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DIE LITERATUR DER GOETHEZEIT: STURM UND DRANG, I{LASSIK UND ROMANTIK. Sturm und Drang

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(1)

Reaktion gegen die Aufklärung

Hamann

12

DIE LITERATUR DER GOETHEZEIT:

STURM UND DRANG, I{LASSIK UND ROMANTIK

Sturm und Drang

Da Johann \Volfgang Goethe, Deutschlands größter Dichter, die Literaturperiode von et\\a J 770 bis I K ) 2 beherrscht, nennt man diese Zeitspanne lüufig die Goetlwzeit. Dil' litcrarischt' Bc\n~­

gung, die sich \\~ihrel1(1 dieser Zeit in drl'i verschiedenen Stufen, dem Sturm und Drang, der Klassik ulld der Rornantik entfaltet, beginnt als Reaktion gegen die Aufklirung, als Revolte gegell elit' Unterdrückung des Gefühls LInd die mechanische Produk- tion von Kunst\verken nach starrl'n Regeln ohne große schöp- ferisclw Leistung. Die dieser Tendenz erkenllen \Vir bereits in der I::mpfindsamkeit, aber ihren Höhepunkt crrt'icht die Revolte im Sturm und Drang. \V~ihrend wir bereits in den Schriften Kants und Lessings cl ie lilwn\ inclung der Aufklärung und die Grundlage für eine neue \V dtanschauung erkennen, '.vird die Literatur grundlegend \on zwei Kunsttlll'oretikt'rn beeinflußt: lJamann und Herder.

Johann Gcorg Hamann (I 73

\\ar zeit seines Lebens ein lehnt alles rationale \Visst'n

1788), Königslwrger \\ie Kant, jt'der Vcrl1unftübt'rlegung und Das Gd'ühl ist für ihn die Grund-

130

,..

(2)

Herder

Volksdich- tung

lage jedes künstlerischen Schaffens, Das kiinstlerische Genie, das von der Gewalt seiner GefLihle, nicht aber VOll äußeren Beweg- gründen und Regeln bestimmt \\inl, ist in Hal11anns

Auffasslll~g

ein Schöpfer analog zu Gott. Die folgendcll Beispick aus dyn Aphorismen und Ausprüchel1 zeigen seinc Einstellung,

Das Herz schlägt Früher, als unser Kopf denkt - ein guter

\Vi Ile ist brauchbarer als eint' noch so reine Vernunft.

Ein l-krz ohne Leidenschaften, ohne Affekte ist ein Kopf ohne Begriffe, ohne Mark,

Sokrates hatte also freil ich gut UIl\V issencl zu sein; cr hatte einen Genius, auf dessen \Vissenschaft er sich verlassen konnte, den er liebte und fürchtete als seinen Gott, an dessen Frieden ihrn mehr \\ar als an aller Vernunft der ,Ägypter und Griechen,

\Vas ersetzt bei flomer die Unwissenheit der Kunstregeln, die ein Aristoteles nach ihrn erdacht, LInd was bei einem Shakespeare die UmYissenheit oeler Ülwrtreihung jener kritischen Gesetze? Das Genie, ist die einmütige Ant\\ort.

Johann Gottfried Herder (I 744~ 1803), Ostpreuße wie.

Hamann, wird von dieseln und von Kant stark becindruckt. Fr studiert Theologie in Königstwrg, \\irel Pfarrer in Riga lind schließlich Superintendent in \Veirnar. Dichtung ist für Herder nicht ein künstliches ZusJmllwnstellcn von \Vortcn nach genauen Regeln, sondern eine Naturgabe , die am ursprünglichsten im Volk hervorsprudelt. Er interessiert sich für Volksdichtung und sammelt alte Volkslieder, die er 1778/79 \Tröffentlicht. Bereits 1773 hatte cl' einen Aufsatz über O.;sjan1 geschrieben, in dem er der gelehrten Kunstpoesie seiner Zeit die Volkspoesie primi- tiverer Zeiten gegcnlibcrstellt und ihre ungekünstelte Natürlich- keit lobt. In anderen Aufsätzen bemüht sich tlcrdcr um die Erneuerung der dcutschen Dichtung und stellt 110mer, Shake- speare und Rousseau als Beispiele von echten :'\aturdichtcrn auf.

Besonders auch das Volkslied den Begriff hat Herder geschaffen _ ist Beispiel dieser Naturdichtung, Mit seinen Ideen hat Herder die Literatur stark beeinflußt, besonders Goetlw, mit dem er in Straßburg zusammentraf, und den er fLir di~' "neuc" Dichtung (Jcwann. Um Gocthe sammelte sich eine Schar J'unrer Dichter,

b ~)

deren Bewegung nach dem Namen eines Dramas von Klingel'

,rv1acPherson hattt' mehrere alte schottische Hardenlieder des Ossians H:röffent- licht, die sich später als fälschung herausstellten,

DIE LITERATUR DER GOFTHFZLIT 2]1

(3)

Die Stürmer und Dränger

Goethes Jugend

Goethe entwickelt sich zum Dichter

Götz

"Sturm und Drang" genannt \\u nle. Diese jungen Schriftsteller lehnten sich in ihren Werken, die heute fast ganz in Vergessenheit geraten sind, Gegen ihre Väter auf. Ihre Schla2"\\orte ,\aren

"-- b L C"'l

Natur, Gefühl, Leidenschaft, Genil' und Kerl. Ihr Ziel \\ar die Errichtung \on politischer, sittlicher lind :lsthetischer t:reilwit, ein Ziel, das sie nur in ihren \Vcrkel1 nicht 111 der \virkliclwn

\N elt eITcichtcn.

Der Iwdcutendstc Stürmer und Dränger, um dt'l1 sich, \\ie bereits gesagt, die ;:mdl'rn scharten, \\ar Johann \Volfgang Goetlw (1749-183:2). Er wurde als Sohn reicher Bürgersleute in Frankfurt geboren, genoß eitw ausgezeichnete Erziehung im Vaterhaus, erlebte cl ie französische Besetzung der Stadt im SiebenjährigeIl Krieg und die Krönung Josephs II. zum deutschen Kaiser mit. Mit [6 Jahren ging er nach Leipzig, um an eilT dortigcn Univcrsität nach dem Willen des Vaters Jura zu studieren. Er \crnachlässigte scinc Studien, begann sich für Theater und Literatur und für das lige Leben in "Klein- Paris' , zu interessieren und schrieb einige unhecleutendc Spiek und Gedichte. Fine scl1\\ere Krankheit zwang ihn, 1768 nach Frankfurt zurückzukehren. Eine pietistische Freundin eier Mutter, Susanne von Kkttenhcrg, pflegte ihn gesund und machte ihn vertraut rnit den pietistischen Lehren. Im Frühjahr 1770 besuchte er die Universität Straßburg und promovierte [77l zum Lizentiaten der Rechte.

Straßburg wurde eine sehr bedeutt'nde Station im Leben Goethes. Hier entdeckte er die Schönheit der gotischen Archi- tektur am Straßhurger Münster; unter dem Einfluß Herclers und anderer Freunde wurde er frei vom Komentionelll..'n eies Rokoko, lernte die herrliche Landschaft des Elsaß sehen und licben, sammelte Volksliecler, las Hamann, Rousseau, Ossian, Shake- speare lind Homer lind gewann eine unbändige Freude am Leben. So zum echten Dichter \orhereitet, \\unk er wahrhaftig zum Dichter, als er sich in eine junge l:lsässerin, die Pfarrers- tochter Frieckrike Hrion, verliebte. Das Erlebnis dieser Liebe macht ihn zum Dichter. Seine Sesenheimer entlült seine ersten ausdrucksstarken, mit echtem Gefühl angefüllten Ge- dichte: Jljt ejr)em gemalten Rand, kVil1kommen und .1bschied und Mailied. Dj~'se Gedichte, die mit zu elen besten echten Erlebnis- liedern der deutschen Dichtung gehören, haben die Lyrik der nächsten Jahrzehnte stark bceinflußt.

In Straßburg entstand auch na(h dem V orbi IcI ShaKt'sjwares das Drama Götz ron Rer/ichingcn, des Ritters mit ell'r eisernen Faust,

DEUTSCHE KULTURGESCHICHTE - ) -J ~ )

(4)

Werther

Der Einfluß Werthers

der sich tatkräftig seine Freiheit zu erhalten versucht. Herder hat das Drama seiner \vilden Aus\\üchse - die ijnheit des Ortes \vinl neunundfünfzigmal durchhrüchen -- get<ldelt.

Trotzdem macht es den Verfasser in Deutschland zum Führer der jungen Generation, die ihn als den neuen Shakespeare vl'fehrt.

In 'vVetzla.r (1772) arbeitet Goethe am Reichskammergericht und lernt Kestner und Lotte Buff kennen, in die sich Goethe verliebt. Sie heiratet jedoch Kestner. Dieses Erlebnis und der Selbstmord eines Bekannten spiegeln sich im Briefroman Die Leiden des jungen Wcrthers (1774) \\'ider. Der passive, \\cltfremde, empfindsame Werther im Gegensatz zum kraftstrotzenden, kämpferischen Götz die nach inn~n gewandte, im Gefühl verschwimmende, der Welt entfremdete Seite des Sturm und Drangs. Der "Held" geht an der V"'elt, an der liebe zu einer verheirateten Frau, die er nicht besitzen kann, an seiner künst- lerischen Ohnmacht, an seiner Überspanntheit und aus Mangel nützlicher Tätigkeit zugrunde. \Yerther ist ein überempfind- liches Genie, das in diese bürgerliche Welt mit ihren Regeln und Konventionen nicht paßt.

Der Roman machte GOdhe noch vveit mehr als Götz in Europa berühmt. Napoleon hat ihn st~i.ndig bei sich getragen und siebenmal Nach der Schlacht bei Jena (1806) sucht er Goethe in Weimar auf, um den Dichter des Werthcrs kennenzu- lernen. Noch Jahre später, als Goethe längst über dieses Jugend- werk hinausgewachsen vvar und seine reifen, klassischen Werke veröffentl icht hatte, bestaunte man ihn zu seinern Verdruß als Dichter des Werthcrs. Der Roman fand zahlreiche Nachahmungen und entrüstete Kritiken. Eine Selbstmord welle durchzog Europa, und die jungen Männer kleideten sich wie Werther , die Mädchen wie Lotte. So tief vvirkte das Werk, so stark entsprach es dem Geist der Zeit. Das folgende Beispiel ist aus dem Brief vom 10.

Mai und zeigt, wie Werther über die Natur in Ekstase gerät, und wie er sein Selbst aufgeben möchte:

\Yenn das liebe Tal um mich dampft, und die hohe Sonne an der Oberfläche der undurchdringlichen Finsternis meines \Valdes ruht, und nur einzelne Strahlen sich in das innere Heiligtum stehlen, ich dann im hohen Grase am fallenden Bache liege, und näher an der Erde tausend mannigfaltige Gräschen mir merkwürdig werden; wenn ich das Wimmeln der kleinen Weit zwischen Halmen, die unzähligen, unergründlichen Gestalten der Würmchen,

DIE LITERATUR DER GOETHEZEIT 233

(5)

Goethe in Weimar

der Mückclwn n~ihlT .111 meinem H~'rzen fühle, und hihle die Gegel1\\art des Allmächtigen, eier uns Ilach seincm Bilde schuf, das \V dwn des All ielwnden, der uns in c\\iger Wonne sd1\\t'lwnd trigt und erh:ilt; nwin Freund ~ \\cnn' s dann um meine Augen d;imrnert, und die \Velt um mich her lind der f1immel ganz in meincI" Seele ruhn \\ie die Gestalt einer Geliebten dann schI1\.' ich mich oft und denke: Ach könntest du das wieder ausdrücken, köntÜl'st du dem Papiere das einhauchen, \\as so \011, so warm in dir lebt, daß es \\ linie der Spiegel deiner Secle, \\ie deine Seele ist der Spiegel des unendlichen Gottes! Mein Fiellnd Aber ich gehe dariilwr zugrunde, ich erliege untel" der Ge\\ alt der Herrlichkeit dieser Erscheinungen.

Das zweite Beispiel ist aus dem Brief \0111 15'. 0.!O\cmlwr, in dem Goethe das furchtbare Bi IcI dei" in einen end losen Ahgrund stürzenden Kreatur Iwraufbesch\\ört:

... \Vas Isl s anders als Menschenschicksal, sein lV1Jß allszulcickn, seinen Becher auszutrinken. Und ward der Kelch dem Golt vom Himmel auf seiner Menschenlippe zu hitter, \\arum soll ich groß tun lind mich stellen als schmeckte er mir süß. Und \\arum sollte ich mich schämen, in dem schrecklichen Augenblicke, da mein ganzes VVesen zwischen Sein und Nichtsein zittert, da cl ie Vergangenheit wie cin Blitz über dem finstern Abgrunde der Zukunft leuchtet, und alles um mich her \crsinkt, und mit mir elie Welt untergeht. Ist es da nicht die Stimme der ganz in sich gedrängten, sich selbst ermangelndeIl, und Ull-

aufhaltsam hinabstürzenden Kreatur, in dt'n innern Tiefen ihrer vergebens aufarbeitenden Kr~ifte ZlI knirschen:

Mein Gott! Mein Gott! warum hast du mich verlasst'n?

Im NO\cmber 1775" zieht Goethe nach \Veimar. Schon vorlwr hatte er eIie großen II;mnl'n Jlahomets Prometheus lind fertiggestellt. Jetzt folgt ein Jahrzehnt verant\\ortungs- yoller Tätigkeit in Staatsgesch~iften, \\'~ihrend die dichterische Arbeit zurücksteht. Goethe\\'ird zum Erzit'her des \\ihlen, jungen l-lcrzogs lind zum gewissenhaften Beamten: 1779 Geheimrat lind 1782 erster Minister des Landes; gleichzeitig wird er geadelt.

Aus dem jugendlichen Stürmer lind Dränger ent\\ickelt sich der reife i'v1anll, der beht'rrscht lind abgeklärt die unlwherrschtc Genialität überwindet. Die Gedichte dieser Zeit (Wanderers

DEUTSCHE KL:I.TLJRGFSCHICHTI 234

(6)

Schillers Jugend

Nachtljed, An den Montf, Grenzen der :Hemchhcit, Dos c.;öltliche 1l.J.) beweisen Gocthes Ent"vicklung zum KLlssikcr. Als ihn die Amtsgeschäfte zu sehr bedrücken, der mühsam niederge- haltene SchaffensdrJng sich neu regt und (bs unbefriedigte Verhältnis zu Frau von Stein ihn guälen, bittet er J 786 um Urlaub und flieht nach Italien, von wo er J 788 als \ollcn(kter Klassiker zurückkehrt. Der sonnige Süden, das unbesch\\Trte Leben und die Berührung mit der Antike hatten ihm zum Durchbruch verholfen.

Bevor wir Goethes klassische vVerke hesprechen, \\ollen \\ir uns dem zweiten großen deutschen Stürmer und Dränger zuvvenden, der sich \\ie Goethc und zum Teil durch dessen Einfluß ebenfalls zum Klassiker ent\\ickelt.

Christoph Fri0c1 rich Schi lIer ( I 7 ~9-J 80

n

stammt aus

Schwaben. Da der Vater Offizier im I-Ieer des tvrannisch- absolut regierenden Herzogs Karl Eugen von Württt'mberg \\ar, wurde der Sohn in c1il~ Mi\itärakadernie aufgenornnwn und gezwungen, Medizin zu studieren. Schiller haßte den Kasernen- hofzwang der Akademie. Sein Haß \\unle noch angespornt durch die heimliche Lektüre der revolutionären WerkL' der Sturm-und-Drang-Dichtl'r Klinger lind Schubart und durch Goethes Götz. Im Januar J 782 \\unle sein erstes Drama, Die Räuber, in Mannheim aufgeführt. Es \\.11' ein gewaltiger Erfolg, aber der Herzog verbot Schiller die ,,'eitere Schriftstellerei, worauf dieser im Dezember heimlich aus dem Herzogtum floh.

Friedrich Schiller

(7)

Die Räuber

Kabale und Liebe

Die Rauher ist \\Ie C;öu in Prosa lind enthJlt \\ le dieses eine grofk Mcnge krJft,olkr Ausdrückt'. lhs Thcl11cl ist die Freiheit, der Kampf gl'gl'1l dit' \errottl'te Ces"II..,chJfts- onlnung, gegen die TyrJl1lwi des Ahsoluti:--111us. hir da" Kraft- genie, KJrl Moor, d,'n ,'dlen Verhn'chcr, ist die \Vl'lt zu kkin.

Er sJrnnwlt eine Schar C kichg,>sinntl'r lIm sich lind IwLlmpft das Unrecht mit dem Sch\\ lTt, wodurch CI' seihst llnn'Cht begeht und schuldig \\in!. Am Ende führt die Sl'lhstl'ink,'hr des I-kldell zur Ulltl'r\\l'rfung cle,", lndh idllUIl1S unkr die Cl'..,dze der \Veltonlnllng, die er mit Ge\\alt nicht hat JI1(krn kÖIlIWI1.

Die lloffnllllg auf eint' hessl're del110kratische Zukunft klingt an.

Schillers z\\eitl'r Lrfolg ist die ie l\.L1holc lind die 17 aufgeführt \\inl. Der Konflikt der Stancll'sgegl'll<üzl', ein Motiv, das hereits L,',",sing in svi ncr l:milid (;(/!l)ll i hehandelt hatu', macht das Drama (genau \\ie Lessings Stück) zur hLirgl'r- lichen Tragödie, ein (;\.'nl"<.' (las lw..,ondl'rs im 19. Jahrhllndvrt elltwickvlt \\in!. 'vViedl'rul11 prangl'rt Schiller dil' hirstl'ntyranllei an, dk clJS Lil'hvsglLick Z\\TllT r,,1el1Sllwn zerstört.

Vl'rurteilt \\inl die Ilofin1 Macht ,:un Hort', dit' Frau\.'!1 zu tvtitressel1 und zu SklaH'n erniedrigen Lwn.

Eine der eindrllcKs\ollsten Szenen ist die, in der ein al kr Diener seiner llelTin herichtl't, \\ie dit' Regimenter, in dClwn Juch seine Söhne diclwn, ans Au..,land \crkauft \\ urdcll. Mit dem Geld erwarb der I krzog ein kostbJres Schmuckstück für sl'ine MJtresse. Ls folgt der ergreiknde Dialog in der z\\ eitTn Szene des zweiten Aktes z\\isclwn dVI11 Kammerdiener (K) LInd der Lady Milfür<! (L):

K: Seine Durchlaucht der llerzog empkhlen Sich Milady zu GnJdell Lind schicken Ihncn diese Brillanten zur Hochzeit. Sie kommcn soeben erst aus V ened ig.

L: (hat das K~istchen und Lihrt erschrocken zuriick) Mensch, \\as Iwzahlt dein Herzog für diese Steilw?

K: (mit finstrell1 Gesicht) Sie kosten ihn keinen Ikller.

L: \Vas? Bist du rJsend? Nichts?- Und du \\ir!'st mir ja einen Blick zu, als wenn du mich durchbohren

\\'olltest nichts kosten ihn diese uncrnwBlich kost- baren Steine?

DEUTSCHE KLLTURGISCHI HTE J.]6

(8)

K: Gestern sind sielwntallsl'lHI LalldskilHkr nach Amerika fort die zahkn alles.

L (sdzt den Schmuck plötzlich nieder lind geht rasch durch den Saal) Mann, \\as ist dir? Ich glJube, du

\\cinst

K: (\\ischt sich dil' Augen, mit schrecklicher Stimme, alle GI icder zittern(l) hklsteine, \\il' diese da ich hJh auch ein paar Sühne cl runter.

L: (\\endet sich Iwlwnd \\ eg, Sl'l tW IIJncl bssend) I )och keinen UeZ\\UIlUCllen? b

b

K: (lacht fürchterlich) 0 Gott! nein - lauter Frei-

\\illige. Ls tI-aten \\ohl so etliche \orl,lLIte Bursch

\01' die ('ront Iwraus lind frJgten den Oberst, \\ie teuer der Hirst das Joch Nh'nsclwn verbufe? Aher unser gnädiger Landesherr ließ Jlle Reginwl1ter auf dem PJrJc!eplatz Jufmarschiert'n und die JvbulJffcn nieder- schießen. \Nir hürten die Büchsen knallen, sahen ihr Gehirn auf das Pflaster spritzen, und die

schrie: "Juchhe: ;\ach AnwrikJ!"

(fillt mit Lntsl'tzen auf das Sofa!) Gott! Gott! - Und ich hörtl' nicht'>? Und ich merkte nichts?

K: . . . Die Hl'rrlichkl'it h:ittct Ihr doch nicht \crs:iullwn solkn, \\ ie uns die gellvndel1 Trul1lmeln \TrkLincligtl'll, es ist Zeit, und Iwuknde vVJisen (Iort cincll IclwrHligell Vater \crfolgtcn, lind hier eine \\ i'ltendv :Vluttcr lid, ihr saugendes Kind an Ibjolwtkn :ru spießen, und nil' man BrJuti gJI11 Lind Braut In i t Sälwl h il'ben auseinanderriß , und \\ ir G rauh:üte \'-.'1'1'\\ ciflungs\oll dastanden lind {Ien Burschen Juch zuletzt die Kriicken l10ch llJc!1\\arfl'11 in die IWUt' vVl'lt oh, und mituntei' (las polkrnde vVirlwlslhlagel1, damit der Al"\ issende uns nie ht sollte heten hört'll

(steht auf, heftig \Vcg mit diesen Steinel1 SIC

blitzen Ilöllt'llf1amnwl1 in mein I !erz. (Sanfter zum Kall1l1Wrdiclwr) Mäßige dich, armer, Jlter Mann! Sie

\\erden \\ il'cll'rkomn1l'n. Sie \\cnkn ihr Vaterland

\\ie(lcrsclwn.

f) r F I Ir L R ,\ T Li R DER G () I,. T 11 E /T 1 J 7

(9)

Der reife Schiller

Form

Sittlichkeit

K: (warm und voll) Das \\ciß der Hill1nll'l: Das \\erden sie! -Noch am Stadttor drehten sie sich um und schriel1: "Gott mit euch, \Veib und Kinder Es leb unser Landes\ater am jüngsten Gericht sind \vir

\vit·derda!" ...

Die Klassik

Die Jahre 178 7 verbringt Schiller 111 Leipzig im Kreise neuCJt'wonnener freunde. Diesen \vidml't er das menschen-

b

frelll1dlidll' Lied An die das HecthO\cll im vierten Satz seiner neunten Symphonie für alk, Zeiten VlTe\\igt h.1t. Das Drama Don Cclf/OS zeigt genau \\ ie die Gedichte dieser Epoche bereits kl.1ssische Züge. Schi ller \er\vendl't hier zum ersten Mal den Blankvers, schreibt in einer gehobeneren, idealisierten Sprache, von der er das :\iederc LInd Maßlose alisschli\.·ßt, und üben\indct die starkt' SlIbjektivit~1t seiner frühen Draml'n. 'vV~ih­

rem! dort die fürsten ganz schwarz gezeichnet \\unlen, ist König Phi I ipp kein Zerrbild eines Ty rannen mehr, sondern besitzt menschl iche \Njrme und Größe. Die geschicht I ichen und philosophischen Studien der n;ichsten Jahre vermitteln Schiller Einsichten und h'kenntnisst', die ihn in seinem U rtei I reifen lassen; seine Ehe mit Charlotte von Lengdeld und besonders sein Kontakt mit Goethe, mit dem er 1787 zum ersten Mal persönlich zusammentraf, all diese Erlebnisse lassen auch ihn aus dem Sturm lIncl Drang in die Klassik ii!wrtrt'ten.

In ihrer klassischen Periode sind Goetlw und Schi l!er allS dem el11otionel kn, gesetzlosen, subjektiven Schaffell zum gesch !os- senen, harmonischen, gerundeten Kunstwerk \orged rungen.

Die jußere Ordnung und strenge Form \vinl durch innere Gesdze bedingt, nach denen die höchst mögliche innere lind jußere Schönheit angestn'bt \\ird. Das extrem Subjektin:, das einmal ig Individuelle \\cicht dem A IlgellwinllH'l1schl ichen. Die klassische Lebenshaltung strebt eine harmonische Synthese z\dsdwn Sturm LInd Drang und Aufkljrung an, die allerdings nicht ohne Spannung hleiht. Der Finzclnc, der stürmende, revoltierende "große Kerl" krnt, sich der Sitte und der Gesellschaft, die jetzt allerdings als sittliche, gehobene Gesell- schaft empfunden \\inl, ;.mtcrzllonlnen. Das Individuum zerstört die Gesellschaft nicht mehr dur( h Ge\\alt, sondern dil'nt ihr und versucht sie von innen heraus zu lwssern, zu hehen. Die klassische Literatur \vill den cmpfjnglichen Menschen bilden, ihn

DIUTSCHF KCLTCRGISCHICHTE 2]8

(10)

Menschlich- keit

Schönheit

Iphigenie

durch Schönheit sittlich heben. Das Ideal, das ist die "reine Menschlichkeit", die "Humanität", und geläutert ist, und der \vir bereits in

und in der Erzichul1B des sind.

Das Vorbild für die deutsche Klassik ist yor alJem die griechische Kunst (Homer, Pindar, Sophokles), die die Deutschen hauptsäch- lich durch die Augen Winckelmanns (17 I 7- 1768) sehen lernen.

Winckelmann sieht das klassische Altertum als Ideal jeder Kultur, seine Kunst als absolute Schönheitsnorm. Er führt die Höhe der griechischen Kunst zurück auf die griechische Lebenshaltung, die einseitig sieht. Der griechische Mensch war für ihn der Menschentypus, den es je gegeben hat. Die seelisch- sittliche Schönheit dieses Menschen ist entstanden durch den

Ausgleich der Lebensgegens~itze. Winckclmanns Ideen lind seine Formel, ,edle Einfalt und stille Größe" \\erden in die deutsche Klassik aufgenommen. \Vährend Schiller sich bis etwa

I 79 ~ hauptsächlich mit historisclwn3 und philosophischen Studien befaßt, vollendet der aus Italien zurückgekehrte Gocthc seine klassischen \Verke: EBmont (1787),

Tauris (1787), T TdSSO (1789), Römische Venctianische ( I 790), Wilhclm :!leisters Balladen (1797), HermLlnn une( Dorothco ( 179]) und

(1807) u'nd Dic .

Tauris ist zweifellos eier vollendete Ausdruck eier deutschen Klassik. Sprache, Aufbau und \Veltanschauung sind klassisch. Dem Vorbild Lessings (Nathon der folgend benutzt Goethe den Blanbers, der sich nun als Versfuß des klassischen Dramas durchsetzt. Die Szenen und Akte sind symrnetrisch aufgebaut ulld harmonisch auf Haupt- und

personen verteilt. Die Handlung besteht nicht in der Aktion, sondern in) Wortkampf. Die Einheiten der Zeit und des Ortes sind dngehalten. Die Sprache ist gehoben, schön, ideali- siert, gereinigt. Der Stoff ist antik klassisch lind stammt aus der griechischen Mythologie SO\\ je alls den 'vVerken Homers und Sophokles. Ganz klassisch im geistesgeschichtl ichen Sinne ist der Gehalt des Dramas.

2 Winckclmann sieht nur das Apollonische in der Kultur. Erst Nietzsche hat uns daß hinter dem Apollonischen das Dionvsische lauert.

3 Seit 1789 ist er Professor für Geschichte an der Universit~it Jena.

DIE LITERATUR DER GOETHEZIFT 239

(11)

Die Rettung

o

rests

Iphigenie, die reine, humane Priesterin der Diana, hat auf der Barbareninsel Tauris das Menschenopfer abgeschafft. Durch ihre unbefleckte Reinheit und ihre verzeihende Menschlichkeit erlöst sie den Bruder Orest und ycrscheucht die Raclwgeister, die den Muttermörder verfolgen: "Alle nwnschli( hen Gebrechen sühnet reine Menschlichkeit." Am Ende besteht sie auch die sch\\cfste Probe. Sie wird yersucht, ihren väterlichen Frcund, König Thoas, durch eine Lüge zu hintergehen, um damit ihren Bruder zu retten und die langersehnte Rückkehr in ihre gelil'bte Heimat zu erreichen. Schwer ringt sie mit sich irn Gebet:

Soll dieser Fluch denn e\\ig walten? Soll N je dies Geschlecht mit einern neuen Segen Sich \\ieder heben?

So hofft ich denn yergL"l)ens, hier \"erwahrt, Von meines Hauses Schicksal abgeschieden, Dereinst mit reiner Hand und reinem Herzen Die sch""er befleckte Wohnung zu entsühnen.

Olympier, ... Rettet mich

Und fettet euer Bild in meiner Seele !

Im entscheidenden Augenblick besiegt sie ihre Sch\\äche und unterwirft das persönliche Begehren dem Gewissen. Ihre sittliche Schönheit, ihre uneigennützige Selbstbeschränkung bricht den

\Viderstand des Königs. Sie gesteht dem König den Plan, ihn zu hintergehen, appelliert an sein menschliches Verstehen und bittet um Freiheit.

THOAS: Du glaubst, es höre

Der rohe Scythe, der Barbar, die Stimme

Der Wahrheit und der Menschlichkeit, die Atreus, Der Grieche, nicht vernahm?

IPHIGFNIF: Es hört sie jeder,

Ge.borcn unter jedem Himmel, dem Des Lehens Quelle durch elen Busen rein Und ungehindert fließt.

Laß mich mit reinern Herzen, reiner Hand Hinlibergehn und unser Haus entsühnen.

Dem Bruder Orest erzählt Iphigl'nie, daß sie dem König die Wahrheit gesagt hat: "Gestanden hab' ich euern Anschlag lind

D E C T S eHE K U L TL R G F S C 1-11 eH T F .2 40

(12)

Die Bürgschaft

meine Seele vom Verrat gerettet." Tho".., ist hereit, die C riechen ziehen zu lassen, aber tT tut es mit ft'indliclwm Sinn. Da iihcr- windet lphigenic mit ihrem \\eibliclwn Leklmut seinen starren Sinn und gewinnt ihn zurn ewigen Freund:

IPHIGFNIE: Denk' an dein Wort und laß durch diese Rede Aus einem graden trcuen Munde dich

Bewegen! Sieh uns an! Du hast nicht oft Zu solcher edeln Tat Gelegl'nheit.

Versagen kannst du' s nicht; ge\vähr' es bald.

THO.\S: So geht ~

IPHIGENIF: :\icht so mein König! Ohne Segen, In Widenvillen scheid' ich nicht von dir.

Verbann' uns nicht! Ein freundlich Gastrecht \valte Von dir zu uns: so sind \vir nicht auf

Getrennt und abgeschieden. Wert und teuer, vVic mein Vater \\ar, so bist du's mir, Und dieser Eindruck bleibt in meiner Seele.

Bringt der Geringste deines Volkes jp Den Ton der Stimme mir ins Ohr zurück, Den ich an euch gc\\ohnt zu hören bin, Und seh' ich an dem i\rmsten eure Tracht:

Empfangen will ich ihn wie einen Gott, Ich \vill ihm selbst ein Lager zubereiten, Auf einen Stuhl ihn an das Feuer laden

Und nur nach dir lind deinern Schicksal fragen.

o

geben dir die Götter deiner Taten Und deiner Milde wohlverdienten Lohn 1 Leb' \,'ohl! 0, wende dich zu uns und gib Ein holdes \Vort des Abschieds mir zurück!

Dann schwellt der Wind die sanfter an, Und Tränen lindernder vorn Auge Des Scheidenden . Leb' \\ohl ! und reiche rnir Zum Pfand der alten Freundschaft deine Rechte.

THOAS: Lebt \\ohl !

Die reine Menschlichkeit überwindet selbst den starren Sinn des Barbaren. Die sittliche Vveltordnung siegt und zwar be- zeichnenderweise ohne Blutvergießen. In Schillers großer Ballade Djc RiiftJschaJt \\inl ähnlich wie bei Gocthe der Tyrann durch die Stimme der Menschlichkeit so gerührt, daß er sich

DIL I.JTERATUR IHR (;OFTIIEZILT 141

(13)

Die schöne Seele

Goethe in Rom

bekehrt. Er bittd die heiden Freunde, di~' sich lilwr alk \Vider-

\\ärtigkeiten hinaus die Freunde'itn'lIl' haiteIl, in ihrl'l1 Frcund- schaftsbund aufgenommcn zu \\erden. f\: icht der Mord, der geplant \var, lilwr\\ indd den Despoten, sondern die Treue.

Bereits in seinem Gedicht Das (Jött/ichc h.:lttl' Gm'thc die mit der Menschlichkeit \crhundcrw Vercl11t\\Ortung des lv1enschen aufgezeigt:

hlel sei der Mensch, Hilfreich lind gut ~ Denn das allein Unterscheidet ihn Von allen 'Nesen, Die wi r kennen.

Durch den Edelmut, die Hilfsbereitschaft und elite des Menschen

\verden die göttlichen Kr;)fte \virksam.

In den meisten Elllcn sind es Frauen, die das sittliche Ideal in

<~Ier klassischen Dichtung verkörpern: Iphigenie, Maria Stuart, Lenore von Este ( Elisaheth (Don Car/os). In ihr sind Herzenstrieb und Sittengesdz, Pflicht lind ~eigung in harmo- nischem Einklang. Diese Idealfigur, die zur Erzieherin des Mannes \vird, die die reine Menschlichkeit verkörpert, \\inl

"schöne Seele" genannt. Sie erzieht den tv1ann zum Menschen, zur Humanit;)t. Nathan der 'vVeise \\ar bereits so eine schöne Seele, in der das menschliche Ideal zur vVirklichkeit geworden war.

In Italien \\ar Goetlw ein a!1(krer geworden. "Ich zähle eine wahre Wiedergeburt von dem Tag, da ich Rom betrat." Von dieser Verwandlung spricht er in den Römischcn Flcgicn (VII):

o

wie fühl' ich in Rom mich so froh: gedenk' ich der Zeiten, Da mich ein graulicher Tag hinten im Norden umfing,

Trübe der Flimmel und sch\\cr auf meine Scheitel sich senkte, Farb- und gestaltlos die 'vVelt um dell Ermatteten lag,

Und ich über mein Ich, des unbefriedigten Geistes Dlistre vVege zu sp~lhn, still in Betrachtung \Trsank.

Nun um leuchtet der Glanz des helleren Äthers die Stirne;

Phöbus rufet, der Gott, Formen une! Farlwn hervor.

Sternhell gl~i.nzet die Nacht, sie klingt von \\eichell Gesängen, Und mir leuchtet eier Mond heller als nordischer Tag ....

In schönen, gleichmäßigen Distichen \erarlwitet Goetlw seine Erlebnisse in Rom.

IHl:TSCHE KULTURGESCHICHTE 242

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Die Freund- schaft zwischen Goethe und Schiller

Johann Wolfgang Goethe

Nach anfänglichen Mißverständnissen zwischen Goethe und Schiller führte eine Annäherung im Jahre J 794 endlich zur Freundschaft der beiden großen Dichter. Der Bricjwechsel zwischen Schillcr und Gocthe, der bis zu Schi I krs Tou (( 805) fortgesetzt wird, ist trefflicher Be\\eis dieser Freundschaft und zugleich eines der wertvoJJsten Dokumente der deutschen Klassi k; denn hier lesen wir die Ansichten beider Männer über ihre Arbeiten, die Werke von Zeitgenossen, über künstkrisches Schaffen und Literatur. Die Freunde kritisieren ihr Schaffen, stehen sich bei, gebensich Anregungen. Imllle(-\\ieder mahnt Schiller den Freund, seinen Faust zu beenden. Goethe erkennt Schilkrs Anerkennung lind fühlt sich von einem Ebenbürtigen wahrhaft verstanuen: "Sie haben mir eine zweite Jugend verschafft und mich \,ieder zum Dichter gemacht, \\elches zu sein ich so gut \vie aufgehört hatte." Wir können den Einfluß lind die Inspiration, die die

DIE I.ITERATUR DER GOETHFZEIT 243

(15)

Balladen

Die schöne Seele

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Ch1sch,'itLcn.

Im Winter 1797-98 dichteten Lw!d<.' im \Vettstreit \'!JW Reihe von Balladen; Schiller: Der Taucher, Der Der Ring des Die l\roniche des Die BiirgschuJt; Gol'thc:

Die Braut Ion Karinth, Der Gott und die ßdjodcre, Der lI.a.

In einer Reihe von AufsZitzen setzt Schiller sich mit den lkgrifft'n F,'eiheit, Schönheit und Sittl ichkeit auseinander. In Jer Abhandlung Über Anmut und Wiin!c (1793) Libenvindet CI'

den Pessimismus Kants mit seiner These, daß der rV1ensch lernen kann, Pflicht und Neigung in l-larmonil' zu bringen. Kant hatte behauptet, claß sie einander feindlich gegenüberstehen, daß aber der Mensch seine Pflicht auch tun muß, wenn er sie nicht gern tut. SchiJler sagt, der Mensch kann lernen, seine Pflicht gern zu erfüllen, so daß sie ihm zur zweiten Natur wird. Er verneint die Notwendigkeit des Konflikts z\\ischen Sittlichkeit und Sinnlich- keit. Das sittl ich-Zisthetische Ideal nennt er "schöne Seele".

Der Mensch nämlich ist nicht dazu bestimmt, einzelne sittliche Handlungen zu verrichten, sondern ein sittliches

\Vesen zu sein. Nicht rUHenden, sondern die rUHend ist seine Vorschrift, und Tugend ist nichts anders "als eine Neigung zu der PfI icht" .

Eine schöne Seele nennt man es, wenn sich das sittliche Gefühl aller Empfindungen des Menschen endlich bis zu dem Grad versichert hat, claß es dem Affekt die Leitung des Willens ohne Scheu überlassen darf und nie Gefahr läuft, mit den. Entscheidungen desselben im \Viderspruch zu stehen. Daher sind bei einer schönen Seele die einzelnen liandlungcn eigentlich nicht sittlich, sondern der ganze Charakter ist es.

In einer schönen Seele ist es also, wo Sinnlichkeit und Vernunft, Pflicht und Neigung harmonisieren, und Grazie ist ihr Ausdruck in der Erscheinung.

So ""vie die Anmut der Ausdruck einer schönen Seele ist, so ist n'iirJc der Ausdruck einer erhabt'lwn Gesinnung.

Beherrschung dc)r ,Kraft L .. t

Geistesfreiheit, und Würde heißt ihr Ausdruck in der Erscheinung.

DEUTSCHE KULTURGESCHICHTE 244

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Der Sinn der Tragödie

Die Kunst als Erzieherin

Der naive Dichter Der sentimenta- lische Dichter

Schillers klassische Dramen

In den Aufsätzen rom Über das Pathetische und Die 5chaubiihne als eine moralische ,lnstaft hetrLIcheet befaßt Schiller sich mit der Theorie der Tragödie. Die Tragödie muß uns zeigen, daß der Held selbst im Leiden seine erhabene Fassung nicht verl iert, sondern daß sein sittlicher \Ville noch im Untergang über das Leiden triumphiert. Der tragische Held hat die Wahl zwischen dem Selbsterhaltungstrieb (sein Leben unter allen Umst~inden zu retten) und der sittlichen Freiheit (sein Leben für seine Idee zu opfern). Er muß sich die Freiheit bewahren und in seinem freiwilligen Untergang die sittliche Idee zum führen.

Die Kunst, der Bereich der Schönheit, in dem das Sinnliche und Geistige harmonisch verbunden sind, erzieht den Menschen zur Sittlichkeit. In seinen iiher die Cisthetische Frziehung des Menschen (179 r;) verkündet Schiller seine These von der Kunst als Erzieherin zu innerer Harmonie: "Vv'ir treten mit der Schönheit in die \Velt der Ideen, aber, was \\ohl zu bemerken ist, ohne darum die sinnliche \Velt zu \-erlassen." Die Schönheit vermittelt in der Erziehung zum "moralischen Zustand" des Menschen, sie leitet den Menschen zur Form, zur Idee und zur Überw indung des Sinnlichen.

Schiller hatte das Bedürfnis, das eigene \N esen dem des überragenden Freundes gegenüber zu behaupten. Goethe \\ar von ihm grundverschieden, und diesen Unterschied erörtert Schiller am Beispiel von zwei Dichtertypen, dem naiven und dem senti- mentalischen in dem Aufsatz Über nahe und sentimentalische Dichtung (179 r;). Der naive Dichter (Gocthe) ist Natur und stellt sie so dar wie sie ist. Der sentimentalische Dichter (Schiller) strebt aus der Kultur heraus zurück zur Natur, die er verloren hat. Er sehnt sich nach der harmonischen Einheit von Geist lind Sinnlich- keit und muß sie sich in seinen Werken erkämpfen. Er ist sich bevvußt, daß er das Ideal verloren hat und empfindet die Spaltung beider Bereiche als störend. Beide Dichtertypen sind völlig gleichberechtigt. Ein Vergleich von Goethes und Schillers Lyrik zeigt, wie richtig Schiller sich und den Freund eingestuft hat.

Schillers Lyrik ist Gedankenlyrik, beseelt von der Mission der Weltverbesserung und der Sendung der Kunst, vom Kampf der Ideale gegen die dumpfe \Virklichkeit. Goethes Lyrik dagegen ist reine Wiedergabe der ;'\;atur; er spricht nicht über die Natur oder über die Liebe, sondern drückt sie in \Vort und Klang direkt aus.

Schillers philosophische Studien schlagen sich in seinen großen Gedichten und Dramen nieder, mit deren Produktion er 1794

\v'jeder beginnt. Die Trilogie Wallenstein "vinl I 799 fertig,

DIE LITERATUR DER GOETHEZIET 245

(17)

Faust

Maria Stuart 180 I , Die Jungfrau \'(){J Orleons dwnfalls 180 I , Die Braut von !l1essina 1803 und Wilhelm Tell J 804. Der Tod setzt seiner Arbeit am 9. Mai I 80~ ein Ende. Goetlw hatte seinen engsten Freund verloren und Deutschland sCillen größten Dramatiker. "Ich dachte, mich seihst zu verlieren, und verliere nun einen Freund und in demselben die H~"ilfte meines Daseins,"

schrieb Goerhe.

Um Coethe wird l'S nun ruhiger, aber er setzt seine literarische Produktion fort. Er schreiht \iek Gedichte und Ccdichtsamm- lungen wie den Westöstlichen Dildn (18 I 9), Um'orte, Orphisch (1802), die Marienbader FleHie (182)), Iwendet seinen Altersroman Wilhelm Meisters Wondcrjahrc (182<)) und sein gl'\\altiges Drama Faust. Am Faust hat Coethc fast sechzig Jahre lang gearbeitet: die ersten Szenen (UJjdLlSr) schrieh er hereits z\\ ischen 1773 und 177') nieder. Der abgeschlossene erste T ci I erschien 1808, Teile des z\\eiten Teiles nach 1821), und die letzten Zeilen fügte er erst kurz vor seinem Tode (I 8) 2) hinzu, versiegelte das Ganze und bestimmte, daß es erst nach seinem Tode veröffentlicht werde.

Der Fauststoff führt zurück auf das Volkshuch (Siehe Kapitel:

Die deutsche Kultu r zw ischen Minnesang und Aufklärung!) und das Puppenspiel, das auf das Drama Christopher Marlovves fußt.

Diesen Stoff hat Goethe auf eigene Art zu seinem Drama verar- beitet, Jas zu den berühmtesten Werken der Weltliteratur

Mephisto (Gustav Gründgens) und Faust (Will Quadflieg)

(18)

Das

Faustproblem

Der Pakt

gehört. Faust, der lkld, ist ein hochgelehrter Iv1ann, der Lrkennt- nis und \Vahrheit sucht, diese jedoch nicht auf legale Iwrkömm- liehe \Veise finden kann und daher einen Pakt mit dem Teufel schließt. Auf höherer lbene symholisiert Fallst den Menschen, der z\\ischen den beiden Kraftpolcn "strebend sich bemüht", irrt, fehlt und sündigt aher immer zu seinem Streben zurückkehrt und deshalb, und \\eil Gott ihn liebt, trotz seiner Scll\\Jchen und Vergehen am Ende aus der Macht des Bösen erlöst \\crden kann. Den kosmischen Rahmen des Geschehens bildet die Eingangsszene "Prolog im trimmeI" und die Schlußszene

"Bergschluehtcn". Im "Prolog" erfahren \\ir, daß Gott den Menschen (Faust) liebt, daß der Mensch ihrn "venvorren dient",

\yeil er noch keine Klarheit besitzt und daß er "irrt ... , so lang er strebt" . Von Anfang an steht also fest, daß menschliches Stre- ben mit Irrtum verbunden ist und daß der strebende, irrende Mensch von Gott nicht verdammt \\erden \ \ i rcl. Zu Mephisto sagt Gott:

Und steh beschämt, wenn elu bekennen mußt:

Ein guter Mensch, in seinem dunklen Orange, 1st sich des rechten Weges \\ohi be\\ußt.

(v. 327~p9)

\Vorum geht es im Drama? Es geht um den Be\\cis, daß die Krönung der Schöpfung, der Mensch, kein fehler \\ar, wie Mephistopheles behauptet, d;:d3 die Vernunft ihm nicht zum Verderben \vi rd. Faust soll elen Beweis I iefern, daß der Mensch in' seinem Streben nach Wahrheit nicht durch tierischen Genuß abgelenkt werden kann. Das kommt in dcm Pakt zum Ausdruck den Faust mit Mephistopheles schließt:

\Verd' ich beruhigt jc mich auf ein Faulhett legen, So sei es gleich um mich getan!

Kannst du mich schmeichelnd je bel ligen, Daß ich mir selbst gefallen mag,

Kannst du mich mit Genuß betrügen, Das sei für mich der letzte Tag:

Werd' ich zum Augenblicke sagen:

"VerweHe doch, du bist so schön !"

Dann magst du mich in Fesseln schlagen, Dann \\ill ich gern zugrunde gehn ~

(Studierzimmer \'. I 69 2~ I 702)

DIE LITERATl;R DER GOETHEZIET 247

(19)

Fausts Untergang

Faust Vision

Als Mephistoplwles ihn m~IHlt, CI' solle es wohl bedenken, antwortet Faust mit elen charakteristischen \Vortt'n:

Ich hahe mich nicht fn'\cntlich H'rlllessen:

\Vie ich beharre, hin ich Knecht, Ob dein, \\as frag' ich, oder wessen:

(\'. I 60g--1 7 I I )

In den folgenden Szenen führt Mephistoplwles F~ust durch die kleine und die große \Velt. Fr lernt die Liebe kennen, cl ie ihm zum tragischen Frlebnis und bein~h zum Untergang wird, und er \crschulclet nicht nur den Tod Gretchens, sondern auch den Tod ihrer Mutter und ihres Bruders. Die Last dieses Erlebnisses ist so schwer, daß er seineIl eigenen Untergang herlwi\\limcht:

,,0, wär ich nil' geboren!" und zu Anfang des z\\Titen Teiles s)'lnbolisch den Tod (Schlaf) crkickt und d~raufhin als neuer Mensch zu neuen T~tcn en\~cht. Am Ende der Gretchentragödie bestand für ihn die große Gefahr darin, nicht im Morast der Sünde zu versinken, sondern unter der \V licht der tragischen Ereignisse zu Grunde zu gehen und sein Streben aus Furcht vor neuer Tragik aufzugeben.

Im 2. Tei I geht Faust durch das Bi Idungserlchnis mit der klassischeIl Schönheit

U

Ielcna). Auch die Vereinigung mit ihr

(Symhol

Fiir die

Synthc:;c

znischen deutscher Homantik und griechischer Klassik) endet tragisch, genau \\ie seine Betätigung als Herrscher. Ihm bleibt imrner nur die rastlose Tätigkeit, das Weitersuchen nach Erfüllung. Am Ende seines Lebens, ~ls blinder, hundertjähriger Greis, der die Magie von seiner Seite hinwegwünscht und ~Is freier Mensch der Lebensaufgabe gegenüberstehen will, erlebt er in einer Vision seine Erfüllung.

Während er damit heschäftigt ist, dem Meer neues Land ab- zugewinnen, hat er eine Vision von der tätigen Gemeinschaft, die im Angesicht der Gefahr sich ihre Freiheit täglich neu erobern muß.

frörfn' ich Räume vielen Millionen,

Nicht sicher zwar, doch tätig-frei zu wohnen.

Grün das Gefilde, fruchtbar! Mensch und l-Ierde Sogleich behaglich auf der neusten Erde,

Gleich angesiedelt an des Hügels Kr~ft, Den aufgewälzt kühn-emsige Völkerschaft!

DEUTSCHE KULTURGESCHICHTE

(20)

Fausts Tod

Im Innern hier ein paradiesisch Land;

Da rase draußen Flut bis auf zum Rand, Und wie es nascht, gewaltsam einzuschießen, Gemeindrang eilt, die Lü~'kt; zu verschließen.

Ja! Diesem Sinne bin ich g:1~Z-ergeben, Das ist der Weisheit letzter Schluß:

Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, Der täglich sie erobern muß.

Und so verbringt, umrungen von Gefahr,

Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr.

Solch ein Ge\\immel möcht' ich sehn, Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.

Zum Augenblicke dürft' ich sagen:

"Vervveile doch, du bist so schön!

Es kann die Spur von meinen Erdentagen Nicht in Aonen untergehn."

Im Vorgefühl von solchem hohen Glück Genieß ich jetzt den höchsten Augenblick.

(v. 11 1586) Er sinkt tot zu Boden. Mephistophcles, der Fausts hohes Streben nie verstanden hat, hört nur die Worte: "Verweile doch, du bist so schön!" und glaubt Fausts Seele gewonnen zu haben. Aber er hat die Wette verloren, denn Faust hat sich nicht mit Genuß betrogen oder auf ein "Faul bett" gelegt. Sein letzter Wunsch ist es, sich mit freiem Volk täglich die Freiheit neu zu erobern. Das ist kein Faulbett !

Wie steht es mit Gott? Will er seinen Knecht in den Himmel einlassen? Die Frage beantwortet Goethe nicht. Wir erfahren jedoch, daß die Engel Faust vom Bösen gerettet haben und daß er erlöst ist, so daß er sich, ,zu höhern Sph~lren" erheben kann, wo er weiterhin tätig sein wird (Siehe v. 12076-12087).

Gerettet ist das edle Glied Der Geisterwelt vom Bösen:

Wer immer strebend sich bemüht, Den können wir erlösen.

Und hat an ihm die Liebe gar Von oben teilgenommen, Begegnet ihm die sei ige Schar Mit herzlichem Willkommen.

(v. I 1934-1 I94 1)

DIE LITERATUR DER GOETHEZIET 249

(21)

Fausts Erlösung

Hölderlin

Die Liebe Cottes, symbolisiert durch die rcinc, selbstlose

Liebe

G retchens (das F\\ ig- \V cibJ icht') Zl!Samml'll mit dem ehrl ichcn, miihcyollen StrebeIl des 1\1ellsclwll bringt die Erlösung.

Die ganze Erfahrung eines IZlI1gen, unendlich reichen Ldwns ist im Faustdrama enthalten, das noch nach mehrbdwm, aufnwrksanwm Lesen" manches Geheimnis kundtut".

Coethe starh am 22. März I 8 ~ 2 in \Veimar. Das Scl1\\l'igen und die Ruh, \on der CI' in seinem Gedicht WllfiLle'rcn \l1chtlicd sprach, war auch für diesen \Vanderer gekommcn.

Friedrich Hölderlin

lilwr allen Gipfeln Ist Ruh' :

in allen \Vipfeln Spürest du

Kaum einen 1 lauch ;

Die V()(Jl'kill seh\\ eiucn 1111 \Valde.

b b

\Vartc I1U r, halde Ruhest du auch.

Drei bedeutende Zeitgenossen Goethes und Schiller können

\yeder als Klassiker noch als Romantiker bezeichnet \\erden.

Ihre \Verke enthalten Züge aus heiden Bewegungen, haben jedoch haupts~ichlich individuelle Charakterrnerkmale, die diesc drei zu eigentümlichen Dichtern stempdn. \Vir meinen Friedrich Hölderl in (1770- 1843), tleinrich von Klcist (l7 77-18 I I) und Jean Paul (1763-1825). Es ist interessant, daß alle drei ganz besonders aber I-Iölderlin und Kleist -- zu ihrer Lebenszeit keine Anerkennung bekamen wie andere Zeitgt'nosst'n und darullter sehr litten. !-Iölderlin scheiterte an der \Vdt und an seinem dichterischen \Vollen. Die unglückliche Lidw zu Susette Gontanl, der Frau eines Frankfurter Bankiers, die er als seine Diotima in seinen Liedern verewigt hat, mag zu der seelischen Zerrüttung beigetragcn haben, die ihn schließlich in die geistige Umnachtung führte. Bekannt ist CI' gcworden durch seine Hymnen, Elegien und Oden und durch seinen Hricfroman

DELTSCHI: Kl'LTl'RGESCHICHTE 250

Referenzen

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