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Ingrid Toby. Tödliche Umarmung. Thriller

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Academic year: 2022

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Ingrid Toby

Tödliche Umarmung

Thriller

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Ingrid Toby wurde in Gmunden geboren. Im Alter von acht Jahren übersiedelte sie mit ihren Eltern und ihren beiden Geschwistern nach Salzburg. Nur wenige Jahre nach dem

Abschluss ihrer kaufmännischen Ausbildung an einer Privatschule machte sie sich selbständig und führt nunmehr seit 1980 erfolgreich ein exklusives

Einzelhandelsunternehmen im Zentrum der Salzburger Altstadt. Neben Beruf und Familie hat sie schon vor Jahren ihre große Leidenschaft zur Schriftstellerei entdeckt. In dieser Zeit entstanden eine Reihe von Kurzgeschichten. Heute lebt sie mit ihren drei Kindern im

Süden der Stadt Salzburg.

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Genehmigte Lizenzausgabe für Weltbild Verlag GmbH, Sterneckstraße 31-33, 5020 Salzburg Copyright © 2013 by Verlag Federfrei, Marchtrenk

Umschlagabbildung: painted wood texture, klikk, fotolia rose on wood bw, visi.stock, fotolia

Lektorat: S. Bähr

Satz und Layout: Verlag Federfrei

E-Book-Produktion: Datagroup int. SRL, Timisoara

Vervielfältigung (z.B. durch Datenträger aller Art) sowie Verbreitung jeglicher Art, auch auszugsweise, ist nur mit ausdrücklicher Genehmigung und Quellenangabe gestattet.

ISBN 978-3-902859-65-5

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1

Dicke Schneeflocken klebten wie Puderzucker auf seinem Jackett. Viktor klopfte kräftig auf den edlen Wollstoff, schüttelte sich die Wassertropfen aus dem Haar und betrat das überfüllte Lokal. Er blickte kurz auf seine Armbanduhr, dachte an Constanze und daran, dass sie bereits seit Stunden auf ihn warten würde, was ihn in diesem Moment jedoch nicht weiter störte.

Mit einem arroganten Grinsen im Gesicht steuerte er auf eine junge Frau an der Theke zu und nahm ohne zu zögern neben ihr Platz. Es fiel ihm sofort auf wie schön sie war – außergewöhnlich schön – und so wie er sie einschätzte einem Abenteuer sicher nicht abgeneigt.

»Ich darf doch?«, fragte er, streckte ihr die Hand entgegen und musterte unverfroren ihren aufreizenden Körper. »Ich bin Viktor.«

»Liliane«, antwortete das Mädchen und hielt lächelnd seinem aufdringlichen Blick stand.

»Darf ich Sie auf einen Drink einladen? Vielleicht ein Glas Sekt?«

»Warum nicht, wenn du so nett fragst.«

Viktor schmunzelte, der Funke war übergesprungen. Er winkte den Barkeeper heran, bestellte die Getränke und rückte etwas näher an Liliane heran. »Du bist wunderschön.«

»Und du ein Charmeur, der es offenbar versteht Frauen auf sich aufmerksam zu machen.«

»Kommst du öfter ins Coq Orange? Ich habe dich hier noch nie gesehen.«

Anstatt zu antworten, lachte sie, nippte ein wenig an ihrem Glas und ließ ihre Finger durch das lange, schwarze Haar gleiten.

»Auf dich, meine Schöne, und auf das, was uns der heutige Abend noch bringen wird.«

Viktor prostete ihr zu, leckte sich das Salz anzüglich vom Handrücken und leerte seinen Tequila. Er genoss es, die späten Abendstunden nach einem anstrengenden Arbeitstag in seiner Stammkneipe zu verbringen und vielleicht, so wie heute, die schnelle

Bekanntschaft einer hübschen Frau zu machen, die wie er, hungrig auf Abwechslung war.

Dafür bot das Coq Orange, ein beliebter Treffpunkt für anspruchsvolle Gäste, die besten Möglichkeiten. Es lag unscheinbar, etwas versteckt, in einem schmalen Seitengässchen nahe dem linken Salzachufer in der Salzburger Altstadt. Viktor schätzte vor allem die Diskretion der erfahrenen Kellner und beglich seine Rechnungen nie ohne ein stattliches Trinkgeld am Tisch zurückzulassen.

»Armani?« Liliane deutete auf seinen Anzug. Sie hatte sofort bemerkt, dass sie es mit einem gut situierten Herrn zu tun hatte.

»Gut erkannt.« Viktor grinste, seine Haltung verbesserte sich augenblicklich. Sein Äußeres war wie immer perfekt und tadellos. Der dunkelgraue Anzug aus bestem italienischen Tuch, der Schlips gekonnt geknotet, nicht zu aufdringlich, dezent in der Farbgebung. Die Schuhe handgenäht, blank geputzt, so wie man es von einem

erfolgreichen Geschäftsmann eben erwarten konnte.

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»Das ist sozusagen meine Arbeitskleidung«, rechtfertigte er seine feine Aufmachung.

»Hab ich mir fast gedacht. Bist du Banker?« Lilianes Interesse an seinem finanziellen Status war unüberhörbar.

»Nicht ganz. Ich bin für Medical-Consulting als leitender Pharmareferent tätig.«

»Scheint eine einträgliche Beschäftigung zu sein«, stellte sie anerkennend fest.

»Ich kann nicht klagen, es lässt sich ganz gut davon leben.« Ihre Fragen amüsierten ihn, dennoch sah er keinen Anlass, näher auf seine finanziellen Verhältnisse einzugehen.

Schließlich war es seine Privatsache, dass er sich von seinem Gehalt problemlos eine komfortable Penthousewohnung in bester Altstadtlage von Salzburg und einen teuren Sportwagen leisten konnte.

»Und, gefällt dir dein Job?«

»Nun, es ist zwar anstrengend ständig auf Reisen zu sein, aber dafür bin ich

unabhängig und niemandem über meinen Tagesablauf Rechenschaft schuldig – und man macht immer wieder aufregende Bekanntschaften.« Viktor grinste.

»Aber lass uns das Thema wechseln.«

»Ich finde es spannend dir zuzuhören.« Liliane rekelte sich graziös auf ihrem Barhocker und ließ ihre Augenlider flattern.

»Schätzchen, wir sitzen doch nicht hier um uns meine langweiligen Geschichten anzuhören. Es gibt doch Besseres um sich die Zeit zu vertreiben.« Er lachte derb und starrte auf ihr freizügiges Dekolette. »Möchtest du noch?«, fragte er, nachdem sie ihr viertes Glas ausgetrunken hatte.

»Ich fürchte, ich kann schon jetzt für nichts mehr garantieren.« Sie kicherte, ließ sich jedoch ihr Glas erneut bereitwillig auffüllen.

Viktor spürte, dass sie Gefallen an ihm gefunden hatte und registrierte wohlwollend ihren bewundernden Blick auf seiner imposanten Erscheinung. Es war ihm bewusst, dass er eine besondere Anziehung auf Frauen ausübte.

Viktor war groß gewachsen, durchtrainiert und schlank. Trotz seiner fünfundfünfzig Jahre sah er blendend aus und verfügte über dieses unwiderstehliche gewisse Etwas, das ihm vieles im Leben erleichterte und über seine Schwächen gekonnt hinwegtäuschte. Er verstand es seine Vorzüge gut zu verkaufen. Er war ein Charmeur, wenn auch manchmal zu glatt und schlüpfrig – wie ein Aal, der sich geschickt mit geschmeidigen Bewegungen zu entwinden verstand. Das dunkel gewellte Haar begann sich an der Stirn leicht zu

lichten und war an den Schläfen bereits etwas angegraut, was ihn jedoch dem weiblichen Geschlecht umso interessanter erscheinen ließ.

Liliane wandte sich ihm lächelnd zu und drehte sich auf ihrem Barhocker, bis ihre schönen schlanken Beine sein rechtes Knie berührten. Langsam schlug sie die Schenkel übereinander, ihr ohnehin viel zu knapper schwarzer Rock glitt noch ein wenig höher und gab die Spitzenborte ihrer zart transparenten Seidenstrümpfe frei. Die rot lackierten Fingernägel und der perfekt geschminkte Mund mit den sinnlich aufgeworfenen Lippen passten zu ihrem dunklen Teint, ihren samtbraunen Augen und dem bis zu den Hüften weich fallenden, schwarz gelockten Haar.

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Ohne lange zu überlegen platzierte Viktor seine Hand auf Lilianes makellosem Oberschenkel und schob sie allmählich aber bestimmt in Richtung ihres kurzen Rocksaumes. »Wie gut du riechst …«, raunte er, ergriff ihre feingliedrige Hand und schnupperte gierig an der Innenseite ihres Handgelenkes. Sie ist blutjung – höchs-tens fünfundzwanzig, dachte er beim Anblick ihres wunderbaren, jugendlichen Körpers und ein Schauer der Erregung durchlief ihn. Seine Lippen berührten die samtweiche Haut ihrer Fingerspitzen. »Ich will dich«, stieß er gepresst hervor und ließ seine Hand noch weiter nach oben gleiten, bis er den nackten warmen Hautstreifen zwischen Strumpf und Höschen fühlte.

»Nicht so hastig, mein Lieber!« Sie genoss seine Ungeduld und die Gier in seinen Augen, die sie bettelnd drängten.

»Tu’ doch nicht so unschuldig, du willst es doch auch«, murmelte er ihr heiser ins Ohr.

Viktor war kein Freund von langwierigen Überredungskünsten.

Es war immer das gleiche subtile Spiel: raffiniert, berechnend und zielführend. Er brauchte diesen erregenden Nervenkitzel, daran vermochte auch seine bevorstehende Hochzeit mit Constanze nichts zu ändern. Sie war die Frau die man heiratete – gebildet, aus gutem Hause, mit tadellosen Umgangsformen. Eine Frau, an deren Seite es sich lohnte alt zu werden. Ein kostbarer Schatz, den man mit niemandem teilen wollte. Mit anderen Worten: eine Vorzeigefrau. Für ihn die perfekte Verlobte. Treu, ehrlich,

außergewöhnlich hübsch und mit ihren zweiunddreißig Jahren für ihn unverschämt jung.

Er war mit seiner Wahl zufrieden, obwohl von Anfang an feststand, dass er auch in der Beziehung zu Constanze seine Begierde nach dem anderen Geschlecht nicht im Zaum halten konnte.

Viele aufregende Frauen kreuzten ständig seinen Weg und er begehrte sie alle. Er musste seine Begierde ausleben und war erst zufrieden, wenn er seinen Trieb befriedigt hatte. Bei der Auswahl seiner Opfer war er nicht wählerisch. Hauptsache sie waren

hübsch, willig und suchten keine feste Beziehung. Gefühle in seine Liebschaften zu investieren, war ihm ein Gräuel.

Nur widerwillig erinnerte er sich an seine Ehe mit Judy. Er hatte die junge Amerikanerin in Chicago kennen gelernt, als er nach dem Studium sein Praktikum im Mutterkonzern seiner deutschen Pharmafirma absolvierte. Ein Praktikum, das auch einen Intensivkurs zur

Perfektionierung der englischen Sprachkenntnisse für europäische Mitarbeiter beinhaltete – und den Judy Baxter leitete.

Vom ersten Augenblick an spürte er, dass Judy ihm verfallen war, was in ihm das unbändige Verlangen weckte, diese tugendhafte Frau zu verführen und zu besitzen. Für die aus tief konservativer Familie stammende Amerikanerin war Sex vor der Ehe

undenkbar, so dass er sein Ziel nur über den Trauschein erreichen konnte. Damals glaubte er noch, dass ihn die Liebe zu Judy zu diesem Schritt bewegt hatte. Er musste sich jedoch bald eingestehen, dass er in eine Ehe hineingeschlittert war, die ihn zutiefst langweilte und auf Dauer auch nicht befriedigte. Eine Verbindung voller Zwänge und falscher Moral, die Judys gläubige Eltern streng überwachten.

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Auch das Mädchen, das Judy ein Jahr später zur Welt brachte, vermochte es nicht, ihn enger an sie zu binden. Vielmehr störte ihn das ewige Geschrei der Kleinen so sehr, dass er aus dem ehelichen Schlafzimmer auszog und sein Lager im Gästehaus aufschlug. Er vermisste Judys Nähe keinen Augenblick. Sein Verlangen auf ihren Körper war längst erloschen.

Viktor wollte so schnell wie möglich aus dieser einengenden Ehe ausbrechen. Eines Tages packte er unbemerkt seine Koffer und verließ Frau und Kind, besser gesagt, er schlich sich davon, ohne ein Wort des Abschieds und ohne eine Adresse zu hinterlassen.

Er kehrte in seine Geburtsstadt Wien, in das Haus seiner Mutter zurück.

Mit seiner zweiten Ehefrau Marika, lief es von Beginn an gänzlich anders. Diesmal war sie es gewesen, die in der Ehe mit ihm den Ton angab. Von Anfang an ließ sie ihn

unmissverständlich verstehen, dass sie es niemals dulden würde, von ihm beherrscht oder gar erniedrigt zu werden. Marika war stolz und eigensinnig. Sie zeigte ihm die kalte

Schulter, wenn es nicht nach ihren Vorstellungen lief. Um sie musste er kämpfen.

Nach einer für ihn unbedeutenden Affäre verweigerte sie sich ihm hartnäckig, was sein Feuer für sie nur noch mehr entfachte. Zum ersten Mal in seinem Leben bereute er den leichtfertigen Seitensprung.

Als Marika Viktor auch noch hinter seine erste Ehe mit Judy kam, von der er, niemals geschieden worden war, verlies sie ihn. Im Gegensatz zu Judy bereitete es ihr nicht die geringste Mühe, Gefühle und Verstand exakt zu trennen. Unbarmherzig ließ sie ihn ihren Hass und ihre tiefe Verachtung spüren – bis sie eines Tages spurlos aus seinem Leben verschwand.

Er beschloss seiner Geburtsstadt Wien den Rücken zuzukehren, um in Salzburg, ein neues, anderes Leben zu beginnen.

Fast sechs Jahre waren seither vergangen und Viktor verstand es meisterhaft, sein bewegtes Vorleben und die alten Geschichten um seine Person vor seiner neuen Umgebung zu verbergen. Er hatte sein früheres Leben abgelegt, verdrängt, zu Grabe getragen, so wie er die Existenz seiner Mutter und seine Herkunft verleugnete, weil er sich schämte, der Sohn einer Wiener Hure zu sein. Niemals konnte er ihr ihren sittenlosen Lebenswandel geschweige denn das, was sie ihm angetan hatte, verzeihen. Nicht einmal ihr früher Tod oder das beachtliche Erbe vermochten ihn versöhnlich zu stimmen.

Er verachtete sie zutiefst. Seine ganze Kindheit und Jugend waren geprägt von dieser Schmach. Seine bedrückenden Kinderjahre und die Tatsache, unter Huren aufgewachsen zu sein hatten sich bis heute wie ein Geschwür in seinem Gehirn festgesetzt und setzten ihm immer wieder unbarmherzig zu.

»Noch einen?« Hannes, ein blonder Hüne mit einem Kreuz wie ein Bulle, zeigte auf Viktors leeres Glas.

»Lass gut sein, ich habe heute noch etwas vor.« In Viktors Stimme machte sich ein abschätziger, spöttischer Unterton breit.

Hannes grinste, zwinkerte Viktor wissend zu und stellte die Flasche zurück in das

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Regal. Viktor erhob sich abrupt von seinem Barhocker, der Alkohol hatte ihn bereits leicht benebelt. Er schob seine Hand zwischen Lilianes Beine, bis er den Ansatz ihres weichen Flaums fühlte, während die andere Hand fordernd ihr Hinterteil betatschte. Mit einem kräftigen Ruck zog er sie hoch und presste sie eng an sich, sodass sie fühlen konnte, wie erregt er war.

»Komm schon, meine Schöne«, raunte er ihr heiser ins Ohr und knabberte dabei ein wenig an ihrem Ohrläppchen. Die Luft in dem überfüllten Raum war verraucht und stickig.

Ein feiner Nebel umhüllte die schummrige Beleuchtung und verschleierte die Gesichtszüge der Gäste am anderen Ende der Theke. Viktor fühlte sich in dieser Atmosphäre sichtlich wohl und unbefangen.

»Du hast doch nicht etwa vor mich zu verführen?« Sie stieß einen kurzen, kehligen Laut aus, neigte den Kopf leicht zurück und lachte ihn ermunternd an.

Viktor kramte einen hundert Euro-Schein aus seiner Hosentasche und steckte ihn Hannes zu. »Stimmt so.«

Sein Griff wurde härter. Er starrte auf ihre nur von einem hauchdünnen Seidentop bedecken Brüste. Der mahnende Blick des Barkeepers auf die noch anwesenden Gäste signalisierte ihm, dass es besser war, sich mit Liliane zu verdrücken. Unsanft schob er sie vor sich her, dem Hinterausgang zu, in einen schwach beleuchteten Gang, der zu einem ihm wohlvertrauten Hof führte. Leere Kisten und Flaschen stapelten sich links und rechts und verströmten einen unangenehm säuerlichen, abgestandenen Geruch, der ihn an seine Kindheit erinnerte. Ekel kam in ihm hoch und für einen Moment hielt er den Atem an, doch dann fühlte er wieder diese unbändige Gier nach dieser Frau. Wortlos umfasste er ihre festen Pobacken und drückte sie gegen die kalte, schmutzige Wand. Er öffnete seine graue Wollstoffhose und schob sie über seine angespannten, muskulösen Hüften. Dann hob er sie hoch und drang in sie ein, gierig und ohne jegliche Zärtlichkeit.

Viktor verschwendete nur wenige Minuten, um das zu bekommen, was er von Liliane wollte. Keuchend ließ er von ihr ab und stieß sie unsanft von sich. Mit einem Ruck zog er den Reißverschluss seiner Hose wieder hoch, strich sein Designer-Jackett glatt und

schritt, ohne ein Wort und ohne sich noch einmal nach ihr umzudrehen, dem Ausgang zu.

»Schlampe«, murmelte er verächtlich in sich hinein.

Es war noch knapp eine Stunde bis Mitternacht, als Viktor die Bar verließ. Eigentlich hatte er Constanze fest versprochen, den Abend mit ihr zu verbringen, um gemeinsam die Hochzeitsvorbereitungen anzugehen, die er schon so lange vor sich herschob. Er musste sich etwas einfallen lassen, um die Sache wieder gerade zu biegen. Hämisch grinste er in sich hinein.

Eisiger Westwind schlug ihm entgegen, er rieb sich die kalten Hände, schlug seinen Jackenkragen hoch und ging in die verschneite Märznacht hinaus.

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2

»Wie lange willst du eigentlich noch auf ihn warten?« Isabella blickte ihre Freundin, die neben ihr auf dem rostbraunen Ledersofa saß, mitleidig an. Sie hatten es sich vor dem Kamin im Wohnzimmer gemütlich gemacht.

»Sicher steckt er im Stau«, antwortete Constanze wenig überzeugend, hüllte sich in eine weiche Cashmere-Decke und ließ ihre Finger über das Sofa gleiten. Das Leder war an einigen Stellen bereits abgenutzt und etwas porös. Stoffkissen in kräftigen Farben sorgten für Behaglichkeit und kaschierten die kaum sichtbaren Makel. Das Holz im Kamin war bis auf wenige Scheite heruntergebrannt und flackerte knisternd vor sich hin. Wohlige Wärme breitete sich im Raum aus.

»Er könnte wenigstens anrufen, damit du weißt, woran du bist.«

»Vielleicht hat er keine Verbindung oder sein Akku ist leer«, versuchte Constanze zaghaft Viktors Verhalten zu rechtfertigen.

»Das glaubst du doch wohl selbst nicht, oder?«

Constanze antwortete nicht, sondern fragte stattdessen: »Du bleibst doch noch ein Weilchen, Isabella, ja?«

»Warum nicht, bei dir ist es ohnehin viel gemütlicher als bei mir.« Isabella grinste, schüttelte sich die rotbraunen Locken aus dem Gesicht und zog sich ein Kissen vor den Bauch.

»Oh ja, gemütlich ist es hier wirklich.« Constanze wiederholte die Worte ihrer Freundin nachdenklich. Sie liebte dieses romantische Jugendstilhaus aus der Zeit der

Jahrhundertwende, das von einem verträumten zauberhaften Garten umgeben war. Es war das Erbe ihrer Eltern, die bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren und sie und ihre damals erst sieben Jahre alte Schwester Sophie allein zurückgelassen hatten.

Isabella bemerkte den Anflug von Traurigkeit in Constanzes Augen. »Du vermisst deine Eltern wohl sehr.«

»Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an sie denken muss.«

»Das muss schrecklich für dich gewesen sein.«

»Für mich ist damals eine Welt zusammen gebrochen«, antwortete Constanze leise.

Außer ihrer Oma Fe und ihrer Schwester hatte sie plötzlich keine Verwandten mehr.

Gemeinsam versuchten sie, ihren unermesslichen Schmerz zu überwinden und Sophie die Liebe ihrer Eltern zu ersetzen. Nur wenig später war dann auch noch Oma Fe gestorben.

Über Nacht fiel nun alleine ihr die schwere, verantwortungsvolle Aufgabe zu, ihrer Schwester die Mutter zu ersetzen und für sie zu sorgen. Zum Glück hatte ihr Vater

Vorkehrungen getroffen. Ihm verdankte sie es, dass sie ihren Lebensunterhalt sorgenfrei bestreiten und das Haus in gutem Zustand bewahren konnte. In den vergangenen Jahren hatte Constanze das alte Gebäude liebevoll restauriert. Sie hing an jedem noch so kleinen Detail und die damit verbundenen Erinnerungen gaben ihr das Gefühl, ihrer Familie

unendlich nah zu sein.

Constanze blickte auf und lächelte. »Weißt du Isabella, dieses Haus lässt mich immer

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wieder an meine wunderbare Kindheit zurückdenken, die ich hier mit meinen Eltern verbringen durfte.« In Gedanken sah sie ihre Mutter vor sich, wie sie unermüdlich im Garten zwischen bunten Blumenbeeten kniete, Unkraut zupfte und die wunderschönen, duftenden Rosenstöcke beschnitt. Auf dem Kopf trug sie einen breitkrempigen, schon etwas abgegriffenen Strohhut mit einer blauen Schleife, um ihre blasse Haut vor der Sonne zu schützen.

Wenn sie von der Schule heimkam und ihre Mutter im Haus nicht antraf, wusste sie sofort, wo sie sie finden konnte. Sie lief durch die Diele hinaus in den weiten Garten, wo ihre Mutter jede freie Minute mit der Pflege verschiedenster Kräuter, Gemüsepflänzchen und Blumen zubrachte.

Constanze zog sich gerne in die schattige Gartenlaube zurück, machte es sich auf den weichen karierten Sitzkissen, die auf der Holzbank in der Laube lagen, gemütlich und erledigte ihre Hausaufgaben.

Pünktlich um ein Uhr mittags legte die Mutter die Gartenhandschuhe zur Seite und

streifte die schmutzigen Stiefel ab. Sie holte Constanze aus der Laube und ging zurück ins Haus, um das Mittagessen zuzubereiten.

Meist half sie ihr den Tisch zu decken, bis sie sie losschickte, um den Vater aus seiner Arztpraxis zu holen, die auf der anderen Seite des weitläufigen Grundstücks, im Haus der Großeltern, direkt vorne an der Straße lag. Ihr Vater legte größten Wert auf eine

gemeinsame Mittagsmahlzeit und genoss es, nach dem Essen noch ein wenig zu

entspannen. Er bevorzugte dafür den sonnigen Platz im Wintergarten und vertiefte sich dort mit Vorliebe in seine medizinische Lektüre. Nicht selten nickte er darüber ein, dann kletterte Constanze auf seinen Schoß, um ihn mit einem dicken Kuss zu wecken.

Als Constanze elf Jahre alt war, stellte sich in der kleinen Familie überraschend noch einmal Nachwuchs ein. Ihre Schwester Sophie wurde geboren und brachte das

beschauliche Dasein der drei ordentlich aus dem Gleichgewicht.

Das gleichmäßige Schlagen der Standuhr auf dem Kamin holte Constanze in die

Gegenwart zurück. Sie zog ihre Decke noch ein wenig enger an sich, als wollte sie damit verhindern, dass der Ärger über Viktors Verspätung erneut von ihr Besitz ergriff.

»Wie steht es eigentlich um eure Hochzeitspläne?«, wechselte Isabella das Thema, bereute ihre Frage aber sofort als sie die Veränderung in Constanzes Gesicht bemerkte.

»Eigentlich hatten Viktor und ich geplant den Nachmittag dazu zu verwenden, geeignete Räumlichkeiten für unsere Feier auszuwählen und den Tag für die Trauung festzusetzen.« Constanze griff nach dem Brautkleidermagazin, das vor ihr auf dem Tischchen lag. Ihr Herz begann merklich schneller zu schlagen. Eine sonderbare Unruhe überfiel sie – ob vor Freude oder Angst, das konnte sie nicht sagen.

Die Kerze auf dem Tischchen mit der filigran gravierten Glasplatte war bis auf einen kleinen Stummel heruntergebrannt und verströmte zartes Vanillearoma. Durch die

duftigen, in grün, weinrot und creme gehaltenen Vorhänge vor den antiken bleiverglasten Fenstern, drang spärlich das Licht der Gartenlaterne in den Raum.

»Habt ihr schon eine Vorstellung wo eure Hochzeit stattfinden soll?«, fragte Isabella.

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»Nun, wir haben uns beide für eine Feier in kleinem Rahmen entschieden und ich finde, dass sich das im Salzkammergut gelegene Schloss Mondsee gut dafür eignen würde. Nach einem gemeinsamen Streifzug mit Sophie, war ich von dem romantischen Ortskern und der bezaubernden Atmosphäre des historischen Gemäuers total fasziniert.« Voller

Begeisterung hatte sie damals Viktor von den Rosengärten und den hohen,

mittelalterlichen Gewölben des im Jahre 739 erbauten ehemaligen Benediktinerklosters vorgeschwärmt.

»Dann braucht ihr ja nur noch den großen Tag festzusetzen.«

»Wenn das bloß so einfach wäre. Viktor ist mit seiner Arbeit derart beschäftigt, dass uns langsam die Zeit davon läuft.« Constanze blickte erneut auf die Uhr, es waren nur noch zwei Stunden bis Mitternacht und Viktor hatte sich noch immer nicht gemeldet. »Ich hätte wissen müssen, dass er sein Versprechen wieder einmal nicht hält, als ich heute Nachmittag seine Mitteilung auf meinem Handy gelesen habe.«

»Was hat er denn geschrieben?«, fragte Isabella neugierig.

»Hier, lies selber.« Constanze schob ihrer Freundin das Handy zu.

»Hallo Liebes, stecke im Stau, kann leider erst gegen Abend kommen, bis später.

Viktor«, las Isabella verwundert. »Und seither hat er sich nicht mehr gemeldet?«

»Nein, kein Anruf, keine SMS, gar nichts. Langsam mache ich mir wirklich Sorgen.«

»Sicher ist er nur aufgehalten worden.« Isabella versuchte ihre Freundin zu beruhigen, aber auch ihr kam Viktors Verhalten reichlich sonderbar vor.

»Und ich war auch noch so dumm und habe Axels Einladung für heute Abend, mit ihm ins Kino zu gehen, ausgeschlagen.« In all den Jahren, in denen sie nun schon mit Axel befreundet war, hatte er sie noch nie vergeblich warten lassen.

»Ich wäre liebend gerne für dich eingesprungen.« Isabella seufzte. »Warum hat er nicht mich eingeladen?«

»Weil du eine Nervensäge und ständig hinter ihm her bist.«

»Aber irgendwann muss er doch merken, dass ich total verliebt in ihn bin.«

»Das weiß er doch längst und genau deshalb geht er dir aus dem Weg. Warum muss es ausgerechnet Axel sein?«

»Wie kannst du nur so etwas fragen? Axel Höfer, der berühmte Fotograph«, schwärmte Isabella. »Demnächst ist sogar ein eigener „Höfer-Bildband« über Salzburg geplant.“

»Da erzählst du mir nichts Neues meine Liebe, schließlich schreibe ich die Reportagen zu seinen Bildern.« Constanze schätzte die professionelle Zusammenarbeit mit Axel sehr, auch wenn es dabei manchmal etwas chaotisch zuging, da er sich meist erst kurz vor Abgabeschluss dazu entscheiden konnte, welches Bildmaterial nun letztlich seine

Zustimmung fand. Im alltäglichen Leben aber war Axel unkompliziert, liebenswert und für alles zu begeistern.

»Das ist ja die Ungerechtigkeit, du kannst ständig mit ihm zusammen sein. Aber irgendwann ist er über seine Scheidung mit Doris hinweg und dann wird er mich mit anderen Augen sehen.«

»Isabella, wach auf und hör endlich auf zu träumen«, unterbrach Constanze ihre

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Freundin, die einfach nicht wahrhaben wollte, dass Axel rein gar nichts für sie empfand.

»Trotzdem wäre ich heute nur zu gerne mit ihn ins Kino gegangen.«

»Das glaube ich dir aufs Wort. Du hast wohl Angst, dass du mit deinen sechsunddreißig Jahren keinen mehr abbekommst.« Constanze musste lachen. Ihre hübsche rothaarige Freundin ließ nicht locker, sie würde Axel auch weiter auf Schritt und Tritt verfolgen und ihm das Leben schwer machen. Sie würde keine Gelegenheit ungenützt lassen, um in seiner Nähe zu sein und ihm schöne Augen zu machen.

Constanze schätzte Isabellas einnehmendes Wesen, und es tat ihr weh mit ansehen zu müssen, wie sie unter ihrer unglücklichen Liebe litt. »Es gibt auch noch andere nette

Männer, du musst nur die Augen aufmachen«, versuchte sie ihre Freundin zu trösten.

»Aber ich bin nun mal in Axel verliebt und du – du könntest mir ruhig ein wenig unter die Arme greifen, schließlich ist er dein Freund.«

»Eben, und darum weiß ich auch, dass er für dich nur Freundschaft empfindet.«

Constanze drückte den heruntergebrannten Docht, der den Raum mit kleinen

Rauchschwaden erfüllte, in das heiße flüssige Wachs, und sie dachte an den Tag zurück, an dem Axel ihr zum ersten Mal über den Weg gelaufen war.

Sie war achtzehn und hatte eben erst ihr Publizistik Studium begonnen, als er bereits sein letztes Jahr antrat und kurz vor seiner Abschlussprüfung stand. An sonnigen Tagen zog sie sich gerne in den Unipark zurück, setzte sich mit ihren Büchern auf eine schattige Parkbank unter einen der alten, knorrigen Kastanienbäume, die im Frühjahr durch ihre wunderschönen, duftenden, rosigen Blüten bezauberten, über den ganzen Sommer hin kühlen Schatten spendeten und dann im Spätherbst ihre glänzenden rotbraunen Früchte abwarfen um Jung und Alt damit zu erfreuen.

Axel, dessen Leidenschaft schon zu dieser Zeit der Fotografie gegolten hatte, nahm meist die Nebenbank in Beschlag. Die Fotoausrüstung ständig griffbereit, lauerte er auf interessante Motive und es faszinierte ihn, diese in all ihren wunderschönen Facetten festzuhalten. Dass Axel nach seinem Biologiestudium auch noch an der Universität für angewandte Kunst in Wien Fotographie studieren wollte, überraschte sie nicht im Geringsten.

Obwohl er fast sechs Jahre älter als sie war, hatten sie schnell jede Menge

gemeinsame Interessen und anregenden Gesprächsstoff gefunden. Niemals wäre ihr damals in den Sinn gekommen, dass sie später einmal mit Axel zusammenarbeiten würde, hatte sie ihn doch nach Beendigung seiner Studienzeit aus den Augen verloren.

Jeder verfolgte für sich seine Ziele und gestaltete sein Leben.

Doch wie es der Zufall wollte, stand Axel eines Tages mit einer vollen Bildermappe unter dem Arm vor ihr, um sich für die freie Stelle in ihrer Abteilung im Lektra-Verlag zu bewerben. Constanze war so überrascht, dass sie keine Worte finden konnte, als er ihr plötzlich, nach so langer Zeit, grinsend gegenüber stand.

Seit diesem Tag waren fast drei Jahre vergangen, und Constanze konnte sich

mittlerweile ihr Leben ohne seine Freundschaft nicht mehr vorstellen. Er war da, wenn sie ihn brauchte, heiterte sie auf, wenn es nichts zu lachen gab und half ihr die großen und

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kleinen Dinge in ihrem Haus zu reparieren. Axel war ein guter Gesellschafter und Zuhörer, wenn sie, wie in letzter Zeit so oft, wieder einmal alleine war, weil Viktor unerwartet – und auch am Wochenende – wichtige Termine hatte.

»Über was grübelst du eigentlich die ganze Zeit?« Isabella gähnte und legte das Brautmagazin, in dem sie eifrig geblättert hatte, zur Seite.

»Es gehen mir einfach so viele Gedanken durch den Kopf. Manchmal zweifle ich daran, ob Viktor auch wirklich der richtige Mann für mich ist.«

»Nun zerbrich dir nicht dein hübsches Köpfchen, sicher wird dein Schatz bald da sein und deine Bedenken zerstreuen.«

»Ich glaube nicht, dass er heute noch kommt.«

»Dann steht er eben morgen vor deiner Tür.« Isabella gähnte erneut herzhaft und rieb sich die Augen. »Ich gehe jetzt, aber nur wenn du mir versprichst, dass du aufhörst zu grübeln.«

»Mach dir um mich keine Sorgen.« Constanze winkte Isabella nach, bis diese die Türe hinter sich geschlossen hatte.

Constanze schloss die Augen um Ruhe zu finden und in sich zu kehren. Die Stille tat ihr gut. Erneut schickte sie ihre Gedanken auf die Reise. In ihren Träumen hoben sie ab mit breiten Schwingen, verweilten ein wenig auf den Hügeln der Illusion und des Glücks, um dann jäh ins Tal der Wirklichkeit und des Erwachens zu stürzen.

Unweigerlich fror sie trotz der dicken, flauschigen Decke, die sie nun fest um ihren Körper geschlungen hatte. Nachdenklich verglich sie die beiden doch so unterschiedlichen Männer in ihrem Leben: Viktor Kraft, weltgewandt, vielleicht auf Grund des beachtlichen Altersunterschiedes, der sie jedoch keineswegs störte, ein wenig Vaterfigur, und immer ein bisschen geheimnisvoll. Man wusste nie genau woran man bei ihm war, und zu ihrem Leidwesen gab er sich sehr verschlossen. Über seine Kindheit und seine Familie sprach er nie mit ihr. Jedes Mal wenn sie seine Vergangenheit ansprach, wich er ihr aus und wurde unwirsch. Aber Viktor war klug und charmant, ein guter Geschäftsmann, zielstrebig,

erfolgreich und attraktiv. Er war überzeugt davon, dass sie füreinander geschaffen waren, und machte auch keinen Hehl daraus, dass er ab und zu etwas unverlässlich war, aber sie, Constanze, über alles liebte und verehrte.

Constanzes Brust entfuhr ein langer, tiefer Seufzer. Sie hätte gerne mehr über Viktors Vergangenheit, seine Familie und sein Innerstes gewusst.

»Viktor, bist du es?“ Constanze hörte, wie der Schlüssel im Türschloss umgedreht wurde. Sie blickte abermals auf die Uhr, es war fast Mitternacht. Rasch schlüpfte sie aus ihrer Decke, und begann automatisch die Dinge, die verstreut um sie herum lagen, zu ordnen und zu verräumen. Viktor hasste Unordnung. Sie fuhr sich durch das lange,

dunkelbraune Haar und strich sich eine widerspenstige Strähne aus ihrer Stirn. In ihrem grau-rosa Sportanzug wirkte sie zart und zerbrechlich. Ihre dunklen, ausdrucksvollen Augen waren groß, leicht schräg gestellt und umrahmt von langen, seidigen, schwarzen Wimpern. Ihre Gesichtshaut wirkte rosig und frisch – fast makellos.

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Constanze war knapp einen Meter fünfundsechzig groß und strahlte Anmut und Heiterkeit aus. Bei ihren Freunden und Arbeitskollegen war sie beliebt, besonders ihr Vorgesetzter, Redakteur Kisch, ließ sich nicht davon abhalten, ihr in einem fort offen seine Verehrung zu zeigen und geizte nicht mit charmanten Komplimenten. Auch ihre Verlobung mit Viktor änderte nichts an seinen Annäherungsversuchen. Constanze fühlte sich geschmeichelt, doch seine Eroberungsversuche zerrten an ihren Nerven.

»Viktor?« rief sie abermals fragend und wandte ihren Blick der Türe zu.

»Hi Schwesterchen, ich bin es!« Sophie streckte ihren Kopf zur Tür herein, sie war das Abbild ihrer Schwester, nur eben elf Jahre jünger. »Verzeih’, dass ich dich so spät noch überfalle. Wie geht es dir? Du siehst ein wenig blass aus, bist du im Hochzeitsstress? Ich habe dich gewarnt, das bringt Ärger.« Sie lächelte unschuldig und strahlte über das ganze Gesicht.

Constanze nahm ihre kleine Schwester in die Arme und drückte sie zärtlich an sich.

»Sophie, was machst du um diese Zeit noch hier? Ich dachte, du bist noch in Innsbruck und besuchst gewissenhaft deine Vorlesungen.«

Sophie schnitt eine gespielt gekränkte Grimasse und erwiderte schnippisch: »Ich störe wohl. Du willst dich hier mit deinen Liebhabern ungestört amüsieren. Gib es zu. Du

solltest dich schämen, in deinem Alter…«

»Wie Recht du hast. Also mach schnell, was willst du?«

»Zuzutrauen wäre es dir!« Sophie bog sich vor Lachen und drückte Constanze einen dicken Kuss auf die Wange. »Ich konnte es mir nicht verkneifen, dir jemand ganz

Besonderen vorzustellen. – Sind gleich wieder weg, muss nur ein paar Sachen aus meinem Zimmer holen. Michele und ich wollen über die Osterferien für ein paar Tage nach Venedig.« Aus Sophies Mund sprudelten die abgehackten Sätze nur so heraus. Ihre Wangen glühten und ihre dunklen Augen sprühten vor Begeisterung.

»Wer bitte schön ist Michele? Du hast dich doch nicht etwa in einen deiner Professoren verliebt. Wo ist er? Willst du ihn mir nicht endlich verstellen? Wer weiß, vielleicht passt er ja besser zu mir, wie aufregend …«, schwärmte Constanze und gab einen gespielt

gedehnten Seufzer von sich.

»Untersteh’ dich und mach’ Michele schöne Augen. Das ziemt sich nicht für eine Braut und schon gar nicht für eine künftige Schwägerin. Ich werde deine ungezügelten

Gedanken Viktor erzählen. Wo ist er überhaupt? Wollte er nicht heute Abend hier sein?«

Sophies Blick schweifte suchend umher.

Constanzes Fröhlichkeit verflog, und Sophie meinte eine Spur von Traurigkeit in den Augen ihrer Schwester zu erkennen.

»Er ist wohl aufgehalten worden. Sicher kommt er jeden Moment.«

Das kurze zaghafte Hupen des Autos, das vor Constanzes Garagenausfahrt parkte, riss Sophie aus ihren besorgten Gedanken.

»Michele wartet draußen im Auto. Ich habe ihm erzählt, dass du immer sehr genau darauf achtest, welche Freunde ich mit nach Hause bringe und nun hat er Bedenken ob er deinen Vorstellungen überhaupt entspricht. Also bitte, sei nett zu ihm.«

(16)

»Einen kurzen Eignungstest wird er wohl oder übel über sich ergehen lassen müssen, Schwesterchen.«

»Das wird nicht nötig sein, ich liebe ihn«, antwortete Sophie mit ernstem Gesicht.

Constanze runzelte erstaunt die Stirn. Sophie hatte also tatsächlich ihren Freund

mitgebracht. Ihr kleines schüchternes Mädchen, das dem anderen Geschlecht bisher sehr vorsichtig und verschlossen gegenüber stand. Nun war wohl auch Sophies unbeschwerte Kindheit endgültig vorüber, und Constanze sah zum ersten Mal in ihrer Schwester eine wunderschöne junge Frau, die respektiert werden wollte und ihre eigenen Wege ging.

Constanze seufzte resignierend mit ein bisschen Wehmut im Herzen.

»Na dann hol deine Sachen und lass mich endlich deinen Schatz begrüßen.«

Sophie nahm die Stufen zu ihrem Zimmer im Laufschritt. Sie knipste den Lichtschalter an und stürmte in den hellen, freundlichen Raum, holte ihre blaue Canvas-Reisetasche unter dem breiten Polsterbett hervor und stopfte achtlos einige Kleidungsstücke hinein.

So schnell, wie sie die Stufen hinauf gelaufen war, war sie auch wieder unten angekommen. Sie legte Constanze fürsorglich eine dicke Lammfelljacke über die schmalen Schultern, nahm sie an der Hand und zerrte sie ungeduldig nach draußen.

Am Ende der langen Kiesauffahrt stand ein nagelneuer, roter VW-Beetle. Beim Anblick von Sophies attraktiver Schwester sprang Michele verlegen aus dem Wagen.

Ein hübscher, blonder, junger Mann, dachte Constanze. Michele war schlaksig, mit endlos langen Beinen, dennoch erkannte man deutlich dass er muskulös gebaut war. Er hatte ein weiches, freundliches Gesicht und geheimnisvolle dunkelblaue Augen, dessen Farbe sie an die See vor Malta erinnerte. Seine Kleidung war sportlich, blaue

ausgewaschene Jeans und ein moosgrünes Poloshirt. Über seinen Schultern hing ein dicker, grob gestrickter Pullover.

Michele reichte Constanze artig die Hand und verbeugte sich leicht. Erfreulicherweise sprach Michele sie mit seiner einnehmenden Art sofort an, und sie musste schmunzeln.

»Guten Abend, Frau Sternberg, Sophie hat nicht zu viel versprochen, sie sind wirklich eine unbeschreiblich attraktive Frau.«

Constanze lächelte berührt.

»Ich hoffe, sie haben nichts dagegen, wenn ich ihre bezaubernde Schwester nach Venedig entführe? Mein Onkel Bruno besitzt in der Nähe von Latisana ein kleines Weingut, und er hat uns eingeladen, ein paar Tage in seinem Haus zu verbringen.«

Michele wirkte nervös und ein wenig unbeholfen, wie ein Prüfling der nicht wusste, ob er sein Examen bestanden hatte.

»Ich freue mich sehr dich kennen zu lernen, Michele. Vielleicht hast du ja Lust, auch einmal in unserer schönen Stadt ein paar Tage zu verbringen. Mit Venedig kann Salzburg allemal konkurrieren.«

»Sehr gerne, Frau Sternberg ….«

»Ich heiße Constanze, Michele, einfach nur Constanze.«

»Ist er nicht süß?!« zwitscherte Sophie, ergriff Micheles Hand und himmelte ihn mit verliebten Augen an.

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»Ihr seid wirklich ein schönes Paar, aber nun macht dass ihr fortkommt, sonst verpasst ihr auch noch das Frühstück bei deinem Onkel. Und, Michele …, pass auf mein Mädchen auf, hörst du!«

Constanze sah das erste, befreite Grinsen in seinem kantigen Gesicht. Das Eis schien gebrochen. Ohne sein Grinsen zu unterbrechen, drückte er ihr zum Abschied einen

flüchtigen Kuss auf die Wange.

Constanze winkte dem davon rollenden Beetle hinterher, solange bis er aus ihrem Sichtfeld verschwunden war. Sie zog das große schmiedeeiserne Gartentor hinter sich zu und vernahm das vertraute Klicken der Verriegelung. Zarte Schneeflocken tanzten im Lichtkegel der grünen Straßenlaterne und schmolzen unbarmherzig, wenn sie der warmen Glasscheibe zu nahe kamen. Der Winter war noch einmal zurückgekehrt und hatte alles bereits Sprießende wieder mit einer dünnen Schneedecke überzogen.

Aus dem Haus vernahm Constanze das leise Läuten des Telefons. Gedankenverloren ging sie den schmalen Kiesweg zurück. Die gefrorenen Steinchen knirschten bei jedem ihrer Schritte leise unter ihren Fußsohlen. Sie lief die wenigen Steinstufen, die an den Seiten ausladend geschwungen waren hinauf, öffnete die schwere honigfarbene

Eichentür, die mit wunderbaren Schnitzereien verziert war und trat ins Haus.

Der zu Wassertropfen geschmolzene Schnee triefte von ihrer Kleidung auf den roten Marmorboden und hinterließ winzig kleine Pfützen. Constanze knöpfte ihre Winterjacke auf und hing sie an einen der Messinghaken an der Wand in der Diele. Sie schlüpfte aus ihren Mokassins, die sie vorher in aller Eile übergestreift hatte, um Sophie hinaus zum Auto zu begleiten.

In dem Moment als Constanze den Raum betrat, aus dem das beharrliche Klingeln ertönte, verstummte das Telefon. Sie erblickte das blinkende rote Licht ihres

Anrufbeantworters und drückte die schwarze runde Taste.

»Hallo Liebes, es tut mir schrecklich leid, aber ich kann heute doch nicht mehr vorbeikommen. Ich melde mich wieder. Küsschen und schlaf gut.«

Enttäuscht hörte Constanze Viktors knappe Nachricht. Sie ergriff den Hörer und wählte mit zitternder Hand seine Handynummer. Eine freundliche Frauenstimme meldete sich am Tonband, ständig den gleichen monotonen Satz wiederholend: ‚Der gewünschte Gesprächspartner ist vorübergehend nicht erreichbar. Bitte versuchen sie in einiger Zeit nochmals anzurufen.’

Er hatte sein Handy wie immer wenn er nicht gestört werden wollte, abgestellt.

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