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Diagnostik und Therapie bei Schussverletzungen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich

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Academic year: 2021

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Aus der Klinik und Poliklinik für Zahn-, Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Kopf- und Neurozentrums

des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf

Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Rainer Schmelzle

Diagnostik und Therapie bei Schussverletzungen im Mund-,

Kiefer- und Gesichtsbereich

DISSERTATION zur

Erlangung des Grades eines Doktors der Zahnmedizin der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg

vorgelegt von

Dr. med. Alexander Gröbe aus Lübeck

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Angenommen von der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg am: 19.08.2009

Veröffentlicht mit Genehmigung der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg.

Prüfungsausschuss, der Vorsitzende: Prof. Dr. Dr. R. Schmelzle Prüfungsausschuss: 2. Gutachter: Priv.-Doz. Dr. Dr. P. Pohlenz Prüfungsausschuss: 3. Gutachter: Priv.-Doz. Dr. H. Kutta

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Inhaltsverzeichnis 3

1. Einleitung...5

1.1 Vorbemerkung ...5

1.2 Historisches ...5

1.3 Epidemiologie...8

1.4 Grundlagen zum Verletzungsmuster von Schussverletzungen...9

1.4.1 Waffen, Munition und Ballistik ...9

1.4.2 Verletzungswirkung...12

1.5 Allgemeine Prinzipien in der Behandlung von Schussverletzungen ...14

1.6 Fragestellung und Ziel der Arbeit ...16

2. Material und Methoden...18

2.1 Studienpopulation ...18 2.2 Datenerhebung...18 2.3 Auswertung ...19 2.4 Statistik ...19 3. Ergebnisse ...20 3.1 Biografische Daten ...20

3.2 Art und Motive der Verletzung...20

3.3 Verletzungslokalisation ...22

3.4 Erstversorgung der Schussverletzten...23

3.5 Diagnostik ...24

3.6 Therapeutisches Vorgehen (Einsatz der navigationsassistierten Chirurgie)...25

3.7 Medikamentenapplikation, Verlauf und Behandlungsergebnisse...32

4. Diskussion ...35

4.1. Epidemiologie, Ursachen und Motivation ...35

4.4. Diagnostik von Schussverletzungen ...36

4.2. Schussverletzungen mit Beteiligung des Neurokraniums ...37

4.3. Schussverletzungen mit Beteiligung des Halses...38

4.5 Versorgung von Schussverletzungen...40

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Inhaltsverzeichnis 4

4.5.2 Weichgewebsdefekte ...42

4.5.3 Knöcherne Verletzungen ...43

4.5.4 Navigationsassistierte Chirurgie ...44

4.6 Gabe von Blutprodukten und antibiotische Therapie...45

4.7 Schlussfolgerungen...46 4.8 Kritische Einordnung ...47 4.9 Zusammenfassung...48 5. Literaturverzeichnis ...51 6. Abbildungsverzeichnis...62 7. Tabellenverzeichnis...63 8. Danksagung ...64 Akademischer Lebenslauf ...65 Eidesstattliche Erklärung...66

(5)

Einleitung 5

1. Einleitung

1.1 Vorbemerkung

Bei Schussverletzungen als einer Sonderform des stumpfen Traumas handelte es sich bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts hauptsächlich um Kriegsverletzun-gen, so dass ein Grossteil der Kenntnisse darüber aus der Militär- und Kriegs-medizin herrührt. Dieses Bild hat sich heutzutage gewandelt. Kriminelle Delikte, aber auch Suizidversuche oder private und/oder berufliche Unfälle treten als Ursache mit lokal und regional sehr unterschiedlichem Verteilungsmuster mehr und mehr in den Vordergrund.

Die Diagnostik und Therapie von Schussverletzungen stellt nicht zuletzt im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich aufgrund ihrer möglichen Vielfalt und Ver-letzungsschwere auch der Begleitverletzungen und Komplikationen bis heute eine Herausforderung an die behandelnden Ärztinnen und Ärzte dar. Neben der präklinischen Versorgung ist dabei gerade bei komplexem Verletzungsmuster das interdisziplinäre Zusammenwirken für eine optimale Patientenversorgung entscheidend. Die Versorgung derartiger Verletzungen weicht in Abhängigkeit von Art, Lokalisation und Ausmaß der Verletzung sowie den regionalen Versor-gungsmöglichkeiten häufig von gegebenen Empfehlungen ab. Zusätzlich sind Therapiestandards aufgrund des inhomogenen Krankengutes bei regional un-terschiedlichen Voraussetzungen bislang kaum entwickelt. Eindeutige Empfeh-lungen hinsichtlich des chirurgischen Entfernens oder Belassens eines Projek-tils fehlen.

1.2 Historisches

Die Behandlung von Schussverletzungen im Sinne stumpfer Gewalteinwirkung lässt sich bis weit in die Antike zurückverfolgen. Schon Homer beschrieb in sei-ner Ilias mehr als 140 Wunden verursacht durch stumpfe Traumata wie Pfeil und Steinwurf. Chirurgische Maßnahmen bestanden damals hauptsächlich im

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Einleitung 6 Entfernen von Fremdkörpern, z.T. nach einfacher chirurgischer Erweiterung der Wunde. Anschließend wurden diese Wunden mit Säften beträufelt und verbun-den.

An diesen Methoden änderte sich bis zur Erfindung des Schwarzpulvers Anfang des 13. Jahrhunderts und der Weiterentwicklung bis zum Schießpulver nur we-nig. Bader und Chirurgen sahen sich nun mit einer neuen Art von Wunden kon-frontiert. Bei Quetschungen, Zerreissungen und Verunreinigung durch das Schiess- oder Schwarzpulver blieb für Extremitätenverletzungen oft nur die Amputation als ultima ratio. Im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich war die Prognose oft infaust. Zur Blutstillung wurden die Wunden damals häufig ausge-glüht, ausführlich beschreibt Chauliac im 14. Jahrhundert über die Wundbe-handlung dieser Zeit in seiner Chirurgia magna.

Abb 1: Guy de Chauliac's 'Chirurgia Magna' von 1363, zeigt eine öffentliche Dissektion in der Fakultät von Montpellier

Paré wandte 1552 erstmals die Gefässligatur bei Amputationen an und erkann-te, dass Schiesspulver per se nicht giftig sei, entsprechend behandelte er Wun-den durch das Débridement. Die Entwicklung neuer Techniken in der Chirurgie revolutionierte die Versorgung Schwerverletzter. So beschrieb Rehn 1897 die erste erfolgreiche Naht einer Herzstichverletzung [75].

Trotz dieser Fortschritte blieb die Prognose vieler Schwerverletzter im I. Welt-krieg aufgrund hoher Wundinfektionsraten und unzureichender anästhesiologi-scher Möglichkeiten schlecht. Die Mortalitätsrate operativ versorgter Schussver-letzter lag mit über 50% nur wenig unter der Gesamtmortalität [25, 28].

(7)

Einleitung 7 Die Verletzten des II. Weltkrieges konnten bereits von den Weiterentwicklungen im anästhesiologischen Bereich mit Einführung geschlossener Respiratorsys-teme, Reanimation und Schockbehandlung, der Entdeckung des Penicillins so-wie von der stetigen Verbesserung operativer Kenntnisse profitieren. Der Zahn-arzt Hugo Ganzer hat in diesem Zusammenhang 1943 eine ausführliche Zu-sammenfassung über Kriegsverletzungen und deren plastische Rekonstruktion insbesondere von Verletzungen des Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereiches pub-liziert [29].

Während beider Weltkriege dokumentierte man die gewonnenen Erfahrungen für retrospektive Studien, und die so akquirierten Daten galten als Grundlage für die Empfehlungen in den ersten Nachkriegsjahren. Zusätzlich führten Erfah-rungen aus kriegerischen Auseinandersetzungen in Korea und Vietnam Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts und aktuelle Konflikte zur Weiterentwicklung bestehender Behandlungsstrategien.

Insoweit die Kriegschirurgie einen enormen Zugewinn an Kenntnissen um die Diagnostik und Therapie von Schussverletzungen erbracht hat, sind diese nicht ohne weiteres in Friedenszeiten auf die hoch entwickelten Industrienationen übertragbar.

In den modernen Ländern Mittel- und Westeuropas herrschen z.B. bessere dia-gnostische und therapeutische Voraussetzungen als in Südafrika oder im Na-hen Osten. So können hiesige Standards weder auf diese Länder noch auf die USA kompromisslos übertragen werden. Aufgrund der hohen Inzidenz und der hierdurch weitreichenden Erfahrungen mit Schussverletzungen werden in den o.g. Ländern andere Konzepte als z.B. in Deutschland favorisiert. Trotzdem sollten im Zeitalter der „Evidence-based-Medicine“ allgemein gültige Algorith-men und Standards angestrebt werden, um nicht zuletzt auch am Universitäts-klinikum Hamburg-Eppendorf die chirurgische Behandlung von Schussverlet-zungen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich durch einheitliche diagnostische Strategien und Therapiekonzepte zu verbessern.

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Einleitung 8

1.3 Epidemiologie

Von allen schweren Verletzungen dominierte in dem von der Deutschen Ge-sellschaft für Unfallchirurgie für 2007 herausgegebenen Traumaregister das stumpfe Trauma mit einem Anteil von 94%, wobei 5,4% aller schweren Verlet-zungen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich stattgefunden habe [21]. Schussverletzungen sind in Europa im Vergleich zu Staaten mit einer hohen Kriminalität (z.B. USA, Südafrika) seltener Ursache schwerer Verletzungen. So wird im Gegensatz zu angloamerikanischen Publikationen ein Verhältnis von 10:1 von stumpfen gegenüber penetrierenden Traumata beschrieben [37, 61, 63]. Hingegen sind in den USA ca. 70% aller Traumata penetrierend. Die Schussverletzung stellt dabei die häufigste Todesursache junger Erwachsener dar [72].

In einem 1993-1997 in Deutschland und der Schweiz erfassten Patientenkollek-tiv beträgt der Anteil penetrierender Traumata bei Schwerverletzten nur 7,2% bei jedoch höherer Letalität im Vergleich zu stumpfen Traumata (22,8% vs. 18,3%). Der Anteil von Suiziden bei penetrierenden Verletzungen betrug 21,6% [3].

Auch das Verhältnis von stumpfen zu spitzen Traumata zeigt Unterschiede. In deutschen Publikationen überwiegen Stichverletzungen deutlich. Schussverlet-zungen machen weniger als ein Viertel der penetrierenden Traumata aus [61, 91]. In den USA hingegen überwiegen Schussverletzungen, was vermutlich auf die freie Verfügbarkeit von Schusswaffen und kulturellen Unterschieden zu-rückzuführen ist [2, 58].

Auch in Deutschland kam es in den letzten Jahren zu einer Häufung von Straf-taten mit gefährlicher und schwerer Körperverletzung. Die Kriminalstatistik der Polizei für 2007 nennt eine Steigerungsrate von 2,4% gegenüber 2006, wobei, statistisch gesehen, in nur 0,2% der Fälle eine Schusswaffe benutzt wurde. Zu beobachten ist ein Ansteigen der Häufigkeitszahlen mit wachsender Einwoh-nerzahl eines Ortes [96].

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Einleitung 9 In einer Auswertung aller deutschen Städte über 200.000 Einwohner sowie der Landeshauptstädte wurde für Hamburg die fünftgrösste Häufigkeitszahl für schwere Körperverletzungen genannt. Dies wird nur von Frankfurt/Main, Berlin, Bremen, Magdeburg und Lübeck übertroffen. Zudem berichtet die Polizeiliche Kriminalstatistik für 2007 über eine Zunahme der Straftaten mit Schusswaffen-verwendung von 1,8% gegenüber 2006 [96]. Diese Zahlen und Statistiken be-schreiben ein gefährliches Kriminalitäts- und Verletzungspotential, speziell auch in Hamburg.

Gerade nach Schussverletzungen versterben Patienten häufig noch am Tat- oder Unfallort. Über diese Gruppe liegen in Deutschland kaum statistische An-gaben vor. Betroffen sind hauptsächlich Patienten mit perforierenden Verlet-zungen des Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereiches und des Hirnschädels sowie des Herzens.

In der Zusammenschau der vorliegenden Literatur differieren die Morbiditäts- und Mortalitätsraten auch in Abhängigkeit von der betroffenen Körperregion. Allgemein gilt jedoch, dass Schussverletzungen eine höhere Letalität als spitze Traumata wie z.B. Stichverletzungen der gleichen Lokalisation haben.

1.4 Grundlagen zum Verletzungsmuster von Schussverletzungen

1.4.1 Waffen, Munition und Ballistik

Schussverletzungen werden als Sonderform der stumpfen Gewalteinwirkung aufgefasst. Sie gehen im allgemeinen mit komplexen Verletzungsmustern ein-her, welche von der Einwirkung und Art des Geschosses, dem Verlauf des Schusskanals und von der Schussentfernung und der Geschossenergie (Druckwelle) abhängt. Zusätzlich bestimmen mitgerissene Fremdkörper sowie die Dichte des betroffenen Gewebes die Schwere einer Schussverletzung.

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Einleitung 10 Krankenhäusern nur selten geläufig sind, gehören diese und ballistische Grundkenntnisse zur Voraussetzung und zum Verständnis der Behandlung von Schussverletzungen und sollen im Folgenden kurz dargestellt werden:

So unterscheidet man hinsichtlich der Waffenarten Faustfeuerwaffen und Hand-feuerwaffen. Erstere sind für den einhändigen Gebrauch bestimmt und verfügen als Pistolen über ein Magazin, welches im Griffstück untergebracht ist. Nach dem Abfeuern einer Patrone wird deren Hülse vom zurückgleitenden Ver-schluss herausgeworfen. Revolver hingegen als zweite Faustfeuerwaffe werden mit Patronen in einer drehbaren Trommel bestückt, die Hülsen bleiben nach der Schussabgabe in der Trommel zurück.

Abb. 2 a, b: Aufbau von Flintenmunition: (a) Patrone mit Schrotladung, (b) Patrone mit Flintenlaufgeschoss

Zweitere Waffenart sind für den zweihändigen Gebrauch bestimmt und haben entweder einen gezogenen Lauf wie Büchsen oder militärische Sturmgewehre oder aber einen glatten Lauf wie Flinten und Vorderschaftrepetierflinten („Pump gun“). Gezogenen Läufe versetzen die Munition in eine kreiselartige Rotation und stabilisieren das Geschoss, glatte Läufe sind zum Verschuss von Schrot-munition bestimmt.

Weiterhin bezeichnet man den Querdurchmesser des Geschosses mit dem Ausdruck „Kaliber“. Kalibermaße werden als Nominalangaben verwendet und leiten sich vom Felddurchmesser als maximale diametrale Entfernung zweier Felder im Laufinnern ab. Bei Pistolen herrschen die Kaliber 6,35 mm, 7,65 mm, 9 mm und 45 vor, bei Revolvern .32, .357, .38 und .44. Bei Handfeuerwaffen ist

(11)

Einleitung 11 es üblich, neben der Kaliberbezeichnung auch die Hülsenlänge in mm an-zugeben.

Eine Sonderform stellt die Schrotflinte dar, deren Munition aus historischen Gründen die Anzahl von gleich großen Kugeln aus Blei angibt, die zusammen-genommen der Masse eines englischen Pfundes entsprechen (453,6 g). Schrotschusswaffen führen zu einer ausgedehnten Gewebszerreißung, da aus einer Schrotpatrone 70-390 Schrotkugeln freigesetzt werden, die dann mit einer Streuung auf die Körperoberfläche auftreffen und hier einen großen Teil ihrer Energie abgeben.

Abb. 3: Maßstabgetreuer Größenvergleich v.l.n.r.: .45, 9 mm, .357, .22, .17

Für andere Waffenarten wird entsprechend andere Munition verwandt. So be-stehen Patronen für Faustfeuerwaffen und Büchsen aus einer messinggefertig-ten Hülse und einem Projektil bzw. Geschoss. Im Boden der Hülse befindet sich der Zündsatz, der je nach Auftreffstelle des Schlagbolzens in der Mitte oder am Rand als Zentralfeuerpatrone oder Randfeuerzündsatz bezeichnet werden. Das Zündelement beinhaltet einen schlagempfindlichen teilweise bleihaltigen Sprengstoff, welcher durch Explosion zur Zündung einer entsprechenden Treib-ladung führt. Diese besteht aus einem Pulver – früher oft Schwarzpulver wie o.a. – in Plättchen- oder Kügelchenform und führt dem Geschoss die nötige Beschleunigung zu. Die Mündungsgeschwindigkeit für Faustfeuerwaffen wird mit 300-400 m/s (Niedriggeschwindigkeitsgeschosse), für Handfeuerwaffen mit 700-1000 m/s (Hochgeschwindigkeitsgeschosse) angegeben.

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Sekundärge-Einleitung 12 schosse wie Granatsplitter, Gewebeteile und Fragmente von Minen oder Pro-jektilen werden mit einer noch höheren Geschwindigkeit von bis zu 2000 m/s angegeben [6].

Weiterhin wird nach Form des Geschosskopfes in Rundkopf-, Flachkopf- und Spitz-, Zylinder- und Kegelstumpfgeschoss unterschieden, beim Geschossauf-bau nach Voll-, Vollmantel-, Teilmantel und Hohlspitzgeschossen differenziert. So zeigen Voll- und Vollmantelgeschosse einen Bleikern, der mit einem Mantel aus Stahl oder einer Kupferlegierung umhüllt sein kann und Teilmantelge-schosse einen nicht ummantelten Spitzenbereich. Dieser neigt zu höherer De-formierungsbereitschaft, zersplittert und gibt so mehr Energie an das umgeben-de Zielgewebe ab.

Neben Form und Art des Projektils spielt für das Wirkungspotential des Ge-schosses im eintreffenden Gewebe die Geschossenergie E eine entscheidende Rolle, die sich aus der Masse m und der Geschwindigkeit v nach der Formel E = m / 2 • v2 berechnet und in Joule angegeben wird. So führt eine Zunahme der Geschossgeschwindigkeit – siehe Hochgeschwindigkeits- bzw. Niedrig-geschwindigkeits- und Sekundärgeschosse – zur exponentiellen Zunahme der Geschossenergie.

Alle Vorgänge, die innerhalb der Waffe ablaufen werden als Innenballistik zeichnet. Ballistik leitet sich vom griechischen ballein – werfen – ab und be-zeichnet die Lehre von geworfenen Gegenständen, als das Projektile zu ver-stehen sind.

Im Gegensatz dazu beschreibt die Außenballistik das Verhalten des Geschos-ses nach dem Verlassen des Laufes und die Zielballistik die Wechselwirkung zwischen Geschoss und Zielobjekt. Im Falle eines menschlichen oder tierischen Zielobjektes spricht man von Wundballistik.

1.4.2 Verletzungswirkung

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Struk-Einleitung 13 turen und entstehenden Druckschwankungen mit Gewebsdislokationen im Ver-lauf des Schusskanals beim Durchdringen des Primär- und ggf. Sekundärge-schosses. Unter Sekundärgeschossen versteht man Körper, die durch das Pri-märgeschoss mitgerissen werden und eine Eigenbeschleunigung erfahren. Sie können daraufhin in Richtung des Primärgeschosses oder auch senkrecht dazu beschleunigt werden. Weiterhin werden körpereigene und körperfremde Se-kundärgeschosse unterschieden. Erstere betreffen z.B. Knochenfragmente, letztere beispielsweise Kleidungsstücke. Auch körperferne Gegenstände wer-den wer-den körperfremwer-den Sekundärgeschossen zugeordnet.

Beim Eindringen der Primär- und Sekundärgeschosse in das Gewebe wird die-ses seitlich im rechten Winkel zum Schusskanal verdrängt, zentrifugal be-schleunigt, und es entsteht so eine „temporäre Wundhöhle“ oder Kavitation. Nach vollständiger Umsetzung der Bewegungsenergie erfolgt eine zentripetale Rückverlagerung des Gewebes zum Schusskanal zurück und damit eine Ge-webspulsation. Dabei kann von Gewebe mit hoher Dichte, wie z.B. Knochen oder Leber, viel Energie absorbiert werden, was zu einem größeren Defekt mit größerem Durchmesser des Schusskanals führt. Ein geringerer Defekt entsteht vergleichsweise an der luftgefüllten Lunge mit niedrigerer spezifischer Dichte. Trifft ein Geschoss auf flüssigkeitsgefüllte oder wasserreiche Organe, so führt die radiäre Gewebsexpansion zu einer hydrodynamischen Sprengwirkung mit Berstung der Hüllstrukturen und Organperforation, wie z.B. bei Herz, Harnblase, Darm oder Gehirn. Ein typisches Beispiel für den Mund-, Kiefer- und Gesichts-bereich ist ein nach intraoral abgegebener Schuss, bei dem die Druckwelle zur Zerreissung des Gehirns sowie zur Berstungs- bzw. Schussfraktur der Schädel-kalotte führt.

Der Schusskanal ist von einer Zone der Extravasation umgeben, ultrastrukturell geschädigt und verbleibt als blutgefüllter Verlauf der Geschossbahn. Dabei ist die Extravasationszone je nach Geschossverformung – siehe Vollmantelge-schoss vs. TeilmantelgeVollmantelge-schoss – unterschiedlich groß.

Auch hinsichtlich der Geschosspenetranz ergeben sich Auswirkungen auf das Verletzungsmuster: Es wird zwischen Steckschuss, Streifschuss, Durchschuss

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Einleitung 14 und Winkelschuss durch Ablenken des Projektils und Reflektion im Körperinne-ren diffeKörperinne-renziert. Bei einem Geller- oder Rikoschettschuss wird das Geschoss beim Flug durch Gegenstände mit sog. Zwischenzielen abgelenkt, der sog. Krönleinschuss führt zur Aufsprengung des Schädels mit Exenteration des Ge-hirns.

1.5 Allgemeine Prinzipien in der Behandlung von Schussverletzungen

In Abhängigkeit von der Lokalisation sowie der Beteiligung umliegenden Gewe-bes sind Schussverletzungen mehr oder minder lebensbedrohlich und erfordern somit eine unverzügliche Diagnostik und Therapieeinleitung. Dabei verlaufen etwa 20 % aller Schussverletzungen primär tödlich, versterben also bevor ein ärztlicher Kontakt zustande gekommen ist. Ursächlich sind tödliche Funktions-störungen, wie die schussbedingte Exenteratio cerebri oder Zerstörung lebens-wichtiger Hirnzentren. Auch intrakranielle Drucksteigerungen im Verlauf oder intrakranielle Blutungen führen schnell zum Tode. Verletzungen von Organen mit hohem Blutumsatz (z.B. Herz, Leber, Milz) können durch die Beteiligung großer Gefäße zum hämorrhagischen Schock führen. Lungeneinschüsse zum Pneumothorax. Hier sollten schon präklinisch die diagnostischen Maßnahmen auf ein Minimum reduziert werden. So wird bei Kreislaufinstabilität mittlerweile nicht nur im amerikanischem, sondern auch im europäischem Schrifttum der sofortige Transport in die Klinik im Sinne eines „load and go“ gegenüber dem „stay and play“ favorisiert [3, 6, 63]. Eine große Metaanalyse mit umfangrei-chem Literaturrückblick ergab für die präklinische Behandlung von perforieren-den Verletzungen keine Vorteile des „Advanced Life Support“ (ALS) gegenüber dem „Basic Life Support“ (BLS) ohne Einsatz von Hilfsmitteln oder Medikamen-ten [54].

Die Verletzung lebenswichtiger Strukturen bestimmt demnach maßgeblich die Prognose. Dabei zeigen Schussverletzungen gerade im Bereich des Visze-rokraniums ein großes Verletzungspotential. Bei Beteiligung des Hirnschädels kann es zu ausgeprägten Kontusionen, intrakraniellen Raumforderungen durch begleitende Gefäßverletzungen, Gehirnzerreißung und Berstungsfrakturen des Schädels kommen. Knochenfragmente und Geschosssplitter als

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Sekundärge-Einleitung 15 schosse vergrößern das Ausmaß der Verletzung noch. Selbst wenn Patienten die Klinik lebend erreichen und eine adäquate Therapieeinleitung erfolgt, be-steht eine hohe Letalität von über 50%, wobei Steckschüße eine bessere Prog-nose als Durchschüße zeigen [69].

Zur exakten Lokalisation eines Projektils und Beurteilung der Traumatisierung des umgebenden Gewebes haben sich konventionell-radiologische Diagnostik, Magnetresonanztomografie, Computertomografie-Untersuchungen und ggf. digitale Volumentomografie oder Sonografie bewährt [67, 85]. Dabei zeigen alle metallischen Fremdkörper, also zu detektierende Projektile und deren Fragmen-te sowie zahnärztliche Restaurationen oder ImplantaFragmen-te deutliche ArFragmen-tefaktüber- Artefaktüber-lagerungen, die eine eindeutige Bildbeurteilung unmöglich machen können [51]. Hier scheint insbesondere die Bildgebung mittels digitaler Volumentomografie ihre Stärken zu haben [23]. Bei vitaler Gefährdung muss ggf. unter Verzicht auf eine bildgebende Diagnostik allein die klinische Untersuchung über das weitere Procedere entscheiden und eine Notfallversorgung im Schockraum bzw. OP erfolgen.

Selbst bei bekannter Projektilposition bleibt es schwierig, diese in einer stark traumatisierten Region mit veränderter Anatomie intraoperativ zu reproduzie-ren. Insbesondere wenn der Fremdkörper bzw. das Projektil sich zur Orientie-rung nicht an anatomischen Landmarken befinden.

Zur Entfernung intrakranieller Fremdkörper mit einem minimalinvasiven Zugang zu einer kalkulierten Position haben sich daher in der Neurochirurgie navigati-onsbasierte Verfahren etabliert [42]. Diese Verfahren sind Mitte der 1990er Jah-re auf die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie übertragen worden, die Schwie-rigkeiten sind ähnlich [36], geben dem Chirurgen aber eine eindeutige intraope-rative Orientierung an die Hand [38]. Insgesamt wird die Entfernung von Fremdkörpern und Projektilen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich in der Li-teratur mehrheitlich empfohlen [7, 9], da Infektionen [81], Dislokationen [56], Fremdkörperreaktionen auf Metall [82, 84], Spätschäden (z.B. Dysästhesien) [66] und sogar Entartungen beschrieben sind [46, 90]. Eindeutige Leitlinien e-xistieren jedoch nicht, in Einzelfällen wird die Fremdkörperentfernung

(16)

kontro-Einleitung 16 vers diskutiert [45, 78].

Zur Übertragung der präoperativen Bildinformation auf den intraoperativen Situs wird zunächst ein navigationsfähiger Volumentomografie-Datensatz in das Na-vigationsgerät eingelesen. Ein dreidimensionales Bild wird errechnet und axial, koronal, sagittal und in 3-D auf einem Touchscreen dargestellt. Mit diesem Re-gistrierungsverfahren sind Genauigkeiten bis zu 1 mm erreichbar [23]. Die Indi-kation zum Einsatz der navigationsgestützten Chirugie wird in der Literatur bei frustraner Fremdkörperentfernung ohne Navigation, diversen Fremdkörpern, gefährdeten anatomischen Strukturen in der Nähe des Fremdkörpers oder für minimalinvasive Zugänge gesehen [23]. Sollten sich intraoperativ Projektil- oder Fremdkörperdislokationen ereignen, oder diese in präformierten Höhlen in nicht definierter Position befinden, hat sich der Einsatz der intraoperativen digitalen Volumentomografie bewährt [71].

Insgesamt wird bei Schussverletzungen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich die Entfernung von Projektilen bis auf Ausnahmefälle empfohlen. Diagnostisch hat sich mindestens ein tomografisches radiologisches Verfahren bewährt, the-rapeutisch gibt es hinsichtlich der Patientensicherheit und des Operationserfol-ges erste Erfahrungen mit navigationsunterstützter Chirurgie und intraoperativer Volumentomografie.

1.6 Fragestellung und Ziel der Arbeit

Schussverletzungen zeigen – wie in der vorangegangenen Einleitung be-schrieben – komplexe Verletzungsmuster, gerade im Mund-, Kiefer- und Ge-sichtsbereich. Sie gehen mit einer hohen Morbidität und Mortalität einher, so dass trotz der relativ geringen Häufigkeit in Deutschland dennoch eine ge-naue Kenntnis der möglichen Verletzungen und der entsprechend notwendi-gen diagnostischen und therapeutischen Ansätze von großer Bedeutung ist.

(17)

Einleitung 17 dem europäischen Raum, allgemeingültige diagnostische oder Therapie-standards existieren nur vereinzelt. Dagegen gibt es eine Vielzahl von Arbei-ten aus außereuropäischen Konfliktregionen, deren Empfehlungen für Dia-gnostik und Therapie zu übernehmen, nicht gerechtfertigt scheint. Zu unter-schiedlich sind personelle, logistische und materielle Voraussetzungen so-wie der klinische Ausbildungsstand.

Ziel dieser Arbeit ist es, anhand des eigenen Patientengutes Empfehlungen insbesondere für die Diagnostik und Therapie von Schussverletzungen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich aus chirurgischer Sicht zu erarbeiten, die als Grundlage für die spätere Erstellung von Richtlinien dienen könnten.

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Material und Methoden 18

2. Material und Methoden

In diesem Kapitel sollen neben den angewandten Methoden auch das unter-suchte Patientengut vorgestellt und klassifiziert werden. Insgesamt sind dazu 50 Patienten aus dem laufenden Patientengut der Klinik für Zahn-, Mund-, Kie-fer- und Gesichtschirurgie des UKE retrospektiv untersucht und die entspre-chenden Daten ausgewertet worden.

2.1 Studienpopulation

Für diese Arbeit sind die Daten von 50 Patienten aufgrund von Schussverlet-zungen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich stationär behandelten Patien-ten untersucht und ausgewertet worden. Alle PatienPatien-ten wurden in den Jahren 1996 bis 2002 in der Klinik für Zahn-, Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf behandelt. Aus der Studie ausgeschlossen wurden Patienten, welche ambulant behandelt werden konnten.

2.2 Datenerhebung

Die Datenerfassung erfolgte retrospektiv anhand der archivierten Patienten-akten, und CT- bzw. konventionellen Röntgenbildern. Die Zielgrößenerfas-sung wurde anhand eines dafür entwickelten Dokumentationsbogens vorge-nommen. So sind die biographischen Daten der Patienten, das Verletzungs-muster und die Art der endgültigen Versorgung mit postoperativen Komplika-tionen dokumentiert worden. Zudem wurden InformaKomplika-tionen zum klinischen Verlauf, zur Verabreichung von Blutprodukten sowie Medikamenten und zur Aufenthaltsdauer erfasst. Nach Einpflegen in eine EXCEL-Oberfläche sind diese Daten einer PC-basierten statistischen Auswertung zugänglich ge-macht worden. Diese erfolgte sowohl mit MS EXCEL als auch mit Hilfe der

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Material und Methoden 19 JMP-Software.

2.3 Auswertung

Die Auswertung der gewonnenen Patientendaten erfolgte nach Altersstruktur, Aufenthaltsdauer und Geschlecht des Patientenkollektives. Es wurden das Verletzungsmotiv und Verletzungsmuster sowie die Verletzungslokalisation und –seite bestimmt. Zusätzlich spielten die präoperative Diagnostik, die de-finitive Therapie inklusive der Operationsdauer und eventuelle Komplikatio-nen eine Rolle. Hierbei spielten insbesondere Wundheilungsstörungen, Wundinfektionen, Blutungskomplikationen und Nervläsionen eine Rolle. Auch intraoperativ verabreichte Infusionen und Transfusionen sind erfasst worden. Besonderes Augenmerk wurde auch auf die Anzahl der Schüsse, die Schussweite und -penetranz und die Verletzungsqualität gelegt.

2.4 Statistik

Die statistische Auswertung der erhobenen Patientendaten ist mit den Pro-grammen EXCEL und JMP für Macintosh und den dort integrierten Funktionen erfolgt. Das insgesamt sehr heterogene Patientenkollektiv ist hinsichtlich be-stimmter Kriterien nach Häufigkeiten untersucht worden. Die relative Häufig-keit eines Merkmals ist durch Multiplikation mit 100 in der vorliegenden Arbeit immer in Prozent angegeben. Bei Merkmalen von besonderem Interesse sind sowohl Mittelwert, Median als auch die Standardabweichung errechnet worden. Als Streuungsmaß wurde die Standardabweichung berechnet. Bei einem Signifikanzniveau von ≤ 0,05 wurde eine statistische Signifikanz ange-nommen (Signifikanzniveau).

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Ergebnisse 20

3. Ergebnisse

In diesem Kapitel sollen das untersuchte Patientengut vorgestellt und klassi-fiziert werden. Zusammenhänge zwischen einzelnen Parametern werden be-schrieben und erläutert:

3.1 Biografische Daten

Von 1996 bis 2008 wurden 50 Patienten in die Studie aufgenommen. Insge-samt 39 waren männlich und 11 weiblich (Tab. 1). Das mittlere Alter betrug 30,7 Jahre. Der jüngste Patient war 6 Jahre, der Älteste 77 Jahre alt. Mit 34% waren am häufigsten Patienten in der dritten Lebensdekade betroffen.

Patientengruppe Häufigkeit Prozent

männlich 39 78

weiblich 11 22

Gesamt 50 100

Tab. 1: Geschlechterverteilung der Schussverletzungen

Der Anteil ausländischer Patienten lag bei 34 %. Bei Frauen war der Auslän-deranteil mit 13 % niedriger. Dagegen war er bei der Gruppe der durch Ge-walt Verletzten (28 %) und der beruflich Verunfallten (33 %) höher.

3.2 Art und Motive der Verletzung

Von den 50 Schussverletzungen sind insgesamt 58 % als Nahschuss aus bis zu 70 cm Entfernung erfolgt. 22,7 % aller Patienten waren mehrfach schussverletzt, sind also von mehr als einem Projektil verletzt worden. War die Verwundung durch einen Unfall verursacht, gab es keine Mehrfach-schussverletzungen.

(21)

Ergebnisse 21

Anzahl Schüsse Häufigkeit Prozent

1 40 80 %

2 5 10 %

3 4 8 %

4 1 2 %

Gesamt n = 50 100 %

Tab. 2: Häufigkeit der Einfach- und Mehrfachschussverletzten

Wie in Abb. 4 gezeigt, waren die Schussverletzung am häufigsten im Rahmen einer Gewalttat motiviert, gefolgt von suizidaler Absicht, im Rahmen eines Un-falls und 7 Fälle waren beruflich bedingt.

Abb. 4: Motivationsverteilung der Schussverletzungen

11 Patienten (57,9 %) der im Rahmen einer Gewalttat Schussverletzten, sind in alkoholisiertem Zustand aufgenommen worden.

Unterschieden nach Geschlechtern herrschte auch beim weiblichen Ge-schlecht die Gewalttat vor (72,8 %, n = 8), gefolgt von suizidaler Absicht (18,2 %, n = 2) und Unfällen (9 %, n = 1). Schussverletzungen bei Männern zeigten

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Ergebnisse 22 hinsichtlich Suiziden und Gewalttaten ein ausgeglichenes Verhältnis (jeweils 28,2 %, n = 11), gefolgt von Unfällen (25,6 %, n = 10) und aus beruflichen Mo-tiven (17,9 %, n = 7).

Insgesamt zeigten sich im untersuchten Patientenkollektiv hinsichtlich der Schussart die in Abb. 5 gezeigte Verteilung. Am häufigsten imponierten die Schussverletzten mit einem Steckschuss, es folgten Durchschuss-, Streif-schuss und SchrotStreif-schussverletzungen.

Abb. 5: Verteilung der Schussverletzungen nach der Schussart

3.3 Verletzungslokalisation

Alle Patienten hatten Verletzungen des Weichgewebes, in 50 % der Fälle (n=25) in Kombination mit knöchernen Verletzungen des Viszerokraniums. Nach Einteilung der Verletzungsmuster durch Grant und Epstein [32] im Ge-sichtsbereich in drei Regionen ergibt sich folgendes:

Im oberen Gesichtsdrittel (n = 5, 10%) zeigten sich Frakturen des Os frontale inklusive der Stirnhöhle und Weichteilverletzungen der Fossa temporalis. Im mittleren Gesichtsdrittel imponierten Frakturen des zygomaticoorbitalen Kom-plexes, der Orbita und Frakturen des Alveolarfortsatzes. Weichteilverletzungen kamen im Wangenbereich zur Darstellung (n = 32, 64%). Diese Gruppe stellte den größten Anteil der Schussverletzungen in unserem untersuchten Patien-tenkollektiv dar. Schließlich waren im unteren Gesichtsdrittel einfache

(23)

Weich-Ergebnisse 23 gewebsverletzungen des Kinns und ausgeprägte Defektfrakturen des Unterkie-fers im Corpus- und Ramusbereich zu finden (n = 13, 26%).

Abb. 6: Häufigkeit der Schussverletzungen nach Lokalisation

Die Mehrheit aller Patienten (n=44, 88%) hatte keine assoziierten Verletzungen des Körperstammes oder Neurokraniums. In 4 Fällen (8%) war das Neurokrani-um beteiligt, in zwei Fällen letal. Verletzungen des Halses oder Extremitäten (n=2, 4%) bzw. Thorax und Abdomen (n=1, 2%) waren weniger häufig und oh-ne letalen Verlauf.

3.4 Erstversorgung der Schussverletzten

Unter der Erstversorgung von Schussverletzten wurden Massnahmen durch den Notarzt sowie im Schockraum der unfallchirurgischen Notaufnahme er-fasst, wie z.B. Intubation, unfallchirurgische Erstmaßnahmen sowie Reani-mation. Die Intubation durch den Notarzt erfolgte in 48 % aller Fälle, insbe-sondere bei kombinierten Verletzungen. Nur 2 Patienten mussten präoperativ reanimiert werden. Dabei handelte es sich um eine zusätzliche Schussverlet-zung des Thorax und des Halses. Dabei ist die Reanimation bei einem Pati-enten in Frage zu stellen. Nach Schreckschusspistolenverletzung am Hals

(24)

Ergebnisse 24 blutete es lediglich aus arteriellen Muskelästen, was einen hämodynami-schen Schock fraglich erscheinen lässt. Die Klinik erreichte der Patient kreis-laufstabil. Reanimationen am offenen Thorax wurden im Schockraum nicht durchgeführt.

3.5 Diagnostik

Es wurden alle präoperativ durchgeführten Untersuchungen vor Beginn the-rapeutischer Massnahmen evaluiert. In 38 Fällen (76 %) sind CT-Untersuchungen des Viszero- und Neurokraniums durchgeführt worden. In 8 Fällen (16 %) wurde nur konventionell radiologisch diagnostiziert, in 16 weite-ren (32 %) kombiniert konventionell radiologisch und CT-grafisch. In vier der Fälle ist ohne bildgebende Diagnostik therapiert worden, davon waren zwei kreislaufinstabil. In diesen Fällen ist die sofortige OP-Indikation gestellt wor-den, in den übrigen beiden Fällen handelte es sich um isolierte Weichteilver-letzungen. Pathologisch waren 70,8 % aller konventionellen Röntgenbilder und 84,2 % aller Computertomografien (Abb. 7,8). Die präoperative bildge-bende Diagnostik ist durch die radiologische Abteilung des UKE (Direktor: Prof. Dr. med. Adam) erfolgt.

(25)

Ergebnisse 25

A B

Abb. 8: Präoperative Diagnostik: Konventionelle Bildgebung in 2 Ebenen (Fernröntgen seitlich (A) und Panoramaschicht-aufnahme (B) mit Projektillokalisation im Weichgewebe des Kinnbereiches.

3.6 Therapeutisches Vorgehen (Einsatz der navigationsassistierten Chi-rurgie)

Insgesamt ist der Einsatz eines Navigationssystems (Brainlab vector vision2, Abb.9) in 32 der Fälle intraoperativ zur Entfernung von Fremdkörpern, Projekti-len oder Projektilfragmenten zum Einsatz gekommen. Die durchschnittliche Operationsdauer unter Einsatzes des Navigationssystems betrug 129 min ± 73 min. Ohne Navigationshilfe verlängerte sich die Operationszeit auf 164 min. ± 76 min.

A

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Ergebnisse 26

B

a

c

Abb. 9 (A, B): Intraoperativer Einsatz von Navigation und digitaler Volumentomografie (DVT) mit Navigationskamera (-> a), Referenzobjekt (-> b), und 3D-C-Bogen/DVT (-> c)

Abb. 10: Präoperativer screenshot des Navigationssystems mit eindeutiger Projektillage in der linken Orbita in allen Ebenen.

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Ergebnisse 27 Nach Einlesen der navigationsfähigen CT-Datensätzen in das Navigationsgerät wurde in räumlicher Nähe zum Operationsfeld anschließend ein Referenzobjekt mit Reflektormarken am Patienten angebracht. Dieses wurde durch eine Navi-gationskamera detektiert, ebenso die Reflektormarken an chirurgischen Instru-menten. Für die Registrierung werden dann mit einem LED-Pointer anatomi-sche Landmarken definiert, die wiederum von der Navigationskamera erfasst, berechnet und in Übereinstimmung mit dem eingelesenen Datensatz (Abb. 10) gebracht werden.

Wird nun ein Instrument, z.B. Pointer, am Patienten bewegt, erscheint die In-strumentenspitze in Projektion auf die Patientenlokalisation am Bildschirm und gibt dem Operateur eine dreidimensionale intraoperative Orientierung zur De-tektion und Entfernung von z.B. Projektilen (Abb. 11).

Abb. 11: Intraoperativer screenshot zeigt die Pointerpositionierung am Navigationsgerät zur Detektierung eines Projektils.

Alle Fremdkörper konnten über einen minimalinvasiven Zugang in komplikati-onsloser Intubationsnarkose entfernt werden (Abb. 12,13).

(28)

Ergebnisse 28

A B

C D

Abb. 12: Intraoperativer Situs mit dem Referenzobjekt an der Schädelkalotte (A), dem minimalinvasiven Zu-gang zur lateralen Orbita (B), dem Aufsuchen und Entfernen des Projektils (C) und das Diaboloprojektil (D).

A B

(29)

Ergebnisse 29

E F

G H

Abb. 13: Intraoperativer Situs bei Unterkieferdefektfraktur nach Schussverletzung. Reposition, Rekonstruktion und Osteosynthese von extra- und intraoral. Kein Einsatz eines Navigationsgerätes. Schusskanal (A, B) mit Defektfrak-tur (C-E), Osteosynthese mittels Rekonstruktionsplatte (F), Projektil (G) und Situation 4 Monate postoperativ (H).

Die digitale Volumentomografie (3D-C-Bogen, Siemens Arcadis Orbic 3D) ist intraoperativ in 17 Fällen (34 %) zum Einsatz gekommen, um Projektilfrag-mente im Sinus maxillaris (n=3) und der Fossa temporalis (n=2) zu identifi-zieren. Diese hatten ihre Position verändert und konnten durch die Navigation nicht mehr erfasst werden. In allen Fällen konnten die Projektile komplikati-onsfrei detektiert und entfernt werden. In den übrigen Fällen (n=12) diente die 3D-Diagnostik der Frakturdiagnostik, sowohl intraoperativ als auch direkt postoperativ zur Beurteilung des Repositionsergebnisses und der Stellungs-kontrolle des Osteosynthesematerials. Alle Aufnahmen sind in der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie angefertigt worden.

(30)

Ergebnisse 30

Abb. 14: Intraoperative DVT-Diagnostik zur Darstellung eines Unterkieferdefektbruches links (Pfeil)

Wie in Abb. 15 gezeigt, sind im untersuchten Patientenkollektiv die intra- und postoperativen Komplikationen unter Einsatz des Navigationssystems signi-fikant (p<0.05) niedriger als ohne dessen Einsatz.

Abb. 15: Navigierte und nicht navigierte Operationen vs. Kompliaktionsrate (n = 50, p = 0.0132)

Dabei kam es zu transfusionspflichtigen Blutungen, Wundinfektionen und zu bleibenden Destruktionen extrakranieller Hirnnerven. Tab. 3 zeigt die aufge-tretenen Komplikationen im einzelnen:

(31)

Ergebnisse 31

navigiert nicht navigiert

Blutung (> 2 EK’s) n=1 2% n=4 8%

Infektionen n=2 4% n=7 14%

Nervschädigung n=0 0% n=2 4%

Gesamt n=3 6% n=13 26%

Tab. 3: Aufgetretene Komplikationen bei navigierten und nicht navigierte Operationen

Im Verlauf konnten alle Komplikationen beherrscht werden. Der Hb-Verlust bei Blutungen konnte durch Transfusionen ausgeglichen werden, Infektionen und Wundheilungsstörungen sind antibiotisch (Cefuroxim, Clindamycin oder Ampicillin/Sulbactam) behandelt worden und die Nervläsionen in einem Falle primär und im zweiten Fall sekundär durch ein Interponat rekonstruiert wor-den.

Ein weiterer Aspekt war die signifikant (p=0.0137) steigende Komplikations-rate unter bzw. ohne Einsatz eines Navigationssystems mit zunehmender Operationsdauer.

Abb. 16: Zusammenhang zwischen Komplikationsrate und Operationsdauer in min. (n=50, p=0.0137)

Wie in Abb. 17 gezeigt und bereits erwähnt, gibt es eine deutliche Tendenz allerdings ohne Signifikanz (p=0.113) hinsichtlich einer sinkenden Operati-onsdauer unter intraoperativer Zuhilfenahme eines Navigationssystems.

navigiert nicht navigiert Komplikationen

(32)

Ergebnisse 32

nicht navigiert navigiert

Abb. 17: Zusammenhang zwischen Operationsdauer in min. und intraoperativem Einsatz eines Navigationssystems (n=50, p=0.113)

3.7 Medikamentenapplikation, Verlauf und Behandlungsergebnisse

Es kam in vier Fällen durch eine Schussverletzung zusätzlich zu o.a. Verlet-zungsmustern zur Destruktion von Hirnparenchym, zweimal mit letaler Folge. Ein Streifschuss führte lediglich zur Kalottenfraktur mit Kontusions- und Suba-rachnoidalblutung mit der Folge der bleibenden Dysarthrie und Dysphasie.

Von insgesamt zwei Patienten mit Schussverletzungen des Halses zeigte einer nur oberflächliche Wunden, so dass die Wundrevision in LA erfolgte. In drei Fällen wurde zuvor ein Ultraschall, bei zweien ein Thoraxröntgenbild und bei einem weiteren Patienten zusätzliche Diagnostik (Duplexsonografie und HNO-Konsil) durchgeführt. In diesem Fall lag eine Larynxfraktur mit unverzüg-licher Operationsindikation vor. Bei einem weiteren Patienten wurde aufgrund thorakoabdomineller Begleitverletzungen die OP-Indikation gestellt. Die zervi-kalen Wunden wurden dabei intraoperativ revidiert. Fünf Patienten wurden aufgrund persistierender Blutungen operiert, insgesamt vier Patienten ohne jegliche bildgebende Diagnostik.

Insgesamt wurden bei 5 (10 %) Patienten Blutprodukte wie EK’s (43,5 %), FFP’s (26,1 %) und TK’s (8,7 %) appliziert. Die grösste Anzahl an Blutproduk-ten (20 EK’s, 12 FFP’s, 4 TK’s) erhielt ein bei Aufnahme hämodynamisch

(33)

in-Ergebnisse 33 stabiler Patient mit zusätzlicher abdomineller Verletzung und Hämatothorax nach stumpfem Trauma im Rahmen einer gewalttätigen Auseinanderset-zung.

Im Mittel erhielt jeder Pat. 1,5 EK’s, 0,6 FFP’s und 0,1 TK. Bei Kreislaufinstabi-lität sind die Mittelwerte signifikant höher als bei KreislaufstabiKreislaufinstabi-lität (14,6 EK’s, 15,4 FFP’s, 2,0 TK’s vs. 1,08 EK’s, 0,7 FFP’s, 0,03 TK’s; p jeweils < 0,0001).

86% der Patienten wurden antibiotisch behandelt. Bei 7 Schussverletzten war aufgrund der Verletzungsschwere und des klinischen Gesamteindruckes auf eine antibiotische Therapie verzichtet worden. Einer der 7 (14,3 %) schuss-verletzten Patienten ohne initiale antibiotische Therapie entwickelten postope-rativ einen Wundinfekt. Ein Patient zeigte zwei Monate postopepostope-rativ eine Wundheilungsstörung mit freiliegendem Osteosynthesematerial. Bei einem anderen Patienten war erst bei Wundinfekt nach Primärnaht einer Weichteil-verletzung im Wangenbereich die antibiotische Therapie begonnen worden. Clindamycin, Cefuroxim und Ampicillin/Sulbactam waren die am häufigsten eingesetzten Antibiotika.

In 12,7% aller Patienten mit antibiotischer Therapie erfolgte ein Wechsel des Antibiotikums nach Antibiogramm bzw. wurden kombinierte Antibiotika verab-reicht.

Im Mittel verbrachten die Patienten 3,6 Tage auf einer Intensivstation. Die durchschnittliche Hospitalisation betrug 14 ± 8 Tage. Ein signifikanter Unter-schied im Geschlechterverhältnis bestand nicht (p = 0,063).

Outcome Anzahl (n = 50)

Restitutio ad integrum 31 / 62%

Heilung mit Einschränkung 11 / 22%

Dauerhafte Beeinträchtigung 6 / 12%

Tod 2 / 4%

(34)

Ergebnisse 34

62 % aller Schussverletzten im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich erholten sich ohne Einschränkung zur Restitutio ad integrum.

Unter „Heilung mit Einschränkung“ sind Patienten zusammengefasst, bei denen die Genesung noch nicht abgeschlossen aber eine komplette Aushei-lung zu erwarten war, z.B. bei noch bestehenden WundheiAushei-lungsstörungen oder durchzuführenden Metallentfernungen bzw- Implantationen.

Die „dauerhaft geschädigten“ Schussverletzten stellen eine Gruppe dar, die aufgrund des Verletzungsmusters ihre Sehkraft verloren, bleibende Sensibili-tätsstörungen oder funktionelle Einschränkungen zu beklagen hatten.

Nur zwei Patienten verstarben infolge ihrer Verletzung. Hierbei handelte es sich um Schussverletzungen in suizidaler Absicht, ein Patient starb im Verlauf des poststationären Rehabilitationsaufenthaltes durch einen erneuten Suizid.

(35)

Diskussion 35

4. Diskussion

4.1. Epidemiologie, Ursachen und Motivation

Schussverletzungen zu Friedenszeiten im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich sind in Deutschland selten. Selbst in anerkannten Zentren der Maximalver-sorgung sind über grosse Zeiträume von 10 bis 20 Jahren insgesamt nur kleine Fallzahlen beschrieben worden [61, 86, 91]. Die Fallzahl der vorliegen-den Dissertationsschrift mit einem Patientenkollektiv von 50 Schussverletzten am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf zeigt dennoch die zentrale Rol-le in der interdisziplinären Versorgung derartiger VerRol-letzungen. Im Gegensatz dazu ist es in Ländern wie den USA und Südafrika möglich, auf bis zu vierstel-lige Fallzahlen innerhalb weniger Jahre zurückzublicken oder prospektive Studien durchzuführen [17, 30, 83].

Altersdurchschnitt und Geschlechtsverteilung sind in fast allen Publikationen ähnlich (23-37 Jahre, 80% männlich). Dies deckt sich auch mit den eigenen Ergebnissen. In einer deutschen Publikation lag das Durchschnittsalter der betroffenen Frauen 12,3 Jahre über dem der Männer bei einer gleichzeitig höheren Suizidrate (42,8%) [61]. Ähnlich lag im eigenen Kollektiv das Durch-schnittsalter der Frauen 6,5 Jahre über dem der Männer.

Laut Polizeilicher Kriminalstatistik sind die Opfer von gefährlichen und schwe-ren Körperverletzungen zu 74,4% männlich und von der Altersstruktur vorran-gig bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen einzuordnen [96]. Diese Zah-len ähneln auch der in der Literatur gezeigten Geschlechtsverteilung bei Schussverletzungen [17, 91] und decken sich mit den vorliegenden Ergeb-nissen dieser Dissertationsschrift.

Gewalttaten waren Hauptursache von Schussverletzungen. Diese Ergebnis-se korrelieren mit der Steigerungsrate von 5,5% für gefährliche und schwere

(36)

Diskussion 36 Körperverletzung und von 1,8% für Schusswaffengebrauch in der Polizeili-chen Kriminalstatistik 2007 gegenüber dem Jahr 2006 [96]. Auch diese Beo-bachtungen lassen sich durch die Ergebnisse des in dieser Arbeit untersuch-ten Patienuntersuch-tengutes nachvollziehen.

4.4. Diagnostik von Schussverletzungen

Bei Schussverletzungen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich haben sich diagnostisch neben Inspektion und Palpation konventionell radiologische Röntgenbilder, die Sonografie, Computertomografie und digitale Volumento-mografie im klinischen Alltag bewährt [67, 85].

Eine sorgfältige klinische Untersuchung und ballistische Grundkenntnisse sind unerlässlich, um erste Hinweise auf das Verletzungsmuster und – ausmaß erkennen zu lassen. Dennoch können kleine Einschusswunden un-entdeckt bleiben oder eine Fehleinschätzung über die Schussverletzung re-sultieren [79]. Insbesondere Niedrigenergiegeschosse (< 500 m/s) produzie-ren Wunden eines charakteristischen Profils mit minimaler oft unentdeckter Gewebszerstörung [64, 73], da sich der Schusskanal hinter dem Projektil wieder verschließt. Auch in der hier vorliegenden Dissertationsschrift haben lediglich 8 Patienten keine bildgebende Diagnostik erhalten, aus vitaler Indi-kation musste sofort operiert werden. Als erlässlich erachtet kann die bildge-bende Diagnostik bei Schussverletzungen nicht werden.

Bei rein konventioneller Bildgebung wie Schädel in 2 Ebenen, Nasenneben-höhlen- oder Panoramaschichtaufnahmen ist eine Projektildarstellung mög-lich und dient als Grundlage einer Therapieplanung. Panoramaschichtauf-nahmen alleine genügen nicht, aufgrund ihrer elliptischen Rotationsbahn um den Patienten kommt es zu systemimmanenten Verzerrungen.

In der dritten Ebene hat sich in den letzten Jahrzehnten die Computertomo-grafie bewährt und sich sukzessive in Qualität und unter

(37)

strahlenhygieni-Diskussion 37 schen Aspekten verbessert [65, 84, 93]. Bei Schussverletzungen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich ist sie nach wie vor Goldstandard [57, 65, 79]. Insbesondere bei Verdacht auf Begleitverletzungen und zur Beurteilung des Verletzungsausmasses. Ein Nachteil besteht hier in der hohen Artefaktanfäl-ligkeit durch metallische Fremdkörper wie Projektile oder zahnärztliche Res-taurationen, die eine eindeutige Beurteilung der Gewebedestruktion teilweise nahezu unmöglich machen [40]. Da auch in dem hier untersuchten Patien-tenkollektiv über 80 % aller CT-Untersuchungen pathologische Veränderun-gen zeigten, ist eine eindeutige diagnostische Aussage zur operativen Pla-nung unerlässlich. Vorteile zeigt in diesem Fall die digitale Volumentomogra-fie (DVT), die sich prä- und intraoperativ als Diagnostikum einsetzen lässt [41, 71], im Hochkontrastbereich bei niedrigerer Strahlenbelastung qualitativ ähn-liche Ergebnisse erzielt wie die CT und deutlich weniger artefaktanfällig ist [97]. Schwächen der DVT im Niedrigkontrastbereich und somit in der Beurtei-lung von Weichgewebsstrukturen sind beschrieben [24].

In Einzelfällen kann eine Angiografie oder Kontrastmitteluntersuchungen ge-rechtfertigt sein [1, 48]. Eine diesbezügliche Empfehlung existiert insbeson-dere bei Fällen, in denen ein Projektil nahe an einem hirnversorgenden Ge-fäß oder Verletzungen des Ösophagus vermutet werden.

4.2. Schussverletzungen mit Beteiligung des Neurokraniums

In der Literatur werden penetrierende Schädel-Hirn-Verletzungen als selten, aber mit einer hohen Komplikationsrate und schlechten Prognose (Letalität von 53 %), beschrieben [33, 70]. Auch in unserem Kollektiv waren perforie-rende Verletzungen des Hirnschädels selten, wobei vier Verletzungen eine Gehirnbeteiligung zeigten, zwei davon waren letal. Das entspricht der in der Literatur beschrieben schlechten Prognose bei Gehirnbeteiligung. Die hohe Morbidität dieser Verletzungen zeigt auch die Verletzung mit nicht letal enden-der Gehirnbeteiligung. Ein temporal subkutan verlaufenenden-der Streifschuss führ-te zu einer Kalotführ-tenfraktur, Subdural- und Kontusionsblutung. Für

(38)

perforieren-Diskussion 38 de Verletzungen des Kopfes mit einem Glasgow Coma Scale-Wert von 3 bei Aufnahme besteht eine Letalität von 94% [20]. Konsens, auch an unserer Kli-nik, besteht bezüglich der Computertomografie als Diagnostik der Wahl bei Schussverletzungen des Schädels [67].

Therapieziel ist es, nach ausgiebigem Debridement von Ein- und Ausschuss, eine offene in eine geschlossenen Hirnverletzung umzuwandeln. Auch in der Neurochirurgie wird das Entfernen vs. Belassen von Projektil/-fragmenten kontrovers diskutiert [35, 88]. Im Libanonkonflikt ist von 32 Patienten mit intrakraniellen Schussverletzungen nur einer nach einfacher Wundversor-gung ohne Projektilentfernung an einem Hirnabszess erkrankt [87]. Eine un-kritische Übertragung auf europäische Friedenszeiten scheint nicht gerecht-fertigt zu sein. Außerdem kann die Entlastung eines Hämatoms oder eine Ventrikeldrainage erforderlich werden [69]. Die Beteiligung der Ventrikel ist prognostisch besonders ungünstig. Trotz sofortiger chirurgischer Therapie wird eine Letalität von 32,8 % beschrieben [26].

Im Gegensatz zu den penetrierenden Schädel-Hirn-Verletzungen werden Schussverletzungen der Gesichtsweichteile in der Literatur prognostisch günstiger bewertet. Jedoch beschreibt Chen in einer Serie von 78 Patienten eine Komplikationsrate von 37 % sowie drei Todesfälle, zwei davon bedingt durch eine intrakranielle Penetration. Leider geht aus der Arbeit nicht hervor, ob diese bei der Primärversorgung erkannt wurden [11]. Bei dem hier unter-suchten Patientenkollektiv bestehen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich ähnlich hohe Komplikationsraten, eine Erklärung mag die oft große exponier-te Wundfläche mit konsekutiver Wundinfektion und die bei Schussverletzun-gen auftretenden starken Gewebsdestruktionen sein, die höchste Ansprüche an den Operateur stellen.

4.3. Schussverletzungen mit Beteiligung des Halses

(39)

Diskussion 39 Die zu Kriegszeiten vertretene obligate Revision bei Platysmapenetration hat-te lange Gültigkeit. Ihre Vertrehat-ter verweisen auf mangelnde Genauigkeit und hohe Kosten radiologischer und endoskopischer Untersuchungen [31]. Trotz negativer Revisionen seien Morbidität und Kosten nicht höher als beim selek-tiven Vorgehen (s.u.) [95].

Zunehmend setzt sich jedoch das selektive Management bei hämodyna-misch stabilen Patienten mit einer Senkung negativer Revisionen um 52-86 % durch [18, 48, 77, 94]. Dabei erfolgt eine Unterteilung des Halses in drei Zonen (Zone I: Schlüsselbein bis Ringknorpel, Zone II: Ringknorpel bis Kie-ferwinkel, Zone III: Kieferwinkel bis Schädelbasis),

Die zum Vorgehen beschriebenen Algorithmen unterscheiden sich erheblich. So ist ein aus der Wiener Universitätsklinik beschriebener Algorithmus, der Kriterien für das abwartende Handeln offen lässt, in seiner Anwendung nicht praktikabel [27]. Demetriades führt Schock, persistierende Blutung, fehlenden Radialispuls und Luftaustritt aus der Wunde als absolute Operationskriterien auf, unterscheidet aber nicht nach Zonen der Verletzung [18]. Von Klyachkin werden die absoluten Indikationen zur Operation noch um Folgende erweitert: Haemoptyse, expandierendes Hämatom, freiliegende Trachea, inkomplette neurologische Defizite, Dysphonie, Dysphagie und subkutanes Emphysem [48]. Bei Verletzungen in Zone I oder III sieht er bei erfüllten Kriterien am hä-modynamisch stabilen Patienten jedoch zunächst die Indikation zur präopera-tiven Durchführung einer Angiographie oder eines Kontrastmittel-Breischlucks. Bei einem Fall des vorliegenden und untersuchten Patienten-kollektives kam es zu einer Larynxfraktur mit Weichteilemphysem, die Diag-nose ist endoskopisch gestützt worden.

Bei Verletzung der A. carotis interna wurde lange Zeit die Ligatur favorisiert. Während der Kriege in Korea und Vietnam setze sich die Rekonstruktion durch, wurde aber unter der Annahme einer erhöhten Infarktrate und ischä-mischer Areale nach Revaskularisation wieder verlassen. Studien belegen jedoch das bessere neurologische Outcome nach Gefässrekonstruktion [74, 89].

(40)

Diskussion 40 Bei Zweifeln muss aufgrund der hohen Morbidität und Mortalität von initial nicht erkannten Ösophagus- und Trachealverletzungen die Endoskopie oder der Kontrastmittel-Breischluck erfolgen. Werden perforierende Verletzungen des Ösophagus nach der 24-h-Grenze operiert, ist ein Anstieg der Mortalität auf 36 % beschrieben [6].

4.5 Versorgung von Schussverletzungen

Insgesamt lag der Fokus der vorliegenden Dissertationsschrift neben der Diagnostik auf der Therapie von Schussverletzungen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich. Um einen bessren Überblick zu schaffen, soll das folgende Kapitel in die Erstversorgung, Verletzungen der Weichgewebsstrukturen, knö-cherne Defekte und navigationsassistierte Chirurgie unterteilt werden.

4.5.1 Erstversorgung

Bei dem großen Spektrum der möglichen Verletzungsschwere und Verlet-zungsmuster muss für jede Schussverletzung im Mund-, Kiefer- und Ge-sichtsbereich unverzüglich ein diagnostischer und therapeutischer Hand-lungsablauf festgelegt werden.

International ist dabei nach Ankunft des Patienten die Übernahme durch ein sogenanntes Trauma-Team üblich, welches z.T. in fester Zusammensetzung nach vorstrukturierten Plänen arbeitet und für solche Zwecke speziell trainiert ist [52]. In den USA besteht das Team aus 3-5 Ärzten. In Deutschland sind 4-6 Ärzte, jeweils mit entsprechendem Pflegepersonal, üblich.

Am UKE gibt es keine „festen Teams“, die Zusammensetzung definiert sich aus den diensthabenden Ärzten der jeweiligen Abteilungen (MKG-Chirurgie, Unfallchirurgie, Anästhesie und Radiologie). Je nach Anküdigung ist auch ein Herz- oder Neurochirurg vor Ort. Das OP-Pflegepersonal ist einsatzbereit.

(41)

Diskussion 41 schussverletzter Patienten konzentriert, erfolgte die Evaluation präklinischer Massnahmen nur hinsichtlich Intubation und Reanimation durch den Notarzt unter der Vorstellung, dass diese Kriterien für eine schwerere Verletzung sprechen. Nach Ankündigung kreislaufinstabiler oder reanimierter Patienten muss die sofortige Aktivierung des Rufbereitschaftsdienstes gewährleistet sein. Diese Forderung stellen auch Kühne et al. in einer umfangreichen Lite-raturübersicht [52].

In der Zusammensetzung der Teams finden sich international gewisse Un-terschiede. Deutschsprachige Publikationen fordern die Anwesenheit jeweils eines Chirurgen, Anästhesisten und Radiologen mit entsprechendem Assis-tenz-/ Pflegepersonal [39, 50, 52, 60]. Dagegen gibt es in den USA „emergen-cy physicians“, also in der Notaufnahme tätige Ärzte, für die es keine Entspre-chung in der deutschen Ausbildung gibt. Im Gegensatz zu Deutschland ist in den USA der Anästhesist nicht immer im Schockraum anwesend, stattdes-sen gibt es jedoch speziell ausgebildete Beatmungsassistenten [52]. Ein weiterer Unterschied ist in der Diagnostik zu erkennen, welche in Deutsch-land zumeist durch Radiologen und dazugehöriges Assistenzpersonal durchgeführt wird. In den USA erfolgt die Sonographie häufig durch den Chi-rurgen selbst, die weitere Diagnostik durch speziell ausgebildete Radiolo-gieassistenten.

In amerikanischen Publikationen wird die Erfordernis der Anwesenheit eines Chirurgen in der Notaufnahme diskutiert [12, 47, 49]. Khetarpal konnte gerade für perforierende Verletzungen durch die Anwesenheit eines Unfallchirurgen eine Optimierung der klinischen Versorgung herausstellen, ohne das dies das Outcome positiv beeinflusste [47].

Kohn fand in einer prospektiven Studie v.a. physiologische Parameter hilf-reich, um die Notwendigkeit einer sofortigen multidisziplinären Versorgung vorauszusagen [49].

Sowohl in der deutsch- als auch der englischsprachigen Literatur wird, wenn auch kaum beschrieben, von der Verfügbarkeit des Ultraschalls und des

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Diskussion 42 Röntgens ausgegangen [6, 30, 39, 55]. Beides war und ist im Schockraum des UKE Standard. Deutsche Arbeiten beziehen auch die CT-Diagnostik im 24-h-Betrieb mit ein [39, 55].

Bei Ankunft des Patienten in der Klinik ist spätestens die sofortige Sicherung der Atemwege von Nöten, in der Literatur wird bei 35 % aller Patienten mit Schussverletzungen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich ein Intubations-bedarf gesehen [22]. Chen et. al. empfehlen sogar die Atemwegssicherung aller Patienten mit Schussverletzungen im Mittelgesicht und mit Unterkiefer-beteiligung [11]. Die o.a. diagnostischen Grundsätze sollten sich anschlie-ßen.

4.5.2 Weichgewebsdefekte

Da Schussverletzungen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich immer auch erhebliche kosmetische und funktionelle Konsequenzen nach sich ziehen könnnen, ist die akribische Beurteilung des Verletzungsausmasses und ein dezidierter Therapieplan unerlässlich. Die chirurgischen Prinzipien der Ver-sorgung von Weichgewebsdefekten sind über die letzten Jahre konstant geblieben [15]. So sind Wunddekontamination, Wunddebridement, Minimie-rung von Spannungen im Wundbereich und evertierte Wundränder für gute funktionelle und ästhetische Operationsergebnisse weiterhin gültig. Aktuell wird in der internationalen Literatur sogar die sofortige primäre Rekonstrukti-on nach Entfernung avitalen Gewebes empfohlen [34, 92]. So werden nicht nur lokale Rotationsplastiken [59], sondern auch mikrochirurgisch anastomi-sierte freie Lappentransplantate als primärer Wundverschluss weithin einge-setzt [16, 68].

Desweiteren ist der Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich exzellent durchblutet. Sowohl die Arteria carotis externa als auch interna sorgen durch gute Blutzu-fuhr einerseits für gute Heilungsbedingungen, führen andererseits allerdings auch zu verstärkter Blutungsgefahr und großen Hämatomen. Im Akutfall ha-ben sich Tamponaden und manuelle bzw. instrumentelle Kompression

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be-Diskussion 43 währt, die definitive Versorgung erfolgt unter geeigneten Bedingungen im OP [62]. Bei lebensbedrohlichen Blutungen mit hämorrhagischem Schock wird die Angiografie, ggf. mit zusätzlicher Embolisation beschrieben, im Notfall die Unterbindung der Arteria carotis interna [5, 14, 19, 53].

Neben dem vaskulären ist im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich auch das nervale Sytem bei Schussverletzungen stark gefährdet. Insbesondere Trau-matisierungen des Nervus facialis aufgrund seiner exponierten Position sind bekannt. Idealerweise sollte die Rekonstruktion innerhalb von 72 Stunden erfolgen, ist aber aufgrund der Begleitverletzungen oftmals nicht durchführbar. So gibt es aktuell Empfehlungen, die Nervrekonstruktion zu verschieben, da funktionelle Ergebnisse nach Interponat unabhängig vom Rekonstruktions-zeitpunkt sind [4, 10]. Bei Mitbeteiligung der Glandula parotis sollte die Spei-cheldrüse elektiv rekonstruiert werden, um Fistelungen oder Infektionen zu vermeiden [8].

Mitbeteiligungen des Auges, der Lider oder Tränenwege bedürfen der inter-disziplinären Zusammenarbeit mit dem Augenarzt, um Epiphora, Bulbusver-letzungen und funktionellen Komplikationen vorzubeugen.

Auch die Patienten dieser Dissertationsschrift sind nach eben genannten Prinzipien versorgt worden, die entsprechenden postoperativen Ergebnisse sind sehr gut. Dennoch konnten in insgesamt neun Fällen postoperative Wundinfektionen nicht vermieden werden, als Erklärung könnte die ausge-dehnte Wundfläche und Kontamination dienen. Bleibende Schäden aufgrund der protrahierten Heilung sind in allen Fällen nicht aufgetreten. Transfusions-pflichtige Blutungen in 5 Fällen konnten aufgrund der Verletzungsschwere und des Operationszuganges nicht vermieden werden, Nervläsionen haben in einem Fall zu dauerhafter Hypästhesie im Versorgungsbereich geführt.

4.5.3 Knöcherne Verletzungen

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Diskussion 44 Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich sind häufig und decken sich mit den Er-gebnissen des hier untersuchten Patientenkollektivs (50 %). Ähnlich den chi-rurgischen Prinzipien bei Weichgewebsdefekten wird auch bei knöcherner Beteiligung die primäre Rekonstruktion und [13] operative Versorgung emp-fohlen [43, 59]. Es gibt aber keine Unterschiede zur elektiven Frakturversor-gung, allgemeine Grundsätze in der Frakturlehre haben weiterhin Gültigkeit und sollen an dieser Stelle nicht en detail diskutiert werden.

4.5.4 Navigationsassistierte Chirurgie

Die intraoperative Navigation gibt dem Chirurgen die Möglichkeit, minimalin-vasiv eine zielorientierte Fremdkörperentfernung am Patienten vorzunehmen. Das Für und Wider einer Projektilentfernung ist an anderer Stelle dieser Dis-sertationsschrift besprochen worden und soll an dieser Stelle nicht erneut dargestellt werden. Insgesamt wird die Projektilentfernung bis auf Ausnah-mefälle empfohlen [7, 9], so auch in unserer Klinik.

Die Schwierigkeiten liegen bei der chirurgischen Projektilentfernung neben den oftmals schwierigen operativen Zugangswegen in der durch die Schuss-verletzung veränderten Anatomie. Der chirurgische Zugangsweg ist oft kom-pliziert und zusätzlich sind viele wichtige anatomische Strukturen auf kleins-tem Raum häufig in unmittelbarer Nähe zum Operationsfeld gelegen. Schwellungen und Entzündungen können die Situation weiter beeinträchti-gen.

Aus diesen Gründen ist Mitte der 1990er Jahre das in der Neurochirurgie e-tablierte Verfahren der navigationsassistierten Chirurgie in die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie übertragen worden [36, 38]. Zur Durchführung der na-vigationsassistierten Chirurgie wird ein navigationsfähiger CT- oder DVT-Datensatz als Grundlage für den Navigationsvorgang benötigt. Die intraopera-tive Referenzierung wie in Kapitel 1 dieser Dissertationsschrift beschrieben schließt sich an, damit sind Genauigkeiten ± 1 mm beschrieben [80]. Insge-samt hilft die Navigation, anatomische Strukturen über einen

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minimalinvasi-Diskussion 45 ven Zugangsweg zu schonen und sicher ein Projektil oder Fremdkörper zu identifizieren und zu entfernen. Dies gilt insbesondere, wenn ein Projektil in Weichgewebe eingeschlossen ist und keine anatomischen Landmarken der Orientierung dienen können.

Desweiteren zeigen die Ergebnisse der vorliegenden Dissertationsschrift, dass sowohl die Operationszeit gegenüber nichtnavigierter operativer Projek-tilentfernung trotz intraoperativer Referenzierung verkürzt werden kann und die Komplikationsrate signifikant sinkt.

Schwächen hat diese Methode bei Projektilen oder deren Fragmenten, die sich beweglich im Weichgewebe oder in präformierten Höhlen wie dem Si-nus maxillaris befinden. Eine Dislokation, die sich im Navigationsdatensatz nicht abgebildet findet ist für die navigationsbasierte Chirurgie nutzlos.

In diesen Fällen haben sich endoskopisch gesteuerte Verfahren [44], Sono-grafie [67] oder aber auch Metalldetektoren [81] erwiesen. In unserer Klink wird zur Visualisierung mobiler Fremdkörper die 3D-Bildgebung, ggf. als DVT eingesetzt, erste Erfahrungen sind Erfolg versprechend [71]. Im vorliegenden Patientenkollektiv ist diese Methode mehrfach zum Einsatz gekommen und in allen Fällen konnte das Projektil komplikationslos identifiziert und entfernt werden.

4.6 Gabe von Blutprodukten und antibiotische Therapie

Auf die Gabe von Blutprodukten kann bei ausgedehnten Blutungen nach per-forierenden Verletzungen nicht verzichtet werden. Die Transfusionen sollten schnellstmöglich durchgeführt werden, um Gerinnungsstörungen und Kreis-laufkomplikationen zu vermeiden. Bei Massentransfusionen (>10 Konserven) sollte eine intensive Pneumonieprophylaxe durchgeführt werden.

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Diskussion 46 eigenen Ergebnisse gibt es wenig Evidenz in der antibiotischen Therapie von Schussverletzungen. Die geringe Infektionsrate bei den hier untersuchten und transfundierten Patienten (1,2 %) lässt einen Nutzen der initialen Gabe vermuten, da durch den Verletzungsmechanismus zumindest eine Kontami-nation der Wunde entsteht. Jedoch erscheint bei vergleichbarer Infektionsrate für oberflächliche Verletzungen nicht zwingend erforderlich, wenn anam-nestisch und klinisch eine starke Verschmutzung auszuschliessen ist. Ent-scheidend ist die adäquate chirurgische Versorgung mit Debridement, Lava-ge und DrainaLava-ge. Bei Schusswunden sollte aufgrund des o.g. erhöhten Infek-tionsrisikos immer ein Antibiotikum appliziert werden [76], auf aktuellen Teta-nusschutz ist zu achten, ggf. zu impfen. Bei ausgedehnter Kontamination (z.B. offene Frakturen) sollte die antibiotische Therapie für mehrere Tage fortge-setzt werden, wobei die Art der chirurgischen Versorgung von entscheidender Bedeutung ist. Gerade bei Schusswunden muss das Debridement ausrei-chend radikal sein.

4.7 Schlussfolgerungen

Um die z.T. sehr differenzierten Abläufe bei der Versorgung von Schussverlet-zungen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich zu optimieren, empfiehlt sich die Erstellung einheitlicher Behandlungskonzepte für die Diagnostik und The-rapie. Das selektive Management ermöglicht eine Reduktion operationsbe-dingter Komplikationen, erfordert jedoch eine sorgfältige Diagnostik. Die Kri-terien für die Indikationsstellung zur Operation müssen klar definiert sein.

Bei Einhaltung festgelegter Standards können Outcome und Behandlungs-verlauf nur durch die Minimierung behandlungsbedingter Komplikationen verbessert werden. Hierzu zählen v.a. die Festlegung und Einhaltung von ein-deutigen OP-Indikationen, das Vermeiden unnötiger Operationen, das aus-reichende Wunddebridement, eine adäquate antibiotische Therapie sowie die Nutzung der navigationsassistierten Chirurgie. Bei Bedarf bietet sich der Einsatz der intraoperativen digitalen Volumentomografie (DVT) an.

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