ZUR BEZIEHUNG ZWISCHEN QOHELET RABBA 1,8 UND
QOHELET RABBA 7,26'
von Johannes Wachten, Kölp-Marburg
Steht zur Verhandlung auch ein Spezialproblem aus dem Midrasch Qohelet Rab¬
ba (QOHR), so fmdet sich Ähnliches doch immer wieder in der Midraschliteratur
allgemein. Aufgmnd ihres anonymen und zeitlich — wenn überhaupt — höchstens
annähernd bestimmbaren Kompilationscharakters ist vor jeder sinnvollen weiter¬
fuhrenden Beschäftigung mit ihr geraten, die kompilierten Teile zu isolieren und
eventuelle Beziehungen zwischen ihnen aufzuspüren. Textteile der Midraschlitera¬
tur, deren gegenseitige Beziehung man darstellen will, müssen oft verschiedenen
Midraschwerken entnommen werden und sind oft ähnlich in Umfang und Stmktur.
In QOHR 1,8 und 7,26 gibt es aber zwei Textabschnitte, die einem Midrasch,
QOHR, entstammen und die, was Umfang und Struktur angeht, kaum unterschied¬
licher sein könnten.
Der Abschnitt aus QOHR 1,8 bietet - auf 64 Dmckzeilen der Editio princeps
Pesaro 1519 - ausführliche anekdotenhafte Geschichten (sogenannte Aggadot) um
verschiedene Rabbinen.
Der Abschnitt aus QOHR 7,26 bietet - auf nur sieben Dmckzeilen - einfache
Z/i".tf-Stmkturen*.
Die unterschiedliche Form birgt aber inhaltlich Gemeinsames. Die Texte handeln von mjnjm Häretikern, Dissidenten' und mjnwt Häresie, Dissidententum'.
In QOHR 1,8 wird der Beginn des Verses Qoh 1,8: ,J^\t Dinge sind mühselig..."
unter anderem paraphrasierend dahin ausgelegt, daß Dissidententum dem Menschen
Mühe bereite. Das illustrieren sechs Aggadot von Vorfällen zwischen Rechtgläubi¬
gen (A) und Minun (B), die, auf diese Personengruppen reduziert, folgende TabeUe ergeben:
1 Das dieser Kurzfassung zugrundeliegende Referat entstammt weitgehend dem kurzen Ka¬
pitel 4.2 meiner Kölner Dissertation „Midrasch-Analyse, Strukturen im Midrasch Qohelet Rabba (QOHR)", die voraussichtlich 1978 in der Reihe „Judaistische Texte und Studien", herausgegeben von Johann Maier, beim Georg Olms Verlag, Hildesheim/New York erschei¬
nen wird. Hier vermißte Detaileinlassungen finden sich dort besonders auf den Seiten 199-204.
2 Damit ist die überhaupt einfachste Struktur in der Midraschliteratur bezeichnet, die mit Hilfe des Demonstrativpronomens zäh ,dieser' (Versalien ZAH schließen die kontextbe¬
dingten Varianten zÜ und 'ellü fürs Femininum und den Pliual ein) etwas Auszulegendes mit seiner Auslegung verknüpft.
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen
Zur Beziehung zwischen Qohelet Rabba 1,8 und Qohelet Rabba 7,26
TABELLE QOHR 1,8
B
141
1 R. Eli<=ezer -i T y ■>"?x
2 R. El'^azai ben Dama, Schwestersohn des R. JiSnaC'el
-iTy'7N' ' 1 ^xyDTi '-1 V^v im
ns ]2 ^•'ST TD
3 R. Eli'^ezer und R. Jeho?uaC
ywin'^-n -iiyVx '~i
4 Hanina, Brudersohn des R. JehoSua^ N 3 ' 3 n
yu;nn'' "»nx 7D
5 R. Jonatan
6 R. Jehuda ben Naqosa
7 n3 T •>
noTp: 73' min-'
Ja^aqob aus Kfar-Siknaja
N"»:30 15D '^.■■'x Dpy
Ja^aqob aus Kfar-Siknaja
x'JDo "IED 'r'JX spy"»
eine Frau
nnx n'rx
Dissidenten aus Kfar-Nahum anna -isd ■'X3"'o einer seiner Schüler
''TT»?:7n T?D nn
die Dissidenten
7 •> 3 •> ?2n
Zum letzten Teil von Qoh 7,26: wer Gott gefällt, entkommt ihr (der Frau)
aber der Sünder wud von ihr gefangen" gibt es ganz zu Ende von QOHR 7,26 eine
Auslegung des R. Issi aus Caesarea, der Gottgefällige (A) und Sünder (B) sechsmal als Auslegungsbegriffe von Z^-Strukturen einbringt:
TABELLE QOHR 7,26
A B
1 R. EFazar JaCaqob aus Kfar-Niburaja
-iTyVx xt-iid: -isd ^i-'x Dpy
2 ElCazar ben Dama
xm 7D -iTyVx
JaCaqob aus Kfar-Sama X ?3 D -15 D 'r ■>k Dpy
3 Hananja, Brudersohn des R. Jeholua^ Leute aus Kfar-Nahum
fr'n^nytion-' 'n -»nx 72 o^r^•2 "isd "»aD
4 Jehuda ben Naqosa die Dissidenten
□ ■» 3 ■>on sein Schüler
1 T» 0 Vn
5
xoTp3 7D min-»
R. Natan ,
7 n3 -i
6 R. Eli'^ezer und R. Jeho?ua ElSaC
yii/TH' '-n -ityVx '-i yc "7X
Die große Übereinstimmung zwischen den beiden Tabellen läßt zu, Abweichun¬
gen einzelner Belege dem Überlieferungsprozeß anzulasten. Nach deren Begründung,
die anzuführen den Rahmen einer Kurzfassung sprengen würde, in den wichtigsten
Punkten aber ergibt, daß in QOHR 1,8 bei B2 JaCaqob aus Kfar-Sama', in QOHR
7,26 bei Bl .Ja^aqob aus Kfar-Siknaja' und bei 56 ,die Frau' als Lesart vorzuziehen sind, läßt sich die letztliche Identität der einzelnen Personen in beiden Tabellen feststellen, wenn auch bei unterschiedlicher Reihenfolge, für die sich wiedemm eini¬
ge Gründe anführen ließen.
142 Johannes Wachten
Insgesamt ergibt sich, daß den behandeUen Texten aus QOHR 1,8 und 7,26 in
ihrer jeweiligen Sechsergruppiemng die gleiche Tradition zugrundeliegt. Generell
lassen sich nun Aggadot bald wie Erweiterungen von ZÄtf-Strukturen, diese ihrer¬
seits bald wie deren Verkürzungen auffassen. 1st auch längst nicht immer entscheid¬
bar, welcher Prozeß im einzelnen anzusetzen ist, zumal sich nicht ausschließen läßt,
daß sie — besonders zwischen verschiedenen Werken — auch im Wechsel nacheinan¬
der stattfinden, so gibt es doch Fälle, die eher den einen als den anderen voraus¬
setzen. Da im vorliegenden Beispiel ohne Kenntnis der Vorfälle aus QOHR 1,8 die
Auslegung in QOHR 7,26 weUgehend unverständlich bliebe, was einen Wechsel von
'ßah zu Eliia^ etwa auch als Versuch einer neuen Sinngebung erklären mag, stellen
sich die Auslegungsbegriffspaare dort (in QOHR 7,26) als - extremste - Verkür¬
zung der Aggadot aus QOHR 1,8 dar, ein umgekehrter, ein Erweiterungsprozeß
scheint hier ausgeschlossen. Ob die Kenntnis der zu verkürzenden Aggadot ihren
Urspmng im behandelten Werk hat oder auf andere Werke zurückgeht, bleibt sich
im Prinzip gleich und ändert nur den Schwierigkeitsgrad des Nachvollzugs.
Abschließend läßt sich folgende weiterführende Hypothese wagen: Eine Verkür¬
zung auf personale Auslegungsbegriffe von Z^iW-Strukturen ist eher nichtbiblischen
Aggadot zu eigen, während sich biblische Aggadot häufiger als Erweiterungen von
Auslegungsbegriffen von (erweiterten) Z>4/f-Strukturen auffassen lassen. Die Stüt¬
zung dieser Hypothese jedoch bedarf — andernorts freUich — noch weiterer Unter¬
suchung.
F
SEKTION IV: CHRISTLICHER ORIENT UND BYZANZ
SEKTIONSLEITER: F. VON LILIENFELD
ZUM GOTTESBEGRIFF DES TRACTATUS TRIPARTITUS (Nag Hammadi 1,4)
von Alexander Böhlig, Tübingen
Die Nag-Hammadi-Schrift 1,4 befaßt sich in ihrem ersten Teil mit der jenseitigen Welt; dieser Teil (p. 51-104) wird deshalb auch mit „de supernis" bezeichnet. Da¬
von wiederum der Anfang behandelt die präexistente und transzendente Trinität.
Der Charakter des christlich-gnöstischen Denkens hat sie ganz bezeichnend geprägt.
Zugleich wird versucht, mit logischen Schlüssen das, was man eigentlich nicht er¬
schließen kann, herauszuarbeiten. Der Verfasser ist sich allerdings dessen bewußt,
daß er abhängig ist von der Gnade Gottes, die ihm überhaupt erst Erkenntnis er¬
möglicht. Er kommt hier dem credo, ut intellegam des Augustin sehr nahe.
Im Gegensatz zu anderen gnostischen Texten handelt es sich bei dieser Trinität
nicht um eine solche von Vater, Mutter und Sohn, sondern um eine solche, die der
christlichen Trinität Gott - Sohn - Geist entspricht; nur tritt an die Stelle des Gei¬
stes die präexistente Kirche, bei deren Erwähnung allerdings auch einmal ein Hin¬
weis auf die Kirche der Menschheit erscheint (58,29 f.). In der Schilderung nimmt
die des Vaters den weitaus größten Raum ein. Es muß erst herausgesteUt werden,
daß unser Vater-Begriff deshalb nicht der eigentlichen Vater-Vorstellung entspricht, wie sie der Verfasser fordert; denn ein weltlicher Vater hat nicht nur Kinder, son¬
dern auch selber einen Vater; der präexistente Vater dagegen hat keinen Vater. Er
ist anfanglos und endlos, von da aus unübertrefflich in seinen Qualitäten, so daß er die höchste Qualität wird. Als mangellos Guter ist er „vollkommen voll", „er ist das AU", so daß er aUes in allem ist. Dadurch übersteigt er unser Begriffsvermögen, und wir können ihn nur mit einer negativen Beschreibung erfassen. Ja, er kennt sich nur aUein. Er kann aber Erkenntnis vermitteln. Er ist auch Schöpfer in sich selber, hier
wird der Vergleich von der Einheit von Wurzel und Früchten eines Baumes heran¬
gezogen. Insofern ist der Sohn zwar ein Sohn, besitzt gleichzeitig aber alle Qualitä¬
ten des Vaters, ist also auch als Erstgeborener und Einziggeborener anfanglos und
endlos. Er ist der Erstgeborene, weh es keinen vor ihm gibt, und zugleich der Einzig¬
geborene, weil es keinen nach ihm gibt. Aber „nicht nur der Sohn ist von Anfang an da, sondern auch die Kirche ist von Anfang an da" (57,33ff.). Sie stammt aus dem Überschuß, der als Gottes Neidlosigkeit bezeichnet wird. Auch die Kirche befindet sich in Gott. So wie der Sohn Sohn des Vaters ist, so ist die Kirche Bruder des Soh¬
nes und der Sohn sich damit selbst Bmder. Mythologisch wird die Entstehung der
Kirche aus dem Überschuß des Küssens zwischen Vater und Sohn erklärt.
Der Gedanke der präexistenten Kirche ist der ältesten Kirche durchaus nicht
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen
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