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Was die Angst vor dem Klimawandel mit uns macht

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Academic year: 2022

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1 / 6 Gastautorin: Iris Proff / / Interview

Was die Angst vor dem

Klimawandel mit uns macht

29. Juni 2021

Umweltpsychologin Susan Clayton berät den Weltklimarat, wie wir mit Sorgen vor Hitze und steigenden Meeresspiegeln umgehen können. Ein Gespräch mit einer Krisenerklärerin vor ihrer größten Herausforderung

Sie treibt derzeit viele Menschen um. Junge haben sie mehr als ältere.

Indigene Völker und Inselbewohner:innen sind stark von ihr bedroht. Die Rede ist von der »Klimaangst«, der Angst vor den Folgen des

Klimawandels und der Zerstörung der Welt, wie wir sie kennen.

Klimaangst bewegt junge Aktivist:innen zu großen Taten. Bei anderen führt sie eher zu einem Gefühl der Lähmung, einer sogenannten

»Ökoparalyse«. *1

Damit kennt sich Susan Clayton aus. Sie erforscht seit 30 Jahren das wechselseitige Verhältnis von Mensch und Natur. Als Umweltpsychologin spürt sie in ihrer Forschung am College of Wooster in Ohio aktuell dem Zusammenhang zwischen Klimawandel und Ängsten nach.

Außerdem ist Clayton eine von 721 Expert:innen aus 90 Ländern, #1 die am sechsten Bericht des Weltklimarats mitschreiben, der nächstes Jahr veröffentlicht werden soll. Frühere Berichte des Weltklimarats haben die

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psychologischen Auswirkungen der Klimakrise nur angerissen.

Heute jedoch gehen auch die optimistischsten Modelle davon aus, dass die Menschheit die negativen Effekte des Klimawandels nicht ganz wird verhindern können – sie treten ja teilweise heute schon auf. Darum muss eine breitere Perspektive her. Welche das sein könnte, erklärt Susan Clayton im Interview.

Iris Proff: Wie kann die Psychologie bei der Klimakrise helfen?

Susan Clayton: Psychologische Forschung gibt uns Aufschluss über die Auswirkungen des Klimawandels auf das Wohlbefinden der Menschen und schlägt Möglichkeiten vor, schädliche Effekte zu mildern. Wir

müssen uns bewusst sein, dass die psychische Gesundheit von Menschen leiden wird, und Ressourcen in das psychosoziale Gesundheitssystem stecken.

Wie genau gefährdet der Klimawandel die Psyche?

Susan Clayton: Es ist bekannt, dass Ereignisse wie Hitze, Dürren, schlechte Luftqualität und der Verlust der Heimat sich direkt negativ auf die psychische Gesundheit auswirken. Neuerdings untersuchen

Forscher:innen aber auch, ob das bloße Wissen um den Klimawandel Menschen negativ beeinflusst. #2

Gefühlt ist das so …

Susan Clayton: Ich habe gemerkt, dass wir viele Anekdoten, aber wenig konkrete Belege dafür haben. Darum habe ich zusammen mit einem Kollegen ein Maß für Klimaangst entwickelt. #3 Wir wollten sehen: Ist Klimaangst pathologisch? In anderen Worten: Beeinträchtigt sie Menschen in ihrer Arbeit, in der Freizeit oder beim Schlafen?

Was haben Sie herausgefunden – gibt es ein »Klimaangstsyndrom«?

Susan Clayton: Klimaangst kann ein extremes Ausmaß erreichen und so das Leben eines Menschen beeinträchtigen. Unsere Forschung dazu steht erst am Anfang, aber das können wir schon sagen. Doch die Angst vor dem Klimawandel ist nicht an sich pathologisch. Für manche Menschen

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wirkt sie überwältigend und lähmend. Aber für andere wird die Sorge zur Motivation, in Aktion zu treten. Wenn wir es ein Syndrom nennen, klingt das, als stimme etwas nicht mit der Person – anstatt damit, wie unsere Gesellschaft funktioniert.

Sie arbeiten im Weltklimarat mit Forscher:innen aus der ganzen Welt. Ist die Klimaangst weltweit verbreitet?

Susan Clayton: Der Grad der Besorgnis variiert in verschiedenen Teilen der Welt. Einige Studien zeigen, dass kleine Inselstaaten etwa sehr besorgt über den Klimawandel sind. Sie bekommen die Auswirkungen bereits zu spüren. Aber wie sehr sich Menschen sorgen, hängt auch von ihrer Wahrnehmung ab. Es mag Menschen an Orten geben, die starke Auswirkungen spüren, diese aber nicht dem Klimawandel zuordnen.

In Ihrem Forschungsartikel über Klimaangst aus dem Jahr 2020 #4 erwähnen Sie, dass indigene Völker psychisch und emotional besonders stark unter der Klimakrise leiden. Warum ist das so?

Susan Clayton: Ihre Lebensweise ist in der Regel eng mit den Orten verbunden, an denen sie leben. Wenn sich diese Ökosysteme zu verändern beginnen, haben die indigenen Menschen das Gefühl, ihre Kultur oder sogar ihre Identität zu verlieren. #5 Die Ältesten können ihr Wissen nicht mehr weitergeben, weil es nicht mehr relevant ist. In vielen Fällen müssen sie den Ort verlassen, an dem sie seit mehreren Generationen gelebt haben. Wenn ich den Ort verlassen müsste, an dem ich lebe, dann hätte das kaum Auswirkungen auf meine Identität. Aber viele indigene Völker definieren sich über ihre geografische Heimat.

Zurück zur Klimaangst. Brauchen wir in der Zukunft

»Klimatherapeut:innen«?

Susan Clayton: Ich denke, es ist wichtig, dass Psychotherapeut:innen verstehen, warum Menschen diese Angst erleben, und mit ihren

Patient:innen darüber sprechen. Wir brauchen aber auch einfach breitere Therapieangebote. Wir sehen es während der Coronapandemie: In

Krisensituationen gibt es eine viel stärkere Nachfrage nach

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psychosozialen Diensten. Es muss einfacher werden, über die Angst vor dem Klimawandel zu sprechen.

Was können wir tun, damit unsere Sorge um die Umwelt zu einer motivierenden Kraft wird, anstatt dass sie uns lähmt?

Susan Clayton: Der erste Schlüsselfaktor ist der soziale Kontext, also Verbindungen zu anderen Personen, die sich ebenfalls Sorgen machen.

Dies erzeugt ein Gefühl von Stärke, denn Gruppen können mehr tun als Einzelpersonen. Das ist eine mächtige Quelle der Resilienz. *2 Der zweite Faktor ist die Selbstwirksamkeit – das Gefühl, dass das eigene Verhalten einen Unterschied macht. So können Menschen aktiv werden, anstatt das Problem nur passiv zu empfangen.

Viele Menschen glauben, das Problem sei zu groß, um auf einer individuellen Ebene etwas dagegen zu tun. Was würden Sie darauf erwidern?

Susan Clayton: Was ich ihnen sagen würde, ist: »Du allein kannst nicht beeinflussen, wie viele Emissionen die Welt produziert. Was du verändern kannst, ist das gesellschaftliche Bewusstsein. Es geht nicht nur darum, was du tust, sondern auch darum, dass andere dich dabei sehen. Ich selbst versuche, bewusst sichtbar zu machen, was ich tue, um

nachhaltiger zu leben: dass ich es vermeide, mit dem Auto zu fahren, weniger Fleisch esse und Emissionsausgleiche kaufe, wenn ich fliege.«

Das kann ich bestätigen! Ich sehe oft, dass mein Verhalten – etwa vegetarisch zu essen – auf andere abfärbt, ohne dass ich irgendetwas dazu sagen müsste.

Susan Clayton: Es mag zirkulär klingen, doch Menschen tun das, was alle anderen tun – vor allem die, deren Identität sie in irgendeiner Weise teilen. *3 Wir wollen dazugehören und dass andere uns mögen. Dazu übernehmen wir unbewusst Verhaltensweisen, die wir bei anderen Menschen sehen. Es gibt das Potenzial, andere zu beeinflussen – auch wenn es nicht immer offensichtlich ist.

Redaktion: Dirk Walbrühl

Hier findest du die beiden anderen aktuellen Dailys:

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Zusätzliche Informationen

*1 Der englische Fachbegriff lautet »ecoparalysis«, geprägt im Paper

»Chronic environmental change: Emerging ›psychoterratic‹ syndromes.«

*2 Resilienz bezeichnet die Widerstandsfähigkeit eines Menschen gegenüber psychischen Belastungen. Ein resilienter Mensch wird weniger durch Stress beeinflusst und ist weniger gefährdet, aus der Bahn geworfen zu werden oder Traumata davonzutragen, wenn ihm ein Schicksalsschlag widerfährt.

*3 Wahrgenommene soziale Normen sind die wohl mächtigste Motivation, sich umweltfreundlicher zu verhalten. Wenn Menschen etwa glauben, dass andere für die Umwelt Energie sparen, dann motiviert sie das, selbst Energie zu sparen – mehr als ihr eigener Glaube, dass Energiesparen der Umwelt hilft. Gleiches gilt übrigens für Coronaregeln: Eine Studie fand kürzlich anhand eines globalen Datensets von mehreren Tausend

Proband:innen heraus, dass Menschen sich am ehesten an Abstandsregeln halten, wenn sie denken, dass ihr soziales Umfeld es tut. Dieser Faktor war wichtiger als die Frage, ob sie die Abstandsregeln für sinnvoll hielten.

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Quellen und weiterführende Links

#1

So werden die Autor:innen für den Weltklimarat ausgewählt (englisch) https://www.ipcc.ch/2018/04/06/ar6-author-selection/

#2

Hier schreibt Katharina Mau über die Gefühle, die die Klimakrise in uns auslöst

https://perspective-daily.de/article/1628/

#3

Hier stellen Susan Clayton und Bryan Karazia ihr Maß für Klimaangst vor (englisch, 2020)

https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S02724944193071

45?casa_token=DiHSGshT514AAAAA:ytDiFDX9WY61mAgrxjIg97ZU7PvRPn8Iq2 o-V7QLEP6g6SMuEPy5mXJKEmd6odAmSRhlssthQ0k

#4

Hier fasst Susan Clayton die Forschung zur Klimaangst zusammen (englisch, 2020)

https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S08876185203007

73?casa_token=kR-QaPtSWJ4AAAAA:PQGASVt6s7xFBOHiSYHCx6TO1Mjt7zuhQi ZNliU1OUAkmMNHxPJVnAS7DrN7IRgv0mCpDtLMMQ

#5

Die kanadischen Inuit leiden nicht nur physisch, sondern auch emotional unter der Veränderung ihrer Heimat (englisch, 2013)

https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S17554586110006

5X?casa_token=SIaZA5T46cIAAAAA:cKq-QuJa_tRp4s9bXiMP0ZCUkrmgddEuJy p3nW4AQsea9OQsqEOsPeBtbBp1ZdUPoSjStcFiHA

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