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Emotionen im Berufseinstieg von Lehrpersonen

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Academic year: 2022

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Emotionen im Berufseinstieg von Lehrpersonen

Eine praxeologisch-wissenssoziologische Untersuchung ihrer Bedeutung für die Professionalisierung

Julia Sotzek

978-3-7815-2344-9

9 783781 523449

Die vorliegende qualitativ-rekonstruktive Studie untersucht aus einer praxeologisch-wissenssoziologischen Perspektive die pro- fessionalisierungsrelevante Bedeutung von Emotionen im Berufs- einstieg von Lehrpersonen.Auf theoretischer und empirischer Ebene wird der Frage nachgegangen, wie Emotionen das Erleben, Wahrneh- men, Bewerten und Handeln von Lehrpersonen mitbestimmen. Emo- tionen werden als Meta-Reflexionen und Ausdruck einer Verunsicherung oder Bestärkung des Habitus verstanden. Datengrundlage der Untersu- chung sind im Rahmen der Studie KomBest erhobene narrativ fundierte, leitfadengestützte Interviews, die mit der Dokumentarischen Methode ausgewertet werden. Die Erkenntnisse der Studie münden in ein Modell, das einen von Emotionen begleiteten Prozess des Erlebens und Bear- beitens von Spannungsverhältnissen zwischen berufsbezogenen Habitus und wahrgenommenen Normen als Prozessstruktur von Professionali- sierung beschreibt. Dem Modell liegen empirische Rekonstruktionen zu- grunde, die zu einer mehrdimensionalen Typologie zur erfahrungsraum- spezifischen Funktionalität von habituell erlebten Emotionen verdichtet werden. Es zeigt sich, dass Emotionen als Medium, Ausdruck, Auslöser und Rahmen von und für Professionalisierung fungieren können.

Die Autorin

Julia Sotzek, Dr. phil., Jahrgang 1989, studierte Lehramt an Gymnasien an der Philipps-Universi- tät Marburg. Sie war von Mai 2015 bis April 2018 Promotionsstipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes und promovierte im Rahmen des DFG/SNF-Forschungsprojekts „Kompetenzentwicklung und Bean- spruchung im Berufseinstieg von Lehrerinnen und Lehrern“ (KomBest) unter der Leitung von Uwe Hericks und Manuela Keller-Schneider. Seit November 2018 absolviert sie den pädagogischen Vorbereitungsdienst an einer Schule in Hessen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Emoti- onen, Professionsforschung und rekonstruktive Forschungsmethoden (insbesondere Dokumentarische Methode).

Ju lia Sotz ek Emotionen im Berufseinstieg vo n Lehrper sonen

Studien zur Professionsforschung

und Lehrerbildung

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Sotzek

Emotionen im Berufseinstieg von Lehrpersonen

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Studien zur Professionsforschung und Lehrerbildung

Herausgegeben von

Axel Gehrmann, Till-Sebastian Idel,

Manuela Keller-Schneider und Katharina Kunze

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Julia Sotzek

Emotionen im Berufseinstieg von Lehrpersonen

Eine praxeologisch-wissenssoziologische Untersuchung ihrer Bedeutung für die Professionalisierung

Verlag Julius Klinkhardt

Bad Heilbrunn • 2019

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Dieser Titel wurde in das Programm des Verlages mittels eines Peer-Review-Verfahrens aufgenommen.

Für weitere Informationen siehe www.klinkhardt.de.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.d-nb.de.

2019.kg. © by Julius Klinkhardt.

Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Satz: Kay Fretwurst, Spreeau.

Grafik Umschlagseite 1: © Julia Sotzek, Marburg.

Druck und Bindung: AZ Druck und Datentechnik, Kempten.

Printed in Germany 2019.

Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem alterungsbeständigem Papier.

ISBN 978-3-7815-2344-9

Die vorliegende Studie wurde vom Fachbereich Erziehungswissenschaften der Philipps-Universität Marburg unter dem Titel „Emotionen im Berufseinstieg von Lehrpersonen – eine praxeologisch-wissenssoziologische Perspektive auf die professionalisierungsrelevante Bedeutung von Emotionen“ als Dissertation angenommen. Sie stellt die überarbeitete Fassung der eingereichten Dissertationsschrift dar.

Gutachter*in: Prof. Dr. Uwe Hericks, Prof. Dr. Manuela Keller-Schneider.

Die Arbeit und Veröffentlichung wurde von der Studienstiftung des deutschen Volkes, der Marburg University Research Academy (MARA) sowie der Universitätsstiftung der Philipps-Universität-Marburg gefördert.

Für Pascal

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Zusammenfassung

Ziel dieser Arbeit ist es, zu untersuchen, wie Emotionen das Erleben, Wahrnehmen, Bewerten und Handeln von berufseinsteigenden Lehrpersonen mitbestimmen und welche professionali- sierungsrelevante Bedeutung Emotionen zukommt. Auf theoretischer und empirischer Ebene wird in einem praxeologisch-wissenssoziologischen Zugang sukzessiv der Frage nachgegan- gen, wie Emotionen die von den Lehrpersonen zur Darstellung gebrachten Interaktionen mit Schüler*innen und Kolleg*innen mitstrukturieren. Emotionen werden als Meta-Reflexionen und Ausdruck einer Verunsicherung oder Bestärkung des Habitus verstanden. Datengrundlage der Untersuchung sind neun im Rahmen der Studie KomBest erhobene narrativ fundierte, leit- fadengestützte Interviews, die mit den beteiligten Lehrpersonen kurz nach ihrem Berufseintritt geführt worden sind. Die Interviews werden mit der Dokumentarischen Methode ausgewertet, auf deren metatheoretischen Grundlagen auch das entwickelte Emotionskonzept basiert. In einem ersten Schritt münden die Erkenntnisse der Studie in ein Modell, das den von Emoti- onen begleiteten Prozess des Erlebens und Bearbeitens von Spannungsverhältnissen zwischen berufsbezogenen Habitus und wahrgenommenen Normen beschreibt. Dem Modell liegen empirische Rekonstruktionen zugrunde, die zu einer mehrdimensionalen Typologie zur erfah- rungsraumspezifischen Funktionalität von habituell erlebten Emotionen verdichtet werden. Es wird untersucht, wie die innerhalb der Studie KomBest typisierten berufsbezogenen Habitus und modi operandi der Bearbeitung von Spannungsverhältnissen in Emotionen ihren Ausdruck finden und welche kollektiven, also milieuspezifischen Praxis- und Erlebensformen sie erzeu- gen. Es zeigt sich, dass der Umgang mit Emotionen zur Handlungspraxis von Lehrer*innen (im Berufseinstieg) gehört, die Bearbeitung dieser aus der Praxis strukturell erzeugten Anfor- derung zugleich aber eine Professionalisierung des beruflichen Handelns erforderlich macht.

In einem weiteren Schritt wird die entwickelte Prozessstruktur des Erlebens und Bearbeitens von Spannungsverhältnissen als Prozessstruktur von Professionalisierung ausgearbeitet. Konsti- tutive Bedingung für Professionalisierung ist in dieser Studie die Generierung von Wissen. Vor diesem Hintergrund werden die empirischen Befunde noch einmal neu interpretiert. Es wird deutlich, dass Emotionen einerseits Gegenstand von Professionalisierung sind und sich Profes- sionalisierung andererseits in Emotionen vollzieht sowie für die Lehrpersonen über Emotionen darstellbar und metakommunikativ thematisierbar wird. Zugleich sind Emotionen eine Quelle für Professionalisierung, welche diese befördern kann. Emotionen können damit als Medium, Ausdruck, Auslöser und Rahmen von und für Professionalisierung fungieren. In einem Aus- blick werden darüber hinaus erste allgemeine Überlegungen formuliert, wodurch sich eine Pro- fessionalität der berufseinsteigenden Lehrpersonen in der Auseinandersetzung mit Emotionen auszeichnet.

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Abstract

The aim of this paper is to explore how emotions affect the experiences, perceptions, evalua- tions and actions of teaching staff entering the profession and to investigate the significance of emotions in the context of professionalisation. On a theoretical and empirical level, a praxeolo- gical and sociological approach is taken to gradually investigate the question of how emotions contribute to shaping interactions that take place between teaching staff, pupils and colleagues.

Emotions are understood to be metareflections and an expression of uncertainty or strengthe- ning of the habitus. In terms of data, this investigation centres around nine narrative-based, structured interviews that were carried out within the framework of the KomBest study and were conducted with the teaching professionals involved shortly after they entered the profes- sion. The interviews are analysed using the documentary method, on the metatheoretical foun- dations of which the emotion concept that has been developed is also based. The first step is to guide the findings of the study towards a model that describes the process of experiencing and processing tension between the professional habitus and perception of norms that is accompa- nied by emotions. The model is based on empirical reconstructions, which are consolidated to form a multidimensional typology of the functionality of emotions that are habitually experi- enced in this specific experiential context. This paper examines how the professional habitus and modi operandi of processing tensions in emotions, which were typified in the KomBest study, are expressed and which collective forms of practice and experience these create, i.e. those that are specific to the milieu in question. It is demonstrated that dealing with emotions is part of the professional practice of teachers (who are entering the profession). However, it is also demonstrated that processing this requirement created from the structural, practical conditions also necessitates professionalisation of the work-related actions. The next step is to explore the process structure of experiencing and processing tension that has been developed as a process structure of professionalisation. In this study, the constitutive condition for professionalisation is knowledge generation. Against this backdrop, the empirical findings are reinterpreted once again. It becomes clear that emotions are, on the one hand, an object of professionalisation and that, on the other hand, professionalisation takes place in emotions. Professionalisation can also be represented by teaching professionals via emotions and made a topic of discussion from a meta-communicative perspective. At the same time, emotions are a source of professionalisa- tion and can promote professionalisation. Therefore, emotions can act as a medium, expression, trigger and framework of and for professionalisation. Furthermore, an overview provides some initial general ideas, whereby the professionality of teaching staff entering the profession is cha- racterised by conflict with emotions.

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung – Erkenntnisinteresse und Aufbau der Studie . . . 9

2 Einbettung der Forschungsfragen in aktuelle Diskussionen . . . 17

2.1 Die professionalisierungsrelevante Bedeutung von Emotionen . . . 17

2.2 Habitus und Emotionen . . . 23

2.3 Soziologien der Emotionen – Verortung des Emotionskonzepts dieser Studie . . . 26

3 Entwicklung eines praxeologisch-wissenssoziologischen Emotionskonzepts . . . 41

3.1 Theoretische Konzeptionen . . . 42

3.1.1 Bourdieu und Emotionen – Emotionen in einer habitustheoretischen Perspektive. . . 43

3.1.2 Mannheim und Emotionen – Emotionen in einer wissenssoziologischen Perspektive. . . 51

3.1.3 Schütz und Emotionen – Emotionen in einer sozialphänomenologischen Perspektive . . . 56

3.1.4 Goffman und Emotionen – Emotionen in einer dramaturgisch-interaktionistischen Perspektive. . . 60

3.2 Metatheoretische Überlegungen . . . 64

3.2.1 Die Praxeologische Wissenssoziologie als Perspektive für die Erforschung von Emotionen. . . 65

3.2.2 Erste Annäherungen an ein praxeologisch-wissenssoziologisches Emotionskonzept. . . 70

3.3 Methodologische Auseinandersetzung mit den Metakategorien. . . 77

3.3.1 Ausgangspunkt und Anknüpfungen. . . 77

3.3.2 Grundlegender Zugang zu Emotionen – die performative und propositionale Dimension. . . 79

3.3.3 Die performative Logik als Logik der Kontextuierung . . . 80

3.3.4 Wissenssoziologische Präzisierung des Habitusbegriffs. . . 82

3.3.5 Bestimmung von Spannungsverhältnissen. . . 83

3.3.6 Spannungsverhältnisse als Diskrepanzerfahrungen. . . 85

3.3.7 Die generative Funktion von Spannungsverhältnissen. . . 86

3.3.8 Zuspitzung des Analysefokus – Emotionen als Meta-Reflexionen . . . 88

3.3.9 Das Wie des habituellen Erlebens von Emotionen . . . 103

3.3.10 Bestimmung der Qualität eines Spannungsverhältnisses . . . 105

3.3.11 Das Bearbeiten von Spannungsverhältnissen . . . 107

3.3.12 Zuspitzung der Überlegungen zu einer Prozessstruktur des Erlebens und Bearbeitens von Spannungsverhältnissen. . . 109

3.3.13 Konkretisierung der Forschungsfrage. . . 112

3.4 Methodisches Vorgehen. . . 112

3.4.1 Das Interview und sein Leitfaden . . . 113

3.4.2 Die dokumentarische Interpretation von Interviews – methodische Schritte und methodologische Überlegungen. . . 116

3.4.3 Fallauswahl . . . 128

3.4.4 Passagenauswahl und Beobachtungen zur Sprechweise . . . 130

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Inhaltsverzeichnis

4. Empirische Rekonstruktionen zur erfahrungsraumspezifischen Funktionalität

von habituell erlebten Emotionen . . . 133

4.1 Die mehrdimensionale Typologie der KomBest-Studie. . . 135

4.2 Konjunktiver Erfahrungsraum der unterrichtsbezogenen Interaktion. . . 140

4.2.1 Thema: Umgang mit Emotionsexpressionen der Schüler*innen. . . 140

4.2.2 Thema: Verhältnissetzung von Lerngegenständen und wahrgenommenen Emotionen bei den Schüler*innen . . . 158

4.2.3 Thema: Umgang der Lehrpersonen mit eigenen Emotionen. . . 176

4.3 Konjunktiver Erfahrungsraum der kollegialen Interaktion. . . 188

4.3.1 Thema: Emotionen in der Auseinandersetzung mit der eigenen Position als Berufseinsteiger*in im Verhältnis zu den Kolleg*innen. . . 188

4.3.2 Thema: Interaktion mit Kolleg*innen als Umgangsweise mit erlebten Emotionen . . . 203

4.3.3 Thema: Emotionen in der Interaktion mit der Organisation. . . 218

4.4 Eine mehrdimensionale Typologie zur erfahrungsraumspezifischen Funktionalität von habituell erlebten Emotionen . . . 230

4.4.1 Diskussion und Einbindung der Typiken in eine mehrdimensionale Typologie . . . 230

4.4.2 Fallübergreifende Deutungen zu habituell erlebten Emotionen und der Art und Weise, wie Lehrpersonen ihren Einstieg in den Beruf erleben . . . 238

5 Emotionen und Professionalisierung . . . 245

5.1 Der berufsbiographische Ansatz und sein Zugang zur Professionalisierung berufseinsteigender Lehrpersonen . . . 245

5.2 Das Erleben und Bearbeiten von Spannungsverhältnissen als Prozessstruktur von Professionalisierung. . . 252

5.3 Diskussion der Befunde . . . 264

5.3.1 Konjunktiver Erfahrungsraum der unterrichtsbezogenen Interaktion . . . . 265

5.3.2 Konjunktiver Erfahrungsraum der kollegialen Interaktion . . . 268

5.3.3 Rückbezug auf die mehrdimensionale Typologie zur erfahrungsraumspezifischen Funktionalität von habituell erlebten Emotionen . . . 271

6 Bestimmung der professionalisierungsrelevanten Bedeutung von Emotionen und Ausblick. . . 273

Verzeichnisse . . . 281

Literaturverzeichnis . . . 281

Abbildungsverzeichnis . . . 290

Tabellenverzeichnis . . . 291

Transkriptionszeichen . . . 292

Dank . . . 293

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1 Einleitung – Erkenntnisinteresse und Aufbau der Studie

Diese Studie widmet sich dem Thema Emotionen. Da jedes Wahrnehmen, Deuten, Erleben und Handeln stets von Emotionen mitbestimmt wird (vgl. Neckel & Pritz 2016, 2), sind diese auch für die berufliche Praxis von Lehrpersonen konstitutiv – eine Annahme, die sukzessiv sowohl theoretisch als auch empirisch entfaltet werden soll. Hascher und Krapp (vgl. 2009, 372) zeigen auf, dass Emotionstheorien Konzepte bereitstellen, welche die Entwicklung der Professionali- tät von Lehrpersonen beschreiben und erklären können. Als ein Forschungsdesiderat benennen sie unter anderem die Klärung der Frage, welche emotionalen Kompetenzen Lehrpersonen zur Ausübung ihres Berufes benötigen und wie diese im Kontext professioneller Entwicklung geför- dert werden können (vgl. ebd.). Der von ihnen ausgewiesene Forschungsbedarf steht zudem in Relation zu der Frage, welche Funktionen von Emotionen für die Entwicklung der Professiona- lität von Lehrpersonen relevant sind (vgl. ebd., 366).

Die vorliegende Studie knüpft an dieses Erkenntnisinteresse an und bearbeitet die noch weit- gehend offene Frage, wie Emotionen die Professionalisierung von berufseinsteigenden Lehrper- sonen mitbestimmen.1 Unter Professionalisierung wird dabei ein berufsbiographischer Prozess verstanden, in welchem sich die Lehrpersonen in die spezifischen Strukturen ihres Berufs ein- sozialisieren und die zu seiner Ausübung notwendigen Kompetenzen in einem aktiven Aus- einandersetzungsprozess erwerben und weiterentwickeln (vgl. Hericks u.a. 2019, 598). Dieser Prozess wird in der Fokussierung auf Emotionen in einem praxeologisch-wissenssoziologischen Zugang metatheoretisch beschrieben und empirisch rekonstruiert. Mit dem Begriff Professiona- lität werden in dieser Studie demgegenüber Wissensbestände bezeichnet, die in einer norma- tiven Perspektive als ein bestimmter Grad an Könnerschaft ausgewiesen werden können (vgl.

ebd.).

In den nachfolgenden empirischen Analysen dieser Studie werden daher keine emotionalen Kompetenzen im Konkreten rekonstruiert, sondern wie die Art und Weise des Erlebens von Emotionen und die Auseinandersetzung mit ihnen im Allgemeinen die berufliche Praxis und Entwicklung von Lehrpersonen beeinflusst. Eine normative Zuschreibung, welche Art und Weise der Auseinandersetzung wann als professionalisiert oder deprofessionalisiert bestimmt werden kann, steht nicht im Fokus, sondern wird ausblickshaft diskutiert. In dem Blickpunkt der theoretischen und empirischen Betrachtung liegt die Frage nach der Entstehung und Funk- tionalität von habituell erlebten Emotionen.

Um sich der professionalisierungsrelevanten Bedeutung von Emotionen zu nähern, gilt es zudem den sozialen Kontext näher zu beschreiben, innerhalb dessen Professionalisierungspro- zesse von Lehrpersonen beleuchtet werden: In den Studien von Hericks (2006) und Keller- Schneider (2010) wurde empirisch untersucht, inwiefern der Berufseinstieg eine bedeutsame Phase für die berufliche Entwicklung von Lehrpersonen darstellt und eine „sprunghaft anstei- gende Komplexität der Berufsanforderungen bei Übernahme der vollen beruflichen Verantwor-

1 Der Frage, wie das Erleben von Emotionen Professionalisierungsprozesse anstoßen kann, widmet sich unter ande- rem auch Schwarzer-Petruck (2014). In ihrer Studie untersucht sie die Bedeutung von Emotionen in Conceptual- Change-Prozessen mit dem Ziel, adaptive, ko-konstruierende Unterrichtsroutinen zu entwickeln. Sie fokussiert emotional-kognitive Prozesse von Lehrpersonen in Trainingssituationen und verbindet quantitative und qualitative Daten miteinander. In theoretischer Hinsicht legt sie ihrer Untersuchung das „Prozess-Modell zur Verarbeitung von Emotionen mit dem Ziel eines Conceptual Change“ zugrunde, welches sie überprüft und zu einem Zwei-Phasen- Modell weiterentwickelt.

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Einleitung – Erkenntnisinteresse und Aufbau der Studie

tung“ (Keller-Schneider 2011a, 124f.) umfasst. Der Gemischten Kommission Lehrerbildung der Kultusministerkonferenz zufolge handelt es sich um ‚die‘ entscheidende Phase in der beruflichen Sozialisation von Lehrpersonen mit großem Einfluss auf die Identitäts- und Kompetenzent- wicklung (vgl. Terhart 2000, 128). Wie Entwicklungsprozesse dieser Art seitdem untersucht wurden, darüber geben Keller-Schneider und Hericks (2014) einen Überblick.2 Im Rahmen der von ihnen durchgeführten aktuellen DFG/SNF-Studie „Kompetenzentwicklung und Beanspru- chung im Berufseinstieg von Lehrerinnen und Lehrern“ (KomBest) (2013-2017) wurde die zuvor konstatierte Bedeutung des Berufseinstiegs ausgeschärft.

Vor dem Hintergrund der Forschungslage erscheint der Berufseinstieg somit als ein sozia- ler Kontext, der sich für die Erforschung von Emotionen in besonderer Weise eignet. Dieser Kontext wird, gleichwohl er mittlerweile gut beforscht ist, rekonstruktiv erschlossen. Eine Teilfrage des übergeordneten Erkenntnisinteresses dieser Studie lautet demnach: Wie erleben berufseinsteigende Lehrpersonen ihren Berufseinstieg? Die Komplexität einer Untersuchung des Berufseinstiegs wird dadurch reduziert, dass zwei spezifische Erfahrungsräume in den Blick genommen werden: die unterrichtsbezogene Interaktion mit Schüler*innen und die Interak- tion mit Kolleg*innen. Dies lässt sich zum einen dadurch begründen, dass der Unterricht für die berufliche Entwicklung der berufseinsteigenden Lehrpersonen bedeutsam ist (vgl. Hericks u.a.

2019, 600). Zum anderen sind Berufseinsteigende in ein Kollegium eingebunden und müssen sich mit Strukturen schulischer Praxen sowie insgesamt mit der Schule als Institution und Orga- nisation auseinandersetzen, um sich beruflich weiterzuentwickeln (vgl. ebd.).

Die vorliegende Untersuchung steht in Relation zu der bereits angesprochenen Studie Kom- Best, deren zentrales Forschungsinteresse darin bestand, zu untersuchen, was berufseinsteigende Lehrpersonen in ihrem beruflichen Handeln bewegt und wie sie mit dem, was sie bewegt, umge- hen (vgl. Hericks u.a. 2018, 51). Mit den Verben ‚bewegen‘ und ‚umgehen‘ sind bereits zwei Dimensionen benannt, die für das hier zugrunde liegende Verständnis von Professionalität und Professionalisierung konstitutiv sind: Impliziert das Verb ‚bewegen‘ etwas, das die Lehrpersonen angeht, für sie also bedeutsam ist und in das sie involviert sind sowie ihr Erleben mitbestimmt, so kann diese Bedeutung mit dem Konzept der Emotionen gefasst werden. Das Verb ‚umgehen‘

verweist demgegenüber auf einen Auseinandersetzungsprozess, der mit der Kategorie des Bear- beitens gefasst werden kann.

Datengrundlage der Untersuchung sind die im Rahmen der Studie KomBest erhobenen nar- rativ fundierten, leitfadengestützten Interviews, die mit den beteiligten Lehrpersonen über die ersten zwei Jahre ihres Berufseinstiegs zu vier Zeitpunkten in einem Abstand von jeweils einem halben Jahr geführt wurden. Es zeigt sich, dass die untersuchten Lehrpersonen ihre Emotionen immer wieder thematisieren und diese Bestandteil der Darstellung ihrer Handlungspraxis sind.

Die Interviews werden mit der Dokumentarischen Methode ausgewertet, welche unter ande- rem in den Sozial- und Erziehungswissenschaften unter verschiedenen Fragestellungen ange- wendet wird und mit ihrem Analyseverfahren „einen Zugang nicht nur zum reflexiven, sondern auch zum handlungsleitenden Wissen der Akteure und damit zur Handlungspraxis“ (Bohnsack u.a. 2013, 9) eröffnet. Emotionen werden demnach auf der Basis des Wissens der Lehrpersonen rekonstruiert, wie es sich in den Interviews dokumentiert (vgl. ebd.).

Als Medium des Erlebens von Emotionen wird der Habitus bestimmt. Die Habitustheorie von Bourdieu (1993; 2001) stellt demnach eine zentrale Bezugstheorie dar, mit der in dieser Studie Emotionen gefasst werden. Die von Bohnsack (2017a) ausgearbeitete Praxeologische Wissens-

2 Einen Überblick über den berufsbiographischen Ansatz und Berufseinstieg gibt auch Rauschenberg (2019 i.E.).

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Einleitung – Erkenntnisinteresse und Aufbau der Studie

soziologie integriert paradigmatisch unterschiedliche Zugänge zu Phänomenen des Sozialen, zu denen auch die Habitustheorie von Bourdieu zählt. Mit der Praxeologischen Wissenssoziologie ist es möglich, ein Verständnis von Emotionen zu gewinnen, das sich in einer mehrdimensiona- len Kategorienbildung zeigt (vgl. Bohnsack 2014, 33). Die metatheoretische Beschreibung von Emotionen bewegt sich dabei in den Spannungsfeldern individuell – kollektiv, explizit –implizit sowie stabil – veränderbar.

Da die Erforschung von Emotionen innerhalb der Praxeologischen Wissenssoziologie, also innerhalb der Metatheorie der Dokumentarischen Methode bisher noch nicht ausgearbeitet wurde, ist die Entwicklung eines praxeologisch-wissenssoziologischen Emotionskonzepts erfor- derlich, um die bereits aufgeführten Forschungsfragen bearbeiten zu können. Die Darstellung des zugrunde liegenden Emotionskonzepts stellt somit einen Schwerpunkt der Studie dar. Dies greift ein Desiderat auf, da innerhalb der Soziologie der Emotionen zwar gut ausgearbeitete theoretische Ansätze existieren, intensivere methodologische Diskussionen jedoch erst in den letzten Jahren eingesetzt haben (vgl. Neckel & Pritz 2016, 7).

Dass die Dokumentarische Methode für die Auswertung von Interviews geeignet ist, wurde bereits in vielen Studien bestätigt und dezidiert von Nohl (2017) ausgearbeitet. Mit Bezug auf soziologische Studien (vgl. Hochschild 2006) kann zudem festgehalten werden, dass das Inter- view ein wichtiges Verfahren der Emotionsforschung darstellt (vgl. Neckel & Pritz, 2016, 7). So ermöglicht die Dokumentarische Methode, Emotionen über zu Text gewordene Praxisvollzüge zu rekonstruieren. Emotionen werden auf diese Weise aspekthaft erfasst: Durch das Erhebungs- instrument Interview werden detaillierte Erzählungen und Beschreibungen möglich, in denen sich die Funktionalität von Emotionen dokumentiert. Ihr performativer Vollzug wird demge- genüber kaum in den Blick genommen. Auch die Kollektivität des Erlebens und Bearbeitens von Emotionen wird nicht über unmittelbare Interaktionen erschlossen, sondern über einen Fallvergleich. Diesem aspekthaften Zugang liegt die Annahme zugrunde, dass das Erleben von Emotionen nicht immer explizit bezeichnet werden muss, sich aber dennoch in dem Wie des Sprechens niederschlagen kann. Mit Emotionen drücken Akteur*innen ein spezifisches Ver- hältnis zum Erlebten aus. Diese bewertende Verhältnissetzung beruht auf propositionalen und impliziten Reflexionen, sodass Emotionen in dieser Studie als Meta-Reflexionen konzeptuali- siert werden.

Die nachfolgend fokussierten Dimensionen – das habituelle Erleben von Emotionen und des- sen Bearbeitung – schließen an das Konzept der Emotionsarbeit an. So konkretisiert Brehm (2001) Prozesse des Emotionsgeschehens in Bezug auf das Thema Arbeit und fasst unter dem Begriff der Arbeitsemotionen das Erleben, Wahrnehmen und Bewerten von Arbeit (vgl. ebd., 206). Sie konstatiert, dass die Anforderungen an Emotionsarbeit in vielen Berufen – darunter auch der Lehrer*innenberuf – gestiegen seien, Emotionsarbeit zu leisten, mittlerweile Bestand- teil vieler Berufsdefinitionen geworden sei und sich Techniken des Umgangs mit Emotionen ausdifferenziert haben (vgl. ebd., 212; Gerhards 1988). Brehm verweist in diesem Zusammen- hang auf Dunkel (1988), der Emotionsarbeit in drei Dimensionen differenziert und Gefühle als Gegenstand, Mittel und Bedingung begreift (vgl. ebd., 67). Diese drei Dimensionen zeichnen sich unter anderem durch die folgenden Aspekte aus:

Wird die Anforderung gestellt, dass Emotionsarbeiter*innen die emotionalen Zustände ihrer Klientel beeinflussen, Gefühle also einen beruflichen Zweck erhalten, setzt dies voraus, dass die Gefühle der Klientel wahrgenommen werden und die Darstellung eigener Gefühle aufgaben- gerecht reguliert wird (vgl. ebd., 68). Zugleich bleibt die Ungewissheit bestehen, wie die Kli- entel emotional auf die hergestellte Situation reagiert. Emotionsarbeit umfasst aber nicht nur

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Einleitung – Erkenntnisinteresse und Aufbau der Studie

die Arbeit an Gefühlen, sondern auch mit diesen (vgl. ebd., 70). Für Dunkel (ebd., 70) schließt dies zum einen ein: „Einsatz eigener Gefühle zur Beeinflussung des Klienten, und zum ande- ren: Nutzung emotional gesteuerter Orientierungsmodi als Erfahrungsgrundlage“. Letzteres verweist auf die Anforderung, die Gefühle der Klientel zu verstehen; diese Verstehensleistung wird unter Empathie gefasst (vgl. ebd., 71). Die Bestimmung von Gefühlen als Bedingung von Emotionsarbeit bezieht sich in Anlehnung an Hochschild (2006) auf die Arbeit an den eige- nen Gefühlen, welche sich an bestimmten Gefühlsregeln orientiert und das Unterdrücken oder Hervorrufen von Gefühlen umfasst (vgl. Dunkel 1988, 72).

Haben Brehm (2001) und Dunkel (1988) personenbezogene Dienstleistungstätigkeiten und -berufe im Blick, so muss das Konzept der Emotionsarbeit für den Lehrer*innenberuf in einer normativen Perspektive zunächst kritisch diskutiert und daraufhin befragt werden, wie Lehrpersonen die Arbeit an und mit Emotionen in Bezug auf professionsethische Ansprüche und ihre professionelle Kerntätigkeit gestalten und mit welchen normativen Deutungshori- zonten ihre Praxen bewertet werden können. Diese Diskussion zu führen, scheint angesichts der bereits angedeuteten Bedeutung von Emotionen von zentraler Wichtigkeit zu sein. Der Annahme, dass Lehrpersonen Emotionsarbeiter*innen sind, wird in dieser Studie empirisch weiter nachgegangen. Das Konzept der Emotionsarbeit wird zugleich um den Aspekt erwei- tert, dass Emotionen selbst als ein Bearbeitungsmodus verstanden und ausgearbeitet werden.

In Anlehnung an Rastetter (2008) kann für die vorliegende Studie formuliert werden, dass Emotionsarbeit in einer praxeologisch-wissenssoziologischen Perspektive als Habitusarbeit ver- standen wird.3

Scheve (vgl. 2011, 208) zufolge sind Emotionen für die Erziehungswissenschaft in zweierlei Hinsicht bedeutsam: Zum einen rücken sie Formen der Sozialität in den Fokus, die beispiels- weise in dyadischen Interaktionen zwischen Lehrpersonen und Schüler*innen, in gruppenspe- zifischen, durch organisationale und institutionelle Bedingungen geprägten Prozessen oder in gesamtgesellschaftlichen Prozessen zum Ausdruck kommen. Wie Neckel und Pritz (2016, 3) formulieren, entstehen Emotionen „als untrennbarer Teil sozialer Beziehungen, auf die sie selbst wiederum einen gestaltenden Einfluss nehmen“. In Emotionen und ihrer Veränderung zeigt sich somit, wie soziale Beziehungen erlebt und bewertet werden (vgl. ebd.). Als zweiten Grund führt Scheve (vgl. 2011, 208f.) an, dass Emotionen Fragen der Bildung und Erziehung berühren, da sie – wie die Emotionsforschung valide zeigen kann – konstitutiv für kognitive Prozesse wie Lernen, Aufmerksamkeit, Schlussfolgern oder Erinnern sind.4

Insbesondere zu dem Zusammenhang von Emotionen einerseits und Lernprozessen und -leis- tungen von Schüler*innen andererseits existiert eine gut ausgearbeitete Forschungslage (vgl.

3 Rastetter (2008, 285, H.i.O.) kommt in Auseinandersetzung mit Hochschilds Überlegungen und vor dem Hinter- grund ihrer eigenen Untersuchung zu folgendem Verständnis: „Emotionsarbeit ist eine Form von Identitätsarbeit und der Emotionsarbeiter wird im Dienstleistungsunternehmen mittels Identitätspolitik konstituiert“. Identität umfasst dabei einen sich permanent vollziehenden aktiven Konstruktionsprozess, der sich in sich wandelnde Macht- Wissens-Netze formiert und verändert (vgl. ebd., 286). Mit Bezug auf den Ansatz der narrativen Identität bestimmt Rastetter (vgl. ebd., 287) als zentrales Medium der Identitätsarbeit die Selbsterzählung, sodass Identitätsarbeit für sie Erzähl-Arbeit darstellt. Die Organisation, verstanden als ein Gefüge von Narrationen, liefert Identitätsangebote, mit denen sich die Akteur*innen auseinandersetzen (vgl. ebd., 288; zur Einbindung dieser Annahme in ein Modell der Emotionsarbeit als Identitätsarbeit vgl. ebd., 293-297).

4 Wie emotionstheoretische Erkenntnisse für bildungswissenschaftliche Überlegungen fruchtbar gemacht werden können, zeigt auch Huber (2018), der „unter Berücksichtigung der Entstehung, Funktion, Wirkung, Wahrnehmung und des Ausdrucks von Emotionen, eine integrativ holistische, emotionstheoretische Perspektive auf Bildung, Erzie- hung und Unterricht anhand des Konzepts der emotionalen Markierungen“ vorstellt (ebd., 92).

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Einleitung – Erkenntnisinteresse und Aufbau der Studie

Pekrun 2018; Hascher & Brandenberger 2018). Vor dem Hintergrund ihrer Ausführungen schlussfolgern Hascher und Brandenberger (vgl. ebd., 307), dass die Schule dafür verantwort- lich sei, dass Schüler*innen überwiegend positive Emotionen erleben und sich wohlfühlen, was umgekehrt einschließt, dass negative Emotionen reduziert und nicht von Lehrpersonen indu- ziert werden sollen. Schule und Unterricht wird damit als emotionaler Raum entworfen (vgl.

ebd., 289).5 Lehrpersonen als Teil dieses Raums kommt damit unter anderem die Aufgabe zu, im Rahmen ihrer Vermittlungspraxis lernfördernde Emotionen herzustellen bzw. einen sozi- alen Kontext zu schaffen, in dem die Schüler*innen diese erleben können. Damit werden sie in dem zuvor beschriebenen Sinne zu Emotionsarbeiter*innen. Es wird zugleich deutlich, dass der Umgang mit Emotionen (den eigenen und denen anderer schulischer Akteur*innen) zum professionellen Handeln von Lehrpersonen gehört.

In Anlehnung an Hascher und Krapp (2014, 685-692) lassen sich folgende ausgewählte Erkenntnisse über Emotionen von Lehrpersonen zusammenfassen:

•  Emotionen entstehen in Situationen, die für die Lehrpersonen bedeutsam sind; die Art und Intensität der Emotionen wird dabei von subjektiven Einschätzungen darüber mitbe- stimmt, ob die angestrebten Ziele erreicht werden konnten und welche Handlungsmöglich- keiten wahrgenommen werden, um diese zukünftig zu erreichen. Die Emotionsentstehung ist zugleich von Attributionen beeinflusst. Des Weiteren sind strukturelle Bedingungen sowie der soziale Kontext insgesamt von Bedeutung.

•  Sind bestimmte emotionale Erfahrungen auf Dauer gestellt, können sich emotionale Reak- tionsbereitschaften ausbilden; wiederholt erlebte Erfahrungen können somit Einfluss auf die emotionalen Dispositionen der Lehrpersonen nehmen.

•  Von Lehrpersonen wird Emotionsarbeit erwartet. Sie versuchen, als negativ bewertet Emo- tionen zu unterdrücken oder zu verbergen, was längerfristig negative Auswirkungen auf ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit nehmen kann. Als positiv bewertete Emotionen können demgegenüber zur Entwicklung eines stabilen (professionellen) Selbstkonzepts beitragen.

Emotionales Erleben, Wohlbefinden und die Entwicklung der beruflichen Identität beein- flussen sich wechselseitig.

•  Emotionen sind mit motivationalen und kognitiven Prozessen verbunden und bedeutsam dafür, wie berufliche Anforderungen bewältigt werden. Sie sind eine ‚Quelle der Wirksam- keit‘ des Handelns und tragen zu Entscheidungen in der Vorbereitung und Gestaltung von Unterricht bei. Emotionen befördern Lehr- und Lernprozesse.

Diese Erkenntnisse verdeutlichen, dass Emotionen Teil der beruflichen Tätigkeit von Lehrper- sonen und konstitutiv für ihr Handeln sind sowie bei wiederholtem und längerfristigem Erleben Auswirkungen auf das Gesamtwohlbefinden haben können. In den theoretischen Überlegun- gen und empirischen Rekonstruktionen dieser Studie werden einige dieser Erkenntnisse aufge- griffen, in einer praxeologisch-wissenssoziologischen Perspektive weiterverfolgt und zu einem Professionalisierungsmodell verdichtet. Die vorliegende Studie eröffnet somit vor dem Hinter- grund des empirischen Materials einen aspekthaften Zugang zu den Entstehungsbedingungen, Funktionen und Auswirkungen von habituell erlebten Emotionen.

5 Zur Bedeutung, die Emotionen im Prozess eines lebenslangen Lernens einnehmen vgl. Gieseke (2009; 2012). Gie- sekes (2009, 89) These, „dass sich lebenslanges Lernen als Haltung und Bereitschaft nur in Form einer Offenheit, einer Fähigkeit, Frustrationen zu verarbeiten, sich Neues anzueignen, sich Neugierde zu erhalten, sich umzustellen und neu zu beginnen usw., realisiert“, wird in dieser Studie geteilt. Inwiefern das Lernen bzw. die Professionalisierung von Lehrpersonen als ein emotionales Geschehen verstanden werden kann, wird in Kapitel 5 ausgeführt.

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Einleitung – Erkenntnisinteresse und Aufbau der Studie Die Forschungsfragen dieser Studie lauten folglich:

1. Wie erleben Lehrpersonen ihren Berufseinstieg? Und konkreter: Wie bestimmen Emo- tionen das Erleben, Wahrnehmen und Bewerten der Interaktion mit Schüler*innen und Kolleg*innen mit? Wie wird das Erlebte bearbeitet?

2. Wie tragen Emotionen mit diesen Prozessen zur Professionalisierung der berufseinsteigen- den Lehrpersonen bei?

Um diese Fragen bearbeiten zu können, ist die Klärung einer weiteren Forschungsfrage erfor- derlich:

1. Wie können Emotionen in Interviews mit der Dokumentarischen Methode untersucht und innerhalb ihrer Metatheorie konzeptualisiert werden?

Aufbau der Studie

Neben der Einleitung gliedert sich die Studie in fünf weitere Teile. In Kapitel 2 werden die aufgeführten Forschungsfragen in aktuelle Diskussionen eingebettet: Zum einen wird der pro- fessionalisierungsrelevanten Bedeutung von Emotionen innerhalb des strukturtheoretischen, kompetenztheoretischen und berufsbiographischen Bestimmungsansatzes von Professionalität im Lehrer*innenberuf nachgespürt (Abschnitt 2.1). Im Laufe der Studie werden die empirischen Befunde und theoretischen Überlegungen dann innerhalb des berufsbiographischen Ansatzes verortet, von dem die Forschungsfragen gerahmt werden. Zum anderen wird erläutert, inwie- fern Bourdieus Habituskonzept eine implizite Emotionstheorie inhärent ist (Abschnitt 2.2).

Der Habitus stellt innerhalb des berufsbiographischen Ansatzes und der Praxeologischen Wissenssoziologie einen zentralen Begriff dar und ist folglich auch für die Bestimmung von Emotionen konstitutiv. Zudem wird das entwickelte Emotionskonzept in Relation zu emoti- onssoziologischen Überlegungen gesetzt (Abschnitt 2.3). Dafür werden die für die Forschungs- fragen relevanten Fragestellungen im Diskurs um die Soziologie(n) der Emotionen skizziert.

In Kapitel 3 wird das in dieser Studie entwickelte praxeologisch-wissenssoziologische Emo- tionskonzept hergeleitet und entfaltet. Zunächst werden die theoretischen Konzeptionen dargelegt, die dem Emotionskonzept zugrunde liegen. Emotionen werden in einer habitusthe- oretischen und wissenssoziologischen Perspektive einerseits und in einer sozialphänomenologi- schen und interaktionistischen Perspektive andererseits betrachtet (Abschnitt 3.1.1-3.1.4). Die Auswahl dieser Perspektiven ist durch die Praxeologische Wissenssoziologie begründet, die als Metatheorie für die Erforschung von Emotionen die ausgewählten Bezugstheorien miteinander verbindet. Diese Integration wird in einer Art ‚Theoriegespräch‘ veranschaulicht und bildet die Grundlage für das Emotionskonzept dieser Studie (Abschnitt 3.2.1). Es folgen erste Annähe- rungen, die den aspekthaften Zugang zu Emotionen beschreiben (Abschnitt 3.2.2). Diese meta- theoretischen Überlegungen werden in Abschnitt 3.3 sukzessiv konkretisiert und ausgearbeitet:

Die methodologische Auseinandersetzung mit den Metakategorien des praxeologisch-wissens- soziologischen Emotionskonzepts umfasst sowohl etablierte dokumentarische Kategorien (Abschnitt 3.3.1-3.3.7) als auch die Dimensionen des Erlebens und Bearbeitens, die aus empiri- schen Rekonstruktionen resultieren. Ziel ist es, Emotionen als eine eigenständige Kategorie aus- zuschärfen (Abschnitt 3.3.8-3.3.11). Der Abschnitt 3.3 schließt mit einer Zusammenfassung (Abschnitt 3.3.12). Daraufhin wird das methodische Vorgehen transparent gemacht. Zunächst werden das Interview als Erhebungsmethode und sein Leitfaden erläutert (Abschnitt 3.4.1).

Danach wird die durchgeführte dokumentarische Interpretation von Interviews mit ihren methodischen Schritten und methodologischen Überlegungen dargelegt (Abschnitt 3.4.2) und

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Einleitung – Erkenntnisinteresse und Aufbau der Studie

die Fallauswahl nachgezeichnet (Abschnitt 3.4.3). Das Kapitel schließt mit der Begründung der Passagenauswahl und verdichteten Beobachtungen zur Sprechweise der untersuchten Lehrper- sonen (Abschnitt 3.4.4).

In Kapitel 4 sind die empirischen Rekonstruktionen zur erfahrungsraumspezifischen Funkti- onalität von habituell erlebten Emotionen dokumentiert. Da in den Analysen die im Rahmen der Studie KomBest typisierten berufsbezogenen Habitus und konjunktiven Erfahrungsräume zugrunde gelegt werden, wird zu Beginn die mehrdimensionale KomBest-Typologie darge- stellt (Abschnitt 3.1). Daran anschließend werden die Befunde entlang der zwei fokussierten konjunktiven Erfahrungsräume der unterrichtsbezogenen und kollegialen Interaktion veran- schaulicht (Abschnitt 4.2; 4.3). Es ließen sich innerhalb des Unterrichtsmilieus und kollegialen Milieus jeweils drei Themen als Tertia Comparationis identifizieren. Für die jeweiligen Themen wird rekonstruiert, wie das den Fällen gemeinsame Thema auf ähnliche oder kontrastierende Art und Weise im Rahmen der berufsbezogenen Habitus erlebt und bearbeitet wird. Die Ergeb- nisse werden zu Typiken verdichtet. Die einzelnen Typiken werden in einem nächsten Schritt in eine mehrdimensionale Typologie eingebunden, die dann diskutiert wird (Abschnitt 4.4.1).

Es folgen fallübergreifende Deutungen zu habituell erlebten Emotionen sowie zu der Art und Weise, wie Lehrpersonen ihren Einstieg in den Beruf erleben (Abschnitt 4.4.2).

In Kapitel 5 wird das Verhältnis von Emotionen und Professionalisierung beleuchtet. In einem ersten Schritt wird noch einmal der berufsbiographische Ansatz betrachtet, da die Bestimmung einer sich in der Auseinandersetzung mit Emotionen vollziehenden Prozessstruktur von Profes- sionalisierung zunächst eine praxeologisch-wissenssoziologische Akzentuierung dieses Zugangs erfordert (Abschnitt 5.1). In einem zweiten Schritt wird diese Prozessstruktur als Prozess des Erlebens und Bearbeitens von Spannungsverhältnissen ausgearbeitet (Abschnitt 5.2). Das von Keller-Schneider (2010; 2018) entwickelte Prozessmodell der Wahrnehmung und Deu- tung von Anforderungen dient dabei als theoretischer Horizont, vor dessen Hintergrund dies geschieht. Die in Kapitel 4 rekonstruierten Befunde werden in einem dritten Schritt in Rela- tion zu dem entwickelten Professionalisierungsmodell gesetzt und darauf bezogen diskutiert (Abschnitt 5.3).

Die Studie schließt in Kapitel 6 mit einer Bestimmung der professionalisierungsrelevanten Bedeutung von Emotionen und einem Ausblick auf die Professionalität von Lehrpersonen.

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2 Einbettung der Forschungsfragen in aktuelle Diskussionen

Die in Kapitel 1 erläuterten Forschungsfragen werden nun umfangreicher in aktuelle Diskus- sionen eingebettet. Die Relevanz des Themas dieser Studie zeigt sich unter anderem darin, dass ausgehend von den diskursprägenden Bestimmungsansätzen von Professionalität im Lehrer*innenberuf eine professionalisierungsrelevante Bedeutung von Emotionen abgeleitet werden kann. Für die theoretische und empirische Beschreibung von Lehrer*innenhandeln hat sich in einer Vielzahl von Studien der Habitusbegriff durchgesetzt. Die vorliegende Studie schließt an diese Erklärungskraft des Habitus an und nutzt das Konzept in seiner Erweiterung im Rahmen der Praxeologischen Wissenssoziologie dafür, Emotionen zu konzeptualisieren. Aus diesem Grund wird der Frage nachgegangen, inwiefern die Habitustheorie von Bourdieu eine Theorie von Emotionen ermöglicht. Eine solche Theorie gilt es darüber hinaus innerhalb der heterogenen Forschungslage einer Soziologie der Emotionen zu verorten. Über einen Einblick in zentrale Fragestellungen dieser Disziplin soll das in dieser Studie entwickelte Emotionskonzept theoretisch begründet und fundiert werden.

2.1 Die professionalisierungsrelevante Bedeutung von Emotionen

In diesem Abschnitt soll untersucht werden, welche Relevanz dem in Kapitel 1 erläuterten Erkenntnisinteresse dieser Studie für die Betrachtung der Professionalisierung von Lehrpersonen zukommt. Neben der Frage, wie sich Lehrer*innen professionalisieren, sind Forschungsansätze und Theorien zum Lehrer*innenhandeln des Weiteren eng mit den Fragen verknüpft, inwie- fern sich der Lehrer*innenberuf als Profession auszeichnet und was Professionalität im Handeln kennzeichnet (vgl. Helsper & Tippelt 2011; zum Überblick über verwendete Konzepte in der Forschung zum Lehrer*innenberuf vgl. Tillmann 2014). Aktuell haben sich mehrere Ansätze ausdifferenziert, die in ihrer jeweiligen Perspektive diese Fragen in den Blick nehmen. Zur Sys- tematisierung der Forschung in der deutschen Erziehungswissenschaft unterscheidet Terhart (2011) drei Bestimmungsansätze von Professionalität im Lehrer*innenberuf – eine Unterschei- dung, an der sich viele Studien orientieren und die grundlagentheoretisch in den einzelnen Ansätzen zunehmend ausgearbeitet wird. Terhart (vgl. ebd., 205-210) differenziert einen struk- turtheoretischen, kompetenztheoretischen und berufsbiographischen Ansatz: Eine strukturtheo- retische Perspektive fokussiert grundlegende berufliche Aufgaben und Anforderungen, denen eine antinomische, d.h. eine in sich widersprüchliche Struktur inhärent ist. Demgegenüber wird sich in einer kompetenztheoretischen Perspektive primär für die Kompetenzbereiche und Wis- sensdimensionen interessiert, die für die Bewältigung beruflicher Aufgaben erforderlich sind.

Der berufsbiographische Ansatz konzeptualisiert Professionalität hingegen als berufsbiographi- sches Entwicklungsproblem, wodurch Prozesse des Aufbaus und der Entwicklung von beruflichen Kompetenzen und habituellen Dispositionen, die Kontinuität und Brüchigkeit der beruflichen Entwicklung sowie die Verbindung des privaten und beruflichen Werdegangs von Interesse sind.

Um die professionalisierungsrelevante Bedeutung von Emotionen näher bestimmen zu kön- nen, wird – Terharts Unterscheidung folgend – in den jeweiligen Ansätzen nachgespürt, welche Bedeutsamkeit Emotionen für die Professionalität und Professionalisierung von Lehrpersonen zugeschrieben wird. Die Vielzahl an Forschung, die sich innerhalb der Ansätze verortet und deren gegenstandstheoretische Annahmen teilt oder kritisch beleuchtet, kann in dieser Studie nicht dargestellt werden. Es erfolgt daher eine aspekthafte Auseinandersetzung mit ausgewähl-

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Einbettung der Forschungsfragen in aktuelle Diskussionen

ten Überlegungen von Vertreter*innen der drei Bestimmungsansätze, welche die jeweiligen Ansätze maßgeblich geprägt haben. Die nachfolgenden Ausführungen gehen folglich der Frage nach, ob und wie Emotionen in den jeweiligen Ansätzen thematisiert werden und welche Funk- tion sie in der jeweiligen theoretischen Perspektive einnehmen.

Zur Darstellung des kompetenztheoretischen Ansatzes wird sich auf das COACTIV-For- schungsprogramm gestützt, welches von Kunter, Baumert, Blum, Klusmann, Krauss und Neubrand (2011) entwickelt und durchgeführt wurde. Im Rahmen von COACTIV wurde mittels mehrerer Studien in einer fachspezifischen Fokussierung die Genese, Struktur und Handlungsrelevanz professioneller Kompetenz von Lehrpersonen untersucht (vgl. Baumert u.a. 2011, 7). Das Forschungsprogramm verfolgte zwei zentrale Fragestellungen, die einer- seits die personalen Voraussetzungen der Lehrpersonen und andererseits die Determinan- ten professioneller Kompetenz in den Blick nahmen (vgl. ebd., 8). Lehrpersonen werden als Professionelle verstanden, die für die kurz- und langfristige Regulation ihrer beruflichen Entwicklung selbst verantwortlich sind; an sie wird die Aufgabe gestellt, dauerhaft die beruf- lichen Anforderungen zu erfüllen, im Zuge dessen es auch Engagement, Leistungsfähigkeit und Berufszufriedenheit aufrechtzuerhalten gilt (vgl. ebd.).

Die Interaktion zwischen Lehrpersonen und Schüler*innen wird als spezifische und sach- liche Rollenbeziehung angesehen, die es ermöglicht, das Unterrichten als Kernaufgabe des Lehrer*innenberufs und damit als erste Referenz für professionelle Kompetenz zu bestimmen (vgl. ebd., 9). Das unterrichtsbezogene Handeln der Lehrpersonen ist dabei von einer doppelten Unsicherheit geprägt, die sich auf die begrenzte Planbarkeit von Unterricht sowie auf dessen Ergebnisse im Sinne der Lernentwicklung der Schüler*innen bezieht (vgl. Baumert & Kunter 2011, 30). So wurden die Merkmale von Lehrpersonen betrachtet, welche als unmittelbar not- wendige Voraussetzung für die Vermittlung schulischer Inhalte angesehen werden. In der Aus- einandersetzung mit unterschiedlichen Theorien wurde ein Modell professioneller Kompetenz entwickelt. Dieses konzeptualisiert professionelles Handeln als „Zusammenspiel von

•  spezifischem, erfahrungsgesättigten deklarativen und prozeduralen Wissen (Kompetenzen im engeren Sinne: Wissen und Können);

•  professionellen Werten, Überzeugungen, subjektiven Theorien, normativen Präferenzen und Zielen;

•  motivationalen Orientierungen sowie

•  Fähigkeiten der professionellen Selbstregulation“ (ebd., 33).

Dieses nichthierarchische Modell stellt ein generisches Strukturmodell dar, das im Rahmen der COACTIV-Studien für das Handeln von Lehrpersonen spezifiziert wurde (vgl. ebd.). Ihm liegt die Annahme zugrunde, dass die fokussierten Kompetenzen grundsätzlich lern- und vermit- telbar sowie Veränderungsprozessen unterworfen sind (vgl. ebd., 46). Von den differenzierten vier Kompetenzaspekten werden im Weiteren die Aspekte der Motivation und Selbstregulation betrachtet, da sich über deren theoretische Spezifikationen der Bedeutung von Emotionen genähert werden kann. Beide Aspekte sind relevant für die psychologische Funktionsfähigkeit von Handelnden (vgl. ebd., 42).

Unter dem Aspekt der Motivation werden habituelle individuelle Unterschiede in Zielen, Präfe- renzen, Motiven oder affektiv-bewertenden Merkmalen gefasst, welche im Zusammenspiel mit weiteren Persönlichkeitsmerkmalen und Merkmalen des situativen Kontextes mitbestimmen, wie eine Person handelt und von welcher Intensität, Qualität oder Dauer dieses Handeln ist (vgl. Kunter 2011, 259). Im Rahmen des Kompetenzmodells von COACTIV wird im Bereich

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Die professionalisierungsrelevante Bedeutung von Emotionen

der Motivation das Konzept des Enthusiasmus in den Blick genommen. Enthusiasmus wird als ein individuell variierendes Merkmal verstanden, „das durch ein habituelles positives affektives Erleben bei der Ausübung des Berufs gekennzeichnet ist“ (ebd., 263). Kunter (vgl. ebd.) diffe- renziert zwei Dimensionen: eine tätigkeitsbezogene Dimension, die Enthusiasmus in Relation zu dem Unterrichten bestimmt, und eine sachbezogene Dimension, die den Enthusiasmus für das Unterrichtsfach umfasst. Diese theoretische Unterscheidung konnte auch empirisch nach- gewiesen werden (vgl. ebd.). Der Enthusiasmus von Lehrpersonen – als ein Beispiel für unter- richtsbezogene Motivation und Aspekt von professioneller Kompetenz – trägt folglich dazu bei, dass diese ihren Beruf erfolgreich bewältigen (vgl. ebd., 269).

Die Freude an der Interaktion mit Schüler*innen kann in diesem Zusammenhang als entscheiden- der Faktor benannt werden (vgl. ebd., 269). Selbstregulation stellt demgegenüber eine Fähigkeit dar, im beruflichen Kontext effektiv mit den eigenen Ressourcen umgehen zu können; eine hohe selbstregulative Fähigkeit der Lehrpersonen besteht darin, dass das Niveau ihres beruflichen Enga- gements den Anforderungen des Lehrer*innenberufs entspricht und sie sich zugleich aber von die- sen distanzieren sowie ihre Ressourcen schonen können (vgl. Klusmann 2011, 277). Es gilt somit, eine „Balance zwischen beruflichem Engagement als Investment von Ressourcen und Wider- standsfähigkeit als Erhaltung von Ressourcen“ (ebd., 290) zu finden. Der Kompetenzaspekt der Selbstregulation ist als ein überfachlicher zu verstehen, der alle psychischen Ebenen (Kognition, Motivation und Emotion) umfasst. Damit schließt das Kompetenzmodell sowohl kognitive als auch motivationale und emotionale Aspekte ein und trägt den vielfältigen Anforderungen des Lehrer*innenberufs Rechnung (vgl. ebd.). Empirische Befunde zeigen folglich bedeutsame Zusammenhänge zwischen der Art der Selbstregulation, dem beruflichen Wohlbefinden und der Unterrichtsgestaltung (vgl. ebd.). Das berufliche Wohlbefinden der Lehrpersonen kommt in einer Zufriedenheit mit der beruflichen Situation zum Ausdruck sowie in dem Fehlen von Beanspruchungssymptomen (vgl. ebd., 280).

Bereits dieser aspekthafte Blick auf das COACTIV-Forschungsprogramm verdeutlicht, dass Emotionen die professionelle Kompetenz von Lehrpersonen mitbestimmen. Mit dem Konzept des Enthusiasmus werden dabei Emotionen fokussiert, die zu einem positiven Erleben beitragen.

In dem Kompetenzaspekt der Selbstregulation scheinen Emotionen zudem Teil der Ressourcen zu sein, die investiert werden, und Teil der Widerstandsfähigkeit, die Ressourcen aufrechterhält.

Als Bereich motivational-selbstregulativer Merkmale sind sie veränderbar und stellen das Ergeb- nis beruflicher Entwicklungsprozesse dar (vgl. Baumert & Kunter 2011, 46). Zugleich sind sie Gegenstand dieser Prozesse. Ein Umgang mit den eigenen Emotionen, der dazu verhilft, dauer- haft die beruflichen Anforderungen zu erfüllen, kann damit als Bestandteil und Ausdruck des professionellen Handelns von Lehrpersonen verstanden werden (vgl. Baumert u.a. 2011, 8).

Ein weiterer, im Professionalitätsdiskurs einschlägiger Ansatz ist die strukturtheoretische Per- spektive von Helsper (2000; 2002; 2014a). Helsper (vgl. ebd., 223) differenziert verschiedene strukturelle Professionsantinomien aus. Er verortet diese pädagogischen Antinomien auf zwei Ebenen (ebd.):

„Zum einen solche, die ein Ausdruck der in modernisierten Lebenspraxen angelegten Spannungen sind, die aber im Lehrerhandeln, als einer stellvertretenden, Krisen lösenden, vermittelnden Lebenspraxis für die Bildung einer anderen Lebenspraxis, eine besondere Zuspitzung erfahren (z.B. die Ungewissheits- antinomie). Zum anderen widerspruchsvolle Handlungskonstellationen, die daraus resultieren, dass das Lehrerhandeln sowohl der universalistisch-distanzierten, rollenförmigen als auch einer diffus-nahen, personenbezogenen Orientierung unterliegt (z.B. die Nähe- oder die Autonomieantinomie).“

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Einbettung der Forschungsfragen in aktuelle Diskussionen

Die strukturellen Antinomien, die auf diesen beiden Ebenen unterschieden werden kön- nen, sind wiederum von einer dritten Ebene abzugrenzen, welche Widersprüche des Lehrer*innenhandelns umfasst, die aus der gesellschaftlichen Institutionalisierung des Schulsys- tems entstehen (vgl. ebd.). Eine vierte Ebene markiert die konkrete, sich in unterschiedlichen Kontexten vollziehende Ausformung der Antinomien auf der Handlungs- und Interaktions- ebene (vgl. Helsper 2002, 76); diese beschreiben dann in Form von Handlungsdilemmata bestimmte Strukturvarianten und können im Fall einer dramatischen Verwicklung auch als pragmatische Paradoxien erscheinen (vgl. Helsper 2014a, 223). Des Weiteren werden Moderni- sierungsantinomien einbezogen, welche die antinomischen und Widerspruchskonstellationen des Lehrer*innenhandelns auf einer fünften Ebene einbetten (vgl. ebd.). Um die professionali- sierungsrelevante Bedeutung von Emotionen zu bestimmen, werden nachfolgend die Vertrau- ensantinomie und Nähe-Distanz-Antinomie betrachtet, da Emotionen insbesondere in diesen beiden Antinomien thematisch werden:

Die Vertrauensantinomie lässt sich der ersten Ebene, d.h. die der konstitutiven Antinomien zuordnen (vgl. Helsper 2000, 144). Dadurch, dass das professionelle Handeln von Lehrper- sonen von der Spannung zwischen strukturell gegebener Asymmetrie und strukturell erforder- licher Symmetrisierung geprägt ist (vgl. ebd., 146), kommt es Helsper (vgl. ebd., 147) zufolge zu einer besonderen Zuspitzung der Vertrauensantinomie. So setzt die Herstellung tragfähi- ger Handlungsverkettungen eine Vertrauensbasis voraus, die erst aufgebaut werden muss und zugleich anfällig für Störungen ist (vgl. ebd.). Helsper (vgl. 2002, 82) veranschaulicht dies am Umgang mit Fehlern: Das Öffentlich-Machen von Wissens- und Kompetenzgrenzen kann je nach Wahrnehmung der Schüler*innen unterschiedlich erlebt werden und intensive Emotionen auslösen (unter anderem Scham). Das Eingestehen von Nicht-Wissen ist damit von Seiten der Schüler*innen mit dem Vertrauen verbunden, dass die Lehrperson diesem Eingeständnis Aner- kennung entgegenbringt und es nicht dazu verwendet, sie zu beschämen. Umgekehrt muss die Lehrperson den Schüler*innen ein Vertrauen entgegenbringen, wonach diese ihre Wissens- und Kompetenzgrenzen mitteilen (vgl. ebd., 83).

Geleitet von dem Misstrauen darüber, dass Schüler*innen ihre Verstehensprobleme verber- gen, kann ein Handeln, das diese sichtbar zu machen versucht, bei den Schüler*innen wie- derum Misstrauen erzeugen, das dazu führen kann, dass sie ihre Verstehensprobleme gerade nicht thematisieren. Zeichnet sich für Helsper (2000, 158) die Qualität der professionellen Praxis durch eine reflektierte Handhabung der Antinomien aus, so kann in Bezug auf die Ver- trauensantinomie formuliert werden, dass die reflektierte Herstellung und Aufrechterhaltung bestimmter Emotionen (insbesondere der Emotion des Vertrauens) daher als eine Bedingung dafür angesehen werden kann, dass die unterrichtliche Vermittlungspraxis überhaupt erst funktioniert.

Die Nähe-Distanz-Antinomie wird der zweiten Ebene zugeordnet und ist Ausdruck davon, dass das Lehrer*innenhandeln in die Spannung von zwei entgegengesetzten Beziehungslogiken gestellt ist (vgl. Helsper 2002, 83). Sie umfasst die Anforderung, „sowohl emotional-diffuse, par- tikulare Haltungen als auch distanzierte, spezifische und universalistische Haltungen gegenüber Schülern einzunehmen“ (ebd., 84). Diese Anforderung resultiert daraus, dass die Kompetenz der Schüler*innen in Bezug auf die Entwicklung und Ausdifferenzierung sozialer Emotionen noch nicht ausreichend ausgebildet ist, sie folglich schwer zwischen rollenförmigen und nicht-rollen- förmigen Beziehungsmustern unterscheiden können (vgl. Helsper 2004, 77).

Die berufliche Praxis macht dann zum einen emotional-diffuse, partikulare Orientierungen gegenüber den Schüler*innen erforderlich, wenn Lehrpersonen versuchen, Lern- und Bildungs-

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Die professionalisierungsrelevante Bedeutung von Emotionen

krisen der Schüler*innen zu erschließen, Bildungsprozesse zu befördern, die lebensweltlichen und biographischen Hintergrunde der Schüler*innen für Bildungsprozesse einzubeziehen und die emotionalen Komponenten von Bildungsprozessen zu berücksichtigen, da diese bei den Schüler*innen von Emotionen begleitet sein können (vgl. ebd.). Zugleich bedürfen Lehrper- sonen aber auch distanzierte, spezifische und universalistische Haltungen, da den einzelnen Schüler*innen dieselbe pädagogische Unterstützung bei der Ermöglichung von Bildungsprozes- sen zukommen muss (vgl. ebd.).

Von der strukturellen Dimension der Antinomie grenzt Helsper (vgl. 2012, 30) die biogra- phischen, emotionalen Anerkennungsgeschichten ab, die auf Seiten der Schüler*innen und Lehrpersonen mitbestimmen können, wie sich in die Nähe-Distanz-Antinomie verstrickt wird.

Anhand von einem empirischen Beispiel kann verdeutlicht werden, dass schulkulturelle Ord- nungen spezifische Bedingungskonstellationen darstellen, die den Umgang mit der Antinomie beeinflussen (vgl. ebd., 43). Es lassen sich unterschiedliche Strukturvarianten der paradoxen Verstrickung in die Spannung von Nähe und Distanz differenzieren (vgl. ebd., 43): Eine einsei- tige Auflösung der Antinomie kann sich darin zeigen, dass

•  Lehrpersonen die Sachorientierung aus dem Blick verlieren und emotional-diffuse, partiku- lare Haltungen im Vordergrund stehen.

•  Lehrpersonen die konstitutiven diffusen und emotionalen Anteile im pädagogischen Handeln missachten. Dies kann sich darin äußern, dass nicht berücksichtigt wird, dass Schüler*innen noch nicht klar zwischen persönlich-diffusen und rollenförmigen Beziehungsmustern unter- scheiden können und schulische Bildungsprozesse, die von den Lehrpersonen initiiert wer- den, einen Einfluss auf die ganze Person der Schüler*innen nehmen.

Insbesondere bei der Nähe-Distanz-Antinomie wird somit deutlich, dass Emotionen – die der Lehrpersonen und die der Schüler*innen  – als konstitutives Moment unterrichtsbezogener Interaktionen wahrzunehmen und in Bezug auf das eigene Handeln zu reflektieren sind. Inner- halb des strukturtheoretischen Ansatzes von Helsper (vgl. 2000, 158) professionalisieren sich Lehrpersonen folglich durch die reflektierte Auseinandersetzung mit den unaufhebbaren Anti- nomien, die ihrer Praxis strukturell inhärent sind. Zwar können Kriterien formuliert werden, woran sich eine ‚optimale‘ Qualität pädagogischen Handelns festmachen lässt, Lehrpersonen erreichen diese aber „auf unterschiedlichen Wegen und in unterschiedlichen Strukturvarian- ten, mit denen sie sich im Spannungsfeld der Antinomien verorten“ (Helsper 2002, 96). Dieser Prozess – so kann vor dem Hintergrund der vorherigen Ausführungen formuliert werden – ist zugleich von der Auseinandersetzung mit Emotionen begleitet.

Der berufsbiographische Ansatz kann als „verbindende Klammer zwischen struktur- und kom- petenztheoretischem Ansatz“ (Terhart 2011, 209; vgl. Keller-Schneider & Hericks 2014, 391) verstanden werden. Er fokussiert berufsbiographische Prozesse, in denen sich die Professionel- len mit den Strukturen ihres Berufes auseinandersetzen und Kompetenzen erwerben, die für seine Ausübung erforderlich sind (Hericks u.a. 2019, 599). Für eine Bildungsgangforschung ist die Annahme zentral, dass Lehrpersonen berufliche Entwicklungsaufgaben wahrnehmen und bearbeiten – ein Prozess, der unhintergehbar ist, um in der eigenen Professionalisierung voran- zukommen (vgl. ebd.). Er ist zugleich unumkehrbar, da eine objektiv tragfähige und subjektiv zufriedenstellende Bewältigung von Entwicklungsaufgaben neue Erkenntnisse und Wissens- bestände eröffnet, welche die Lehrpersonen bzw. ihre individuellen Ressourcen verändert (vgl.

ebd.). Ihrer Bearbeitung ist daher eine Dynamik inhärent (vgl. ebd.). Mit dem Konzept der Entwicklungsaufgaben werden Lehrpersonen als aktiv Handelnde und Lernende konzeptua-

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Einbettung der Forschungsfragen in aktuelle Diskussionen

lisiert; Entwicklungsaufgaben entstehen im Zuge der individuellen Wahrnehmung und Deu- tung objektiver, berufsphasenspezifisch variierender Anforderungen (vgl. Keller-Schneider &

Hericks 2014, 391f.).

Das Konzept wurde in den Studien von Hericks (2006) und Keller-Schneider (2010) entwi- ckelt. Sie identifizieren vier Entwicklungsaufgaben, die als Rollenfindung, Vermittlung, Anerken- nung und Kooperation bezeichnet werden (vgl. Keller-Schneider & Hericks 2014, 393). Diese umfassen folgende Aspekte (vgl. Hericks u.a. 2019, 600):

•  die Entwicklung einer professionellen Identität als Lehrer*in;

•  die Lehrtätigkeit, welche Lerngegenstand und Lernende in ein Verhältnis setzt;

•  die Wahrnehmung, Einschätzung und Lenkung der Schüler*innen als entwicklungsbedürf- tige und -fähige Andere und

•  die Entwicklung eines Mitgliedschaftsentwurfs im Kollegium sowie die aktive Auseinander- setzung mit der Schule als Institution und Organisation.

Die aufgeführten Entwicklungsaufgaben sind zwar empirisch für berufseinsteigende Lehrperso- nen rekonstruiert worden, darüber hinaus können sich aber auch in anderen Berufsphasen neue oder veränderte Entwicklungsaufgaben stellen, welche die Entwicklungsfelder Person, Sache, Schüler*innen und Institution betreffen (vgl. ebd.). Die Entwicklungsbereiche bleiben über die gesamte Berufsbiographie bestehen, zugleich steht der Unterricht „als Ort der Entwicklung im Brennpunkt dieser vier Felder“ (ebd.).

Wie berufliche Anforderungen wahrgenommen, gedeutet und bearbeitet werden, ist in dem Prozessmodell von Keller-Schneider (2010; 2018) ausgearbeitet. Dieses Modell wird in Abschnitt 5.2 erläutert. Emotionen sind dort Teil der individuellen Ressourcen. Sie struktu- rieren folglich den Wahrnehmungsprozesses von Anforderungen mit, im Zuge dessen verfüg- bare und zu investierende Ressourcen in Relation zueinander gesetzt werden, was umgekehrt auch der Regulierung von Emotionen dient (vgl. ebd., 238). Dass Emotionen für den Prozess des Wahrnehmens, Deutens und Bearbeitens beruflicher Anforderungen von Bedeutung sind, lässt sich durch empirische Befunde von Keller-Schneider (2010) belegen. So zeigt sich bei- spielsweise, dass Emotionen als Teil der Persönlichkeitsfaktoren einen Effekt auf die Beanspru- chung durch die Entwicklungsaufgabe Rollenfindung haben (vgl. ebd., 259). Damit verbunden können auch Effekte der Bewältigungsstrategien auf die Beanspruchung identifiziert werden, welche durch emotionsorientiertes Coping in bestimmten Teilbereichen der Rollenfindung ver- stärkt wird. Des Weiteren unterscheidet Keller-Schneider (vgl. ebd., 280-286) mittels Cluster- analyse sechs Typen, die verschiedene Muster der entwicklungsspezifischen Beanspruchungen umfassen. Auch hier ist die Ausprägung der eigenen Emotionen (Intensität und Dauer) und der Umgang mit ihnen bedeutsam. Die Auseinandersetzung mit Emotionen bestimmt folglich mit, inwiefern die Lehrpersonen in ihrer Professionalisierung voranschreiten. Der Auslöser des Bearbeitungsprozesses begründet sich dadurch, dass eine Dringlichkeit der Bearbeitung wahr- genommen wird (vgl. Keller-Schneider 2018, 243). Diese Dringlichkeit geht mit einer Diskre- panzerfahrung einher, die eine Voraussetzung dafür ist, dass eine Entwicklungsaufgabe vom Individuum als solche überhaupt wahrgenommen wird (vgl. ebd.).

Mit der Studie von Hericks (2006) lässt sich ebenfalls eine professionalisierungsrelevante Bedeutung von Emotionen ableiten, auch wenn Emotionen theoretisch und empirisch nicht explizit in den Blick genommen wurden. So ist es das Anliegen von Hericks (vgl. ebd., 141f.), die besondere Anforderungsstruktur pädagogischen Handelns zu rekonstruieren, wie sie von den Akteur*innen erlebt und erlitten wird. Dieses Wie des Erlebens dokumentiert

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Habitus und Emotionen

sich in den Fallanalysen. In dem Fall Nicole Rosenbaum zeigt sich beispielsweise nach einem Jahr Berufstätigkeit, dass die Lehrerin im Zuge der Bearbeitung der Entwicklungsaufgabe Rollenfindung die Schüler*innen als Lernpartner*innen in einem Prozess der Teambildung wahrnimmt, was in einer vergrößerten emotionalen Distanz zum Ausdruck kommt (vgl. ebd., 366). Sie weiß eine Entscheidung darüber zu treffen, wann sie für die Emotionsexpressionen der Schüler*innen verantwortlich und zuständig ist (vgl. ebd.). Dieser Bearbeitungsprozess trägt zur Professionalisierung der Lehrerin bei. Beide Studien weisen demnach darauf hin, dass die Wahrnehmung, Deutung und Bearbeitung von Entwicklungsaufgaben von Emotio- nen begleitet ist. Eine Auseinandersetzung mit Emotionen konstituiert damit die Professio- nalisierung von Lehrpersonen mit.

Zusammenfassend kann formuliert werden: Die Einblicke in die drei unterschiedlichen Bestim- mungsansätze von Professionalität im Lehrer*innenberuf zeigen, dass der Auseinandersetzung mit Emotionen eine professionalisierungsrelevante Bedeutung zukommt. Implizit ist damit vorausgesetzt, dass Emotionen von Lehrpersonen ebenfalls einem Professionalisierungsprozess unterliegen. Mit Bezug auf die vorherigen Ausführungen lässt sich somit eine zentrale Annahme dieser Studie formulieren: Emotionen bestimmen die Professionalisierung von Lehrpersonen mit, sie sind Ausdruck und Gegenstand solcher Prozesse und konstitutiver Bestandteil der Praxis von Lehrpersonen. Zwar greifen die skizzierten Ansätze Emotionen in ihrer jeweiligen Bestimmung der Professionalität und Professionalisierung von Lehrpersonen auf, diese Kategorie wird aber nicht in den Vordergrund der Betrachtung gerückt. Ein Ansatz, der Emotionen in dem und als Prozess der Professionalisierung fokussiert, bearbeitet damit das in Kapitel 1 umrissene For- schungsdesiderat.

Ein berufsbiographischer Zugang, der die struktur- und kompetenztheoretische Perspektive verbindet, fragt als Bildungsgangforschung unter anderem, „wie sich biographisch und gesell- schaftlich vorgeformte Handlungsdispositionen – zusammengefasst als Habitus – in der Bewäl- tigung konkreter Handlungsanforderungen auswirken“ (Keller-Schneider & Hericks 2014, 391, H.i.O.). Ein weiterer Fokus liegt auf der Frage, „wie sich spezifische Handlungsanforderungen eines Feldes oder der Gesellschaft als Ganze – konzeptionell gefasst als Entwicklungsaufgaben – in Biographien von Menschen niederschlagen“ (ebd., H.i.O.). Diese Fragestellungen rahmen das in Kapitel 1 erläuterte Erkenntnisinteresse dieser Studie und ermöglichen, an emotionsso- ziologische Überlegungen anzuschließen (vgl. Abschnitt 2.3).

In Abschnitt 5.1 und 5.2 wird diskutiert, wie der berufsbiographische Ansatz zur Untersuchung der Forschungsfragen in einer praxeologisch-wissenssoziologischen Perspektive akzentuiert werden kann. Dem geht eine Auseinandersetzung mit den von Terhart (2011, 208) aufgeworfe- nen Fragen voraus, „in welcher Weise ‚Entwicklung‘ überhaupt ausgelöst wird, stattfindet, sich teilweise verfestigt, zur Voraussetzung für weitere Entwicklung wird“. Des Weiteren gilt es, „das Verhältnis von äußeren (situativen) und inneren (subjektiven) Anstößen und deren Nachhaltig- keit“ zu diskutieren (ebd.). Kapitel 3 und 4 stellen dar, zu welchen Ergebnissen und Verhältnis- bestimmungen die vorliegende Studie bezüglich dieser Fragen kommt, die dann in Kapitel 5 zu einer Prozessstruktur von Professionalisierung verdichtet werden.

2.2 Habitus und Emotionen

In diesem Abschnitt wird erläutert, dass und wie Emotionen innerhalb der Habitustheorie von Bourdieu konzeptualisiert werden können. Dies trägt dazu bei, eine Brücke zwischen dem für den berufsbiographischen Ansatz relevanten Habitusbegriff und dem in dieser Studie verwendeten Begriff der Emotionen zu schlagen. Dieser Brückenschlag mündet in einem pra-

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