• Keine Ergebnisse gefunden

Öffentliche Sicherheit – eine Vertrauensfrage?

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2021

Aktie "Öffentliche Sicherheit – eine Vertrauensfrage?"

Copied!
4
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Polizei im Umbruch -

Herausforderungen und Zukunftsstrategien

BKA Herbsttagung

vom 15. – 16. November 2017

Öffentliche Sicherheit – eine Vertrauensfrage?

Kurzfassung

Prof. Dr. Armin Nassehi

(2)

BKA Herbsttagung 2017

Polizei im Umbruch – Herausforderungen und Zukunftsstrategien Öffentliche Sicherheit – eine Vertrauensfrage?

Prof. Dr. Armin Nassehi, Ludwig-Maximilians-Universität München 1

ÖFFENTLICHE SICHERHEIT – EINE

VERTRAUENS-FRAGE?

Öffentliche Sicherheit ist eine Vertrauensfrage. Sicherheit empfindet nur derjenige, der Vertrauen in die Situation hat. Das gilt für alle Lebensbereiche: im großstädtischen Alltag, in persönlichen Beziehungen, auf Märkten, als Staatsbürger usw..

Wie entsteht Vertrauen? Es gibt darauf eine soziologisch relativ einfache Antwort: Vertrauen

entsteht durch Verzicht auf letztes Wissen, oder besser formuliert: Vertrauen liegt dann vor, wenn ich auf letztes Wissen verzichten kann. Vertrauen ist letztlich das Absehen davon, was alles an negativ bewerteten Folgen möglich wäre. Der Verzicht auf letztes Wissen und voll-ständige Transparenz ist es, der einen modernen Alltag erst möglich macht. Dies gilt erst recht in komplexen Gesellschaften, in denen so etwas wie vollständige Informationen und transparentes Wissen ohnehin völlig undenkbar ist. Selbst Expertenkulturen, Wissenschaft-ler, politische Repräsentanten, Massenmedien, Rechtsberater, nicht einmal psychologischer Beistand oder religiöse Seelsorge sind kaum in der Lage, wirkliche Eindeutigkeiten zu pro-duzieren – und das stellt Vertrauen als sozialen Mechanismus vor eine besondere Heraus-forderung.

Komplexe Gesellschaften sind einerseits stabil, weil sie Abweichung und Pluralismus ermöglichen, andererseits besonders vulnerabel. So können Selbstverstärkungs-prozesse in den Medien, die Verletzlichkeit von Märkten durch bloße Stimmungen oder die Gefahr politischer Instabilität durch Vertrauensverlust in Eliten zu Unsicherheitsempfinden beitragen. Die wohl bedeutsamste Vulnerabilität lässt sich am Terrorismus festmachen. Der moderne Terrorismus, wie wir ihn derzeit vor allem als islamistischen Terrorismus kennen, ist wirklich modern und auf der Höhe der Zeit, denn er kennt die Länge von Handlungs-ketten und die Dichte von WirkungsHandlungs-ketten ziemlich genau. Der entscheidende Angriffs-punkt ist dabei das Verhältnis von Vertrauen und Sicherheit. Seine Strategie besteht darin, durch gezielte Anschläge keine konkreten Personen zu schädigen, sondern das fragile Verhältnis von Vertrauen und Sicherheit unmittelbar in Frage zu stellen. Der Adressat dieses Terrorismus sind nicht die unmittelbar Geschädigten, sondern Dritte. Es ist vorge-führte Gewalt, die nur zeigen soll, dass man sie vorführen kann. Der Terrorist nutzt die anonyme, die indifferente, die vertrauensabhängige Struktur des modernen großstädti-schen Alltags und säht hier vor allem Zweifel in das Vertrauen in das üblicherweise unbe-kannt Bleibende.

Es geht hier nun nicht primär um Terrorismus, sondern um den Hinweis, wie fragil das Sicherheitsempfinden in komplexen modernen Gesellschaften ist. Verstärkt wird dies

(3)

BKA Herbsttagung 2017

Polizei im Umbruch – Herausforderungen und Zukunftsstrategien Öffentliche Sicherheit – eine Vertrauensfrage?

Prof. Dr. Armin Nassehi, Ludwig-Maximilians-Universität München 2

durch die neue Erfahrung, dass Gesellschaften immer weniger sichtbare Marker ihrer selbst kennen, also unübersichtlicher werden. Letztlich lässt sich die Gesellschaft nur noch mit digitalen Mitteln verstehen – das gilt inzwischen für das Erleben der Bürger selbst, vor allem aber für die professionellen Funktionsbereiche der Gesellschaft, auch für Strafverfol-gung und Sicherheitsbehörden. Vor allem die präventive, zum Teil auch die repressive Funktion polizeilicher Aufgaben wird immer stärker mit diesen digitalen Formen der Mustererkennung zu tun haben – was erhebliche Folgen für die Sicherheitswahrnehmung haben wird.

Ohnehin ist diese Diskussion stark gerahmt durch eine Entwicklung, die weit über die Sicherheitspolitik hinaus bedeutsam ist. Die Umstellung von sowohl Marktaktivitäten und Marketing, der Entwicklung von Geschäftsmodellen, von Forschung, politischer Kommu-nikation, medizinischer Forschung und Praxis, von Energieversorgung und Verkehrsinfra-struktur auf Mustererkennung ist ein geradezu revolutionäres Geschehen. Diese Welt zu verstehen, aber auch sich in ihr praktisch zu bewegen, wird immer mehr von Mustererken-nungspraktiken und –techniken abhängig. Es ist dies eine Praktik und Technik, für die es nicht einmal unter Experten, geschweige denn unter Laien eine eingeführte kulturelle Repräsentation gibt. Vieles von dem, was wir als Verunsicherung und Unbehagen an Kom-plexität wahrnehmen, hängt mit dieser neuen Epistemologie zusammen, die vielleicht ähnlich revolutionär sein wird, wie der Buchdruck es für die westliche Kultur einmal gewe-sen ist – mit damals übrigens ganz ähnlichen Folgen für das Sicherheitsempfinden der Menschen.

Die Sicherheitskommunikation der Sicherheitsbehörden und des Staates ist unmittelbar eingebettet in diese revolutionäre Entwicklung. Insbesondere auf der Seite der präventiven Polizeifunktion wird diese Form der Erkenntnis der eigenen Gesellschaft und die Wahr-nehmung von Gefahrensituationen sowie die Identifikation von Gefährdern in unter-schiedlichen Kriminalitätsfeldern eine besondere Rolle spielen. Auf den ersten Blick fallen dabei zunächst rechtliche, auch verfassungsrechtliche Fragen über Datensicherheit, infor-mationelle Selbstbestimmung, Privatsphäre und Ähnliches an, was in Deutschland im Hin-blick auf die Vernetzung von Daten auch die Frage des föderalen Polizeisystems betrifft. Auf den zweiten Blick aber wird sichtbar, dass die Sache weit darüber hinausgeht. Es ist eine Frage der Klugheit von Sicherheitskommunikation, hier ein angemessenes Maß von Sicht-barkeits- und Unsichtbarkeitsmanagement zu finden. Im politischen Diskurs gilt die For-derung nach Transparenz als Kardinaltugend – unter Sicherheitsaspekten eröffnet sich hier ein schwieriges Feld der Vertrauensbildung, zumal wenn man die internationale und globa-le Dimension dieses Themas mitbedenkt.

(4)

BKA Herbsttagung 2017

Polizei im Umbruch – Herausforderungen und Zukunftsstrategien Öffentliche Sicherheit – eine Vertrauensfrage?

Prof. Dr. Armin Nassehi, Ludwig-Maximilians-Universität München 3

Für politische und polizeiliche Sicherheitskommunikation hat das erhebliche Konsequen-zen. Sie trifft zum einen auf das Paradox der Sicherheitskommunikation, andererseits auf die Notwendigkeit, den Menschen zu erklären, was geschieht. All das ist eine Vertrauens-frage. Vertrauen ist eine Funktion des Gelingens – insofern dürfte die entscheidende Strate-gie für eine Selbstreflexion polizeilicher Praktiken darin liegen, nach jenen Erfolgsbedin-gungen zu fragen, die Vertrauen wachsen lassen: nämlich professionell dafür zu sorgen, dass der Bürger und die Bürgerin nicht so genau hinsehen muss. Denn das ist und bleibt die Antezedenzbedingung für Vertrauen.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Mir geht es darum, noch einmal klar zu betonen, dass das Gefühl öffentlicher Sicherheit tatsächlich an Vertrauen gebunden ist – an das grund- legende Vertrauen in eine Welt, die

Die Impfung von Rindern gegen die Infektion mit dem BVD-Virus (BVDV) ist ab dem 15. Mai 2021 im gesamten Gebiet des Landkreises Ebersberg verboten. Die zuständige Behörde kann im

Die Unterschiede zwischen den Zahlen der Polizei lichen Kriminalstatistik zu Straftaten und Tatverdächtigen einerseits und Abge- urteilten und Verurteilten der Strafver fol- gungs

Verständigen Sie die Nachbarn, die eine Durchsage vielleicht nicht gehört haben oder nicht Deutsch sprechen.

„Wenn Sie an die letzten drei Jahre denken, was hat sich Ihrer Meinung nach in Ihrer Wohngegend verbessert, verschlechtert oder ist gleich geblieben?“ – hier: Antworten zum

Diese Handlungsfelder zeichnen sich durch die Praktiken der Sammlung von Informationen und deren Kategorisierung sowie die Überprüfung von Personen aus, welche möglich sind

Viele der von Einzelstaaten oder der Europäischen Union ausgegebenen Mittel sind für anwendungsbezogene Forschung bestimmt, was zum Beispiel bedeuten kann, dass eine

Die deutsche Lebensmittelkette ist komplex, divers und von herausragender Bedeutung für verschiedene Aspekte der Krisenbewältigung. Die Akteure zeichnen sich, trotz allgemein