A-3426 (56) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 51–52, 23. Dezember 1996
„Man kann sich seiner Haut nicht erwehren“, sagte der Internist Dr. D. „Wo man auftaucht, immer dasselbe.“
Er bezog sich auf die Pe- netranz gewisser Herrschaf- ten, auf jeder beliebigen Abendgesellschaft, im Pri- vathaus oder im Restaurant, einen Arzt um medizinische Tips „anzupumpen“. Kaum betritt er den Raum, fühlt sich dieser oder jener der Gä- ste wie magisch in seine Nähe gezogen. Dem Entkommen von Weiterem stehen Schwie- rigkeiten im Wege.
Der solcherart zum Opfer Auserkorene, durch Zu- nicken von der Gegenseite ermuntert, frei von der Leber auszupacken, mag durchaus Sympathien für Yoga, Aku- punktur, braunen Reis und japanischen Dörrfisch hegen.
Die Fragekaskaden aber hin- dern ihn, an der leichtherzi- gen, erholsamen Konversati- on mit den übrigen Anwesen- den teilzunehmen. Was muß er sich in seiner Freizeit die Aufzählung von dazu meist eingebildeten Symptomen anhören? Um zu geistvollen Schlüssen zu gelangen, wäre eine Untersuchung nötig, und die wiederum verlangt das Entkleiden. Man hüte sich davor, sagte Dr. D., etwas Derartiges auch nur zu er- wähnen. Zweimal passierte ihm, daß ungeachtet der an- deren im Raum die Gesund- heitsschlaucher sich an- schickten, sich vor ihm zu entblößen. Die Zunahme des Bewußtseins von einer leicht zu beschädigenden Umwelt, gar einer Umwelt, die bereits grausliche Schäden vorwei- sen kann, veranlaßt diese Personen, sich an den Arzt zu heften wie Metallstaub an den Magneten. Wer sonst, wenn nicht er, ist der Gesund- heitsexperte? Wie beurteile er den Mangan-Gehalt im
Broccoli? Wird Hummer im Mikrowellenherd in seiner chemischen Substanz beein- trächtigt, und kann das nicht zu Hautausschlägen führen?
Himmel, es ist für diese Greuel kein Ende abzusehen.
Vernünftige Methoden, das Gespräch von Rheuma- tismus, Migräne und Arthri- tis abzulenken, versagen so gut wie immer. Einem aus je- der Pore Nikotin verströmen- dem Bankier anzuraten, auf Zigaretten zu verzichten, ist so erfolgreich wie der Rat an eine Übergewichtige, den Hummer wegzulassen. Bera- tungsecken in Zeitschriften, Fernsehen und Radio moti- vieren sie. Sie bestehen auf der Erfüllung ihrer Erwar- tungen.
Man könnte den Rezept- block aus der Tasche ziehen, was Harmloses verschreiben, und am nächsten Tag eine saftige Rechnung hinterher- schicken. Dr. D. entschloß sich zur Herausgabe eines Taschenbuches mit dem Titel
„Medizinische Gefahren des Lebens“. Er sagte: „Dem Fra- ger empfehle ich, es zu erwer- ben, es enthalte alle Antwor- ten. Diese Methode ist narren- sicher. Zwar wird er mein Buch weder kaufen noch lesen, doch für den Rest des Abends ha- be ich ihm den Mund ge- stopft!“ Arno Reinfrank
V A R I A FEUILLETON
Aus dem Alltag eines Arztes
Ratschläge
für jede Lebenslage
Ende der Tätigkeit von Arno Reinfrank
Seit Jahrzehnten schreibt der in London lebende Arno Reinfrank lehrreiche und amüsante Geschichten aus England. Mit Ende dieses Jah- res beendet er seine Tätigkeit für das Deutsche Ärzteblatt.
Die Redaktion bedankt sich herzlich für seine regelmäßi-
ge Mitarbeit. DÄ