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Die Handschriften des ehemaligen Fraterherrenstifts St. Markus zu Butzbach in der Universitätsbibliothek Gießen : Teil 2. Die Handschriften aus der Signaturenfolge Hs 761-Hs 1266, NF-Signaturen, Ink-Signaturen

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Academic year: 2021

Aktie "Die Handschriften des ehemaligen Fraterherrenstifts St. Markus zu Butzbach in der Universitätsbibliothek Gießen : Teil 2. Die Handschriften aus der Signaturenfolge Hs 761-Hs 1266, NF-Signaturen, Ink-Signaturen"

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DIE HANDSCHRIFTEN DES

EHEMALIGEN FRATERHERRENSTIFTS ST. MARKUS

ZU BUTZBACH

IN DER UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK GIESSEN

Teil 2

Die Handschriften aus der Signaturenfolge

Hs 761

Hs 1266

NF-Signaturen

Ink-Signaturen

Beschrieben und eingeleitet von

Joachim Ott

UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK GIESSEN

2004

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Teil 1 bildet:

Wolfgang Georg Bayerer:

Die Handschriften des ehem. Fraterherrenstifts St. Markus zu Butzbach.

Teil I: Handschriften aus der Nummernfolge Hs 42 – Hs 760

Wiesbaden: Harrassowitz, 1980.

(Handschriftenkataloge der Universitätsbibliothek Giessen. 4.)

ISBN 3-447-02024-5

Bibliographische Informationen der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet

unter <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

ISBN 3-9808042-1-6

 Universitätsbibliothek Gießen 2004

Alle Rechte vorbehalten.

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Verzeichnis der in diesem Band beschriebenen Signaturen ... 5

Vorwort... 7

Einleitung... 9

Geschichte, Stand der Bearbeitung und Bedeutung des Bestandes... 9

Die Brüder vom Gemeinsamen Leben und ihre Niederlassung in Butzbach .... 14

Die Bibliothek im Butzbacher Kugelhaus: Geschichte, Aufbau, Bücherbestand ... 21

Die Handschriften der Butzbacher Fraterherrenbibliothek ... 44

Zum Quellenwert der Butzbacher Handschriften für Leben und Werk Gabriel Biels ... 74

Schluß ... 84

Verzeichnis der in der Einleitung genannten Handschriften ... 87

Literaturverzeichnis ... 91

Beschreibung der Handschriften (Hs 761 – Ink W 55400) ... 99

Personen-, Orts- und Sachregister ... 393

Initienverzeichnis... 433

Verzeichnis der Verse, Hymnen und hagiographischen Texte... 475

Signaturenkonkordanz ... 479

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VERZEICHNIS DER IN DIESEM BAND BESCHRIEBENEN

SIGNATUREN

Hs 761 Hs 762 Hs 763 (mit Hs NF 634) Hs 763a Hs 763b Hs 764 Hs 764a Hs 765 Hs 766 Hs 767 Hs 768 Hs 769 Hs 770 Hs 771 Hs 772 Hs 773 Hs 774 Hs 775 Hs 779 Hs 780 Hs 781 Hs 782 Hs 783 Hs 786 Hs 787 (mit Hs NF 693, 694) Hs 788 Hs 789 Hs 791 Hs 792 Hs 793 Hs 794 Hs 795 Hs 796 Hs 797 Hs 798 Hs 799 Hs 801 Hs 802 Hs 803 Hs 804 Hs 805 Hs 806 Hs 807 Hs 808 Hs 809 Hs 810 (mit Hs NF 687) Hs 811 (mit Hs NF 688) Hs 812 Hs 814 Hs 815 (mit Hs NF 143a) Hs 816 Hs 817 Hs 818 Hs 819 Hs 820 Hs 821 Hs 822 Hs 823 Hs 824 Hs 825 Hs 826 Hs 827 Hs 828 Hs 829 Hs 830 Hs 831 Hs 832 Hs 833 Hs 834 Hs 835 Hs 836 Hs 837 Hs 838 (mit Hs NF 686) Hs 839 Hs 840 Hs 841 Hs 842 Hs 843 Hs 844 Hs 845 Hs 846 Hs 847 Hs 848 Hs 851 Hs 852 Hs 853a Hs 854 Hs 855 Hs 856 Hs 882 (mit Hs NF 143b) Hs 883 Hs 885 Hs 886 Hs 887 Hs 888 Hs 889 Hs 890 Hs 1142 Hs 1248 Hs 1249 Hs 1250 Hs 1266 Hs NF 169 Hs NF 212 Hs NF 632 Hs NF 637 Ink V 35570 Ink W 55390 Ink W 55400

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VORWORT

Mit dem vorliegenden Band ist die Katalogisierung der Handschriften des ehemaligen Fraterherrenstifts St. Markus in Butzbach abgeschlossen. Die einzigartige Sammlung zumeist theologischer und philosophischer Handschriften der auch „Kugelherren“ ge-nannten religiösen Bewegung am Vorabend der Reformation ist im Jahr 1771 auf land-gräfliche Veranlassung durch Ludwig IX. von Hessen-Darmstadt in die Universitätsbib-liothek Gießen gelangt. Nach einigen, aus heutiger Sicht unzureichenden Erschlie-ßungsversuchen, erschien 1980 im Rahmen des Programms zur Katalogisierung mittel-alterlicher Handschriften der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) der erste Teil eines modernen Katalogs, bearbeitet von Wolfgang G. Bayerer. Mehr als zwanzig Jahre später liegt nun der zweite und abschliessende Teil vor, der nicht nur ungleich umfang-reicher ist, sondern auch die ausführliche und zum Verständnis unerlässliche Einleitung enthält. Es bleibt nun zu hoffen, dass die Butzbacher Sammlung in der Forschung und auch bei der interessierten Öffentlichkeit die ihr zustehende, gebührende Beachtung findet.

Dem Bearbeiter des vorliegenden Bandes, Dr. Joachim Ott, sei an dieser Stelle herzlich gedankt für seine vorbildliche Arbeit und auch seine Geduld bei der Drucklegung. Zu danken ist auch Herrn Dr. W. G. Bayerer dafür, dass auf seine Vorarbeiten aus den frü-hen 80er Jahren zurückgegriffen werden konnte. Zu danken ist ferner der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt, in deren Räumlichkeiten die Katalogisierungsarbeiten durchgeführt werden konnten, sowie Herrn Dr. Bernhard Tönnies, dem Leiter der Hand-schriften- und Inkunabel-Abteilung der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt, der das Projekt betreut hat. Zu danken ist außerdem Herrn Dr. Bernd Bader, UB Gießen, der als langjähriger Leiter der Gießener Rara-Abteilung das Projekt von Beginn an begleitet hat, sowie Frau Susanne Ramsbrock, UB Gießen, die zusammen mit Herrn Dr. Bader für die Textkorrektur und die Erstellung der Druckvorlage gesorgt hat.

Ganz besonders zu danken ist der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die die Butzba-cher Sammlung erneut in ihr Katalogisierungsprogramm aufgenommen und die Projekt-finanzierung übernommen hat.

Dr. Peter Reuter

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EINLEITUNG

Geschichte, Stand der Bearbeitung und Bedeutung des Bestandes

Die 1612 gegründete, 1837 mit der May’schen, Koch’schen und Senckenbergischen Bibliothek vereinigte Universitätsbibliothek Gießen verwahrt heute unter ihren 1,5 Mil-lionen Bänden rund 2600 Handschriften, davon etwa 430 des 9.–15. Jahrhunderts.1 Die-ser mittelalterliche Bestand stammt im wesentlichen aus dem hier interessierenden, fast ausschließlich theologischen Butzbacher Fundus und aus dem Nachlaß des Juristen Heinrich Christian von Senckenberg (1704–1768) sowie seines Sohnes Renatus Karl von Senckenberg (1751–1800) mit naheliegenderweise zahlreichen juristischen Wer-ken.2

Im Jahr 1771 wurden auf Befehl Landgraf Ludwigs IX. von Hessen-Darmstadt über 200 Handschriften, annähernd ebensoviele Inkunabelbände und eine größere Anzahl von Druckschriften des 16. Jahrhunderts in die Universitätsbibliothek Gießen verbracht. Entnommen worden war dieser Bestand der Bibliothek im Kugelhaus zu Butzbach, ei-ner etwa 30 Kilometer südlich von Gießen in der nördlichen Wetterau gelegenen Stadt. Diese Bibliothek war eine Gründung der Brüder vom Gemeinsamen Leben (auch Fra-terherren oder Kugelherren genannt), die sich 1468/69 in Butzbach eine Niederlassung einrichteten. Als das Stift bereits 1555 wieder aufgelöst wurde, kam die Kugelhaus-Bibliothek in die Obhut der evangelischen Pfarrgemeinde Butzbachs und wurde weiter vermehrt. Noch heute befindet sich der jüngste Teil dieser Bibliothek in Butzbach, wäh-rend ein größerer Altbestand mit Büchern des 16.–18. Jahrhunderts leihweise nach Her-born (ehemals Friedberg) ausgelagert ist.

Die Büchersammlung der Butzbacher Fraterherren ist von hohem bibliotheks- wie theo-logiegeschichtlichen Wert. Es handelt sich hier um den äußerst seltenen Fall, daß der Inhalt einer spätmittelalterlichen Stiftsbibliothek beinahe in seiner Gesamtheit erhalten geblieben ist und sich noch heute (von einzelnen Exemplaren in anderen Bibliotheken abgesehen) an ein und demselben Ort in Gießen befindet. Speziell der mit der Geschich-te der Devotio Moderna beziehungsweise der Bewegung der Brüder vom Gemeinsamen Leben befaßten Forschung bietet sich dadurch die ansonsten nicht mehr vorhandene Gelegenheit, Einblick in die äußere und inhaltliche Struktur einer Bibliothek dieser Brüder zu gewinnen.3 Die ehemaligen Butzbacher Handschriften, um die es hier geht, liefern reichlich bislang unbekanntes Material für die Erforschung spätmittelalterlicher theologischer Texte, ihre Einbände sind wichtige Zeugnisse der Buchbinderkunst des

1 Zahlreiche in Kartons separat verwahrte Makulaturfragmente sind hier nicht mitgezählt.

2 Vgl. T. Brandis / I. Nöther, Handbuch der Handschriftenbestände in der Bundesrepublik Deutschland,

Teil 1, Berlin 1992, S. 191–193. Aufgrund neuerer Sichtungen ist die Anzahl der Hss. inzwischen höher als dort genannt anzusetzen. Für weitere Literatur zur Geschichte und zum Bestand der UB Gießen siehe S. 30–32.

3 Die Büchersammlungen anderer Niederlassungen der Brüder und Schwestern vom Gemeinsamen Leben

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15. und beginnenden 16. Jahrhunderts. Wie bereits seit langem bekannt, läßt sich über ein Studium dieser Handschriften insbesondere das Bild vom Leben und Wirken Ga-briel Biels, des langjährigen Propstes des Butzbacher Fraterherrenstifts, erweitern. Auch viele weitere Persönlichkeiten, Schreiber und Verfasser, gewinnen Kontur, wenn man sich mit diesem bedeutenden Handschriftenerbe beschäftigt.

Die Wissenschaft hat den textgeschichtlichen wie kodikologischen Zeugniswert der Butzbacher Handschriften – sicherlich bedingt durch ihre vormals nur unzureichende Erschließung – vielfach unberücksichtigt gelassen. Etliche Repertorien zu einzelnen Texten oder Textgattungen lassen eine Erwähnung jeweils einschlägiger Signaturen aus diesem Fundus vermissen. Die Einbände waren bislang noch gar nicht untersucht wor-den. Eine über das bereits Geleistete hinausgehende eingehende Würdigung der in Butzbach einst zusammengetragenen Handschriften könnte folglich jetzt erst eigentlich einsetzen.

Bayerers Vorarbeiten (Verlauf und Problematik dieses Katalogisierungsprojekts)

Die Aufgabe, die Handschriften Butzbacher Provenienz in der Universitätsbibliothek Gießen nach modernen Kriterien zu katalogisieren, lag zunächst in Händen Wolfgang Georg Bayerers. Seinem über die Kernaufgabe weit hinausreichenden, stets mit hohem persönlichen Interesse an der Sache einhergehenden Engagement verdankt das Projekt seinen eigentlichen Anschub und einen Großteil seines Fortschreitens. Nicht allein muß-ten zunächst die im weitläufigen Gießener Handschrifmuß-tenbestand verstreumuß-ten, Butzbach betreffenden Signaturen herausgesucht werden. Es war außerdem ein Grundgerüst dafür zu erarbeiten, wie die inhaltlich wie formal spezifische Sachlage dieses Butzbacher Fundus im Einklang mit den von der Deutschen Forschungsgemeinschaft vorgegebenen Richtlinien adäquat in Katalogisaten darzustellen sei. Bayerer entschied sich zu Recht dafür, diesen dicht gefügten Provenienzbestand nicht sofort gemäß der Signaturabfolge zu katalogisieren, sondern ihn zunächst insgesamt zu sichten und in einem ersten Ent-wurf auszuwerten. Die Ergebnisse dieser Sichtung stellte er in einem 1975 in den Wet-terauer Geschichtsblättern abgedruckten, seither oftmals zitierten Aufsatz vor.4 Der Wissenschaft wurde damit bereits zu diesem Zeitpunkt ein sehr tiefgehender Einblick hinsichtlich der Textvielfalt, der Schreiber und der äußeren Merkmale der Butzbacher Handschriften ermöglicht.

1980 konnte der von Bayerer erarbeitete erste Teil des auf zwei Bände angelegten Kata-logs der Handschriften des ehemaligen Fraterherrenstifts Butzbach erscheinen5, der 112 Einheiten aus der Folge der Gießener Hs-Signaturen 42–760 erfaßt. Damit waren In-formationen über knapp die Hälfte dieser Handschriften in modernen Beschreibungen zugänglich. Der Band entbehrt einer Einleitung, in deren Rahmen die Butzbacher Hand-schriften und ihre historischen Kontexte übergreifend hätten dargestellt werden können. Daß nun erst in den vorliegenden zweiten Teil des Katalogs eine solche Einleitung

4 W. G. Bayerer, Libri capituli ecclesiae sancti Marci. Zur Katalogisierung der Butzbacher Handschriften

an der Universitäts-Bibliothek Gießen, in: Wetterauer Geschichtsblätter 24, 1975, S. 57–91 (hier zitiert: Bayerer, Libri).

5 W. G. Bayerer, Die Handschriften des ehem. Fraterherrenstifts St. Markus zu Butzbach, Teil I:

Hand-schriften aus der Nummernfolge Hs 42 – Hs 760, Wiesbaden 1980 (HandHand-schriftenkataloge der Universi-tätsbibliothek Gießen 4,1) (hier zitiert: Bayerer, Katalog). Rezensionen: J. van der Straeten, in: Analecta Bollandiana 99, 1981, S. 386 f.; G. Hendrix, in: Bulletin de Théologie ancienne et médiévale 13, 1981/85, S. 289 f.; F. J. Burkard, in: Theologische Revue 78, 1982, Sp. 124–128 (ausführliche Zusammenfassung von Bayerers Resultaten); I. Crusius, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 38, 1982, S. 589; N. Henkel, in: Germanistik 28, 1987, S. 251 f.

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genommen ist, darf rückblickend als sinnvoll erachtet werden, da nunmehr das Material vollständig überblickt und eine auf beide Katalogteile bezogene Auswertung erstellt werden konnte.

Als das Projekt, die Butzbacher Handschriften zu katalogisieren, aus verschiedenen Gründen abgebrochen werden mußte, hatte Bayerer bereits auch für einen Großteil der im vorliegenden zweiten Teil des Katalogs behandelten Signaturen Katalogisate erstellt, formal jenen in seinem Katalogband von 1980 gleichend, die meisten davon vollendet, einige wenige in einer „vorläufigen Fassung“. Im Jahr 1984 fertigte Bayerer ein 418 Schreibmaschinenseiten starkes Typoskript dieser Beschreibungen („Katalogisate und Vorarbeiten“) an, das in der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Gießen eingesehen werden kann (Kopien haben erhalten das Institut für Spätmittelalter und Reformation der Universität Tübingen und die Hill Monastic Manuscript Library in Collegeville/Minnesota, USA). Es umfaßt Beschreibungen zu 68 der in vorliegendem Band katalogisierten Signaturen: Hs 761–808, 814, 815 (mit Hs NF 143a), 818–822, 825, 827, 834, 838, 844–851, 882–883, 1250, 1266, Hs NF 169, Hs NF 212, Ink W 55400.6 Dementsprechend existieren keine Katalogisate Bayerers für die übrigen 41 Signaturen: Hs 809–812, 816–817, 823–824, 826, 828–833, 835–837, 839–843, 852– 856, 885–1249, Hs NF 632, 637, Ink V 35570, Ink W 55390. Einen Teil der aus seiner Arbeit bis dahin gewonnenen Erkenntnisse brachte Bayerer 1985 zur Publikation, indem er in einem längeren Aufsatz den Zeugniswert der Butzbacher Handschriften im Hin-blick auf die ersten Karrierestufen Gabriel Biels darstellte.7

Bei Durchsicht von Bayerers Typoskript von 1984 zu Beginn der Arbeiten an vorlie-gendem Band stellte sich heraus, daß dieses keinesfalls von der Verpflichtung entband, formal, inhaltlich und auch stilistisch völlig neu konzipierte Beschreibungen auch der schon von Bayerer erfaßten Handschriften vorzunehmen. Bayerers Material entspricht einem veralteten Forschungsstand und erweist sich auch aus anderen, hier nicht näher auszuführenden Gründen, etwa hinsichtlich der Bestimmung der Wasserzeichen und der Einbände, als unzureichend.8 Mit Rücksicht auf die zwischenzeitlich wiederholt überar-beiteten Richtlinien der Deutschen Forschungsgemeinschaft mußte die von Bayerer gewählte formale Gestaltungsweise der Beschreibungen abgeändert werden. Die kodi-kologischen Aspekte mußten präziser, die Textsubstanz hingegen in knapperer Form dargestellt werden, Angaben zu Drucken, Editionen, Repertorien und Sekundärliteratur dem neuesten Stand entsprechen. Spiegel und andere Makulatur waren jeweils unter der Rubrik Einband, nicht wie bei Bayerer am Schluß eines Katalogisats zu besprechen. Aufgrund eingehender kodikologischer Analysen und vor allem dank der heute mögli-chen EDV-gestützten Form der Recherche konnten vielfach über Bayerers Werk weit hinausgehende Ergebnisse erzielt werden. Es erübrigt sich, im einzelnen die Unter-schiede zwischen Bayerers Leistung und dem vorliegenden Katalog zu benennen. Sie

6 Das Typoskript enthält ferner Beschreibungen zu einigen Signaturen, die nach heutiger Kenntnis nicht

zum Butzbacher Bestand gehören oder wegen ihrer Zugehörigkeit zu anderen Bibliotheken nicht in vor-liegenden Band aufgenommen wurden: Hs 850, Hs NF 207, Hs NF 440–443, Hs NF 505–506, vgl. dazu Anm. 91.

7 W. G. Bayerer, Gabrielis Biel Gratiarum actio und andere Materialien zu einer Testimonien-Biographie

bezüglich seiner Universitätsjahre in Heidelberg, Erfurt, Köln (und Tübingen), in: Forschungen aus der Handschriftenabteilung der Universität Gießen, Gießen 1985 (Berichte und Arbeiten aus der Universi-tätsbibliothek Gießen 39), Fasc. 2 (S. I–VIII, 1–57) (hier zitiert: Bayerer, Gratiarum actio).

8 Letzteres ist teilweise darauf zurückzuführen, daß die DFG-Handschriftenbearbeiter damals angewiesen

waren, nicht allzu ausführlich auf Wasserzeichen und Einbände einzugehen, zum anderen darauf, daß Bayerer zumindest für seinen Katalogband von 1980 Schunkes Repertorium der Einbandstempel (1979) nicht mehr rezipieren konnte und Piccards Wasserzeichenrepertorium damals noch nicht so weit gediehen war wie heute.

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können mittels einer Einsichtnahme in Bayerers Typoskript nachvollzogen werden. Den im Druck vorliegenden Arbeiten Bayerers allerdings, die oben genannt wurden, wird in vorliegendem Band, insbesondere in dieser Einleitung, verschiedentlich Kritik in expli-ziter Formulierung entgegengebracht. Dies erwies sich als unumgänglich, da als Resul-tat eigener Beobachtungen und neuer Forschungen Dritter Bayerers Beobachtungen in einigen Punkten augenscheinlich der Korrektur bedürfen. Gerade weil die Einleitung vorliegenden Bandes den Butzbacher Bestand in seiner Gesamtheit zu erörtern und des-halb so weit wie möglich auch die Handschriften des ersten Katalogteils einzubeziehen hat, war eine Revision der Ausführungen Bayerers – wie jener anderer Autoren auch – unabdingbar.

Das große Dilemma des den Butzbacher Handschriften geltenden Katalogprojekts ist damit angesprochen: Der Bearbeiter des ersten Teils konnte den Gesamtbestand noch nicht in allen Details überblicken und mußte daher in seinem Band zwangsläufig ein vorläufiges Resultat publizieren; der Bearbeiter des zweiten Teils hatte aus zeitlichen Gründen nie die Gelegenheit, in aller erforderlichen Gründlichkeit die im ersten Kata-logteil erfaßten Handschriften nochmals einzusehen. Letztere konnten lediglich relativ flüchtig begutachtet werden, wobei das Augenmerk schwerpunktmäßig den Schreiber-händen und den Einbänden zu gelten hatte. Als besonders nachteilig erwies sich die Tatsache, daß Durchreibungen von Wasserzeichen in Handschriften aus Bayerers Kata-log nur in Ausnahmefällen angefertigt werden konnten (Bayerer hatte keine entspre-chende Kartei erstellt).

Man würde die Tragweite dieser Zwangslage zweier jeweils nur zur Hälfte informierter Bearbeiter als nicht so gravierend einstufen können, handelte es sich bei den Butzbacher Handschriften nicht um einen – wie zu zeigen sein wird – äußerlich wie inhaltlich au-ßerordentlich eng gefügten Provenienzbestand, in dem sozusagen jeder Band minde-stens einen anderen hinsichtlich seiner Papiersorten, Einbände und Schreiberhände nä-her zu erläutern vermag.

Die vorliegende Einleitung ist aus den genannten Gründen ein als lückenhaft zu betrach-tender Versuch, gestützt auf eigene Ergebnisse und in Revision der Arbeiten insbeson-dere Bayerers, alle erhaltenen ehemaligen Butzbacher Handschriften in einer Darstel-lung zu vereinen. Verbindliche Resultate sind dabei nur dort zu erwarten, wo das in den beiden Katalogteilen erfaßte Material mit jeweils gleichwertigem Aufwand untersucht werden konnte, etwa bei der Besprechung der Einbände.

Vorleistungen des 16.–19. Jahrhunderts: die Kataloge von Camerarius, Böhm und Ad-rian

Bei der nun abgeschlossenen modernen Katalogisierung der Handschriften Butzbacher Provenienz konnte aus älteren Inventaren und Katalogen nur sehr geringer Nutzen ge-zogen werden. Die dort präsentierten Informationen sind vorrangig für die Rekonstruk-tion der Bestandsgeschichte von Interesse, inhaltlich haben sie wenig zu bieten. Dies gilt besonders für ein 1601 vom Butzbacher Pfarrer Justus Camerarius handschriftlich erstelltes Inventar der Bibliothek im Kugelhaus (Darmstadt StA E 5 B 3 Nr. 184/4), auf das unten in einem eigenen Kapitel einzugehen sein wird. Rund 50 Jahre nach Auflö-sung der Butzbacher Fraterherrengemeinschaft wurden hier erstmals deren Handschrif-ten in Katalogform präsentiert, allerdings zusammen mit den in der Bibliothek 1601 vorhandenen gedruckten Büchern des 15. und 16. Jahrhunderts, wobei Camerarius in der Regel nicht angab, ob es sich bei den einzelnen Titeln jeweils um eine Handschrift

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oder um eine Druckschrift handelt. Zu jedem Band lieferte Camerarius eine sehr knap-pe, oft nicht vollständige Inhaltsangabe.

Die Erfassung aller 1771 aus Butzbach nach Gießen gekommenen Handschriften, Inku-nabeln und späteren Druckschriften begann der Gießener Bibliothekar Andreas Böhm, führte sie aber nicht zu Ende: Sein handschriftliches Kurzinventar von 1773 (Gießen UB Hs 31) erfaßt nicht alle Druckschriften und lediglich 15 Handschriften. Hiervon wird ebenfalls weiter unten ausführlicher die Rede sein.

Einen Gesamtkatalog aller mittelalterlichen und neuzeitlichen Handschriften, die nach dem eingangs bereits erwähnten Zusammenschluß mit der May’schen, Koch’schen und Senckenbergischen Bibliothek in der Universitätsbibliothek Gießen vorhanden waren, erstellte Johann Valentin Adrian (17.9.1793 – 18.6.1864), Gießener Bibliothekar von 1830 bis 1864.9 Sein 1840 in Frankfurt am Main gedruckter „Catalogus codicum ma-nuscriptorum bibliothecae academiae Gissensis“ enthält neben einer Einleitung und Registern relativ kurze Handschriftenbeschreibungen in systematischer Gliederung. Indem Adrian innerhalb dieser Gliederung die 1268 damals existenten Handschriften lückenlos durchnumerierte, schuf er die bis heute gültigen Signaturen (Hs 1, Hs 2 usw.). In seinem Band wird für jede Katalognummer die zuvor gültige Gießener Signatur (mit Formatziffer) genannt, es folgen Informationen zu Beschreibstoff, Blattzahl, Leerseiten, Schrift und gegebenenfalls weiteren Merkmalen des Äußeren, danach mehr oder weni-ger umfangreiche Inhaltsangaben mit Verfassernamen und Titelbezeichnungen, zumeist auch ein Zitat wenigstens der ersten und der letzten Textzeile der Handschrift. Da Adri-an oftmals Provenienzen benennt, läßt sich aus seinem Katalog teilweise ersehen, wel-che Handschriften aus Butzbach stammen. Adrian hatte die meisten der Gießener Hand-schriften lediglich oberflächlich eingesehen, weshalb seine Angaben, selbst jene zum äußeren Umfang der Bände, in vielem fehlerhaft sind. Die textbezogenen Informationen gehen, zumindest was die ehemals Butzbacher Handschriften anbelangt, zumeist nicht über das hinaus, was Adrian einzelnen Rubriken oder der Beschilderung der Bände ent-nehmen konnte. Mit manchen Exemplaren, namentlich Predigtbänden Butzbacher Her-kunft, konnte er so wenig anfangen, daß er diese gruppenweise und nur summarisch erfaßte. Insgesamt jedoch ist der Band das Resultat einer beachtlichen Arbeitsleistung, die letztlich nicht an heutigen Maßstäben gemessen werden darf.

Einige auch Butzbacher Handschriften betreffende Nachträge zu Adrian enthalten die „Additamenta ad catalogum codicum manuscriptorum bibliothecae academiae Gissen-sis“ (Gießen 1862). Daneben ist für einige ehemals Inkunabeln beigebundene Hand-schriften Butzbacher Provenienz das „Verzeichniss der den Druckwerken der Grossh. Universitäts-Bibliothek zu Giessen beigebundenen Handschriften“ im „Index librorum quibus bibliotheca academica Gissensis aucta est“ (Gießen 1858–1860) zu nennen. Bei-de Werke beschränken sich auf äußerst knappe Informationen.

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Die Brüder vom Gemeinsamen Leben und ihre Niederlassung in Butzbach

Geschichte und geistige Ausrichtung der Brüder vom Gemeinsamen Leben

Die im vorliegenden Band katalogisierten Handschriften gehörten ursprünglich einer Gemeinschaft, die zur religiösen Bewegung der sogenannten Fraterherren oder Brüder und Schwestern vom Gemeinsamen Leben zählte. Diese Bewegung war gegen Ende des 14. Jahrhunderts in den Niederlanden entstanden.10 Ihre geschichtlichen Wurzeln rei-chen jedoch weiter zurück in die Zeit der Hochscholastik im 13. Jahrhundert. Besondere Bedeutung kommt hier dem Dominikaner Meister Eckhart (ca. 1260–1328) zu. Sein direkter Einfluß blieb zwar wegen seiner posthumen kirchlichen Verurteilung (1329) nur auf Randgruppen abseits von Schultheologie und Kirche begrenzt, seine spekulative Mystik wirkte jedoch indirekt namentlich in der sogenannten Deutschen, das heißt volkssprachlichen Mystik weiter. Diese theologische Richtung des 14. und 15. Jahrhun-derts hatte sich neben der intellektualistischen scholastischen Lehrweise herausgebildet und thematisierte in Ergänzung dazu das geistliche Erleben und die religiöse Praxis. Ihre drei bedeutendsten Vertreter, die Dominikaner Johannes Tauler (ca. 1300–1351) und Heinrich Seuse (ca. 1293/95–1366) sowie der Augustiner-Chorherr Johannes Ruusbroec (1293–1381), waren auf verschiedene Weise ‘Schüler’ Meister Eckharts. Unter anderem durch die Begegnung mit Ruusbroec wurde der eigentliche Initiator der Bewegung der Brüder und Schwestern vom Gemeinsamen Leben, Geert Groote (1340– 1384), 1373 zum inneren Leben („ynnicheit van herten“) bekehrt. Eine Konsequenz daraus war, daß er sein Haus in Deventer einer Gemeinschaft frommer Frauen zur Ver-fügung stellte. Es war dies die erste Niederlassung der Schwestern vom Gemeinsamen Leben oder zumindest deren Keimzelle. Unklar ist, wie genau das um 1380 in Deventer angesiedelte männliche Pendant dazu, eine Gemeinschaft von Klerikern und Laien, ent-stand. Jedenfalls übernahm Grootes Freund, der Priester Florens Radewijns (1350– 1400), die Leitung dieses ersten, zum Vorbild für weitere Gründungen gewordenen Brüderhauses, dessen Lebensordnung Groote selbst entworfen haben soll.11 Die aus

späterer Zeit überlieferten Hausordnungen (Consuetudines), die jede Niederlassung für sich zu konzipieren hatte, gehen trotz aller regionalen Unterschiede vermutlich tatsäch-lich auf einen Urtypus zurück, der das Versprechen enthält: „Caste, concorditer et in communi vivere“. Daß dieses Versprechen kein ewiges Gelübde war, bedeutete einen großen Unterschied zur herkömmlichen monastischen Lebensweise und förderte die Attraktivität der neuen Frömmigkeit, der sogenannten Devotio moderna. Deren Anhän-ger waren überzeugt davon, daß ein frommes Leben auch außerhalb der traditionellen Orden möglich sei und daß dieses Leben durchaus auf Freiwilligkeit beruhen könne. Gleichwohl lebten die Schwestern und Brüder vom Gemeinsamen Leben in festem Ver-bund, übereigneten ihren Privatbesitz der Gemeinschaft und führten ein streng geregel-tes Leben, das durch tägliches meditatives Schriftstudium geprägt war – dies schloß das

10 Fratres et sorores communis vitae; auch: Kollatienbrüder (nach ihren Collationes), Kogel- oder

Kugel-herren bzw. KappenKugel-herren oder Kapuziaten (wegen ihrer halbkugelförmigen Kopfbedeckung), Null- oder Lullbrüder (wahrscheinlich von lullen = leise singen). Vgl. zum Folgenden aus der umfangreichen Litera-tur nur die neuesten Darstellungen von Faix; Kock; Köpf/Lorenz; U. Hinz, Die Brüder vom Gemeinsa-men Leben im Jahrhundert der Reformation. Das Münstersche Kolloquium, Tübingen 1997 (Spätmittelal-ter und Reformation, N.R., 9).

11 Nach Faix S. 7 f. liegt der Ursprung des Bruderhauses darin, daß sich Anhänger und Schüler um den

Prediger Groote scharten; nach R. Stupperich, Brüder vom gemeinsamen Leben, in: TRE 7, 1981, S. 220– 225, hier 220; É. Brouette, Devotio moderna I, in: TRE 8, 1981, S. 605–609, hier 606, gründete Rade-wijns gemeinsam mit Groote bzw. nach dessen Weisungen das erste Bruderhaus.

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Schreiben von Handschriften ein.12 Ziel der Bemühungen war die „geistliche Vollkom-menheit innerer Erhebung zu Gott“13. Im Vordergrund stand das religiöse Empfinden, die geistliche Erfahrung, weniger das begriffliche Denken. Diese persönlich geprägte Frömmigkeit war offen für jedermann. So hatten sowohl die Bürger der Städte, in denen sich die Fraterhäuser ansiedelten14, als auch die Schüler ihrer Alumnate Zugang zu den von den Brüdern veranstalteten bibelbezogenen Ansprachen mit anschließender Bespre-chung (Collationes), die in hohem Maß öffentlichkeitswirksam und damit der Populari-tät der Devotio zuträglich waren.

Die Bewegung verbreitete sich rasch innerhalb der Niederlande und strahlte alsbald auch weit darüber hinaus aus. 1401 wurde das erste deutsche Fraterhaus in Münster ge-gründet. Es bildete ab 1431 zunächst zusammen mit dem 1416 in Köln, dann auch mit dem 1435 in Wesel gegründeten Haus eine Organisationseinheit, das Münstersche Kol-loquium.15 Dieses war durch das Engagement des Priesters Heinrich von Ahaus (ca. 1370–1439), Gründungsmitglied des Fraterhauses in Münster, zustandegekommen und richtete sich nach dem Vorbild des seit 1409 bestehenden Zwolleschen Kolloquiums, welches die niederländischen Fraterhäuser zusammenfaßte. Daneben entstanden der mitteldeutsche Kreis um Hildesheim sowie der mittelrheinisch-oberdeutsche Kreis, das Oberdeutsche Generalkapitel.16 Zu letzterem gehörten die Häuser in Marienthal, König-stein und Butzbach. Schließlich formte sich, vor allem auf Initiative Gabriel Biels († 1495), ein weiteres Zentrum in Württemberg mit Fraterhäusern unter anderen in U-rach, Tübingen und St. Peter im Einsiedel.17 Insgesamt erwiesen sich die regionalen Eigenarten der jeweiligen Niederlassungen als so dominant, daß es über die genannten Zusammenschlüsse einzelner Fraterhäuser hinaus nicht gelang, einen geschlossenen Verband mit zentraler Leitung und Verwaltung aufzubauen.18 Dies war einer der Grün-de, weshalb im Zusammenhang mit der Reformation in Deutschland der Niedergang der Bewegung eingeläutet wurde.19 Zwischen 1520 und 1540 schrumpften die Kongregati-onen, und viele deutsche Fraterhäuser wurden geschlossen (etwa Marburg 1527, Mag-deburg 1536, Butzbach 1555). Das Münstersche Haus Zum Springborn wurde erst 1803 im Rahmen der Säkularisation aufgelöst, das evangelisch gewordene Fraterhaus in Her-ford hielt sich sogar bis 1841. Die holländischen Häuser waren zwar von der Reforma-tion weitgehend unbeeindruckt geblieben, erlebten jedoch ab 1565 ihren Niedergang,

12 Nach Kock S. 18 gab es „drei Bereiche devoter Schriftlichkeit: 1. das Schreiben für den persönlichen

Gebrauch, 2. das Schreiben für die eigene Gemeinschaft, 3. das Schreiben gegen Entgelt“; die Devotio moderna war eine „Bibliotheksgemeinschaft“ bzw. „Buchgemeinschaft“, eine „Lese- und Schreibgemein-schaft“ (ebd. S. 312, 306, 11); zu jedem Fraterhaus gehörte eine Bibliothek.

13 Brouette (wie Anm. 11) S. 605.

14 Die Ansiedlung inmitten von Stadtgemeinden kam oft dadurch zustande, daß den Devoten städtische

Häuser geschenkt wurden, vgl. Kock S. 307. Die Stifte der Windesheimer Kongregation (1394/95), eines monastischen, nach der Augustinerregel lebenden Zweigs der Devotio moderna, siedelten sich dagegen außerhalb der Städte an, vgl. E. Iserloh, „Die Devotio moderna“, in: Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. III,2: Die mittelalterliche Kirche, Freiburg u.a. 1968, S. 516–538 (Kap. 47), hier 526–528.

15 Vgl. dazu Hinz (wie Anm. 10); Faix S. 18–33.

16 Vgl. Faix S. 36–42. Gabriel Biel war bei allen Gründungen des Oberdeutschen Generalkapitels beteiligt

und formte den Verband entscheidend. Entgegen früherer Ansicht – etwa W. Leesch, Einleitung, in: Mo-nasticon Fratrum Vitae Communis, hg. v. W. Leesch u.a., Teil 2: Deutschland, Brüssel 1979 (Archives et bibliothèques de Belgique, Num. spec. 19), S. 5–20, hier 14–16 – hatte Biel hierbei wohl eher eine Wei-terentwicklung als eine Sonderentwicklung der Organisationsstruktur der Fraterhäuser im Sinn, vgl. Faix S. 201.

17 Vgl. Faix S. 42–59.

18 Gegen Ende des 15. Jahrhunderts gab es in Deutschland etwa 25 Brüderhäuser und eine weit höhere

Anzahl von Schwesternhäusern. Erst 1499 konnte der Rektor von Deventer formal ein Generalkapitel gründen, das aber wahrscheinlich nie zusammengetreten ist.

(17)

nachdem das Tridentinum beschlossen hatte, sie den Jesuiten zu übereignen oder in Ka-pitelkirchen umzuformen. 1574 schloß das Mutterhaus in Deventer.20

Das Fraterherrenstift Butzbach

Die historische Entwicklung von der Gründung bis zum Niedergang des Stifts der Brü-der vom Gemeinsamen Leben in Butzbach ist bereits in hinreichendem Maß dargestellt worden. Bereits 1863 legte Johannes Georg Krätzinger einen ersten „Versuch einer Ge-schichte des Kugelhauses in Butzbach“21 vor, worin er auf der Basis archivalischer Quellen die Bewegung der Brüder vom Gemeinsamen Leben vorstellte und bei der an-schließenden Abhandlung über das Butzbacher Stift den Schwerpunkt auf die „Refor-mation des Kugelhauses“ und somit dessen Spätgeschichte legte. Dieser letztere Aspekt blieb hingegen unberücksichtigt in dem gleichfalls quellenorientierten Kapitel über „das Collegiatstift (Kugelhaus) zu St. Markus in Butzbach“ im Rahmen von Georg Wilhelm Justin Wagners 1873 in Darmstadt gedrucktem ersten Band seiner Studie über „die vormaligen geistlichen Stifte im Großherzogthum Hessen“ (hier S. 335–342).22 Spätere Publikationen zum Thema gingen kaum über diese Darstellungen hinaus23, sieht man einmal ab von Beiträgen William M. Landeens von 1959 und Ludwig Hellriegels von 1969, die jeweils mit Blick auf die Rolle Gabriel Biels einige teilweise zuvor nicht be-rücksichtigte Archivalien zur Geschichte des Stifts untersuchten.24 1979 schließlich leg-te Irene Crusius erstmals eine modernen wissenschaftlichen Ansprüchen Genüge tra-gende Darstellung der Geschichte des Butzbacher Fraterherrenstifts vor, beruhend auf einer erneuten Auswertung der größtenteils im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt be-findlichen Butzbacher Archivalien, deren Signaturen nunmehr endlich präzise zitiert wurden.25 Vornehmlich auf Crusius beruft sich seitdem die auf das Butzbacher Stift bezogene Literatur26, und auch hier kann es angesichts der genannten Vorleistungen genügen, in geraffter Darstellung die Rahmendaten der Geschichte des Butzbacher Fra-terherrenhauses in Erinnerung zu rufen.27

20 Vgl. R. Mokrosch, Devotio moderna II, in TRE 8, 1981, S. 609–616, hier 613 f.

21 J. G. Krätzinger, Versuch einer Geschichte des Kugelhauses in Butzbach, in: Archiv für hessische

Ge-schichte und Altertumskunde 10, 1863, S. 48–93 (hier zitiert: Krätzinger); vgl. bes. S. 65: „Die Bibliothek des Stiftes, dermalen im Besitze der Gießener Universitätsbibliothek, enthält eine reiche Anzahl von Werken aus dem Gebiete der damaligen Scholastik, welche von Biel’s fleißiger Hand abgeschrieben sind.“

22 Aus Wagner S. 341 f. wird deutlich, wie wenig der Bestand der Butzbacher Kugelhaus-Bibliothek

inhaltlich dem Forschungsinteresse des 19. Jahrhunderts entsprach: „Die Büchersammlung, von geringem Werthe und sich fast blos auf das Fach der scholastischen Theologie beschränkend, kam nach der Auflö-sung des Stiftes an die Universität zu Gießen. In mehrere Bücher hat, als vormaliger Besitzer, Gabriel Biel seinen Namen eingeschrieben.“

23 Diehl, Lateinschule, behandelt S. 1–4 kurz die Schule des Stifts als Vorläufer der 1540 gegründeten

städtischen Lateinschule Butzbachs. Allein der Etablierung des Protestantismus in Stift und Stadt Butz-bach gilt das Interesse von Diehl, Reformationsbuch, S. 140–149. „Zur Geschichte des Kugelhauses“ schrieb L. Horst einen kurzen Artikel in den Butzbacher Geschichts- und Heimatblättern 1929, 1; aus-führlicher in: Ders., Zur Geschichte Butzbachs 2: Vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert, 1971, S. 100– 111.

24 W. M. Landeen, Gabriel Biel and the Devotio Moderna in Germany (Part I), in: Research Studies

(Wa-shington State University) 27, 1959, S. 135–176, hier 166–176 („Gabriel Biel in Butzbach“); Hellriegel.

25 I. Crusius, Butzbach (1469–1555), in: Monasticon Fratrum Vitae Communis, hg. v. W. Leesch u.a.,

Teil II: Deutschland, Brüssel 1979 (Archives et bibliothèques de Belgique, Num. spec. 19), S. 31–49 (hier zitiert: Crusius, Butzbach).

26 Vgl. zuletzt Fleck/Wolf S. 61–70; Rühl; Faix S. 40–42.

27 Einzelne über die bisherige Literatur hinausgehende Beobachtungen resultieren aus meiner eigenen,

(18)

Archiva-Zu dem Zeitpunkt, da die Entscheidung fiel, Butzbach zum Standort einer neuen Nie-derlassung der Brüder vom Gemeinsamen Leben zu machen, hatte diese Stadt bereits eine wechselvolle Geschichte hinter sich.28 Ihr alter Name Botisphaden wurde 773 erstmals urkundlich erwähnt, die kirchliche Niederlassung des Orts zu Beginn des 13. Jahrhunderts durch den Neubau einer dreischiffigen Basilika (St. Markus) konsolidiert. 1321 erhielt Butzbach die Stadtrechte, zu der Zeit unter der Grundherrschaft der Grafen von Falkenstein. Nach deren Aussterben im Mannesstamm 1418 wurde 1433 die Hoheit über die Stadt zu gleichen Teilen zwischen den gräflichen Linien von Eppstein-Königstein und von Eppstein-Münzenberg aufgeteilt. Diese Situation verkomplizierte sich 1478/79 dadurch, daß der Anteil der Eppstein-Münzenberger seinerseits in zwei Teile aufgegliedert wurde, indem er auf die Grafen von Solms-Braunfels (dies faktisch schon seit 1464) und die von Katzenelnbogen überging, und auch eine Hälfte des An-teils derer von Eppstein-Königstein abgetreten wurde an die Grafen von Solms-Lich. In dieser Phase konnte das Butzbacher Fraterherrenstift bereits auf sein zehnjähriges Be-stehen zurückblicken.

Ausgangspunkt der Gründung dieses Stifts29 war die Erlangung der Patronatsrechte an der Butzbacher Markuskirche durch Graf Eberhard III. von Eppstein-Königstein († 1475) am 30.4.1468, wodurch der Weg geebnet war, über die Kirche im Sinne Eber-hards zu verfügen. Dessen Bestreben war es, wie schon in Königstein so auch in Butz-bach ein Stift der Brüder vom Gemeinsamen Leben zu gründen. Dem entsprach Papst Paulus II. (1464–1471), indem er mit einer Urkunde vom 1.11.1468 auf Bitten Eber-hards die Markuskirche zur Kollegiatskirche nach dem Muster der Konvente in Mün-ster, Wesel und Königstein erhob.30 Der Papst bestimmte, daß die Brüder des zu grün-denden Stifts nach Münsterschem Vorbild und in enger Verbindung mit den Häusern in Königstein und Marienthal leben und über die Altäre der Markuskirche, der Kapellen St. Wendelin und St. Michael verfügen sowie die Pfarrseelsorge ausüben sollten. Am 11.12.1468 beurkundeten alle gräflichen Stadtherren ihren Verzicht auf die Rechte an der neuen Kollegiatskirche und privilegierten die Brüder auch in weiterer Hinsicht, vor allem durch ein Schutzversprechen.31 Die Stiftsgründung selbst wurde in einem

Nota-riatsinstrument vom 30.1.1469 zertifiziert, in dem es heißt, daß das Stift den Rektoren von Marienthal und Königstein übergeben werde.

Spätestens seit September 1469 lebte Gabriel Biel als „caplan“ und „bruder“ in der Butzbacher Gemeinschaft und hatte dort die Aufsicht über die geschäftlichen Belange. Erst Anfang September des folgenden Jahres allerdings wurde er nominell zum Propst des Hauses ernannt, als Nachfolger des Gründungsrektors Christianus, der aus Münster

lien im Darmstädter Hessischen Staatsarchiv. Die meisten dieser Archivalien harren noch ihrer genauen Auswertung, insbesondere die Butzbacher Gerichtsbücher C 4 Nr. 47/1–2 (1438–1451; 1481–1515) mit einer Fülle von Namen und Fakten, die auch für die Geschichte des Fraterherrenstifts und seiner Mitglie-der weiteren Aufschluß geben dürften.

28 Zur Geschichte Butzbachs von den Anfängen bis heute jetzt Wionski S. 283–296; vgl. zuvor zur

mittel-alterlichen Geschichte (jeweils ohne nennenswerte Berücksichtigung des Fraterherrenstifts): E. Otto, Butzbach im Mittelalter, Gießen 1922 (Aus Butzbachs Vergangenheit. Festschrift zur Sechshundertjahr-feier der Stadt Butzbach, Heft 3); F. Schwind, Zur Geschichte Butzbachs im Mittelalter, in: Wetterauer Geschichtsblätter 24, 1975, S. 33–55. Im Museum der Stadt Butzbach als Typoskript (1995) einsehbar ist eine von D. Wolf dem Vernehmen nach für eine spätere Publikation angelegte, sehr ausführliche „Biblio-graphie zur Geschichte von Butzbach“.

29 Das Folgende im wesentlichen nach Crusius, Butzbach, S. 41–43, dort weitere Nachweise.

30 Darmstadt StA A 3 Nr. 61/132; vgl. auch E 5 B 3 Nr. 180/3; Textauszüge bei Faix S. 40 f.; vgl.

Crusi-us, Butzbach, S. 42. Eine im Wortlaut abweichende, inhaltlich aber offensichtlich identische Urkunde Pauls II. vom 14.11.1468 (vgl. Landeen, wie Anm. 24, S. 166 f.) ohne Nachweis teilweise zitiert bei Krätzinger S. 56 f. Ich hatte keine Gelegenheit zu überprüfen, welcher Darmstädter Archivalie diese an-dere (?) Urkunde entspricht.

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nach Butzbach gekommen war. Aus Münster und auch aus Marienthal kamen weitere Brüder der ersten Stunde. Daß Biel der eigentliche Initiator der Butzbacher Gründung gewesen sei, wie dies allgemein angenommen wird32, legt nicht zuletzt der Umstand nahe, daß er dem Stift selbst beitrat. Vielleicht aber ist diese durch die Quellen nicht explizit gestützte Beurteilung heute allzu leicht dahingesagt. Schließlich läßt sich nicht ausschließen, daß es Graf Eberhard III. von Eppstein-Königstein war, der mit Blick auf seinen Butzbacher Besitzstand Stifterehrgeiz entwickelte und daraufhin Biel für seine Ziele gewinnen konnte, nicht also umgekehrt.33

Die vorgenannten Hauptetappen der Gründung des Butzbacher Fraterherrenstifts gingen naturgemäß mit diversen weiteren initiatorischen Akten einher. Eine Vielzahl von grö-ßeren und kleineren organisatorischen Problemen war zu klären, Gespräche mit zahlrei-chen Personen waren zu führen, bevor die Sache Gestalt annehmen konnte. Einen guten Eindruck hiervon vermittelt die Archivalie Darmstadt StA E 5 B 3 Nr. 180/3, ein 75 Blätter füllendes Copialheft, sorgfältig erstellt von dem Mainzer Notar Henricus Orthenberg (Henricus Richardus de Ortenberg). Es enthält Kopien der Urkunden und Notariatsinstrumente von 1468/69, die Erhebung der Butzbacher Markuskirche zu einer Kollegiatskirche und damit einhergehend die Einrichtung des Butzbacher Stifts insge-samt betreffend. Bei einer Durchsicht dieses Textapparats läßt sich insbesondere der Umfang des organisatorischen Engagements des – wie es heißt – vom Grafen Eberhard beauftragten „procurators“ Gabriel Biel ermessen, dessen Name an etlichen Stellen ge-nannt wird. Eine genauere Auswertung dieses Copialhefts, das den Gründungsprozeß eines spätmittelalterlichen Stifts in allen Details vor Augen führt, steht noch aus.

Im Laufe des ersten Jahrzehnts seit der Gründung des Stifts wurde sein baulicher Besitz, in dessen Zentrum die Markuskirche, das eigens errichtete Kugelhaus und die Mi-chaelskapelle standen, durch Ankäufe, Tausch sowie infolge zahlreicher Stiftungen um-fassend erweitert34. Besonders zu erwähnen ist, daß die Markuskirche durch zwei Chor-anbauten, der eine um 1470, der andere nach 1500 datierend, vergrößert wurde.35 Zu den Ende 1468 urkundlich festgelegten Begünstigungen der Fraterherren gehörte das Recht, die zuvor städtische Schule unter ihre Aufsicht stellen zu dürfen. Deren Schul-meister wurde nunmehr von seiten des Stifts besoldet, ebenso wie der Neubau eines Schulgebäudes (1470) und die Stiftung eines Konvikthauses (1474) von den Fraterher-ren betrieben wurde.36 In welchem Maß die Brüder – sie unterrichteten nicht selbst – die Erziehungsprinzipien der Schule bestimmten, also etwa Schüler im Hinblick auf eine spätere Aufnahme in ihre Gemeinschaft ausbilden ließen, kann nicht mehr erschlossen werden. Die in Butzbach geborenen, in das Stift aufgenommenen Brüder Wendelin (1473 eingetreten) und Henricus Steinbach, ersterer der berühmte Schüler Biels und spätere Professor in Tübingen, letzterer nachmalig Propst in Urach, mögen in der Stifts-schule ihre Ausbildung genossen haben. Festzuhalten ist, daß es eine räumliche Tren-nung gab zwischen den Schulgebäuden und dem Kugelhaus selbst, in welchem sich die Bibliothek befand.

32 Zur Bedeutung Biels für Butzbach Hellriegel; Crusius, Butzbach, bes. S. 41–46; Crusius, Gabriel Biel;

I. Crusius, Gabriel Biel – eine Karriere zwischen vita contemplativa und vita activa, in: Köpf/Lorenz, S. 1–23.

33 Im nachfolgend angesprochenen Copialheft Darmstadt StA E 5 B 3 Nr. 180/3, 68v heißt es, Biel habe

die Aufgabe des Procurators „sponte“ auf sich genommen: „ ... magistrum Gabrielem Biel de Spira licen-ciatum in sacra theologia presentem et onus procuracionum huiusmodi in se sponte suscipientem ...“.

34 Liste der Gebäude sowie der Archivalien zu Stiftungen und Käufen bei Crusius, Butzbach, S. 41, 44 f. 35 Zur Baugeschichte der Pfarrkirche und zeitweiligen Kollegiatskirche St. Markus Crusius, Butzbach,

S. 40 f.; Fleck/Wolf S. 65 f.; Wionski S. 333–336.

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Daß eine relativ komplexe Sozietät wie die Fraterherren mit ihren weitergehenden strukturellen Bedürfnissen mit einem Mal dem gewachsenen sozialen Gemeinwesen der Stadt Butzbach einverleibt wurde, mußte früher oder später Konflikte hervorrufen. Eine gewiß latente Unzufriedenheit der Butzbacher Bürger über diesen Zustand kulminierte im Jahr 1478, als der „begriff“, also der Kernbesitz der Fraterherren, immerhin bereits „ungefähr ein Sechstel des gesamten Stadtgebiets innerhalb der Mauer einnahm“.37 Der Rat der Stadt Butzbach legte den Stadtherren eine ins Detail gehende Liste mit Be-schwerdepunkten vor als Protest gegen weitreichende Einbußen früherer Rechte und den Verlust diverser Besitztümer zugunsten der Fraterherren. In ihrer daraufhin einge-forderten Stellungnahme wiesen die Brüder die Vorwürfe mit Hinweisen auf die ihnen urkundlich zugesicherten Rechte zurück, welche auch die Schlichtungsschrift der Stadt-herren vom 25.7.1479 unangetastet ließ. Letztere wies den Brüdern Auflagen lediglich außerhalb ihres Kernbesitzes zu.38 Ein Streitpunkt damals betraf die Bibliothek des Stifts, worauf noch näher einzugehen sein wird (vgl. S. 22).

Das Butzbacher Stift erlebte seine Blütezeit zweifellos während der Amtszeit Biels als Propst, der in dieser Funktion letztmalig 1482 greifbar ist.39 So wenig das geistige Wir-ken der Brüder in dieser Zeit eigentlich dokumentiert ist, so deutlich geht doch aus den reichlich vorhandenen Archivalien der ersten Jahrzehnte hervor, daß die Institution mit ihrem respektablen Güterbesitz ökonomisch stabil genug war, um den mit ihrer Errich-tung gewiß verbundenen ErwarErrich-tungen Biels und der übrigen Gründungsväter den not-wendigen Rückhalt zu geben. Es lag dann nicht allein am Weggang Biels, der in Urach und Tübingen neue Aufgaben suchte, daß das Stift seit dem ausgehenden 15. Jahrhun-dert einen stetigen Bedeutungsverlust erleben mußte, wie dies die stark rückläufige Quantität an Quellen offenbart. Die Bewegung der Brüder vom Gemeinsamen Leben, die mit Butzbach nochmals einen profilierten Stützpunkt hatte gewinnen sollen, war immer weniger mit den Zeitläuften vereinbar, die neuen Zeichen setzte, wie bereits ge-sagt, die Reformation.

In den Jahren ab 1528 erlebte Butzbach den Zusammenprall altkirchlicher Tradition und protestantischer Neuorientierung in aller Deutlichkeit. Die in Stadt und Stift selbst von Tumulten und Prozessen begleitete, auf höherer Ebene zwischen dem hessischen Land-graf und dem Grafen von Eppstein-Königstein geführte Auseinandersetzung um die Frage, ob in Butzbach ein katholischer oder ein evangelischer Pfarrer ins Amt gelangen solle, braucht hier nicht nochmals im Detail geschildert zu werden.40 1535 konnte erst-mals ein Protestant die Pfarrstelle übernehmen. In der Folge reduzierte sich die Zahl der Fraterherren durch Tod oder Abwanderung zunehmend, und als 1539 der aufrecht alt-kirchlich eingestellte Johann Altgelt von Siegen das Amt des Paters oder besser des Stiftsverwalters übernahm, war er nicht nur der letzte der Patres, sondern auch der ein-zige noch anwesende Butzbacher Fraterherr. Ein letzter Versuch, für das Fraterhaus nochmals Brüder von auswärts zu gewinnen, scheiterte 1554. Am 11.8.1555 starb Jo-hann Altgelt, und dies bedeutete auch das definitive Ende des Butzbacher Stifts der Brüder vom Gemeinsamen Leben.

37 Crusius, Butzbach, S. 41.

38 Alle Dokumente hierüber in Darmstadt StA E 5 B 3 Nr. 181/3. Zu den Vorgängen und den diskutierten

Punkten im einzelnen Hellriegel S. 76 f.; Horst, Geschichte Butzbachs (wie Anm. 23), S. 107 f.; Crusius, Butzbach, S. 35, 41, 45 f.; Fleck/Wolf S. 65 f.; hinsichtlich der Beschwerden in Sachen der Stiftsschule Diehl, Lateinschule, S. 2–4.

39 Crusius, Butzbach, S. 46 f.

40 Dazu ausführlich Krätzinger S. 67–93; Diehl, Reformationsbuch, S. 140–149; zusammenfassend

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Gleichfalls von der reformatorischen Wende betroffen war die Schule des Stifts, die spätestens im vierten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts ihrerseits reichlich herunterge-kommen war. Nachdem für kurze Zeit nochmals ein katholischer Schulmeister einge-setzt worden war, ging 1540 die Aufgabe des Unterrichtens, zugleich jene des Predigens und des Abhaltens von Gottesdiensten an einen protestantischen Magister über. Die weitere Geschichte der in diesem Zusammenhang neu eingerichteten Butzbacher La-teinschule reicht noch bis in das 19. Jahrhundert hinein.41

Der Auflösung des Fraterherrenstifts folgten naheliegenderweise Streitigkeiten, das Be-sitz- und Verwaltungsrecht über das Kugelhauserbe betreffend. Diese allerdings zogen sich alles in allem bis 1950 hin, als der sogenannte Kugelhausfonds endgültig dem Butzbacher Kirchenvorstand übertragen wurde. In den Jahrhunderten zuvor hatten sich zunächst die Territorialherren und die Stadtherren, später die Orts- und die Kirchenge-meinde und dann wiederum die Stadt und der Kirchenvorstand Butzbachs um die Rech-te an den sRech-tets beträchtlichen EinkünfRech-ten aus dem Kugelhausfonds gestritRech-ten.42 Auf der Strecke blieben dabei nicht zuletzt die Kirchenkleinodien und Ornate aus diesem Fonds, deren Veräußerung im Jahr 1574 zu Zwecken der Stipendiatenförderung an der Butzba-cher Lateinschule man sich nicht versagen konnte.43 Die Bibliothek im Kugelhaus aller-dings war zum Glück nie disponibel gewesen. Begehrlichkeiten weckte sie erst 1771 bei Landgraf Ludwig IX. von Hessen-Darmstadt und dem Gießener Bibliothekar Andreas Böhm.

41 Vgl. Diehl, Lateinschule; Crusius, Butzbach, S. 40. 42 Hierzu Rühl S. 13, 19 f.

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Die Bibliothek im Butzbacher Kugelhaus: Geschichte, Aufbau, Bücherbestand

Schräg gegenüber der Ostchoranlage der Markuskirche, dicht an den Resten der ehema-ligen Stadtmauer gelegen, erhebt sich noch heute, unter der Adresse Kirchplatz 12, das alte Butzbacher Kugelherrenhaus oder Kugelhaus. Auf eine spätmittelalterliche Entste-hung dieses Baus verweist die durch ein steiles Satteldach geprägte Bauform.44 Dies läßt darauf schließen, daß seine Errichtung zurückgeht auf die seit 1468/69 in Butzbach etablierten Brüder vom Gemeinsamen Leben oder eben ‘Kugelherren’, nach denen das Haus stets, auch nach der Auflösung der Brüdergemeinschaft 1555, benannt geblieben ist. Unter dem Begriff ‘Kugelhaus’ wird in Butzbach traditionell zugleich die Gesamt-heit des von den dortigen Fraterherren vereinigten Besitzes verstanden. Das Gebäude Kirchplatz 12 selbst existierte offenbar spätestens ein Jahrzehnt nach Gründung des Fraterherrenstifts bereits (s.u.) und bildete zusammen mit der Markuskirche das Zen-trum der Aktivitäten der Brüder. Wir hören, daß in dem Haus zumindest zeitweilig die „Kleinodien“, also die Kirchenschätze, verwahrt wurden (s.u.). Eine wichtige Anlauf-stelle war das Kugelhaus besonders deswegen, weil hier die Bibliothek der Fraterherren aufgestellt war. Diese verblieb in dem Gebäude, nachdem es gegen 1555 eine neue Funktion als Pfarrhaus der evangelischen Gemeinde Butzbachs erhalten hatte. Die Bi-bliothek wurde auch unter der Obhut der Butzbacher Pfarrer weiter vermehrt. Selbst nachdem 1771 die ältesten Bücher nach Gießen und 1951 der übrige Altbestand nach Friedberg (2001 dann nach Herborn) verbracht worden waren, blieb im Kugelhaus eine achtbare Bücherei unter anderen mit über 900 Titeln aus dem 18. und 19. Jahrhundert zurück.45 Heute ist sie im 1853/54 errichteten Neubau des Pfarrhauses, Kirchplatz 13, untergebracht; das alte Kugelherrenhaus nebenan, vor einigen Jahren umfassend restau-riert, ist Ort von Gemeindeaktivitäten.46 Im folgenden soll die Geschichte der Bibliothek im Kugelhaus und ihre Disposition seit ihrer Gründung untersucht werden, soweit dies die vorhandenen Quellen zulassen.

Gründung und Verwaltung der Bibliothek unter den Butzbacher Fraterherren

Jeder Zweifel darüber, daß bei der Gründung des Butzbacher Fraterherrenstifts bereits an die Errichtung einer eigenen Bibliothek47 gedacht worden war, erübrigt sich. Sofort über Bücher verfügen zu können war eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Arbeit der Brüder vom Gemeinsamen Leben. Bedauerlicherweise findet sich in den durchaus umfangreichen Archivalien über die Errichtung des Stifts 1468/69 nirgends eine Notiz über eine Bibliothek. Auch für die spätere Zeit ist die Quellenlage, wie noch zu zeigen sein wird, äußerst dürftig. Schon deswegen sind der bei weitem ergiebigste Anhaltspunkt für die Rekonstruktion der einstigen Butzbacher Fraterherrenbibliothek deren Bücher, also die heute fast ausschließlich in Gießen und Herborn (ehemals Fried-berg) befindlichen, im späteren 15. und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts von

44 Zum Objekt vgl. jetzt Wionski S. 333 (mit Abb.); zur Disposition der Bausubstanz um die

Markuskir-che vgl. etwa die Luftaufnahme in: Monasticon Fratrum Vitae Communis, hg. v. W. Leesch u.a., Teil 2: Deutschland, Brüssel 1979 (Archives et bibliothèques de Belgique, Num. spec. 19), Taf. 1.

45 Zum heutigen Bestand der Kugelhaus-Bibliothek W. Meyrahn, in: Handbuch der historischen

Buchbe-stände in Deutschland, Bd. 5: Hessen, A–L, hg. v. B. Dugall, Hildesheim u.a. 1992, S. 54 f.

46 Vgl. Wionski S. 333. Auskünfte zur heutigen Situation der Bibliothek verdanke ich Herrn Hans

Her-mann Becker, Butzbach.

47 Zur Bibliothek der Fraterherren vgl. neben Bayerer, Libri die knappen Angaben bei Crusius, Butzbach,

S. 34 f.; Rühl, bes. S. 20–25; Faix S. 174 f.; Kock S. 276. Während des 19. Jahrhunderts war das Interesse an dieser Bibliothek gering, vgl. Anm. 22.

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den Brüdern gesammelten Handschriften, Inkunabeln und übrigen Druckschriften, auf deren Anzahl und inhaltliche Ausrichtung unten in eigenen Kapiteln einzugehen sein wird.

Die erste Erwähnung der Bibliothek der Butzbacher Fraterherren, ein Jahrzehnt nach Gründung des Stifts, verdanken wir der bereits geschilderten Auseinandersetzung von 1478/79 zwischen dem Rat der Stadt Butzbach und den Brüdern über Rechte und Be-sitztümer in Butzbach (vgl. S. 19). Unter den Beschwerdepunkten des Rats findet sich folgende Passage: „Item ist auch eyn loblich liberarie, do vormals buwemeyster der pharkirchen mitsampt dem rade eyn mytwiszen mit und under iren handen auch sloszel dar zu gehabt hant, der sye [die Fraterherren] sich nun gancz underwinden, und der rait magk keyn wiszen do von han, wye und ine welcher maszen da myt gehandelt werde; sy auch nyt also begifttiget angehaben und von den buwemeystern der kirchen eyn son-derlicher buwe dar zu gebuwet worden das auch zum besten zu bedencken damyt dye liberarii und cleynodien zum besten und nach noittorfft versorgt worden etc.“ (Darm-stadt StA E 5 B 3 Nr. 181/3, 3r). Die Stellungnahme der Fraterherren hierzu fiel kühl und sachlich aus. Unter Berufung auf die am Gründungsprozeß ihres Stifts beteiligten hohen Autoritäten, angefangen mit dem Papst, stellen sie klar, daß die ihnen damals zugestandene Inbesitznahme der Markuskirche „und was dar zu gehort“ ein urkundlich abgesichertes, daher unabänderliches Faktum darstelle. Demzufolge seien sie, die Brü-der, „nit schuldig, ist auch ungeborlich in den dingen der kirchenn und ir zu gehorden als liberarien und cleynodien und des glichenn fordt ader buwemeister czu fragen ader yne da von rechenung und wiszend zcu thun.“ (Darmstadt StA E 5 B 3 Nr. 181/3, 9v– 10r). Die Stadtherren als Schlichter des Streits werden dies ebenso gesehen haben, da sie in ihrer Urkunde vom 22.7.1479 (mehrere Abschriften in Darmstadt StA E 5 B 3 Nr. 181/3) die unverändert freie Nutzung gerade des Kirchenbezirks durch die Brüder bestä-tigten. Leider wird in dem Schlichtungsbrief nicht nochmals auf die Bibliothek einge-gangen.

Die wichtigste Erkenntnis aus diesem Prozeß ist die Tatsache, daß von den Brüdern spätestens 1478 ein neues Gebäude errichtet worden war, welches den Schutz der „Kleinodien“ (Kirchenschätze) und der Bibliothek sicherstellen sollte. Die Annahme liegt nahe, daß hiermit bereits das wie gesagt bis heute existente, später als Standort der Bibliothek bezeugte Kugelhaus gegenüber der Kirche gemeint ist. Der Neubau ersetzte eine ältere räumliche Lösung für die auch vorher schon vorhandene Fraterherrenbiblio-thek. Nicht mit letzter Sicherheit ist zu klären, ob man aus der Protestnote des Rats er-schließen kann, daß es bereits vor der Gründung des Stifts in Butzbach eine Bibliothek gab, welche die Brüder einfach übernahmen.48 Die gewählten Formulierungen könnte man auch in dem Sinn lesen, daß dem Rat 1468/69 zunächst Schlüssel für die erst von den Fraterherren gegründete Bibliothek ausgehändigt und damit ein „mytwiszen“ einge-räumt worden war, die Brüder sich danach aber zunehmend das alleinige Recht auf die Benutzung der Bücher einräumten („der sye sich nun gancz underwinden“).

Über die weiteren Geschicke der Kugelhaus-Bibliothek erfährt man über lange Zeit so gut wie nichts. Aus dem 16. Jahrhundert sind nur zwei Quellen zu nennen, die sich auf die Bibliothek beziehen. Der bekannte Theologe und Chronist Sebastian Franck (1499– 1542) erwähnt in einem Abschnitt über die Kugelherren in seiner erstmals 1531 in Straßburg gedruckten ‘Chronica’ die Butzbacher Niederlassung und deren „Librey“. Aufhorchen läßt, daß sich Franck zufolge dort Autographen (Johannes) Wessel Gans-forts († 1489) beziehungsweise Johann Rucherats von Wesel († gegen 1479/81) und

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John Wyclifs († 1384) befunden haben sollen.49 Diese der Bibliothek natürlich zur Ehre gereichende Mitteilung würde man gerne bestätigt sehen, doch findet sich im Inventar von Justus Camerarius von 1601 (s.u.) als der einzigen Möglichkeit, dies verifizieren zu können, kein Eintrag zu diesen Autoren – und Autographen von ihnen wären dem Ge-lehrten bestimmt nicht entgangen. Entweder waren diese der Bibliothek zuvor abhanden gekommen, oder Francks Information liegt ein Irrtum zugrunde.

Die zweite hier relevante Quelle ist ein handschriftliches, flüchtiges Inventar des Haus-rats im Kugelhaus, zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im 16. Jahrhundert angefertigt, das auch kurz auf das Mobiliar „uff der Lieberey“ eingeht. Demnach befan-den sich dort unter anderem fünf Schränke „voller bucher“ und ein Bücherpult (Darm-stadt StA E 5 B 3 Nr. 184/3, 5v).

Welcher Zeit die heute an den aus Butzbach stammenden Büchern erkennbaren Verwal-tungsspuren von seiten Butzbacher Bibliothekare jeweils zugehörig sind, läßt sich nicht genau sagen. Sicher auf die Fraterherren zurück gehen nur die zahlreich erhaltenen, zu-meist in den Deckeln der Handschriften wie Druckschriften anzutreffenden Besitzver-merke mit der in aller Regel gleichlautenden Formulierung „Liber capituli ecclesie sancti Marci in Butzbach“ – bei variabler Schreibweise des Ortsnamens (vgl. Abb. 3). Wenn der Eindruck nicht täuscht, entstand zumindest der Großteil dieser Vermerke in deutlichem zeitlichen Abstand zur Gründungsphase des Stifts, vielleicht erst im (begin-nenden) 16. Jahrhundert. 50 Auf eine Besitzkennzeichnung wäre folglich zunächst über längere Zeit verzichtet worden, bevor diesem Mangel zu einem oder mehreren Zeit-punkten Abhilfe geschaffen wurde, und zwar auffälligerweise von im wesentlichen le-diglich drei bis vier Schreibern, unter ihnen der sogenannte „Imitator angelsächsischer Minuskeln“ (vgl. im Katalog zu Hs 1250).

Ein anderer grundlegender Schritt war das Anlegen eines Signaturensystems, indem jedem Band ein Großbuchstabe zusammen mit einer arabischen Zahl zugeordnet wurde (A 1 ff.).51 Die jeweilige Signatur wurde auf ein quadratisches Papierschildchen ge-schrieben und dieses dann oben auf den Vorderdeckel des jeweiligen Buches geklebt, oder sie wurde in selteneren Fällen direkt in oder auf das Buch geschrieben. Auf nicht wenigen der ehemaligen Butzbacher Handschriften sind diese Signaturen erhalten (vgl. die Signaturenkonkordanzen im Anhang dieses Katalogs sowie bei Bayerer, Katalog, S. 233–235), die Inkunabeln und späteren Drucke dieser Provenienz müßten noch darauf-hin untersucht werden. Ob die Signieraktion noch in die Zeit der Butzbacher Fraterher-ren fällt, muß offenbleiben. Auch liefern die noch vorhandenen SignatuFraterher-ren keine ausrei-chende Grundlage für eine Deutung der damals angestrebten Gliederung der Bibliothek. Offenkundig handelte es sich jedenfalls nicht um eine Ordnung nach Buchformaten.

49 Sebastian Franck, Chronica, zeytbuch und geschychtbibel von anbegyn biß inn diß gegenwertig M. D.

xxxi. jar ... Straßburg 1531, 480r (aus Buch 4, Kap. „Cappel Münch oder kaepler orden“): „Zu

Butsch-bach in der statt, vier meyl von Franckfort gelegen, ist diser ord reformiert und etwas strenger; die helt man für frum leut, haben von den nachpaurn ein gut gezeugnus. Die haben ein Librey, darinn ligt des Wesselus [Wessel Gansfort oder Johann Rucherat von Wesel] und Wickleffs eygen handgeschrifft und erst exemplar von ym geschriben. Seind gelert münch, predigen, hoeren beicht und versehen die pfar daselbs die yr ist. Iren obern heissen sie propst, sie wollen nit münch sein noch ein closter haben, sunder brueder unnd herrn, und yr Convent oder closter nennen sie den Capitelhoff oder hauß.“ Vgl. auch A. Wagner, Zwei Beichtanweisungen aus dem 15. Jahrhundert, Handschriften des St. Marcus-Stiftes in Butzbach, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 9, 1888, S. 432–479, hier 436; Krätzinger S. 65.

50 Der Wortlaut dieser Besitzvermerke entspricht exakt den Statuten des Oberdeutschen Generalkapitels,

die in dem um 1500 entstandenen Cod. Theol. 1567 der SUB Hamburg vorliegen, vgl. Faix S. 91–94, 171 und Anm. 90.

51 Dasselbe, damals nicht unübliche Signaturensystem weist das Tischlesungsverzeichnis von

Zevenbor-ren aus dem ersten Viertel des 16. Jh. auf, das beispielhaft zeigt, welche Bücher damals in einem Augu-stiner-Chorherrenkloster welchen Signaturen zugeordnet sein konnten, vgl. Kock S. 148–181.

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Ebenfalls von Bedeutung sind schließlich die noch erhaltenen alten Rückenschilder, für deren Wortlaut, soweit er Handschriften betrifft, auf die Beschreibungen im Katalog zu verweisen ist. Es handelt sich durchweg um Papierschilder, die teilweise offenbar schon vor der Gründung des Butzbacher Stifts entstanden und später nicht mehr ersetzt wur-den. Zu einem wiederum nicht rekonstruierbaren Zeitpunkt muß es allerdings eine auf den Textbestand bezogene Revision der Kugelhaus-Bibliothek gegeben haben, in deren Folge eine weitgehende Neubeschilderung der Buchrücken erfolgte. Von ein und der-selben Hand nämlich stammen zahlreiche recht ausführliche Rückenschilder, in der Re-gel zumindest in der ersten Zeile in Maiuskeln beschriftet und, was die Handschriften anbelangt, wohl allesamt mit dem Zusatz „MS“ für „Manuscriptum“ versehen. Stili-stisch dürften diese Schilder eher dem 16. als dem 15. Jahrhundert zuzuweisen sein. Auch hier ist demnach nicht auszuschließen, daß es sich um Ergänzungen handelt, die erst nach der Auflösung des Fraterherrenstifts 1555 erfolgten, als die Bibliothek unter die Verwaltung des Butzbacher evangelischen Pfarramts fiel.

Besitz, Erwerb und Produktion von Handschriften im Butzbacher Fraterherrenstift

In der Gründungsphase des Butzbacher Stifts der Brüder vom Gemeinsamen Leben und auch in den anschließenden Jahren des Aufbaus stellte sich fortwährend die Frage, auf welchen Wegen man Bücher für die Stiftsbibliothek erlangen könnte. Ausgehend von dem, was man zu Anfang besaß, mußte man überlegen, inwieweit die Bibliothek durch eigenes Zutun einerseits oder andererseits durch das Engagement außerhalb der Ge-meinschaft stehender Personen erweitert werden konnte. Blicken wir allein auf die Handschriften: Wieviele besaß die Bibliothek der Fraterherren zum Zeitpunkt ihrer Gründung, wie hoch ist der Anteil an von außen gestifteten und wie groß jener an von den Brüdern selbst geschriebenen Handschriften?

Unter welchen Prämissen man sich diesen Fragen mit Blick auf die Situation der Brüder vom Gemeinsamen Leben im 15. und 16. Jahrhundert nähern muß, hat jüngst Thomas Kock gezeigt.52 Ein Ergebnis seiner Arbeit ist die wichtige Erkenntnis, daß sich das

althergebrachte Forschungsstereotyp nicht weiter aufrechterhalten läßt, die der Devotio Moderna verpflichteten Brüdergemeinschaften hätten einen Großteil ihres Lebensunter-halts aus dem Verkauf selbstgeschriebener Handschriften bestritten, womit gleichzeitig das „Laienapostolat“ der Verbreitung geistlichen Schrifttums, namentlich in volks-sprachlicher Fassung, unter den Menschen außerhalb ihrer Niederlassungen erfüllt wer-den sollte. Tatsächlich ist nach Kock festzustellen, daß die Einkünfte der Brüder fast ausschließlich aus ihren Pfründen und durch Stiftungen zusammenkamen, Handschrif-ten hingegen in aller Regel für den Eigenbedarf geschrieben und nur in geringem Um-fang auch verkauft wurden.53 Zusätzlich zu der Eigenproduktion wurden Handschriften, soweit finanzielle Mittel vorhanden waren, durch Ankauf, ansonsten durch Tausch und durch Stiftungen erworben.

Den vorhandenen Quellen, also den Handschriften selbst und den recht umfangreichen Archivalien zufolge treffen diese Beobachtungen auf das Butzbacher Fraterherrenstift und seine Bibliothek im wesentlichen zu. Allerdings stellt diese Bibliothek aus

52 T. Kock, Die Buchkultur der Devotio moderna. Handschriftenproduktion, Literaturversorgung und

Bibliotheksaufbau im Zeitalter des Medienwechsels, Frankfurt/M. 1999 (Tradition – Reform – Innovati-on, 2) (hier zitiert: Kock), hier bes. S. 276 zu Butzbach.

53 Vgl. ebd. S. 312: „Nicht die gewerbliche Buchproduktion ist das wesentliche Kennzeichen der Devotio

moderna, sondern ihre Selbstbezeichnung als Bibliotheksgemeinschaft. [...] Den einzelnen Gemeinschaf-ten ging es um die Sammlung von Büchern, nicht um deren Verbreitung.“

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ren Gründen einen Sonderfall dar, mit spezifischen Befunden im Hinblick auf den Be-sitz, den Erwerb und die Produktion von Handschriften, wie nachfolgend zu zeigen sein wird.

Wie jede neu gegründete Bibliothek bedurfte auch die Butzbacher sozusagen eines er-sten Anschubs, um existieren zu können. Diesen lieferte Gabriel Biel – der zunächst als ‘normaler’ Bruder in das Haus eintrat und seit 1470 dessen Propst war –, indem er sei-nen umfangreichen Buchbesitz zur Verfügung stellte. Dies darf man trotz des Fehlens hierauf bezogener Quellen sicher behaupten, eben weil Biels Handschriften (und Inku-nabeln ?) stets Bestandteil der ehemaligen Kugelhaus-Bibliothek waren. Selbst diejeni-gen Bände aus Biels Besitz, die später für einige Zeit in Tübindiejeni-gen waren, gelangten spä-testens nach dem Tod Wendelin Steinbachs (1519) wieder nach Butzbach zurück (vgl. S. 61–62; 83). Sicherlich stützten die Bibliothek auch andere Brüder der ersten Stunde, die über eigene Bücher verfügten; namentlich von Petrus Heilant de Erbach darf man dies annehmen (vgl. S. 53–54; 62). Aus diesen Stiftungen ergab sich von vornherein ein außergewöhnlich umfangreicher Grundstock an Büchern. Hierin unterschied sich die Butzbacher Büchersammlung von Bibliotheken anderer Niederlassungen der Brüder vom Gemeinsamen Leben, die erst mühsam über Jahre aufgebaut werden mußten.

Daß der Bücherbestand in Butzbach auch in der Folgezeit durch Stiftungen erweitert wurde, zeigen beispielhaft einzelne erhaltene konkrete Hinweise auf Legate, sowohl was Handschriften als auch was Inkunabeln anbelangt. So war die heutige Gießener Inkunabel Ink V 35000 von Johannes de Franckfordia geschenkt worden und Ink V 35750 aus dem Nachlaß des 1495 verstorbenen Conradus Stitz an die Bibliothek ge-kommen (vgl. Schüling Nr. 492, 549). Als Gegenleistung dafür, daß er die heutige Hs 726 stiftete, erbat Vikar Johannes Sydebome aus Wetzlar für sich und seine Familie von den Butzbacher Brüdern die Fürbitte in der Seelenmesse.54 Was die heutige Hs 774 an-belangt, so hatte deren Schreiber Conradus Rendel dem Vernehmen nach ausgemacht, daß er über die Handschrift zu seinen Lebzeiten verfügen dürfe, diese nach seinem Tod aber an die Butzbacher Bibliothek als der rechtmäßigen Besitzerin gelangen solle (vgl. im Katalog zu Hs 774).

In welchem Maß Handschriften durch Kauf für die Butzbacher Bibliothek erworben wurden, läßt sich mangels ausreichender Quellen kaum beurteilen. Der einzige sicher auf Butzbach beziehbare Kaufvermerk findet sich in Hs 52, die Schulmeister Ciriacus de Butzbach 1478 kaufte.55 Weitere Kaufvermerke in Hs 618, 653, 724, 832 stammen augenscheinlich sämtlich aus der Zeit vor der Gründung des Butzbacher Stifts.

Es bleibt noch der wohl interessanteste Aspekt der eingangs gestellten Frage zu erör-tern: In welcher Anzahl und zu welchem Zweck schrieben die Butzbacher Brüder selbst Handschriften? Betrachtet man die Einschätzung der bisherigen Forschung hierzu, so hätten sie ihre eigenen Handschriften großenteils selbst geschrieben und zudem sehr gut vom Verkaufserlös weiterer selbst produzierter Handschriften gelebt.56 Diese

Bewer-tung schien im Hinblick auf das Butzbacher Stift sogar besonders naheliegend, zählte doch dessen Propst Gabriel Biel zu den nachdrücklichsten Befürwortern der hand-schriftlichen Vervielfältigung und möglichst weiten Verbreitung theologischer Texte. Auf die diesbezüglichen, eng an Johannes Gerson angelehnten Äußerungen Biels in seinem möglicherweise kurz vor oder kurz nach der Gründung des Butzbacher Stifts

54 Vgl. Bayerer, Katalog, S. 130.

55 Vgl. Bayerer, Katalog, S. 4; ferner Kapitel „Vorbesitzer“.

56 Vgl. besonders Crusius, Butzbach, S. 34 f.: „Das Einkommen durch das Schreiben von Büchern war

nicht unbeträchtlich (Darmstadt StA E 5 B 3 Nr. 181/4) [s. dazu zwei Anm. weiter]. [...] Den größten Teil der Handschriften werden sie [die Brüder] selbst kopiert haben.“; hiernach Rühl S. 19 f.; ähnlich schon Landeen (wie Anm. 24) S. 169.

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