Deutsches ÄrzteblattJg. 104Heft 497. Dezember 2007 A3361
S E I T E E I N S
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erzteblatt.de, Auszüge aus zwei Online-Nachrich- ten: In Berlin sind nach Angaben der dortigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) bereits circa 40 Prozent der Mädchen zwischen zwölf und 17 Jahren ge- gen Gebärmutterhalskrebs geimpft (2. November). Ein großer Erfolg war eine Impfkampagne der KV Bran- denburg, an der sich 2 000 Arztpraxen beteiligten (22.November). Zwei gute Nachrichten?
Prof. Dr. med. Friedrich Hofmann würde sicher fin- den: ja. Denn den neu gewählten Vorsitzenden der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch- Institut (RKI) besorgt die lasche und teilweise überkri- tische Haltung zum Impfen hierzulande. „Sich impfen zu lassen ist nicht nur egoistisch, sondern auch altru- istisch“, sagt er. Doch dies sei heutzutage schwer zu vermitteln. Von engagierter Arbeit wird ihn seine Ein- schätzung nicht abhalten, ebenso wenig die 15 anderen ehrenamtlichen Mitglieder der STIKO. „Wir müssen aus der defensiven Ecke herauskommen“, verlangt Hof- mann. Dorthin ist die STIKO tatsächlich geraten. Immer lauter wird ihr vorgeworfen, dass die Mitglieder zu sehr mit der Industrie verbandelt seien und eine zu un- kritische Haltung zum Nutzen von Impfungen pfleg- ten. Auftrieb bekam die Debatte, nachdem der letzte STIKO-Vorsitzende, Prof. Dr. med. Heinz-Josef Schmitt, im Herbst in die Industrie wechselte. Im vergangenen Jahr hatte er einen Preis wegen seiner Förderung des Impfgedankens angenommen – bezahlt von Sanofi Pasteur MSD, dem Unternehmen, dessen Impfstoff Gardasil gegen Gebärmutterhalskrebs die STIKO im März 2007 empfahl.
Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen wollte denn auch im Rahmen einer Kleinen Anfrage wissen, wie es um Arbeitsweise und Transparenz der STIKO bestellt sei. Gut, befand die Bundesregierung Ende Oktober. STIKO-Beschlüsse würden seit 2004 mit ausführlichen Begründungen veröffentlicht. STIKO- Mitglieder müssten sich zudem vor ihrer Berufung ver- pflichten, auf Umstände hinzuweisen, die ihre Befan- genheit begründen könnten. Gleichwohl kündigte die Bundesregierung an, dass „die Verfahren zur Gewähr- leistung der Unbefangenheit und Transparenz der Ar- beit . . . weiter ausgebaut werden“.
Dass die Arbeit der STIKO so kritisch beäugt wird, hat noch einen Grund. Durch das GKV-Wettbewerbs- stärkungsgesetz sind Schutzimpfungen seit April Pflicht- leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Des- wegen soll der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die STIKO-Empfehlungen in der Regel innerhalb von drei Monaten übernehmen. Das verleiht ihnen zusätzli- ches Gewicht, auch in finanzieller Hinsicht. Bei einem Fachgespräch der Grünen im Bundestag betonte der G-BA-Vorsitzende, Dr. jur Rainer Hess: „Diese Frist ist nur zu halten, wenn man auf die Impfkommission ver- trauen kann.“ Das stellte Hess nicht infrage. Hilfreich seien aber transparente Unabhängigkeitserklärungen sowie eine öffentliche Debatte über die Methoden, mit- hilfe derer die STIKO zu ihren Entscheidungen gelangt.
Dass die Zeit der Intransparenz und der „eminenzba- sierten“ Medizin vorbei sein sollte, fanden beim Fach- gespräch auch andere. Hofmann gibt allerdings zu be- denken, dass sich STIKO-Mitglieder schon an zahlreiche Regeln halten müssten. Sie seien aber grundsätzlich auf den Informationsaustausch mit der Industrie angewiesen, betont der STIKO-Vorsitzende. Und wenn es keinen vertraulichen Raum mehr für offene Gespräche unter den Kollegen in der Kommission gebe, weil jeder ge- sprochene Halbsatz dokumentiert werde, sei das schlecht.
Eine einfache Lösung zur Zufriedenheit aller kann es da nicht geben. Aber eines ist sicher: Heilige sind sehr selten – auch in der Medizin.
Sabine Rieser Leiterin der Berliner Redaktion STÄNDIGE IMPFKOMMISSION
Unter Anwendungsbeobachtung
Sabine Rieser