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Archiv "Zweierlei Recht" (18.04.1974)

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Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen

THEMEN DER ZEIT

Zweierlei Recht

Nach Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung für die Selb- ständigen durch das Rentenreform- gesetz vom 16. Oktober 1972 wur- den allenthalben — auch in der ärztlichen Standespresse — Mo- delle einer finanziellen Rentabili- tätsberechnung veröffentlicht. Die- se bezog sich vordergründig auf den Versicherungsfall des Alters- ruhegeldes. Hier soll aus sozial- medizinischer Sicht auf einige Fakten hingewiesen werden, die bei der Beurteilung des Versiche- rungsfalles der Erwerbsunfähigkeit

— speziell beim selbständig Er- werbstätigen — durch das Renten- reformgesetz besondere Bedeutung bekommen haben.

Bei der Beurteilung der Erwerbs- unfähigkeit (§ 1247 RVO) besteht ein signifikanter Unterschied zwi- schen selbständig Erwerbstätigen und unselbständig Erwerbstätigen, während dies bei der Berufsun- fähigkeit nach § 1246 RVO nicht der Fall ist.

Nach bisherigem Recht lautete die Legaldefinition des § 1247 RVO (2) (§ 24 Angestelltenversicherungs- gesetz): „Erwerbsunfähig ist der Versicherte, der infolge von Krank- heit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätig- keit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann." Hinzugefügt wurde nun im Rentenreformgesetz der Satz 2:

„Nicht erwerbsunfähig ist, wer eine selbständige Erwerbstätigkeit aus- übt."

Eine Diskussion dieser Gesetzes- änderung ist aus sozialmedizini-

scher Sicht um so notwendiger, als die einschlägige Bundesrat- drucksache (509/72 v. 22. Sept.

1972) eine sonst in der Gesetz- gebung übliche Begründung ver- missen läßt. Hier fehlt es offen- sichtlich an der vom Bürger zu fordernden, so oft propagierten Transparenz der Sozialgesetzge- bung.

Nach bisherigem Recht konnte unter bestimmten Bedingungen ein unselbständig Erwerbstätiger be- züglich seines Bezugsberufes auf selbständige Erwerbstätigkeit wie auch ein Selbständiger auf abhän- gige Arbeit verwiesen werden.

Wenn nun dieser selbständig er- werbstätig Gewordene bezüglich des Vorliegens einer Erwerbs- unfähigkeit nach bisherigem Recht zu beurteilen war, dann galten auch die Richtlinien des § 1247 (2) RVO, Satz 1, d. h. relevant war, ob dieser auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügi- ge Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann. Hier muß eingefügt werden, daß unter „ Erwerbstätigkeit"

eine auf Gewinn abzielende, also nicht unentgeltlich zu verrichtende Arbeit zu verstehen ist (vgl. Bundes- sozialgerichtsentscheidungen 19, 147, 149; 29, 263, 264). Einkünfte sind

„geringfügig" , wenn sie niedriger sind als ein Fünftel des durch- schnittlichen Brutto-Tariflohnes ei- nes körperlich und geistig gesun- den Versicherten mit ähnlicher Aus- bildung und gleichwertigen Kennt- nissen und Fähigkeiten (Bundes- sozialgerichtsentscheidungen 19, 147, 152). Beide Rechtsbegriffe sind also durch höchstrichterliche Rechtsprechung stabil abgesichert.

Zur Frage des Vorliegens einer Erwerbsunfähigkeit bei Selbstän- Anamnesefragebogen

meisten in der Bundesrepublik Deutschland vertretenen ausländi- schen Arbeitnehmer vorgenommen.

Der so gestaltete zweisprachige Anamnesefragebogen ist nicht als Ersatz eines Dolmetschers ge- dacht, sondern als Orientierungs- hilfe für den niedergelassenen Arzt, der zumindest so einige Basisinfor- mationen erhält, die unter Zuhilfe- nahme von Heim- bzw. Werksdol- metschern zur konventionellen ärztlichen Anamnese ergänzt wer- den können. Daß die Intelligenz und Konzentrationsfähigkeit des Probanden hier eine wesentliche Begrenzung des befragten Kollek- tivs bewirkt, ist unumstritten. Nach unserer Erhebung ist mit einer aus- reichenden Beantwortung des Fra- gebogen ohne fremde Hilfe bei ca.

90 Prozent der ausländischen Ar- beitnehmer zu rechnen. Darüber hinaus ist nur mit einer Hilfestel- lung durch einen Sprachkundigen eine verwertbare Ausfüllung des Fragebogens zu erreichen.

Fazit: Differenzierung im Umfang und

im Anwendungsbereich

Anamnesefragebogen gestatten die Erstellung einer Basisanamnese, die durch Zusatzangaben im Rah- men des ärztlichen Gesprächs zur dokumentierten ärztlichen Ana- mnese komplettiert werden muß.

Es gibt nicht den Anamnesefrage- bogen für alle Ärzte und für alle Patienten. Differenzierungen im Umfang und im Anwendungsbe- reich sind in jedem Falle notwendig.

Fragebogen mit 250 bis 750 Fragen sind geeignet für den Problempa- tienten und den Patienten, bei dem eine „Durchuntersuchung" ansteht.

Fragebogen mit nur 50 Fragen — hier besonders als „Wartezimmer- fragebogen" — lassen sich beim Routinefall mit geringem Aufwand anwenden.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Peter Hipp 5 Köln 60

Niehler Kirchweg 169

Rentenreformgesetz benachteiligt Selbständige

Manfred Auberlen

1178 Heft 16 vom 18. April 1974 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Rentenreformgesetz

digen im Sinne des § 1247 RVO (2) (§ 24 AVG), hat der 1. Senat des BSG im Urteil v. 26. Sept. 1967 — 1 RA 85/66 — in seinen Entschei- dungsgründen sich dahingehend geäußert, daß ein Handwerker erst dann erwerbsunfähig sei, „wenn der Handwerker sowohl im hand- werklich-technischen als auch im organisatorisch-kaufmännischen Bereich eines Betriebes auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätig- keit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Ein- künfte durch Erwerbstätigkeit er- zielen kann." Und weiter: „Die Versicherung des selbständigen Handwerkers — früher in der Ange- stelltenversicherung und seit dem 1. Januar 1962 in der Arbeiter- rentenversicherung — gründet sich auf dessen Tätigkeit im eigenen Betrieb. Bei der Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit muß daher in erster Linie von den Verhältnissen in diesem Betrieb ausgegangen und danach geprüft werden, ob sie für ihn noch in ausreichendem Umfang eine Erwerbsmöglichkeit zulassen. Es besteht kein Anlaß, insoweit den Handwerker genauso zu behandeln wie den versiche- rungspflichtigen Arbeitnehmer, der in der Regel nur auf eine abhän- gige Beschäftigung verwiesen wer- den kann. Das BSG ging davon aus, daß der Kläger noch in der Lage ist, „Büroarbeiten in seinem eige- nen Bauunternehmen für drei Stun- den täglich zu verrichten". Er kön- ne noch in seinem Einzelunter- nehmen federführend tätig sein und im kaufmännisch-organisatori- schen Bereich verantwortliche Ar- beiten verrichten. Das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit wurde da- mit verneint.

Die für diese Entscheidung rechts- erheblichen Kriterien waren, „ob auf nicht absehbare Zeit eine Er- werbstätigkeit in gewisser Regel- mäßigkeit ausgeübt werden kann

—oder ob nicht mehr als nur gering- fügige Einkünfte durch Erwerbs- tätigkeit — in zumutbarer Tätigkeit

— erzielt werden können". Hier ist nach dem Rentenreformgesetz in-

sofern eine ganz erhebliche Ver- schlechterung der Rechtsposition der selbständig Erwerbstätigen ein- getreten, als ihnen nunmehr über- haupt keine Erwerbstätigkeit mehr gestattet wird. Die früher in dieser Sachfrage für ihn in positivem Sinne zu verwendenden Sozial- gerichtsurteile sind durch § 1247 (2), Satz 2 — also durch Gesetz — ausgeschaltet worden.

Von wesentlicher Bedeutung war versicherungsrechtlich die Frage, ob auf Kosten der Gesundheit und Lebenserwartung gearbeitet wurde.

Gegebenenfalls war dies nach stän- diger Rechtsprechung rentenun- schädlich.

Bei der versicherungsrechtlichen Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Kranken- versicherung ist z. B. eindeutig festgelegt, daß diese vorliegt, wenn die zuletzt ausgeübte oder ähnliche Tätigkeit dann nicht mehr zumutbar ist, wenn diese auf Kosten der Gesundheit — „Gefahr in abseh- barer Zeit seinen Zustand zu ver- schlimmern" — erfolgt.

Der 4. Senat des BSG hat im Urteil vom 30. Oktober 1968 — 4 RJ 177/

64 — in seinen Entscheidungs- gründen ausgeführt: „Die Erwerbs- unfähigkeit im Sinne des § 1247 Abs. 2 RVO ist nicht deshalb zu verneinen, weil der Kläger — unge- achtet einer unmittelbaren Gefahr für seine Gesundheit — regelmäßig gearbeitet und dadurch mehr als geringfügige Einkünfte erzielt hat."

Weiter wurde ausgeführt: „Der Grad des Kräfteverlustes sollte nicht auf Grund des wirklich erziel- ten, sondern des noch erziel- baren Verdienstes gemessen wer- den. Daraus folgt, daß Arbeitsein- künfte nicht in Anrechnung zu stel- len sind, die nur mit dem Risiko unmittelbarer Schädigung erwor- ben werden. Wer den Belastungen eines Mindestmaßes von Erwerbs- arbeit nicht mehr gewachsen ist, aber trotzdem etwa deshalb weiter- arbeitet, weil die Rente als Lebens- grundlage nicht ausreicht, erhielte nicht einmal diese niedrigste Ren-

te . Das liefe dem Ziel der gesetz- lichen Rentenversicherung zuwi- der."

Es wurde nun aber im Renten- reformgesetz § 1247, Abs. 2 RVO, Satz 2, eindeutig gesetzlich fest- gelegt: „Nicht erwerbsunfähig ist, wer eine selbständige Erwerbs- tätigkeit ausübt." Während nach bisherigem Recht geringfügige Ein- künfte noch rentenunschädlich wa- ren, darf also der Selbständige jetzt keinerlei Einkünfte durch Erwerbs- tätigkeit mehr erzielen, ggf. muß der Antrag auf Erwerbsunfähig- keitsrente abgelehnt bzw. eine Erwerbsunfähigkeitsrente entzo- gen werden. Es wird u. U. ihm zugemutet, auf Kosten der Gesund- heit zu arbeiten. Ein derartiges Rechtsgebaren ist aus ärztlicher Sicht absolut abzulehnen. Darüber hinaus wäre juristisch zu über- prüfen, wieweit dadurch die Würde des Menschen verletzt wird und ob dies nicht gegen die Rechtsgleich- heit des Artikel 3 GG verstößt. — So- zialmedizinisch ergibt sich ander- seits daraus die Konsequenz, daß auch bei medizinisch festgestellter Erwerbsunfähigkeit, Erwerbsun- fähigkeit nach dem Gesetz trotz- dem nicht besteht, solange noch Erwerbstätigkeit im Sinne des Ge- setzes ausgeübt wird. Es können daher noch anrechnungsfähige Bei- träge für den Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit geleistet wer- den, bis die Anwartschaft auf Rente erfüllt ist.

Bei der individuellen Beratung der Patienten muß auch der behan- delnde Arzt diese Fakten berück- sichtigen, um in Verbindung mit dem medizinischen Sachverhalt ihnen den richtigen Weg weisen zu können.

Quellen:

Kommentar zur Reichsversicherungsord- nung, 4. u. 5. Buch, 6. Aufl., herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversiche- rungsträger — Dokumentationskartei des Verbands Deutscher Rentenversicherungs- träger.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. med. Manfred Auberlen 7 Stuttgart 75, Madenstraße 21

DEUTSCHES .ÄRZTEBLATT Heft 16 vom 18. April 1974 1179

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