A 1496 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 107|
Heft 31–32|
9. August 2010 Nach intravenöser Gabe von Toluidinblau zurDarstellung der ableitenden Harnwege bei operativen Eingriffen können schwerwiegende Kreislaufreaktionen auftreten. Die Arzneimittel- kommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hat bereits vor zwei Jahren über fünf entspre- chende Fälle berichtet. Nun gibt es neue.
Toluidinblau® ist für die genannte Anwen- dung nicht zugelassen (off-label use). Der Farb- stoff wird offenbar dennoch eingesetzt, da ande- re Farbstoffe wie Methylenblau oder Indigocar- min in Deutschland derzeit nicht verfügbar sind.
Bis Juli 2010 hat sich die Zahl der im Rah- men des Spontanmeldesystems bekanntge- wordenen Fälle im Zusammenhang mit der in- travenösen Off-label-Anwendung von Toluidin- blau auf 22 erhöht; allein im letzten halben Jahr sind acht solcher Meldungen eingegan-
gen. Die berichteten Fälle ereigneten sich überwiegend bei chirurgischen Eingriffen in Vollnarkose. Die betroffenen Patienten (14 Frauen, acht Männer) im Alter zwischen 33 und 90 Jahren erhielten Toluidinblau in Dosie- rungen zwischen 30 und 300 mg. In der Mehrzahl (n = 14) wurde eine ganze Ampulle (300 mg in 10 ml) gegeben.
Die meisten gemeldeten Reaktionen sind als schwerwiegend einzustufen: Es wurden Kam- merflimmern (n = 10) und andere Herzrhyth- musstörungen, Blutdruckanstieg und Kreislauf- versagen gemeldet. Mindestens 13 Patienten mussten reanimiert werden. Bei allen ließ sich der Kreislauf dann wieder stabilisieren.
Vor dem Hintergrund der neueren Meldun- gen und eines im Dezember 2008 publizier- ten Fallberichts rät die AkdÄ, die Risiken der
genannten Anwendung von Toluidinblau sehr sorgfältig gegen den Nutzen abzuwägen.
Falls der Farbstoff intravenös injiziert wird, sollten alle für eine Reanimation erforderli- chen Medikamente und Apparaturen griffbereit sein. Wenn sich präoperativ die Notwendigkeit einer Darstellung der ableitenden Harnwege vorhersehen lässt, ist eine entsprechende Auf- klärung der Patienten über die Risiken und den Off-label-Gebrauch erforderlich.
Die Ursache der kardiovaskulären Reaktio- nen auf Toluidinblau ist nicht geklärt. Bezüglich möglicher Alternativen für die Darstellung der ableitenden Harnwege steht die Arzneimittel- kommission mit den Fachgesellschaften in
Kontakt. EB
Meldungen von Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) u.a. über die Homepage der AkdÄ: www.akdae.de
LEBENSBEDROHLICHE KREISLAUFREAKTIONEN AUF TOLUIDINBLAU
Die frühe Erkennung von angebore- nen Stoffwechselstörungen und Hormonproduktionsstörungen bei Neugeborenen gilt in Deutschland als beispielhaft. Nach den Bestim- mungen des neuen Gendiagnostik- gesetzes wird dieses Präventionsan- gebot jedoch für Neugeborene nicht weiter uneingeschränkt angeboten werden können. Der bundesweite Eltern-Dachverband Kindernetz- werk und die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendme- dizin fordern die Bundesregierung auf, das Neonatalscreen ing aus dem Gesetz herauszunehmen. Die Rege- lung gefährde – zum Teil lebensbe- drohlich – jährlich circa 500 Neu- geborene mit angeborenen Stoff- wechselstörungen.
PÄDIATRIE
Gendiagnostikgesetz behindert Neugeborenenscreening
Solche Erkrankungen konnten bisher durch die Früherkennung mit der Tandem-Massenspektrometrie am fünften Lebenstag mit hoher Si- cherheit erkannt werden, so Prof. Dr.
med. Hubertus von Voss, Vorstand des Kindernetzwerks. Nun aber stelle sich heraus, dass das am 31. Juli 2009 in Kraft getretene Gendiagnos- tikgesetz durch Einwilligungs- und Aufklärungsschritte die Frühererken- nung gefährde. Ein Speziallabor dür- fe künftig eine Stoffwechselunter - suchung erst dann vornehmen, wenn
Auf ihrer 63. Weltgesundheitsver- sammlung hat die Weltgesundheits- organisation (WHO) die Virushepa- titis als ein „weltweit bedeutendes Gesundheitsproblem“ an er kannt.
Prof. Dr. med. Heiner We de meyer, Generalsekretär der Europäischen Lebergesellschaft, begrüßt die Ent- scheidung: „Die Virushepatitis stand bisher nicht mit auf der Liste der bedeutenden Infektionskrankheiten wie HIV, Tuberkulose und Malaria.
VIRUSHEPATITIS
Jetzt auf WHO-Liste der bedeutenden Infektionen
Die Resolution hat die Möglich- keit, die ungleiche Behandlung der Erkrankungen zu beenden.“ Als Konsequenz wird die WHO künf- tig Unterstützung bei der Einwer- bung von Finanzmitteln für welt- weite Maßnahmen und die Ver- handlungen mit den Staatsregie- rungen anbieten. Außerdem wird der Welthepatitistag ein offizieller Gesundheitstag der WHO – erst- mals am 28. Juli 2011. zyl die schriftliche Einwilligung der El- tern vorliege; Aufklärung und Ein- willigung sowie Befundmitteilung müssten durch einen Arzt erfolgen, obwohl bekannt sei, dass die meisten Mütter bereits am zweiten oder drit- ten Tag nach normaler Entbindung die Klinik verlassen, sagte von Voss.
Der niedergelassene Kinder- und Jugendarzt sieht das Neugeborene ambulant erst wieder zwischen dem siebten und zehnten Lebenstag (U2).
Die entstandene Lücke gefährde das
Kindeswohl. nsi
Die Erkennung von Stoffwech- selstörungen wird
komplizierter – durch neue Rege- lungen für Einwilli- gung und Befund- mitteilung.
Foto: Barbara Krobath