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Epilepsie im Alter

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ARS MEDICI 17 2006 F O R T B I L D U N G

Epilepsie ist eine Erkrankung, die im Alter besonders häufig auftritt. Da die Ätiologie und die klinischen Zeichen im höheren Lebensalter anders sind als in jungen Jahren, gestaltet sich die Diagnose oft schwierig. Was die medika- mentöse Therapie betrifft, müssen zudem pharmakokinetische und -dynamische Faktoren besondere Berücksichtigung finden. In einem Beitrag im «British Medical Journal» werden die Fallstricke in Diagnose und Therapie sowie neue Erkenntnisse über die Epilepsie beim älteren Menschen diskutiert und zusammen- gefasst.

B R I T I S H M E D I C A L J O U R N A L

Epidemiologie

Mindestens 1 Prozent aller 11 Millionen Senioren über 65 Jahre in Grossbritannien sind Epileptiker. Ob provoziert durch eine akute Erkrankung oder ohne erkenntliche Ursache, fest steht, dass ältere Menschen Anfallserkrankungen gegenüber anfälli- ger sind. Die Neuerkrankungsrate steigt von 90/100 000 Men- schen im Alter von 65 bis 69 auf über 150/100 000 Menschen im Alter von mehr als 80 Jahren an. Durch das höher werdende Durchschnittsalter der Bevölkerung wird die Inzidenz der Epi- lepsie also weiter steigen.

In entwickelten Ländern ist ein Schlaganfall am häufigsten ursächlich für die Entstehung einer Epilepsie verantwortlich.

Innerhalb von zwei Wochen kommt es nach einem hämorrha- gischen Insult bei 8 Prozent aller Betroffenen zu Anfalls- erscheinungen, nach einem ischämischen Infarkt sind es 5 Prozent. Als systemische anfallsauslösende Faktoren kommen metabolische Störungen oder Entgleisungen im Elektrolyt- haushalt in Frage: Hypo- oder Hyperglykämie, Urämie, Hypona- triämie oder -kalzämie, Hypothyreoidismus, aber auch eine Pneumonie, eine Urosepsis oder ein Leberversagen. In Entwick- lungsländern vorherrschend sind Infektionen des ZNS.

Aus Berichten geht hervor, dass auch bestimmte, bei Senioren

«gebräuchliche» Arzneien in seltenen Fällen Anfälle provozie- ren können, wie etwa Neuroleptika, Antidepressiva, Theophyl- lin, Levodopa, Thiaziddiuretika und Ginkgo-Präparate. Auch Anfälle durch Alkoholentzug sind nicht ungewöhnlich.

Epilepsie im Alter

Worauf man bei der Therapie achten muss

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■ Etwa 1 bis 2% der älteren Menschen entwickeln oft im Anschluss an eine zerebrovaskuläre Erkrankung eine Epilepsie, die sich häufig klinisch untypisch äussert.

■ Mit einer adäquaten Medikation können die meisten Senioren mit Epilepsie anfallsfrei gehalten werden.

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■ Bei der Präparatewahl sollten Nebenwirkungen und Medikamenteninteraktionen besonders berück- sichtigt werden.

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■ Laut Studienergebnissen werden Lamotrigin und Gabapentin von älteren Menschen besser vertragen als Carbamazepin.

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■ Epilepsie wirkt im Alter physisch wie psychisch besonders belastend und verschlechtert die Lebens- qualität enorm.

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■ Die Anzahl der betroffenen alten Menschen ist weiter steigend, und die Kosten belasten das Gesundheitssystem zunehmend.

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Bei etwa 60 Prozent der betroffenen Senioren kann die Ursache der Epilepsie identifiziert werden. In 30 bis 40 Prozent aller Fälle ist dies ein vorangegangener Schlaganfall, häufig auch eine Alzheimer- oder andere Demenzerkrankung (5–10-fach höheres Risiko) und in Ausnahmefällen auch ein Gehirntumor oder -trauma.

Klinisches Bild

Keine oder falsche Diagnosen sind nicht ungewöhnlich, da das Krankheitsbild – im Vergleich zu jüngeren Patienten – häufig unspezifisch ist. Die Zeitspanne, bis eine sichere Diagnose gestellt werden kann, ist deshalb oft lang. In bis zu 70 Prozent aller Fälle handelt es sich um fokale Anfälle, mit oder ohne sekundäre Generalisation. Komplex partielle Anfälle zeigen sich häufig mit untypischen Symptomen wie Erinnerungs- lücken, Verwirrtheitszuständen, Perioden der Unaufmerksam- keit oder augenscheinlichen Synkopen.

Diagnostische Massnahmen

Bei Verdacht auf einen epileptischen Anfall bei einem älteren bis dato Nicht-Epileptiker sollte dieser unverzüglich zu einem Spezialisten überwiesen werden, da eine Vielzahl von anderen neurologischen (TIA, Migräne, Narkolepsie, Restless Legs), kardiovaskulären (vasovagale Synkope, orthostatische Hypo- tonie, Arrhythmien), metabolischen (Hypoglykämie, Hypo- kaliämie, Hyponatriämie) Erkrankungen oder Schlafstörungen (obstruktive Schlafapnoe, Zuckungen) eine ähnliche Sympto- matik aufweisen können. Diagnostisch wertvoll sind Schilde- rungen oder Hinweise eines Beobachters, da der Anfall dem Betroffenen selbst in vielen Fällen nicht erinnerlich ist.

Bei der körperlichen Untersuchung ist auf das Nerven- sowie das Herz-Kreislauf-System besonderes Augenmerk zu legen.

Grosses Blutbild, Elektrolyte im Serum, Blutzucker sowie die Nierenfunktion dürfen bei der Laboruntersuchung nicht fehlen.

Ein EKG sollte geschrieben und der Thorax geröntgt werden.

Falls die Anfälle das erste Mal auftreten, ist auch ein MRT sinn- voll. Altersbedingte «normale» Befunde (wie z.B. eine diffuse Atrophie oder atherosklerotische Veränderungen) sind bei der Beurteilung der Ergebnisse unbedingt zu berücksichtigen und nicht fälschlich als Anfallsursachen anzusehen.

Ein EEG ist nicht sensibel und spezifisch genug, um bei Senioren eine Epilepsie zu diagnostizieren. Daher sollte bei Verdachtsmomenten nicht sofort routinemässig ein EEG durch- geführt werden.

Therapeutische Ziele und Vorgehensweisen

Oberstes Behandlungsziel ist, einen möglichst normalen Lebensstil des Patienten wiederzuerreichen, das heisst eine komplette Anfallskontrolle. Oft ist dafür auch die Unterstützung durch Familienangehörige oder Pflegepersonal zwingend not- wendig.

Die Behandlung provozierter Anfälle richtet sich nach der

zugrunde liegenden Ursache. Alle Senioren mit mehr als einem nicht provozierten Anfall sollten mit Antiepileptika behandelt werden. Kontrovers diskutiert wird, ob mit dieser Pharmako- therapie bereits nach dem ersten Anfall begonnen werden sollte. Die MESS-Studie (Marson et al., 2005) hat gezeigt, dass die Rate langfristiger Remissionen durch sofortige antiepileptische Medikation nicht verbessert werden konnte. Andererseits sind die physischen wie psychischen Belastungen durch einen Rück- fall bei älteren Menschen so gross, dass bei Personen mit grossem Rückfallrisiko eine sofortige medikamentöse Prophy- laxe trotzdem in Erwägung gezogen werden sollte.

Die Entscheidung für oder wider eine antiepileptische Therapie erfordert Aufklärung des Patienten sowie seiner Familie über Nutzen sowie Risiken des eingeschlagenen Weges. Besonders ins Kalkül zu ziehen sind mögliche Arzneimittel-Neben- wirkungen sowie -Interaktionen auf der einen Seite und eine erhöhte Morbidität und Mortalität bei fortbestehenden Anfällen auf der anderen Seite. Auswirkungen auf die Fahrtauglichkeit des Patienten sind ebenfalls zu berücksichtigen.

Im Normalfall reagieren ältere Menschen auf die Behandlung gut, bis zu 80 Prozent der Patienten können mit Antiepileptika anfallsfrei gehalten werden. Allerdings sind Betagte anfälliger für unerwünschte Arzneimittelwirkungen als jüngere Men- schen. Da unklar ist, ob nach einer längeren anfallsfreien Zeit die Medikation problemlos abgesetzt werden kann, werden die Antiepileptika meist lebenslang weiter verabreicht.

Pharmakologische Überlegungen

Präparate, die kognitive Beeinträchtigungen verursachen oder komplexe pharmakokinetische Interaktionen eingehen kön- nen, sollten gemieden werden. Hintergrund ist, dass es im Alter zu Veränderungen in der Anzahl und der Affinität der Rezepto- ren kommt, was sich wiederum auf die Arzneimittelempfind- lichkeit und die Homöostase auswirkt. Wichtiger als das tat- sächliche Alter (im Hinblick auf die Auswahl des Antiepilepti- kums) ist das biologische Alter.

Allgemein gilt: Das gewählte Antiepileptikum soll bei möglichst geringem Nebenwirkungs- und Interaktionspotenzial zu einer baldigen Anfallsfreiheit führen. Um toxische Effekte zu verhin- dern, wird niedrig dosiert begonnen und langsam bis zur (mi- nimal nötigen) Erhaltungsdosis gesteigert. Sollte das gewählte Präparat nicht ausreichend wirken oder vertragen werden, wird auf eine andere Substanz zurückgegriffen. Wenn diese zwar toleriert wird, aber nur suboptimal wirkt, kann eventuell eine Kombinationsbehandlung zum gewünschten Erfolg führen.

Herkömmliche Antiepileptika

Alle diese Substanzen – ausser Ethosuximid – sind bei den bei Senioren am häufigsten vorkommenden partiellen Anfällen wirksam. Barbiturate können aufgrund ihrer sedativen Wir- kung nicht empfohlen werden. Bei Einsatz von Phenytoin müs- sen aufgrund pharmakokinetischer Eigenschaften dessen Plas- makonzentrationen überwacht werden. Carbamazepin führt bei älteren Menschen häufiger zu einer Hyponatriämie.

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Phenobarbital, Phenytoin und Carbamazepin werden über Leberenzyme (Mono-Oxygenase) abgebaut und können zu Überempfindlichkeitsreaktionen und zu Interaktionen mit vie- len bei älteren Menschen gebräuchlichen Arzneien (Warfarin, Antiarrhythmika, Theophyllin, Kortikosteroide, Antidepres- siva, Makrolid-Antibiotika, Johanniskraut) führen. Da durch Enzyminduktion auch der Abbau von Vitamin D beschleunigt wird, empfehlen einige Experten Kalzium- und Vitamin-D-Sup- plementierung sowie regelmässige Knochendichtemessungen.

Valproinsäure hat ein breites Wirkspektrum und ist Mittel der Wahl bei einer idiopathischen, generalisierten Epilepsie. Durch Interaktion mit Osteoblasten kann es jedoch zu einer Entmine- ralisierung und damit grösseren Brüchigkeit der Knochen führen.

Moderne Antiepileptika

Keines dieser Präparate ist bei partiellen sowie tonisch- klonischen Anfällen wirksamer als die herkömmlichen Anti- epileptika, Lamotrigin und Oxcarbazepin zeigten sich in Studien jedoch verträglicher. Nur zwei kontrollierte Studien wurden speziell mit älteren Menschen durchgeführt; in diesen konnte gezeigt werden, dass Lamotrigin und Gabapentin gleich wirksam wie Carbamazepin waren, Letzteres jedoch zu mehr unerwünschten Wirkungen führte. Langzeituntersuchungen zum Wert der modernen Antiepileptika bei Senioren fehlen derzeit ganz.

Psychosoziale Auswirkungen

Ältere Menschen sind für Verletzungen infolge einer Epilepsie anfälliger. Verschärft wird dieses Problem häufig zusätzlich durch bestehende neurodegenerative, zerebrovaskuläre oder psychiatrische Komorbiditäten. Die Diagnose Epilepsie ist oft mit einer Stigmatisierung verbunden, die den Patienten in die- sem Lebensabschnitt ganz besonders hart trifft. Ein endgültiger Verlust des Führerscheins verringert die Lebensqualität zudem erheblich. Epileptische Anfälle treten unvorhersehbar auf, sozi- aler Rückzug ist die Folge. Ein zunehmender Mangel an Selbst- vertrauen und Unabhängigkeit ist schliesslich bisweilen der Grund für eine frühzeitige Aufnahme in ein Kranken- oder

Pflegeheim.

Martin J Brodie, Patrick Kwan: Epilepsy in elderly people. BMJ 2005; 331: 1317–1322.

Norbert Mittermaier

Interessenkonflikte: keine deklariert

Referenzen

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