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(1)

Herbert Wabnegg

Das Öffentliche verantworten

Zur politischen Steuerung des Öffentlichen

Dissertation

zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Philosophie

Fachbereich Gruppendynamik und Organisationsentwicklung Doktoratsstudium Organisationsentwicklung

Alpen-Adria-Universität Klagenfurt

Fakultät für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung

Erstbegutachter: Univ.-Prof. Dr. Ralph Grossmann

Abteilung Organisationsentwicklung - Organizing Public Goods Zweitbegutachter: ao. Univ.-Prof. Dr. Klaus Scala

Dezember 2005

(2)

Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Schrift verfasst und die mit ihr unmittelbar verbundenen Arbeiten selbst durchgeführt habe. Die in der Schrift verwendete Literatur sowie das Ausmaß der mir im gesamten Arbeitsvorgang gewährten Unterstützung sind ausnahmslos angegeben.

Die Schrift ist noch keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt worden.

-M

Ü * ^

<2-^

Mag. Herbert Wabnegg Wien, 2. Dezember 2005

IADOKUMENTE UND EINSTELLUNGEN\HERBERT WABNEGG\EIGENE DATEIEN\DISS\TEXTFASSUNGEN\HW_DISS_ENDG.DOC S E I T E 3

TEXIV. I.3(ENDGÜLTIGEFASSUNG) | REV.NR.25 | ERSTELLT01.12.2005 12:41 | GESPEICHERT02.12.20054:11 | GEORUCKT 05.12.2005 10:26 VON345

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Herbert W a b n e g g Das Öffentliche verantworten

Inhalt

Verzeichnis der Abbildungen 8

Vorbemerkung 9 1. Petruchios Spiel 11

1.1. Die Personen 12 1.2. Die 14 Szenen des Spiels 12

1.3. Die Geschichte 16 Das Vorspiel 16 Die Geschichte von Bianca und Lucentio 18

Die Brautwerbung 19 Die Geschichte von Katharina und Petruchio 19

1.4. Die Reisen 21 1.5. Der Titel 22 1.6. Das Spiel im Spiel 23

1.7. Der Spieler Petruchio 24 1.8. Katharinas Spiel 25 2. Politische Steuerung des öffentlichen 27

2.1. Der Begriff des Öffentlichen 27 2.2. Organisationen des Öffentlichen 29 2.3. Zur Methode: Die Differenzanalyse 31

Auswertung 32 Theoretische Konzeptualisierung 34

Analoge Verarbeitung 35 2.4. Politik kann nur Politik gestalten 36

2.5. Organisationsentwicklung 37

2.6. Verantwortung 38 2.7. Über Landschaften, Reisen und Landkarten 38

3. Ausdifferenzierung 41 3.1. Was ist öffentlich? 44 3.2. Das Öffentliche organisieren 47

3.3. Politische Steuerung 50 3.4. Abgrenzung von Politik und Organisation 57

3.5. Grenzen der Privatisierung 59 3.6. Symmetrie der Veränderung 64

4. Organisationsformen 69 4.1. Staatliche Verwaltung 72 4.2. Gemeinwirtschaftliche Unternehmen .*. 75

4.3. Selbstverwaltung 76 4.4. Verbände 82 4.5. Ausgliederung in eigene Rechtsträger besonderer Form - AMS 83

4.6. Autonome Körperschaften 86 4.7. Selbständige Wirtschaftsbetriebe 91 4.8. Public Private Partnership 93

5. Steuerungsmodelle 95 5.1. Politische Kontrolle vs. Verselbständigung 100

5.2. New Public Management 104 5.3. Strukturelle Kopplung komplexer Systeme 107

l:\DOKUMENTE UND EINSTEUUNGENXHERBERT WABNEGG\ElGENE 0 A T E I E N \ D I S S \ T E X T F A S S U N G E N \ H W _ D I S S _ E N D G . D O C b E I T E 5

TEXTV. l.3(ENDGÜLTIGEFASSUNG) | REV.NR.25 | ERSTELLT01.12.2005 12:41 | GESPEICHERT02.12.20054:11 | GEDRUCKT05.12.2005 10:26 VON345

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Steuerungsdimensionen 113

6. Rollen. 115 6.1. Rollen im Steuerungssystem 117

6.2. Politische Verantwortung 121 Wo ist politische Steuerung angesiedelt? 124

Politische Interessen 128 Persönliche Anforderungen 130 Spitzenbeamte und politische Stäbe 133

Rollenzuschreibungen 134 Aufgaben politisch Verantwortlicher 136

Eigentümerfunktion und Steuerung 138

6.3. Managementfunktionen 141 Manager als Politikberater 145 Management und Macht 147

6.4. Mitbestimmung 149 7. Organisation und Umwelt 153

7.1. Aufgabenorientierung 157 Veränderungsdruck der Organisationsumwelt 158

Struktureller Druck 161 7.2. Stakeholderorientierung 163

Mißbrauch politischer Steuerung 165

7.3. Kundenorientierung 167 7.4. Mitarbeiterorientierung 170

Wissen und Identifikation 170 Autonomiebedürfnisse 171 Rahmenbedingungen 172

8. Strategien 175 8.1. Politische Flexibilität oder klare Ziele? 178

8.2. Kriterien des Erfolgs 181 8.3. Strategiefähigkeit von Organisationen des Öffentlichen 183

8.4. Veränderungsziele 185 Leistungsfähigkeit 187 Wirtschaftlichkeit 188 Europäisierung/Intemationalisierung 191

Gesellschaftspolitische Ziele 194

8.5. Sinnkonstruktionen 197 8.6. Steuerung durch symbolische Handlungen 199

8.7. Zuschreibung von Wirkungen 201

9. Instrumente 205 9.1. Medium und Form der politischen Steuerung 205

Direkte Steuerungseingriffe 207 Gestaltung von Rahmenbedingungen 208

Budgets 211 Leistungsaufträge — Leistungsvereinbarungen 214

Steuerung durch Macht 218 Formale und Informale Strukturen 220

Lobbying 222 9.2. Führungsinstrumente 225

Arbeitsprogramme und Leistungsvereinbarungen 227

Qualitätsmanagement 229 Kennzahlen und Controllingsysteme 232

SEITE 6 IADOKUMENTE UND EINSTELLUNGENMHERBERT WABNEGG\EIGENE DATEIEN\DISS\TEXTFASSUNGEN\HW_DBS_ENDG.DOC V O N 3 4 5 T E X T V . l . 3 ( E N D G Ü L T I G E F A S S U N G ) | R E V . N R . 2 5 | E R S T E L I T O I . 1 2 . 2 0 0 5 12:41 | G E S P E I C H E R T 0 2 . 1 2 . 2 0 0 5 4 : 1 1 | G E D R U C K T 0 5 . 1 2 . 2 0 0 5 10:26

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Zur politischen Steuerung des Öffentlichen Inhalt

Personalentwicklung 237 Gender Mainstreaming 239 10. Steuerungsarchitekturen 243

10.1. Schnittstellen 245 10.2. Abstimmungssysteme 247 10.3. Formale Verfahren 250 10.4. Informelle Kommunikation 252

10.5. Gesprächsdesign 253 10.6. Netzwerke 255

Personenorientierung 257 Interner Wettbewerb 262 Professionelle Netzwerke 263 Politische Steuerung: offene oder geschlossene Systeme? 265

10.7. Die Übersetzungsfunktion politischer Steuerung 266

11. Prozesse 269 11.1. Organisationsberatung 272

11.2. Politikberatung 275 Wahrnehmungsdefizite ausgleichen 275

Politische Kommunikationsberatung 276 Wahrnehmung sozialer Widersprüche 279 Politische Handlungsspielräume eröffnen 280

11.3. Beratungsansätze 282 Strategieberatung 284 Managernentstrukturen 285 Leistungsprozesse und Produktivität 286

11.4. Grenzen der Beratung des Öffentlichen 287

11.5. Veränderungsarchitekturen 288

Zusammenfassung 293

Anhang 297 Anhang 1: 95 Thesen 299

Anhang 2: Abkürzungen 307 Anhang 3: Literatur 309 Anhang 4: Materialien zur Methode 321

Gesprächspartner 321 Verweisungsnetzwerk 322 Vorinformationen zum Interviewtermin 323

Checkliste für die Interviewterminvereinbarung 324

Checkliste für das Gespräch 325 Rahmenbedingungen des Gesprächs 326 Anhang 5: Exemplarische Transkription eines Interviews 327

Anhang 6: Storyline 341 Anhang 7: Rahmenbedingungen des Gesprächs 345

I:\DOKUMENTEUNOEINSTELLUNGEN\HERBERTWABNEGG\EIGENEDATEIEN\DBS\TEXTFASSUNGEN\HW_DBS_ENDG.DOC S E I T E 7

TEXTV. l.3 (ENDGÜLTIGE FASSUNG) |REV. NR. 25 | ERSTEUT01.12.2005 12:41 | GESPEICHERT02.12.2005 4:11 | GEDRUCKT05.12.2005 10:26 VON345

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Verzeichnis d e r A b b i l d u n g e n

Abbildung 1: Rekursive Beobachtung von Beobachtungen 17

Abbildung 2: Ausgangssituation 18 Abbildung 3: Werbung .'. 19

Abbildung 4: Endsituation 21 Abbildung 5: Petruchios Spiel 23 Abbildung 6: Katharinas Spiel 25 Abbildung 7: Ausdifferenzierung 43 Abbildung 8: Selbststeuerung - Kybernetik 1. Ordnung 55

Abbildung 9: Steuerung - Kybernetik 2. Ordnung 56 Abbildung 10: Das Akteurmodell politischer Steuerung 95 Abbildung 11: Strukturelle Kopplung von Systemen 109

Abbildung 12: Steuerungsmodelle 110 Abbildung 13: Steuerungsdimensionen 113 Abbildung 14: Funktionssysteme, Steuerungssystem, Organisationen 118

Abbildung 15: Umweltdimensionen 157

S EITE 8 l:\DOKUMENTE UND EINSTEUUNGENXHERBERT WABNEGGNElGENE DATEIEN\DBS\TEXTFASSUNGEN\HW_DBS_ENDG.DOC V O N 3 4 5 TEXTV. 1.3 (ENDGÜLTIGE FASSUNG) | REV. NR. 25 | ERSTEUT01.12.2005 12:41 | GESPEICHERT02.12.2005 4:11 | GEDRUCKT05.12.2005 10:26

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Herbert Wabnegg Das Öffentliche verantworten V o r b e m e r k u n g

Am Anfang dieser Arbeit stehen eine Beobachtung und eine Frage:

Die Beobachtung: Öffentliche Aufgaben werden zusehends nicht vom Staat (der „öffentlichen Hand"), sondern von selbständigen Organisationen (vom Staat ins Leben gerufenen, aber auch von Unternehmen und Organisationen der Zivilgesellschaft) wahrgenommen.

Die Frage: Verabschiedet sich die Gesellschaft damit von der Idee der Verantwortung für öffentliche Aufgaben oder bleibt die Verantwortung fürs Öffentliche bestehen?

Diese Frage kann nur dann im Sinn des Fortbestehens der Verantwortung fürs Öffentliche beantwortet werden, wenn sich zeigen läßt, wie diese Verantwortung unter veränderten Bedingungen wahrgenommen wird, und diese Verantwortung wahrnehmen heißt: politisch steuern.

Um zu erforschen, wie politische Steuerung des Öffentlichen in Österreich unter den Bedingungen der Verselbständigung öffentlicher Aufgaben in Organisationen erfolgt, habe ich Gespräche mit 30 Experten geführt: mit Politikern, Managern von Organisationen des Öffentlichen und in diesem Bereich tätigen Beratern.

Diese 30 Gespräche bestimmen den Inhalt dieser Arbeit. Die Themen, die hier behandelt werden, sind die Themen, die meine Gesprächspartner angeschnitten haben. Es sind ihre Beobachtungen. Meine Rolle als Forscher ist die eines Beobachters von Beobachtern — und ich lade Sie als Leser dazu ein, diese Rolle mit mir zu teilen.

Ich habe versucht, die Beobachtungen in Gesprächsform zu ordnen, in der Form virtueller Gespräche, die so niemals stattgefunden haben — aber so stattfinden hätten können, hätten sich die Gesprächspartner in einem Raum versammelt. Diese Form (des Dialogs) hat eine lange Tradition;

hier ist die Absicht allerdings nicht instruktiv — diese Arbeit will nicht belehren. Sie lädt ein, mit zu beobachten und nachzudenken. Sie hat daher auch keinen durchgehenden Argumentationsfaden — man kann jedes Gespräch für sich lesen, in beliebiger Reihenfolge. Wenn Sie das tun, können Sie selbst die Position des Forschers einnehmen und ihren eigenen Text organisieren — so, wie ich es getan habe.

Der Dialog ist auch die Form des Dramas. An Stelle einer Einleitung finden Sie auf den nächsten Seiten ein Stück von Shakespeare, das Sie so noch nicht kennen werden; ich habe es nach dem Prinzip der Beobachtung von Beobachtungen zerlegt. Sie finden Teile dieses Stücks, seiner Handlung, seiner Personen, unter wechselnden Gesichtspunkten (die wohl nicht die Gesichts- punkte Shakespeares waren) neu geordnet: Was können wir aus dem Verhalten der Personen auf der Bühne über die Steuerung sozialer Systeme erfahren?

Wir können unsere Umwelt niemals so verstehen, wie sie sich versteht; aber wir können versuchen, uns in bezug auf unsere Umwelt selbst besser zu verstehen. Wenn diese Arbeit dazu beiträgt, daß Sie ihr Bild von politischer Steuerung des Öffentlichen verändern oder ergänzen, hat sie ihre Aufgabe erfüllt.

These J: Politische Steuerung des Öffentlichen beruht auf der Beobachtung von Beobachtungen.

l:\DOKUMENTE UND EINSTEUUNGEN\HERBERT W A B N E G G \ E I G E N E DATEIEN\DlSS\TExrFASSUNGEN\HW_DBS_ENDG.DOC S EITE 9 TEXTV. l.3 (ENDGÜLTIGE FASSUNG) | REV.NR.25 | ERSTEUT01.12.2005 12:41 | GESPEICHERT02.12.2005 4:11 | GEDRUCKT05.12.2005 10:26 VON 345

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1 . Petruchios Spiel

Über die Steuerung sozialer Systeme. Ein Vorspiel.

Wirklichkeit ist die Konstruktion eines Beobachters1. Erzählungen sind Programme zur Beobachtung unserer Welt. Auch Theaterstücke sind Erzählungen, und gute Stücke beruhen nicht nur selbst auf Beobachtungen, sondern dienen uns — bewußt und unbewußt — als Beobachtungsprogramme. Sie tun das in erster Linie durch Sprache, durch Bilder und Metaphern, die wir benutzen und mit deren Hilfe wir die Welt, wie wir sie erleben, ordnen. Kaum ein Autor hat weit über seinen Sprachraum und über seine Zeit hinaus unsere Sprachbilder so geprägt wie William Shakespeare. Wie viele der folgenden Redewendungen würden Sie auf Anhieb Shakespeare zuordnen? Und aus welchem Stück stammen sie? „Einmal besser als keinmal. " „Besser spät als nie. "

„Durch Liebe töten." „Der Hafen des Glücks. "2

Wenn ich einen Shakespeare zugeschriebenen Text zur Vorlage dieser Einführung nehme, so geschieht das nicht in literaturwissenschaftlicher Anmaßung. Der Text soll helfen, einleitend für die Steuerung sozialer Systeme zentrale Konzepte darzustellen: die Unterscheidung von System und Umwelt, Beobachtung erster und zweiter Ordnung, Unterscheidungen, Strategien, Paradoxien, Kontextsteuerung, Sinn, Prozesse. Dabei steht ein Gedanke im Vordergrund: Gelingende Kommunikation beruht auf konditionierter Selektivität, oder weniger abstrakt ausgedrückt: wie bei einem Spiel geht es darum, immer schon zu erahnen, was der Partner im Spiel als nächstes tun wird, und sich dennoch immer aufs neue von seinen Zügen überraschen zu lassen. Ein solches Spiel — zwischen Katharina (der Widerspenstigen) und Petruchio (Brautwerber, Bräutigam, Ehemann und Geliebter — in dieser Reihenfolge) — entfaltet sich in Shakespeares Text.

Shakespeare leitet sein Stück mit einem Vorspiel ein, das den Zuschauer anleitet zu beobachten.

Als ein solches Vorspiel soll auch dieser Abschnitt dienen.

Spielen heißt immer sich auf etwas und auf jemanden einlassen, sich überraschen lassen, zu überraschen lernen, gemeinsam Neues entdecken und Spaß am Spiel zu finden. Politische Steuerung des Öffentlichen ist wie die Verantwortung fürs Öffentliche eine ernsthafte Angelegenheit. Aber nur wenn es gelingt, Ernsthaftes spielerisch zu bewältigen und daran auch Freude zu finden, können alle Ressourcen für das Gelingen genutzt werden. So gesehen heißt das Öffentliche verantworten: einen spielerischen Zugang zum Thema suchen — aber auch: das Spiel verstehen und die Spieler kennen3.

1 und Wahrheit die Erfindung eines Lügners, behauptet jedenfalls Heinz von Foerster. (Foerster, Pörksen 2003).

„Wahrheit ist überwundener Zweifel', meint dagegen Niklas Luhmann (Luhmann 2003, S. 14).

2 Alle diese Redewendungen stammen aus „Der Widerspenstigen Zähmung" in der Übersetzung von Wolf Heinrich Graf Baudissin (Shakespeare, Baudissin 2000). „Shakespeare had an extraordinary ability to spin off memorable combinations of words. Scores of phrases have entered the language and have become, in some cases, cliches. Just one play, Hamlet, is a treasure house of 'quotable quotes':

Frailty, thy name is woman!

More in sorrow than in anger [...]

Brevity is the soul of Wit More matter with less art

Though this be madness,yet there is method in it The play's the thing [...]"

(McCrum, Cran, MacNeil 1986, S. 103) [Hervorhebungen von mir, HW]

3 „Die Gestaltungsmöglichkeiten für das Management ergeben sich aus der Möglichkeit, die Ebene der Spieler und die der Spielregeln getrennt zu betrachten und die Kombination von Akteuren und Aktionen zu variieren." (Simon 2004, S. 71)

I:\DOKUMENTEUNDEINSTELLUNGEN\HERBERTWABNEGG\EIGENEDATEIEN\DBS\TEXTFASSUNGEN\HW_DBS_ENOG.DOC S E I T E 1 1

TEXTV. 1.3(ENDGÜLTIGEFASSUNG) | R E V . N R . 2 5 | ERSTEUT01.12.2005 12:41 | GESPEICHERT02.12.20054:11 | G E D R U C K T 0 5 . 1 2 . 2 0 0 5 10:26 VON345

(9)

Herbert W a b n e g g Das Öffentliche verantworten

Bianca

Hortensio aus Padua

Eine Witwe

Gremio aus Padua 1.1. Die Personen

System und Umwelt Die Väter

Baptista aus Padua Die Töchter des Baptista Katharina

Die Freier Petruchio aus Verona

Die Diener

Grumio Curtis Die Übrigen Schneider, Putzhändler, Bediente

Die Personen des Vorspiels

Christoph Schlau (Christopher Sly), ein Kesselflicker Ein Lord

Wirtin Page 1.2. Die 14 Szenen des Spiels

Beobachtungen erster Ordnung Vorspiel 1. Szene

Ein L o r d beschließt, d e m b e t r u n k e n e n Kesselflicker

„O scheußlich Tier! Da liegt er wie ein Schwein! — Graunvoller Tod! Wie ekel ist dein Abbild! - Hört, mit dem Trunknen will ich was beginnen.

Was meint ihr, wenn man in ein Bett ihn legte, In feinem Linnen, Ring' an seinen Fingern, Ein recht erlesnes Mahl an seinem Lager, Stattliche Diener um ihn beim Erwachen: — Würde der Bettler nicht sein selbst vergessen?"

Vincentio aus Pisa

Lucentio aus Pisa

Tranio Biondello Ein Magister aus Mantua

Jäger, Bediente, Schauspieler

Christoph Schlau einen Streich zu spielen.

, 0 monstrous beast, how like a swine he lies!

Grim death, how foul and loathsome is thine image!

Sirs, I will practise on this drunken man.

What think you, if he were conveyed to bed,

Wrapped in sweet clothes, rings put upon his fingers, A most delicious banquet by his bed,

And brave attendants near him when he wakes, Would not the beggar then forget himself?"

Vorspiel 2 . Szene

Christoph Schlau läßt sich auf das Spiel mit d e m seine Frau vorstellenden Pagen ein.

„Nun, Madam Frau, man sagt, ich schlief und träumte Schon an die fünfzehn Jahre wohl und länger.

[Page:] Ja, und die Zeit bedünkte mich wie dreißig, weil ich so lang getrennt von deinem Bett.

[Ch.S.:] 's ist viel! Leute, laßt mich und sie allein.

Madam, zieht Euch nur aus und kommt zu Bett."

„Madam Wife, they say that I have dreamed And slept above some fifteen year or more.

[Page] Ay, and the time seems thirty unto me, Being all this time abandoned from your bed.

[Sly] 'Tis much. Servants, leave me and her alone.

Madam, undress you and come now to bed."

I. Aufzug 1. Szene

Lucentio erfindet mit seinem D i e n e r T r a n i o ein Spiel, u m an die sanfte Bianca h e r a n z u k o m m e n . ,,[L.:] Ach, Tranio! Wie so grausam ist der Vater!

Doch, hast du nicht gemerkt, wie er gesonnen, Ihr hochverständ'ge Lehrer zuzuführen? - [T.:] Das hört' ich, Herr, und fertig ist mein Plan.

[L..:] Tranio, nun hab ich's! —

,,[LV) Ah, Tranio, what a cruel father is he!

But art thou not advised he took some care To get her cunning schoolmasters to instruct her?

[T.] Ay marry, am I, sir - and now 'tis plotted.

[L.] I have it, Tranio.

SEITE 1 2

VON 345

l:\DOKUMENTE UND EINSTEUUNGENXHERBERT W A B N E G G \ E K 3 E N E D A T E I E N \ D B S \ T E X T F A S S U N G E N \ H W _ D B S _ E N D G . D O C T E X T V . 1 . 3 ( E N D G Ü L T I G E F A S S U N G ) | R E V . N R . 2 5 | E R S T E U T O I . 1 2 . 2 0 0 5 12:41 | G E S P E I C H E R T 0 2 . 1 2 . 2 0 0 5 4 : 1 1 | G E D R U C K T 0 5 . 1 2 . 2 0 0 5 1 0 : 2 6

(10)

[T.:] Lieber Herr, halbpart! -

Denn unsre List, merk ich, beut sich die Hand.

[L.:] Sag deine erst.

jT.:] Ihr wollt Hauslehrer sein

Und Euch zum Unterricht der Liebsten melden;

War es nicht so? —

[L.:] So war's. Und geht es an?"

[T.] Master, for my hand,

Both our inventions meet and jump in one.

[L.] Tell me thine first.

[T.] You will be schoolmaster,

And undertake the teaching of the maid — that's your device.

[L.] It is. May it be done?"

I. Aufzug 2 . Szene

P e t r u c h i o sieht in der W e r b u n g u m die zänkische Katharina ein Kinderspiel.

„Weshalb als in der Absicht kam ich her?

Denkt ihr, ein kleiner Schall betäubt' mein Ohr?

Hört' ich zu Zeiten nicht den Löwen brüllen?

Hört' ich das Meer nicht, aufgeschwellt von Sturm, Gleich wilden Ebern wüten, schweißbeschäumt?

Vernahm ich Feuerschlünde nicht im Feld, In Wolken donnern Jovis schwer Geschütz?

Hab ich in großer Feldschlacht nicht gehört Trompetenklang, Roßwiehern, Kriegsgeschrei?

Und von der Weiberzunge schwatzt ihr mir, Die halb nicht gibt so harten Schlag dem Ohr, Als die Kastanie auf des Landmanns Herd? - Popanze für ein Kind!"

II. Aufzug 1. Szene

P e t r u c h i o fordert Katharina z u m Spiel heraus.

„Nun, Käthchen, ich bin grad ein Mann für dich;

Denn bei dem Sonnenlicht, das schön dich zeigt, Und zwar so schön , daß ich dir gut sein muß, Kein andrer darf dein Ehmann sein als ich.

Ich ward geboren, dich zu zähmen, Käthchen, Dich aus 'nem wilden Kätzchen zu 'nem Käthchen Zu wandeln, zahm wie andre fromme Käthchen."

„Why came I hither but to that intent?

Think you a little din can taunt mine ears?

Have I not in my time heard lions roar?

Have I not heard the sea, puffed up with winds, Rage like an angry boar chafed with sweat?"

Have I not heard great ordnance in the field, And heaven's artillery thunder in the skies?

Have I not in a pitched battle heard

Loud 'larums, neighing steeds, and trumpets' clang?

and do you tell me of a woman's tongue, That gives not half so great a blow to hear As will a chestnut in a farmer's fire?

Tush, tush, fear boys with bugs!"

„Now, Kate, I am a husband for your turn;

For, by this light, whereby I see thy beauty,—

Thy beauty that doth make me like thee well,- Thou must be married to no man but me:

For I am he am born to tame you, Kate;

And bring you from a wild Kate to a Kate Conformable as other household Kates."

III. Aufzug 1. Szene

Lucentio betört, d e n Lateinlehrer C a m b i o spielend, Bianca.

„Hac that, as I told you before, Simois, I am Lucentio,

„Hac that — wie ich Euch schon sagte; Simois — ich bin Lucentio; hie est — Sohn des Vincentio in Pisa; - Sigeia tellus — so verkleidet, um Eure Liebe zu erflehen; - hie steterat — und jener Lucentio, der um Euch wirbt; - Priami — ist mein Diener Tranio; - regia — der meinen Namen trägt; — celsa senis — damit wir den alten Herrn Pantalon anfuhren."

hie est, son unto Vincentio of Pisa, Sigeia tellus, dis- guised thus to get your love; Hie steterat, and that Lu- centio that comes a wooing, Priami, is my man Tra- nio, regia, bearing my port, celsa senis, that we might beguile the old pantaloon."

III. Aufzug 2 . Szene

Petruchio m a c h t die H o c h z e i t m i t Katharina z u m Possenspiel.

„Ei, Petruchio langt jetzt an in einem neuen Hut und einem alten Wams; einem Paar alten Hosen, dreimal gewendet; mit einem Paar Stiefeln, die schon als

„Why, Petruchio is coming, in a new hat and an old jerkin; a pair of old breeches thrice turned; a pair of boots that have been candle-cases, one buckled, an-

l:\DOKUMENTE UND EINSTEUUNGENXHERBERT WABNEGG\ElGENE D A T E I E N \ D B S \ T E X T F A S S U N G E N \ H W _ D B S _ E N D G . D O C

T E X T V . 1 . 3 ( E N D G Ü L T I G E F A S S U N G ) | R E V . N R . 2 5 | E R S T E L L T O I . 1 2 . 2 0 0 5 12:41 | G E S P E I C H E R T 0 2 . 1 2 . 2 0 0 5 4 : 1 1 | G E D R U C K T 0 5 . 1 2 . 2 0 0 5 1 0 : 2 6

SEITE 13

(11)

Herbert W a b n e g g Das Öffentliche verantworten Lichtkasten gedient haben, einer mit Schnallen, der

andere zum Schnüren;..."

IV. Aufzug 1. Szene

Petruchio spielt Katharina ihr eigenes Spiel vor.

„Dies ist die Art, durch Lieb' ein Weib zu töten;

So beug ich ihren harten störr'gen Sinn Wer Widerspenst'ge besser weiß zu zähmen Mag christlich mir's zu sagen sich bequemen."

other laced; . . . "

„This is a way to kill a wife with kindness;

And thus I'll curb her mad and headstrong humour.

He that knows better how to tame a shrew, Now let him speak: 'tis charity to show."

IV. Aufzug 2 . Szene

Lucentios D i e n e r Tranio nötigt einen Magister, die Rolle v o n Lucentios Vaters z u spielen.

„Wenn der leichtgläubig meinen Märchen traut „If he be credulous and trust my tale, So ist er froh, Vincentio hier zu spielen; I'll make him glad to seem Vincentio, Und gibt Baptista Minola Verschreibung And give assurance to Baptista Minola, So gut als ob Vincentio selbst er wäre." As if he were the right Vincentio. "

IV. Aufzug 3 . Szene

Petruchio treibt sein Spiel m i t Katharina auf die Spitze.

„Was? Ist der Häher edler als die Lerche, Weil sein Gefieder bunter fällt ins Auge?

Und ist die Otter besser als der Aal, Weil ihre fleck'ge Haut das Aug' ergötzt?

O Käthchen, nein; so bist auch du nicht schlimmer Um diese arme Tracht und schlechte Kleidung."

„What is the jay more precious than the lark Because his feathers are more beautiful?

Or is the adder better than the eel Because his painted skin contents the eye?

O, no, good Kate; neither art thou the worse For this poor furniture and mean array."

IV. Aufzug 4. Szene

Lucentio sticht seine N e b e n b u h l e r durch das v o n Tranio inszenierte Schauspiel aus

„Und hilft Euch nicht zum Ziele, was ich Euch jetzt erdacht

Sagt Eurer schönen Bianca nur auf ewig gute Nacht.

„If this be not that you look for, I have no more to say,

But bid Bianca farewell for ever and a day."

IV. Aufzug 5. Szene

Katharina geht auf Petruchios Spiel ein.

,,[P.] Ich sag', es ist der Mond. - [K.] Natürlich ist's der Mond. -

[P.] Ei wie du lügst! 's ist ja die liebe Sonne! - [K.] Ja, lieber Gott! Es ist die liebe Sonne! - Doch nicht die Sonne, wenn du's anders willst:

Der Mond auch wechselt, wie es dir gelüstet, Und wie du's nennen willst, das ist es auch, Und soll's gewiß für Katharinen sein."

„[Pet.] I say it is the moon.

[Kath.] I know it is the moon.

[Pet.] Nay, then you lie; it is the blessed sun.

[Kath.] Then God be bless'd, it is the blessed sun:

But sun it is not when you say it is not, And the moon changes even as your mind.

What you will have it nam'd, even that it is;

And so, it shall be so for Katharine."

V. Aufzug 1. Szene

Lucentio gewinnt, sein Spiel offenlegend, Biancas H a n d .

,,[L«A] Love wrought these miracles. Bianca's love ,,[L.] Dies Wunder tat die Liebe. Biancas Liebe

Ließ meinen Stand mit Tranio mich vertauschen Made me exchange my state with Tranio,

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Indes er meine Rolle hier gespielt:

Und freudig bin ich endlich eingelaufen In den ersehnten Hafen meines Glücks.

Was Tranio tat, dazu zwang ich ihn selbst, Verzeiht ihm, mir zuliebe, teurer Vater."

While he did bear my countenance in the town;

And happily I have arriv'd at last Unto the wished haven of my bliss.

What Tranio did, myself enforc'd him to;

Then pardon him, sweet father, for my sake."

K ä t h c h e n küßt ihren Petruchio — ein Schauspiel in Paduas Straßen.

,,[K.] Komm, lieber Mann, zu sehn, was daraus wird.

[P.] Erst küsse mich, Käthchen, dann wollen wir gehen.

[K.] Was! Hier auf offner Straße?

[P.] Was? Schämst du dich meiner?

[K.] Nein, Gott bewahre;

aber ich schäme mich, dich hier zu küssen.

[P.] Nun, dann nur fort nach Hause: he! Bursch!

Gleich reiten wir.

[K.] Da hast du deinen Kuß: nicht wahr, nun bleibst du hier?

[P.] Ist das nun so nicht besser?

Mein liebstes Käthchen, sieh,

Einmal besser als keinmal, und besser spät als nie."

V. Aufzug 2. Szene

Katharina zeigt d e n Frauen, wie m a n das Spiel der

„(K.JPfui, pfui! Entrunzle diese drohnde Stirn, Und schieß nicht zom'ge Pfeil' aus diesen Augen, Verwundend deinen König, Herrn, Regierer.

Das tötet Schönheit wie der Frost die Flur, Zerstört den Ruf wie Wirbelwind die Blüten, Und niemals ist es recht noch liebenswert.

Ein zornig Weib ist gleich getrübter Quelle Unrein und sumpfig, widrig, ohne Schönheit:

Und ist sie so, wird keiner, noch so durstig, Sie würd'gen, einen Tropfen draus zu schlürfen.

Dein Ehmann ist dein Herr, ist dein Erhalter, Dein Licht, dein Haupt, dein Fürst, er sorgt für dich Und deinen Unterhalt, gibt seinen Leib

Mühsel'ger Arbeit preis zu Land und Meer, Wacht Nächte durch in Sturm, und Tag' in Kälte, Wenn du im Hause warm und sicher ruhst;

Und fordert zum Ersatz nicht andern Lohn Als Liebe, freundlich Blicken und Gehorsam:

Zu kleine Zahlung für so große Schuld.

Die Pflicht, die der Vasall dem Fürsten zollt, Die ist die Frau auch schuldig ihrem Gatten.

Und ist sie trotzend, launisch, trüb und bitter, Und nicht gehorsam billigem Gebot,

Was ist sie als ein tückischer Rebell, Sünd'ger Verräter an dem lieben Herrn?

Wie schäm ich mich, daß Fraun so albem sind!

Sie künden Krieg und sollten knien um Frieden!

O daß sie herrschen, lenken, trotzen wollen,

„[Kath.] Husband, let's follow, to see the end of this ado.

[Pet.] First kiss me, Kate, and we will.

[Kath.] What! in the midst of the street?

[Pet.] What! art thou ashamed of me?

[Kath.] N o , sir, God forbid;

but ashamed to kiss.

[Pet.] Why, then let's home again.

Come, sirrah, let's away.

[Kath.] Nay, I will give thee a kiss:

now pray thee, love, stay.

[Pet.] Is not this well?

Come, my sweet Kate:

Better once than never, for never too late."

Männer spielend gewinnt.

„[Kath.] Fie, fie! unknit that threatening unkind brow, And dart not scornful glances from those eyes, To wound thy lord, thy king, thy governor:

It blots thy beauty as frosts do bite the meads, Confounds thy fame as whirlwinds shake fair buds, And in no sense is meet or amiable.

A woman mov'd is like a fountain troubled, Muddy, ill-seeming, thick, bereft of beauty;

And while it is so, none so dry or thirsty Will deign to sip or touch one drop of it.

Thy husband is thy lord, thy life, thy keeper, Thy head, thy sovereign; one that cares for thee, And for thy maintenance commits his body To painful labour both by sea and land, To watch the night in storms, the day in cold, Whilst thou liest warm at home, secure and safe;

And craves no other tribute at thy hands But love, fair looks, and true obedience;

Too little payment for so great a debt.

Such duty as the subject owes the prince, Even such a woman oweth to her husband;

And when she's froward, peevish, sullen, sour, And not obedient to his honest will,

What is she but a foul contending rebel, And graceless traitor to her loving lord?—

I am asham'd that women are so simple To offer war where they should kneel for peace, Or seek for rule, supremacy, and sway,

l:\DOKUMENTE UND EINSTEUUNGENMHERBERT WABNEGG\EKSENE DATEIEN\DBS\TEXTFASSUNGEN\HW_DBS_ENDG.DOC

TEXTV. 1.3 (ENDGÜLTIGEFASSUNG) | R E V . N R . 2 5 | ERSTEUTOI.12.2005 12:41 | GESPEICHERT02.12.20054:11 | GEDRUCKT05.12.2005 10:26

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Herbert W a b n e g g Das Öffentliche verantworten Wo sie nur schweigen, lieben, dienen sollen!

Weshalb ist unser Leib zart, sanft und weich, Kraftlos für Müh' und Ungemach der Welt, Als daß ein weiches Herz, ein sanft Gemüte Als zarter Gast die zarte Wohnung hüte?

O kommt, ihr eigensinn'gen, schwachen Würmer!

Mein Sinn war hart wie einer nur der euern, Mein Herz so groß, mein Grund vielleicht noch besser,

Um Wort mit Wort, um Zorn mit Zorn zu schlagen:

Jetzt seh' ich's, unsre Lanzen sind nur Stroh, Gleich schwach wir selbst, schwach wie ein hilflos Kind,

Scheinen wir nur, was wir am mindsten sind.

Drum dämpft den Trotz, beugt euch dem Mann entgegen,

Ihm unter seinen Fuß die Hand zu legen: — Wenn er's befiehlt, zum Zeichen meiner Pflicht, Verweigert meine Hand den Dienst ihm nicht."

When they are bound to serve, love, and obey.

Why are our bodies soft, and weak, and smooth, Unapt to toil and trouble in the world,

But that our soft conditions and our hearts Should well agree with our external parts?

Come, come, you froward and unable worms!

My mind hath been as big as one of yours, My heart as great,

my reason haply more, To bandy word for word and frown for frown;

But now I see our lances are but straws, Our strength as weak,

our weakness past compare,

That seeming to be most which we indeed least are.

Then vail your stomachs, for it is no boot,

And place your hands below your husband's foot:

In token of which duty, if he please, My hand is ready; may it do him ease.."

1.3. Die Geschichte Eine Konstruktion D a s Vorspiel

Beobachtungen 2. Ordnung - Beobachtung von Beobachtern

Im Vorspiel beobachten wir den Kesselflicker Christoph Schlau, wie er sich betrunken in einer Kneipe auf dem Boden schlafen legt. Das ist die erste Beobachtungsebene.

Eine Jagdgesellschaft betritt die Bühne und sieht den betrunkenen Kesselflicker. Das ist die zweite Beobachtungsebene: Wir beobachten, wie die Jagdgesellschaft Christoph Schlau beobachtet.

Man beschließt, dem betrunkenen Kesselflicker einen Streich zu spielen. Er soll als Lord aufwa- chen und ein Schauspiel erleben, das eine Komödiantentruppe eigens für ihn aufführt. Das ist die dritte Beobachtungsebene: Wir beobachten, wie die Jagdgesellschaft Christoph Schlau beobachtet, wie er die Komödianten beobachtet.

Die Wirkung dieser Rahmenhandlung ist zunächst einmal Distanzierung. Dem Zuschauer wird die für das Schauspiel wesentliche Unterscheidung zwischen Zuschauer und Komödianten klarge- macht. Gleichzeitig wird damit Distanz überwunden: Die Rahmenhandlung hilft dem Publikum, aus dem elisabethanischen England nach Padua zu springen — und verdeutlicht die Einladung, ein Spiel zu beobachten.

Aber es geht noch um mehr. Der Kesselflicker beobachtet die Komödianten nicht einfach als Kesselflicker Christoph Schlau, sondern als Lord. Es geht also nicht nur darum, was wir beobach- ten, sondern auch darum, wie wir beobachten.

Hier spielen auch die Namen eine Rolle. Der Kesselflicker heißt im englischen Original Christopher Sly, zu deutsch Christoph Schlau. Sly — das ist aber nicht nur schlau, sondern auch raffiniert ebenso wie hinterhältig, heimlichtuerisch.

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I : \ D O K U M E N T E U N D EINSTEUUNGEN\HERBERT W A B N E G G X E I G E N E D A T E I E N \ D K S \ T E X T F A S S U N G E N \ H W _ D B S _ E N D G . D O C T E X T V . 1.3 (ENDGÜLTIGE FASSUNG) | REV. N R . 2 5 | E R S T E L I T O I . 1 2 . 2 0 0 5 12:41 | G E S P E I C H E R T 0 2 . 1 2 . 2 0 0 5 4 : 1 1 | G E D R U C K T 0 5 . 1 2 . 2 0 0 5 10:26

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Doch ist es eigentlich nicht Christoph Schlau, dem hinterhältig mitgespielt wird? Vielleicht ver- hält es sich ja umgekehrt — der Kesselflicker beobachtet das Spiel der Komödianten, die Jagd- gesellschaft, uns (das Publikum), kurz alles — heimlich. Wirklich sly — raffiniert!

Und von Beruf ist Christoph Schlau Kesselflicker, im Original: ,a tinker'. Tinker — das ist der umherziehende Kesselflicker, überhaupt ein Mensch ohne festen Wohnsitz, im elisabethanischen England also ein Angehöriger der untersten Gesellschaftsschicht und damit der größtmögliche Gegensatz zum Lord, der ihm den Streich spielt, und zu den reichen und angesehenen Bürgern der Komödie; aber auch jemand, der unsachgemäß an Geräten herumbastelt {to tinker with ~) oder sich in Dinge einmischt, die ihn nichts angehen.

Auf die Einmischung kommen wir noch zu sprechen.

Nach der 1. Szene des 1. Aufzugs kommt Christoph Schlau ein weiteres (und in der uns überlieferten Fassung des Stücks ein letztes) Mal zu Wort. Er bestätigt seine Rolle als Beobachter und zeigt sich, auf mehrdeutige Weise, ungeduldig auf den Ausgang wartend.

Das Publikum

_2_

Eine Jagdgesellschaft

Christopher Sly

Das Spiel

Abbildung 1: Rekursive Beobachtung von Beobachtungen

I:\DOKUMENTE UND EINSTELLUNGENVHERBERT WABNEGGXEIGENE DATEIEN\DISS\TEXTFASSUNGEN\HW_DISS_ENDG.DOC

TEXTV. l.3(ENDGÜLTIGEFASSUNG) | R E V . N R . 2 5 | ERSTEUTOI.12.2005 12:41 | GESPEICHERT02.12.20054:11 | GEDRUCKT05.12.2005 10:26

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Herbert Wabnegg Das Öffentliche verantworten So stellt sich also zu Beginn des Stücks die Situation dar: Wir sehen Christoph Schlau in seinem Rausch, und wir sehen wie eine Jagdgesellschaft sich anschickt, mit ihm ein Spiel zu spielen — um die Reaktionen des Kesselflickers zu beobachten und sich darüber zu amüsieren. Teil dieses Spiels ist wiederum ein Spiel — die Komödie in Padua. Wir beobachten eine Jagdgesellschaft, die einen Kesselflicker dabei beobachtet, wie dieser ein Schauspiel beobachtet — Beobachtung von Beob- achtern. Raffiniert wird diese Konstellation durch die Rekursion, die sie ermöglicht: es wird nicht nur ein Beobachter gezeigt, sondern die Beobachtung von Beobachtern, das Spiel samt seinen Zusehern. Hat Shakespeare vielleicht Luhmann gelesen?

Die Geschichte von Bianca und Lucentio Unterscheidungen

Bianca, die von Freiern umschwärmte jüngere Tochter des Baptista Mimola aus Padua hat eine Sorge: ihr Vater macht seine Zustimmung zu ihrer Heirat davon abhängig, daß erst ihre ältere Schwester Katharina verheiratet sein muß. Das droht Verehrer abzuschrecken — denn Katharina gilt als widerspenstig, als Schandmaul, als eine Frau, die sich kein Mann in seinem Haus wünscht. Doch noch bemühen sich Hortensio und Gremio um Bianca, beide wie sie aus Padua.

Das ist also die Ausgangs situation: dem Familiensystem Minola steht ein System von Freiern ge- genüber, die zunächst vor allem untereinander kommunizieren. Hinter der Bühne wartet eine Reihe von Personen auf ihren Auftritt, die im Moment noch keine Rolle spielen — System, bekannte Um- welt, weitere Umwelt.

Baptista Minola Katharina

Bianca

o

Petruchio Grumio Lucentio

Tranio Biondello Hortensio Gremio

^ Ö

Curtis Bediente Vincentio Schulmeister Witwe

Abbildung 2 : Ausgangssituation

Die Situation ändert sich, als Lucentio aus Pisa in Padua ankommt. Er sieht Bianca und beschließt:

die muß er haben; er ist nicht nur in sie verknallt, er beginnt auch sofort zu planen, erstens, wie er trotz der von ihrem Vater aufgebauten Hürden, an sie herankommen kann, zweitens, wie er seine Konkurrenten aussticht, drittens, wie er sich bei Biancas Vater als gute Partie präsentieren kann.

Sein Diener Tranio spielt dabei als Schauspieler und Regisseur mit.

Lucentio und Tranio tauschen ihre Rollen: So präsentieren sie sich Biancas Vater, und während der falsche Lucentio iTranio) beim Vater die Nebenbuhler zu überbieten sucht, macht sich der echte als Lateinlehrer Cambio verkleidet an Bianca heran — wie es sich herausstellt, eine lohnendere

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l:\DOKUMENTE UND EINSTEUUNGENXHERBERT WABNEGG\ElGENE D A T E I E N \ D L S S \ T E X T F A S S U N G E N \ H W _ D I S S _ E N D G . D O C T E X T V . l . 3 ( E N D G Ü L T I G E F A S S U N G ) | R E V . N R . 2 5 | E R S T E U T O I . 1 2 . 2 0 0 5 12:41 | G E S P E I C H E R T 0 2 . 1 2 . 2 0 0 5 4 : 1 1 | G E D R U C K T 0 5 . 1 2 . 2 0 0 5 10:26

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Rolle als die von seinem Konkurrenten Hortensio gewählte eines Musiklehrers. Während der noch seine Laute stimmt, hat Lucentio Bianca schon sein Latein gelehrt.

So geht es weiter: Der falsche Lucentio verspricht Biancas Vater ein unerhörtes Brautgeld, der echte organisiert eine heimliche Trauung, die Verwirrung wird aufgeklärt, die Rollen werden zu- rückgetauscht und der echte Vater Lucentios erweist sich als ebenso wohlhabend wie Biancas Vater erhofft hat. Lucentio und Bianca sind ein Paar. Und wenn Lucentio nach ihr ruft, läßt Bianca aus- richten, daß sie zu tun hat und nicht kommen kann.

D i e B r a u t w e r b u n g Strategien

Rasch werden die Unterschiede in den Strategien klar: der Pantalone4 Gremio setzt auf seine gu- ten Beziehungen zum Vater Biancas und auf sein Geld, mit dem er einen Hauslehrer verpflichtet, an seiner Stelle um Bianca zu werben; für diese Rolle wählt er ausgerechnet den als Lateinlehrer Cambio verkleideten Lucentio.

Hortensio sucht als Musiklehrer Licio nach dem rechten Ton, um Biancas Gehör zu finden.

Lucentio läßt gleichzeitig seinen Diener Tranio im eigenen Namen um Bianca werben — so schafft er es, gleichzeitig bei Biancas Vater den Konkurrenten Gremio zu übertölpeln und bei Bian- ca selbst Hortensio auszustechen.

Ein kompliziertes Spiel mit vielen Beteiligten, vielen Namen, vielen Plänen, vielen Täuschungen, vielen Verwechslungen — aber ein Spiel, das konsequent an der Oberfläche bleibt, ein Spiel, in dem die Beteiligten alles tun, um die Konvention zu wahren. So ist denn auch das Ergebnis: konventio- nell.

Dagegen wird schon in ihrer ersten Begegnung klar, daß Petruchio und Katharina zusammen- gehören. Die Systeme gruppieren sich neu.

Lucentio/'Cambio' Gremio Vincentio

Bianca

N E

Baptista Minola

Hortensio/'Licio' Tranio/'Lucentio'

y

Schulmeister/Vincentio'

Petrucchio r* Katharina X

J L

Abbildung 3: Werbung

Die Geschiehte von Katharina und Petruchio Paradoxien

Katharina lebt zusammen mit ihrem wohlhabenden Vater und ihrer jüngeren Schwester Bianca in Padua. Am laufenden Band tauchen Freier für Bianca auf — aber es ist Sitte, zuerst die ältere Tochter zu verheiraten. Bianca weiß sich bei ihrem Vater und bei den jungen (und älteren) Män-

4 in der commedia del'arte ein lächerlich verliebter Alter

l:\DOKUMENTE UND EINSTEUUNGENXHERBERT W A B N E G G \ E I G E N E D A T E I E N \ D I S S \ T E X T F A S S U N G E N \ H W _ D I S S _ E N D G . D O C

TEXTV. 1.3(ENDGÜLTIGEFASSUNG) |REV.NR.25 | ERSTEUTOI.12.2005 12:41 | GESPEICHERT02.12.20054:11 | GEDRUCKT05.12.2005 10:26

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Herbert Wabnegg Das Öffentliche verantworten nern Paduas einzuschmeicheln. Für Katharina bleibt so nur die Rolle der Widerborstigen, die sich weigert zu sein, wie man es von ihr erwartet, und so die allgemeine Erwartung erfüllt5.

Petruchio kommt nach Padua, um zu heiraten. Eine gute Partie soll es sein, alles andere scheint ihm zunächst egal. Als er von Katharina hört, die jeden abweist und die alle Männer fürchten, ist für ihn klar: Katharina ist die einzig Richtige. Die anderen Brautwerber beschließen sogleich die Bildung eines Konsortiums zur Finanzierung von Petruchios Werbung. Aber den interessiert nur eins: daß sich keiner an seine Katharina heranmacht. Das läßt schon ein wenig an seinem finanziel- len Motiv zweifeln — in weiterer Folge interessiert sich Petruchio mehr für die eigensinnige, streitlu- stige Frau als für die Mitgift, die bloß Voraussetzung einer angemessenen Partnerschaft scheint;

schließlich ist Petruchio selbst ein vermögender Mann. Nach einem Gespräch mit Vater Baptista ist alles klar für seinen Plan.

Petruchio tritt Katharina als Werber gegenüber, der den Ausgang seiner Werbung schon kennt — und er macht von Anfang an klar, daß er sie zu zähmen beabsichtigt. Darauf reagiert Katharina, wie nicht anders zu erwarten — aber weder ihre Abwehr noch die rauhe Werbung Petruchios sind ganz ungebrochen. Hinter den Schlägen, dem Kratzen und den durch die Luft fliegenden Gegenständen wird ein Spiel sichtbar, dessen Regeln zunächst den beiden ebenso wie uns zu entgehen scheinen.

Schon in ihrer ersten Begegnung treffen zwei ebenbürtige Spieler aufeinander. In einem Wirbel von Wortspielen, Anspielungen und dem Spiel mit sich überschlagenden Metaphern bleiben Petruchio und Katharina einander nichts schuldig, und es wird — auch wenn Katharina das nicht gleich einge- steht - klar, daß Petruchio eine ganz andere Axt Mann ist als die faden Freier der blassen Bianca.

Der Grundstock ist gelegt, und ein erstes Mal spricht Petruchio aus, was Cole Porters Musicalfas- sung den Titel gab: ,Jtiss me, Kate".

Katharina ergibt sich, und bei aller Widerspenstigkeit scheint sie sich auf ihre Heirat zu freuen.

Anders ist ihre Enttäuschung schwer zu erklären, als Petruchio nicht erscheint und die Hochzeits- gesellschaft warten läßt. Schließlich kommt er doch — und in was für einem Aufzug! Um Katharina der Lächerlichkeit preiszugeben, so hat es den Anschein, scheut er nicht davor zurück, sich selbst lächerlich zu machen. Alle Regeln des Anstands, alle Konventionen des vornehmen Bürgertums werden auf den Kopf gestellt, ganz Padua vor den Kopf gestoßen — wie soll Katharina da ihren Starrkopf behalten?

Um die Provokation zu vollenden, schleppt der Bräutigam die Braut von ihrem eigenen Hoch- zeitsfest und läßt die Gäste zurück; die Grenzen sind neu gezogen.

Nun beginnt der nächste Teil des Spiels: Katharina soll unterworfen werden, indem Petruchio ihr jeden Wunsch — Essen, Ruhe, eine angenehme Umgebung, schöne Kleider — erfüllt und zu- gleich verweigert, immer mit der Begründung, das Gebotene sei nicht gut genug. Katharina ver- zweifelt an diesem quälenden Spiel, weil ihre Wutausbrüche dagegen nichts ausrichten. Doch am Höhepunkt, als Petruchio droht, die Reise zu Biancas Hochzeit abzubrechen, weil Katharina in der

5 "In The Taming of the Shrew Shakespeare contrasted two types in order to present a theory of marriage which is demonstrated by the explicit valuation of both kinds of wooing in the last scene. Kate is a woman striving for her own existence in a world where she is a stale, a decoy to be bid for against her sister's higher market value, so she opts out by becoming unmanageable, a scold. Bianca has found the woman's way of guile and feigned gendeness to pay better dividends: she woos for herself under false colors, manipulating her father and her suitors in a perilous game which could end in her ruin. Kate courts ruin in a different way, but she has the uncommon good fortune to find Petruchio, who is man enough to know what he wants and how to get it. He wants her spirit and her energy because he wants a wife worth keeping." (Greer 1971, S. 205-206)

S E I T E 2 0 IA^KUMENTEUNDEINSTEUUNGENXHER&RTWABNEGGXEIGENEDATEIENVDISSUEXTFMSUNGENWWDISSJNIX^CKK V O N 3 4 5 T E X T V . 1.3 ( E N D G Ü L T I G E F A S S U N G ) | R E V . N R . 2 5 | E R S T E U T 0 1 . 1 2 . 2 0 0 5 12:41 | G E S P E I C H E R T 0 2 . 1 2 . 2 0 0 5 4:11 | G E D R U C K T 0 5 . 1 2 . 2 0 0 5 1 0 : 2 6

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Sonne nicht den Mond sehen will, erkennt sie den Ausweg: sie geht auf Petruchios Spiel ein. Und als sie in Padua ankommen, kann Petruchio zum zweiten Mal sagen: ,J<iss me, Kate".

Daß es nicht einfach um Unterwerfung geht, zeigt die Schlußszene. Als die Männer damit prah- len, wie folgsam ihre Frauen seien, läßt sich Petruchio auf die Wette ein; nicht, um sich zu bewei- sen, sondern weil er als einziger weiß, wie seine Frau reagieren wird. Und tatsächlich erweist Katha- rina sich als „folgsam", indem sie die Rollen in ihrem großen Schlußmonolog noch einmal gründlich umkehrt6: Sie als Frau nimmt sich heraus, die Regeln für das Zusammenleben von Mann und Frau zu verkünden, und ihre Ironie ist dabei unüberhörbar.

Nach dieser Glanzleistung hat auch Petruchio nicht mehr zu sagen als ein drittes Mal: ,^Kiss me, Kate".

c

Petrucchio Katharina

Grumio Curtis Bediente

Lucentio Bianca

Tranio Biondello

Hortensio Witwe

Gremio Baptista Minola Vincentio Schulmeister

Abbildung 4 : Endsituation

So stehen sich am Schluß zwei Systeme gegenüber, die unterschiedlicher nicht sein könnten: die alte Welt in Padua, in der alles geblieben ist, wie es immer war — Männer, die untereinander mit ihrer Vormachtstellung prahlen, Frauen, die sich lieber miteinander über ihre Männer lustig machen als

sich mit diesen zu unterhalten, eine Welt des Selbstbetrugs und der Oberflächlichkeit; und die ver- änderte Veroneser Welt des Paars Katharina und Petruchio, die miteinander streiten, miteinander spielen und gemeinsam kämpfen.

1.4. Die Reisen Kontextsteuerung

Ein ständig wiederkehrendes Motiv des Stücks ist der Wechsel des Kontexts: Schon im Vorspiel kommt eine Jagdgesellschaft an, holt den betrunkenen Kesselflicker aus seiner Welt und wirft ihn in eine andere, um zu beobachten, wie er mit dieser Veränderung umgeht.

Im eigentlichen Spiel kommt gleich zu Beginn Lucentio mit seinem Diener Tranio aus Pisa nach Padua, der Heimatstadt Katharinas und Biancas. Wir müssen berücksichtigen, daß in der Zeit des Stücks eine solche Reise weit mehr war als die Reise von einer oberitalienischen Stadt in eine ande- re: Es war der Wechsel von einem (Stzdt-)Staat in einen anderen, von einem Rechtssystem in ein anderes, oft von einem politischen System in das andere, vom Status des Bürgers in den Stand des Fremden, aus dem Kreis etablierter geschäftlicher, familiärer und freundschaftlicher Beziehungen in

6 "The submission of a woman like Kate is genuine and exciting because she has something to lay down, her virgin pride and individuality: Bianca is the soul of duplicity, married without earnestness or good will. Kate's speech at the close of the play is the greatest defense of Christian monogamy ever written. It rests upon the role of a husband as protector and friend, and it is valid because Kate has a man who is capable of being both." (Greer 1971)

l:\DOKUMENTE UND EINSTEUUNGENXHERBERT W A B N E G G \ E | G E N E D A T E I E N \ 0 B S \ T E X T F A S S U N G E N \ H W _ D I S S _ E N D G . D O C

T E X T V . l . 3 (ENDGÜLTIGE FASSUNG) |REV. N R . 2 5 | E R S T E U T 0 1 . 1 2 . 2 0 0 5 12:41 | G E S P E I C H E R T 0 2 . 1 2 . 2 0 0 5 4 : 1 1 | G E D R U C K T 0 5 . 1 2 . 2 0 0 5 1 0 : 2 6

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Herbert Wabnegg Das Öffentliche verantworten eine Umgebung, in der es der Einführung bedurfte. Das Stück spielt mit den Möglichkeiten, die sich aus dieser Kontextänderung ergeben.

Auch Petruchio ist fremd in Padua, er ist Veroneser. Vom Unterschied zwischen seiner Heimat und der seiner Braut macht er allerdings ganz anderen Gebrauch als Lucentio: Während dieser ihn für ein banales Täuschungsmanöver (gegenüber dem Brautvater Baptista und den Nebenbuhlern Hortensio und Gremio) verwendet, setzt Petruchio den Kontextwechsel strategisch ein: Er nutzt seine Anreise zur Hochzeit durch Verspätung und seinen Aufzug als Überraschungsmoment; er zwingt Katharina unmittelbar nach der Hochzeit zur Abreise; er versetzt Katharina aus dem väterli- chen Haushalt, in dem sie herrschen konnte, auf sein Landgut, wo sie fremd ist; er macht die Reise zur Hochzeit ihrer Schwester Bianca zum Mittel, seinen Willen durchzusetzen; schließlich agiert Katharina im Haus ihres Vaters als die Fremde, die aus ihrer Welt eine neue Sichtweise der Bezie- hungen von Mann und Frau mitbringt. Veränderungen im Kontext zwingen Katharina, sich zu ändern.

1.5. Der Titel Sinn

Den ursprünglichen Titel „The Taming of the Shrew" könnte man auch wörtlich übersetzen mit

„Die Dressur der Spitzmaus". Shrew bezeichnet im Englischen ursprünglich dieses kleine Nagetier, an das die Katharina des Stücks allerdings kaum denken läßt. Diesem lästigen Tier Gehorsam und Kunststücke beizubringen, scheint uns gleichwohl unmöglich. Im elisabethanischen Englisch steht Shrew aber auch für eine Frau mit spitzem Mundwerk, ein Schandmaul. Die mit der Schlegel- Tieck'schen Fassung im Deutschen eingebürgerte Übersetzung als „Widerspenstige" geht also recht frei mit Shakespeares Charakterisierung der Hauptperson um. Einerseits reduziert sie die Aussage durch die Beschränkung auf einen Aspekt dieses Frauentyps, die Widerständigkeit; zum andern wiederholt sie den Sinn des Subjekts im Attribut — gezähmt werden muß, was widerspenstig ist — und verstärkt sie so; schließlich gewinnt der Titel durch die dem Deutschen eigene Unbestimmtheit der Zahl zusätzliche Assoziationsmöglichkeiten: ist es eine Widerspenstige, nämlich Katharina, de- ren Zähmung vorgeführt wird, oder sind es mehrere — und wenn ja, wer sind die Widerspenstigen?

Alle, die sich nicht fügen wollen? Die Frauen schlechthin? Die Männer? Das Paar Katiiari- na-Petruchio?

Shakespeare greift mit dem Titel auf eine ältere Vorlage zurück (möglicherweise auf ein ähnli- ches Stück mit dem Titel „The Taming of A Shrew"), sicher aber auf George Gascoignes Überset- zung von Ariosts Komödie „I Suppositi" aus dem Jahr 1509 (Shakespeare, Barbara Rojahn- Deyk 1994, S. 221f.) und auf ein Motiv volkstümlicher Überlieferung, die Zähmung störrischer Frauen. Shakespeare hat diese Motive miteinander verknüpft und ihnen eine neue Gestalt gegeben;

dabei fällt vor allem die Mehrdeutigkeit auf, mit der er das Thema der „Zähmung" behandelt - hat am Ende Petruchio Katharina gezähmt oder sie ihn? (Bloom 2002, S. 70)

S E I T E 2 2 I:\DOKUMENTEUNDEINSTEUUNGEN\HERBERTWABNEGG\EIGENEDATEIEN\DISS\TEXTFASSUNGEN\HW_DISS_ENDG.DOC V O N 3 4 5 TEXTV. 1.3(ENDGÜLTIGEFASSUNG) | R E V . N R . 2 5 | ERSTEUTOI.12.2005 12:41 | GESPEICHERT02.12.20054:11 | GEDRUCKT05.12.2005 10:26

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1.6. Das Spiel im Spiel Steuerung

Petruchio spielt mit der wilden Katharina, indem er nur Sanftmut zu sehen vorgibt; er spielt mit seiner Frau Kadiarina, indem er seine Grobheit als Fürsorglichkeit ausgibt; Katharina verliebt sich in Petruchio, der ihr ihre eigene Sehnsucht, nicht mehr „die Widerspenstige" sein zu müssen, vor- spielt. Erst nach einigem Zögern geht sie auf dieses Spiel ein, um es dann aber mit umso größerer Perfektion selbst zu spielen — in der Schlußszene, in der sie den widerspenstigen Frauen scheinbar die Leviten liest, sie in Wahrheit aber lehrt, sich gegenüber den Männern zu behaupten.

Dieses Spiel hat viele Ebenen: Petruchio stellt an der Oberfläche zunächst den Brautwerber dar, der solange Liebenswürdigkeit zeigt, bis die Frau gefangen ist — bis sie sich in ihn verliebt hat oder auch bis die Ehe geschlossen ist — und anschließend mit aller Brutalität sein Recht als Ehemann durchzusetzen sucht. Weil er das aber in der Form eines Spiels tut und weil Katharina sich auf die- ses Spiel einläßt, verkehren sich die Welten von Spiel und Realität: Die nach außen harmonisch und konventionell dargestellten Ehen Biancas mit Lucentio und Hortensios mit der Witwe erweisen sich als Kampf und Krampf, die Ehe der „widerspenstigen" Katharina als leichtes, elegantes Spiel.

1. Rahmen

Petruchio vereinbart den Rahmen fürs Spiel 11/1:114-181

2. Bezieh)

Petruchio z«

geichwertig 11/1:182-317

~ )

j n g iigt sich als zr Spieler

3. Irritatior

Petruchio di die gängige 111/2:30-182

^

1 jrchbricht n Regeln

4. Abgren

Petruchio zi Systemgren 111/2:221-238

~1

zung eht die zen neu

5. Definitii Petruchio b neue Regel IV/5:1-49

^ an

ästimmt n

6. Test

Petruchio u Katharina a V/1:130-141

"1

nd

m Spielfeld ^ , 7. Kiss me, Kate!

Katharina spielt - und wie!

V/2:135-179

Abbildung 5: Petruchios Spiel

„Steuert" Petruchio Katharina oder steuert Katharina Petruchio? Wie verhält sich das Öffentliche (Padua) zum Privaten (dem Anwesen Petruchios)?

IADOKUMENTE UND EINSTEUUNGENVHERBERT WABNEGG\EIGENE DATEIEN\DBS\TEXTFASSUNGEN\HW_DISS_ENDG.DOC

TEXTV. 1.3(ENDGÜLTIGEFASSUNG) | R E V . N R . 2 5 | ERSTELITOI.12.2005 12:41 | GESPEICHERT02.12.20054:11 | GEDRUCKT05.12.2005 10:26

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Herbert Wabnegg Das Öffentliche verantworten Die Jagdgesellschaft des Lords spielt Christoph Schlau vor, er sei selbst Lord; der Page des Lords spielt die Frau des Kesselflickers als Lord; die Schauspieler spielen vor Christoph Schlau;

Lucentio spielt den Lateinlehrer Cambio; sein Diener Tranio spielt den Lucentio; der Magister aus Mantua spielt Vincentio, den Vater Lucentios. Petruchio spielt mit Katharina. Schließlich spielt Katharina mit allen.

Nur wer sich aufs Spiel einläßt, kann es gewinnen. Das könnte auch der Sinn des schwer zu in- terpretierenden kurzen Einschubs aus dem Vorspiel nach der 1. Szene des 1. Aufzugs sein. Der Kesselflicker sagt auf die Frage, wie ihm das Spiel gefalle (das Spiel, das mit ihm oder das Spiel, das vor ihm gespielt wird?): „Es ist ein schön Stück Arbeit, Madame Frau; — ich wollt', es war' erst aus. ".

Christoph Schlau erkennt nicht nur die Mühe an, die sich alle bis hierhin gemacht haben, sondern auch die „Arbeit", die noch vor den Charakteren des Stücks liegt; oder er spielt auf die Mühe an, die ihn das Ausharren kostet. Die Worte „ich wollt', es war' erst aus" können als erotisches Verlan- gen nach dem ihm als seine Frau unterschobenen Pagen, als gespanntes Warten auf den Ausgang des Stücks oder auch als Ungeduld, das Spiel %u Ende %u bringen, auf das er sich eingelassen hat gelesen werden. Das wäre dann ein ganz neues, starkes Stück: Christoph Schlau gewinnt gegen die Jagdge- sellschaft, die mit ihm ein leichtes Spiel zu haben glaubt, der Kesselflicker, mit dem jeder leichtes Spiel zu haben glaubt, beschämt den auf seine Macht und Stellung setzenden Lord.

1.7. Der Spieler Petruchio Veränderung

Petruchio beabsichtigt nicht nur, Katharina zu ändern — um das zu erreichen, muß er sich selbst verändern. Das geschieht das ganze Stück hindurch, indem er der Reihe nach die verschiedensten Figuren aus der commedia del'arte verkörpert7: den prahlerischen Capitano zu Beginn des Stücks, den wortgewandten, schlagfertigen Werber bei seiner ersten Begegnung mit Katharina, den in bunte Flicken gekleideten Arlecchino bei seiner Hochzeit, den brutalen Pulcinella in seinem Haus, den verliebten Florindo am Ende des Stücks. Wer andere ändern will, muß sich selbst verändern.

Petruchio scheut auch nicht davor zurück, sich selbst zur komischen Figur zu machen, wenn es ihm dabei hilft, Katharina zu gewinnen. In den immer neuen Rollen, die er annimmt, ist auch eine Entwicklung zu erkennen. Nicht nur Katharina lernt den ständigen Kampf gegen ihre Umwelt aufzugeben, auch Petruchio lernt: Katharina zu achten und zu lieben.

7 „Das Ensemble der Commedia dell'arte bestand fur gewöhnlich aus sechs bis zwölf Schauspielern. Ihr Figurenrepertoire war streng festgelegt. Dabei zentrierte sich das Geschehen um ein junges Liebespaar (innamorati oder amorosi, oftmals Isabella und Florindo genannt), das als einzige Figurengruppe keine Masken trug. Demgegenüber war das Gesicht des Arlecchino (siehe auch Harlekin) - des clownesken, immer aber auch gierigen Dieners - mit einer schwarzen Maske verdeckt. Außerdem trug der Arlecchino einen Flickenanzug. Sein Charakter war durch Bauernschläue und anarchischen Witz geprägt. Der leichtgläubige Händlertypus Pantalone wiederum versuchte, trotz seines hohen Alters für Frauen attraktiv zu sein: Seine enge, türkische Kleidung indes wirkte lächerlich. Als Parodie auf alle Wissenschaftler skandierte Pantalones Freund, der aus Bologna stammende Pedant Dottore (Doktor), sinnlose Phrasen in Latein und verschrieb (oftmals gefährliche) Arzneien für die eingebildeten Krankheiten der anderen Charaktere. Der Capitano (Kapitän) hingegen rühmte sich seiner Siege in der Liebe und auf dem Schlachtfeld, entpuppte sich im Verlauf der Handlung aber als geisdoser Feigling und Lügner. Dem grausamen Pulcinella stand die Dienerin Columbina entgegen, die durch Witz und Menschlichkeit gekennzeichnet war. Ein weiterer tollpatschig-naiver Diener war Pedrolino (Pierrot). Auch die Brighella aus Bergamo und der bäuerliche Truffaldino gehörten zum Personal." (Encarta 2004, © 1993-2003 Microsoft Corporation; vgl. auch Anm. 22 S. 35)

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