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2. Mai 2014STUDIEN IM FOKUS
Colchicin hat sich als effektiv bei der Behandlung sowohl von Patien- ten mit akuter Perikarditis wie auch im ersten Rezidiv erwiesen. Ob das Zelltoxin aus dem Samen der Herbstzeitlose auch bei mehrfach rekurrierender Perikarditis wirksam ist und das Rezidivrisiko mindert, wurde in der multizentrischen, dop- pelblinden CORP-2-Studie bei 240 Patienten mit zwei und mehr Krankheitsepisoden untersucht. 120 Patienten erhielten 6 Monate lang Colchicin (0,5 mg einmal/Tag bei maximal 70 kg KG und 0,5 mg zweimal täglich bei höherem Kör- pergewicht) und die andere Hälfte Placebo – jeweils zusätzlich zur konventionellen Behandlung mit Acetylsalicylsäure, Ibuprofen oder Indometacin.
Das Ergebnis: Ein Perikarditis- Rezidiv entwickelten 26 Patienten (21,6 %) in der Colchicin-Gruppe und 51 Patienten (42,5 %) in der Placebogruppe (relatives Risiko 0,49; 95-%-Konfidenzintervall [KI]
0,24–0,65; p = 0,0009, number need ed to treat 5). Das Ergebnis war unabhängig von der Art der an- tiinflammatorischen Medikation.
Colchicin minderte außerdem die Häufigkeit über 72 Stunden per- sistierender Symptome (19,2 vs.
44,2 %; p = 0,0001), die Zahl der Rezidive pro Patient (0,28 vs. 0,63;
p = 0,0004) sowie die Rate der Pa- tienten, die wegen einer Perikardi- tis hospitalisiert werden mussten (1,7 vs. 10,0 %; p = 0,013) und besserte die Zahl der Patienten mit Remission innerhalb einer Woche (83,3 vs. 59,2 %; p = 0,0001). Die Häufigkeit von Nebenwirkungen (11,7 vs. 8,3 %) und Therapieab- brüchen (6,7 vs. 5,8 %) war in bei- den Gruppen vergleichbar. Eine gastrointestinale Intoleranz trat bei jeweils 9 Patienten und Zei- chen einer Hepatotoxizität bei 3 Patienten unter Verum und ei- nem Patienten unter Placebo auf.
Fazit: Bei der aktuell publizierten CORP-2-Studie handelt es sich laut Prof. Dr. med. Karl Werdan, Direk- tor der Universitätsklinik und Poli- klinik Innere Medizin III in Halle, um eine der wenigen randomisier- ten Perikarditis-Studien mit positi- vem Ergebnis. „Die Daten haben hohe Praxisrelevanz, weil es bei der rekurrierenden Perikarditis noch er- heblichen Bedarf für Verbesserun- gen der Therapie gibt“, kommen- tiert Werdan: „Es ist im Interesse der betroffenen Patienten zu hoffen, dass die Colchicin-Therapie rasch Einzug in Klinik und Praxis hält und breite Anwendung findet.“
Christine Vetter
Imazio M, et al.: Efficacy and safety of colchi- cine for treatment of multiple recurrences of pericarditis (CORP-2): a multicenter, double- blind, placebo-controlled, randomised trial.
Lancet 2014; DOI: org/10.1016/S0140–6736 (13)62709–9.
HERZBEUTELENTZÜNDUNG
Colchicin senkt das Risiko für Rezidive bei Patienten mit rekurrierender Perikarditis
Ein individuell angepasstes Beckenbodentraining lindert die subjektiven Symptome einer Be- ckenbodeninsuffizienz signifikant, und bei entsprechender Compliance sind diese Effekte auch langfristig.
Dies ist das Ergebnis einer inter- nationalen randomisierten, prospek- tiven Kontrollstudie, der zu dieser Fragestellung bisher umfangreichs- ten. Teilgenommen haben 447 the- rapienaive Frauen, die wegen Be- schwerden aufgrund eines Descensus genitalis oder Prolapses ärztlichen Rat suchten (1). Die Interventions- gruppe wurde in fünf Einzelsitzun- gen individuell zum Beckenboden- training angeleitet (Woche 0, 2, 6, 11, 16). Die Kontrollen erhielten ei- ne schriftliche Aufklärung zu geeig- neten Änderungen des Lebensstils.
Als primären Endpunkt der 12-monatigen Studie hatte das For- scherteam aus Großbritannien, Australien und Neuseeland die sub- jektive Besserung der Symptome gewählt. Erfasst wurden diese mit einem validierten Fragebogen (pel- vic organ symptom score, POP-SS, maximal 28 Scorepunkte bei stärks- ten Beschwerden) zu Beginn, nach sechs und zwölf Monaten.
84 % der Teilnehmerinnen (n = 377) antworteten auf die erste, 66 % (n = 295) auf die zweite Ab- frage. In der Interventionsgruppe war zum Ende der Studie der Symptomen-Score mit 3,77 versus 2,09 Punkten statistisch signifikant stärker gesunken als in der Kon- trollgruppe. Diese Reduktion möge auf den ersten Blick nicht gerade BECKENBODENINSUFFIZIENZ
Individuell angepasstes Muskeltraining ist effizient
GRAFIK
Rezidivfreies Überleben von Patienten mit rekurrierender Perikarditis unter Colchicin- versus Placebotherapie
Rezidivfreies Überleben (in %)
Monate 100
80
60
40
20
0
0 3 6 9 12 15 18
120 120
109 96
105 87
101 83
97 80
94 77
94 77 Patienten im Risiko:
Colchicin Placebo
Colchicin Placebo
Hazard Ratio für Colchicin vs. Placebo 0,46;
(95-%-KI 0,30–0,72; p = 0,0006)
modifiziert nach: Lancet 2014; DOI.org/10.1016/S0140–6736(13)62709–9
M E D I Z I N R E P O R T
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2. Mai 2014 bedeutend erscheinen, heißt es ineinem begleitenden Kommentar (2). Da die Besserung der Sympto- me quantitativ jedoch höher ausfiel als das geforderte Minimum, müsse sie für die Frauen spürbar und wichtig sein. Darauf weise auch hin, dass im Interventionsarm nur halb so viele Patientinnen wie im Kontrollarm eine weitere Therapie suchten (24 versus 50 %).
Fazit: Mehr als die Hälfte der Pa- tientinnen im Interventionsarm (57 %) gaben bei Studienende an, die Beschwerden hätten sich gebes- sert (Kontrollen: 45 %). Im Um- kehrschluss heißt das aber: Bei den restlichen 43 % waren sie gleich ge- blieben oder schlimmer geworden.
Es gebe demnach wohl Subgruppen von Respondern und Nonrespon- dern, meint die Kommentatorin (2).
Für den Beckenbodenexperten Prof. Dr. med. Thomas Dimpfl, Prä- sident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, ist für die Wahl der Therapie in ers- ter Linie der Insuffizienzgrad be- deutend: Bei gering ausgeprägtem Deszensus habe die konservative Therapie einen festen Stellenwert, und das Beckenbodentraining wer- de in den deutschsprachigen Leitli- nien als Therapie der Wahl im ers- ten Schritt etwa bei Belastungsin- kontinenz empfohlen.
„Bei ausgeprägtem Deszensus oder aber Prolaps über den Hymen- alsaum sind die Chancen für lang-
fristige objektive Verbesserungen durch ein Muskeltraining dagegen sehr niedrig, und daran ändern auch die Ergebnisse dieser Studie nichts“, sagt Dimpfl. Dass betroffe- ne Frauen bereits diskrete Verände- rungen subjektiv als wichtige Ver- besserungen im täglichen Leben empfänden, sei nachvollziehbar, das Beckenbodentraining einen Versuch wert – allerdings angepasst an die insuffiziente anatomische Situation. Dr. rer. nat. Renate Leinmüller 1. Hagen S, et al.: Individualised pelvic floor
muscle training in women with pelvic organ prolapse (POPPY): a multicentre random - ized controlled trial. Lancet 2014; 383:
796–806.
2. Burgio K: Pelvic floor muscle training for pelvic organ prolapse, Lancet 2014; 383:
760–2.
B-Zell-Lymphome einschließlich der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) sind für ihr mali- gnes Wachstum stark vom B-Zell- Rezeptor und dem von ihm ausge- henden Signaltransduktionsweg ab- hängig. Eine wichtige Kinase in diesem Signalweg ist ein Isoenzym der Phosphatidylinositol-3-Kinase (PI3Kδ). Idelalisib, ein potenter, se- lektiver und oral verfügbarer Inhi- bitor der PI3Kδ, war in Phase- I-Studien vielversprechend und wurde deshalb in einer internationa- len Phase-III-Studie bei Patienten mit rezidivierter CLL und körperli-
chen Einschränkungen, die für eine Chemotherapie nicht infrage ka- men, mit dem CD20-Antikörper Ri- tuximab kombiniert und gegen Ri- tuximab alleine geprüft.
Die Studie musste bereits nach der ersten geplanten Interimsanaly- se wegen „überwältigender Wirk- samkeit“ beendet werden: Bei pri- märem Endpunkt progressionsfrei- es Überleben lag die Placebogrup- pe mit 5,5 Monaten weit hinter der Idelalisib-Gruppe, in der der Me- dianwert zum Zeitpunkt der Aus- wertung noch nicht erreicht war.
Nach 24 Wochen waren 93 % der Patienten im Verum-, aber nur noch 46 % derer im Placeboarm progressionsfrei am Leben (Hazard Ratio 0,15; p < 0,001). Bemerkens- wert waren auch die Ergebnisse ei- ner Subgruppenanalyse: Patienten mit unmutiertem IGHV-Status und entweder 17p-Deletion oder p53-Mutationen unterschieden sich beim progressionsfreien Überleben unter Idelalisib/Rituximab nicht von den Patienten ohne diese un- günstigen genetischen Marker.
Die Wirksamkeit ließ sich auch an den Ansprechraten ablesen mit 81 % versus 13 % zugunsten des PI3Kδ-Inhibitors (Odds Ratio
29,92; p < 0,001), ebenso an der Reduktion der Lymphadenopathie, die bei 93 % der Patienten in der Verum-, aber nur bei 5 % in der Pla- cebogruppe um mehr als 50 % vermindert war (Odds Ratio 264;
p < 0,001). Selbst das Gesamtüber- leben war nach lediglich 12 Mona- ten schon signifikant verlängert (92 % vs. 80 %; p = 0,02), obwohl Patienten der Placebogruppe bei ei- ner Progression Idelalisib erhalten konnten. Schwere Nebenwirkungen traten unter Idelalisib bei 40 % der Patienten auf, im Placeboarm bei 35 %.
Fazit: Die Verbesserungen von An- sprechraten und progressionsfreiem Überleben durch Kombination von Idelalisib und Rituximab sei für die Gruppe der stark vorbehandelten CLL-Patienten mit ungünstiger Prognose „geradezu spektakulär“, kommentiert Prof. Dr. med. Martin Dreyling aus München: „Auch wenn der Kontrollarm nicht der üb- lichen klinischen Praxis entspricht, stellt dieser erste Vertreter der B-Zell-Rezeptor-Inhibitoren spe- ziell für Hochrisikopatienten mit Frührezidiven und/oder p53-Muta- tionen einen Durchbruch dar.“
Josef Gulden
Furman RR, et al.: Idelalisib and rituximab in relapsed chronic lymphocytic leukemia. NEJM 2014; 370: 997–1007.
CHRONISCHE LYMPHATISCHE LEUKÄMIE
B-Zell-Rezeptor-Inhibitor erweist sich als hochwirksam
GRAFIK
Gesamtüberleben von CLL-Patienten, die entweder Idelalisib plus Rituximab erhielten oder Rituximab plus Placebo
Gesamtüberleben (in %)
Monate
Idelalisib plus Rituximab
Rituximab plus Placebo 100
80 60 40 20
0
0 2 4 6 8 10 12 14 16
modifiziert nach: NEJM 2014; 370: 997–1007