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Kantonswechsel von Drittstaatsangehörigen: Probleme und Handhabung in der Praxis

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Christoph Lienhard

Kantonswechsel von Drittstaatsangehörigen:

Probleme und Handhabung in der Praxis

Lors de l’examen d’une demande de changement de canton formulée par des ressortissants de pays tiers, un certain nombre de questions se posent pour lesquelles le législateur n’a pas établi de règles. Il s’ensuit que la procédure que suivent les o ffi ces cantonaux des migrations varie et que la jurisprudence judiciaire des cantons présente un tableau contrasté. La contribution a pour objectif de mieux approfondir les problèmes rencontrés le plus fréquemment, d’examiner la pratique suivie en la matière et de l’évaluer de façon critique.

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Catégories d’articles: Contributions

Domaines juridiques: Droit des étrangers et d’asile; Confédération et cantons;

Nationalité. Droit de cité

Proposition de citation: Christoph Lienhard, Kantonswechsel von Drittstaatsangehörigen:

Probleme und Handhabung in der Praxis, in : Jusletter 20 mars 2017

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Inhaltsübersicht

I. Einleitung

II. Gesetzliche Grundlagen

1. Drittstaatsangehörige / EU-EFTA-Angehörige 1.1. Inhaber von Kurzaufenthaltsbewilligungen 1.2. Inhaber von Aufenthaltsbewilligungen 1.3. Inhaber von Niederlassungsbewilligungen III. Voraussetzungen des Kantonswechsels

1. Beantragung der Bewilligung im Voraus 1.1. Handhabung in der Praxis 1.2. Kritische Würdigung 2. Nicht arbeitslos sein

3. Keine Widerrufsgründe

3.1. Falschangaben / Verschweigen wesentlicher Angaben 3.2. Längerfristige Freiheitsstrafe

3.3. Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung

3.4. Nichteinhalten einer mit der Verfügung verbundenen Bedingung 3.5. Sozialhilfebezug

3.6. Kritische Würdigung 4. Verhältnismässigkeit

4.1. Handhabung in der Praxis 4.2. Kritische Würdigung IV. Sonderfragen

1. Kantonswechsel und Erteilung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts 1.1. Handhabung in der Praxis

1.2. Kritische Würdigung

2. Ablauf der Gültigkeit der Aufenthaltsbewilligung während eines hängigen Kantons- wechselgesuchs

2.1. Handhabung in der Praxis 2.2. Kritische Würdigung

3. Ablehnung des Kantonswechsels verbunden mit der Wegweisung aus der Schweiz 3.1. Handhabung in der Praxis

3.2. Kritische Würdigung 4. Hängiges Verfahren im Vorkanton

4.1. Handhabung in der Praxis 4.2. Kritische Würdigung 5. Einheit der Familie

5.1. Kritische Würdigung V. Schlusswort

I. Einleitung

[Rz 1] Das Migrationsrecht erfährt seit längerer Zeit eine immer grössere Bedeutung und steht stark im Fokus der Öffentlichkeit. Während in den Medien im Zusammenhang mit dem Migrati- onsrecht vorwiegend über nationale und internationale asylrechtliche Herausforderungen sowie über straffällige ausländische Personen in der Schweiz berichtet wird, gibt es keine Schlagzeilen über den Kantonswechsel und es findet keine öffentliche Debatte statt. Kantonale Rechtspre- chung ist nur vereinzelt zugänglich und die bundesgerichtliche Rechtsprechung beschränkt sich auf wenige Entscheide, da die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Ent- scheide betreffend Kantonswechsel ausgeschlossen ist. Auch in der migrationsrechtlichen Fach- literatur und den Kommentaren macht der Kantonswechsel nur einen geringen sowie auf die wesentlichen Punkte beschränkten Teil der Abhandlungen aus. Da bei einer Ablehnung des Kan-

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tonswechsels mehrheitlich «nur» die Wohnsitznahme in einen anderen Kanton verweigert wird, erstaunt die geringe Bedeutung des Kantonswechsels im Kontext des gesamten Migrationsrechts nicht weiter. Im Interesse der Migrationsämter sowie der ausländischen Personen wäre jedoch eine einheitliche Praxis wünschenswert. Ziel dieser Arbeit ist es, die häufigsten Problematiken näher zu beleuchten, die Handhabung in der Praxis zu untersuchen und diese kritisch zu würdi- gen.

II. Gesetzliche Grundlagen

1. Drittstaatsangehörige / EU-EFTA-Angehörige

[Rz 2] Wollen Personen mit einer Kurzaufenthalts-, Aufenthalts- oder einer Niederlassungsbe- willigung ihren Wohnort in einen anderen Kanton verlegen, so müssen sie gemäss Art. 37 des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer (Ausländergesetz;AuG) im Voraus eine entsprechende Bewilligung des neuen Kantons beantragen. Nach Art. 66 der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE) können Ausländerinnen und Ausländer nur in einem Kanton eine Kurzaufenthalts-, Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung besitzen.

Die Bewilligungen gelten für das Gebiet des Kantons, der sie ausgestellt hat. Gemäss Art. 67 Abs. 1 VZAE liegt ein bewilligungspflichtiger Kantonswechsel vor, wenn der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse in einen anderen Kanton verlegt wird. Die betroffene Person muss somit ih- ren Wohnort in einen anderen Kanton verlegen.1Darüber hinaus bestimmt Art. 37 Abs. 4 AuG und Art. 67 Abs. 2 VZAE, dass für vorübergehende Aufenthalte in einem anderen Kanton von bis zu drei Monaten pro Kalenderjahr keine Bewilligung des anderen Kantons nötig ist.2Mit der Erteilung der neuen Bewilligung fällt die alte automatisch weg; zwei Bewilligungen von zwei Kantonen innezuhaben, wäre systemwidrig.3Wer vorsätzlich oder fahrlässig ohne erforderliche Bewilligung den Wohnkanton in einen anderen Kanton verlegt, wird mit Busse bestraft (Art. 120 Abs. 1 lit. c AuG).

[Rz 3] Der Gesetzgeber verfolgt mit Art. 37 AuG das Ziel, ausländischen Personen mit einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung eine möglichst grosse geografische Mobilität zu ge- währen.4 Die Mobilität soll einerseits wirtschaftliche Interessen unterstützen, indem man sich ein Entgegenwirken der Arbeitslosigkeit erhofft, andererseits soll damit auch eine administrative Erleichterung für Behörden erreicht werden.5

[Rz 4] Die Bestimmung von Art. 37 AuG gelangt bei Personen, die sich auf das Abkommen zwi- schen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA) oder das EFTA-Übereinkommen berufen können und im Besitz einer Kurzaufenthalts-, Aufenthalts- oder Niederlassungsbewil-

1 Dania Tremp, in: Martina Caroni/Thomas Gächter/Daniela Thurnheer (Hrsg.), Bundesgesetz über die Ausländerin- nen und Ausländer (AuG), Bern 2010, Art. 37, Rz. 6.

2 Marc Spescha/Antonia Kerland/Peter Bolzli, Handbuch Migrationsrecht, 2. Aufl., Zürich 2015, S. 130.

3 Ebd.

4 Dania Tremp, a.a.O., Art. 37, Rz. 3;BBl 2002 3709, 3751.

5 Ebd.

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ligung sind, nicht zur Anwendung.6 Die Bewilligungen dieser Personen gelten für das ganze Gebiet der Schweiz.7 Wenn eine Person mit einer solchen Bewilligung in einen neuen Kanton zieht, wird das dortige Migrationsamt automatisch zuständig, um über deren Aufenthaltsstatus zu entscheiden. Art. 37 AuG erfasst folglich nur Drittstaatsangehörige, die nicht im Besitz einer EU/EFTA-Bewilligung sind.

1.1. Inhaber von Kurzaufenthaltsbewilligungen

[Rz 5] Personen, die im Besitz einer Kurzaufenthaltsbewilligung sind, haben keinen Anspruch darauf, dass ihnen der Wohnortswechsel in einen anderen Kanton bewilligt wird.8Die Bewilli- gungserteilung liegt folglich im Ermessen des angefragten Kantons.9 Ermessen bedeutet aller- dings nicht, dass der Kanton völlig frei entscheiden kann. Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 der Bun- desverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV) verpflichten die Behörden zu einem Handeln, das im öffentlichen Interesse liegt, verhältnismässig ist und Treu und Glauben ent- spricht.10

1.2. Inhaber von Aufenthaltsbewilligungen

[Rz 6] Der Anspruch auf einen Kantonswechsel ist für Personen mit einer Aufenthaltsbewilligung an zwei Bedingungen geknüpft.11Erste Voraussetzung ist, dass die gesuchstellende Person nicht arbeitslos ist. Die zweite Voraussetzung besteht darin, dass keine Widerrufsgründe gemäss Art.

62 AuG vorliegen (Art. 37 Abs. 2 AuG).12 Mit Hilfe dieser Anforderungen soll unter anderem verhindert werden, dass unterstützungsbedürftige Personen von einem in den nächsten Kanton ziehen, möglicherweise gar ein gewisser «Sozialhilfetourismus» entsteht, und die Kantone dieser Situation schutzlos ausgeliefert sind.13Für Personen mit einer Aufenthaltsbewilligung bestehen dabei höhere Anforderungen als für jene Ausländer mit einer Niederlassungsbewilligung.14

1.3. Inhaber von Niederlassungsbewilligungen

[Rz 7] Der Anspruch auf einen Kantonswechsel setzt voraus, dass kein Widerrufsgrund gemäss Art. 63 AuG besteht (Art. 37 Abs. 3 AuG). Nur wenn einer der dort genannten Gründe vor-

6 Peter Uebersax,in: Peter Uebersax/Beat Rudin/Thomas Hugi Yar/Thomas Geiser (Hrsg.), Ausländerrecht, Eine umfassende Darstellung der Rechtsstellung von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz, 2. Aufl., Basel 2009, Rz. 7.220;Dania Tremp, a.a.O., Art. 37, Rz. 2.

7 Art. 4 Abs. 2 der Verordnung über die schrittweise Einführung des freien Personenverkehrs zwischen der Schwei- zerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union und deren Mitgliedstaaten sowie unter den Mitglied- staaten der Europäischen Freihandelsassoziation (Verordnung über die Einführung des freien Personenverkehrs, VEP,SR 142.203).

8 Dania Tremp, a.a.O., Art. 37, Rz. 16;BBl 2002 3709, 3791.

9 Dania Tremp, a.a.O., Art. 37, Rz. 16.

10 Dania Tremp, a.a.O., Art. 37, Rz. 16;Martina Caroni/Tobias Grasdorf-Meyer/Lisa Ott/Nicole Scheiber, Migra- tionsrecht, 3. Aufl., Bern 2014, S. 130.

11 Martina Caroni/Tobias Grasdorf-Meyer/Lisa Ott/Nicole Scheiber,a.a.O., S. 130.

12 Ebd.

13 Dania Tremp, a.a.O., Art. 37, Rz. 19;BBl 2002 3709, 3790 f.

14 Vgl.Dania Tremp, a.a.O., Art. 37, Rz. 19.

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liegt, kann die Behörde des neuen Kantons die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung ver- weigern.15

III. Voraussetzungen des Kantonswechsels 1. Beantragung der Bewilligung im Voraus

[Rz 8] Der Gesetzeswortlaut sieht vor, dass der Antrag für eine Kurzaufenthalts- und Aufenthalts- bewilligung vor dem Umzug in den anderen Kanton gestellt werden muss. Das gilt theoretisch – obwohl im Gesetz nicht erwähnt – auch für jene Personen, die im Besitz einer Niederlassungs- bewilligung sind.16 Art. 37 AuG räumt Personen mit einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbe- willigung zwar einen Anspruch auf Kantonswechsel ein.17 Dieser befreit sie aber nicht von der Pflicht, im Zeitpunkt des Umzuges zumindest das Gesuch für eine neue Aufenthalts- oder Nie- derlassungsbewilligung im neuen Wohnkanton gestellt zu haben.18Die Stellung des Gesuchs vor dem Umzug ist aufgrund der örtlich begrenzten Geltung der Bewilligungen nötig, denn mit der Verlegung des Wohnorts in einen anderen Kanton verlässt der Betroffene den Geltungsbereich seiner «alten» Bewilligung.19 In der Praxis ist es aber – zumindest bei Personen mit einer Nie- derlassungsbewilligung – oft so, dass die Bewilligung im neuen Kanton erst zusammen mit der Anmeldung in der neuen Wohngemeinde beantragt wird. Dies entspricht den Erfahrungen ver- schiedener kantonaler Migrationsämter.20

1.1. Handhabung in der Praxis

[Rz 9] Im Kanton Zürich wird gemäss einem Entscheid der Rekursabteilung der Sicherheitsdi- rektion des Kantons Zürich vom Januar 201621 die Bestimmung des im Voraus eingereichten Kantonswechselgesuches bei Personen mit einer Aufenthaltsbewilligung als kumulative Voraus- setzung neben dem Nichtvorliegen eines Widerrufsgrundes und dem Nachgehen einer Erwerbs- tätigkeit (nicht arbeitslos sein) für einen Anspruch auf Bewilligung des Kantonswechsels gefor- dert. Im besagten Entscheid der Rekursabteilung wird ausgeführt, dass die drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein müssen; fehle es an einer Voraussetzung, bestehe kein Anspruch auf Bewil- ligung des Kantonswechsels. Erst wenn der neue Kanton den Kantonswechsel bewilligt und eine Aufenthaltsbewilligung für sein Kantonsgebiet erteilt habe, erlösche die frühere Aufenthaltsbe- willigung der gesuchstellenden Person (Art. 61 Abs. 1 lit. b AuG) und sei diese berechtigt, im

15 Dania Tremp, a.a.O., Art. 37, Rz. 30;Martina Caroni/Tobias Grasdorf-Meyer/Lisa Ott/Nicole Scheiber,a.a.O., S. 130.

16 Dania Tremp, a.a.O., Art. 37, Rz. 8; SEM, Weisungen und Erläuterungen Ausländerbereich (Weisungen AuG), Bern, Oktober 2013 (aktualisiert am 6. März 2017), abrufbar unter:https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/

rechtsgrundlagen/weisungen/auslaender/weisungen-aug-d.pdf(alle Websites zuletzt besucht am 10. März 2017), Ziff. 3.1.8.2.1, S. 63; vgl. auchBGE 126 II 265E. 2a.

17 Dania Tremp, a.a.O., Art. 37, Rz. 8.

18 Ebd.

19 Ebd.

20 Dania Tremp, a.a.O., Art. 37, Rz. 9.

21 Entscheid der Rekursabteilung der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich Nr. 2015.0312 vom 14. Januar 2016, S.

5 mit Verweisen auf die Urteile des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich VB.2013.00711 vom 22. Januar 2014 E.2 und VB.2012.00707 vom 23. Januar 2013 E. 3.3.

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neuen Kanton Wohnsitz zu nehmen. Somit müsse das Bewilligungsverfahren zwingend im an- gestammten Kanton abgewartet werden und es komme ein Kantonswechsel nur in Frage, wenn zum Zeitpunkt des Entscheides die Bewilligung im alten Kanton noch bestehe. Im konkreten Fall hielt die Rekursabteilung weiter fest, dass die gesuchstellende Person zwar noch vor Ablauf der Gültigkeitsdauer ihrer Bewilligung das Gesuch um Bewilligung des Kantonswechsels gestellt ha- be, aber zum Zeitpunkt des Entscheids des Migrationsamtes nicht mehr im Besitz einer gültigen Aufenthaltsbewilligung für den Herkunftskanton gewesen sei. Das Gesuch um Kantonswechsel sei daher bereits aus diesem Grund abzuweisen und es sei nicht zu prüfen, ob die gesuchstel- lende Person einen Anspruch auf Kantonswechsel, sondern ob sie einen solchen auf eine (neue) Aufenthaltsbewilligung habe.

[Rz 10] In einem Urteil vom Januar 201522hielt das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich fest, dass die Regelung, dass im Voraus eine entsprechende Bewilligung des neuen Kantons beantragt werden müsse, auch für Niedergelassene gelte, auch wenn sie in Art. 37 Abs. 1 AuG nicht nament- lich genannt würden. Die Bewilligung nach Art. 37 Abs. 1 AuG sei konstitutiver Natur. Erst wenn der neue Kanton den Kantonswechsel bewilligt und eine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewil- ligung für sein Kantonsgebiet erteilt habe, erlösche die frühere Bewilligung und die ausländische Person sei berechtigt, im neuen Kanton Wohnsitz zu nehmen. Somit müsse das Bewilligungsver- fahren im angestammten Kanton abgewartet werden. Die Beschwerde wurde schlussendlich aber nicht aufgrund des nicht im Voraus eingereichten Kantonswechselgesuchs abgewiesen, sondern weil ein Widerrufsgrund vorgelegen hatte.

[Rz 11] Das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau stellte in einem Urteil vom Juni 201423fest, dass das Gesuch um Kantonswechsel zwar im Voraus eingereicht werden müsse, ein vorgängi- ges Einverständnis des neuen Kantons jedoch nicht nötig sei. Wechsle ein Betroffener seinen Wohnsitz in den neuen Kanton, ohne sich um die Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung im bisherigen Kanton zu bemühen und werde ihm die Aufenthaltsbewilligung im neuen Kanton definitiv verweigert, habe er gegebenenfalls die daraus resultierende Konsequenz des Verlustes jeglicher Aufenthaltstitel in der Schweiz zu tragen, wenn die ursprüngliche Bewilligung zufolge Ablaufs der Gültigkeitsdauer erloschen sei.

[Rz 12] In zwei weiteren Urteilen, in welchen die betroffene Person das Kantonswechselgesuch nicht im Voraus gestellt hatte, liess das Verwaltungs- bzw. Rekursgericht des Kantons Aargau die Frage offen, ob das Gesuch nicht bereits früher hätte gestellt werden müssen.24

[Rz 13] Auch im Kanton Luzern muss das Bewilligungsverfahren betreffend Kantonswechsel zwingend im bisherigen Kanton abgewartet werden. In einem Entscheid des Justiz- und Sicher- heitsdepartementes des Kantons Luzern vom März 201525 wird festgehalten, dass, wenn der Wohnort (vorsätzlich oder fahrlässig) ohne erforderliche Bewilligung in einen anderen Kanton verlegt werde, dies eine verwaltungsstrafrechtliche Übertretung darstelle und der betroffene Aus- länder mit Busse bestraft werden könne (Art. 120 Abs. 1 lit. c AuG). Zudem könne die gesuchstel- lende Person in den alten Kanton weggewiesen werden, wenn der Kantonswechsel später verwei- gert werde. Die ursprüngliche Bewilligung bleibe in diesem Falle erhalten, erlösche diese doch

22 Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons ZürichVB.2014.00573vom 14. Januar 2015 E. 2.2.

23 Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau WBE.2012.1033 vom 30. Juni 2014 E. 2.3.

24 Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau WBE.2012.1012 vom 21. November 2013 E. 2.4; Urteil des Rekursgerichts des Kantons Aargau 1-BE.2010.53 vom 26. September 2012 E. 2.4.

25 Entscheid des Justiz- und Sicherheitsdepartementes des Kantons Luzern 2014-248 vom 18. März 2015 E. 3.2.

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nur, wenn im neuen Kanton der Kantonswechsel tatsächlich bewilligt werde (Art. 61 Abs. 1 lit. b AuG).

[Rz 14] Auch das Bundesgericht musste sich bisher nicht explizit dazu äussern. In einem neueren Urteil vom März 201626 hielt es am Ende seines Entscheides lediglich fest, dass es in erster Li- nie am Beschwerdeführer und seiner Familie gelegen hätte, gemäss der gesetzlichen Vorgabe im Voraus seine Aufenthaltsbewilligung des neuen Kantons zu beantragen (vgl. Art. 37 Abs. 1 AuG).

1.2. Kritische Würdigung

[Rz 15] Mit dieser Bestimmung wollte vom Gesetzgeber wohl erreicht werden, dass die gesuch- stellende Person im neuen Kanton nicht bereits Handlungen vornimmt, welche sie bei einer Ab- weisung des Gesuches vor erhebliche Schwierigkeiten stellen kann. In der Praxis zeigt sich ein solches Verhalten insbesondere dadurch, dass – bevor der Kantonswechsel überhaupt bewilligt wurde – im neuen Kanton bereits eine Wohnung gemietet wird und Kinder dort die Schule be- suchen. In der Literatur sowie der Rechtsprechung der verschiedenen Kantone wird jedenfalls in Übereinstimmung mit der gesetzlichen Regelung festgehalten, dass in der Schweiz aufent- haltsberechtige ausländische Personen sowie Personen mit einer Kurzaufenthaltsbewilligung das Kantonswechselgesuch im Voraus stellen müssen. Dies gilt auch für Personen mit einer Nieder- lassungsbewilligung, obwohl dies nicht explizit im Gesetz niedergeschrieben ist. In der migra- tionsrechtlichen Fachliteratur wird hingegen nicht ausdrücklich erwähnt, dass das im Voraus einzureichende Gesuch eine eigentliche Voraussetzung für eine Bewilligung des Kantonswech- sels darstellt. Insbesondere aus der Rechtsprechung des Kantons Zürich ergibt sich aber, dass das Erfordernis des im Voraus eingereichten Gesuches eine eigentliche Voraussetzung darstellen soll.

Diese Rechtsprechung wurde in der Folge von einzelnen anderen Kantonen übernommen, da in deren Urteilen immer wieder Formulierungen von rechtlichen Abhandlungen von Entscheiden des Kantons Zürich ersichtlich sind und dort häufig auch direkt auf Entscheide des Verwaltungs- gerichts des Kantons Zürich verwiesen wird. Ganz sicher scheint man sich bei diesem Vorgehen aber nicht zu sein, wird doch die Frage der Konsequenz des nicht im Voraus eingereichten Ge- suchs immer wieder offen gelassen bzw. wird dennoch weiter geprüft, ob ein Widerrufsgrund vorliegt, die gesuchstellende Person arbeitslos ist oder der gesuchstellenden Person im pflicht- gemässen Ermessen eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen ist. M.E. geht die Formulierung des Gesetzestextes jedenfalls nicht so weit, dass ein nicht im Voraus eingereichtes Gesuch um Kan- tonswechsel allein deswegen abgelehnt werden kann. Ein im Voraus eingereichtes Gesuch soll die gesuchstellende Person «lediglich» davor bewahren, nach einer Ablehnung des Gesuchs nicht wieder in den Vorkanton zurückkehren zu müssen, wenn sie – wie es in der Praxis häufig vor- kommt – bereits im neuen Kanton Wohnsitz genommen hat. Anders hat sich auch das Bundesge- richt in seinem neueren Entscheid vom März 201627nicht geäussert.

26 Urteil des Bundesgerichts2C_785/2015vom 29. März 2016 E. 4.5.

27 Urteil des Bundesgerichts2C_785/2015vom 29. März 2016.

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2. Nicht arbeitslos sein

[Rz 16] Die gesuchstellende Person darf nicht arbeitslos sein. Sie muss im Gesuch nachweisen können, dass sie über eine Arbeitsstelle verfügt. Sollte dies nicht der Fall sein, hat sie keinen An- spruch auf einen Kantonswechsel. Anders als bei Personen mit einer Niederlassungsbewilligung wird hier also eine gewisse berufliche Integration gefordert.28Allerdings hat eine Person mit ei- ner Aufenthaltsbewilligung gestützt auf Art. 38 AuG die Möglichkeit, in der gesamten Schweiz eine Arbeitsstelle zu suchen und eine solche auch anzutreten.29Sobald die Arbeit aufgenommen wird, ist ein überkantonaler Wohnortswechsel wiederum möglich, falls keine Widerrufsgründe gemäss Art. 62 AuG vorliegen.30Für Selbständigerwerbende gilt, dass sie im Bewilligungsgesuch nachweisen müssen, dass sie eine Erwerbstätigkeit ausüben und kein Fürsorgerisiko besteht.31 [Rz 17] Zu dieser Voraussetzung finden sich in den Entscheiden der kantonalen Verwaltungs- gerichte sowie den Bundesgerichtsentscheiden kaum nähere Ausführungen. Dies, obwohl Kon- stellationen auftreten können, für welche der Gesetzgeber keine Lösungen bereit hat. Wie ist es beispielsweise zu werten, wenn bei einem ausländischen Ehepaar nur eine Person erwerbstätig ist? Wie verhält es sich, wenn eine Person nicht arbeitsfähig ist? Wie steht es mit einer Person, die eine Lehre oder Ausbildung absolviert? Solche Konstellationen werden jeweils unter Berücksich- tigung des Einzelfalles sowie des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes entschieden werden müssen.

3. Keine Widerrufsgründe

[Rz 18] Gemäss Art. 37 Abs. 2 AuG haben Personen mit einer Aufenthaltsbewilligung Anspruch auf einen Kantonswechsel, wenn sie nicht arbeitslos sind und keine Widerrufsgründe (nach Art.

62 AuG) vorliegen.32 Über denselben Anspruch verfügen Niedergelassene, sofern keine Wider- rufsgründe gemäss Art. 63 AuG bestehen (Art. 37 Abs. 3 AuG).33

3.1. Falschangaben / Verschweigen wesentlicher Angaben

[Rz 19] Gemäss Art. 62 Abs. 1 lit. a AuG und 63 Abs. 1 lit. a AuG kann die zuständige Behörde Bewilligungen und andere Verfügungen nach diesem Gesetz widerrufen, wenn die Ausländerin oder der Ausländer oder ihr oder sein Vertreter im Bewilligungsverfahren falsche Angaben macht oder wesentliche Tatsachen verschwiegen hat.

3.2. Längerfristige Freiheitsstrafe

[Rz 20] Nach Art. 62 Abs. 1 lit. b AuG und Art. 63 Abs. 1 lit. a AuG i.V.m. Art. 62 Abs. 1 lit. b AuG kann die zuständige Behörde Bewilligungen und andere Verfügungen nach diesem Gesetz widerrufen, wenn die Ausländerin oder der Ausländer zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe

28 Dania Tremp, a.a.O., Art. 37, Rz. 20.

29 Ebd.

30 Ebd.

31 Ebd.

32 Peter Uebersax, a.a.O., Rz. 7.153.

33 Ebd.

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verurteilt wurde oder gegen sie eine strafrechtliche Massnahme im Sinne von Art. 59–61 oder 64 des Strafgesetzbuches (StGB) angeordnet wurde. Gemäss Art. 62 Abs. 2 AuG und Art. 63 Abs. 3 AuG ist ein Widerruf unzulässig, der nur damit begründet wird, dass ein Delikt begangen wurde, für das ein Strafgericht bereits eine Strafe oder Massnahme verhängt, jedoch von einer Landesverweisung abgesehen hat.34

3.3. Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung

[Rz 21] Gemäss Art. 62 Abs. 1 lit. c AuG kann die Aufenthaltsbewilligung widerrufen werden, wenn die Ausländerin oder der Ausländer erheblich oder wiederholt gegen die öffentliche Sicher- heit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstossen hat oder diese gefährdet oder die innere oder die äussere Sicherheit gefährdet. Ein Widerruf der Niederlassungsbewilligung i.S.v.

Art. 63 Abs. 1 lit. b AuG bedingt, dass ein solcher Verstoss «in schwerwiegender Weise» erfolgt ist.

3.4. Nichteinhalten einer mit der Verfügung verbundenen Bedingung

[Rz 22] Nach Art. 62 Abs. 1 lit. d AuG kann die zuständige Behörde Bewilligungen, ausgenom- men die Niederlassungsbewilligung, und andere Verfügungen nach diesem Gesetz widerrufen, wenn die Ausländerin oder der Ausländer eine mit der Verfügung verbundene Bedingung nicht einhält. Die zuständigen Behörden verbinden die Aufenthaltsbewilligung regelmässig mit einem Aufenthaltszweck (z.B. eheliche Gemeinschaft, Erwerbstätigkeit, Studium, medizinische Behand- lung usw.), welcher eine Bedingung im Sinne von Art. 33 Abs. 2 AuG darstellt.

3.5. Sozialhilfebezug

[Rz 23] Gemäss Art. 62 Abs. 1 lit. e AuG kann die zuständige Behörde Bewilligungen, ausgenom- men die Niederlassungsbewilligung, und andere Verfügungen nach diesem Gesetz widerrufen, wenn die Ausländerin oder der Ausländer oder eine Person, für die sie oder er zu sorgen hat, auf Sozialhilfe angewiesen ist. Der Widerruf der Niederlassungsbewilligung gemäss Art. 63 Abs. 1 lit. c AuG setzt voraus, dass die Ausländerin oder der Ausländer oder eine Person, für die sie oder er zu sorgen hat, dauerhaft und in erheblichem Mass auf Sozialhilfe angewiesen ist.

3.6. Kritische Würdigung

[Rz 24] Zu den verschiedenen Widerrufsgründen gibt es eine umfassende bundesgerichtliche Rechtsprechung. In der Praxis stellt daher die Frage, ob die objektiven Voraussetzungen eines Widerrufsgrundes erfüllt sind, kein grosses Problem dar und ermöglicht eine einheitliche An- wendung in den Kantonen. Nicht absehbar sind die Folgen im Zusammenhang mit dem Wi- derrufsgrund der längerfristigen Freiheitsstrafe, welcher aufgrund der am 1. Oktober 2016 in Kraft getretenen Landesverweisung durch die Strafgerichte an Bedeutung verlieren dürfte. Die praktischen Auswirkungen werden sich erst im Laufe der Zeit zeigen, da die neuen gesetzli- chen Bestimmungen sehr viele Fragen offen lassen und daher durch die kantonale und bundes-

34 Vgl. Art. 66a und b StGB.

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gerichtliche Rechtsprechung geklärt werden müssen. Schliesslich ist auch die Frage nicht geklärt, ob eine ausländische Person, welche im Rahmen der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ei- ne Integrationsvereinbarung abschliessen musste und sich in der Folge nicht daran hält, einen Widerrufsgrund setzt, weil diese damit eine Bedingung der Bewilligungserteilung nicht einhält.

Diesbezüglich ist jedenfalls in gesetzgeberischer Hinsicht geplant, einen neuen Widerrufsgrund zu schaffen. So sollen gemäss E-Art. 62 Abs. 1 lit. f AuG Bewilligungen, ausgenommen die Nieder- lassungsbewilligung, und andere Verfügungen nach diesem Gesetz widerrufen werden können, wenn die Ausländerin oder der Ausländer eine Integrationsvereinbarung ohne entschuldbaren Grund nicht einhält.35

4. Verhältnismässigkeit

[Rz 25] Kumulativ zum Vorliegen eines Widerrufsgrundes muss der Widerruf der bisherigen Bewilligung tatsächlich verhältnismässig und zumutbar sein.36 Der Kantonswechsel kann auch dann verweigert werden, wenn der bisherige Wohnkanton – trotz Vorliegens eines Widerrufs- grundes – den Entzug der Aufenthaltsbewilligung einzig angedroht oder überhaupt nicht geprüft hat.37

[Rz 26] Diesbezüglich hielt das Bundesgericht erstmals in seinem Entscheid vom Oktober 197938 Folgendes fest: «Es wird häufig vorkommen, dass der frühere Niederlassungskanton seine Bewil- ligung nicht widerruft, so dass der Ausländer jederzeit in den früheren Kanton zurückkehren könnte. Es geht indessen nicht an, die Niederlassungsbewilligung im neuen Kanton mit der Be- gründung zu verweigern, dass zwar die Ausweisung aus der Schweiz nach den Umständen eine unzumutbare Härte für den Betroffenen darstellen würde, dass die Ausweisung aus dem neu- en Kanton aber nicht unangemessen sei, weil der Gesuchsteller im bisherigen Niederlassungs- kanton bleiben könne; denn stets muss ein Ausweisungsgrund aus der Schweiz gegeben sein.

Vorausgesetzt werden also Gründe, welche den Widerruf oder das Erlöschen der ursprünglichen Niederlassungsbewilligung rechtfertigen würden. Das bedeutet nicht, dass die Verweigerung der Niederlassungsbewilligung in einem neuen Kanton die Ausweisung aus dem bisherigen Nieder- lassungskanton voraussetzt. Wenn ein Kanton eine Ausweisung schon Niedergelassener nicht ausspricht, obwohl die Voraussetzungen dazu gegeben wären, kann deswegen ein anderer Kan- ton nicht verpflichtet werden, seinerseits eine Niederlassungsbewilligung zu erteilen».

[Rz 27] Diese Praxis des Bundesgerichts hat bis heute Gültigkeit. Im Entscheid vom März 201639 hält es weiterhin fest, dass die Bewilligung im neuen Kanton nicht allein mit der Begründung verweigert werden könne, dass der Gesuchsteller im bisherigen Bewilligungskanton verbleiben könne. Vielmehr müsse ein Widerrufsgrund gegeben sein, der eine Wegweisung aus der Schweiz rechtfertigen würde. Vom neuen Kanton sei deshalb zu prüfen, ob ein Widerrufsgrund gegeben sei und eine Wegweisung aus der Schweiz verhältnismässig wäre.

35 Vgl.BBl 2016 8899, 8906.

36 Vgl.Dania Tremp, a.a.O., Art. 37, Rz. 21;BBl 2002 3709, 3790.

37 Dania Tremp, a.a.O., Art. 37, Rz. 21.

38 BGE 105 Ib 234; vgl. auchBGE 101 Ib 225.

39 Urteil des Bundesgerichts2C_785/2015vom 29. März 2016 E. 4.1.

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4.1. Handhabung in der Praxis

[Rz 28] Obwohl sich das Bundesgericht bereits vor langer Zeit klar dazu geäussert hat, dass an- lässlich der Prüfung des Kantonswechsels zu prüfen sei, ob eine Wegweisung aus der Schweiz verhältnismässig wäre, ist in der kantonalen Rechtsprechung kein einheitliches Vorgehen ersicht- lich.

[Rz 29] Im Kanton Solothurn wird anlässlich des Kantonswechsels geprüft, ob es verhältnismässig und der gesuchstellenden Person zumutbar wäre, wieder ins Heimatland zurückzukehren.40Dies gilt ebenfalls für den Kanton Zürich41und den Kanton Bern.42

[Rz 30] Hingegen wird im Kanton Luzern keine diesbezügliche Prüfung vorgenommen. Es wird zwar geprüft, ob die jeweils im Einzelfall vorzunehmende Interessenabwägung den Widerruf einer Bewilligung verhältnismässig erscheinen lässt. Diese Prüfung bezieht sich aber lediglich darauf, ob die Rückkehr in den Vorkanton zumutbar ist.43

[Rz 31] Im Kanton Aargau wird eine Verhältnismässigkeitsprüfung betreffend einer Wegweisung aus der Schweiz vorgenommen, wobei die gesuchstellende Person anlässlich der Verweigerung des Kantonswechsels aber auch mehrheitlich gleichzeitig aus der Schweiz weggewiesen wird.44In einem Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom Februar 201445, in welchem die gesuchstellende Person anlässlich einer Kantonswechselprüfung «nur» in den Vorkanton weg- gewiesen wurde, prüfte es lediglich die Zumutbarkeit der Wegweisung in den Vorkanton. Dabei hielt das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau fest, dass mit Blick auf die Bemessung des pri- vaten Interesses an der Bewilligung des Kantonswechsels zu beachten sei, dass zwar ein Grund für den Widerruf der Niederlassungsbewilligung vorliegen müsse, hier aber lediglich über einen Kantonswechsel zu entscheiden sei. Bei einer Verweigerung des Kantonswechsels stehe deshalb nicht die Niederlassungsbewilligung und damit der Aufenthalt in der Schweiz an sich in Fra- ge, sondern lediglich die Verweigerung der Niederlassungsbewilligung im Kanton Aargau. Der Beschwerdeführer müsse die Schweiz nicht verlassen, wenn der Kantonswechsel nicht bewilligt werde. Er könne vielmehr in seinen Ursprungskanton zurückkehren, denn seine Niederlassungs- bewilligung des Vorkantons sei gemäss Art. 61 Abs. 2 AuG durch den Umzug in einen anderen Kanton nicht erloschen. Im Rahmen der Interessenabwägung sei daher lediglich zu berücksichti- gen, dass sich der Beschwerdeführer im Falle der Verweigerung des Kantonswechsels im Kanton Aargau nicht frei niederlassen könne. Dass im Rahmen der persönlichen Interessen lediglich die Rückkehr in den Ursprungskanton in der Interessenabwägung zu berücksichtigen sei, ergebe sich auch aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach der Gesetzgeber die Weiterzugsmög-

40 Urteile des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn VWBES.2015.466 vom 2. März 2016 E.2.2 und E.4; VW- BES.2014.106 vom 20. Juli 2014 E. 2.2 und E. 6.

41 Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons ZürichVB.2014.00573vom 14. Januar 2015 E. 3.3 und 3.9; Entscheide der Rekursabteilung der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich 2015/0019/2015.0047 vom 6. Januar 2016 E. 4c und E. 6.

42 Entscheid der Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern BD 240/11 vom 13. August 2012 E. 4a bis c.

43 Urteile des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern V 12 182 vom 17. Januar 2013 E. 6; V 11 7 vom 14. November 2011 E. 4c.

44 Urteile des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau WBE.2012.1033 vom 30. Juni 2014, WBE.1012 vom 21. No- vember 2013; Urteile des Rekursgerichts des Kantons Aargau 1-BE.2010.53 vom 26. September 2012, 1-BE.2011.5 vom 22. März 2012.

45 Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau WBE.2013.123 vom 28. Februar 2014 E. 2.2 und E. 4.3.

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lichkeit [an das Bundesgericht] bei Entscheiden über den Kantonswechsel deshalb ausgeschlossen habe, weil der Aufenthalt in der Schweiz als solcher nicht in Frage gestellt sei.

4.2. Kritische Würdigung

[Rz 32] Die Frage, ob eine Wegweisung aus der Schweiz für die gesuchstellende Person verhält- nismässig wäre, führt bei der Prüfung eines Kantonswechsels für die Migrationsämter zu einem grossen Abklärungsaufwand. Insbesondere bei Personen, die bereits sehr lange in der Schweiz leben, an gesundheitlichen Beeinträchtigungen leiden oder minderjährige Kinder in der Schweiz haben, ist von den Migrationsämtern eine umfassende Verhältnismässigkeitsprüfung vorzuneh- men. Zudem muss das in Art. 8 ERMK statuierte Recht auf Familie berücksichtigt werden, wenn der Gesuchsteller zusammen mit seiner Familie den Kanton wechseln will, da geprüft werden muss, ob bei einer Wegweisung aus der Schweiz die Trennung der Familie verhältnismässig wäre.

Nicht selten erfordern die Verfügungen betreffend Nichtbewilligung des Kantonswechsels einen genauso grossen Begründungsaufwand wie Verfügungen betreffend Nichtverlängerung / Wider- ruf einer Bewilligung verbunden mit der Wegweisung aus der Schweiz. Diese Problematik wird im nachfolgenden Kapitel IV unter Ziff. 3 noch vertieft abgehandelt und ein möglicher Lösungs- weg aufgezeigt.

IV. Sonderfragen

1. Kantonswechsel und Erteilung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts

[Rz 33] Eine in der Schweiz aufenthaltsberechtigte Person, die im Rahmen des Familiennach- zuges in die Schweiz eingereist ist, muss für einen Anspruch auf die Erteilung und Verlänge- rung ihrer Aufenthaltsbewilligung mit ihrem Ehepartner zusammenwohnen (Art. 42 und Art. 43 AuG). Wenn diese Voraussetzung wegfällt, besteht gestützt auf die obgenannten Artikel grund- sätzlich kein Anspruch mehr auf die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung.46Die Auflösung der ehelichen Haushaltsgemeinschaft bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass die ausländische Person keine Möglichkeit mehr hat, in der Schweiz verbleiben zu können. Gemäss Art. 50 Abs. 1 AuG besteht nach Auflösung der Ehe oder der Familiengemeinschaft der Anspruch des Ehegat- ten und der Kinder auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung nach den Art.

42 AuG und Art. 43 AuG weiter, wenn die Ehegemeinschaft mindestens drei Jahre bestanden hat und eine erfolgreiche Integration besteht (lit. a) oder wichtige persönliche Gründe einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen (lit. b). Nach Art. 50 Abs. 2 AuG können wichtige persönliche Gründe nach Abs. 1 lit. b namentlich vorliegen, wenn die Ehegattin oder der Ehegat- te Opfer ehelicher Gewalt wurde oder die Ehe nicht aus freiem Willen geschlossen hat oder die soziale Wiedereingliederung im Herkunftsland stark gefährdet erscheint.

[Rz 34] Die Erteilung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts muss – auch im Zusammenhang mit einem Kantonswechsel – gemäss Art. 99 AuG i.V.m. Art. 85 Abs. 2 VZAE und Art. 4 lit. d der Verordnung des EJPD über die dem Zustimmungsverfahren unterliegenden ausländerrechtlichen Bewilligungen und Vorentscheide (SR 142.201.1) dem Staatssekretariat für Migration (SEM, frü-

46 Vgl. aber Art. 49 AuG.

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her Bundesamt für Migration, BFM) zur Zustimmung unterbreitet werden, falls die Ausländerin oder der Ausländer nicht aus einem Mitgliedstaat der EU oder der EFTA stammt.

[Rz 35] Die Auflösung der ehelichen Haushaltsgemeinschaft stellt regelmässig einen Grund dar, dass eine ausländische Person ihren Wohnsitz in einen neuen Kanton verlegen will. In diesen Konstellationen ist jedoch der Widerrufsgrund gemäss Art. 62 Abs. 1 lit. d AuG erfüllt, da sie eine mit der Verfügung verbundene Bedingung nicht mehr einhält.

[Rz 36] Bei dieser Konstellation stellt sich die Frage, welches Migrationsamt für die Prüfung ei- nes eigenständigen Aufenthaltsrechts gestützt auf Art. 50 AuG zuständig ist, wenn die vom Ehe- partner getrennte ausländische Person um Kantonswechsel ersucht. Es besteht nun einerseits die Möglichkeit, dass diese Frage zusammen mit dem Kantonswechselgesuch vom neuen Migrations- amt geprüft wird. Das neue Migrationsamt kann sich andererseits aber auch auf den Standpunkt stellen, dass der Vorkanton für diese Prüfung zuständig ist und die ausländische Person nach ei- ner Ablehnung des Kantonswechsels im Vorkanton um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung bzw. Erteilung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts ersuchen muss. Eine gesetzliche Regelung, welche das zuständige Migrationsamt für diese Prüfung bestimmt, gibt es nicht. Ebenfalls finden sich dazu in den Fachkommentaren zum Migrationsrecht keine Abhandlungen und auch das Bundesgericht musste sich zu dieser Problematik bisher nicht äussern.

1.1. Handhabung in der Praxis

[Rz 37] Das Migrationsamt Solothurn stellte sich längere Zeit auf den Standpunkt, dass ein Kan- tonswechsel nur bewilligt wird, wenn einer getrennt lebenden oder geschiedenen Person, welche um Kantonswechsel ersucht, bereits vom Vorkanton ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach Art. 50 AuG erteilt worden ist. Diese Praxis musste jedoch aufgrund eines Urteils des Verwal- tungsgerichts des Kantons Solothurn vom November 201247geändert werden. Das Verwaltungs- gericht hielt in seinem Entscheid fest, dass im besagten Fall nicht von vornherein ausgeschlossen sei, dass bei gegebener Integration eine eigenständige Aufenthaltsbewilligung nach Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG erteilt werden könne. Die Migrationsbehörde stelle sich auf den Standpunkt, es obliege dem Vorkanton, diese Voraussetzungen zu prüfen. Diese Auffassung könne insofern nicht geteilt werden, als diese Beurteilung im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung vorzunehmen sei.

Ergebe sich, dass die Voraussetzungen für eine Neuerteilung der Aufenthaltsbewilligung gege- ben seien, könne diese vom Kanton Solothurn ausgesprochen werden. Erweise sich indes ein Wi- derruf bzw. eine Nichtverlängerung als verhältnismässig, könne das Gesuch um Kantonswechsel immer noch abgewiesen und der Beschwerdeführer in den Vorkanton zurückgewiesen werden.

[Rz 38] In einem Urteil vom Juni 201448hielt das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau dazu Folgendes fest: «Ausländische Personen mit Aufenthaltsbewilligung haben nach dem Gesagten zwar einen gesetzlichen Anspruch auf Kantonswechsel. Dieser Anspruch verhält sich jedoch ak- zessorisch zur ursprünglichen Bewilligung. Dies bedeutet, dass der neue Kanton einer auslän- dischen Person, welche den Kantonswechsel vorgängig beantragt hat, deren Aufenthaltsbewil- ligung jedoch zwischenzeitlich abgelaufen ist, die Erteilung der Bewilligung aus den gleichen

47 Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn VWBES.2012.311 vom 16. November 2012 E. 2.4 und 2.5.

48 Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau WBE.2012.1033 vom 30. Juni 2014 E. 2.2; vgl. auch Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau WBE.2012.1012 vom 21. November 2013 E. 2.4; Urteil des Rekursge- richts im Ausländerrecht 1-BE.2010.53 vom 26. September 2012 E.2.2–2.4.

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Gründen verweigern kann, aus denen der ursprüngliche Bewilligungskanton von einer Verlän- gerung hätte absehen dürfen. Kommt die zuständige Behörde in einer solchen Konstellation zum Schluss, dass die mit dem Kantonswechselgesuch beantragte Aufenthaltsbewilligung zu verwei- gern ist, besteht auch kein Anspruch (mehr) auf Kantonswechsel nach Art. 37 AuG. Ergibt die Prüfung hingegen, dass der ursprüngliche Kanton die Bewilligung hätte verlängern müssen bzw.

ist die Person noch im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung, so darf der Kantonswechsel durch den neuen Kanton nur aus den in der letztgenannten Bestimmung aufgezählten Gründen verweigert werden.»

[Rz 39] Im Kanton Zürich hält die Rekursabteilung der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich in einem Entscheid vom Januar 201649 Folgendes fest: «Das Gesuch des Rekurrenten um Kan- tonswechsel ist bereits aus diesem Grund [Rekurrent war zum Zeitpunkt des Entscheides des Migrationsamtes nicht mehr im Besitz einer gültigen Aufenthaltsbewilligung] abzuweisen und es ist nicht zu prüfen, ob er einen Anspruch auf Kantonswechsel, sondern ob er einen solchen – namentlich im Hinblick auf seine aufgelöste Ehe und seine zwei Kinder – auf eine (neue) Auf- enthaltsbewilligung hat». In einem Entscheid vom Juni 201450 führte das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich aus, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Ent- scheids über den Kantonswechsel über keine gültige Aufenthaltsbewilligung mehr verfügte und deshalb ihr Gesuch um Kantonswechsel abzuweisen sei. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn aufgrund der Aktenlage von einer routinemässigen Verlängerung der Aufenthaltsbewilli- gung auszugehen wäre, was nachfolgend zu prüfen sei.

[Rz 40] Anders scheint es der Kanton Basel-Stadt zu handhaben, da dieser die ausländischen Personen zur Prüfung der Erteilung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts in den Vorkanton verweist.51

1.2. Kritische Würdigung

[Rz 41] Je nach Konstellation kann die Prüfung anlässlich eines Kantonswechsels, ob der ge- suchstellenden Person ein Aufenthaltsanspruch nach Art. 50 AuG zukommt, zu einem grossen Mehraufwand für die betroffenen Migrationsämter führen. Relativ unproblematisch ist noch der Fall, wenn eine geschiedene, kinderlose und erfolgreich integrierte ausländische Person um Kan- tonswechsel ersucht. Für die Prüfung eines Anspruches gestützt auf Art. 50 AuG ergibt sich meis- tens aus den edierten Akten des Vorkantons, ob die eheliche Haushaltsgemeinschaft drei Jahre in der Schweiz gelebt worden ist. Betreffend die Abklärung einer erfolgreichen Integration werden Unterlagen wie Betreibungsregisterauszug und eine Bestätigung, dass keine Sozialhilfe bezogen worden ist, oft bereits mit dem Gesuch um Kantonswechsel verlangt oder können vom Migrati- onsamt von Amtes wegen im Vorkanton verhältnismässig einfach erhältlich gemacht werden.

[Rz 42] Schwierigkeiten ergeben sich bereits in einem ähnlich gelagerten Fall, wenn die gesuch- stellende Person aber nicht geschieden, sondern lediglich getrennt ist und die Trennung vom Ehepartner erst vor kurzem erfolgt ist. Ein Anspruch gestützt auf Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG setzt voraus, dass die Ehe «aufgelöst» worden ist, wovon nicht bereits nach einer Trennungsdauer von

49 Entscheid der Rekursabteilung der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich Nr. 2015.0312 vom 14. Januar 2016 E. 2 d.

50 Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons ZürichVB.2014.00172vom 4. Juni 2014 E. 3.3.

51 Urteil des Bundesgerichts2C_906/2015vom 22. Januar 2016 Sachverhalt lit. A.b. und E. 3.2.

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einigen Wochen ausgegangen werden kann. Praxisgemäss kommt es immer wieder vor, dass die Eheleute nach einer mehrwöchigen oder auch mehrmonatigen Auszeit die eheliche Haushaltsge- meinschaft wieder aufnehmen. Gleichzeitig hat die gesuchstellende Person nach der Trennung aber keinen Anspruch mehr gestützt auf Art. 42 AuG bzw. Art. 43 AuG, da die Voraussetzung des ehelichen Zusammenlebens fehlt. Während dieser Zeit ist es daher gar nicht möglich, das Gesuch um Kantonswechsel weiter zu bearbeiten. Erst nach einer gewissen Zeit – angemessen scheinen rund 6 Monate zu sein – können Abklärungen zur aktuellen ehelichen Situation getätigt werden.

Danach kann das Gesuch um Kantonswechsel wieder weiter bearbeitet werden.

[Rz 43] In Fällen, in denen es während der Ehe zu längeren und mehrmaligen Auflösungen der ehelichen Haushaltsgemeinschaft gekommen ist, ist weiter zu prüfen, ob das Ehepaar während den gesetzlich geforderten drei Jahren in einer ehelichen Haushaltsgemeinschaft zusammen ge- lebt hat. Wenn die genaue Zeit des Zusammenlebens nicht aus den Akten hervorgeht, müssen beide Ehepartner schriftlich oder in Ausnahmefällen auch mündlich befragt werden.

[Rz 44] In anderen Fällen, in denen der Sachverhalt umfassend festgestellt werden muss und sich die Informationsbeschaffung im Vorkanton bei den zuständigen Stellen – welche erst ausfindig gemacht werden müssen – nicht immer einfach gestaltet, kann diese Prüfung zu einem sehr gros- sen Mehraufwand führen. Dies betrifft z.B. Fälle, in denen gemeinsame Kinder vorhanden sind.

Ein ausländischer Staatsangehöriger kann sich gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung auf einen persönlichen nachehelichen Härtefall gestützt auf Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG (i.V.m. Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten [EMRK]) berufen, wenn in wirtschaftlicher und affektiver Hinsicht eine besonders enge Beziehung zum Kind besteht, diese wegen der Distanz zum Heimatland des Ausländers praktisch nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte und das bisherige Verhalten des Betroffenen in der Schweiz zu keinerlei Klagen Anlass gegeben hat.52 Die notwendigen Feststellungen, ob die gesuchstellende Person ihr Kind regelmässig sieht bzw. das Besuchsrecht wahrnimmt und die Unterhaltsbeiträge leistet bzw. auch ohne solche ihr Kind im Rahmen ihrer Möglichkeiten finanziell unterstützt, benötigt einen gros- sen Abklärungsaufwand. Weiter führen auch Hinweise auf das Vorliegen von häuslicher Gewalt zu umfassenden Abklärungen und können zu umfangreichen Entscheiden führen. Das Rekurs- gericht des Kantons Aargau handelte z.B. in einem Urteil betreffend Kantonswechsel vom März 201253 die Frage, ob die gesuchstellende Person Opfer häuslicher Gewalt wurde, in sechs Seiten ihres 33 Seiten umfassenden Urteils betreffend Kantonswechsel ab. Der Sachverhalt des Falles selber war überschaubar, reiste die gesuchstellende Person doch erst im August 2008 im Rahmen des Familiennachzuges in die Schweiz ein, trennte sich bereits im November 2008 von ihrem Ehe- mann und meldete sich zusammen mit ihrer Tochter im August 2009 im Kanton Aargau an. Im April 2010 verfügte das Migrationsamt des Kantons Aargau, dass der Gesuchstellerin und ihrer Tochter der Kantonswechsel nicht bewilligt werde. Zusätzliche umfangreiche Ausführungen er- forderte in diesem Fall noch die Prüfung, ob eine enge affektive Beziehung zum gemeinsamen Kind vorliegt, welches zudem an gesundheitlichen Beschwerden litt und daher eine umfangrei- che Abklärung erforderte, ob eine Wegweisung in das Heimatland zumutbar wäre.

[Rz 45] Da die gesuchstellenden Personen ihre Gesuche um Kantonswechsel häufig nicht im Vor- aus einreichen und daher anlässlich der Gesuchprüfung bereits im neuen Kanton wohnen, muss

52 Urteil des Bundesgerichts2C_171/2009vom 3. August 2009 E. 2.2.

53 Urteil des Rekursgerichts des Kantons Aargau 1-BE.2011.5 vom 22. März 2012.

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m.E. der neue Kanton für eine solche Prüfung zuständig sein, auch wenn dies für die Migrati- onsämter einen (sehr) grossen Aufwand für «nur» die Prüfung eines Kantonswechsels bedeuten kann. Zu stossend wäre im umgekehrten Fall das Ergebnis – wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts klarerweise erfüllt wären – von der gesuchstel- lenden Person zu verlangen, in den Vorkanton zurückzukehren, dort um Verlängerung der Auf- enthaltsbewilligung bzw. um Erteilung eines eigenständigen Aufenthaltsrecht zu ersuchen und nach Erhalt der Bewilligung im neuen Kanton erneut ein Gesuch um Kantonswechsel zu stellen.

2. Ablauf der Gültigkeit der Aufenthaltsbewilligung während eines hän- gigen Kantonswechselgesuchs

[Rz 46] Je nach Zeitpunkt der Einreichung eines Gesuchs um Kantonswechsels kann es vorkom- men, dass die Aufenthaltsbewilligung einer ausländischen Person – welche häufig eine Gültig- keitsdauer von einem Jahr hat – während des hängigen Verfahrens im neuen Kanton abläuft.

2.1. Handhabung in der Praxis

[Rz 47] Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hielt in einem Entscheid vom Juni 201454 fest, dass die gesuchstellende Person zwar bei Gesuchseinreichung noch über eine (zumindest formell) gültige Aufenthaltsbewilligung verfügt habe, jedoch auch die im Entscheidzeitpunkt bestehende Sachlage massgebend sei. Verliere die gesuchstellende Person während des hängigen Verfahrens ihre Aufenthaltsbewilligung, könne ihr der Kantonswechsel gestützt auf Art. 37 Abs. 2 AuG nicht mehr bewilligt werden. Dasselbe gelte, wenn ihre Bewilligung mittlerweile abgelaufen sei. Sie habe deshalb dafür besorgt zu sein, dass ihre Aufenthaltsbewilligung von den Behörden des Ursprungkantons verlängert werde, bis über den Kantonswechsel entschieden worden sei. Im vorliegenden Fall habe die Beschwerdeführerin nicht rechtzeitig im Vorkanton um die Verlänge- rung ihrer Aufenthaltsbewilligung ersucht, sodass ihre dortige Aufenthaltsbewilligung am 13.

Juni 2013 abgelaufen sei. Somit verfügte sie auch zum Zeitpunkt des Zürcher Entscheides über den Kantonswechsel (9. Juli 2013) über keine gültige Aufenthaltsbewilligung mehr. Deshalb sei ihr Gesuch um einen Kantonswechsel abzuweisen, zumal ein wegen der eingelegten Rechtsmittel lediglich tolerierter, prekärer Aufenthalt die in Art. 37 Abs. 2 AuG vorausgesetzte Aufenthaltsbe- willigung nicht zu ersetzen vermag. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn aufgrund der Aktenlage von einer routinemässigen Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung auszugehen wäre [. . . ]. Auch die Rekursabteilung der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich hielt in einem neue- ren Entscheid vom Januar 201655fest, dass die gesuchstellende Person dafür besorgt zu sein habe, dass ihre Aufenthaltsbewilligung von den Behörden des Ursprungkantons verlängert werde, bis über den Kantonswechsel entschieden worden sei.

[Rz 48] Einem Urteil des Bundesgerichts vom Januar 201656lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Der Beschwerdeführer reiste im Rahmen des Familiennachzuges in die Schweiz ein und erhielt

54 Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons ZürichVB.2014.00172vom 4. Juni 2014 E. 3.3 f. mit Hinweis auf die Urteile des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich VB.2013.00711 vom 22. Januar 2014 E. 2.2 und VB.2010.00053 vom 2. Juni 2010 E. 2.2.

55 Entscheid der Rekursabteilung der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich 2015.0312 vom 14. Januar 2016 E. 2c.

56 Urteil des Bundesgerichts2C_906/2015vom 22. Januar 2016 Sachverhalt lit. A bis B und E. 3.2.

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im Kanton Zürich eine Aufenthaltsbewilligung, welche ihm letztmals im Juni 2012 mit einer Gültigkeitsdauer bis am 14. Juli 2013 verlängert wurde. Im Februar 2013 meldete sich der Be- schwerdeführer vom Kanton Zürich in den Kanton Basel-Stadt ab und reichte dort ebenfalls im Februar 2013 beim Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt ein Gesuch um Kantonswechsel ein.

Dieses machte ihn mit Schreiben vom Juli 2013 auf das Erlöschen der Aufenthaltsbewilligung im Kanton Zürich aufmerksam und verwies ihn zur weiteren Regelung seines Aufenthalts an das zuständige Migrationsamt des Kantons Zürich. Es wies sodann das Gesuch mit Verfügung vom 30. Juni 2014 ab, verbunden mit der Aufforderung, das Kantonsgebiet sei bis am 31. Juli 2014 zu verlassen. Nachdem das Migrationsamt des Kantons Zürich den Beschwerdeführer mit Schreiben vom März 2014 darauf hingewiesen hatte, dass er über keine gültige Aufenthaltsbe- willigung verfügte, reichte dieser im April 2014 ein Gesuch um Verlängerung seiner Bewilligung ein. In der Folge verweigerte das Migrationsamt des Kantons Zürich die (Wieder-) Erteilung der Aufenthaltsbewilligung.

[Rz 49] In seinen Erwägungen hielt das Bundesgericht fest, dass der Beschwerdeführer am 26. Fe- bruar 2013, mithin bereits vor Ablauf seiner Bewilligung, im Kanton Basel-Stadt ein Gesuch um Kantonswechsel gestellt hatte. Wohl habe der Kanton Basel-Stadt mit Schreiben vom 19. Juli 2013 dem Beschwerdeführer mitgeteilt, eine allfällige Prüfung einer Aufenthaltsbewilligung nach Art.

50 Abs. 1 lit. a AuG falle in den Zuständigkeitsbereich des bisherigen Wohnkantons. Dabei han- delte es sich jedoch nicht um eine rechtsverbindliche Anordnung, sondern erst um eine Mittei- lung im Rahmen der Gewährung des rechtlichen Gehörs, wobei auch darauf hingewiesen wurde, dass bei einem Rückzug des Gesuchs das Verfahren ohne Kostenfolgen abgeschrieben würde. Of- fenbar hat der Beschwerdeführer sein Gesuch nicht zurückgezogen, weshalb am 30. Juni 2014 – beinahe ein Jahr später – die Verfügung der Basler Behörden erging, in welcher das Gesuch um Kantonswechsel abgewiesen und wiederum festgehalten wurde, die Prüfung einer Aufenthalts- bewilligung nach Art. 50 AuG falle in den Zuständigkeitsbereich des bisherigen Wohnkantons.

Unter diesen Umständen sei nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer während der Hängig- keit seines Gesuchs im Kanton Basel-Stadt vorerst nicht auch ein Verlängerungsgesuch im Kanton Zürich stellte. Denn falls der Kanton Basel-Stadt eine Bewilligung erteilt hätte, wäre ein Gesuch in Zürich sinnlos gewesen, da ein Ausländer nur in einem Kanton eine Aufenthaltsbewilligung besitzen könne (Art. 66 VZAE). Sodann könne dem Beschwerdeführer die (über) lange Dauer des baslerischen Gesuchsverfahrens nicht vorgeworfen werden.57

2.2. Kritische Würdigung

[Rz 50] Dass die zürcherischen Behörden sowie deren Verwaltungsgericht darauf bestehen, dass sich die gesuchstellende Person im Vorkanton um die Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung bemühen muss, ist nicht nachvollziehbar. In diesem Sinne hält auch das Bundesgericht in seinem Entscheid vom Januar 2016 zu Recht fest, dass eine solche Gesucheinreichung «sinnlos» sei. Es wird in der Praxis auch kaum ein Migrationsamt eines Vorkantons die Aufenthaltsbewilligung einer Person verlängern, die nicht mehr in diesem Kanton wohnhaft ist. Sollte während eines hängigen Kantonswechselverfahrens die Gültigkeit der Aufenthaltsbewilligung ablaufen, wird anlässlich der Bewilligung des Kantonswechsels auch die Aufenthaltsbewilligung verlängert. Al-

57 Das Bundesgericht hat sich in diesem Entscheid nicht dazu geäussert, welches Migrationsamt für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG zuständig sein soll (vgl. Kapitel 4 Ziff. 1).

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les andere erscheint m.E. als nicht praxistauglich. Zudem stellt sich die Frage, ob diese strenge Handhabung der Formvorschriften nicht gegen das Verbot des überspitzten Formalismus ver- stösst. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist überspitzter Formalismus gegeben, wenn die strikte Anwendung von Formvorschriften durch keine schutzwürdigen Interessen gerecht- fertigt ist, zum blossen Selbstzweck wird und die Verwirklichung des materiellen Rechts in un- haltbarer Weise erschwert oder verhindert.58 Somit muss von einer überspitzt formalistischen Vorgehensweise gesprochen werden, wenn von der gesuchstellenden Person verlangt wird, wäh- rend eines hängigen Kantonswechselgesuches um die Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung im Vorkanton zu ersuchen.

3. Ablehnung des Kantonswechsels verbunden mit der Wegweisung aus der Schweiz

[Rz 51] Wenn anlässlich einer Prüfung des Kantonswechsels festgestellt wird, dass die Vorausset- zungen gemäss Art. 37 AuG nicht erfüllt sind und der gesuchstellenden Person auch sonst keine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden kann, stellt sich die Frage, ob mit der Ablehnung des Kan- tonswechsel auch gleichzeitig die Wegweisung aus der Schweiz verfügt werden kann bzw. soll, wenn sich diese bereits im neuen Kanton aufhält. In den Kommentaren zum Migrationsrecht finden sich dazu keine Ausführungen. Das SEM hält in seinen Weisungen ohne weitere Begrün- dung fest, dass für eine allfällige Wegweisung aus der Schweiz der alte Kanton zuständig sei.59 Der Vereinbarung der Vereinigung der kantonalen Migrationsbehörden (VKM) über die Zustän- digkeit und Zusammenarbeit im Wegweisungsvollzug60 kann in Ziffer 3 (Personen mit Anwe- senheitsrecht) entnommen werden, dass «für die Anordnung und den Vollzug der Wegweisung der Kanton zuständig ist, welcher zuletzt eine Aufenthaltsbewilligung (L-, B- und C-Bewilligung) oder eine Ermächtigung zur Visumerteilung erteilt bzw. widerrufen hat. Er bleibt zuständig, so- lange sich die ausländische Person nach der Wegweisung in der Schweiz aufhält bzw. bis zum effektiven Vollzug der Wegweisung».

3.1. Handhabung in der Praxis

[Rz 52] Im Kanton Aargau wird mit einer Ablehnung des Kantonswechselgesuchs gleichzeitig auch die Wegweisung aus der Schweiz verfügt, wenn sich die gesuchstellende Person bereits dort aufhält. In einem Urteil des Verwaltungsgericht des Kantons Aargau vom Juni 201461wird Fol- gendes festgehalten: «Wechselt ein Betroffener seinen Wohnsitz in den neuen Kanton, ohne sich um die Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung im bisherigen Kanton zu bemühen und wird ihm die Aufenthaltsbewilligung im neuen Kanton definitiv verweigert, hat er gegebenenfalls die

58 Vgl. Urteil des BundesgerichtsC 312/01vom 27. März 2002 E. 3 b);BGE 127 I 31E. 2. a) bb).

59 Weisungen SEM, Zi. 3.1.8.2.1, S. 63.

60 Vereinbarung der Vereinigung der kantonalen Migrationsbehörden über die Zuständigkeit und Zusammenarbeit im Wegweisungsvollzug vom September 2016. Diese Vereinbarung trat am 1. Oktober 2016 in Kraft und ersetzte die Vereinbarung der VKM vom September 2015 über die Zuständigkeit und Zusammenarbeit im Wegweisungs- vollzug.

61 Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau WBE.2012.1033 vom 30. Juni 2014 E. 2.3.

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daraus resultierende Konsequenz des Verlustes jeglichen Aufenthaltstitels in der Schweiz zu tra- gen, wenn die ursprüngliche Bewilligung zufolge Ablaufs der Gültigkeitsdauer erlischt».62 [Rz 53] Vom Kanton Zürich liegen sowohl Entscheide mit einer Wegweisung aus der Schweiz63 vor, wie auch solche, welche die gesuchstellende Person «nur» aus dem Kanton Zürich64wegwei- sen. In einem Entscheid der Rekursabteilung der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich vom Januar 201665, in dem das Migrationsamt Zürich die gesuchstellende Person aus der Schweiz weggewiesen hat, wurde der Wegweisungsentscheid aber aufgehoben, weil die gesuchstellende Person zwischenzeitlich wieder im Vorkanton Wohnsitz genommen hatte. Diese sei daher nicht mehr aus der Schweiz wegzuweisen; hierfür zuständig wäre allenfalls der Vorkanton, zumal dort noch über den Aufenthalt der gesuchstellenden Person zu befinden sei.

[Rz 54] Im Kanton Solothurn und im Kanton Bern wird nur über den Kantonswechsel entschie- den. Wenn ein Gesuch abgelehnt wird, liegt es an der gesuchstellenden Person, in den Vorkanton zurückzukehren und dort, falls notwendig, um die Verlängerung der Bewilligung zu ersuchen.66 [Rz 55] Mehreren Entscheiden des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern kann entnommen werden, dass das Migrationsamt Luzern bei einer Ablehnung des Kantonswechsels die gesuch- stellende Person in den Vorkanton wegweist.67Als das Migrationsamt Luzern anlässlich der Prü- fung eines Gesuches um Kantonswechsel feststellte, dass die Aufenthaltsbewilligung der gesuch- stellenden Person erloschen sei, ihr in der Folge die Aufenthaltsbewilligung nicht erteilte und sie aus der Schweiz weggewiesen hatte, hielt das Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern in einem Entscheid vom März 201568 fest, dass die gesuchstellende Person in den alten Kanton weggewiesen werden könne, wenn der Kantonswechsel verweigert werde. Die ursprüng- liche Bewilligung bleibe in diesem Falle erhalten, erlösche diese doch wie erwähnt nur, wenn im neuen Kanton der Kantonswechsel tatsächlich bewilligt werde (Art. 61 Abs. 1 lit. b AuG). Für eine allfällige Wegweisung aus der Schweiz und deren Vollzug sei bei Abweisung des Kantonswechsel- gesuches deshalb nach wie vor der alte Kanton zuständig. Dies bedeute, dass die Vorinstanz für das Feststellen des Erlöschens der Aufenthaltsbewilligung und der Wegweisung aus der Schweiz nicht zuständig sei, sofern sie sein Kantonswechselgesuch vorgängig nicht bewilligt und ihm für ihr Kantonsgebiet keine Aufenthaltsbewilligung erteilt habe. Denn erst mit der Bewilligung des Kantonswechsels gehe die ausländerrechtliche Zuständigkeit vom alten Wohnsitzkanton auf den neuen über. Dabei spiele es keine Rolle, dass der Beschwerdeführer faktisch seinen Wohnsitz be-

62 Vgl. auch Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau WBE.2012.1012 vom 21. November 2013 E. 2.3;

Urteile des Rekursgerichts im Ausländerrecht des Kantons Aargau 1-BE.2011.5 vom 22. März 2012 E. 2.3; 1- BE.2010.53 vom 26. September 2012 E. 2.3.

63 Entscheid der Rekursabteilung der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich Nr. 2015.0312 vom 14. Januar 2016;

Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons ZürichVB.2014.00172vom 4. Juni 2014.

64 Entscheide der Rekursabteilung der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich Nr. 2015.0019/2015.0047 vom 6. Januar 2016; Urteile des Verwaltungsgerichts des Kantons ZürichVB.2014.00573vom 14. Januar 2015;

VB.2014.000312 vom 9. Juli 2014.

65 Entscheid der Rekursabteilung der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich Nr. 2015.0312 vom 14. Januar 2016 E. 10.

66 Urteile des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn VWBES.2015.466 vom 2. März 2016; VWBES.2014.106 vom 20. Juli 2014 E. 7; VWBES.2013.397 vom 24. Dezember 2013 E. 4; Entscheid der Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern BD 078/13 vom 20. Juni 2013 Sachverhalt und Prozessgeschichte Ziff. 2; Entscheid der Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern BD 240/11 vom 13. August 2012 Sachverhalt und Prozessgeschichte Zi. 5.

67 Urteile des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern 7H 13 169 vom 21. Juli 2014; V 12 182 vom 17. Januar 2013; V 12 136 vom 31. Oktober 2012; V 11 7 vom 14. November 2011.

68 Entscheid der Justiz- und Sicherheitsdirektion 2014–248 vom 18. März 2015 E. 3.2 und 3.3.

(20)

reits in den Kanton Luzern verlegt habe. Der Kanton Luzern sei im vorliegenden Fall somit einzig zuständig für die Beurteilung des Kantonswechselgesuchs. Der Entscheid über den weiteren Be- stand der im Vorkanton erteilten Aufenthaltsbewilligung falle hingegen in die Zuständigkeit des dortigen Migrationsamtes.

[Rz 56] Einem Urteil des Bundesgerichts vom Juni 201069 lag folgender Sachverhalt zu Grun- de: Eine serbische Staatsangehörige reiste im August 2001 im Familiennachzug in die Schweiz ein und erhielt im Kanton Schwyz eine Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib beim Ehemann. Im Sommer 2002 leitete der Ehemann in Serbien ein Scheidungsverfahren ein. Das Scheidungsurteil des Belgrader Gerichts erging am 27. Februar 2003 und wurde dort gleichentags rechtskräftig.

Die Beschwerdeführerin wehrte sich in der Schweiz zunächst gegen die Anerkennung des aus- ländischen Urteils. Nachdem sie ihren Widerstand am 1. September 2006 aufgegeben hatte, an- erkannte das Zivilstandsinspektoriat des Kantons Schwyz das Scheidungsurteil am 20. Oktober 2006. Ebenfalls im Oktober 2006 ersuchte die Beschwerdeführerin im Kanton Basel-Stadt um Be- willigung des Kantonswechsels. Im November 2006 erteilte ihr die Migrationsbehörde des Kan- tons Basel-Stadt diese und leitete die Sache an das BFM zur Erteilung der dafür erforderlichen Zustimmung der Bundesbehörde weiter. Da das BFM davon ausging, dass sich die Beschwer- deführerin rechtsmissbräuchlich auf ihre inzwischen geschiedene Ehe berufe, verweigerte es im Februar 2007 die Zustimmung zur Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung und wies die Be- schwerdeführerin aus der Schweiz weg. Im Januar 2010 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen die Verfügung des BFM ab. Das Bundesgericht hielt in seinem Entscheid fest, dass aus einer streng formellen Sicht die Bundesbehörden der Beschwerdeführerin lediglich den ersuchten Kantonswechsel verweigert hätten. Inhaltich behandelten sie die Streitsache aber so, wie wenn überhaupt über die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung zu entscheiden gewe- sen wäre. Während des Verfahrens um Kantonswechsel sei die befristete Aufenthaltsbewilligung abgelaufen, womit sie erloschen sei. Aus der Argumentation der Vorinstanzen gehe hervor, dass sie auch ohne Kantonswechsel der Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung im Kanton Schwyz nicht zugestimmt hätten. Im Grunde genommen verweigerten sie daher nicht nur den Kantons- wechsel, sondern überhaupt den weiteren Aufenthalt in der Schweiz. Folgerichtig verknüpfte das BFM seine Zustimmungsverweigerung unmittelbar mit der Wegweisung der Beschwerdeführe- rin, was die Vorinstanz ebenfalls schützte. Den angefochtenen Entscheid bloss als einen solchen über den Kantonswechsel mit absolutem Ausschluss der Beschwerde an das Bundesgericht zu be- handeln, würde bedeuten, dass über die Bewilligungsverlängerung im Kanton Schwyz nicht for- mell entschieden worden wäre und ein entsprechendes Verfahren neu eingeleitet werden könnte.

Es sei aber offensichtlich, dass das BFM die Zustimmung dazu verweigern würde bzw. bereits implizit kundgetan habe, dies gegebenenfalls zu tun. Würde dem Entscheid des Bundesamtes bzw. dem Urteil der Vorinstanz nicht diese Tragweite zukommen, hätten die Bundesbehörden sich einzig auf die Frage des Kantonswechsels beschränken und der Beschwerdeführerin bzw.

dem Kanton Schwyz die Gelegenheit geben müssen, sich über die Bewilligungsverlängerung im Kanton auszusprechen, bevor die Wegweisung verfügt bzw. bestätigt worden sei, was sie aber nicht getan haben. Es rechtfertige sich daher, den angefochtenen Entscheid auch als solchen über die Verweigerung der Bewilligungsverlängerung zu behandeln. Vorliegend könne daher auf die Beschwerde eingetreten werden.

69 Urteil des Bundesgerichts2C_140/2010vom 17. Juni 2010 Sachverhalt lit. A bis C und E. 3.2 und 3.3.

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