezeigt und ihre Sorge um alle Kinder des Ortes thematisiert. Kurze Zeit später hö- ren Tommy und Annika durch Zufall ein Gespräch mit, in dem sich Tante Prysselius bei den beiden Polizisten über ein Mädchen beschwert, das allein mit einem Affen und einem Pferd in die Villa Kunterbunt eingezogen sei und fordert die Ordnungshüter auf ihrer Pflicht nachzu- kommen und dies zu unterbinden. Daraufhin beschließen Tommy und Annika dieses Mädchen kennen zu lernen.
12 Im Folgenden wird bei dem Verweis auf Einstellungen des zu untersuchenden Film (Pippi Langstrumpf 1969) nur noch die Kurzform der Zitationsangaben in Form von „PL“ und den Minutenangaben in Form von
„mm:ss-z“ des Beginns der Einstellung angegeben werden (mit mm=min., ss=sek. und z= zehntel sek.)
3.1.1 Die Charakterisierung der Kinder
Nachdem die wichtigsten Charaktere nun vorgestellt und die Konfliktsituation umrissen wur- de – ein kleines Mädchen das unrechtmäßig alleine in der Villa Kunterbunt wohnt – soll nun diese Anfangsszene genauer untersucht werden. Es fällt zunächst auf, dass sich der Ablauf der Handlung essentiell von der literarischen Ausgangslage des Buches unterscheidet. Während im Film außer der bildlichen Vorstellung Pippis und der Nennung der Tatsache, dass sie allein in die Villa eingezogen ist, noch nichts Näheres zu diesem außergewöhnlichen Mädchen er- zählt wird, geht das Buch ausführlich auf ihre Lebenssituation, den Verbleib ihrer Eltern und ihre blühende kindliche Phantasie ein, ohne dass zuvor überhaupt ein weiterer Charakter in das Geschehen einbezogen wird (vgl. Lindgren 1996 [1949]: 7-44). Außerdem geht es im Buch hauptsächlich nur um die Abenteuer, die die Kinder erleben und die Spiele, die sie erfin- den, während andere Charaktere nur nebensächliche Rollen einnehmen. Was man jedoch zu Beginn des Filmes über die Kinder in Erfahrung bringen kann, beschränkt sich lediglich auf die Elternhäuser, beziehungsweise die Villa Kunterbunt, in die Pippi einziehen wird. Dies lässt jedoch mögliche Rückschlüsse auf die Erziehung und Prägung der Kinder zu. So ist das Elternhaus von Annika und Tommy ein gutbürgerliches, ordentlich gepflegtes Haus, was auf eine Erziehung entsprechend traditioneller Sekundärtugenden der Kinder hinweist, die ordent- lich gekleidet sind und pünktlich in die Schule gehen (vgl. PL: 00:59-7; 02:53-2). Die Villa Kunterbunt hingegen ist sehr heruntergekommen, verwildert und wirkt schon von der Grund- architektur sehr verwinkelt, chaotisch und wie ihr Name schon sagt, kunterbunt bemalt und kindlich (vgl. PL: 01:13-2). Es ist also anzunehmen, dass Pippi dementsprechend ein unkon- ventionelles Leben führt und führen wird: Sie hat die sonst üblichen Werte der Ordentlichkeit, Reinlichkeit und Regelhaftigkeit nicht in dem Maße verinnerlicht und lebt ohne die Fürsorge bezüglich dieser Werte, entsprechend ihrem neuen Zuhause.
Auffällig und neuartig ist außerdem, dass im gesamten Film vermehrt eine Differenzierung der Bauform zwischen der Perspektive der Erwachsenen und der Perspektive der Kinder durchgeführt wurde. Anders als bei anderen Filmen dieser Zeit – so zum Beispiel Flipper (1963) – wird bei Pippi Langstrumpf die Geschichte aus Sicht der Kinder erzählt und deren Lebenswelt als Maßstab für die Wertung der Situationen angelegt. Es geht nicht wie bisher üblich darum zu zeigen, „wie das Kind in die menschliche Gesellschaft und Gesittung hinein-
wächst oder hineingezwungen wird“ (Wendt: 1952, zitiert nach Pressemappe 2005: 15), also ein Idealbild eines gehorsamen und folgsamen Kindes zu zeigen, dass die Anweisungen der Erwachsenen und seiner Eltern respektiert und ausführt, sondern die kindliche Lebenswelt zu
„entfesseln“ und wertzuschätzen. Diese Erzählweise spiegelt sich ebenso in der Perspektive der Einstellungen wieder. So sind viele Situationen und vor allem die allerersten Einstellun- gen aus der Augenhöhe von Kindern gefilmt (vgl. u.a. PL: 00:59-7) und bieten dadurch erheb- liche Identifikationspotentiale für junge Zuschauer. Da jedoch die Charakterisierungsmomente bezüglich der Kinder im Vergleich zu den Erwachsenen Figuren nur sehr verkürzt und ledig- lich indirekt in den Anfangssequenzen zu erkennen sind, ist zu schlussfolgern, dass es nicht allein darum geht, die kindliche Lebenswelt zu präsentieren und die Lebensgeschichte eines außergewöhnlichen Kindes zu erzählen. Durch eine ausführliche und direkte Charakterisie- rung der anderen erwachsenen Figuren wird stattdessen eine andere Rahmung der Gesamt- handlung vorgenommen, die sich auch stark von der literarischen Grundlage des Buches un- terscheidet. Hierdurch erhalten die weiteren Personen eine grundlegendere Rolle für den wei- teren Handlungsverlauf und so ist zu vermuten, dass vor allem eine Konfrontation der unter- schiedlichen Lebenswelten von Kindern und Erwachsenen zum Thema gemacht wird. Um diese Rollen der Erwachsenen verstehen zu können, soll nun deren Präsentation in den An- fangssequenzen genauer betrachtet und analysiert sowie auf weitere zentrale Sequenzen des Filmes bezogen werden.
3.1.2 Die Charakterisierung der Polizisten
Die Vorstellung der beiden Polizisten Kling und Klang ist eine einzige lange, fast 20 Sekun- den andauernde Einstellung, bei der rein optisch nicht sonderlich viel passiert (vgl. PL: 01:54- 6). Die beiden Polizisten sitzen in einem offenen, alten, schwarzen Auto und fahren durch die Straßen, während die Stimme Annikas aus dem Off deren Funktion erklärt. Diese wird mit der Sorge um Ordnung und Sicherheit begründet und musikalisch von einer fanfarenartigen Trompetenmelodie untermalt, die einen eher militärischen, jedoch gegen Ende auch sehr ko- mödiantischen Eindruck erzeugt. Dieser Eindruck wird zudem mithilfe der direkt daran an- schließenden Einstellung verstärkt, die deren Fähigkeit für Ordnung zu sorgen in Frage stellt, da hierbei die beiden inhaftierten Gauner Donner-Karlsson und Blom gutgelaunt und ent- spannt bei einem Ausbruchsversuch porträtiert werden. Die Gauner charakterisieren die bei- den Polizisten währenddessen als nett und ergänzen, dass man einfach ausbrechen könne,
wenn es einem beim Sitzen langweilig werde (vgl. PL: 02:13-7). Schon von Anfang an wird somit die Inkompetenz dieser Ordnungsinstitution angedeutet, die in späteren Szenen durch den erfolgreichen Ausbruch während eines entspannten Streifgangs der Polizisten bestätigt wird (vgl. PL: 15:29-8; 15:45-9).
Betrachtet man die Einstellung genauer, fallen vor allem in Korrelation mit weiteren Szenen in denen Kling und Klang vorkommen, weitere Besonderheiten auf. So ist das Auto, in dem die beiden zu Beginn durch die Straßen fahren, essentiell für zahlreiche ihrer Szenen (vgl. PL:
03:33-8; 09:29-1; 14:43-6; etc.). Es ist nicht nur Fortbewegungsmittel, sondern allermeist Handlungsfokus der beiden. Besonders zu Beginn sind sie häufig damit beschäftigt das Auto funktionstüchtig zu machen, wodurch der Eindruck eines einfältigen KFZ-Mechanikers ent- stehen kann, jedoch auch die inadäquate Ausstattung der Polizei zur Durchführung ihrer Auf- gaben thematisiert wird. Dennoch scheint dies nicht der einzige Grund für den Einbezug des Autos zu sein. So ist vor allem auch das Auto selbst auffällig, das spätestens in den 1930ern statt dem Zeitpunkt der Dreharbeiten Ende der 60er Jahre zu verorten ist. Außerdem erinnert diese Szene an diverse, sehr bekannte Szenen aus den weltbekannten Sketchen von Laurel &
Hardy – im deutschsprachigen Raum besser als „Dick & Doof“ bekannt – in denen der bildtechnische Aufbau nahezu identisch ist. Es handelt sich um eine Nahaufnahme der beiden Protagonisten im Auto mit einer frontalen Perspektive auf Augenhöhe der Passagiere (vgl.
Laurel & Hardy 1932; 1933; 1934; u.a.). Auch in vielen anderen Szenen der Sketche von Laurel & Hardy nimmt dieses Fahrzeugmodell einen zentralen Bestandteil der Handlung ein und kann somit neben anderen Objekten als typisch für das Genre Slapstick gesehen werden.
Abb. 1: Kling und Klang (PL: 01:54-6) Abb. 2: Laurel & Hardy (1932) - Towed in a Hole
Abb. 3: Laurel & Hardy (1933) - Busy Bodies Abb. 4: Laurel & Hardy (1934) - Going Bye-Bye
Diese Annahme wird zudem durch die starke Nähe der Namensgebung dieser Rollen bestärkt, da „Kling und Klang“ durch eine starke Alliteration auch der von „Dick und Doof“ ähnelt und die Bezeichnungen ähnlich unterkomplex sind. Kling und Klang scheinen keine richtigen Namen zu sein, da die damit bezeichneten Personen nie mit „Herr Kling“ oder ähnlichem bezeichnet werden. Durch die Ähnlichkeit der Namen scheinen diese Rollen entindividualisiert zu sein, auch unterstützt durch die Tatsache, dass sie lediglich im Duo auftreten und nie eigenständig handeln.
Diese Imitation der Szene führt zu einer inhaltlichen Rahmung in Bezug auf zwei unter- schiedliche Aspekte: Einerseits begünstigt sie eine Lesart im Stile des Genres Slapstick, was zu einer Verspottung der beiden Autoritätspersonen führt, da diese zum Objekt der Erheiterung gemacht werden statt ihre Autorität und Kompetenz zu demonstrieren. Des Weiteren ist auffällig, dass sowohl das Modell des Autos als auch das Genre des Slapstick zu dem Zeitpunkt der Filmproduktion schon seine erfolgreichste Zeit längst überschritten hatten und somit Relikte vergangener Epochen sind, die unpassend für die aktuelle Situation zu sein scheinen. Es stellt sich nun weiterhin die Frage, weshalb diese Darstellungsform des Slapstick so zentral für diese Figuren gewählt wurde. Welche Lesart sollte damit begünstigt werden und welche Auswirkungen auf die Bedeutungszirkulation wird dadurch erzeugt? Um diese Fragen genauer zu betrachten wird im Folgenden die erste und sehr zentrale Konfrontation der Polizisten mit der Lebenswelt der Villa Kunterbunt betrachtet, die nähere Aufschlüsse über die Sichtweise in Bezug auf Ordnungsinstanzen, aber auch der Hierarchieverhältnisse zwischen Erwachsenen und Kindern allgemein bringt.
Die Konfrontation der Lebenswelten der Villa Kunterbunt und der Polizisten
Die hier näher betrachtete Sequenz (vgl. PL: 10:32-7 – 15:29-8) beginnt mit einer Konfronta- tion von Pippi und den Polizisten, die Tante Prysselius' Auftrag – Pippi in ein Kinderheim zu bringen – ausführen wollen. Da Pippi aber auf keinen Fall ins Kinderheim zu gehen gedenkt, spielt sie stattdessen mit den Polizisten Fangen. Zuerst versuchen die Polizisten, sie noch zur Vernunft zu bringen, und zu überzeugen, dass das Kinderheim ihr gut tun würde. Davon unbe- eindruckt klettert Pippi jedoch kurzer Hand aufs Dach, wodurch Kling und Klang dazu ge- bracht werden ihr umständlich und ungeschickt dorthin zu folgen um sie einzufangen und festzunehmen. Hierbei bringt Pippi die Polizisten an ihre körperlichen und autoritären Gren- zen, wodurch die Sequenz in einem Triumph des starken Kindes endet. Die Thematik der Konfrontation dieser unterschiedlichen Lebensweisen lässt sich in dieser fast fünfminütigen Sequenz vor allem durch einzelne zentrale Stellen erfassen und verstehen. Deswegen werden im Folgenden besonders die Stellen betrachtet, die eine Herausforderung der Autoritäten be- deuten und die Hierarchien zwischen Pippi und den Polizisten thematisieren. Diese werden vor allem in den beiden Leiterszenen behandelt, die schlussendlich zu Pippis Triumph führen.
Schon zu Beginn dieser Sequenz wird, durch die für die Polizisten übliche, sehr militärisch anmutende Melodie (vgl. PL: 10:32-7) und durch deren Auftreten allgemein, ein militärischer Charakter erzeugt, der jedoch in dieser Situation, einer Interaktion mit einem achtjährigen Mädchen, völlig unangemessen ist. So marschieren die beiden im Gleichschritt auf die Villa zu (vgl. PL: 10:39-9) und geben sich gegenseitig Befehle die mit einem forschen „Jawohl“
und Salutieren beantwortet werden (vgl. PL: 11:10-6; 11:56-0). Die Unangemessenheit dieses militärischen Auftretens wird zum einen durch die Verwendung des komödiantischen Teilmo- tivs zu Beginn der Sequenz, aber auch zum anderen durch eine schlechte Passung der Unifor- men unterstrichen. So sitzt die Uniform vor allem bei Kling nicht gut, da er viel zu groß für die zu kurzen Uniformhosen ist (vgl. PL: 11:10-6).
Ein weiteres auffälliges Element der Uniform ist der Schultergürtel der zur Befestigung des Schlagstocks dient. Diese Ausstattung ist bei neuzeitlichen Polizei- oder Militäruniformen un- üblich, jedoch ähnelt sie stark dem Traditionsanzug13 der paramilitärischen Parteipolizei der
13 Da im dritten Reich lediglich die Dienstkleidung des Militärs als „Uniform“ bezeichnet werden durfte, han- delt es sich zu Beginn lediglich um eine Bezeichnung der Dienstkleidung der SS als „Traditionsanzug“. Entspre-
NSDAP, genannt „Schutzstaffel“ oder kurz „SS“. Neben dem Schultergurt sind hierbei vor al- lem die Farbe und die Art des bei der „SS“ als Braunhemd bekannten Hemdes auffallend.
Durch eine kritische Verwendung dieses Uniformtypus für Polizisten in weiteren bekannten Filmen des Slapstick-Genres – vor allem des besonders bekannten Filmes The Great Dictator (1940) von Charles Chaplin – schließt die Darstellungsweise der Polizisten in Pippi Langstrumpf an deren Erzählform an. Bei The Great Dictator handelt es sich um eine Slapstick-Parodie auf Nazideutschland, bzw. dem Faschismus und Militarismus allgemein, in dem die Polizisten ebenfalls sehr militärisch, obrigkeitshörig und einfältig dargestellt werden.
Durch einen Anschluss an die Erzähltradition dieser Slapstick-Parodie und des Slapsticks ge- nerell, überträgt sich die Kritik dieses Filmes auch auf die Dorfpolizisten und die Organisation dieser militärisch organisierten Ordnungshüter bzw. deren Ähnlichkeit zu faschistischen Gruppierungen. Der Militarismus, die Obrigkeitshörigkeit und autoritäre Organisationsstruk- turen allgemein können demzufolge einerseits nur zum Scheitern verurteilt sein und müssen andererseits angesichts der Verbrechen des Holocaust kritisch hinterfragt werden. Während diese obrigkeitshörige, autoritäre und militärische Herangehensweise Klings und Klangs inef- fektiv und lächerlich ist, wird dies mit der Souveränität und Selbstsicherheit Pippis kontras- tiert, die sich von niemandem etwas vorschreiben lässt, die Welt mit ihren eigenen Augen ent- deckt, hinterfragt, frei handelt und dadurch die Situation zu bestimmen vermag.
Eine weitere Einstellung ist außerdem sehr zentral für das Verständnis der gesamten Se- quenz (vgl. PL: 11:05-7), bei der Pippi Langstrumpf im Hintergrund aber dennoch im Fokus des Auges zu sehen ist. Sie steht breitbeinig, mit in der Hüfte aufgestellten Ar- men da und schaut direkt Richtung Kamera.
Sie ist mittig auf einem Weg mit dem Flucht- punkt auf ihrem Gesicht positioniert und ihre Augenhöhe stellt die Perspektive des Bildes dar. Dieser Teil des Bildes nimmt nur etwas mehr als die Hälfte der Bildfläche auf der rechten Seite ein. Der Vordergrund hingegen gestaltet sich vor allem im restlichen linken Teil des Bildes und besteht aus einer eher unterbelichteten
chend der Militarisierung der SS wurden diese später analog der anderen Militäruniformen angepasst.
A
bb. 5: Die Herausforderung (PL: 11:05-7)
Rückansicht der Polizisten Kling und Teilen Klangs. Der Fokus des Bildausschnittes liegt, aufgrund einer sehr tiefen Perspektive und der Verwendung einer Rückansicht, auf den Gesäßen der Polizisten, die ebenfalls mit aufgestellten Armen Pippi zugewandt sind.
Diese Situation lehnt sich an die filmische Darstellung eines Duells im Genre des Western an, in dem sich die Herausfordernden frontal und souverän gegenüberstehen und die Hände in der Nähe der Waffen positionieren. Dies stimmt auch inhaltlich mit der Herausforderung Pippis überein, die guten Mutes bekundet, dass sie nicht ins Kinderheim will und den Auftrag der Autoritätsinstanz nicht ernst zu nehmen gedenkt. Stattdessen widersetzt sie sich den Polizis- ten, läuft vor ihnen davon und macht aus der ernsten Situation ein Spiel. Hierdurch wird ein von den Erwachsenen normiertes Handlungsgefüge in ein kindliches Spiel umdefiniert. Au- ßerdem ist auffällig, dass von den Polizisten lediglich die Gesäße sichtbar sind, diese jedoch als dunkle Flächen fast die Hälfte des Bildes einnehmen, während Pippi sich vor einem hell erleuchteten, sonnigen und üppig grünen Hintergrund befindet. Hierdurch wird eine Wertung der Situation deutlich, da die Polizisten ganz bildlich gesprochen als unterbelichtete, unfähige
„Ärsche“ dargestellt werden und damit der Tradition des Slapsticks entsprechen. Der sonnige, gedeihende und unbeschwerte Bildausschnitt ist Pippi gewidmet, deren Bewegungsspielraum durch die Anwesenheit der Polizisten im Sinne der Bildaufteilung nur begrenzt ist, die sich aber trotzdem nicht einschränken lässt. Hierdurch wird positiv bewertet, dass Pippi dennoch die Autoritäten herausfordert, eigenständig handelt und sich nicht bevormunden lässt – und das obwohl sie so klein ist, was vor allem durch die übertriebene Perspektivität der Einstel- lung betont wird.
Darüber hinaus sind die Einstellungen 101-106 (PL: 11:31-1 – 12:07-1), sowie 117-124 (PL:
13:24-7 – 14:17-5) interessant für ein Verständnis der Hierarchie- und Souveränitätsverhält- nisse zwischen den Polizisten und Pippi. Zentrales Element dieser Szenen ist eine Leiter, die an das Vordach gelehnt wurde. Jeweils eine Partei verweilt auf dem Boden und schaut zur an- deren Partei auf der Leiter beziehungsweise auf dem Vordach hinauf. Beide Szenen zeichnen sich in ihrer Bauart durch sehr auffällige Perspektiven aus, die teilweise komplette, teilweise nur angedeutete subjektive Kameraeinstellungen sind, und sich aufgrund dessen durch extre- me Aufsichten bzw. extreme Untersichten auf die jeweils andere Partei hervorheben. In der ersten dieser Szenen ist Pippi diejenige, die erhöht auf der Leiter sitzt. Dies tut sie zudem in einer sehr raumgreifenden souveränen und dennoch entspannten Position: So sitzt sie sehr
breitbeinig und hat die Arme entspannt hinter dem Kopf verschränkt, während Kling und Klang vom Fußende der Leiter zu Pippi hinaufschauen und versuchen sie zur Vernunft zu bringen, indem sie ihr die Vorteile des Kinderheims und der Schule deutlich machen. Diese Situation eröffnet sich dem Zuschauenden aus der Perspektive der Polizisten (teilweise als Rückansicht, teilweise als subjektive Kamera); stets aus einer extremen Untersicht auf Pippi.
Die Hierarchieverhältnisse sind hierbei eindeutig, Pippi ist die Souveräne, die über den Autoritäten steht und einfach bekundet, dass sie auch ohne Bildungs- und Erziehungsinstanz zurechtkomme (vgl. PL: 11:50-6). Von der Amtssouveränität der Polizisten ist jedoch nicht viel zu erkennen. Diese versuchen ungeschickt, das kleine Mädchen mit Vernunft gefügig zu machen, bevor sie anschließend ebenso unbeholfen versuchen, das Kind festzunehmen. Statt eines strukturellen Vorteils zeigt sich lediglich ihre begrenzten Kompetenzen, und das bei einer Interaktion mit einem kleinen Mädchen.
Die zweite Leiterszene (PL: 13:24-7 – 14:17-5) zeichnet sich durch entgegengesetzte Positio- nierung der Parteien aus. So ist Pippi dieses Mal diejenige, die am Fuße der Leiter steht wäh- rend sich Kling und Klang auf dem Vordach befinden. Dabei hält Pippi die Leiter mit einer Hand leicht vom Dach weg, wodurch es den Polizisten nicht möglich ist von diesem herunter- zuklettern. Hierfür sind sie von der Gutmütigkeit Pippis abhängig, die sich ihrer strukturellen Überlegenheit durchaus bewusst ist und die Leiter erst absenkt, als beide Polizisten sie höflich darum bitten und weinerlich mit gebrochener und sich überschlagender Stimme Pippi anfle- hen, die Leiter los zu lassen.
Abb. 6: Hierarchieverhältnis 1 (PL: 13:45-5) Abb. 7: Hierarchieverhältnis 2 (PL:13:43-4)