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Foto: Claudia Höhne

€ 16,– (D)

ISBN 978-3-89684-178-0

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Michael Richter

ist freier Autor und Regisseur. Er studierte Poli tologie, Romanistik und Philosophie in Heidel berg, Paris und Madrid, arbeitete für das ARD-Studio in Brüssel und ist seit 15 Jahren für den NDR tätig. Seit mehreren Jahren widmet er sich der europäischen und deutschen Flüchtlingspolitik. Seine Doku- mentation »Festung Europa« war u. a. bei arte und im NDR Fernsehen zu sehen. Für die Reportage »Abschied im Morgengrauen«

über die Abschiebepraxis in Deutschland erhielt er 2006 den Grimme-Preis, das Fea- ture »Riskante Reise. Europa und die Flücht- lingsströme« war 2015 für diese Auszeich- nung nominiert. 2016 zeigte die ARD

»Entscheider unter Druck« über das Bun- desamt für Migration und Flüchtlinge.

In der edition Körber-Stiftung erschien 2015 »Fluchtpunkt Europa. Unsere huma- nitäre Verantwortung«.

»Viele, die letztes Jahr gekommen sind, müssen wieder gehen. Aber ca. 600 000 Menschen werden auf abseh bare Zeit bei uns bleiben – bleiben müssen, etwa weil in ihrer Heimat Krieg herrscht. Für sie müs sen sich Perspektiven eröff nen.

Daher geht es jetzt darum, die Flücht linge mit dem Leben in Deutschland ver traut zu machen und nachhaltige Strukturen auf - zu bauen.«

Voller Hilfsbereitschaft und Engagement wurden 2015 die rund eine Million Menschen empfangen, die nach Deutsch land geflüch tet waren. Doch Spenden und Willkommensworte sind das eine – dauerhafte Integration ist das andere. Ist die deutsche Gesellschaft überhaupt bereit, den Geflüchteten gerechte Chancen zu eröffnen?

Ob Integration gelingt, ob Zuwanderung als Erfolgsgeschichte gelesen werden kann, leitet der Autor und Regisseur Michael Richter an drei wesentlichen Kriterien ab: Wie ist die Wohn- situation der Geflüchteten und Zuwanderer? Wie nehmen sie am Bildungssystem teil? Und wie ist ihr Zugang zum Arbeits- markt? Diesen Fragen geht Richter anhand von konkreten Beispielen, von Geschichten und Begegnungen, aber auch von wissenschaftlichen Analysen nach. Denn auch wenn sich Teile von Politik und Öffentlichkeit lange gegen diese Erkenntnis gesperrt haben: Deutschland hat jahrzehntelange Erfahrung als Einwanderungsland – gute und weniger gute, aber immer lehrreiche.

Michael Richters Beitrag zur Debatte um das magische »Wir schaffen das!« übersieht nicht die Schwierigkeiten, macht aber Hoffnung: Mit cleveren Konzepten und viel persönlichem Enga gement kann Deutschland Heimat sein – für alle, die hier leben!

Michael Richter

Neue HeiMat DeutscHlaND

Zuwanderung als erfolgsgeschichte

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Michael Richter

NEUE HEIMAT DEUTSCHLAND

Zuwanderung als Erfolgsgeschichte

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© edition Körber-Stiftung, Hamburg 2016 Umschlag: Groothuis. www.groothuis.de Foto: Ina Fassbender / Reuters Pictures

Herstellung: Das Herstellungsbüro, Hamburg | www.buch-herstellungsbuero.de

ISBN 978-3-89684-511-5 Alle Rechte vorbehalten www.edition-koerber-stiftung.de Für Zahra, Ehsan und Mohamad

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Inhalt

Einleitung ... 9

I. Spontane Hilfe: Herbst 2015 ... 19

Wasser und Sandwiches ... 20

Neustart in der Heide ... 26

An die Arbeit ... 29

Zugang zum Arbeitsmarkt: Gesetzliche Grundlagen ... 36

Voreilige Euphorie? ... 39

In der Notunterkunft: Zu Gast bei Mohamad ... 41

Hürdenlauf zum Wohnungsbau ... 46

Zugang zum Wohnungsmarkt: Gesetzliche Grundlagen ... 53

Wohnraum für alle ... 55

Integriert wohnen ... 59

II.NADELÖHR ASYLVERFAHREN ... 63

In den Mühlen der Institution ... 63

Asyl – das Ticket zum sicheren Aufenthalt? ... 68

Auftrag: Asylanträge abarbeiten ... 71

Das lange Warten ... 74

Eine Behörde voller Rätsel ... 79

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III. Deutschland, ein Einwanderungsland! ... 85

Rayana auf Erfolgskurs ... 86

Abwehr und Unverständnis: Ausländerpolitik auf beiden Seiten der Mauer ... 91

IV. Voller Energie: Frühjahr 2016 ... 103

Golzow kann Schule machen ... 104

Bad Fallingbostel oder der Triumph der Unbürokratie ... 116

Willkommen bei Familie Metz ... 121

Mehdi Ghorbani: Unbegleitet, aber nicht mehr allein ... 125

Deutschstunde ... 129

V. Die neuen Kollegen ... 133

Perspektive Putzkraft? ... 133

Was wissen sie schon? – Der Ausbildungsstand der Flüchtlinge ... 137

Wunschziel Arbeit ... 141

Das staatliche Netz der Vermittlungsangebote ... 143

Betriebsluft schnuppern ... 147

Potsdam: Lotsen zum Arbeitsplatz ... 150

VI. Chance Vielfalt ... 159

Deutschlands neues Gesicht ... 159

»Warum immer diese Schubladen?«: Die Staats- ministerin Aydan Özoguz ... 168

Quinoa ... 173

Hoch hinaus: Zusammenleben in Kirchdorf-Süd ... 183

(7)

VII. Sommer 2016: Eine erste Bilanz ... 192

Hakim, der Vermittler ... 193

Jobwunder sehen anders aus ... 198

Nicht zu Ende gedacht: Das neue Integrationsgesetz ... 200

Praktisch vermittelbar ... 203

Schwierige Suche ... 206

Schwere Zeiten: Familie Houran ... 207

Mohamad und seine Geschwister ... 215

Hiphop im Hochbunker ... 217

Anmerkungen ... 221

Über den Autor ... 231

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Einleitung 9

Einleitung

Ein Fußballplatz mitten in Hamburg. Eine Gruppe von Ju­

gendlichen jongliert mit dem Ball, einige machen Dehn­

übungen, andere stehen herum und plaudern miteinander.

Der Trainer kommt mit den Trikots aus der Kabine, er wird respektvoll mit Handschlag begrüßt. Eine kurze Ansprache, dann drehen die Jungen ein paar Runden zum Warmmachen.

Einer sticht aus der Mannschaft heraus, er scheint etwas äl­

ter zu sein.

»Das ist Mehdi«, erklärt der Trainer Diarra, »ein feiner Jun- ge, ist ein guter Fußballer. Die anderen mögen ihn auch.«

Diarra, Mitte 30 und schon seit einigen Jahren als Übungs- leiter aktiv, hat den Jungen seit Kurzem in seine Mannschaft aufgenommen. Mindestens die Hälfte der 16-Jährigen hat ausländische Wurzeln, ist aber in Hamburg aufgewachsen.

Auch Diarra stammt von der Elfenbeinküste. Eine bunte Mi- schung, wie so oft im Fußball.

Mehdi ist ein sogenannter unbegleiteter minderjähriger Flüchtling, der unter der Obhut des Jugendamtes in einer Jugendwohnung lebt. Er ist im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen – und seit vier Wochen kann er in der Mannschaft mitspielen. Eine Betreuerin aus seiner Ju-

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gendwohnung stellte den Kontakt zum Fußballklub Eims- bütteler TV her. Nach den ersten Trainingseinheiten schreibt sie in einer Mail, Mehdi sei ganz glücklich, fühle sich sehr wohl und frage, ob er bleiben könne. Kein Problem für ETV- Trainer Diarra.

Mehdi kann sich schon ganz gut mit den anderen Jugend- lichen verständigen. Beim Sport oder in der Musik funktio- niert Kommunikation glücklicherweise nicht so sehr über Sprache.

Solche Begegnungen ereignen sich täglich hundertfach in Deutschland – und es werden immer mehr. Hiesige und Geflüchtete treiben miteinander Sport, sie verhandeln, sie lernen, sie arbeiten und spielen zusammen. Eine Art Alltag kehrt ein. Aber vieles funktioniert auch (noch) nicht: Asyl­

anträge stocken, der Wohnungsbau geht nicht voran, Ar­

beitsplätze sind für Flüchtlinge schwer zugänglich.

Im vergangenen Jahr kamen über eine Million Menschen zu uns. In aller Eile wurden Container angemietet, Zeltstädte errichtet, Turnhallen für den Schulsport gesperrt und zu riesigen Bettenlagern umfunktioniert. Alle mussten unter­

gebracht sein, bevor der Winter einbrach. Unzählige profes­

sionelle und ehrenamtliche Helfer kümmerten sich darum, sie improvisierten und sorgten für die Neuankömmlinge.

Ein Jahr später sieht alles schon wieder anders aus. Gerade gebaute Unterbringungen sind geschlossen, Überkapazitä- ten werden heruntergefahren. In diesem Jahr kommen wohl

»nur« 300 000 Flüchtlinge und damit weit weniger Menschen

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Einleitung 11 als ursprünglich prognostiziert – nicht zuletzt weil es durch das EU-Türkei-Abkommen und die Schließung der Balkan- Route für die Fliehenden sehr viel schwerer geworden ist, nach Deutschland zu gelangen.

Auch deshalb können wir uns jetzt dem Aufbau nachhal- tiger Strukturen zuwenden. Viele, die letztes Jahr gekom- men sind, müssen wieder gehen. Aber ca. 600 000 Menschen werden auf absehbare Zeit bei uns bleiben, bleiben müssen, etwa weil in ihrer Heimat Krieg herrscht. Für sie müssen sich Perspektiven eröffnen. Daher geht es jetzt darum, die Flüchtlinge mit dem Leben in Deutschland vertraut zu ma- chen. Mehr qualifizierten Deutschunterricht anzubieten, Plätze in Kindergärten und Schulen für die Kinder und Prak- tikumsplätze für die (jungen) Erwachsenen bereitzustellen, Wohnmöglichkeiten für alle zu schaffen. Eine Herkulesauf- gabe. – Von ihr handelt dieses Buch.

Das Deutschland, in das sie kommen, hat eine lange Erfah­

rung mit Einwanderung. Nicht erst seit die »Gastarbeiter« in die Industriestandorte gezogen sind. – Aber diese Einwan­

derungsgeschichte wird gern verdrängt. Sie ist nie Teil der kollektiven Identität geworden. Migranten müssen sich ih­

ren Platz in unserer Gesellschaft – wie in anderen Ländern auch – immer noch hart erkämpfen. Damit werden sich auch die Geflüchteten auseinandersetzen müssen.

Ob Integration gelingt, ob Zuwanderung als Erfolgsge- schichte gelesen werden kann, lässt sich an drei wesent- lichen Kriterien bestimmen: Wie ist die Wohnsituation der Geflüchteten und Zuwanderer? Wie nehmen sie am

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Bildungssystem teil? Und wie ist ihr Zugang zum Arbeits- markt?

Diese drei Indikatoren zeigen, ob zwischen Zuwanderern und Aufnahmegesellschaft Chancengerechtigkeit besteht – was wiederum die Voraussetzung gelingender Integration ist. Natürlich muss man zugestehen, dass die Geflüchteten in so großer Zahl erst seit kurzer Zeit in Deutschland sind.

Viele befinden sich überhaupt noch in der behördlichen Warteschleife zur Klärung ihres Aufenthaltsstatus – fern von allen Integrationsangeboten. Viele beginnen aber auch, in der deutschen Gesellschaft heimisch zu werden.

Anhand von konkreten Beispielen, von Geschichten und Begegnungen, aber auch von wissenschaftlichen Analysen will dieses Buch der Frage nachgehen, ob die deutsche Gesell- schaft überhaupt bereit ist, den Geflüchteten diese Chancen zu eröffnen. Die kurzen Chroniken am Beginn jedes Kapitels bilden in thematisch-chronologischer Betrachtungsweise die Folie dieser Frage. – Um ein Fazit vorwegzunehmen: Die Bereitschaft ist an vielen Stellen – seien es Einzelpersonen, Initiativen oder Institutionen – sehr groß! Aber nicht immer gelingt die Umsetzung schon. Und jeder weiß: Es gibt auch die negativen Beispiele von Ablehnung und Hass. Dennoch:

Ein Jahr nachdem Deutschland sich dem Zuzug Hunderttau- sender Geflüchteter gegenübersah, haben Mut, Tatkraft und Engagement nicht nachgelassen!

Kapitel 1 lässt die intensive, turbulente Atmosphäre des ver­

gangenen Herbstes noch einmal aufleben, als gerade ehren­

amtliche Helfer mit Begeisterung und Improvisationstalent

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Einleitung 13 den Geflüchteten die Ankunft in Deutschland erleichterten.

Eine große Mehrheit der Deutschen glaubte, dass »es« zu schaffen sei – eine große (und lang anhaltende) Welle von Zuversicht und Hilfsbereitschaft folgte. Aber in die Begeis­

terung mischten sich auch bittere Töne. Bürgermeister und Verwaltungen suchten in den großen Städten dringend nach Wohnraum – aber wenn es um Flüchtlinge direkt vor ihrer Haustür ging, verließ viele die Willkommenskultur.

Schnell zeigte sich auch: Es ging nicht nur darum, die Flüchtlinge mit Suppe und Sandwiches zu empfangen. Viel­

mehr mussten die Menschen aus Syrien, Afghanistan, So­

malia oder Nigeria registriert werden und einen Asylantrag stellen. Was aussieht wie deutscher Bürokratismus, ist auch Voraussetzung für längerfristige Integrationsangebote. Das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge drohte zu kollabieren. Die Gründe für diesen Beinahezusammen­

bruch analysiert das Kapitel 2 und liefert einen Einblick in die Funktionsweise einer riesigen Behörde.

Man wird heute nicht mehr bestreiten können, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Aber viele Men­

schen tun sich immer noch schwer mit dieser Erkenntnis.

Wohl auch weil beide deutschen Staaten sich in ihrer poli­

tischen Mehrheit nie als Einwandererstaaten verstanden ha­

ben. Völkerfreundschaft wurde in der DDR immer nur pro­

klamiert – konkrete Begegnungen zwischen Deutschen und Vietnamesen oder Mosambikanern aber unterbunden. In der alten Bundesrepublik beäugte man lange Jahre argwöh­

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14 Neue Heimat Deutschland

nisch die Gastarbeiter und ihre Familien und wollte einfach nicht verstehen, dass da Millionen Menschen gekommen waren, um zu bleiben. Kapitel 3 zeigt, dass diese Denkweise schon in den 1970er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kontraproduktiv war.

Was hat ein Schrebergarten mit dem Krieg in Syrien zu tun?

Wie bringt man Menschen Deutsch bei, die in ihrem Leben gerade mal drei Jahre eine Schule von innen gesehen haben?

Wie hilft man einem unbegleiteten minderjährigen Flücht­

ling, eine Wohnung zu finden? Und wie hat man bei alldem sogar Spaß? – Kapitel 4 beschreibt die vielen kleinen, kon­

kreten Schritte, die »Integration« ausmachen.

Mancher Manager schwärmte im vergangenen Herbst von einem neuen deutschen Wirtschaftswunder, wähnte die de­

mografischen Probleme unserer alternden Gesellschaft ge­

löst. Vielleicht nicht ganz falsch, aber vorschnell. Nüchtern betrachtet zeigt sich, dass nicht viele Flüchtlinge auf Anhieb eine feste Stelle gefunden haben und die meisten froh sind, einen Praktikumsplatz zu ergattern. Von verwaltungstech­

nischen Hürden und intelligenten Arbeitsmarktinitiativen berichtet Kapitel 5.

Kapitel 6 riskiert einen Blick in die Zukunft, die schon be­

gonnen hat. Metropolen in den USA und Europa verändern ihre Strukturen. Der anhaltende Zuzug von Migranten führt dazu, dass sich eindeutige Mehrheitsgesellschaften auflösen.

Unter dem Stichwort »Superdiversität« wird gefragt, wie sich

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Einleitung 15 die Strukturen von Städten und Stadtteilen verändern und welche Auswirkungen diese Entwicklung auf gesellschaftli­

che Leitbilder und die Definition von Integration hat.

Schließlich der Versuch einer Bilanz in Kapitel 7: Wo ste­

hen wir nach einem Jahr der vehementen gesellschaftlichen Diskussionen? Wie weit sind wir mit der Trias aus Wohnen, Bildung und Arbeit? – Die Antwort auf diese Fragen ist auch ein Indikator dafür, ob die neue Zuwanderung eine Erfolgs­

geschichte werden kann – oder sogar schon geworden ist.

Im vergangenen Herbst habe ich begonnen, mich mit der Situation der Geflüchteten in Deutschland zu beschäfti­

gen. Zunächst im Rahmen des Films »Die Herausforderung«

für den NDR, den ich zusammen mit meiner Kollegin und Freundin Nadja Frenz realisiert habe. Nadja hat mir freund­

licherweise auch erlaubt, einige ihrer Interviews für dieses Buch zu verwenden. Und sie hat mich in der Folge für die Re­

cherchen zu diesem Buch auch mit Kontakten zu ehrenamt­

lichen Helfern und Flüchtlingen versorgt – eine große Hilfe!

Dafür bedanke ich mich herzlich. Im Übrigen stammen alle Interviews, soweit nicht anders gekennzeichnet, von mir und sind zwischen Oktober 2015 und Juli 2016 entstanden.

Mein Dank gilt auch NDR­Redakteur Christoph Mestmacher für die Erlaubnis, einige Recherchen sowohl für »Die Her­

ausforderung« wie auch den Film »Entscheider unter Druck«

über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Rahmen dieses Buches zu verwenden. Im Frühjahr und

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16 Neue Heimat Deutschland

Sommer realisierte ich parallel zur Entstehung dieses Bu­

ches eine Dokumentation über die Mammutbehörde, die wohl wie keine andere für die administrativen Herausforde­

rungen dieser Situation steht. Meine Produzenten Carsten Rau und Hauke Wendler haben mir bei dieser doppelglei­

sigen Arbeit mit viel Verständnis den Rücken freigehalten.

Die gesetzlichen Grundlagen für Flüchtlinge in Bezug auf Wohnen, Arbeiten und Asyl hat mein Kollege und Freund Gerke Dunkhase recherchiert und geprüft. Auch die Chro- niken zu Beginn der Kapitel stammen von ihm – für beides herzlichen Dank.

Schließlich gebührt ein großer Dank meiner Lektorin Dr. Kerstin Schulz, die bis auf die letzte Minute einer wirk- lich engen Produktion geduldig blieb und mich immer wieder mit konstruktiver Kritik und nützlichen Hinweisen versorgte. Meiner Frau Gabi danke ich für die rückhaltlose Unterstützung in der Zeit des Schreibens und die sorgfältige Durchsicht des Manuskripts.

Botschaften sind eigentlich nicht meine Sache. Aber in die­

sem Jahr 1 nach der Ankunft ist ganz deutlich: Ohne Helfer wie Berenike, die eine ganze Gruppe von Afghanen unter­

stützt, wie Sabine, die die Vormundschaft für unbegleitete Flüchtlinge übernimmt, oder wie Mark, der in seiner Frei­

zeit Sport mit Geflüchteten macht, fänden die Flüchtlin­

ge nur sehr schwer Zugang in unser Leben. Ich denke, wir schulden ihnen nicht nur Dank, sondern sollten sie auch ganz konkret materiell für ihr wertvolles gesellschaftliches Engagement unterstützen.

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Einleitung 17 Und last, but not least – was wüssten wir, wenn die Neuan­

kömmlinge uns nicht in ihr Leben schauen ließen? Manche von ihnen sind schon einige Jahre da und haben inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit wie die Afghanin Rayana Fakhri. Ihre Solidarität und ihr Engagement für die neu Hin­

zukommenden sind groß, wie bei Hakim Chohbishat, dem unermüdlichen Helfer und Brückenbauer, der immer ein of­

fenes Ohr für alle Fragen hat – von beiden Seiten. Andere – wie der Syrer Ghassan Aloda oder Abdulahi Mohamed aus Somalia – versuchen gerade Fuß zu fassen. Mohamad, Zahra und Ehsan, die drei Geschwister aus Iran, habe ich immer wieder befragt und konnte so ihre Zeit in Deutschland ge­

nauer nachzeichnen.

Für mich sind diese Begegnungen eine Bereicherung. Und ich hoffe darauf, dass Deutschland für sie zur neuen Heimat wird.

Hamburg, im September 2016

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Spontane Hilfe: Herbst 2015 19 Kapitel I

Spontane Hilfe: Herbst 2015

August / September 2015: Innenminister Thomas de Maizière er- klärt, dass die Bundesregierung für das laufende Jahr mit bis zu 800 000 Flüchtlingen rechnet +++ In Heidenau in Sachsen kommt  es zu mehrtägigen ausländerfeindlichen Ausschreitungen  +++ An- gela Merkel besucht Asylsuchende in Heidenau. Sie wird von De- monstranten  ausgebuht.  Es  ist  ihr  erster  Besuch  in  einer  Flücht- lingsunterkunft +++ Das  BAMF  setzt  das  Dublin-Verfahren,  nach  dem Flüchtlinge in dem EU-Staat Asyl beantragen müssen, den sie  als ersten betreten haben, für Syrer außer Kraft +++ In einem an  der  A 4  bei  Parndorf  abgestellten  Lastwagen  entdecken  österrei- chische Polizisten 71 tote Flüchtlinge. Sie sind erstickt +++ Angela  Merkel  erklärt  auf  ihrer  Sommerpressekonferenz:  »Wir  schaffen  das« +++ Auf einem EU-Sondergipfel beschließen die Staats- und  Regierungschefs, eine Milliarde Euro für die Versorgung syrischer  Flüchtlinge  in  den  Nachbarstaaten  des  Bürgerkriegslandes  zur  Verfügung zu stellen +++ Deutschland und Österreich öffnen die  Grenzen  für  in  Ungarn  festgehaltene  Flüchtlinge +++ Der  Mün- chener Hauptbahnhof wird zur Drehscheibe für die Verteilung von  Flüchtlingen in Deutschland 

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20 Spontane Hilfe: Herbst 2015

Wasser und Sandwiches

Die Bilder haben sich ins Gedächtnis eingebrannt: Flüchtlin­

ge campieren vor überfüllten Erstaufnahmen. Sporthallen und ehemalige Baumärkte werden zu Unterkünften um­

funktioniert, in denen Menschen auf eilig herbeigeschaff­

ten Feldbetten schlafen. Das Foto eines Jungen, der inmitten einer Menge ein Pappschild mit der Aufschrift »SOS please help me« hochhält.

Überall in Deutschland sehen sich Städte und Gemeinden im Herbst 2015 einem Ansturm von Menschen gegenüber, die Hilfe und Schutz benötigen. Und unzählige Freiwilli- ge tun etwas. Sie helfen in den Unterkünften, heißen die Flüchtlinge willkommen, geben erste Informationen.

Einer von ihnen ist Hakim Chohbishat, Araber aus Iran, seit drei Jahren in Deutschland. Im August ist er schon auf eigene Faust nach Ungarn gefahren und hat Flüchtlingen ge- holfen, die auf der Balkanroute unterwegs waren. Zurück in Hamburg, sieht er, wie Hunderte Flüchtlinge jeden Tag in der Hansestadt ankommen und ebenso wie anderswo Hilfe benötigen: »Da kommen 200, manchmal auch 250 Leute in einem Zug an, und die sprechen alle Arabisch, Persisch oder Kurdisch. Und wir haben gesagt, wir können diese Sprachen, also helfen wir«, erinnert sich Hakim.

Hakim organisiert, er ruft Bekannte und Freunde an, sam- melt Geld für Hilfsgüter und Essen. Wochenlang stehen die Freiwilligen mit Warnwesten, auf denen in Englisch und Arabisch Refugee Helpers steht, auf den Bahnsteigen und war- ten auf Neuankömmlinge. Die Flüchtlingsfamilien sind er-

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Wasser und Sandwiches 21 leichtert, mit den Helfern in ihrer Muttersprache reden zu können. Häufig waren sie auf der Balkanroute unterwegs, über die Türkei, Griechenland, Serbien, Kroatien, Ungarn und Österreich erreichen sie Deutschland.

Die meisten, die in diesem Herbst auf dem Hauptbahnhof in Hamburg ankommen, wollen weiter nach Norden zu Ver- wandten oder Freunden. Unter den Flüchtlingen hat sich of- fensichtlich herumgesprochen, dass die Erstaufnahmelager der Hansestadt völlig überfüllt sind.

Viele von Hakims Helfern sind selbst erst vor ein paar Monaten in Deutschland angekommen. Sie leben noch in Erstunterbringungen, manche von ihnen schlafen noch in Zelten und sind froh, etwas tun zu können. Sie wollen Deutschland, das sie so gastfreundlich aufgenommen hat, etwas zurückgeben. Andere sind Studierende, die sehen, dass sie gebraucht werden und die Uni eine Zeit lang Uni sein lassen.

Die »Einsatzzentrale« der Ehrenamtlichen besteht aus zwei Tischen, die in der Wandelhalle, der Einkaufsstraße im Hamburger Hauptbahnhof, unter einer Treppe zusammen- geschoben wurden. Dort sitzen ständig zwei bis drei Hel- fer und stehen für Fragen zur Verfügung: Wann fährt der nächste Zug Richtung Norden, wie kommt man am besten zur Fähre nach Schweden? Der Strom der Fragenden reißt nicht ab.

Viele brauchen einfach eine Pause, müssen sich einmal ausruhen. Sie sind seit Monaten unterwegs und haben un- glaubliche Strecken zu Fuß zurückgelegt. Hakim und seine Helfer führen die Neuankömmlinge zu den Zelten auf dem

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22 Spontane Hilfe: Herbst 2015

Bahnhofsvorplatz. Dort können sie sich auf Bänken ausru- hen, sie bekommen ein Sandwich und etwas zu trinken.

Essen, Schlafplätze, Ordnung – für all das sorgen die ehren amtlichen Helfer selbst. Die Behörden der Stadt haben alle Hände voll damit zu tun, die Flüchtlinge zu versorgen, die sich in den Erstaufnahmen melden. Die Durchreisenden überlassen sie stillschweigend Hilfsorganisationen wie dem Paritätischen Wohlfahrtsverband oder spontan gebildeten Helfer-Netzwerken.

Eine riesige Aufgabe, die die Ehrenamtlichen da neben ih- rem normalen Alltag bewältigen. Zum Beispiel Simone W., berufstätig und zweifache Mutter, seit August bei Refugees Welcome dabei. Refugees Welcome entstand im Sommer 2015 ursprünglich als Nachbarschaftsinitiative, um den Geflüch- teten zu helfen, die provisorisch in den Hamburger Mes- sehallen untergebracht waren. Simone war von Anfang an dabei. Jetzt ist sie überall dort, wo Hilfe gebraucht wird – und das ist zurzeit am Hauptbahnhof. Die Initiative hatte ursprünglich eine Menge Geld gesammelt, um Deutsch- oder Sportkurse für Flüchtlinge zu finanzieren. Jetzt fließt das Geld in die Versorgung am Hauptbahnhof – mindestens 2000 Euro pro Woche. Davon kauft Simone jetzt Essen und Wasser, Mülltüten und Babynahrung.

Wenn keine Züge mehr fahren, können die Flüchtlinge nach der letzten Aufführung im Schauspielhaus übernachten oder in einer großen, nahegelegenen Moschee. Dem Imam sind alle willkommen. Religion kennt hier keine Grenzen.

»Ich habe den verantwortlichen Imam Abu Sami gefragt, ob das für ihn ein Problem wäre. Aber er hat nur den Kopf ge-

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Wasser und Sandwiches 23 schüttelt. Ob Christen, Juden, Muslime oder Nichtgläubige, alle dürfen in der Moschee schlafen«1, sagt Hakim.

Jede Nacht übernachten Hunderte Flüchtlinge auf dem Bo- den des Gebetsraums. Wenn sie in ihren Schlafsäcken liegen und noch nicht zu müde sind, erzählen sie Hakim manch- mal ihre Fluchtgeschichten. Hakim sind viele Erzählungen vertraut: »Meine Brüder und ich waren vor einigen Jahren auch auf der Flucht. Deshalb fühle ich mich verantwortlich.

Ich muss hier sein. Wenn ich zu Hause bliebe, würde ich die ganze Zeit denken: Was geschieht mit diesen Leuten? Sie fin- den sich nicht zurecht, sie können sich nicht verständigen.

Deshalb bin ich lieber hier.«

Hakim nimmt gerne die Dinge in die Hand. Das hat sich auch in Deutschland nicht geändert, wo er seit dem Sommer 2012 lebt. Er gehört zur arabischen Minderheit in Iran, die in der Region Al Ahwaz im Süden des Landes an der Grenze zum Irak lebt und dort scharfen Repressalien ausgesetzt ist.

1925 annektierte Persien, der heutige Iran, die Region, in der damals große Öl­ und Erdgasvorkommen entdeckt wurden.

Bis heute fördert Iran dort 80 Prozent seines Öls. Dies, ver­

bunden mit der strategisch wichtigen Lage an der Grenze zu den Erzfeinden Irak und Saudi­Arabien, lässt das Regime in Teheran die Region mit Argusaugen überwachen. Jede oppo­

sitionelle Aktivität wird streng sanktioniert. »Sich auch nur traditionell zu kleiden, erregte schon den Argwohn der Be- hörden. Die arabische Kultur ist in ihren Augen minderwer- tig: »Wir hatten zwar Arabischunterricht in der Schule, aber der Lehrer war ein Perser, der schlechter Arabisch sprach

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24 Spontane Hilfe: Herbst 2015

als wir Schüler und keine Ahnung von unseren Traditionen hatte. Wir haben ihn nie akzeptiert.«

Hakim wollte das nicht hinnehmen und begann friedlich für die Rechte seines Volkes zu kämpfen. Er ging in die Dör- fer, organisierte gemeinsam mit Freunden Weiterbildungs- kurse und sammelte Spenden für die Ärmsten. »Schon nach vier Monaten kam die Geheimpolizei und drohte mir, ich solle diese Aktivitäten einstellen. Ich machte weiter. Dann holten sie mich und machten mir den Prozess.«

Hakim war zweimal monatelang im Gefängnis. Der Vor- wurf: antiislamische Propaganda und Kontakte mit den USA.

Seinem Vater gelang es, die Gefängniswärter zu bestechen, sodass Hakim wenigstens ausreichend mit Essen versorgt wurde.

Als Hakim vom Schiiten zum Sunniten konvertierte, hiel- ten seine Eltern die Situation für zu gefährlich und drängten ihn zu fliehen. Vermutlich hat das Hakims Leben gerettet.

Sein Onkel wurde 2013 hingerichtet – angeblich weil er eine Bombe hergestellt hatte. Eine Lüge, ist Hakim überzeugt, er habe Gedichte geschrieben, in denen er seine Heimat be- sang.

Inzwischen hat der junge Araber in Deutschland politi- sches Asyl erhalten. An eine Rückkehr nach Iran ist nicht zu denken.

Mit dem Abstand von nur wenigen Monaten ist manche Sze­

ne schon wieder in Vergessenheit geraten. Doch im vergan­

genen Jahr haben sich Zehntausende Deutsche ehrenamt­

lich um die Neuankömmlinge gekümmert. Bei der Ankunft

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