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Verfeindete Geschwister in der Lehrerbildung

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Academic year: 2022

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phIakzente 3/2011 31 Standpunkt |

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n der Lehrerinnen- und Lehrerbildung sind «Theorie» und «Praxis» seit jeher verfeindete Geschwister. «Was bringt das für die Praxis?», fragen die Studierenden, und die Dozierenden bemühen sich um ei- nen Sinnnachweis, bevor die Frage über- haupt beantwortet werden kann, weil die Praxis der Ausbildung erst nachfolgt. So kann das Spiel fortgesetzt werden, ohne dass sich an den Wertungen etwas ändern muss.

Man kann das Problem aber auch ganz anders stellen, nämlich nicht als Gegen- satz von Theorie und Praxis und auch nicht als Entsprechung, sondern als Ver- hältnis von Wissensformen. In der Lehre- rinnen- und Lehrerbildung gibt es keine geschlossenen Theorien, die die Studieren- den als Ganzes lernen müssten. Den Inhalt des Studiums machen disparate Wissens- formen aus, die aus ganz unterschiedli- chen Bereichen stammen. So steht nicht eine bestimmte Theorie «der» Praxis ge-

genüber, vielmehr lernen die Studierenden den Umgang mit Wissensbeständen, die mehr oder weniger gut zum späteren Praxisfeld passen.

Ausbildung kann nie 1:1 auf Praxis vorbereiten

Die entscheidende Frage ist dann nicht, ob oder wie eine Theorie zur Praxis «passt», sondern welche Wissensformen sich im Blick auf das künftige Berufsfeld transferieren lassen.

Es geht also um Anschlüsse nach dem Studium, die die Stu- dierenden selbst vornehmen müssen und die ihnen niemand abnehmen kann. Die berufliche Ausbildung, und darum geht es, kann besser oder schlechter auf das Praxisfeld vorberei- ten, je nachdem, wie das Angebot beschaffen ist und kont- rolliert wird.

Die Ausbildung kann nie in einem Eins-zu-eins-Verhältnis auf die Praxis vorbereiten. Wohl aber kann sie Wissen ver- mitteln und Einsichten nahelegen, die der Ernstfallsituation nahekommen. Das zeigen Videostudien ebenso wie die Aus- wertung von Praxiserfahrungen oder die Reflexion der Erfah- rungen als Student oder Studentin. Das Problem ist dann nicht, eine Theorie «richtig» zu beherrschen und sie dann für die Praxis «fruchtbar» zu machen, sondern wie sich Erfahrun- gen im Feld mit Erklärungswissen, erhellenden Deskriptionen und normativen Aussagen verbinden lassen, die im Studium gelernt werden.

Die Frage: «Was bringt das für die Pra- xis?» ist berechtigt, darf aber nicht dazu führen, jegliche Lernerfahrungen im Studi- um zu verweigern, die sich nicht unmittel- bar verwerten lassen. Oft übersehen Stu- dierende, welche Bedeutung ihr Wissen und ihr Reflexionsvermögen für die Gestal- tung der Praxis haben. «Praxis» ist nicht ein fest gefügtes Feld, in dem man sich nur zurechtfinden muss, vielmehr hängt das praktische Handeln im Feld sehr stark von dem ab, was man wahrnimmt, als relevant erkennt und mit den vorhandenen Mitteln

umsetzen kann.

Transfer in Richtung Praxis

Das Problem ist auch nicht dadurch gelöst, dass die Ausbildung scheinbar praxisnahe Themen wie Unterrichtsmethoden oder Lernpsychologie anbietet. Themen wie diese sind genauso abstrakt wie andere.

Wer in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung lernt, Unterrichtsmethoden zu unterschei- den, hat noch nicht gelernt, wie danach unterrichtet wird.

Und wer den Behaviorismus von der kognitiven Psychologie unterscheiden kann, gewinnt alleine dadurch noch keinen Zugang zum Handlungsfeld. Die Themen in der Ausbildung müssen so angelegt sein, dass sie einen Transfer in Richtung Praxis enthalten oder auf einsichtige Weise nahelegen.

Das Angebot der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung ist eklektisch, was sich auch in Zukunft nicht ändern wird. Wo- rauf es ankommt, ist die Auseinandersetzung der Studieren- den mit Themen, die das Feld erschliessen und mit denen sich die Auseinandersetzung für den künftigen Beruf lohnt.

Das Curriculum muss gleichzeitig auch über Autorität verfü- gen und darf nicht beliebig erscheinen. Und was genau die Ausbildung leistet, was ankommt und was verloren geht, muss fortlaufend evaluiert werden. Nur so lässt sich das Wortspiel zwischen «Theorie und Praxis» auskühlen.

Jürgen Oelkers ist Mitglied des Zürcher Fachhochschulrates und Professor für Allgemeine Pädagogik an der Universtität Zürich.

Im Standpunkt nehmen Persönlichkeiten Stellung zu einem aktuellen The- ma. Ihre Aussagen müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

Jürgen Oelkers, Mitglied des Zürcher Fachhochschulrates

Verfeindete Geschwister in der Lehrerbildung

«Studierende lernen

den Umgang mit Wis-

sensbeständen, die

mehr oder weniger

gut zur Praxis pas-

sen.»

Jürgen Oelkers

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