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Archiv "Auf dem Abstellgleis: Ein mittlerweile niedergelassener Arzt für Innere Medizin* berichtet über seine Leidenszeit im Krankenhaus" (23.03.2001)

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T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 12½½½½23. März 2001

A A 745

Was war geschehen? Um Medizin studieren zu kön- nen, verpflichtete ich mich bei der Bundeswehr; als ich aus dieser ausschied, war ich 35 Jahre alt, hatte einen attraktiven Teil einer internistischen Weiter- bildung und wollte Karriere machen. Ich könnte auch sagen, ich wollte Anerkennung, Ansehen und Erfolg im Beruf haben. Und natürlich Sicherheit hin- sichtlich eines angemessenen Einkommens. Also rackerte ich und wurde erpressbar. Normaler Assi- stenzarzt sein – nein danke. Durch meinen Ehrgeiz gewann ich zunehmend mehr Spezialkenntnisse – und fühlte mich zunehmend für die Belange und Pfründe der Oberen benutzt. Es gab keine anerken- nenden Worte des Chefs oder Oberarztes, die Mess- latte wurde von ihnen – aber auch von mir – nur noch höher gelegt. Irgendwann war ich Internist;

ein Teilgebiet musste noch her – lesen Sie die Stel- lenanzeigen, und Sie wissen warum. Ich bekam so eine Stelle auch, Gastroenterologe sollte ich also werden, warum auch nicht.

„Ich wollte alles“

Nach kurzer Phase des rosa-roten Blickes kamen die Probleme: Es war nicht die Trennung von der Fami- lie (wer zieht schon mit Familie für zwei Jahre an ei- nen anderen Ort, verkauft sein Haus und gibt den Freun-

deskreis auf?). Es war auch nicht die Arbeitszeitbela- stung; ich wollte es ja so. Ich wollte alles: endosko- pische Ausbildung, Notarztdienst – der brachte ja Geld –, guter Stationsarzt auf einer onkologischen Station sein, die geforderten Studien durchführen, Studenten anleiten, die Routineendoskopie miterle- digen. Es wurde ein Debakel. Nicht wegen der vie- len Arbeit, sondern wegen der Umgangsweisen von Chef und Oberärzten mir gegenüber. Ich war der Außenseiter. Ich stellte Fragen und bat um Hilfe bei schwierigen Therapieentscheidungen. Das hätte ich nicht tun sollen. Der Chef war für medizinische Pro- bleme nicht ansprechbar – er atmete immer nur hörbar tief ein, dass ich dachte, er fiele gleich um.

So ließ ich dies dann. Aber auch mein Oberarzt kam in den ersten sechs Monaten nur zweimal auf Stati- on. Er wollte nichts von medizinischen Problemen wissen und keine Entscheidungen treffen. Ich fragte die anderen Assistenten – ja, das wäre halt so. Da muss man durch. Ich wurde hart, holte mir die Infor- mationen auf anderen Wegen und wurde fit. Damit ging das Problem aber erst richtig los; ich ließ mir dann auch nichts mehr von Schwestern sagen, wie ich was zu machen hätte. Die Intrigen begannen, denn das waren sie nicht gewohnt. Bei Abwesen- heit oder in der Nacht war ich der Oberarzt. Aber spätestens bei der Morgenbesprechung wurde ich vor versammelter Mannschaft wegen eines überle-

senen Rechtschreibfehlers vom Chef vorgeführt.

Die Chef-Visiten mutierten zu einem Spektakel: Aus- sprüche wie „Sie machen den Patienten mit Ihrer Therapie nur krank“ wurden vor Patienten geäußert.

Sarkasmus und Ironie bestimmten das Klima, und bei mir trat Angst auf, denn ich wurde plötzlich auf eine andere Station versetzt – angeblich im norma- len Rhythmus. Und um als fertiger Facharzt und an- gehender Gastroenterologe zu lernen, wie man Arzt- briefe schreibt und EKGs befundet. Ich landete auf dem Abstellgleis. Der Chef sagte zu mir, aber auch vor Kollegen und Schwestern, dass er nicht verste- hen könne, wie jemand wie ich Internist werden könnte. Mein Selbstwertgefühl sank, psychosomati- sche Beschwerden stellten sich ein, meine Gedanken drehten sich zunehmend um die Frage, wie ich die- ser Situation entfliehen könnte. Ich fragte Assistenz- arzt-Kollegen. Die gaben mir gute Ratschläge wie, dass ich den Mund halten solle oder den Chef um- garnen oder vielleicht besser gehen solle. Viel Kom- munikation gab es allerdings nicht. Ich war bereits isoliert. Ich sprach meinen Oberarzt an: Das hätten sie doch alle erlebt, ich solle mich damit abfinden und mich anpassen. Ich fragte die anderen Oberärz- te, die wollten nichts davon wissen, der Chef sei halt schwierig.

Nach einem Jahr Leiden ging ich zur Mitarbeiter- vertretung und fand Unterstützung und Verständnis.

Gespräche mit dem Chef wurden nur noch in deren Beisein geführt; der offene Krieg war ausgebrochen.

Versuche, die Weiterbildung an einem anderen Kran- kenhaus oder in der Praxis zu beenden, schlugen fehl.

Wer kurz vor Ende aus einem Krankenhaus rausgeht, hat einen Makel. Selbst psychotherapeutische Hilfe suchte ich auf eigene Kosten. Ich wusste ja, wer ge- mobbt wird, hat auch einen Eigenanteil daran. Die Therapie half einerseits, andererseits bekam ich zu- nehmend das Gefühl, dass ich selber schuld war, denn ich arrangierte es mir ja selber. Ähnliches hatte ich in abgemilderter Form in anderen Häusern erlebt.

Ich war überzeugt, eine Macke zu haben.

Mit dieser Erkenntnis wurde es für mich dann besser. Ich genoss die Außenseiterposition. Damit war aber auch eine Veränderung verbunden, die ich den inneren Abschied nenne: der Abschied von der Vorstellung, im Krankenhaus weiter zu arbeiten. Es war klar, eine Oberarztstelle war nicht mehr drin – jede Rückfrage beim Chef hätte mich entlarvt. So- mit wechselte ich die Rollen: Täter werden war jetzt die Devise. Ich forderte ein Zwischenzeugnis als Standortbestimmung. Sechs Monate vor Schluss fehlten nur noch einige Ultraschalluntersuchungen.

Mit dieser Sicherheit begann ich, jede Schweinerei mir gegenüber lauthals aufzudecken. Die Mitarbei- tervertretung wurde wiederholt informiert, abtei- lungsübergreifend schilderte ich jedem, der es hören wollte – oder auch nicht –, wie in der Inneren

Abteilung der Chef und die Oberärzte mit mir um- gingen. Aber etwas wirkte noch besser; ich begann selber auf subtile Weise zu manipulieren. Nun beka- men die Oberärzte und der Chefarzt Angst. Sie be- griffen, dass ich lauthals zu schreien anfing, wenn sie mich nicht in Ruhe ließen. Zugegeben, ich wurde damit selber kriminell, zum Erpresser unter Miss- brauchern. Ich wurde in Ruhe gelassen.

Etwas beschäftigte mich lange Zeit: Warum hat mich das in dieser Zeit so erwischt, warum habe ich das mit mir machen lassen? Herkömmliche Mob- bingberichte beschreiben oft nur die Täterschaft der Vorgesetzten. Ich glaube aber kaum, dass sich das Krankenhausklima ändern wird, wenn wir nur auf die Täter sehen. Natürlich müssen diese bestraft werden. Aus meiner heutigen Sicht hätte ich die Ärztekammer einschalten sollen. Auch würde ich heute einen Anwalt zur Hilfe holen. Geholfen hat ja letztlich das rigorose Aufdecken der Missstände.

Dies ist eine ganz wesentliche Strategie gegen den missbräuchlichen Täter. Hätte ich es gekonnt, hätte es sofort mit Beginn des Mobbens einsetzen müs- sen. Dies kann aber kaum ein Opfer.

„Ablehnung meiner selbst“

Missbrauchsforschung beschreibt aber nicht nur Voraussetzungen beim Täter, sodass dieser zum Tä- ter werden kann. So werden innere Voraussetzun- gen und äußere (zum Beispiel die wegsehende Menge) benannt. Missbrauchsforschung – und Mobbing ist eine Form von Missbrauch – fragt auch, welche Eigenschaften/Fertigkeiten den Opfern feh- len, um sich adäquat zu schützen beziehungsweise sich wehren zu können. Was stand mir an Fähigkei- ten nicht zur Verfügung, wo lag nun mein Fehler (nicht meine Schuld)? Ich wollte Lob und Anerken- nung, wollte über die Arbeit mein Selbstwertgefühl definieren. Ich suchte die gute Mutter, die mich ein Stück füttert. Heute weiß ich, dass dieser Haken, wenn man ihn einmal geschluckt hat, sehr tief sitzt.

Man wird ihn nur unter Schmerzen und mit Verlet- zung los. Der Schmerz besteht in der Erkenntnis und im Verzicht. Ich verabschiedete mich von meiner Krankenhauskarriere, aber auch von der Vorstel- lung, ein guter Internist/Gastroenterologe zu sein.

Grandiosität wich Normalität, und dies tat weh.

Wenn ich diese Zeilen lese, frage ich mich, was da eigentlich geschehen ist. Ich merke aber auch, dass mit Worten die Situation kaum beschreibbar ist. Beim Lesen scheint meine Geschichte vielleicht lustig zu sein, vielleicht ist gar nicht so viel Schlimmes pas- siert. Vielleicht glauben einige, ich war der Mobber.

Ich merke, es sind auch nicht die Worte, die mich verletzten. Es war die Ablehnung meiner selbst, so wie ich nun einmal bin, die ich spürte. Leider ist es nur so, wer dieses System verstanden hat, sucht sich schleunigst eine andere Stellung. Die Guten gehen, die anderen bleiben. Zu Beginn des Briefes waren meine Hände und Füße eiskalt, ich spürte eine Wut auf das Krankenhaus, den Chef und den Oberarzt.

Aber auch auf mich, wieder dieses Schuldgefühl.

Jetzt, am Ende des Briefes ist mir wieder warm, und ich bin ruhig. Ich weiß, dass ich nicht schuld bin, ich konnte damals nicht anders, und die Täter waren

Auf dem Abstellgleis

Ein mittlerweile niedergelassener Arzt für Innere Medizin*

berichtet über seine Leidenszeit im Krankenhaus.

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