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Im emotionalen Dunkel

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72 DIE PTA IN DER APOTHEKE | September 2020 | www.diepta.de

A

lexithymie nennt

die Medizin diese Erkrankung. „Ge- fühlsblindheit“, die den Zugang zum eigenen emo- tionalen Erleben versperrt. Im medizinischen Nachschlage- werk „Pschyrembel“ steht zu lesen, Alexithymie ist das

„Unvermögen, Gefühle hinrei- chend wahrzunehmen und zu beschreiben.“ Anders formu- liert: Wer darunter leidet, kann seine eigenen Emotionen we- der erkennen noch ausspre- chen. Denn einerlei ob Wut, Freude, Trauer, Glück, Hass, positives oder negatives Ge- fühl: Alexithyme können es

weder einordnen noch benen- nen. Bis zu zehn Prozent der erwachsenen Bundesbürger sind von der Gefühlsblindheit betroffen.

Emotional und sozial iso- liert Gefühlsblind zu sein, heißt keineswegs, keinerlei Ge- fühle zu haben – doch der Zu- gang dazu ist blockiert. Sol- cherart emotional isoliert ist es enorm schwer, sich in der Gesellschaft zurecht zu fin- den. Denn auf ihre Umwelt wirken die Betroffenen ex- trem kühl, nüchtern und di- stanziert. So kann Gefühls- blindheit nur allzu rasch ins

gesellschaft liche Abseits manö- vrieren. Laut dem Neurowis- senschaftler und Psychosoma- tiker Prof. Dr. Matthias Franz von der Heinrich-Heine-Uni- versität Düsseldorf, der die- ses Phänomen seit vielen Jah- ren eingehend erforscht, kann kaum eine andere psychologi- sche Störung das menschliche Miteinander so sehr erschwe- ren wie Alexithymie.

Bei Willy Brandt, prominentem Betroffenen, hat das gefühlsmä- ßige „Fernsein“ so manche Zeit- genossen verprellt. „Es gab kein starkes Gefühl, dem ich mich rückhaltlos ausliefern konnte“

schrieb der berühmte Politiker

in seiner Biografie. Sein Sohn Peter sagte über ihn, er sei emo- tional nicht da gewesen … Alexithymie birgt einiges an Risiken Da für Alexithyme das Tor zu ihrer eigenen Ge- fühlswelt verschlossen ist, kön- nen sie auch die emotionalen Signale anderer Menschen nur schwer deuten. Das irritiert sie verständlicherweise und be- wirkt dauerhaften psychosozia- len Stress. Der kann krank ma- chen: So weisen bis zu vierzig Prozent der Patienten mit chro- nischen Schmerzen alexithyme Charakteristika auf. Zudem ist das Risiko für Bluthochdruck, Reizdarmsyndrom, Schlafstö- rungen, Depressionen und Ess- störungen bei gefühlsblinden Menschen erhöht. Auch bei an- deren Erkrankungen wird ein Zusammenhang mit der Ge- fühlsblindheit vermutet und ge- genwärtig untersucht.

Frühkindliche Verletzun- gen der Gefühle Wie Ge- fühlsblindheit entsteht, war jahrzehntelang ein Rätsel. In- zwischen kommen Neuropsy- chologen den Ursachen jedoch auf die Spur. Demnach ist Ale- xithymie keine angeborene Per- sönlichkeitsstörung, sondern wird vielmehr früh im Leben

GEFÜHLSBLINDHEIT

Sie empfinden weder Glück noch Trauer, kennen weder Eifersucht

noch Hass, wissen nicht, was es heißt, über beide Ohren verliebt zu sein:

jene Menschen, deren gefühlsmäßige Wahrnehmung gestört ist.

Im emotionalen Dunkel

© dundanim / iStock / Getty Images

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durch ein Trauma erworben. Viele Studien zeigten, dass der Zugang zur Gefühlswelt grundlegend durch die Beziehung zu Mutter und Vater geprägt wird. Ist das Verhältnis zu diesen zentralwichtigen Bezugspersonen in den kindlichen Entwicklungsjahren gestört, kann das weitreichende Folgen haben. Wie unter anderem Ale- xithymie: Davon Betroffene mussten meist in der frühkind lichen Phase emotionale Defizite hinnehmen und haben sich daraufhin zurückgezogen.

Neben einer traumatisierten Kindheit können auch schreckliche Erlebnisse im späteren Leben zu der Stö- rung führen. Dann dient die Blockade der seeli- schen Empfindungsfähigkeit als Selbstschutz: Das

„Ausschalten“ der Gefühlsebene hilft, die erlit- tene Traumatisierung besser zu ertragen.

Anatomische Indizien für das emotio- nale Dunkel Bildgebende Verfahren wie die Positronen-Emissions-Tomografie und Kern- spintomografie zeigen, wie das Gehirn Emo- tionen wahrnimmt und verarbeitet. Das liefert auch wertvolle Informationen für die Erfor- schung der Alexithymie. So zeigen gefühls- blinde Menschen Funk tionsveränderungen in Gehirnbereichen, die der zentralen Verarbeitung emotionaler Reize dienen: Besonderheiten, die auf eine beeinträchtigte Evaluation und Symbolisie- rungsfähigkeit entsprechender Informationen schlie- ßen lassen.

Vieles spricht zudem dafür, dass bei Gefühlsblinden das limbi- sche System nicht richtig mit dem präfrontalen Cortex vernetzt ist.

Dies ergaben unter anderem Messungen der Hirndurchblutung, während der die Patienten an eine extrem emotionale Situation denken sollten, etwa den Tod eines nahestehenden Menschen. Die Reaktionen im limbischen System, Zentrum der Gefühlsverarbei- tung, waren minimal. Rege Aktivitäten zeigten sich dagegen im Stirnlappen. Diese Region des Gehirns ist in der Lage, die Weiter- leitung emotionaler Reize zu unterbinden. Das könnte die neuro- biologische Ursache für die Gefühlsblindheit sein. Demnach ist die Ursache eben nicht das Fehlen von Gefühlen, sondern deren Un- terdrückung. Eine weitere anatomische Erklärung basiert darauf, dass bei Gefühlsblinden der Informa tionsfluss zwischen den beiden Gehirnhälften gestört zu sein scheint: An unterschiedlichen Stellen gespeicherte Informationen können offensichtlich nicht mehr zu- sammengesetzt werden.

Die Welt der Gefühle wieder öffnen Mit psychotherapeu- tischen Verfahren kann Gefühlsblinden geholfen werden. Im Vordergrund stehen dabei kognitive Verhaltenstherapie sowie Tanz- und Kunsttherapie, da sie das Selbsterleben fördern. Erfolg und Dauer der Behandlung hängen davon ab, wie schwer die Alexithymie ausgeprägt und vor allem wie offen der Patient für die Therapie ist.

Denn er muss sich auf ein komplett neues Verständnis seiner Pro- bleme einlassen. Das fällt umso schwerer, wenn Emotionen bislang unerkannt und ohne Bedeutung waren.  n

Birgit Frohn, Diplombiologin

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