• Keine Ergebnisse gefunden

In »The Decline of the Concert in the Balkans«

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "In »The Decline of the Concert in the Balkans«"

Copied!
86
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Rezensionen Andrew Rutherford : T h e Literature of War. Five Studies in H e r o i c Virtue. London, Basingstoke: Macmillan 1978. 176 S.

Das T h e m a des Literaturhistorikers und Kritikers Rutherford ist das Heldentum und seine Wiedergabe und Interpretation bei den Autoren Kipling, T . E. Lawrence (of Arabia), W a u g h und Le Carre. In einem weiteren Kapitel befaßt er sich mit W e r k e n , die den Krieg in Frankreich 1914—1918 behandeln (»The C o m m o n M a n as Hero«).

Aldous Huxley hatte bereits in »Brave N e w World« seinen Mustapha M o n d erklären las- sen, daß die neuzeitliche Zivilisation weder Adel noch Helden benötige, denn beides bringe nur Instabilität mit sich. Diese — den dreißiger Jahren entstammende Erkenntnis — ist in jüngster Zeit wieder zunehmend in Frage gestellt worden, obwohl die moderne Lite- ratur die Problematik bzw. die dahintersteckende (Sehn-)Sucht zu negieren scheint. Aller- dings befindet sie sich in offensichtlichem Einklang mit der Teilnahmslosigkeit der westli- chen, zumal der bundesrepublikanischen Wohlstandsgesellschaft, auf die John Baynes' Verdikt — von Rutherford eingangs zitiert — zutrifft: »A society that loses courage can only fade and crumble away.«

Im Mittelpunkt des Essays über Kipling und den »Frontier War« steht der einzelne, einfa- che M a n n , der Subalterne, dessen Situation »in the quarrels of civilised nations« Winston Churchill einmal folgendermaßen umrissen hat: »In all this tumult, this wholesale slaughter, the individual and his feelings are utterly lost, only the army has a tale to tell'.«

(S. 11) Smollet und Dibdin haben einer lesenden Öffentlichkeit das Leben in der engli- schen Marine nahegebracht. Der Alltag des gemeinen Mannes in der Army dagegen blieb lange unbekannt, zumal sie im 18. und 19. J a h r h u n d e r t sozusagen neben dem »normalen«

nationalen Leben existierte. Kipling mit seinen Geschichten und Gedichten von der Grenze, der Front, der Offiziersmesse und den Kasernen füllte diese Lücke. Dabei hatte er das literarisch-methodische Dilemma zu bewältigen, seinen Stoff angemessen darzustellen.

Zwischen heroisierender Romantik und nacktem Realismus steuerte er einen Mittelweg und schuf die »Realitätsromanze« (S. 16). D e r Burenkrieg erhöhte die Bedeutung des Mi- litärs im Denken Kiplings und vieler Zeitgenossen; Verteidigungsprobleme beschäftigten ihn nun verstärkt. In bitteren Versen (etwa: T h e Islanders; T h e Dykes; T h e Army of a Dream) warnte er davor, unvorbereitet in das Armageddon einzutreten. Der Kampf zwi- schen Zivilisation und Anarchie beherrschte sein D e n k e n ; law and order waren f ü r ihn un- antastbare Werte (der Zivilisation). Kiplings Sohn, ein kaum achtzehnjähriger Leutnant, fiel im Ersten Weltkrieg. Ihm und der Vorkriegswelt des britischen Empire widmete er

»The Irish Guards in the Great War«, das er als Denkmal des Mutes verstand und in dem er sich lediglich eine Anspielung erlaubte auf die »many, almost children, of w h o m no re- cord remains« (S. 37).

W ä h r e n d Kipling infolge einer dauernden Augenschwäche nie Soldat sein konnte und da- her nur ein intellektueller T y p war (wenn auch einer, der den »man of action« bewunderte und forderte), so war T . E. Lawrence beides: Intellektueller und Macher, Schreiber und Soldat; eigentlich selbst ein Held, allerdings einer, der nach dem Sinn seines T u n s fragte.

Daraus ergab sich sozusagen von selbst der Titel von Rutherfords Essays über ihn: »The Intellectual as H e r o . . . « Lawrence w a r kein sogenannter geborener Soldat, sondern nach eigenem Bekunden ein konsequenter Studiker, der der Ratio folgte. D a h e r galt seine Kri- tik der professionellen Blindheit der meisten britischen Offiziere: »Too much body and too little head.«

Rutherfords Essay ist gerade f ü r den Historiker von besonderem Interesse. Er befaßt sich nahezu ausschließlich mit Lawrence' Buch: »The Seven Pillars of Wisdom« (1922 bzw.

1926) bzw. mit den verschiedenen Fassungen des Werkes über den arabischen Aufstand von 1916 bis 1918 gegen die türkische Herrschaft.

»Seven Pillars« ist beides: erzählende Analyse und autobiographischer Rechenschaftsbe- richt. Lawrence erweist sich dabei als gespaltene Persönlichkeit, hin- und hergerissen von jugendlichem Aktivismus und der Erkenntnis, daß er den Betrug an den Arabern durch die Kolonialmächte bzw. die Briten mit ermöglichte. Zwei Zitate mögen dies belegen: »We 1 1 3 M G M 1 / 8 2 were a self-centered army without parade or gesture, devoted to freedom . . .«, eine Aus-

(2)

sage, die abgeschwächt bzw. aufgehoben wird durch die Erkenntnis: »Had I been an hon- ourable adviser I would have sent my men home, and not let them risk their lives for such stuff (gemeint: die britischen Versprechungen bezüglich der arabischen Unabhängigkeit).

Yet the Arab inspiration was the main tool in winning the Eastern war. So I assured them that England kept her word in letter and spirit. In this comfort they performed their fine things; but, of course, instead of being proud of what we did together, I was continually and bitterly ashamed..« (S. 58)

Lawrence, das macht der anregende Aufsatz jedenfalls deutlich, ist einmal der Tatmensch und Held, der f ü r alles in der Aktion einen W e g weiß, dann wieder der ausgebrannte M a n n der Nachkriegsjahre, der mit dem Scheitern seines Lebenstraumes, die arabische Unabhängigkeit als lebensrettendes Vehikel britischen Herrenmenschentums in das C o m - monwealth einzubringen, innerlich nie fertig wurde.

Berücksichtigt man die Tatsache, d a ß der Krieg im Westen 1914 bis 1918 die Hauptsache war, dann muß es eigentlich verwundern, d a ß Rutherford diesem zentralen T h e m a nur ein Kapitel widmet. Zudem zeigt sich der Essay »The C o m m o n M a n as H e r o : Literature of the Western Front« dem Nichtspezialisten nur mit M ü h e zugänglich. Rutherford betont, in Übereinstimmung mit anderen Autoren und Zeitgenossen des Krieges, daß der Krieg in Frankreich der »eigentliche«, der typische, gewesen sei in seiner entpersönlichten und ent- menschlichten Form (S. 68). D a h e r ist sein Held nunmehr auch ein ganz anderer als er bei den von ihm behandelten Autoren auftritt, so u. a. bei Siegfried Sassoon, Winfried O w e n , Frank Richards, H e r b e r t Read, Edmund Blunde, C. E. Montague, Richard Aldington, R.

C. Sheriff, David Jones, Frederic Manning und Robert Graves.

Besonders interessant sind die Bemerkungen über das Verhältnis von Kriegsliteratur und Dichtung zur tatsächlichen Wirklichkeit und Erfahrung des Krieges (vgl. u.a. S. 75—80).

Die Frage, ob die »war poets« im Grunde nur eine verschwindend kleine, überspannte und jedenfalls untypische Minorität darstellten, wird andiskutiert. Nicht wenige Autoren bzw.

Kritiker sehen in ihnen sogar eine dramatische (empörende?) Verzerrung der historischen Wirklichkeit und Wahrheit. Diese D e u t u n g sollte energisch zurückgewiesen werden, denn solch eine W e r t u n g kommt einem Denkverbot gleich. W. B. Yeats nahm die »war poets«

nicht in das O x f o r d Book of English Verse auf mit der Begründung, daß passives Erleiden kein dichterisches T h e m a sei (S. 77). Dies ist zweifellos ein einsamer Gipfel literarisch- blinder Hybris, der an Zynismus nicht eben zu übertreffen ist. Andererseits sticht natürlich das Verdikt, daß die permanente Zeichnung des Soldaten als O p f e r verdeckt, d a ß auch und gerade er handelndes, tötendes, quälendes und verantwortliches Subjekt ist.

Die Arbeit über Evelyn W a u g h s Trilogie: »Sword of H o n o u r « ist f ü r den Historiker unin- teressant, da sie sich vornehmlich mit literaturhistorischen und sprachlichen Aspekten be- faßt. D e r Band wird abgeschlossen durch eine kurze Studie über John Le Carre und den Kalten Krieg. Darin geht Rutherford auf den ungeklärten literarischen Status des Spiona- geromans bzw. des »spy thriller« ein. Seine Einschätzung des Genres ist offen und im Grunde positiv. Er bezeichnet Carre als den wertvollsten Exponenten dieser Art von Lite- ratur, »demonstrating the capacity of entertainment art to transcend its own self-impeded limitations« (S. 136).

Abschließend sollte nach Meinung des Rezensenten betont werden, daß W e r k e der vorlie- genden Art allzuselten von Historikern zur Kenntnis genommen werden, ein absurder Tatbestand angesichts der Tatsache, daß sich alle Welt der Vorzüge interdisziplinärer For- schung rühmt. Für den Militärhistoriker jedenfalls hat dieses Buch, auch in seinen f ü r den Historiker ärgerlichen Stellen, einen immensen W e r t und regt zu wichtiger Lektüre an.

Hans-Christoph Junge

Geschichte und Gegenwart. Festschrift f ü r Karl Dietrich Erdmann. Hrsg. von H a r t - mut Boockmann, Kurt Jürgensen, Gerhard Stoltenberg. Neumünster: W a c h h o l t z 1980. 702 S.

114

Mit dem thematischen Titel der Festschrift haben Schüler und Kollegen Erdmanns die Leitmaximen herausstellen wollen, die stets das geschichtswissenschaftliche Arbeiten des

(3)

Kieler Historikers bestimmt haben: »die Vermittlung von geschichtswissenschaftlichem Wissen und von Einsichten in die Vergangenheit, die zugleich Voraussetzungen eines Ver- ständnisses von Gegenwart und Z u k u n f t sind; die Förderung von Geschichtsbewußtsein zum N u t z e n der Gegenwart, aber auch die kritische Kontrolle dieses Bewußtseins gemäß dem Stande und den Mitteln wissenschaftlicher Erkenntnis« (Vorwort der Herausgeber).

W e r auch nur einen Teil der in dem Verzeichnis der Veröffentlichungen genannten 139 Beiträge kennt, wird bestätigen können, in welch hohem M a ß e Erdmann, augenblicklich Präsident des Internationalen Historiker-Komitees, in der T a t die Verpflichtung des H i - storikers darin sieht, die Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu schlagen (na- mentlich in seinen zahlreichen Beiträgen zum Ost-West-Verhältnis), ohne die Geschichts- wissenschaft als Instrument zu unmittelbarer N u t z a n w e n d u n g zu betrachten oder »Theo- rien« zu dogmatisieren; noch immer hat sich der Jubilar zu einer verstehenden und erklä- renden Historie bekannt und in dem geschichtlichen Erkenntnisprozeß allenfalls die M ö g - lichkeit zu einem M e h r an politischer Orientierung gesehen. Dabei verbindet er in glückli- cher Weise ein abgewogenes Urteil mit einer auf das Wesentliche konzentrierten Darstel- lungsweise, wie es u. a. sein großer Handbuchbeitrag über die »Zeit der Weltkriege« mani- festiert1. Seine Vorträge über »Gustav Stresemann«2 und jüngst über »Preußen«3 sind Meisterwerke einer jeweils sachlich-kritischen Standortanalyse und einer zugleich unauf- dringlich historisch-politischen Pädagogik.

Die Beiträge der Festschrift reichen von Antike und Mittelalter (A. H e u ß : Cäsarismus; H . E. Mayer: Kreuzzugsforschung; H . Boockmann: Ostsiedlung) bis in die unmittelbare Ge- genwart, vor allem im abschließenden Teil 5 mit Aufsätzen zur Schleswig-Holsteinischen Landesgeschichte. H . Schulze verweist in einer fundierten Abhandlung die (neo-)marxisti- sche D e u t u n g der französischen Revolution als einer »kapitalistischen« Revolution in den Bereich der Mythen und bezweifelt angesichts des soziologischen Befundes — die tragende Schicht der Revolution bestand aus Landeigentümern, Beamten und Rentiers, nicht (im Sinne der Theorie) aus einer »Klasse« von industriellen Unternehmern und Kapitalisten — sowie des Gesamtgeschehens ebenfalls, ob die Bezeichnung der Revolution von 1789 als einer »bürgerlichen« sinnvoll sei (S. 149—158). K. Friedland untersucht in seinem kurzen Beitrag über »Seemacht und Nationalstaat« (S. 195—202) auf der Grundlage des hand- schriftlichen Nachlasses Lorenz v. Steins das Flottenkonzept dieses großen deutschen Staatsrechtlers und Mitbegründers der Soziologie. Er schließt mit seinen Darlegungen an ein Fachkolloquium an, das sich im Jahre 1979 in Bremerhaven mit der Frage beschäftigt hatte, ob die Deutsche Reichsflotte von 1848 »die erste deutsche Flotte« genannt werden dürfe und ob sich mit der Einholung der schwarz-rot-goldenen Flagge am 5. April 1852 die »romantisch-revolutionären« Anfänge gänzlich aufgelöst hätten4. Friedland weist in- dessen, nicht nur an der 1848 niemals vollständig vereinheitlichten Schleswig-Holsteini- schen Flottille, sondern eben auch an den Vorstellungen Steins nach, d a ß sich der »schöne Traum« des Bürgertums von einer nationalen Flotte in eine nach 1852 keineswegs abhan- den gekommene Kontinuität einordnet.

Von besonderem Reiz ist der aspektreiche Beitrag von K. G. H a u s m a n n über »Pilsudski und die Mission des Grafen Keßler in Polen« (S. 233—273). Aus dem Fragment deutsch- polnischer Beziehungen im N o v e m b e r / D e z e m b e r 1918 stellt der Autor nicht nur die Er- eignisse im Zusammenhang mit dem geordneten R ü c k z u g der deutschen Truppen aus Po- len heraus, sondern er läßt »über dem Sachlich-Politischen da und dort Menschlich*Per- sönliches aufleuchten«. T r a f e n doch mit dem polnischen Staatschef und dem linksliberalen Grafen und Garde-Kavallerie-Offizier (er kandidierte bei den Reichstagswahlen 1924 f ü r die D D P ) zwei Persönlichkeiten zusammen, die beide gewillt waren, nach dem 9. Novem- ber 1918 einen Ausgleich zwischen den verfeindeten Völkern zu versuchen, der allerdings auf G r u n d der »Demagogie der Straße« keine Realisierungschance besaß (vgl. Pilsudskis anfängliche Bereitschaft, auf Posen und Westpreußen zu verzichten, zumindest keinen Krieg um diese Kerngebiete des späteren deutschen Revisionismus zu führen!). P. Wulf, der Biograph von H u g o Stinnes, fragt in einem konzis-analytischen Beitrag über »Staat und Wirtschaft im Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik« (S. 275—288) nach 1 1 5 der Anwendbarkeit des Begriffs »Organisierter Kapitalismus« in der Geschichtswissen-

(4)

Schaft. Er macht deutlich, d a ß dieses f ü r den Zusammenhang von Staat und Wirtschaft im Kaiserreich kreierte Modell (nach marxistischer Version staatsmonopolistischer Kapitalis- mus) nach 1918 geradezu seine Vorzeichen verkehrt: »nicht der Staat ist weiterhin Ge- schäftsführer der kapitalistischen Entwicklung, sondern von diesem Staat werden Initia- tiven entwickelt, um die O r d n u n g des kapitalistisch ausgerichteten ökonomischen Lebens zu verändern. Es war gleichsam der (gescheiterte, H . G.) Versuch der Ü b e r f ü h r u n g des Organisierten Kapitalismus in den Organisierten Sozialismus« (S. 284). Jedenfalls besteht das zentrale Ergebnis von Wulfs Untersuchung darin, daß die vielfache V e r w e n d u n g des Modells »Organisierter Kapitalismus« f ü r die Frühphase der Weimarer Republik über- sieht, daß die dadurch implizierte Stützungsfunktion des Staates f ü r das kapitalistische Sy- stem gar nicht bestand. In seinen »Überlegungen zum Demokratie- und Staatsverständnis des Weimarer Linksliberalismus« (S. 289—311) bemängelt J. C. H e ß die Unfähigkeit der D D P , über wohltönende Formelkompromisse hinaus zu einer wirtschafts- und sozialpoli- tischen Gesamtkonzeption und einem Kompromiß zwischen Bürgertum und Arbeiter- schaft zu gelangen. O b die Linksliberalen indessen erst an der mangelnden Unterschei- dungsfähigkeit liberaler bürgerlicher W ä h l e r zwischen den eigenen nationalen Parolen und verfassungsstaatlichen Idealen und der ähnlich klingenden Propaganda der National- sozialisten gescheitert sind, oder ob nicht bereits ein wesentlicher G r u n d f ü r ihre Erfolg- losigkeit in den außenpolitischen Zwängen der frühen Weimarer Republik lag, ließe sich zumindest ergänzend fragen. Es kann doch kaum ein Zweifel daran bestehen, d a ß die ge- mäßigte reformerische Mitte, die zu Anfang der Weimarer Republik eine breite Basis im Bürgertum besaß, in Zusammenarbeit mit der pragmatischen Sozialdemokratie die politi- sche und wirtschaftliche N e u o r d n u n g des parlamentarischen Deutschland zu festigen be- absichtigte.

Den Versuch einer geschichtlichen Erklärung des Beziehungsphänomens »Hitler und die Deutschen« (S. 351—364) unternimmt E. Jäckel, wobei er — noch einmal — dezidiert wie- derholt, d a ß Hitler nicht als der beauftragte Vertreter einer Gruppe oder Klasse an die M a c h t kam, »sondern weil sich verschiedene und ganz unterschiedliche Gruppen etwas übrigens auch durchaus Unterschiedliches davon versprachen, d a ß er Reichskanzler wurde. Somit w a r es eher eine Machtübergabe als eine Machtergreifung« (S. 359). In der Beurteilung der Hitlerschen Außenpolitik bekennt sich Jäckel eher zu den sogenannten

»Programmatikern«. D a ß Hitler »seine einmal gefaßte Konzeption auf dem komplexen Feld der Außenpolitik mit ihren vielfältigen unberechenbaren Einflüssen über 20 Jahre lang konsequent und unbeirrbar durchführen konnte und damit alles Geschehen praktisch allein bestimmt habe« (S. 365), bezweifelt dagegen O . Hauser in seinem zur bisherigen Forschung teilweise »frontalen« Aufsatz über »England und Hitler 1936—1939«

(S. 365—380), der einige Gedanken und Beispiele aus dem demnächst erscheinenden Band 2 seines Werkes »England und das Dritte Reich« (Bd 1. Stuttgart 1972) vorwegnimmt.

Seine Grundthese lautet: O h n e jeden Zweifel liegt die Hauptverantwortung f ü r die Zu- spitzung der (außen-)politischen Verhältnisse in den 30er Jahren bei Hitler als dem H e r - ausforderer und Veränderer des Status quo. Aber auch die englische Seite trifft ein gerüt- telt M a ß an Schuld, weil es ihr — in der Tradition ihrer Politik zwischen Hegemoniestre- ben und Gleichgewichtsdenken — an der entsprechenden Flexibilität gegenüber dem be- rechtigten deutschen Revisionismus gefehlt hat. Damit verläßt H a u s e r zugleich die weit- verbreitete Auffassung von einer allzu schwächlichen, ständig nachgebenden Appease- ment-Politik Chamberlains. Er vergleicht überdies in gewisser Weise Hitler mit Wil- helm II., der die »spröden« Briten ebenfalls durch Stärke beeindrucken und zur Annähe- rung bringen wollte. O b aber nicht gerade mit diesem Vergleich der grundverschiedene Ansatz (bei vorübergehend gleicher Zielsetzung und außenpolitischer »Kontinuität«) von wilhelminischer und NS-Politik verdeckt wird und ob sich Hitlers Rasse- und Lebens- raumgedanken wirklich bei einer (jemals beabsichtigten?) friedlichen Lösung (durch Ent- gegenkommen Englands) hätten ausschalten oder mindern lassen, wie H a u s e r meint, er- scheint doch sehr zweifelhaft.

Einen im Rahmen dieser Zeitschrift besonders interessierenden Beitrag steuert H . Grieser 116 bei. U n t e r dem Titel »>Ostorientierung< oder >Disziplin ohne ideelle G r u n d l a g e n ^ «

(5)

(S. 381—419) untersucht er die Mentalität der Kriegsmarine nach der Kapitulation im Spiegel deutscher Marineakten5. Im Mittelpunkt der Abhandlung steht der zunächst 27 000 M a n n umfassende Deutsche Minenräumdienst, der sich in 6 Minenräumdivisionen mit 43 Flottillen gliederte und (am 15. 10. 1945) über 756 Fahrzeuge verfügte. H a t t e man noch Anfang Mai 1945 im nichtbesetzten Norddeutschland den augenblicklichen Zustand als eine ausgesprochene Übergangssituation empfunden und das Endstadium des Krieges erst f ü r erreicht angesehen, wenn der Kampf gegen die Sowjetunion mit oder ohne al- liierte Hilfe zu Deutschlands Gunsten erreicht sei, so änderte sich die Stimmung und Mei- nungsbildung in T r u p p e und Offizierkorps im Laufe des Mai rapide. Stalins Reichsein- heitspropaganda, das als eindeutig überlegen angesehene Kräftepotential im Osten und die besseren Aussichten für Berufssoldaten ließen die Uberzeugung aufkommen, daß man »im Osten bei guter Behandlung satt würde, im Westen hingegen hungern m u ß und wie ein H o t t e n t o t t e behandelt wird« (S. 383). Die Lageberichte aus dem »russischen Raum« und der »abstoßende Eindruck der verwahrlosten russischen Soldaten« bei der Begegnung zwi- schen deutschen und sowjetischen Marineoffizieren in Swinemünde ließen (trotz des W e r - bens der Russen um »Zusammenarbeit mit Deutschland«) die Stimmung bald wieder um- schlagen. Die Frage, ob angesichts der Aufrechterhaltung von Wehrmachteinheiten über den rein organisatorischen Rahmen des deutschen Dienstleistungseinsatzes hinaus die so- wjetischen Vorwürfe einer Indienststellung deutscher Einheiten f ü r eine alliierte bzw. eng- lische Kehrtwendung gegen die Sowjetunion — wie sie A. J. Smith als beabsichtigt an- nimmt6 — berechtigt gewesen seien (diese sowjetischen Anwürfe korrespondierten mit dem westlichen Argwohn vor einer in der Sowjetunion oder in den polnisch besetzten deutschen Ostgebieten aufgestellten Paulus- oder Seydlitz-Armee mit mehreren Divisio- nen), kann Grieser von seinem Material her nur berühren. Dagegen dokumentiert er sehr eindrücklich, wie durch deutsche Disziplin (mit Hilfe englischer Befehle) sowie den alten Korpsgeist das »soldatische Gefüge« der ehemaligen Wehrmacht auch in der Gefangen- schaft aufrechterhalten wurde. Was somit blieb, war das Bekenntnis zur soldatischen O r d - nung und zur soldatischen Pflicht und eine wenig einsichtige Selbstrechtfertigung gegen- über dem Militarismusvorwurf.

Abschließend sei noch ein argumentativ überzeugender Aufsatz von K.-D. Schwarz über

»Carl von Clausewitz und das Verhältnis von Politik und Krieg heute« (S. 443—458) her- vorgehoben. Schwarz stellt seinen Beitrag in den Kontext der gegenwärtigen sicherheits- politischen Problematik, wobei er zu dem Ergebnis kommt, daß sich die zentrale Aussage der Clausewitzschen Kriegstheorie, »nämlich die Definition des Verhältnisses von Politik und Krieg als einer reinen Zweck-Mittel-Relation«, nicht mehr auf die heutigen Verhält- nisse übertragen lasse: »Der innere Widerspruch zwischen dem klassischen Zweck des Krieges und seinen Auswirkungen im Atomzeitalter ist zu einem Problem geworden, das die Korrektur gerade der Kernthese der Clausewitzschen Kriegsphilosophie verlangt«

(S. 443). Gegenüber einer allzu euphorisch betrachteten Entspannungspolitik und ange- sichts einer von ihrer sozialen Dimension her in ihrer Glaubwürdigkeit gefährdeten Ab- schreckungstheorie kehrt Schwarz jedoch warnend zu zwei — zeitlich eingebundenen, in ihrem Bedeutungsgehalt jedoch zeitunabhängigen — Sätzen von Clausewitz zurück:

»Wehe dem Kabinett, das mit einer halben Politik und gefesselter Kriegskunst auf einen Gegner trifft, der wie das rohe Element keine anderen Gesetze kennt als die seiner inne- wohnenden Kraft! D a n n wird der Mangel an Tätigkeit und Anstrengung ein Gewicht in der Waagschale des Gegners; es ist dann nicht so leicht, die Fechterstellung in die eines Athleten zu verwandeln, und ein geringer Stoß reicht o f t hin, das G a n z e zu Boden zu wer- fen« (Vom Kriege. 18. Aufl. Bonn 1973, S. 410f.). Horst Gründer

1 Handbuch der deutschen Geschichte. Begründet von B. Gebhardt. Bd 4. K. D. Erdmann: Die Zeit der Weltkriege. 9. Aufl. T. 1.2. Stuttgart 1973—76.

2 Gustav Stresemann. Sein Bild in der Geschichte. Vortrag, gehalten am 9. Mai 1978 anläßlich des 100. Geburtstages von Stresemann auf einer von der Stresemann-Gesellschaft in Mainz ausgerich- teten Gedenkveranstaltung, abgedruckt in H Z 227 (1978) 599—616.

3 Preußen, von der Bundesrepublik her gesehen. Vortrag zur Eröffnung einer von der Thyssen-Stif- tung und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz veranstalteten Vorlesungsreihe über Preußen in der Staatsbibliothek in Berlin am 30. 1. 1980, abgedruckt in G W U 31 (1980) 3 3 5 - 3 5 3 .

(6)

4 Vgl. Deutsche Marine. Die erste deutsche Flotte. Hrsg. vom Deutschen Schiffahrtsmuseum. Bre- merhaven 1979.

5 E r bezieht sich dabei allerdings nur auf Q u e l l e n im Privatbesitz, insbesondere der A d m í r a l e G.

Schubert ( t ) und W . K a h l e r , nicht auf den (noch gesperrten) reichen Bestand des Bundesarchiv- Militärarchivs in Freiburg i. Br.

6 Vgl. A. L. Smith jr.: Churchills deutsche Armee. Die Anfänge des Kalten Krieges 1943—1947. Ber- gisch Gladbach 1978; dazu die Bespr. von R. Pommerin in M G M 24 (1978) 279. Siehe auch die interessante Aussage von Vizeadmiral a . D . Heinrich Gerlach. In: Aspekte der deutschen Wieder- bewaffnung bis 1955. ( = Militärgeschichte seit 1945. Bd 1.) Boppard a.Rh. 1975, S. 59.

American Secretaries of the Navy. Vol. 1.2. Ed. by Paolo E. Coletta. Annapolis, M d . : Naval Institute Press 1980.

1. 1 7 9 7 - 1 9 1 3 . X X X , 522 S.

2. 1 9 1 3 - 1 9 7 2 . X X V I I I , S. 5 2 3 - 1 0 2 8 .

Paolo E. Coletta leitete bei der Herausgabe dieses gewichtigen Kompendiums von Kurz- biographien amerikanischer Marineminister offenbar ein doppeltes Interesse: das des H i - storikers — als Absolvent und danach D o z e n t der Universität von Missouri — und das des Marineoffiziers der U.S. Naval Reserve, der er 30 Jahre, davon drei im Kriege, angehörte und die er im Rang eines Kapitäns zur See verließ. Coletta sicherte sich f ü r sein Projekt die Mitarbeit einer stattlichen Anzahl amerikanischer Universitätshistoriker sowie Gra- duierter der U.S. Naval Academy, an der er gegenwärtig lehrt1.

D e r Herausgeber und seine Mitarbeiter haben ein Nachschlagewerk geschaffen, das mehr, als es allgemeine Darstellungen über die Geschichte der Marine der Vereinigten Staaten vermögen, über ganz spezifische Aspekte der maritimen Entwicklung der USA, je nach der Persönlichkeit des Ministers, seinen planerischen Zielen, der politischen Konstellation und den fördernden und hemmenden Momenten unterrichtet.

Coletta macht in seiner V o r r e d e deutlich, daß sein Ehrgeiz nicht dahin ging, eine »opera- tive Geschichte der U.S. Marine« zu verfassen. Als sein Ziel definiert er vielmehr, die Per- sönlichkeiten und die von ihnen für die Entwicklung der amerikanischen Marine gefällten Entscheidungen in angemessener historischer Perspektive zu zeigen. Die einzelnen Bei- träge schildern die komplexen, ineinanderwirkenden Kräfte, aus denen sich »Seemacht«

herleitet. In diesen P r o z e ß fließen ein : die Wechselbeziehungen zu den anderen Teilstreit- kräften, das Verhältnis der zivilen (politischen) zu den militärischen Führungsspitzen und schließlich auch der wechselseitige Einfluß außenpolitischer Zwänge und Zielsetzungen auf die Gestaltung der U.S. Marine.

In der Ausformung seines Beitrags w a r jeder Autor frei; gleichwohl empfahl sich die Be- achtung einer gewissen Gliederung, die durchweg auch eingehalten wurde und eine schnelle Orientierung erleichtert. So wird jeder Aufsatz mit einer knappgefaßten Beschrei- bung des Lebenslaufes des Naval Secretary eingeleitet, einschließlich der H a u p t d a t e n sei- ner beruflichen bzw. politischen Karriere und der Gründe, die gerade zu seiner Ernen- nung geführt haben. D a n a c h folgt ein Umriß der Lage bei Amtsantritt und der zu bewäl- tigenden Probleme. In einem dritten Abschnitt werden der Erfolg oder Mißerfolg der un- ternommenen Lösungsversuche, in einem vierten die administrativen Fähigkeiten des Stel- leninhabers und — gegebenenfalls — seine Projekte zur Verbesserung der Organisation der Marine, im f ü n f t e n Abschnitt der Einfluß innenpolitischer, außenpolitischer, strategischer und taktischer Größen auf die Führungsentschlüsse des Ministers erörtert. Jede biographi- sche Skizze schließt mit einer zusammenfassenden Würdigung seiner Leistung oder seines Versagens.

Bei der Darstellung der Tätigkeit des jeweiligen Secretary richteten die Autoren ihr beson- deres Augenmerk auf sein Verhältnis zum Präsidenten, zu den Kabinettsmitgliedern, zu den rivalisierenden Streitkräftechefs und zur öffentlichen Meinung. Bezüglich der nie ab- reißenden Diskussion über die zweckmäßige Organisation der Marine liegt der Akzent auf dem Spannungsfeld zwischen einheimischen und überseeischen Erfordernissen und

(7)

Bedürfnissen sowie U.S. Bündnisverpflichtungen. Was die eigentliche, interne Marinever- waltung angeht, kommen notwendigerweise die Details zur Sprache: Personal, Ausbil- dung und Erziehung, Schiffbau, Bewaffnung, Logistik, Seefliegerei, Marinekorps und — für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg — die revolutionierende Wirkung des Einbruchs der Atomkraft.

So entsteht ein facettenreiches Bild des Werdens der Marine von ihren ersten Anfängen im Jahre 1775 bis zum Jahre 1972. Bis zum Jahre 1947 war der »Secretary of the Navy« als Leiter eines Ministeriums Kabinettsmitglied. Erst mit der Reorganisation von 1947, dem National Security Act2, verlor er den Kabinettsrang.

Der Präsident der Vereinigten Staaten übte, abgesehen von der Billigung durch den Kon- greß, bei der Ernennung des Naval Secretary entscheidenden Einfluß aus. Das Verhältnis des Präsidenten und seines Marineministers zum Kongreß, der durch seine Etatbewilli- gungsfunktion über die Realisierung politisch-militärischer Planungen letztlich entschied, war von größter Bedeutung. Hier hinein spielt das Problem, ob der Präsident an der Ma- rine desinteressiert oder aber besonders »navyminded« war. Starke Präsidenten wie die beiden Roosevelts, die sich für den Aufbau einer imponierenden Flotte einsetzten, ent- schieden oft selbständig, wo sie ihrem Marineminister hätten den Vortritt lassen müssen;

schwache Präsidenten, wie z. B. W. G. Harding, delegierten mehr Verantwortung, als es mit ihrem Amt verträglich war. Autorität und politischer Einfluß des Marineministers wur- den aber nicht nur durch die Stärke oder Schwäche der Persönlichkeiten bestimmt; Frie- den oder Krieg, die kooperative oder oppositionelle Haltung des Kongresses, die wirt- schaftlich gute oder schlechte Lage des Landes waren bestimmende Momente für das Durchsetzungsvermögen des Ministers.

Wichtig war vor allem, ob der Minister ein echtes Interesse an seiner Aufgabe haue und nicht nur als Exponent politischer Arithmetik (Belohnung für besondere Verdienste in der presidential campaign) auf seinen Posten gelangt war. Bezeichnend in dieser Hinsicht ist die Haltung des Naval Secretary John D. Long (1897—1902), der kein Hehl daraus machte, daß er nicht gedenke, sich über die Details der Marine und Marineorganisation den Kopf zu zerbrechen; das überlasse er seinen Behördenchefs oder geeigneten Offizie- ren. Sein Präsident, in diesem Falle Theodore Roosevelt, meinte denn auch, sein Marine- minister sei ein hochgesinnter Mann, aber wegen seiner totalen Unwissenheit in Marine- dingen für seinen Posten völlig ungeeignet.

Die Ansichten darüber, welche Qualifikationen ein Naval Secretary mitbringen müsse, schwankten im Laufe der Jahrhunderte. Die ideale Vorstellung, er müsse eine »considera- ble knowledge of maritime affairs« haben, sei es als Organisator oder Manager, Schiff- bauer, Stratege und Taktiker sowie als Menschenführer, wie sie im Jahre 1798 der ehema- lige Senator George Cabot formulierte, fand ihren Gegenpol im Gates Report aus dem Jahre 1954, der die »professional qualification« für den Secretary of the Navy damit um- schrieb, daß dieser keine spezifischen Marine-Fachkenntnisse besitzen müsse, sondern vor allem einen »broad business background« und »understanding of public and political af- fairs«. Ein »von außen« kommender Chef sei daher am ehesten geeignet.

Eine Analyse des beruflichen Werdegangs der 58 Marineminister zeigt denn auch, daß es sich bei der überwiegenden Zahl um Juristen handelt, die eine politische Karriere gewählt hatten. Daneben finden sich Kaufleute, Pflanzer, Schiffskapitäne, Journalisten, ja sogar ein Historiker wie George Bancroft. Er sollte sich als ein besonders begabter, tatkräftiger und erfolgreicher Marineminister erweisen. Schon bei der Errichtung des Marineministe- riums durch Präsident John Adams im Jahre 1797 wurde der Grundsatz des Vorrangs der

»zivilen Gewalt« fest begründet: Offiziere durften mit Ausnahme von Interimsperioden nicht zum Naval Secretary ernannt werden. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, nachdem — bei stets sehr knapper Mittelbewilligung durch den Kongreß — langsam einige Geschwader zum Schutz der heimischen (Atlantik-)Küste aufgestellt oder auf überseeische Stationen entsandt worden waren, nahm die Flotte Aufgaben wahr wie den Schutz vor Pi- raten oder Korsaren oder die Durchführung wissenschaftlicher Forschungsfahrten. Sie zeigte draußen die Flagge, und sie kämpfte schließlich im britisch-amerikanischen Krieg 119 von 1812, im Krieg gegen Mexiko 1846, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts im Bür-

(8)

gerkrieg und im Spanisch-Amerikanischen Krieg. Mit dem Übergang vom Segelschiff zum Dampfschiff und der immer dringlicher empfundenen Notwendigkeit, den Seestreitkräf- ten eine leistungsfähige Organisation zu geben, wurde als erstes Gremium in der langen Geschichte der Marineorganisation der »Board of the Navy Commissioners« geschaffen.

Im Jahre 1842 wurde diese Institution durch das sogenannte »Bureau-System« nach dem Vorbild ausländischer Marinen ersetzt, d.h. es wurden je nach Aufgabe (Schiffbau und Werften, Artillerie, Hydrographie, Marinemedizinaldienst, Verwaltung, Personal) relativ selbständige Abteilungen eingerichtet.

Für den wissenschaftlichen Unterbau des Seekriegswesens und die Entwicklung der See- kriegstheorie war die sukzessive Begründung eigener Bildungsstätten der Marine die we- sentliche Voraussetzung. Zu nennen sind hier die schon früh immer wieder geforderte, aber erst 1845 unter dem Naval Secretary Mason durchgesetzte E r ö f f n u n g der Naval Aca- demy als Stätte der Offizierausbildung, das 1873 geschaffene Naval Institute in Annapolis und schließlich das 1884 gegründete U.S. Naval W a r College.

Die Epochen der amerikanischen Marinegeschichte, die einen fähigen und energischen Minister erforderten, waren naturgemäß Zeiten des Krieges oder starken technisch-tech- nologischen Wandels. Besonders fähige Marineminister waren Gideon Welles ( 1 8 6 1 - 1 8 6 9 ) , Josephus Daniels ( 1 9 1 3 - 1 9 2 1 , Frank Knox ( 1 9 4 0 - 1 9 4 4 ) und James V.

Forrestal (1944—1947). In den achtziger und frühen neunziger Jahren des 19. J a h r h u n - derts hatten sich die »drei Williams« — William H u n t (1881—1882), William Chandler (1882—1885) und William Whitney (1885—1889) — sowie der ihnen folgende Benjamin Tracy (1889—1893) einen N a m e n gemacht, als sie aus der nach dem amerikanischen Bür- gerkrieg völlig heruntergekommenen Flotte wieder ein brauchbares Instrument machten.

N a c h dem Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898 stiegen die USA zur Weltmacht auf.

Das ließ die Frage dringlich erscheinen, wie g r o ß künftig die Marine sein müsse und wie sie am besten geführt werde. Das bestehende »Bureau-System« schien völlig ungeeignet, Seeoperationen zu planen und im Konfliktfalle zu leiten. Im Krieg von 1898 hatte man deshalb einen Naval W a r Board eingerichtet; von der Einführung eines Admiralstabes und seiner Strukturierung nach dem Vorbild des deutschen Heeresgeneralstabes wollte die po- litische Führungsspitze der USA, d. h. vor allem der Marineminister, aus Furcht vor einem Kompetenzverlust nichts wissen. Auch die amerikanische öffentliche Meinung lehnte eine

»Verpreußung« der Marine ab. Eine Kompromißlösung fand man in der Schaffung eines General Board of the Navy im Jahre 1900, dem namhafte Admírale als Fachberater des Ministers angehörten. Jedoch kam auch mit dem neuen Board die Frage der zweckmäßi- gen Reform der Marineleitung nicht zur Ruhe. Im Jahre 1915 wurde schließlich das Amt des Chief of Naval Operations ( C N O ) eingerichtet, dessen Aufgabe es sein sollte, alle T ä - tigkeiten im Marineministerium zu koordinieren, eine systematische und detaillierte Pla- nung zu entwerfen, die Zusammenarbeit mit dem H e e r , anderen Ministerien und der Pri- vatindustrie zu organisieren. Ab 1942 übernahm der C N O die Funktionen des General Board; später wurden diese den Joint Chiefs of Staff zugewiesen. Im Unterschied zur deutschen Seekriegsleitung (und mit Ausnahme der Befehlsregelung im Zweiten Welt- krieg) besaß der C N O keine Befehlsgewalt gegenüber den U.S. Flottenchefs und keine Weisungsbefugnis gegenüber den Abteilungsleitern und Offizieren im Ministerium.

Ein besonderer Zug der amerikanischen Marineverwaltung war die N u t z u n g ziviler T a - lente zur Verbesserung der »efficiency« der Marine. Naval Secretary George v. Lengerke- Meyer (1909—1913), von H a u s e aus K a u f m a n n , den Kaiser Wilhelm einmal den »ameri- kanischen Tirpitz« nannte, berief einen technischen Manager, um das Schiffbau- und Schiffsreparaturwesen, w o viel kostspielige Doppelarbeit geleistet wurde, nach modernen Gesichtspunkten des business management zu straffen. Ahnlich engagierte 30 Jahre später Frank Knox einen Management-Ingenieur, und Knox' Nachfolger Forrestal bemühte sich in besonderem M a ß e , zivile Experten f ü r den Dienst in der Navy zu gewinnen.

Auf Grund der staatlich-politischen Struktur seit G r ü n d u n g der Vereinigten Staaten hatte das politische Gravitationszentrtim immer an der atlantischen Küste gelegen, w a r der Blick vorwiegend auf Europa gerichtet gewesen. Die Teilnahme am Ersten Weltkrieg und die

»Neutrality Patrol« hatten das Erfordernis einer angemessen starken Flotte im Atlantik ge-

(9)

zeigt; nach dem Krieg gewann die Orientierung auch nach der Pazifikküste hin zusehends an Gewicht und ließ die Forderung nach der »Zwei-Ozeanflotte« aufkommen.

Die Frage nach der möglichst zweckmäßigen Leitung der Marine und der Gliederung ih- rer Behörden trat ein Jahr nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges auf Grund des D r ä n - gens von Forrestal wieder in den Vordergrund. Die Debatte, die drei Jahre lang anhielt und zu scharfen Auseinandersetzungen führte, drehte sich um die administrative Vereini- gung von H e e r , Marine und Luftwaffe in einem Verteidigungsministerium, die schließlich mit dem bereits erwähnten National Security Act von 1947 zustande kam. Erster Vertei- digungsminister wurde der bisherige Secretary of the Navy Forrestal. Die großen Fragen der Streitkräfte wurden nunmehr im Defense Ministry bearbeitet. U n d wenn auch der N a - val Secretary seinen Kabinettsrang verlor, war er gleichwohl berechtigt, die Interessen der Marine in direkter Kooperation mit der Budgetabteilung und anderen einschlägigen Gre- mien, wie z.B. dem Armed Services Committee, sicherzustellen. Aber seit 1947 gehörte er im Gegensatz zu früher kaum noch dem Kreis der wenigen M ä n n e r an, die im Krisenfall über Krieg oder Frieden entscheiden.

Die Namen der meisten 58 Naval Secretaries, die von 1798—1972 amtierten, sind der Ver- gessenheit anheimgefallen; andere, wie die bereits weiter oben genannten, haben sich dem Gedächtnis der Nachlebenden eingeprägt. Mit dem Hineinwachsen der USA in weltweite Verpflichtungen wuchs die Komplexität der Aufgaben und nahmen die Schwierigkeiten des Amtes zu. Der Marineminister mußte nicht nur immer neue Anläufe machen, um den Kongreß und wichtige Ausschüsse zu überzeugen, er sah sich auch gleichzeitig Forderun- gen der unterschiedlichsten pressure groups ausgesetzt: der Industrie, den Reserveoffizier- organisationen, den Vätern und Müttern der in der Marine dienenden Soldaten. Er mußte außerdem f ü r das Ansehen der Marine in der Öffentlichkeit wirken, f ü r geeigneten N a c h - wuchs sorgen und seine Amtsautorität gegen Rivalen verteidigen. U n d last not least: er trug die Verantwortung f ü r die Seeoperationen amerikanischer Kriegsschiffe in aller Welt, die er nach den Weisungen des Präsidenten oder des Außenministers einzusetzen hatte.

Folgt man in Colettas Sammelwerk im Detail den unterschiedlichen Bemühungen der M a - rineminister, ihren Aufgaben gerecht zu werden, so zieht sich mit Ausnahme weniger, meist kriegerischer Perioden, wie ein roter Faden durch die Darstellung die beständige Schwierigkeit der Naval Secretaries, im Licht der objektiven maritimen Erfordernisse das Verständnis der Mehrheit des Kongresses und daraus folgend die Mittel f ü r den Marine- ausbau zu erlangen. Uber lange Perioden hinweg fehlte vor allem die Bereitschaft, f ü r eine angemessene Infrastruktur und personelle Ausstattung mit qualifizierten seemännischen Kadern Sorge zu tragen. Flottenplanung und Flottenaufbau erfordern eine Kontinuität, die über die jeweilige Amtszeit der Inhaber der höchsten Exekutivgewalt, der Präsidenten, und ihrer wechselnden Einstellungen zu Rüstungsmaßnahmen hinausreicht. Aber gerade an dieser Kontinuität hat es immer wieder auf der höchsten Ebene gefehlt. In der Frühzeit der U.S. Marine konnte es vorkommen, daß auf Kiel gelegte Kriegsschiffe bis zum Stapel- lauf 30—40 Jahre, bis zur Indienststellung weitere 6 oder auch 14 Jahre benötigten (1821—

1855; 1855—1861). Aber auch nachdem die U.S. Flotte im Zweiten Weltkrieg zur stärk- sten der Welt aufgestiegen war, gab es nach 1945 Phasen, in denen mehrfach als dringend notwendig erachtete Schiffbau- oder Waffenfertigungsprogramme abgebrochen oder empfindlich reduziert wurden, weil die Bewilligung der Folgemittel nicht erreicht werden konnte. Beispiele in neuerer Zeit sind das Fallenlassen der Entwicklung des Marschflug- körpers »Regulus«, die verzögerte Entwicklung des Luftabwehr-FK-Systems »Aegis« so- wie die über zwei Jahre verspätete Fertigstellung des U-Kreuzers O H I O , der erst am 11.

November 1981 in Dienst gestellt wurde.

Zeiten konsequenten Flottenausbaus gab es eigentlich nur in der Zeit des amerikanischen Imperialismus um die Jahrhundertwende, als es darum ging, aus weltpolitischem Macht- interesse möglichst die zweite Stelle nach Großbritannien einzunehmen, und im Zweiten Weltkrieg nach Pearl H a r b o u r . An Bekundungen freilich, daß zur Behauptung der USA eine starke Flotte notwendig sei, bestand seit den Tagen Alexander Hamiltons (1755—1804), der sie als »great national object« gefordert hatte, kein Mangel. Auch die — noch zeitgemäße — Erkenntnis, daß »Schwäche einen Anreiz f ü r einen Aggressor sei und

(10)

nur Verachtung einbringe«, wurde bereits 1857 von dem damaligen Naval Secretary J. C.

Dobbin ausgesprochen. Ebenso gültig im Hinblick auf die gegenwärtige weltpolitische Lage der USA ist der Satz von Außenminister George C. Marshall, den er bei einer Sit- zung des National Security Council im Jahre 1949 sprach, als in Gegenwart des amtieren- den Naval Secretary Sullivan die damals ebenfalls prekäre Lage im östlichen Mittelmeer erörtert wurde : »The trouble [is] that we are playing with fire while we have nothing with which to put it out« (Bd 2, S. 757). Mehrfach in ihrer Geschichte und über lange Zeiten hinweg fehlten der U.S. Navy im kritischen M o m e n t die erforderlichen Mittel. Nicht ohne Grund meinte daher ein scharfsinniger Beobachter der Marineentwicklung, ein Kriegs- schiff sei auf dem Kapitol zu Washington größerer Gefahr ausgesetzt als im Getümmel ei- ner wirklichen Seeschlacht. Friedrich Forstmeier

1 Hauptwerke: P. E. Coletta: William Jennings Bryan. Vol. 1—3. Lincoln, Nebr. 1964—1969; ders.:

The Presidency of William Howard Taft. Lawrence, Kans. 1973; ders.: The American Naval Her- itage in Brief. Lawrence, Kans. 1978; ders.: The U.S. Navy and Defense Unification 1947—1953.

Hullihen Hall, Newark, N . J . 1979; ders.: Admiral Bradley A. Fiske and the American Navy.

Lawrence Kans. 1979.

2 Erlassen am 27. Juli 1947. Das Gesetz sah die Errichtung des National Security Council vor, der die Ziele, Verpflichtungen und Risiken der USA im Verhältnis zu ihrer tatsächlichen und poten- tiellen militärischen Stärke beurteilen sollte. Militärische Spitze des Verteidigungswesens der USA war nun ein Verteidigungsminister, dem u. a. die Joint Chiefs of Staff und die Staatssekretäre als Chefs der Teilstreitkräfte untergeordnet waren.

William V. Harris: W a r and Imperialism in Republican Rome, 327—70 Β. C. O x - f o r d : Clarendon Press 1979. XI, 293 S.

D e r Autor, der seit 1965 an der Columbia University lehrt, vertritt in seinem durchgehend als Analyse angelegten Buch die Auffassung, daß es das vorherrschende Bestreben der rö- mischen Staatsführung gewesen sei, das Imperium immer weiter auszudehnen. Er sieht darin eines der am beharrlichsten verfolgten Ziele der Politik Roms und setzt sich unter Berufung auf Polybios mit entgegenstehenden Auffassungen in der Wissenschaft auseinan- der. In der Frage, ob Rom im 2. Jahrhundert v. Chr. über längere Zeit das Annektieren von Gebieten besiegter Gegner gescheut habe, kommt Harris nach eingehender Auseinander- setzung mit T h e o d o r Mommsen und seinen Nachfolgern zu dem Ergebnis, daß es tatsäch- lich nicht so etwas wie ein Prinzip der »non-annection« gegeben habe, daß vielmehr die Gelegenheit selten war, bei der Annexionen zwar möglich waren, aber nicht genutzt wur- den, und daß andererseits in den Fällen, in denen sie verworfen wurden, solches nicht nach einem Grundsatz geschah, sondern aufgrund besonders gewichtiger Erwägungen des jeweiligen Vorteils f ü r Rom (S. 133). Dabei spielte auch »the lack of Roman machinery f o r direct government« neuer Territorien eine Rolle sowie die Vorliebe des Senats f ü r indi- rekte Methoden der Kontrolle (S. 162).

Eingehend werden die Intentionen Roms bei der Expansion untersucht. Die Ziele sind bei den diesbezüglich spärlichen Quellenaussagen am ehesten aus der Handlungsweise er- sichtlich. D e r Autor geht dem Verhältnis der R ö m e r zum Phänomen Krieg nach, wobei er feststellt, daß die Frage danach von den Historikern nur selten gestellt, jedenfalls nie syste- matisch beantwortet wurde. Seit dem Jahr 327, dem Beginn der entscheidenden Kriege ge- gen die italischen Völkerschaften außerhalb Latiums, zogen die R ö m e r fast in jedem Früh- jahr zum Krieg aus. Von 86 Jahren waren höchstens vier oder fünf ohne Krieg. N a c h der Eroberung Siziliens w a r die Zahl der jährlichen Feldzüge nur wenig geringer und vom Jahr 218 an w a r der Krieg der Normalzustand. Harris zeigt, wie der Militärdienst f ü r die aristokratische Jugend vom 18. Lebensjahr an und auch mitunter schon vorher die wesent- liche Schulung f ü r ihre ganze Laufbahn und die Voraussetzung f ü r den Aufstieg in die höchsten Amter war: »Good repute and glory were among the things most valued by 1 2 2 middlerepublican aristocrats.« (S. 24) D e r Autor untersucht die Bedeutung von laus, gloria

(11)

und virtus. Durch Erfolge im Krieg war das erforderliche Prestige zu gewinnen, das in Eh- rungen bis zum Triumph seinen Ausdruck fand. In der Zeit von 227 bis 79 erreichten von

19 mit dem Triumph gewürdigten Prätoren 15 das Konsulamt (S. 32). Die Kriegsfreudig- keit der Aristokraten erklärt sich so in erheblichem Grad durch die Aussichten f ü r ihre Laufbahn, womit die aggressive Politik gegen andere Staaten Antrieb erhielt: »It does not follow from all this that Rome eagerly sought to make war on every possible occasion — on contrary, the Senate usually showed great caution in avoiding too many simultaneous commitments. But we do know that Roman aristocrats had strong reasons to allow dis- putes and conflicts of interest between Rome and other states to grow into war.« (S. 41) Auch in der Gesamtheit der römischen Bürgerschaft fehlte es nicht an der Bereitschaft zum Krieg. In der Volksversammlung gab es keine Gegenstimmen bei Entscheidungen f ü r den Krieg. Auch allgemein unter den jungen Bürgern stimulierten militärische Ehrungen.

Die Abwechslung gegenüber dem bürgerlichen Leben wurde begrüßt. Die Aussicht auf Beute lockte. Der Prozentsatz der ausgehobenen jungen M ä n n e r war hoch. In den ersten Jahren des Hannibalischen Krieges, von 218 bis 215, haben anscheinend 108 000 M a n n in den Legionen gedient (S. 44 Anm. 3). Die bekannte ferocitas, der wilde und trotzige M u t der römischen Legionäre drängte zwar nicht in den Krieg, ergab sich aber in der Erregung des Kampfes. Gegen Ende des 2. Jahrhunderts v . C h r . ist allerdings unter den römischen Bürgern Unlust am Kriegsdienst zu beobachten. Die Dienstzeit wurde daraufhin reduziert.

Unter den jungen Aristokraten kam schon um 150 eine Kriegsscheu auf, »wie sie die Älte- ren noch nie erlebt zu haben meinten« (Polybios 35,4).

Eingehend behandelt Harris die wirtschaftlichen Motive bei der römischen Expansion und setzt sich mit Auffassungen auseinander, die sie gering bewerten, weil die wirtschaftlichen Gesichtspunkte in den Quellen nicht deutlich hervortreten. Die Eroberungen brachten den Römern enorme Mengen an Gold und Silber sowie jede Art Beute und Tribute ein. Im Verlangen nach Sklaven sieht Harris geradezu eine Wurzel des römischen Imperialismus.

D e r Staat bereicherte sich. Aber auch die persönlichen Gewinne in Führungsstellungen spielten eine Rolle, Gewinne, die nach aristokratischer Auffassung nur durch Erfolg im Krieg zu machen waren, dann auch in der Verwaltung von Provinzen, womit die Kosten der politischen Karriere bestritten werden konnten. Harris kommt zu dem Ergebnis : »The best summary formulation that is possible on the surviving evidence is that desire for eco- nomic gain was a factor of the greatest importance in predisposing senators to take aggres- sive and interventionist decisions in foreign policy.« (S. 93) Auch die Burger im allgemei- nen hatten natürlich wirtschaftliche Interessen an der Vorbereitung von Kriegen und den Erfolgen im Krieg. D e r Stand der Ritter betätigte sich als Lieferant f ü r die Bekleidung, Ausrüstung und Bewaffnung der Legionen. Kaufleute in neu gewonnenen Gebieten stan- den unter dem Schutz des Staates und Bauleute verdienten an öffentlichen Bauten.

Ausführlich befaßt sich Harris mit der Frage, ob es sich bei den Römern um einen defensi- ven Imperialismus zum Schutz vor drohenden Gefahren handelt, wie es Mommsen gese- hen hat. Die Verwendung des Begriffes »Imperialismus« hält Harris dabei trotz seiner va- gen Bedeutung f ü r unentbehrlich, betont aber, daß der römische Imperialismus nicht iden- tisch sei mit irgendeinem Imperialismus des 19. oder 20. Jahrhunderts (S. 4). Z u r Klarstel- lung erörtert der Autor im letzten Kapitel die Motive beim Entschluß zu den einzelnen Kriegen in der Zeitspanne von 327 bis 70. Hinsichtlich der Vorgänge des Jahres 264, die zum Ersten Punischen Krieg führten, ist es zutreffend, daß sich das Eingreifen auf Sizilien zunächst gegen Hieron von Syrakus gerichtet hat. Zu Recht sagt Harris auch, d a ß das jährliche Kriegführen Roms allein schon zu einem solchen Unternehmen verführte. Ein Akt der Verteidigung war es sicher nicht, wie Fabius Pictor behauptet und damit Polybios beeinflußt hat. Harris distanziert sich von solcher Auffassung: »It was an intentional step into an new area.« (S. 189)

Nach weitverbreitetem Urteil w a r der Beginn des Zweiten Punischen Krieges ein Fall, in dem Rom defensiv handelte. Aber Harris betont zu Recht, daß das Engagement Roms in Spanien (Saguntum) kein defensives Verhalten war, wie auch die Versammlung von Streit- kräften auf Sizilien bei Lilybaeum zum Übergang nach Afrika und dann der Einsatz von 1 2 3 Kräften in Spanien strategisch Angriffshandlungen waren. Es bestehe kein G r u n d zu der

(12)

Annahme, daß sich der Senat in Rom nur zögernd in den Krieg habe hineinziehen lassen:

»Hopes of glory, power, and wealth, together with the habit of armed reaction to foreign opponents, mingled with what were seen as the needs of defence.« (S. 205) D e r Autor be- zeichnet aber doch den Hannibalischen Krieg als den einzigen, den Rom gegen eine Macht außerhalb Italiens hauptsächlich zur Abwehr einer langzeitigen strategischen Ge- fahr geführt habe (S. 253).

Die römische Aristokratie regierte in einem geheimen Verfahren. Sie hatte es nicht nötig, ihre Ansichten gegenüber den Bürgern auseinanderzusetzen. Dies macht es nach Harris so schwierig, die entscheidende Willensbildung zu erfahren, zumal sich die zeitgenössischen Historiker über die Beratungen im Senat nicht unterrichten konnten, schon gar nicht im 3. Jahrhundert. Polybios konnte sich noch am ehesten informieren und hat die Substanz einiger Debatten erfaßt. D e r Autor resümiert schließlich: »For a w a r against some enemy or other, with some >justification< or other, the Romans expected and intended almost every year.« (S. 254) Am Ende des 2. Jahrhunderts setzte ein Stilwandel in der Kriegspoli- tik Roms ein, indem sie nicht mehr vorwiegend von der Aristokratie und Bürgerschaft be- trieben wurde, sondern von einzelnen hervortretenden Personen und ihren Anhängern.

D a der Verfasser seine Analyse wechselnd von verschiedenen Ansätzen her vornimmt, er- geben sich Wiederholungen und Überschneidungen, zumal bei seiner breiten, außeror- dentlich sorgfältigen Darstellungsweise. D e r Anmerkungsapparat ist überaus reichhaltig, wobei die Fußnoten o f t einen größeren U m f a n g haben als der Text. H i n z u kommen in speziellen Fragen 21 Exkurse. Die Arbeit ist in allen Teilen quellengesättigt, hierdurch so- wie in der G e d a n k e n f ü h r u n g überzeugend. In der Bibliographie fehlt nichts Wesentliches.

Hans Meier- Welcker

Peter Wende: Probleme der Englischen Revolution. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1980. 146 S.

Barry Coward: T h e Stuart Age. A History of England 1603—1714. London, N e w Y o r k : Longman 1980. X I V , 493 S.

Beiden hier anzuzeigenden Veröffentlichungen merkt man an, daß es sich beim englischen 17. Jahrhundert und besonders bei der Frage der Revolution und ihrer Vorgeschichte um ein wissenschaftlich heißumstrittenes Gebiet handelt. Die Verfasser sind stärker, als es sonst schon die Aufgabe der Historiker ist, damit beschäftigt, einseitige Deutungen der verschiedensten Richtungen abzulehnen oder abzuschwächen. So wie Cromwell nach ei- genem Bekenntnis während der Revolution genauer wußte, was er nicht wollte, als was er wollte, weiß der Leser hinterher genauer, wie es nicht gewesen ist, als wie es gewesen ist.

Aber das muß wohl zwangsläufig der Haupteindruck sein, wenn nach über 30jähriger D e - batte vor allem über die Ursachen der Revolution zwar viele neue Erkenntnisse zutage ge- fördert worden sind, sich aber keine bestimmte Betrachtungsweise als »herrschende«

durchsetzen konnte.

Die Schrift des Frankfurter Historikers Peter Wende will entsprechend keine Darstellung, auch kein »Abriß« der Revolutionsgeschichte sein, sondern thematisiert die problematische Sachlage. Genau dies hat im deutschen Sprachraum bisher gefehlt, und man kann f ü r eine solche Einführung mit ihrer zuverlässigen Durcharbeitung der neuesten — aber auch der älteren — wissenschaftlichen Literatur nur dankbar sein. Es entspricht weitgehend dem Schwerpunkt der Debatte, wenn fast die ganze erste H ä l f t e dieser Schrift von den Voraus- setzungen, Ursachen und Anlässen handelt. N a c h d e m Lawrence Stone eine zeitlich und sachlich sehr genau differenzierende multikausale Aufstellung der »Causes of the English Revolution« (1972) geleistet hatte, gewinnt seither in der englischen Forschung die An- sicht Eltons und anderer an Boden, die in der Ausrichtung der ganzen Entwicklung des 16. und 17. Jahrhunderts auf die Revolutionszeit eine zu starke Aufwertung von Wirren 1 2 4 sieht, die vielleicht nur vorübergehende »Betriebsunfälle« waren. Es hat sich zur Enttäu-

(13)

schung vieler Forscher und Leser zunehmend gezeigt, daß die sozial- und wirtschaftsge- schichtlichen Forschungen zwar zu aufschlußreichen Beschreibungen langfristiger Ent- wicklungen führen, nicht aber zwingend zur Erklärung der Revolution. Immer notwen- diger werden auch genauere Aussagen, was eigentlich jeweils erklärt werden soll: die An- fänge 1640/41, die Radikalisierung 1646—49 oder gar die Eindämmung und das Scheitern in den 50er Jahren. W e n d e geht auf die einzelnen Komplexe — Sozialentwicklung, Verfas- sungsprobleme, Kirchenfrage, direkte Vorgeschichte — übersichtlich ein und nimmt man- che dieser Fäden später bei der Behandlung der Levellers oder der Sekten wieder auf. Das ist hilfreich und im allgemeinen überzeugend. M i r erscheint nur zweifelhaft, ob man in der

»parlamentslosen Zeit« Karls I. 1630—39 wirklich von einer »durchaus konsequenten Poli- tik« der monarchischen Alleinherrschaft sprechen kann, wenn man sieht, wie schwer es den Aktivisten Lord und Strafford fällt, gegen die Unentschlossenheit des Königs und die Konzeptionsarmut Portlands und Couingtons anzugehen.

Bei der Revolutionszeit selbst gliedert W e n d e nach »konservativer Revolution« (die gemä- ßigte Phase 1640/41), »Bürgerkrieg« (der erste, 1642—46) und dem, was er einfach, aber etwas undeutlich »Die Revolution« nennt; er meint damit die Phase von 1647 bis zur H i n - richtung des Königs im J a n u a r 1649 und bespricht vor allem die revolutionär treibenden Kräfte der Levellers und der Sekten. Das Jahrzehnt des Commonwealth' und Protekto- rats, obwohl dem vorhergehenden an Ereignisfülle und Bedeutung nicht nachstehend, be- handelt er leider nur sehr knapp. Hier ist Barry Cowards Buch ausgewogener und in der Verwendung des Revolutionsbegriffs konsequenter.

Coward, Historiker am Birkbeck College der Universität London, publizierte seine Dar- stellung der englischen Geschichte 1603—1714, Teil einer elfbändigen »History of Eng- land«, ebenfalls 1980. Es ist der gleiche Zeitraum, den Christopher Hill 1961 als »Century of Revolution« bezeichnete. Coward nennt den Abschnitt 1640—1660 »The English Revo- lution«, wobei er als eigentliche Revolution nur die Wochen vom Dezember 1648 bis Ja- nuar 1649, von der gewaltsamen Reduzierung des Langen Parlaments auf den »Rump« bis zur Hinrichtung des Königs ansieht; die Geschehnisse seit 1640 führen darauf hin, die spä- teren entfernen sich wieder davon. T r o t z d e m und trotz des herkömmlichen Titels »Stuart Age« kann man nicht von einer rein konservativen Darstellung sprechen. Politische und kirchliche Geschichte stehen zwar im Mittelpunkt der narrativen Kapitel, und f ü r die Zeit 1603—40 herrscht das Bestreben vor, die Handlungsweise der königlichen Regierung zu entlasten und aus den finanziellen Schwierigkeiten zu erklären. Aber die Revolutionszeit wird sehr ausgewogen behandelt. Radikalisierungen werden durchweg aus reaktionären Gegenversuchen erklärt, die Bürgerkriege erfahren auch militärgeschichtlich eine genaue Durchleuchtung, und die Zeit der Republik und des Protektorats wird als aussichtsreich, als annehmbar f ü r einen Großteil Englands geschildert, zumal erst sehr spät (1659) ein verbreiteteres Interesse an der Rückkehr der Stuarts festgestellt wird. Außerdem behan- deln die Rahmenkapitel des Buches Gesellschaft, Wirtschaft und Verfassung, und Coward bemüht sich, möglichst genau den tatsächlichen Wandel Englands in diesem Jahrhundert zu bestimmen. Vereinfachte Gesamtaussagen darf man nicht erwarten, dann wird man durch Cowards Einschränkungen verunsichert oder enttäuscht, aber eine zuverlässige und unabhängige Diskussion des heutigen komplizierten Wissensstandes über das englische

17. Jahrhundert wird man hier ebenso finden wie bei Wende, und in vielen Punkten mit ihm übereinstimmend. Ernst Schulin

PaulM. Kennedy:The Rise of the Anglo-German Antagonism 1860—1914. London, Boston, Sidney: George Allen & Unwin 1980. X I V , 604 S.

Paul M. Kennedy: T h e Realities Behind Diplomacy. Background Influences on British External Policy, 1865—1980. London, Boston, Sidney: George Allen &

Unwin 1981. 416 S. - L o n d o n : Fontana Paperbacks 1981. 416 S.

125

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges schrieb Admiral v. Tirpitz in einem seiner Kriegsbriefe:

»Werden wir das Weltnetz zerreißen, welches das perfide Albion um uns gesponnen hat?«

(14)

W e r n e r Sombart veröffentlichte im folgenden Jahre ein Buch mit dem bezeichnenden Titel

»Händler und Helden«, und der berühmte Altphilologe U. v. Wilamowitz-Moellendorff schließlich sprach aus, was in weiten Teilen der gebildeten Schichten über England ge- dacht wurde: »Dort ist der eigentliche treibende böse Geist, der diesen Krieg emporgeru- fen hat aus der Hölle, der Geist des Neides und der Geist der Heuchelei.«1 Wie ist es zu diesem offenbar als existentiell empfundenen Gegensatz der beiden Nationen gekommen, wo liegen die Ursachen f ü r die Entwicklung, die schließlich zu derartigen Haßgesängen, zu einem erbarmungslos geführten Materialkrieg führte? Diese Frage haben sich die Zeit- genossen vor und im Ersten Weltkrieg gestellt, und die Historiker haben seither unter im- mer neuen Perspektiven kontroverse Antworten formuliert und damit unterstrichen, daß dem deutsch-britischen Verhältnis eine zentrale Bedeutung f ü r die europäische Geschichte seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts zukommt.

The Rise of the Anglo-German Antagonism vermittelt nicht nur eine Summe der weitgefä- cherten bisherigen Forschung auf diesem Gebiet, sondern stellt auch den Versuch dar, der Komplexität der Thematik durch Fragestellung und kompositorische Anlage der Darstel- lung gerecht zu werden. D e r Autor des Bandes, Reader an der University of East Anglia in Norwich, hat sich im vergangenen J a h r z e h n t mit besonderer Intensität der Erforschung bestimmter Aspekte der machtpolitischen Rivalität beider Mächte vor dem Ersten Welt- krieg gewidmet. Insbesondere durch seine Interpretation der beiderseitigen Flottenpolitik hat er der neu aufgelebten Diskussion wesentliche Impulse verliehen. In diesem Zusam- menhang sei nur an den Beitrag in dieser Zeitschrift »Tirpitz, England and the Second Navy Law of 1900. A Strategical Critique« erinnert2. Die Beschäftigung mit diesem Kern- problem des deutsch-britischen Verhältnisses jener Zeit führte ihn zu einer umfassenden, allgemeine Anerkennung findenden Darstellung der Geschichte der britischen Seemacht

»The Rise and Fall of British Naval Mastery« vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, die auch ins Deutsche übertragen w u r d e3. Als Herausgeber schließlich eines Bandes »The W a r Plans of the Great Powers 1880—1914 « hat er sich mit schwierigen Fragen einer verglei- chenden Betrachtung historischer Phänomene auseinandergesetzt und damit dieses leider vernachlässigte Gebiet entschieden bereichert4. Diesen Bemerkungen muß noch hinzuge- fügt werden, d a ß der Autor in einem über 30 Seiten starken Quellen- und Literaturver- zeichnis allein 54 Archive aufführt, in denen er ein Vielfaches an Nachlässen und sonsti- gen nichtstaatlichen Archivalien eingesehen hat, um die Grundlage dieser Forschungslei- stung zu verdeutlichen.

Der komparatistische Ansatz und die erklärte Absicht, sich nicht mit einer diplomatiege- schichtlichen Betrachtungsweise zu begnügen, sondern auch die innen- und militärpoliti- schen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedingungsfaktoren des deutsch-britischen Verhältnisses gleichgewichtig der Darstellung zugrunde zu legen, veranlaßten den Autor zu einer Gliederung, in der chronologisch und systematisch angelegte Teile einander fol- gen. In einem ersten Teil wird die Entwicklung der politischen Beziehungen beider Mächte von den 60er Jahren bis 1880 in geraffter Form dargeboten; dem folgt eine sehr viel umfangreichere Darstellung der »Struktur« der deutsch-britischen Beziehungen unter Bismarck und Gladstone. Hierin untersucht Kennedy die Wirtschaftsbeziehungen, die Haltung der Parteien, der Presse und der Verbände. Er bezieht auch die vielfältigen religi- ösen und kulturellen Verbindungen in die Analyse ein und versucht, ein Urteil zu gewin- nen über die Bedeutung, die einzelnen Persönlichkeiten aus den Herrscherhäusern und den Regierungsapparaten f ü r die Entwicklung des deutsch-britischen Verhältnisses zuzu- messen ist. Ein dritter Teil nimmt den Faden der chronologischen Darstellung zu Beginn der 80er Jahre wieder auf und verfolgt den »rising antagonism« bis in das Jahr 1906.

Daran schließt sich erneut — nach dem Muster des zweiten Teiles — eine sehr umfangrei- che Darstellung struktureller Art an, gefolgt von einem relativ kurzen abschließenden Teil über die Entwicklung der Beziehungen bis zum Kriegsbeginn. Eine Studie mit einer derart breitgefächerten Thematik muß — darauf weist die kompositorische Anlage bereits hin — darauf verzichten, einzelne Ereignisse in ihren Ursachen und Wirkungen zu schildern, z. B. einen so zentralen V o r g a n g wie die deutsche Flottenbaupolitik unter Tirpitz zwischen 1 2 6 1896 und 1900. Im Vordergrund steht vielmehr die reflektierende Interpretation der Moti-

(15)

vationen und Zielrichtungen bestimmter politischer Entscheidungen und deren Bedeutung für das deutsch-britische Verhältnis. Diese Form gibt dem Autor auch die Möglichkeit, zu den zahlreichen historischen Forschungskontroversen Stellung zu nehmen, das P r o und Contra etwa in bezug auf die erwähnte Tirpitzsche Flottenpolitik aufgrund seiner beson- deren Vertrautheit mit den Quellen abzuwägen und seine eigene Interpretation vorzustel- len. An den Leser werden demnach keine geringen Ansprüche gestellt; die Lektüre wird ihm allerdings durch einen flüssigen Stil, durch sprachliche Prägnanz erleichtert.

Worin liegen nun — nach der Darstellung Kennedys — die entscheidenden Ursachen f ü r den bis zur kriegerischen Auseinandersetzung gesteigerten Gegensatz, der im Ergebnis die Position beider Mächte in der Welt und in Europa geschmälert, ja — nimmt man die Pe- riode des Zweiten Weltkrieges hinzu — auf ein Minimum beschränkt hat. In seiner Schluß- betrachtung betont Kennedy als wichtigsten Faktor den Aufstieg des Deutschen Reiches zu einer der stärksten Wirtschaftsmächte der damaligen Welt. Diese Hervorhebung ö k o - nomischer Bedingungen des deutsch-britischen Verhältnisses könnte zu der Annahme ver- leiten, daß der Autor — mit Hilfe der bekannten Vergleichszahlen aus dem ökonomischen Bereich — die Unausweichlichkeit des schließlichen Zusammenstoßes postulieren möchte.

Nichts liegt ihm ferner als ein derart platter Determinismus. V o m Standpunkt Großbritan- niens — um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die unbestrittene Vormacht — bildete na- türlich die Aufrechterhaltung des Status quo die auch parteipolitisch nicht strittige Leitlinie der Politik. D e r Aufstieg der Vereinigten Staaten, des Deutschen Reiches und in geringe- rem M a ß e auch schon Japans berührte zweifellos die Interessen Großbritanniens und führte zu einer relativen Minderung der britischen Machtstellung in einzelnen Regionen der Welt. D a ß das wirtschaftliche Konkurrenzverhältnis sich nur im Falle Deutschlands zu einem sich verschärfenden politischen Gegensatz auswuchs, f ü h r t Kennedy auch auf die geographischen Gegebenheiten zurück, die beide Mächte besonders empfindlich auf jeden Schritt der Realisierung der politischen Zielvorstellung des anderen reagieren ließ. Beide, der ökonomische und der geographische Faktor, sind aber nicht in der Lage, die seit der Jahrhundertwende in Deutschland zu beobachtende Welle der Anglophobie und deren Reflex in Großbritannien zureichend zu erklären. Der machtpolitische Antagonismus wurde auch bestimmt durch im weitesten Sinne innenpolitische Faktoren. Kennedy hat in den querschnittartig angelegten Teilen des Bandes mit großem Einfühlungsvermögen die unterschiedliche, ja gegensätzliche Entwicklung der gesellschaftlichen Kräfte beider N a - tionen herausgearbeitet. Diè sich deutlich voneinander entfernenden Wege des politischen Liberalismus, die vorsichtige A u f n a h m e von Teilen der Arbeiterschaft in das politische Sy- stem hier und die entschiedene Ablehnung einer solchen Politik gegenüber einer schnell wachsenden, ideologisch und organisatorisch sich festigenden mächtigen Arbeiterbewe- gung dort sowie schließlich die facettenreiche öffentliche Meinung werden in ihrer direk- ten und indirekten W i r k u n g auf die Gestaltung des deutsch-britischen Verhältnisses hin untersucht. In dem außerordentlich vielschichtigen Beziehungsgeflecht dieser drei Fakto- ren erkennt Kennedy die Grundlage f ü r den unter Wilhelm II., Tirpitz und Bülow sich nun auch machtpolitisch ausformenden deutsch-britischen Antagonismus. Eine komplexe Antwort auf eine einfache Frage! Abschließend scheut sich Kennedy nicht, die Frage nach der Verantwortung f ü r diese verhängnisvolle Entwicklung zu stellen. Eine moralische Ver- urteilung des deutschen Weltmachtanspruchs lehnt er als unhistorisch ab. Er fragt viel- mehr, ob die von der deutschen Politik seit den 90er Jahren bevorzugten Methoden

»weise«, »klug« im Interesse der Realisierung der eigenen Zielvorstellungen gewesen seien und kommt dabei zu einer eindeutig negativen Antwort.

»The Rise of the Anglo-German Antagonism« — das sollten diese Hinweise verdeutlichen

— ist ein anspruchsvoller Band, wird dem selbstgesetzten Anspruch gerecht und ist in die schmale Reihe von herausragenden Studien bedeutender Historiker zum deutsch-briti- schen Verhältnis einzuordnen. Kritik? Bei einem W e r k dieser Art stößt nach Auffassung des Rezensenten die Hervorhebung einzelner abweichender Interpretationen ins Leere. Es ist die Gesamtanlage, die Synthese unzähliger Forschungsbeiträge zu einem Gesamtbild, worin die Leistung des Bandes liegt. D a die Breite und Fruchtbarkeit des Ansatzes außer Frage steht, wird man fragen, ob die Proportionen im Rahmen der Gesamtdarstellung als

(16)

angemessen empfunden werden. In dieser Hinsicht scheint dem Rezensenten die Periode unmittelbar vor Ausbruch des Krieges (1907—1914) relativ kurz behandelt zu sein. Nicht entscheidende Weichenstellungen stehen zur Debatte, sondern das Wechselspiel politi- scher Kräfte samt ihrer Zielsetzungen angesichts der sich aus dem Gegensatz ergebenden Perspektive eines (Welt-)Krieges.

Gewissermaßen als N e b e n f r u c h t seiner intensiven Forschungen erschien ein Jahr nach der Publikation von »The Rise of the Anglo-German Antagonism . . . « der f ü r einen größeren Leserkreis gedachte, auch als Paperback vorgelegte Band The Realities Behind Diplomacy, in dem der Autor seine Analyse der Bedingungen und Ziele britischer Außenpolitik dar- legt. Für die Zwischenkriegsphase konnte Kennedy dabei auf seine zahlreichen Studien zur Appeasement-Politik zurückgreifen5; aber er scheut sich auch nicht, die britische Poli- tik über den Zweiten Weltkrieg hinaus bis zum »Suez-débâcle« zu verfolgen. Die Aufgabe, die Geschichte der britischen Außenbeziehungen vom H ö h e p u n k t britischer Machtentfal- tung bis zur Einordnung Britanniens in die Gemeinschaft europäischer Staaten auf knapp 400 Seiten zu beschreiben, zwang zur rigorosen Konzentration. D e r Autor hat unter die- sem Zwang die in dem zuvor besprochenen Band erprobte kompositorische Idee noch konsequenter ausgebaut. Jeder der chronologisch geordneten Teile (1865—1914;

1914—1919; 1919—1939; 1939—1980) wird durch ein Kapitel »Structures and Attitudes«

eröffnet, das den vielfältigen Bedingungen und Voraussetzungen britischer Außenpolitik gewidmet ist. Daran schließt sich ein chronologisch ausgerichtetes Kapitel »Debates and Policies«, das sich jedoch keineswegs in der Aneinanderreihung von Fakten erschöpft, son- dern jeweils die Ziele britischer Politik, deren Realitätsgehalt und Realisierungschancen herausarbeitet. Die reflektierende, dem Forschungsstand entsprechende Interpretation steht ganz im Vordergrund, ohne daß der Stil, der Fluß der Erzählung darunter im minde- sten leidet. Ist es eigentlich nur dem besonderen, durch Katastrophen gekennzeichneten Verlauf der Geschichte des deutschen Nationalstaates zuzuschreiben, daß das interessierte deutsche Leserpublikum auf derartige problemorientierte Uberblicksdarstellungen verzich- ten muß? Wilhelm Deist

1 Vgl. Chr. Graf v. K r o c k o w : Kräfte, T e n d e n z e n , Strömungen in den Universitäten. In: O . Hirsch- feld (Hrsg.): Auf dem W e g ins Dritte Reich. Bonn 1981, S. 47.

2 Siehe M G M 8 (1970) 3 3 - 5 7 .

3 Vgl. die Bespr. in M G M 20 (1976) 171 f.

4 Vgl. die Bespr. in M G M 29 (1981) 191 ff.

5 Vgl. ζ. B. das von B.-J. W e n d t in diesem Bande (S. 158 ff.) besprochene W e r k .

Emily Oncken: Panthersprung nach Agadir. Die deutsche Politik während der Zweiten Marokkokrise 1911. Düsseldorf: Droste 1981. VI, 477 S.

Die von Hillgruber betreute Dissertation greift systematisch und detailliert auf breiter Ak- ten- und Literaturbasis in erster Linie den »deutschen Ausschnitt« der Zweiten M a r o k k o - Krise auf, »um den Anteil außen-, innen- und wirtschaftspolitischer Überlegungen bei der Planung und dem Management der Krise, die Entscheidungsmechanismen und das Paral- lelogramm der Kräfte innerhalb der Reichsleitung, die Charakteristika der außenpoliti- schen Strategien auszuloten« (S. 14). W ä h r e n d das Axiom vom Primat der Außenpolitik dem Zeitalter des Absolutismus abgelesen sei, entspringe das vom Primat der Innenpolitik der »Motivation zur gesellschaftlichen V e r ä n d e r u n g und, später, der Erfahrung parlamen- tarischer Parteienstaaten«. In der Wilhelminischen Epoche gaben beide Bereiche nicht »ge- setzmäßig den Ausschlag«, sondern die Außenpolitik w a r »arcana imperii«, die sich, wenn auch in abnehmendem M a ß e , dem maßgeblichen Einfluß von Öffentlichkeit, Parlament und Interessengruppen entzog (S. 15 f.). In prononcierter Abgrenzung gegenüber den

»Kehrites« stellt die Verfasserin einleitend »axiomatisch« fest, die Planung und D u r c h f ü h - 1 2 8 rung des Panthersprungs habe sich »nie unter dem D r u c k wirtschaftlicher Wachstumskri-

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

25 For figures about Chinese investment in south-eastern Europe (Romania, Bulgaria, Slovenia, Croatia, Serbia, Albania, Montenegro and Macedonia), see the interview with Chinese

The European Commission infringement proceedings against Bulgaria, in breach of EU law over the choice of constructor of the South Stream gas pipeline, shows

Kosovo Liberation Army – both now prime ministers of their respective countries – to the table for direct talks and towards an accord in barely seven months is no small diplomatic

We should be concerned that the draft proposal for a general data protection Regulation has so little capacity to nudge desired behaviour via positive regulatory

The enhanced Stabilisation and Accession Process, including the Stabilisation and Association Agreements, ‘will constitute the overall framework for the European course of the

The remainder of this paper concentrates on investigating some uses of the genitive case – and its relationship to some of its competitors – in present-day everyday German,

In the “short 20 th century”, Hungary had to face another challenge concerning the Balkans: it had to accept and manage the new reality that since the two new post-war

Analysis of the changes in the flows of compounds in the system formed by the atmosphere, forest soil, trees, and groundwater, gives the time development of the